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Anarchosyndikalismus und libertäre Bildung

Maintainer: Michael Doerffel, Version 1, 26.08.2003
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

Anarchosyndikalismus & libertäre Bildung [1]

(1) Die Rolle, welche Bildung und Wissen innerhalb der anarchosyndikalistischen [2] Bewegung eingeräumt wurde (und wird), mag folgendes Zitat der spanischen CNT aus dem Jahr der Revolution verdeutlichen: „Den materiellen Reichtum und die Kultur zurück zu erstatten, das sind die wesentlichen Ziele unserer Revolution. Wie das geschehen soll? Dadurch, dass im materiellen Bereich der Kapitalismus enteignet wird und im moralischen Bereich die Kultur denen vermittelt wird, die sie entbehren.“ (Rahmenprogramm der CNT-E, 1936; zitiert nach Klemm, S. 121)

(2) Immerhin wird ihnen hier die gleiche Bedeutung wie der Überwindung des Kapitalismus beigemessen. Wichtig ist, dass Bildung und Wissen sich selbst angeeignet werden sollten, statt z.B. an den Staat darum zu appellieren. So wollte die CNT damals z.B. Menschen übers Land schicken, welche den Analphabetismus bekämpfen sollten. Ob dies stattfand und falls ja, wie dabei vorgegangen wurde, vermag ich leider nicht zu sagen. Sowieso habe ich zu Erfahrungen mit Bildungsversuchen in der anarchosyndikalistischen ArbeiterInnenbewegung fast nichts gefunden [3]; weshalb ich mich im folgenden eher auf Schulen konzentrieren werde.

(3) Das Konzept libertärer Bildung im Anarchosyndikalismus war (und ist), dass Wissen sich angeeignet und vermittelt werden soll, um die gesellschaftlichen Gründe eigenen und fremden Elends zu verstehen – was den Wunsch nach Überwindung dieser Verhältnisse mit sich bringt. Mit dieser Vermittlung von Gesellschaftskritik unterscheidet es sich von bürgerlicher Reformpädagogik, welche ja z.B. oft damit für sich wirbt, dass sie bessere DemokratInnen [4] und/oder beruflich erfolgreichere [5] bzw. besser in ihren Beruf eingepasste Menschen [6] hervor brächten. Allerdings sollten den SchülerInnen keine Positionen (‚Klassenstandpunkt’ etc.) aufgezwungen werden, was den Hauptunterschied zur marxistisch-leninistischen Pädagogik ausmacht.

(4) Klar, dass das an den Staatsschulen nicht zu haben war. Diese wurden dem entsprechend auch als autori-tär sowie als an Nation [7] und Kapital ausgerichtet kritisiert. Außerdem wurde das Vorenthalten von „vollständiger Bildung“ (Bakunin) beklagt, was sich sowohl auf die Selektion bezog, die große Teile der Bevölkerung von höherer Bildung ausschloss, als auch darauf, dass keine Vermittlung der „wissenschaftlich-rationalen Erkenntnisse“ an den Staatsschulen stattfand; hier wurde v.a. der Einfluss der Kirche attackiert. So kam es zur Gründung von eigenen Schulen durch SozialistInnen, AnarchistInnen, SyndikalistInnen, ... – „um sich selbst und ihre Kinder von Unwissenheit, Aberglauben und geistiger Sklaverei zu befreien.“ (Pierre Ramus 1966; in: Ramus, S. 7)

Francisco Ferrer und die ‚Moderne Schule’

(5) Die 1901 von Francisco Ferrer in Barcelona gegründete ‚Moderne Schule’, ist eine der bekanntesten von diesen Schulgründungen und stellt(e) den Bezug anarchosyndikalistischer Schulversuche dar. Ferrer selbst wurde 1859 in Nordspanien geboren und kam während Buchhalterlehre mit sozialistischen und liberalen Ideen in Kontakt. Nach der Beteiligung an Aufständen musste er 1886 nach Paris fliehen, wo er sich 15 Jahre lang im Exil aufhielt. Dort schlug er sich u.a. als Spanischlehrer durch und unterhielt Kontakte zu französischen Anarchisten – aus dieser Zeit resultierte auch sein Interesse an anarchistischer Pädagogik. Schließlich erhielt er eine Erbschaft von einer alten Frau, die er unterrichtet und von seinen Ideen überzeugt hatte. Mit diesem Geld kehrte er 1901 nach Spanien zurück, um mit ihm die ‚Modernen Schule’ zu gründen. Diese wurde im ersten Jahr von 30 Kindern besucht; 1903 waren es schon 266.

(6) „[...] die Befreiung des Proletariats kann nur das unmittelbare und selbstbewusste Werk der Arbeiter-klasse selbst, ihres Willens zu lernen und zu wissen, sein. Wenn das arbeitende Volk unwissend bleibt, so wird es immer in der Knechtschaft der Kirche oder des Staates, d.h. des Kapitalismus der diese beiden Mächte vertritt, verbleiben. [???; M.] Wenn es im Gegenteil seine Kraft aus der Vernunft und aus dem Wissen schöpft, wird sein wohlverstandenes Interesse es bald dazu bringen, der Ausbeutung ein Ende zu machen, damit der Arbeiter das Schicksal der Menschheit in seine Hände nehmen kann. Deshalb handelt es sich unserer Meinung nach vor allem darum, die Arbeiterklasse in die Lage zu versetzen, diese Wahrheiten zu verstehen. Begründen wir ein Erziehungssystem, durch das das Kind rasch und leicht dazu gelangen kann, den Ursprung der wissenschaftlichen Ungleichheit, der religiösen Lüge, der verderblichen Vaterlandsliebe und der althergebrachten Gewohnheiten in der Familie und anderswo, die es in Sklaverei erhalten, zu erkennen.“ (Francisco Ferrer, „Manifest zur Eröffnung der „Modernen Schule“, 1901; zitiert nach Ramus, S. 8)

(7) „Die moderne Schule will alle Vorurteile bekämpfen, welche die vollständige Befreiung verhindern. Deshalb wendet sie sich an die menschliche Vernunft, das heißt, sie will den Kindern den Wunsch einimpfen, den Ursprung aller gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten zu erkennen, damit sie dieselben dann ihrerseits bekämpfen und ihnen widerstehen kann.“ (Francisco Ferrer, 1907; zitiert nach Ramus, S. 25)

(8) Diese beiden Zitate zeigen, dass – wie von mir bereits erwähnt - Wissen als Mittel zur Befreiung vermitteln werden sollte. Es fand also durchaus eine Lenkung in eine gewisse inhaltliche Richtung statt, welche allerdings nicht soweit ging, den Kindern die Positionen der LehrerInnen oder Ferrers aufzuzwingen. [8] Vielmehr sollten die Kinder die Erkenntnisse selbst entwickeln, wozu sie in die Lage versetzt werden sollten, sich ein unabhängiges Urteil bilden zu können. Auf diese Weise würden sie dann die „wissenschaftlichen Wahrheiten“ von alleine erkennen. Ferrer fasste dies so zusammen, dass statt der „dogmatischer Methode der Theologie“ die „vernunftgemäße Methode der Naturwissenschaft“ angewendet werden solle. [9] Eine weitere Neuerung war die praktizierte Koedukation (gemeinsame Unterrichtung der Kinder unabhängig vom Geschlecht). Ferrer wandte sich explizit gegen die „Knechtschaft der Frau“ (an der sie allerdings auch selbst mit schuldig sei) und wollte ihr den gleiche Zugang zu Wissen verschaffen.

(9) Zur pädagogischen Konzeption der ‚Modernen Schule’ lässt sich sagen, dass weder Zensuren noch Strafen vergeben wurden, um die SchülerInnen nicht gegeneinander auf- oder abzuwerten. Damit wandte sie sich gegen Konkurrenz und Selektion. Statt dessen sollten die individuellen Fähigkeiten der Kinder gefördert werden. Zu erwähnen ist außerdem die Orientierung an der Erlebniswelt der SchülerInnen und die angestrebte Aufhebung der Trennung von Kopf- und Handarbeit. Da Ferrer davon ausging, dass weder staatlich oder religiös ausgebildete LehrerInnen noch Laien einen solchen Unterricht durchführen konnten, gründete er zusätzlich noch eine Schule für die LehrerInnenbildung. Auch die traditionellen Schulbücher wurden von ihm als untauglich verworfen, so dass er eigene verfasste und verfassen ließ. [10]

(10) Als Ferrer 1906 unter dem Vorwurf der „geistigen Urheberschaft“ [sic!] für ein Attentatsversuch auf die Königsfamilie verhaftet wurde, musste die moderne Schule zum ersten Mal schließen. Allerdings führte eine erfolgreiche internationale Solidaritätskampagne zu einem Freispruch und die Schule konnte im folgendem Jahr wieder geöffnet werden. Ebenfalls 1907 kam es in Paris zur Gründung der „Internationalen Liga zur vernunftgemäßen Erziehung der Kindheit“, welche an den Ideen Ferrers orientiert war und diese weiter verbreiten wollte.

(11) Die Freude währte allerdings nur kurz, da es 1909 zur erneuten Verhaftung Ferrers kam – diesmal unter dem Vorwurf der Beteiligung an der ‚Juli-Revolution’. Trotz einer erneuten internationaler Solidaritätskampagne wurde er verurteilt und hingerichtet, viele SchülerInnen und LehrerInnen verhaftet und das Lehrmaterial zerstört. So zynisch das vielleicht klingen mag, haben aber vermutlich gerade die Hinrichtung Ferrers und die Zerschlagung der ‚Modernen Schule’ nicht unwesentlich zu ihrer Bekanntheit und Popularität beigetragen. Allein in Spanien wurden in den nächsten acht Jahren 60 Schulen gegründet, welche sich auf Ferrers Gedankengut beriefen und auch international kam es zur Gründung von ähnlichen Schulen sowie zu gescheiterten Versuchen dazu.

Anarchosyndikalistische Bildungsbestrebungen in der Weimarer Republik

(12) In der Weimarer Republik gelang es nicht, eine Ferrer-Schule zu etablieren. Zwar erhoben die anarchosyndikalistischen Eltern, die sich an dem groß angelegten Schulstreik der ArbeiterInnenbewegung zur Trennung von Kirche und Staat im Schulwesen beteiligten, die Forderung nach ihr, fanden jedoch keinen Rückhalt in der Streikbewegung. So wurde auch der Versuch seitens Friedrich Reders (zusammen mit Teilen der Jugendbewegung und Interesse bei der FAUD) 1922 eine an Ferrer orientierte „Schule der gegenseitigen Hilfe“ in Jena zu gründen, recht schnell wieder aufgegeben.

(13) Immerhin aber gab es während des Schulstreiks hauptsächlich von anarchosyndikalistische Eltern Bemühungen, einen Gegenunterricht zu organisieren. Wo die LehrerInnen (auch sozialistische und kommunistische) sich weigerten, diesen zu halten, wurden Eltern als LehrerInnen eingesetzt und so ein Elementarunterricht auf die Beine gestellt. Wie dieser ablief, ist mir leider nicht bekannt – allerdings löste er eine Diskussion um Erziehungsmethoden sowohl in den Schulen als auch in den Familien aus.

(14) Parallel zum Schulstreik kam es zur Einrichtungvon ‚freie Kindergruppen’, welche bei den Anarchosyn-dikalstInnen hauptsächlich durch Mitglieder von der FAUD (mehr oder weniger) nahen stehenden Ju-gendgruppen geleitet wurden. In ihnen sollten die Ideale anarchistischer Pädagogik umgesetzt werden und nachdem die Bemühungen um Ferrer-Schulen erst einmal gescheitert waren, gab es auch Pläne, aus ihnen heraus freie Schulen zu entwickeln. So wurde z.B. in der ‚Schöpfung’ 1921 ein Drei-Stufen-Plan dazu vorgeschlagen.

(15) Dieser sah vor, dass in einem ersten Schritt freie Kindergruppen mit dem Programm: „Spielen, Lesen, Volkstänze, Wandern, um sich gegenseitig kennen zu lernen, Beobachtungen für später zu machen an Tieren, Pflanzen und Menschen – Spielkameraden und Nachbarn“ (Die Schöpfung, Nr. 66, 1921; zitiert nach: Klan & Nelles, S. 223) gegründet werden sollten. Wer wie ich Volkstänze eher für gruselig denn für emanzipatorisch hält, sei an dieser Stelle gewarnt – es wird noch schlimmer. Allerdings noch nicht beim zweiten vorgeschlagenen Schritt, der mir ganz vernünftig scheint. Die Kindergruppen sollten zu Gemeinschaftsschulen ausgebaut werden, indem das aus Punkt eins bekannte durch Aussprachen in Gemeinschaftsstunden über die gemachten Erfahrungen und Folgerungen für die Gesellschaft ergänzt werden sollte. Wenn z.B. auf einer Wanderung verelendete ArbeiterInnen gesehen wurden, so wurde diskutiert, woran ihre Verelendung lag. Als dritter Schritt war die Einrichtung von Arbeitsschulen nach Ferrer vorgesehen.

(15.1) Volkstänze emanzipatorisch?, 26.08.2003, 19:44, Ano Nym: Volkstänze emanzipatorisch? Wozu denn. In allerjüngster Vergangenheit hätte da vieleicht gestanden: Grafitti und DJ'ing. Oder vor 25 Jahren: Batiken und Makramee. Bloß weil du Volkstänze scheiße findest, musst du sie doch nicht gleich auf die Emanzipationswaage werfen. Geschmack bleibt Privatsache... Dass die Anarchosyndikalisten auf Folklore, also traditionelle Symbolik verzichten würden (wie kurz die Tradition auch sein mag), die schon bestens eingeführt ist - wer wollte das verlangen? Sollen diese Kinder wie Aliens aufwachsen? (Fehlt bloß noch eine extra Sprache:-) Das kollektive, koordinierte Kunst-Ausübung was beängstigendes haben kann, ist verständlich. Beängstigend (gruselig) aber für wen?

(15.1.1) Re: Volkstänze emanzipatorisch?, 27.08.2003, 15:57, Ano Nym: "Grafitti und DJ'ing. Oder vor 25 Jahren: Batiken und Makramee." Ist schon klar, dies sind gemeinschaftsstiftende kulturalistische Praktiken unserer Zeit, genau wie die Volkstänze zuvor. Ich verstehe aber nicht, warum die Kritik am Konformismus hier auf ein "Bloß weil du Volkstänze scheiße findest" reduziert wird. Ist dir nicht klar, daß denkende Menschen keine Rituale brauchen? Ich finde die Vorstellung eines (rechten) Anarchismus, der auf dem Althergebrachten sich aufrichtet und das unschuldige "Volk" wiederentdeckt, die finde ich gruselig.

(16) Allerdings lassen Zitate wie: „Auf der dritten Stufe verwenden wir die Einrichtung von Schulwerkstätten, Schulküchen und Schulsiedlungsland, um körperliche Arbeit als Ausgangspunkt und Ende aller Kopfarbeit zu machen“ (ebd.; zitiert nach ebd., S. 224) mit ihrer Glorifizierung von ‚einfacher, ehrlicher Arbeit’ [11] eher an deutsche Reformpädagogen. Diesen blieb ja letztendlich auch die Gründung solcher Schu-len vorbehalten. Dass diese anarchosyndikalistischen Schulgründungspläne nicht verwirklicht werden konnten, lag sicher auch darin begründet, dass viele anarchosyndikalistische Eltern ihre Kinder nicht in die von (ihnen inhaltlich relativ nahe stehenden) Jugendlichen geleiteten Kindegruppen stecken wollten, sondern die von KPD oder USPD vorzogen, welche von Erwachsenen geleitet wurden.

(16.1) ,Einfache, ehrliche Arbeit' oder doch bloß ,Zusammenführung von Kopf- und Handarbeit'?, 26.08.2003, 20:30, Anno Nühm (wie vor): ,Einfache, ehrliche Arbeit' - wo ist das her? Von den Anarchosyndikalisten, oder doch von dir selber? Kannst ja mal so ausführlich zitieren wie in anderen Fußnoten auch - wenn es da was zu enthüllen gibt. ,Zusammenführung von Kopf- und Handarbeit': Wer sich nichts vormacht, wird feststellen, dass Kopfarbeit immer in Handarbeit endet. Leuten, die Entwürfe und Pläne berufsweise anfertigen, klarzumachen, wie es sich anfühlt, diese auch tätig umzusetzen - damit kann gar nicht früh genug angefangen werden. Am besten ist natürlich, wenn jene die planen es auch ausführen müssen oder netter gesagt: wenn wer etwas zu erledigen hat, selber darüber bestimmt, wie das vonstatten gehen soll. Dann werden von Anfang an auch die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen richtig eingeschätzt (zB Material- und Werkzeugstand, zu erwartender Aufwand und eigene Motivation) und erst von getaner Handarbeit erwächst die Erfahrung, die zu einer ausführungsgerechten Planung nötig ist. Vielleicht ist bei dir ja alles schon so zusammengeführt, dass du die Handarbeit nicht mehr erkennst, weil du sie nebenbei machst und sie nur unbewusst in deine Planung einfließt. Hingegen wenn jemand andere beauftragt, ist das eben ein Deal, wo zumindest ein Teil der Kopfarbeit so verselbständigt ist, dass Ausführende keinen Einfluss mehr drauf haben. Vielleicht ist dir das ja schon mal passiert (da möchte man alle Extras auf der Pizza, aber trotzdem subito geliefert, nun macht mal, aber natürlich zum dieswöchigen Einführungspreis:-) - wenn der Pizzabäcker aber die Angebote selber kalkuliert hat, dann hat er die Auswahl des Kunden schon so vorformatiert, dass sie für ihn bzw seine Angestellten handhabbar sind. Aber das ist Kapitalismus - der muss in der Schule ja nicht nachvollzogen werden. In der Schule ist die Zusammenführung von erfahrungsbildender Handarbeit als Zubringer mit erfahrungsgeleiteter Kopfarbeit als Nutznießer und schließlich - als Probe aufs Exempel - mit planungsgeleiteter Handarbeit durchaus sinnvoll: um dem Kinde zu zeigen, dass das überhaupt geht, und es in die Lage zu versetzen, angeblich sacherzwungene ,Arbeitsteilungen' in Frage zu stellen, die oft nur dem Herrschaftserhalt dienen. Und schließlich ist die Verarbeitung von tatsächlich selbst gemachten Erfahrungen in Planungen und die Anwendung letzterer auf dem Erfahrungsgebiet ja wohl die beste weil sinnvollste Art, Naturwissenschaft zu betreiben: Als Selbstbildung durch Forschung an der Anwendung, was alle drei Fähigkeiten eines Menschen oder sogar Kollektivs unmittelbar voranbringt: Lern-Fähigkeit, Handlungs-Fähigkeit und Routine in der Wissensfindung. Dass das alles nur dazu dienen kann, die Natur oder gar die Mitmenschen zu beherrschen, war Mumpitz a la Dr No, dem nicht durch ständiges Wiederholen ein nachträglicher Ehrenplatz im Diskurs eingeräumt werden sollte.

(16.1.1) Re: ,Einfache, ehrliche Arbeit, 27.08.2003, 07:10, Michael Doerffel: Ob der Ausdruck 'einfache, ehrliche Arbeit' auch von den AS-Innen selbst verwendet wurde, vermag ich nicht zu sagen. Hier handelt es sich jedenfalls um eine polemische Zuspitzung von mir. Wahrscheinlich hätte ich noch den Satz vorher zitieren sollen (kann ich nun nicht mehr, weil ich das Buch nur ausgeliehen hatte), wo gefordert wurde, dass die SchülerInnen in irgendwelchen einfachen Werkstätten, Schulgärten etc. herumwerkeln und so zur Finanzierung der Schule beitragen sollten. Aber schon dass Handarbeit zum Ausgangspunkt von Kopfarbeit gemacht werden sollte (und damit eben über sie gestellt wird), lässt m.E. durchaus auf ein antiintellektuelles Ressentiment schließen. Und ich würde sagen: fortschrittsfeindliche Schulgartenidylle + antiintellektuelles Ressentiment = Glorifizierung 'einfacher, ehrlicher Arbeit'.

(16.1.1.1) Re: ,Einfache, ehrliche Arbeit, 27.08.2003, 12:13, Marv ??: hauptsächlich IST handarbeit der ausgangspunkt der kopfarbeit... muss aus irgenwelchen gründen ne mauer eingerissen werden, wird drüber nachgedacht mit welchem werkzeug das am besten geht... die beweggründe für die forderung handarbeit zum ausgangspunkt zu machen, liegen wohl eher in dem wunsch begreiflich zu machen, dass das eine mit dem anderen hand-in-hand geht... nicht in proletarischem sinn die handarbeit über die kopfarbeit zu stellen und ihr mehr wert zuzugestehen...

(16.1.1.2) Re: 'Einfache, ehrliche Arbeit', 27.08.2003, 16:01, Ano Nym: "fortschrittsfeindliche Schulgartenidylle + antiintellektuelles Ressentiment = Glorifizierung 'einfacher, ehrlicher Arbeit'"
Ja, so habe ich stolz bekennende Anarchisten auch oft erlebt. Verherrlichung des Konkreten ... Es ist ja auch kein Zufall, daß bereits Proudhon (obwohl Franzose (har har)) ein Vordenker der deutschen Ideologie war. Näheres bei Marx nachzulesen ...

(16.1.3) Re: ,Einfache, ehrliche Arbeit, 01.09.2003, 15:48, Emil Schlenz: Arbeit kann vielleicht einfach sein, aber ehrlich? Vielleicht, wenn sie keinen Mehrwert produziert... Das sind aber wirklich moralisierende Kriterien, zur Analyse ungeeignet...

(17) Der Bildungsanspruch in der anarchosyndikalistischen Bewegung beschränkte sich allerdings nicht auf Versuche von Schulgründungen, sondern war immer auch ein interner. Wenigstens darin waren sich trotz Spaltungen alle im weiteren Sinne anarchosyndikalistischen Jugendgruppen einig. Nicht nur, dass ihre Mitglieder individuell jede Menge lasen, sondern es wurden auch seitens der Organisationen Literaturempfehlungen heraus gegeben, RednerInnen vermittelt, Rhetorikkurse abgehalten, ‚politische’ Ferienlager organisiert etc. Als Sammlungspunkt für die internen Schulungen wurde ab 1929 der Ausbau der Bakuninhütte bei Meinigen angestrebt – was aber 1933 ein jähes Ende fand.

(18) Aber auch in der FAUD gab es einen internen Bildungsanspruch, wenn er auch vermutlich nicht alle Mitglieder dermaßen intensiv erfasste – schließlich waren ja nicht wenige von ihnen in erster Linie der FAUD als einer gewerkschaftlichen Kampforganisation beigetreten. Dieser äußerte sich z.B. in Veranstaltungen, Artikeln, den Unterhalt lokaler sozialistischer Bibliotheken etc. Auch hier vermag ich leider nicht zu sagen, wieweit die Art der Vermittlung irgendwie ‚antiautoritär’ war.

(19) Jedoch halte ich auch unabhängig davon diese Bestrebungen im emanzipatorischen Sinne für äußerst wichtig. Nicht nur, weil so Wissen zum Verständnis der Gesellschaft vermittelt, sondern auch, weil so eine ‚Befähigung’ der Mitglieder erreicht wird wurde. Diese war m.E. von enormer Bedeutung, sowohl um ihr Selbstvertrauen zu steigern, z.B. sich in Diskussionen einzumischen oder eigene Veranstaltungen zu machen und so nach außen zu wirken, als auch eine Abhängigkeit von ‚Zentralen’ (auch wenn es die ja formell im Anarchosyndikalismus nicht gibt) zu vermeiden.

FAU & libertäre Bildung heute

(20) An die Gründung eigener Schulen ist für uns momentan ohnehin nicht zu denken – schon weil die FAU-IAA viel zu wenig Mitglieder dafür hat. Außerdem bin ich da ob der eng begrenzte Spielräume, die staatlicherseits gelassen werden, dem gegenüber ohnehin recht skeptisch, zumal auch eine anarchosyndikalistische Schule sich dem Fakt zu stellen hätte, innerhalb dieser Gesellschaft nicht an der Selektion vorbei zu kommen. Entweder hätte sie die SchülerInnen auf einen staatlichen Abschluss vorzubereiten, oder diese würden nachher ohne einen dastehen – mit den entsprechenden Konsequenzen, die das innerhalb kapitalistischer Verhältnisse hat. [12]

(21) Also bleibt auch uns nur ein interner und externer Bildungsanspruch, der z.B. das Verfassen und Versenden von Broschüren, das Abhalten von Veranstaltungen etc. umfasst. In Leipzig beteiligen wir uns – abgesehen von der Organisation von Veranstaltungen wie z.B. dieser - an der Libelle mit ihrer Bibliothek, um Wissen zugänglich machen. Außerdem wirk(t)en wir an dem Projekt der „Selbstorgani-sierten Seminaren“ (SOS) [13] mit. Auf dieses werde ich an dieser Stelle noch kurz eingehen, weil hier Praxiserfahrungen mit einem libertären (wenn auch nicht anarchosyndikalistischen) Bildungsprojekt gemacht wurden.

(21.1) zu spät..., 26.08.2003, 10:26, Marv ??: das proplem der SOS's und anderer solcher veranstaltungen besteht darin, dass nur individuen jene besuchen, welche bereits die richtung der selbstbildung eingeschlagen haben... der ansatz muss jedoch viel früher liegen... in unserem heutigen schulwesen, werden die kinder durch intolerante und selbstverherrlichende lehrkörper abgestumpft... ihnen wird durch die art des unterrichts das intresse daran genommen... sobald die schulpflicht vorbei ist werden sie kaum mehr ein buch in die hand nehmen oder sich sonst irgendwie weiterbilden wollen... erschwerend kommt hinzu, das die schüler durch die stumpfsinnigen reden der lehrkörper, den jetzigen zustand als bester zu erreichender ansehen, sich keine gedanken mehr darum machen ob und wie man die situation verbessern könnte (ausser viel geld zu verdienen und sich "ein speedboot und zwei bunnys" leisten zu können)... das konzept libertärer bildung muss schon in der vor- und grundschule ansetzen... einige fortschritte in diese richtung wurden schon von einigen schulen (in NRW und Hessen glaub ich...) gemacht -> aufhebung von klassenstufen, selbständiges lernen und hilfe von älteren, erfahreneren schülern (durch eben die aufhebung der klassenstufen)... wir dürfen uns nicht auf externe veranstaltungen beschränken... die schon selbstständig denkenden schüler und eltern müssen alle bestrebungen darauf ausrichten unser schulsystem radikal zu reformieren...

(21.1.1) Re: zu spät..., 26.08.2003, 13:57, Sascha Tasche: Richtig, das Problem ist auch, dass Lehrer sich keine oder kaum Mühe geben - geben wollen - den Schülern etwas beizubringen und zwar so, dass sie es sich auch behalten und neugierig werden. Sie kommen eben nicht mit "vollen Taschen" in den Unterricht, wie es die im Buch "Weltwissen der Siebenjährigen" steht.
(Welwissen der Siebenjährigen von Donata Elschenbroich ISBN 3888972655 - Gebunden - 3442151759 - Broschiert)

(21.1.1.1) Re: zu spät..., 27.08.2003, 12:28, Marv ??: "geben wollen"... ja das mag auf manche lehrer sogar zutreffen... ich sehe jedoch in diesem zusammenhang weniger den lehrkörper als hinderniss... das problem besteht eher darin, dass das system auf eine selektion der leistung, nicht der fähigkeit oder interessen, des schülers ausgerichtet ist... das ergebnis ist stures auswendiglernen von tatsachen, ohne zu verstehen warum, da die logische erschliessung eines proplems nicht trainiert und gefördert wird... "1 und 1 ist 2 basta! warum ist scheissegal" die logik einfach eins neben das andere zu legen und dann geschlossen zu zählen wird dabei völlig ignoriert und den zu unterrichtenden nicht nahegebracht... und wenn entgegen der regel dann von einem schüler die frage kommen sollte "warum denn?", meist antworten wie "ist nicht wichtig", "wirst du noch früh genug lernen", "verstehst du jetzt eh noch nicht" usw. ...

(22) Die SOS wurden von einigen TeilnehmerInnen der StudentInnenproteste ins Leben gerufen, da es ihnen zweifelhaft schien, immer nur mehr Geld vom Staat für ein von ihnen ohnehin (mehr oder weniger stark) ob der dort gelehrten Inhalte, der autoritären Trennung in Lehrende und Lernende, seiner Selektions- und Elitebildungsfunktion etc. kritisierte Hochschulwesen zu fordern. Insofern ging/ geht es also durch-aus darum, sich Wissen in Strukturen jenseits von Staat (und Markt) selbst anzueignen, was ja als ein Element libertärer Bildung benannt wurde. Selbst wenn diese Aneignung ungewollt schon allein auf Grund der Entstehungsgeschichte des Projekts hauptsächlich durch StudentInnen – also einer gesellschaftlichen Gruppe mit einem relativ privilegierten Zugang zu Bildung, wenn auch freilich keiner emanzipatorischen - erfolgt.

(23) Positiv hervor zu heben ist neben der so praktisch vermittelten Erfahrung, dass es auch ohne Staat geht, dass neue Formen der Vermittlung ausprobiert wurden. So gab es z.B. die Trennung in Lehrende und Lernende nicht, sondern es ging darum, voneinander zu lernen und gemeinsam Ideen weiter zu entwickeln. Auch die Möglichkeit, so Erfahrungen in Selbstorganisation und (möglichst) hierarchiefreien Umgang miteinander zu sammeln, ist sicher nicht zu unterschätzen. Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass der Erfahrungsgewinn stark dadurch eingeschränkt wird, dass kaum eine gemeinsame Auswertung stattfand und kein Austausch mit eventuell existierenden ähnlichen Projekten außerhalb Leipzigs gesucht wurde.

(24) Kritisch anzumerken ist m.E. außerdem, dass die praktizierte Übernahme staatlicher Aufgaben [14] in Selbstausbeutung – würde sie im größeren Maßstab als aktuell betrieben – durchaus die Gefahr mit sich bringt, letztlich zu einer Modernisierung des Kapitalismus beizutragen. Diese Gefahr wird m.E. noch durch die hauptsächlich ‚kulturelle’ Ausrichtung der Seminare (Sprachen lernen, Dramen lesen etc.) verstärkt. [15] Erschwerend hinzu kommt noch, dass die Teilnahme an SOS für viele eher ‚nebenbei’ läuft und die reguläre Uni im Zweifelsfall vorgezogen wird. Dies ist auf Grund der gesellschaftlichen Zwänge auch durchaus verständlich.

(25) Aber gerade diese beiden Punkte lassen es mir äußerst wünschenswert erscheinen, dass die Seminare mehr von Vermittlung und Aneignung von Wissen über diese Gesellschaft und den Wunsch nach ihrer Überwindung geprägt würden. Zum einen ist ein schließlich ein solches Wissen zumindest wesentlich schwerer verwertbar und zum anderen bleibt immer noch die Hoffnung – selbst wenn sie unter den aktu-ellen Umständen nicht besonders groß sein mag – dass es zur Überwindung der Zwänge beitragen kann. Wäre dies der Fall, fiele mir auch die Entscheidung, ob die SOS ein emanzipatorisches Projekt oder doch nur eine „(nicht mal) alternative Volkshochschule“ – wie sie von KritikerInnen schon spöttisch bezeichnet wurden – wesentlich leichter. M.

Literatur:

(26) Bruhn, Joachim: Abschaffung des Staates; in: Archiv für Geschichte der Arbeit und des Widerstands Nr. 10, Germinal, Bochum 1989, S. 125 – 140 Greenberg, Daniel: „Zurück zu den Grundlagen“; in: Bild dir deine Meinung!; Reader zur Aktionswoche „Bildung von unten“; 2002; S. 64 - 72 Klan, Ulrich & Nelles, Dieter: Es lebt noch eine Flamme, Trotzdem-Verlag, 1990 Klemm, Ulrich (Hg.): Bildung ohne Herrschaft; dipa-Verlag, 1990 Ramirez, Francisco O. & Boli, John: “The political construction of mass schooling […]; in: Sociology of Education Vol. 60; 1987; S. 2 - 17 Ramus, Pierre: Francisco Ferrer – Die moderne Schule; EMS-Kopp-Verlag, 1979 Steinicke, Kerstin: Erziehung und Bildung ohne Herrschaft; zu beziehen über www.fau.org/faumat Sutherland, Alexander Neill: Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung – Das Beispiel Summerhill; Rowohlt 1996

Endnoten:

(27) [1] Bei dem Text handelt es sich um eine überarbeitete und etwas ausgeweitete Version des Einleitungsreferats, welches am 20.08. bei der gleichnamigen Veranstaltung der FAU-IAA Leipzig in der Libelle gehalten wurde. Daher und auf Grund des Mangels an verfügbarer Literatur bleibt einiges eher an der Oberfläche. Außerdem sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es hier allein meine Positionen und nicht die der Gruppe vertreten werden. Wer eine Version des Textes mit den Hervorhebungen im .rtf-Format haben möchte, kann sich an mich (micdoe@surfeu.de) wenden.

(28) [2] Auf die im Referat gemachten Ausführungen zum Anarchosyndikalismus verzichte ich an dieser Stelle und verweise Interessierte auf den Text „Was ist Anarchosyndikalismus?“, welcher unter http://www2.fau.org/neu/htm/fau/fau003.html zu finden ist.

(29) [3] Falls jemand Lektüretipps zu diesem Thema hat, kann sie/er mir diese gerne an meine Adresse micdoe@surfeu.de schicken.

(30) [4] „Mit all diesem Wissen würden wir erwarten – nein, darauf bestehen sollte man meinen – dass die Schulen, wenn sie den Schülern beibringen wollen, produktiv zur politischen Stabilität und Entwicklung [sic!; M.] Amerikas beitzutragen, folgende Eigenschaften haben müssen: - demokratisch und nicht autokratisch zu sein - mit klaren Regeln regiert zu werden und rechtsstaatlich zu sein - Schützer der Persönlichkeitsrechte der Schüler zu sein“ (Greenberg, S. 71)

(31) [5] „Wenn heute jemand zu mir käme und fragen würde: ‚Zu welcher Schule soll ich mein Kind schicken, wenn ich sichergehen will, dass es die besten Chancen für beruflichen Aufstieg im Fachgebiet seiner Wahl erhält?’, dann würde ich ohne das geringste Zögern antworten: ‚Sudbury Valley ist für diesen Zweck die beste Schule im Land.“ (ebd., S. 68)

(32) [6] „Der Philister kann mir natürlich antworten: Sie nennen es also einen Erfolg, wenn ein Junge es im Leben bloß zu einem LKW-Fahrer bringt!’ Das Kriterium nach dem ich den Erfolg eines Menschen beurteile, ist die Fähigkeit mit Freude zu arbeiten [sic!; M.] und ein erfülltes Leben zu führen. An diesem Maßstab gemessen, sind die meisten Schüler von Summerhill sehr erfolgreich.“ (Neill, S. 46)

(33) [7] Immerhin wurden umfassende Staatsschulen und Schulpflicht erst im Laufe der Nationsbildung eingeführt und waren Mittel zu ihr. „Von einer solchen Politik [der Einführung, Gründung und Verwaltung von Massenschulen; M.] wurde erwartet, dass die Individuen ihre oberste Identifikation in der Nation finden und es wurde angenommen, dass die Macht des Staates durch die allgemeine Teilnahme der StaatsbürgerInnen an nationalen Projekten gesteigert würde.“ (Ramirez & Boli, S. 3; eigene Übersetzung)

(34) [8] Auch wenn ich dem von Kerstin Steinicke befragten FAU-Mitglied durchaus in der Kritik an der Antipädagogik: „’Laissez faire’ ist für mich aber auch nichts neutrales, denn die Kinder werden natürlich von ihrer Umgebung, von der gesellschaftlichen Realität, geprägt. Somit ist dieses Konzept für mich die indirekte Akzeptanz des Status quo.“ (zitiert nach Steinicke, S. 71 f.) durchaus zustimmen würde, so bleibt m.E. hier doch angesichts der antipädagogischen Schulkritik ein fader Beigeschmack. Denn auch eine anarchosyndikalistische Schule bedeutet schließlich Trennung von Lehrenden und Lernenden, den Bezug auf eine besondere Lebens- und Entwicklungsphase ‚Kindheit’ etc. Ein einfaches entweder-oder ist hier m.E. nicht möglich.

(35) [9] Hier wäre es m.E. wichtig heraus zu bekommen, wie dies konkret ausgesehen hat. Auch wenn ich es gutheiße, Rationalität gegen religiösen Unfug zu stellen, so ist mir doch nicht ganz klar, ob und wenn ja wie naturwissenschaftliche Methodik (die ja – ohne das verurteilen zu wollen - auf Naturerkenntnis zwecks Naturbeherrschung aus ist) Grundlage einer anarchistischen Pädagogik sein kann.

(36) [10] Ein Ausschnitt aus einem solchen Lesebuch findet sich bei Ramus, S. 11 ff.

(37) [11] Dass sich AnarchosyndikalistInnen auf solche Ideen eingelassen haben, halte ich für einen großen Fehler von ihnen. Sowohl weil sie sich so zumindest in die gefährliche Nähe einer romantisierenden Kapitalismuskritik begeben haben, die ‚einfache, ehrliche Arbeit’ als ‚charakterbildend’ etc. feierte und die schließlich ihren (bisherigen) traurigen Höhepunkt in „Arbeit macht frei“ fand (was nicht heißen soll, dass die AnarchosyndikalistInnen mit den Nazis gleichzusetzen seien – die allermeisten Reformpädagogen übrigens auch nicht), als auch weil hier gerade nicht die Aufhebung der Trennung von Kopf- und Handarbeit angestrebt wird, sondern lediglich eine Umkehrung ihres jetzigen (und auch damaligen) Verhältnisses. (btw.: Mit der anarchosyndikalistischen Idee, die Produktionsmittel zu übernehmen und eine gesellschaftliche Planung von Produktion und Konsumption einzurichten, hat eine romantisierende Kapitalismuskritik eigentlich auch herzlich wenig zu tun.)

(38) [12] Andererseits können ‚Freie Schule’ m.E. dennoch durchaus sinnvoll sein, indem sie den Leidensdruck für die Kinder zumindest senken.

(39) [13] s. www.ag-seminare.forumfreiheit.de

(39.1) Neue Internetaddi, 11.12.2004, 22:10, Michael Doerffel: Achtung! Die neue Seite der SOS ist http://www.ag-seminare.bildungskritik.de - der andere Link führt mittlerweile zu einer Pornoseite :-(.

(40) [14] Zur Vermeidung von Missverständnissen: Damit ist nicht etwa gemeint, dass es die Aufgabe des Staates wäre, den Wunsch von Person X nach Bildung zu erfüllen. Sondern er hat – kurz gesagt - die Aufgabe in seiner Funktion als ‚ideeller Gesamtkapitalist’, der von ihm betreuten Wirtschaft eine ausreichende Anzahl ausreichend qualifizierter Menschen zur Verfügung zu stellen. Daher steckt in dem Satz ‚Wir zeigen, dass es auch ohne den eigentlich überflüssigen Staat geht’ durchaus immer auch – so unmöglich das objektiv sein mag - ein Hauch von: ‚Wir übernehmen die Aufgaben des Staates’ – also nicht zuletzt die Aufrechterhaltung und Betreuung der (meist unverstandenen) kapitalistischen Ökonomie. Oder genauer: diese wird gar nicht (oder zumindest kaum) als Problem wahrgenommen, sondern allein der Staat, mit den Einschränkungen, die er notwendig vornimmt. Nicht völlig grundlos wurde und wird AnarchistInnen ja oft vorgeworfen, letztlich radikale Liberale zu sein:

(41) „Der Anarchismus ist seiner historischen Gestalt nach der ins Äußerste getriebene Liberalismus, der Versuch, den Bourgeois vom Citoyen zu befreien. Er ist der radikale Liberalismus der Bürger, Kleinbauern und Handwerker, die ihre Produktion ohne Lohnarbeit organisieren und den Staat nur als Kommando, Befehl und allgemeine Steuererhebung ohne Nutzen erfahren. Die "Gesellschaft ohne Staat" (Ernst [Erich?!; M.] Mühsam) ist der ins Politische gewendete Traum des nicht-kapitalistischen Privateigentums, der Logik des Privateigentums zu ent-kommen, ohne das Kapital aufzuheben.“ (Bruhn, S. 126)

(42) „Als radikaler Liberalismus will der Anarchismus die bürgerliche Gesellschaft ohne die kapitalistische Vergesellschaftung, von der er daher auch keinen Begriff entwickelt. Die "Gesellschaft ohne Staat" ist der Traum, bürgerliche Hegemonie ohne Zwang, Konsens des Marktes ohne Despotie der Fabrik herzustellen. Der immanente Zusammenhang von Demokratie und Despotie, die Notwendigkeit der Despotie für das Funktionieren der Demokratie bleibt Geheimnis. Der Anarchismus will die politische Form der bürgerlichen Gesellschaft ohne ihren sozialen Inhalt.“ (ebd., S. 130)

(42.1) 27.08.2003, 16:03, Ano Nym: Schöner als der Bruhn hätt ich das alles auch nicht sagen können ...

(43) [15] Diese ist freilich weniger den InitiatorInnen der SOS vorzuwerfen. Vielmehr stießen die ‚politischen’ Seminare kaum auf Interesse, so dass es frustriert aufgegeben wurde, solche anzustoßen.


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