Home Was ist ot ? Regeln Mitglieder Maintainer Impressum FAQ/Hilfe
Was ist der Mensch? - Was ist Gesellschaft?
Maintainer: Annette Schlemm, Version 1, 17.06.2002
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv
(2) An diesem Wochenende hatten wir (wir waren 8 Personen) uns keinen Plan vorher gegeben, haben vorher keine Aufgaben zum Vorbereiten festgelegt, sondern haben das Gespräch „laufen lassen“, wie es kam. Für mich – als Protokoll Schreibende – war es besonders faszinierend, dass wir in der Gruppe in der Lage sind, dass jede/r einmal eine längere Zeit einen Zusammenhang ausführlich erläutern kann, dass wir es durch Mitschreiben (jede/r für sich und auf einer Tapetenrolle auf dem Tisch) auch schafften, eine recht klare Struktur für die Thematik zu finden (also nicht allzu sehr nach Seitenthemen abzudriften, sondern uns immer wieder auf die Ausgangsfragen zurück brachten) – ohne dass jemand das Gespräch explizit leitete oder moderierte. Da wir auch wussten, dass wir Fragen ansprechen, die bisher anderswo (z.B. in Internetdiskussionen) auch höchstens gestellt und nicht eindeutig und umfassend beantwortet wurden, kam niemand in „Versuchung“, bei Experten oder Expertenliteratur Hilfe zu suchen, sondern das „Selberdenken“ wurde unabdingbar und machte umso mehr Spaß.
(3) Ich verwende für diese erste Version des Protokolls meine Aufzeichnungen und die gemeinsam erstellten Notizen auf der Tapetenrolle. Ich bitte um Korrekturen und Ergänzungen durch die anderen Beteiligten.
(4) Gleich nach der Ankunft und dem Abendessen begannen wir mit der Diskussion zur Frage: Was ist der Mensch? Was kennzeichnet das Menschliche gegenüber dem Tierischen (auch tierisch-sozialem)?
(5) Der Mensch –von dieser alten Erkenntnis gingen wir aus – ist durch sein gesellschaftliches Sein bestimmt. Aber was steckt hinter dieser fast losungsartigen Auffassung inhaltlich? Was bedeutet es?
(6) Es bedeutet, dass jedes einzelne menschliche Individuum „natürlich gesellschaftlich“ ist. Das heißt gerade nicht, dass er erst nur ein biologischer Organismus wäre, der dann durch „Sozialisation“ die Gesellschaftlichkeit wie als Zuckerguß zum Biologischen hinzukommen würde. Das heißt, auch die menschlichen Bedürfnisse, sogar jenes, was man als „Triebe“ bezeichnen könnte, ist nicht primär biologisch und dann erst gesellschaftlich „überformt“, sondern bei Menschen haben sie in ihrer tiefsten inneren Natur schon einen gesellschaftlichen Charakter. (Holzkamp nennt den Hunger bei Tieren deshalb auch „Bedarf“, während dieses Phänomen bei Menschen von vornherein nicht nur biologische Bedeutung hat, sondern als „Bedürfnis“ von vornherein eine andere Qualität ist, nämlich die vorsorgende Absicherung dieses Bedürfnisse beinhaltet).
(6.1) Bedarf Hunger?, 21.06.2002, 19:14, Stefan Meretz: Holzkamp macht deutlich, dass auch "Hunger" nicht kurzschlüssig als Bedarf angesehen werden kann: "'Hunger' ist für sich genommen noch nicht der spezifische Antrieb für das, was was das Tier zu dessen Beseitigung 'zu tun' hat: Aufsuchen eines Beutetieres und anschließende Jadgaktivität ... etc. Vielmehr sind es die 'aktionsspezifischen' Bedarfszustände, die die verschiedenen Lebensaktivitäten anleiten... Die emotionale Information aus Gewebedefiziten hat dabei ... nur eine die Aktivitätsbereitschaft mitbedingende zusätzlich antreibende und aktivierende Funktion" (GdP, S. 104). - Mit anderen Worten: Auch bei Tieren, aber erst recht bei Menschen, ist es inadäquat, 'Hunger' als 'Reiz' für irgendwelche 'Reaktionen' zu konzeptualisieren.
(7) Damit wird klar, um zu beantworten, was das menschliche Individuum ist, brauchen wir die Klärung der Frage: Was ist das Gesellschaftliche?
(8) Im Gespräch erinnerten wir uns an die Entstehung der Menschen (siehe http://www.thur.de/philo/kp/anthropogenese.htm) und an die Bedeutung, die die Werkzeuge bei der Menschwerdung hatten. Menschen benutzen ja nicht nur Werkzeuge und stellen sie nicht nur her (das machen auch hochentwickelte Tiere). Den Werkzeuggebrauch von Menschen und andere Werkzeugverwendungen unterscheidet folgendes: .
Nicht- und Vor-Menschen erzeugen und gebrauchen Werkzeuge nur zum Erreichen eines unmittelbar zu befriedigenden biologischen Zwecks (Hungerstillen: Stock nehmen, um Banane zu erreichen). Wenn dieser Zweck erfüllt ist, wird das Mittel, mit dem er erreicht wurde, achtlos fallen gelassen und höchstens zufällig später noch einmal ähnlich benutzt. .
Menschen dagegen stellen Werkzeuge her, auch wenn sie sie nicht unmittelbar und direkt zur Erfüllung eines Zwecks jetzt und sofort brauchen, sie bewahren sie auf und nutzen sie „im Falle“ der sinnvollen Verwendung, falls dann mal ein Zweck dafür entsteht. Während vor der Zweck-Mittel-Umkehr (logisch und oft auch zeitlich) zuerst der Zweck da ist und das Mittel dann erzeugt und verwendet wird, ist nach der Zweck-Mittel-Umkehr das Mittel auch unabhängig vom direkten Zweck da und der Zweck kommt als zweites hinzu. Die Reihenfolge hat sich umgekehrt: „Zweck-Mittel-Umkehr“. Dadurch entkoppelt sich das Mittel vom unmittelbaren Zweck. Nicht nur die Rolle und Reihenfolge von Mittel und Zweck verändern sich, sondern Mittel und Zweck verändern sich selbst:
(8.1) Re: Werkzeuge und Zweck-Mittel-Umkehr, 18.06.2002, 13:04, Wolf Göhring: Du resumierst: "Dadurch entkoppelt sich das Mittel vom unmittelbaren Zweck. Nicht nur die Rolle und Reihenfolge von Mittel und Zweck verändern sich, sondern Mittel und Zweck verändern sich selbst." Aus den vorausgehenden zeilen ist klar, dass du das gar nicht reflexiv meinst, dass sich etwa ein hammer selbst veraendert.
Die sprachliche form, die du verwendest, wird im deutschen gerne verwendet. Ich versuche, sie an solchen stellen zu vermeiden, weil sie irrefuehrend wird, wenn sie aus dem zusammenhang gerissen wird. Da diese form so schoen griffig ist, eignet sie sich auch gut dazu, alleine gebraucht zu werden - und schon sind die dinge "mit eignem leben begabte, untereinander und mit den menschen in verhaeltnis stehende selbstaendige gestalten." (Old Charly, Kapital I, MEW23, s. 86) Mag sein, dass die von mir kritisierte sprachform, aus der der ganze warenfetisch herausblinzelt, geradewegs ein produkt der warenwelt ist.
Statt deiner formulierung wuerd ich schreiben: "Dadurch wird das Mittel vom unmittelbaren Zweck entkoppelt. Nicht nur die Rolle und Reihenfolge von Mittel und Zweck werden verändert, sondern auch Mittel und Zweck selbst." Da bleibt sprachlich erhalten, dass es noch eineN veraendererIn geben muss.
(8.1.1) Re: Werkzeuge und Zweck-Mittel-Umkehr, 19.06.2002, 00:21, Carmen Ehms: Hmmm, ich weiß nicht, irgendwie klingt das dann eher nach, als würde jemand oder etwas dies tun. In meinen Augen ist es eher ein Prozeß, die Mittel gewinnen oder erhalten eine Bedeutung durch die Wiederverwendung. Und diese führt dann zur Entkopplung.
(8.1.2) Re: Werkzeuge und Zweck-Mittel-Umkehr, 21.06.2002, 19:23, Stefan Meretz: Der Witz aber, dass es mit der Zweck-Mittel-Umkehr zur Objektivierung von menschlichen Zwecken kommt, nämlich durch die Vergegenständlichung der Bedürfnisse der Menschen beim Herstellen der Dinge. Auf diese vergegenständlichten Bedeutungen können sich wieder andere beziehen usw. - was zu einer neuen Qualität der gegenständlichen Kumulation von hergestellten Bedeutungen führt. Diese kumulierten Bedeutungen in Form der hergestellten Dinge und dann auch sozialen Strukturen tritt uns in der Tat zunächst als zwar gemachte, aber "fertige" Sache gegenüber. Daher ist es schon ok, von der (historischen) Veränderung der _Mittel_ etc. zu sprechen. Der Waren-Fetischismus kommt dann ins Spiel, wenn die Produktion der Dinge und Strukturen, nicht mehr Lebens-Mittel, sondern verselbstständigter Zweck der Wert-Verwertung ist: Eine Art zweiter "Zweck-Mittel-Umkehr".
(9) Die Mittel werden die Mittel mehr als hergerichtete Naturgegenstände zum zweckmäßigen Gebrauch, sondern sie tragen mit sich die Bedeutung: „hergestellt zum Zweck des Gebrauchens zu diesen oder jenen Zwecken“ und dies in allgemeiner Gegebenheit, nicht nur zum unmittelbar-konkreten Gebrauch. Der Hammer ist nicht mehr nur ein wie auch immer veränderter Gegenstand, er trägt die Bedeutung: „... ist gemacht zum Gebrauch des Schlagens.“ Diese Art und Weise, mit dem Mittel umzugehen, verändert die Art und Weise der individuellen und gemeinschaftlichen Nahrungsversorgung und Befriedigung anderer Bedürfnisse (wir nennen es im weiteren „Reproduktion“ und meint jene Handungen, die notwendig sind zur Aufrecherhaltung, Weiterführung und Entwicklung des individuellen und gesellschaftlichen Lebens).
(10) Die Zwecke verändern sich auch: Ging es vorher lediglich um unmittelbar und direkt zu befriedigende biologische Bedarfsrealisierungen, ist der Zweck der Benutzung des allgemeinen Mittels „Hammer“ ein allgemeinerer. Der Hammer wird als Mittel benutzt, um nicht nur unmittelbare Zwecke zu erfüllen, sondern es entwickelt sich eine Art vorsorgendes Verhalten, vorsorgende Bedürfnisbefriedigung wird immer wichtiger als allgemeiner Zweck der Mittelverwendung.
(11) Diese Zweck-Mittel-Umkehr führt dann zu den Handlungen , die üblicherweise „Arbeit“ genannt wurden, also dem für Menschen spezifischen Stoffwechsel mit der Natur zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse. (Daß für jene verschiedenen konkreten Handlungen vor dem Kapitalismus ein abstrakter Begriff wie „Arbeit „ angemessen verwendet werden kann, bestreiten z.B. die AutorInnen der „Krisis“-Gruppe – das ist hier nicht unser Thema).
(12) Während solche Handlungen zuerst in einzelnen Vor-Menschen-Gruppen sicher an vielen Stellen und Orten schon einmal „erfunden“ wurden, aber wieder vergessen oder untergegangen sind, kann man ab dem Moment, wo die Menschen auf der Erde nur noch über solche gesellschaftlichen Prozesse ihr Leben reproduzieren, von einem Dominanzwechsel sprechen (dazu später noch mehr). Nach dem Dominanzwechsel reproduzieren sich auch die Individuen nicht mehr nur durch individuelles oder tierrudelähnliches Sammeln und Jagen, sondern durch die Teilhabe an den durch die gesellschaftlichen Mittel auch vom unmittelbaren Tun verselbständigten gesellschaftlichen Reproduktionsprozessen. Diese verselbständigte gesellschaftliche Ebene ermöglicht es auch, dass sich zwar insgesamt genügend Menschen in geeigneter Weise daran beteiligen müssen – für den einzelnen aber nicht direkt und genau festgelegt ist, was er wie tut. Er hat eine „individuelle Möglichkeitsbeziehung gegenüber der Welt“, die nur Menschen haben („Freiheit“, „freier Wille“...).(siehe http://www.thur.de/philo/kp/freiheit.htm).
(13) Es lag zuerst nahe, diese individuelle Möglichkeitsbeziehung daraus zu erklären, dass die Menschen ein Mehrprodukt erzeugen und deswegen ein „Reservepolster“ dafür haben, dass sich nicht mehr alle direkt beteiligen müssen. Aber ist diese Argumentation schlüssig? Liegt es wirklich am quantitativen Output der Gesellschaft? Das würde z.B. bedeuten, dass in Notzeiten diese individuelle Möglichkeitsbeziehung aufgehoben wäre und eine Produktionsdiktatur angebracht wäre. Ist das so? Oder hat diese individuelle Möglichkeitsbeziehung nicht etwas mit der spezifischen gesellschaftlichen Qualität des Menschseins zu tun, unabhängig vom quantitativen Output?
(14) An vielen Stellen kommen bei unseren Überlegungen ja ähnliche Ergebnisse heraus, die wir aus marxistischen Konzepten bereits kannten. Oft gibt es aber inhaltliche Verschiebungen (wie eben die über das nur Nutzen und Herstellen der Werkzeuge hinausgehende Zweck-Mittel-Umkehr).
Als wir an der Stelle der Bedeutung der Mittel (dass also die Mittel unabhängig vom konkreten Zweck gesellschaftliche Bedeutungen tragen, d.h. auch tradieren, zur Aneignung herausfordern etc.) waren, fiel uns ein, dass dadurch die Erzeugung der Lebensgrundlagen auch effektiver erfolgen kann und dadurch vielleicht erstmals das gesellschaftliche Mehrprodukt erzeugt werden kann, das dann (im Zusammenhang mit der eben diskutieren individuellen Möglichkeitsbeziehung) auch Kultur und Religion ermöglicht, also die Freistellung einiger Menschen für künstlerische, religiöse usw. Betätigung, ohne dass sie sich an der Nahrungserzeugung beteiligen müssen. Wir erinnern uns, das so aus unserer marxistischen Bildung entnehmen zu können (ob es genau stimmt, wissen wir jetzt nicht genau, da müsste mal jemand bei Engels in der „Menschwerdung“... und z.B. den diesbezüglichen Lehrbüchern nachlesen).
(14.1) Re: Rolle des Mehrprodukts und der Kultur, 18.06.2002, 23:43, Stefan Merten: Ich wäre mir nicht so sicher, daß dafür Menschen freigestellt werden mußten. Das hört sich so an, als wäre es ein Luxus-Add-On. Kulturell-religiöse Leistungen beziehen sich aber oft gerade auf die Jagd - zumindest sind das die gängigen Deutungen entsprechender Szenen an Höhlenwänden. Ich würde diese Kultur / Religion - wahrscheinlich ist das da noch gar nicht zu trennen - eher als integralen Bestandteil der Art und Weise der Nahrungsmittelbeschaffung dieser Menschentypen betrachten.
(15) Braucht Kultur Mehrprodukt?
Jetzt kam aber bei uns die Vermutung auf, dass das vielleicht nicht notwendig ist. Muß es unbedingt ein Mehrprodukt in dem Sinne geben, dass das „notwendige Produkt“ die Reproduktion ermöglicht und das Mehrprodukt eine Reserve bietet, die den Freiraum für Kultur usw. ermöglicht? Oder anders herum: Braucht Kultur ein Mehrprodukt?
Als Gegenthese wurde behauptet: Für menschliche Gesellschaften gehört Kultur etc. bereits zur notwendigen Produktion und ist eben nicht „Luxus“ aus einem „Mehr“-Produkt heraus.
Daß ein Mehrprodukt mehr Freiräume für Kultur bietet, ist unbestritten. Die Frage ist, ob das Mehrprodukt unbedingt gebraucht wird, ehe Kultur möglich ist.
(15.1) 18.06.2002, 23:46, Stefan Merten: Hmm... So schlau, wart ihr also auch ;-) . Hätte doch erst weiter lesen sollen. Ich lasse es trotzdem mal drin.
(15.1.1) Kultur und Kunst, 21.06.2002, 23:16, Annette Schlemm: Ich habe grad ein sehr aufschlußreiches Streitgespräch mit Joseph Beuys gesehen (von 1970), da legt er sein wunderbares Konzept (leider zum großen Teil gegen Hohlköpfe gesprochen) dar:
Der Mensch ist gebunden an Gesellschaft und Stoffliches, aber nicht darin gefangen – sondern er ist durch seine Kreativität/Imagination/Denken größer als dies.
In seinem erweiterten Kunstbegriff ist das über das Feste (Gesellschaftliche - gemeint als in sich identisches Reproduktionssystem, das Stoffliche) Hinausgehende gerade das Menschliche, also: das Menschliche = das Kreative = das Künstlerische...
Ein schönes, fast wörtliches Zitat:
"Durch Kunst wird etwas in den Menschen hineingetragen, was ihn lebensfähig macht, für die physische Seite des Lebens, was ihn stark macht auch dann, wenn er sich später entscheidet, ein Physiker zu werden. So wird er besser rationalistisch denken können, wenn er sich mit Kunst ernährt hat. " (Beuys in einer Podiumsdiskussion am 6.2. 1970 „Ende offen“ zum Thema Kunst und Anti-Kunst, heute nachmittag in 3-sat gesendet)
(16) Wir kamen wieder darauf, dass wir genauer verstehen müssen, was „Gesellschaft“ bedeutet. Daß die Mittel dabei eine große Rolle spielen, daran werden wir uns
(17) Irgendwann wurden wir dann alle müde... schwätzten noch eine Weile über andere Themen und sanken dann in die Betten.
(18) Da zwei Beteiligte erst heute anreisen konnten, wollten wir den (Gesprächs-)Tag mit einer Wiederholung des gestern abend Diskutierten beginnen. Nach einem gemütlichen Frühstück und einer kleinen Runde in der Sonne (während wir noch auf eine Teilnehmerin warteten), ging es los:
(19) Wir begannen wieder mit der Zweck-Mittel-Umkehrung. Zusätzlich zur schon beschriebenen Erklärung haben wir zusammengefasst, dass die Mittel nach der Zweck-Mittel-Umkehrung
(20) Nebenbei: dass die Zweck-Mittel-Umkehrung erfolgte, beweist wieder einmal die Durchsetzung des „Prinzip der maximalen Faulheit“: Warum soll sich jedes Individuum neu auf die Suche und das Herrichten eines Stockes machen, wenn es auf einen bereits gebrauchten, für mehrere zur Verfügung stehenden Stock zurückgreifen kann?!
(20.1) 18.06.2002, 23:49, Stefan Merten: Dieses Prinzip der "maximalen Faulheit" halte ich für ein evolutionäres Grundprinzip: Minimaler Mitteleinsatz ist für maximale Ergebnis immer dann sinnvoll, wenn die Mittel irgendwie kostbar sind - z.B. weil sie begrenzt sind. Ein Raubtier jagt z.B. auch nicht aus Jux - u.a. weil Jagd anstrengend ist.
(20.1.1.1) 19.06.2002, 21:41, Stefan Merten: Nun ich hatte es bewußt auf Kostbarkeiten beschränkt. Wenn die Mittel nicht kostbar sind, dann können - und werden - sie auch ohne Sparsamkeit / maximale Effizienz eingesetzt. Und warum auch nicht?
(20.1.2) 20.06.2002, 08:55, Christian Apl: also mit der "maximalen Faulheit" als evolutionäres Grundprinzip hab ich entschieden Probleme. Die Mittelminimierung bzw. Ergebnismaximierung kann doch erst dann "evolutionär wirksam" werden, wenn die dadurch frei gewordenen Ressourcen ihrerseits wieder eingesetzt werden. Also z.B. eine effizientere Jägerin hat mehr Zeit sich um den Nachwuchs zu kümmern, verschafft diesem damit größere Überlebenschancen. "Maximale Faulheit" würde doch bedeuten, dass die frei gewordene Zeit nicht genutzt wird. Ich würde deswegen geradzu umgekehrt von einem "maximalen Fleiß" als evolutionärem Grundprinzip sprechen.
Außerdem warum ein Raubtier jagt, werden wir wohl erst dann wissen, wenn es uns selbst diese Frage beantworten kann. Wenn ich mir z.B. meine Katze so anschaue, hab ich schon irgendwie das Gefühl, sie macht das aus Jux. Aber das ist natürlich auch eine Antropomorphisierung. Wir können wohl nicht mehr sagen, als dass Lebewesen Dinge machen, weil sie es können.
(20.1.2.1) Fleiß oder Faulheit, 21.06.2002, 22:18, Benni Bärmann: Ob wir eine Tätigkeit als Fleiß oder als Faulheit betrachten ist ja eine Frage der Brille, die wir aufhaben und eine Frage davon, was wir als wertvoll betrachten. Siehe auch dazu meinen Lieblingstext (Link im nächsten Kommentar).
(20.1.3) Recht auf Faulheit, 21.06.2002, 22:16, Benni Bärmann: Das ist tatsächlich auch die Basis von der aus man das Recht auf Faulheit auch philosophisch begründen kann. Müßiggang ist nicht aller Laster sondern aller Kreativität anfang und ohne Kreativität keine Produktion. Ich verweise mal wieder auf meinen Lieblingstext gegen den Produktivismus: http://www.copyriot.com/unefarce/no4/tarde.html
Besonders hervorheben möchte ich, dass ich die dort vertretene Sichtweise auf Ökonomie für deutlich anschlussfähiger an die kritische Psychologie halte, als die sonst von "euch" bevorzugte Wertkritik.
(20.1.3.1) Wer ist "euch"??, 21.06.2002, 23:29, Annette Schlemm: Also, die Gruppe, die in Bad Sulza diskutierte, und über deren Diskussion hier berichtet wird, hat noch nichts veröffentlicht über "ihre" Ökonomiesicht. Wirf bitte nicht zu vieles in einen Topf oder in eine Schublade. Vieles ist oft sehr viel differenzierter, als es scheint. (Vielleicht beziehst Du Dich auch auf mich als Protokollantin, aber da steht bei mir unter http://www.thur.de/philo/oeko.htm viel mehr im Web als nur die Wertkritik...).
(20.1.3.1.1) Re: Wer ist "euch"??, 22.06.2002, 07:33, Benni Bärmann: Sorry für das "euch". Die Anführungszeichen haben da wohl auch nicht geholfen. Ich bezog mich wohl eigentlich genau genommen mindestens genauso sehr auf das neue Projekt von Stefan Meretz, dass ich direkt vorher gelesen hatte und auf den Schluss unserer Diskussion in Bremen. Da hab ich wohl wirklich einiges zusammengeworfen, was nicht zusammengehört.
Was den Link angeht: Ich hab das natürlich jetzt nicht alles gelesen, aber beim überfliegen hab ich zumindestens nichts in der Richtung von Lazarato gefunden und Du hast das ja auch an anderer Stelle (subjekt3 wars glaub ich) von Dir gewiesen. Und in Bremen hast Du ja auch recht deutlich gemacht, dass Dich der Postoperaismus nicht interessiert. Das finde ich sehr schade, weil ich wie gesagt diesen Ansatz für passender finde, wenn man eben von den Handlungsmöglichkeiten der Menschen ausgeht, wie es die kritische Psychologie ja tut. Dafür hat der dann andere Probleme, auch klar. Nun, das ist hier vielleicht wirklich nicht der Ort diese Diskussion zu führen, vielleicht lieber in Stefans neuem Projekt oder sonstwo, obwohl ich momentan halt das Gefühl habe, dass genau da in Deiner/"Eurer"/"Unserer" Theorie noch ein Knackpunkt liegt. Sorry für die Konfusion.
(20.1.3.1.1.1) Verhältnis von System und Handeln, 24.06.2002, 22:14, Annette Schlemm: Wir erleben hier mal wieder, das alles mit allem zusammen hängt. KOnfusion aufzeigen ist eine wichtiger Voraussetzung, um irgendwann mal Klarheit zu kriegen. Und es ist auf jeden Fall wichtig, manche Kurzschlüsse im Denken aufgezeigt zu bekommen.
Wie sich System (von oben) und Handeln (von unten) zueinander verhalten, ist keine einfache Frage. wertkritik im Sinne von "Krisis" betont ersteres (den Systemcharakter der Wert-Vergesellschaftung), der Operaismus das Zweite. Ich denke, es ist nicht mit einem Entweder-Oder zu beantworten. Es berührt ja auch die Frage nach einem "Primat" von ökonomischen Verältnissen oder sozialem Handeln...
Verflixt, das hat der Marx doch alles schon diskutiert. Klar ist das Handeln nicht nur einfach durch (ökonomische) Verhältnisse bestimmt - aber es ist auch nicht völlig losgelöst und frei davon im Handeln! (oder ist das nicht klar?)
Jetzt ginge es darum, deren Wechselbeziehung zu untersuchen..., ohne wieder einseitig zu werden und eins aufs andere zu reduzieren.
(20.1.3.1.1.1.1) Re: Verhältnis von System und Handeln, 25.06.2002, 18:03, Benni Bärmann: Genauso sehe ich das auch. Ich wollte letztenendes nur mal ein bisschen Werbung für die andere Sichtweise machen. Vielleicht könnte Dir/Euch/Uns das ja weiterhelfen. Ich hatte halt in Bremen den Eindruck, dass Du den ganzen Postoperaismus schon vor Jahren "abgehakt" hast und Dich jetzt nicht mehr damit beschäftigen willst. Das fände ich schade. That´s all.
btw: Wo bei Marx findet sich denn diese Diskussion? Obwohl ich ja eigentlich gegen das Lesen von Büchern bin, die älter als 100 Jahre sind ;-) Wenn man einmal mit sowas anfängt kommt man ja aus dem Lesen nicht mehr raus.
Und noch ein btw: Es ist IMHO noch komplizierter. Es gibt nicht nur Handeln/System sondern mindestens drei Ebenen. Errinner Dich an die Diskussion in Düsseldorf über den Text der Göttinger (auch hier als OT-Projekt "Herrschaft" glaub ich).
(21) Was bedeutet das nun für die Fragestellung: Was macht das Menschliche aus? Was ist Gesellschaft?? Wir stellten fest, dass diese Fragestellungen eng zusammen hängen:
(22) Die gegebenen Strukturen sind in historischen Prozessen entstanden und haben sich entwickelt. Es ist oft sinnvoll, den Entstehungsprozeß von etwas zu untersuchen. Dabei ist etwas Neues nicht plötzlich da, sondern seine Anfänge und seine Durchsetzung sind oft langwierige Prozesse.
In der marxistischen Dialektik sind die sogenannten „Gesetze der Dialektik“ bekannt (Widersprüche, Umschlang Quantität/Qualität, Negation der Negation). Eine viel genauere Analysemethode von Entstehungsprozessen wendet Klaus Holzkamp an verschiedenen Stellen in seiner „Grundlegung der Psychologie“ an. (siehe auch: http://www.thur.de/philo/kp/5_schritt.htm)
(23) Dabei wird nicht empirisch-zeitlich eine Entwicklung „beobachtet“ und beschrieben, sondern es wird im Nachhinein untersucht, wie das, was entstanden ist (das ist ja im Nachhinein bekannt) möglich werden konnte und durch welche gegenseitigen Beeinflussungen es entstand und sich durchsetzte. Das Entstehen und sich-Durchsetzen ist dabei unterschieden. Vieles entsteht zwar, kann sich aber gegenüber konkurrierenden, anderen neuen Formen (neu gegenüber dem vorher vorherrschenden) nicht durchsetzen, sondern bleibt unwesentlich oder vergeht wieder. Deshalb wird zwischen „Funktionswechsel“ (Entstehen; Vorhandensein, aber noch nicht durchgesetzt)und „Dominanzwechsel“ (sich gegenüber anderen, der früheren dominierenden Form und konkurrierenden durchgesetzt haben) unterschieden.
(24) Wir machten uns nun daran, diese Analyse für die Menschwerdung, speziell die Zweck-Mittel-Umkehrung zu diskutieren (die zitierten Erklärungen der Schritte jeweils nach Holzkamp):
(25) „Aufweis der realhistorischen Dimensionen innerhalb der jeweils früheren Stufe“
Zuerst interpretierten wir dies entsprechend einem Poster vom Seminar im März 2001 in Hütten, das uns als Foto vorliegt, als „Entstehen der neuen Keimformen, die die spätere Entwicklung bestimmen“. Später ist uns anhand der bei Holzkamp selbst verwendeten Fälle (Entstehung der Psyche und Entstehung der Menschen) aufgefallen, dass Holzkamp da etwas anderes meint: er weiß zwar schon, worauf er inhaltlich hinaus will (das, was dann zuerst keimformhaft entsteht), aber in diesem Punkt geht es nur darum zu schauen, ob dafür vorher überhaupt die Voraussetzungen gegeben waren. Damit Menschen (später) gesellschaftlich leben können, muß ihre individuelle Lernfähigkeit sich schon in der Vor-Menschenzeit auf ein bestimmtes Niveau entwickelt haben (obwohl es damals noch tierisch, nicht menschlich war). Es ist dafür auch sehr weit entwickeltes Sozialverhalten in der Tier- bzw. Vor-Menschengruppe vorauszusetzen usw., usf.
(26) „Aufweis der objektiven Veränderungen der Außenweltbedingungen, mit denen der "innere" Entwicklungswiderspruch... in seinem Umweltpol zustandekommen soll“
Dieser Schritt widerspricht etwas der klassischen Dialektik, weil bei der alles aus nur inneren Widersprüchen sich entwickeln soll. Das funktioniert aber für die biotische Entwicklung nur, wenn man das „Innere“ sehr weit fasst, bis in die kosmischen Einflüsse der Asteroideneinschläge hinein. Hier wird das nicht in dieser Weise umbenannt, sondern festgestellt, dass innere Entwicklungstendenzen mit Möglichkeiten für Neues auch eine Veränderung der Umwelt der sich entwickelnden Einheit erfordert (wäre für die Biologie z.B. der Selektionseinfluß, während die Mutation etwas Inneres ist).
(27) Daß sich die Umwelt drastisch ändert, kann auch durch innere Veränderungen hervorgerufen sein – in der Biologie z.B. wenn die Anzahl der Organismen in einer Population so stark wächst, dass für diese Population Nahrungsmangel auftritt. Wichtig ist also nicht irgendeine Veränderung der Umwelt an sich – sondern der Beziehungen zur Umwelt.
(28) Für die Entwicklung der Menschen ist eine Veränderung der Umwelt in Afrika in dieser Zeit nachgewiesen. Es haben sich auch nur in diesen Regionen, in denen solche drastischen Veränderungen stattfanden, die Entwicklungsansätze ausgeprägt, während in den eher unveränderten Regionen sich die Affenpopulationen nur gering verändert haben.
(29) „Aufweis des Funktionswechsels der (im ersten Schritt) aufgewiesenen relevanten Dimensionen als "Organismus-Pol" des Entwicklungswiderspruchs, damit der Entstehung des ersten qualitativen Sprungs der Herausbildung der Spezifik der neuen Funktion unter den veränderten Außenbedingungen“
Jetzt entsteht das Neue. Aber noch innerhalb der alten Grundbedingungen, d.h. der früheren Grundqualität. Das Neue entsteht i.a. nicht plötzlich, sondern es werden vorher schon vorhandene Bedingungen und Gegebenheiten so „umfunktioniert“, dass sie neuen Funktionen dienen können (das lässt sich an der Entwicklung verschiedener Organe im Tierreich gut nachweisen).
Für unsere Fragestellung ist die Zweck-Mittel-Umkehr der wichtige Funktionswechsel. Das Mittel erhält neue Funktionen und verändert sich damit – oft in seiner äußeren Struktur, aber vor allem in seiner Bedeutung. Es ist nicht mehr ein beliebig gebrauchter Naturgegenstand zum direkten Befriedigen unmittelbarer Bedarfszwecke, sondern er ist produziert worden, um nicht nur einmal, sondern im verallgemeinerten Sinne Zwecke zu erfüllen und trägt sein „gemacht-worden-sein-zu“ als gesellschaftliche Bedeutung mit sich herum. Es geht uns dabei nicht um das Mittel (als wären die Mittel das Wichtigste an der Menschwerdung)– sondern das Mittel erweist sich als Mittel zur Erneuerung der Art und Weise der individuellen und gemeinschaftlichen Nahrungsmittelbeschaffung und anderer Tätigkeiten. Diese sind der eigentliche Inhalt des einander entsprechenden Mensch- und Gesellschaftsentstehungsprozesses.
(30) Zuerst kann sich diese neue entstandene Art und Weise des Zusammenlebens von Vor-Menschen noch nicht gegenüber den biologischen Evolutionsgesetzen durchsetzen. Solange noch Vor-Menschengruppen ausgestorben sind, weil sie mit ihrer Umwelt nicht genügend zurecht kamen, dominierten noch die biologischen Gesetze gegenüber der Möglichkeit, durch geeignete Mittelverwendung die Umwelt zugunsten der Vor-Menschen/Menschen zu verändern, sie sich auf geeignete Weise anzueignen und zu verändern (das ist kein „Anpassen“ mehr).
(31) In vielen Gruppen wird diese Art und Weise des Umgangs mit Mitteln zur Bedürfnisbefriedigung „erfunden“ worden sein, und wurde wieder vergessen oder ist untergegangen... über viele Jahrhunderttausende. Letztlich sind aber alle, die es nicht lernten, untergegangen, denn es gibt keine dieser Vor-Menschengruppen mehr (und die jetzigen Affen sind ja jene, die diese Funktionswechselschritte gar nicht erst begonnen haben). Es haben sich immer mehr jene Gruppen mehr vermehrt (und damit sind ihre Gene erhalten geblieben), die es besser verstanden, mit Mitteln kooperativ und vorsorgend umzugehen. Es haben sich jene vermehrt und sind übrig geblieben, die nicht etwa besser gekämpft hätten, oder stärkere Muskeln entwickelt haben, oder sich besser gegenseitig ausgetrickst hätten – sondern jene, bei denen sich die Fähigkeit und die Bedürfnisse nach kooperativ-vorsorgender Teilhabe an der gemeinsamen/gesellschaftlichen Bedürfnisbefriedigung (sprich auch „Arbeit“) entwickelten. Auf diese Weise wurden auch die vorher nur-biologisch festgelegten Merkmale der Psyche und des Sozialverhaltens (neben der Anatomie) „natürlich gesellschaftlich“. Menschen werden schließlich sogar von vornherein nicht mehr nur als Tiere geboren (das wird manchmal angenommen, wenn man denkt, nur die „Sozialisation“ zwinge das Individuum in die Gesellschaftlichkeit), sondern mit Bedürfnissen nach gesellschaftlicher Teilhabe, die wenn sie beim Kleinkind nicht befriedigt werden, sogar zum biologischen Tod führen können.
(32) Auf diese Weise steckt die Gesellschaftlichkeit der Menschen sogar in ihrem genetischen Erbe, ohne dass das bedeuten müsste, dass es ein „Gesellschaftsgen“ geben würde.
(33) „Dominanzwechsel: neue Qualität des Gesamtprozesses gegenüber dem früheren Gesamtprozeß, die früher qualitativ spezifische Funktion wird die für die Systemerhaltung bestimmende Funktion“
Jene Gruppen, die noch aus ausgestorben sind, weil sie sich mit ihrer gesellschaftlichen Reproduktionsweise nicht gegenüber den biologischen Selektionsmechanismen durchsetzen konnten, waren noch keine Menschen. Erst als die gesellschaftliche Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung gegenüber den biologischen Gesetzen dominierte, kann man von einer Durchsetzung der neuen Qualität „Menschsein = Gesellschaftlichkeit“ sprechen.
Das bedeutet auch: Für Menschen ist es nicht mehr möglich, wie Tiere zu leben. Menschliches Leben kann nicht mehr zurückfallen in tierisches Sein. In jedem Individuum steckt die Gesellschaftlichkeit drin (in welchen Formen auch immer). Auch ein scheinbar „unmenschliches“ Verhalten ist das durch irgendwelche Gründe hervorgerufenes menschliches Verhalten.
(34) Auch Robinson auf seiner Insel blieb Mensch, der seine Gesellschaftlichkeit mit seinem Wissen und seinen Bedürfnissen nach Haus und Bett usw. mit sich trug Die sog. „Wolfskinder“ – d.h. Kleinkinder, die bei Tieren aufwuchsen - sind eine Streitfrage... Auf jeden Fall müssen sie ihre Säuglingsphase noch in der menschlichen Gesellschaft durchlaufen haben, sonst hätten sie nicht überlebt.
(35) „Aufweis der Umstrukturierung und neuen Entwicklungsrichtung des Gesamtsystems“
Während wir in den Punkte 1. bis 4. auf einen besonderen Prozesstyp besonders geachtet haben, nämlich die Art und Weise der Bedürfnisbefriedigung durch Mittel, d.h. die Reproduktionssphäre, hatten wir uns dafür entschieden, diesen Prozesstyp und diese Sphäre als die für die menschliche Entwicklung wesentliche anzunehmen. Wir erwähnten oft zwischendurch, dass viele andere Prozesstypen und Sphären sich eigentlich „automatisch mit verändern“, wie die Kultur, die Kommunikation, die Psyche, das Sozialverhalten etc., etc...
In diesem Schritt wird analysiert, dass und wie der sich durchsetzende neue Charakter des besonderen, bestimmenden Typs nach seiner Durchsetzung (nach dem Dominanzwechsel) die gesamte grundlegende Einheit (hier: die Gesamtgesellschaft) umgestaltet, umwandelt, alle anderen Faktoren und Momente verändert. Es ist dabei auch wieder nicht so, dass die vorher vorhandenen Prozesse (z.B. der Kommunikation, der Psyche wie Emotionalität etc.) nur „gesellschaftlich überformt“ würde. Daß also das Biologische eigentlich beibehalten würde, und das Gesellschaftliche nur wie ein Zuckerguß darüber kommt. Sondern das, was früher biologisch war, ist selbst menschlich geworden („Bedarfe“ werden zu „Bedürfnissen“, beinhalten also die erweiterte Reichweite nach vorsorgender Bedürfnisbefriedigung).
(36) Uns wird bei dieser Methode noch einmal deutlich: Es geht nicht darum, reale empirische Geschehnisse zu beschreiben oder nachzuerzählen. Es geht darum, das Vorhandene und seine Strukturen und Strukturtypen in ihren Zusammenhängen besser zu verstehen. Und dazu ist es oft sinnvoll, ihre Voraussetzungen, Bedingungen und gegenseitigen Beeinflussungen anhand der historischen Methode (und für Entstehungsprozesse, d.h. Qualitätsumbrüche auch die 5-Schritt-Methode) zu untersuchen. „Anhand“ bedeutet hier, wir betrachten es „mit der Brille der Nachfrage nach historischen Bedingungen und gegenseitigen Abhängigkeiten“.
Wir tun nicht so, als wüssten wir im 1. Schritt noch nicht, was dann passiert. Sondern wir fragen ja von vorn herein nach der Entstehung dessen, von dem wir wissen, dass es entstanden ist, weil es existiert. Wir klären auch vorher, welchen Prozesstyp wir als den wesentlichen für die ersten 4 Punkte betrachten. Damit entscheiden wir schon, welche „Brille“ wir aufsetzen. Andere können andere aufgesetzt haben und wenn wir dies nicht mit berücksichtigen, können wir uns über empirische Fakten oder Beispiele ewig streiten und werden uns nicht verstehen oder gar einigen oder gar voneinander lernen können.
(37) Weil diese Methode exakt nur „im Nachhinein“ funktioniert, hat ihre Verallgemeinerung „für alle Entwicklungsprozesse“ und gar die Zukunft ihre Tücken. Ich kann mit dieser Methode nicht nachweisen, was passieren wird. Ich weiß aber: Wenn neue Qualitäten entstehen, dann wird in Zukunft ihre Vergangenheit auf diese Weise (mit einer Brille) betrachtet werden können.
Und Menschen haben die geniale Fähigkeit, sich geistig auch schon mal in die Zukunft versetzen zu können und testweise diese Methode für irgend etwas durchprobieren, von dem sie wollen, dass es in Zukunft existiert (3. und 4.). Dabei erfahren sie dann z.B. im ersten Punkt, welche Voraussetzungen dafür notwendig sind (sein werden) und was es bedeutet, den Dominanzwechsel zu schaffen (4.) und darüber nachzudenken, was das für andere Faktoren bedeutet (5.). Aber das ist dann wieder ein anderes Thema...
(38) Ich weiß jetzt gar nicht mehr, wann wir an diesem Punkt waren. Auf jeden Fall sind wir am Samstag noch in der Toskana-Therme in Bad Sulza gewesen (schwebend in Wasser-Musik) und zwei von uns haben die Rudelsburg erkundet. Nach dem Abendbrot ging es dann aber noch einmal weiter...
(39) Heute nahmen wir uns vor, das, was wir gestern diskutiert hatten, auf die Fragen vom Freitag abend anzuwenden.
Wir haben erarbeitet, dass die Zweck-Mittel-Umkehr den Kern dessen ausmacht, was sich in der Menschwerdung ereignet hat und die Menschen zu Menschen machte und dazu führte, dass Menschen „natürlich gesellschaftlich“ sind.
(40) Wenn in der Gesellschaftlichkeit das Wesen der Menschen steckt, dann hat das eine große Bedeutung für mindestens zwei Fragen:
A) jedes einzelne Individuum trägt die Gesellschaftlichkeit in sich (sie muß nicht irgendwie zu ihm „hinzukommen“)
B) Das allgemeine Verhältnis „Mensch-Natur“ (Ökologie) kann dadurch neu verstanden werden.
(41) Wir unterhielten uns eine Weile über die Behauptung, dass die Menschen „von Natur aus kriegerisch“ seien. Dies widerspricht aber unseren Erkenntnissen.
(42) Wir erinnerten uns dabei auch an unser Seminar über historische partnerschaftliche Gesellschaftsformen (siehe http://www.thur.de/philo/frauen.htm) und Katja erzählte nochmals die Inhalte ihres damaligen Vortrages.
(43) Als wir erneut versuchten, zu formulieren was denn nun „die Gesellschaft“ sei, begannen wir mit dem Satz: „Gesellschaft ist durch die Art und Weise bestimmt, wie Menschen mit den Mitteln zu welchem Zweck umgehen...“ . Daraufhin kam der Einwurf, dass dies auch schon für Kooperationen zutrifft.
Wir haben zu unterscheiden zwischen verschiedenen Handlungstypen, die sich durch ihre Reichweite unterscheiden (siehe auch in: http://www.thur.de/philo/naturmensch.htm Punkt A):
(44) Hier wird das Tun eines Individuums betrachtet, das nicht mehr nur direkt und unmittelbar einen biologischen Bedarf befriedigt, sondern „herumprobiert“ und dabei sein Tun durch Versuch-Irrtums-Erfahrungen variiert. Wenn sich verschiedene Individuen dabei zusammen tun, ist dies eine Interaktion. Dabei liegt den gemeinsamen Aktivitäten noch kein Ziel zugrunde.
(45) Kooperation wurde bestimmt als „gemeinschaftliches Zusammenwirken zum Erreichen eines Ziels“. Dabei sind die Individuen aber noch selbst alle beteiligt. Zur Kooperation gehört nur, wer mitmacht. Wer nicht mitmacht, gehört nicht dazu. Auf dieser Ebene bewegen sich die Vorschläge von Christoph Spehr für „Freie Kooperationen“ (siehe http://www.thur.de/philo/kooperation.htm).
(46) Kooperationen unterscheiden sich von Interaktionen dadurch, dass die einzelnen Beteiligten nicht mehr jede und jeder selbst unmittelbar auf einen Zweck hinstreben, sondern die kooperative Abstimmung so weit geht, dass einzelne sogar etwas tun, was – für sich allein gesehen – dem Zweck gar nicht entspricht (wenn ein Treiber bei der gemeinsamen Jagd, das Tier von sich wegtreibt in Richtung der anderen Beteiligten, die es dann erlegen und ihn am Jagderfolg beteiligen. Hier sind nicht die Jagden von Wolfs- oder Löwenrudeln gemeint, weil da keine wirkliche Abstimmung erfolgt, sondern instinktive, genetisch verankerte und durch soziales Lernen angereicherte Aktivitätsabläufe stattfinden).
(47) Kooperatives Handeln ist aber selbst noch nicht direkt gesellschaftliches Handeln. Und die Gesellschaft ist nicht nur die Summe, oder das Zusammenwirken von vielen Kooperationen (wie z.B. Christoph Spehr annimmt).
(48) Gesellschaft hat – erst mal eher formal bzw. abstrakt gesehen – folgende Eigenschaften:
(49) Dies gilt für alle eigenständigen Systeme (bzw. dialektische Einheiten), deshalb war diese Bestimmung noch formal-abstrakt. Auch die biologische Welt stellt gegenüber der Physik/Chemie solch eine Verselbständigung mit Eigendynamik und eigenem Systemcharakter dar. Zur Bestimmung des Charakters von Gesellschaft muß noch konkret inhaltlich etwas gesagt werden.
(50) Inhaltlich nehmen wir wieder Bezug auf die Bedeutung der Mittel für menschliches Handeln, für die menschliche Bedürfnisbefriedigung. Wir stellen fest, dass dadurch, dass die Mittel eine gesellschaftliche Bedeutung tragen („gemacht worden zur Verwendung für...“), diese Welt der Mittel und ihrer Bedeutungen sich verselbständigt von dem unmittelbaren Tun der Menschen zur Erfüllung direkter Ziele (also von Interaktionen und Kooperationen).
(51) Wir trugen dann folgende Merkmale von Gesellschaft zusammen:
(52) Damit können wir dann auch die Rolle der Produktivkraftentwicklung begründen. Einerseits entwickelt sich jede Generation Menschen anhand der ihnen geschichtlich überlieferten Mittel die Errungenschaften der gesamten bisherigen Evolution an und ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse wachsen. Andererseits entwickeln sich jene Bedeutungen weiter, die die Mittel selbst in die Zukunft tragen.
(53) Weitere inhaltliche Bestimmungen:...
(54) Diese Bestimmung von Gesellschaftlichkeit führt zu wichtigen Schlussfolgerungen:
-> Gesellschaft reproduziert sich (durch das Tun genügend vieler Menschen) quasi selbst – sie bildet einen Reproduktionszusammenhang, bei welchem dem Einzelnen seine Funktion nicht unmittelbar zugewiesen wird. Der Einzelne hat der Gesellschaft gegenüber eine spezifische „individuelle Möglichkeitsbeziehung“ (mehr dazu siehe: http://www.thur.de/philo/freiheit.htm).
(55) -> die Einflussnahme auf Gesellschaft kann nicht durch Individuen allein oder nur Interaktionen oder nur Kooperationen erfolgen (so wichtig die Rolle des Individuums auch ist!), die Eigengesetzlichkeit kann nur durch gesellschaftliches Handeln der vereinigten Individuen verändert werden (bzw. verändert sich von selbst insofern, als nicht mehr funktionierende Dynamiken zum Zusammenbruch der Gesellschaft führen können, wenn das Handeln nicht erfolgt).
(56) -> weitere Schlussfolgerungen:...
(57) Es ist ein Unterschied, ob wir Worte zur verkürzten Beschreibung empirisch vorfindbarer Erscheinungen benutzen (quasi zum „Etikettieren“), oder ob wir sie eher als „Brille“ benutzen, durch die wir die Welt sehen (Kategorien). Für die Bestimmung von Gesellschaft ist noch folgendes zu beachten:
(58) I: Die Vorstellung von „Gesellschaft“ bedeutet zuerst einmal, dass man an Menschen denkt und sich dann vorstellt, „alle Menschen zusammen“ seien die Gesellschaft. Dies wäre der empirische Begriff von Gesellschaft. Die Einheit wäre dann eine Einheit vieler Menschen.
(59) II. Als Kategorie wird „Gesellschaft“ begriffen, wenn nicht die einzelnen Individuen ihre Elemente, bzw. Teile sind, sondern wir verschiedene Prozesstypen, die das Qualitative der Gesellschaft ausmachen, die ihre Existenz und Entwicklung „tragen“, als ihre Momente betrachten. Das könnten die Prozesstypen „Arbeit“, „Kommunikation“, „Kultur“ etc., etc. sein. Die dialektische Einheit zu begreifen erfordert dann die Untersuchung der gegenseitigen Beziehungen dieser Momente und nicht das Ausgehen von einzelnen Menschen.
(60) Nun blieb noch übrig, über die Schlussfolgerungen der „natürlichen Gesellschaftlichkeit“ für die Ökologie zu sprechen. Wir konnten das nur ansatzweise beginnen.
(61) Wenn das Gesellschaftliche von Natur aus in uns steckt, gibt es keinen Widerspruch zwischen Gesellschaft und Natur, wie er oft angenommen wird. Unsere Natur ist die Gesellschaftlichkeit. Gesellschaftlichkeit ist unsere Natur. Ein „Zurück zur Natur ohne Gesellschaftlichkeit“ kann es nicht geben.
(62) Die Art und Weise unserer Gesellschaftlichkeit, die Art und Weise des Umgangs mit der nichtgesellschaftlichen Natur-„umwelt“ kann aber verschieden sein und hier gilt es durchaus Forderungen aufzustellen.
(63) Für die Natur bedeutet das, dass die Gesellschaftlichkeit aus ihr heraus, in ihr, als eine ihrer Formen entstanden ist, die ein relatives Eigenleben gewinnt. Aber die Entwicklung der Gesellschaft ist Bestandteil der „Natürlichkeit des Kosmos“ und die Veränderungen, die die Menschen in der Natur hervorrufen, sind nichts außer-Natürliches, nichts wider-natürliches, sondern eine der Formen ihrer Veränderung.
(63.1) 18.06.2002, 14:20, Wolf Göhring: Ein bisschen gedankenspiel. Derzeit werden taeglich in D so um die 150 ha land zusaetzlich versiegelt. Das scheint bei rd. 325.000 qkm wenig zu sein, addiert sich aber in laeppischen rd. 500 jahren zusammen mit der bereits versiegelten fläche zu diesen 325.000 qkm. Also wenn man es zu Luthers zeiten schon so gekonnt gekonnt haette, wie wir es heute koennen, dann stuenden uns kaum noch baeume im wege. Alles waere unter dach. Wir lebten beschuetzt unter einer glocke, die mit reflektierenden folien versehen die sommerhitze abstrahlen und die winterkaelte, sofern es diese noch gaebe, fernhalten wuerde. Die folien wuerden zugleich sonnenlicht in strom verwandeln, kein gewitterregen wuerde uns naessen, das regenwasser liefe in besonderen kanaelen in besondere tanks, kartoffeln, aepfel und weizen wuechsen in hydrokulturen in dieser schoenen neuen welt. Spassbaeder allenthalben, flaniermeilen mit McDonalds und DcMonalds sowie Toskana-Thermen lueden zur einkehr, usw.
Das einzige "natuerliche" problem dieser entwicklung koennte in den begrenzten natuerlichen fossilen energieressourcen liegen, die das heutige bebauungstempo zuegeln koennten: oel, erdgas, kohle scheinen bei heutiger verbrauchsrate ganz optimistisch geschaetzt in 300 jahren zu ende zu sein, also bevor das idyllische "haus deutschland" oder "haus europa" fertiggebaut waere. Aber vielleicht haette man bis dahin die sahara mit einer 10 m hohen biosphaere ueberbaut und bezoege von dem dortigen riesendach den noetigen elektrischen strom, um das "aufbauwerk welt" zu vollenden.
Wollen wir das? Warum, oder warum nicht? Ist das "gesellschaft-naturverhaeltnis" ganz ohne widerspruch? Sprich: Gibt's fuer dieses verhaeltnis ausnahmsweise mal keine dialektik?
(63.1.1) Dialektik Natur-Gesellschaft, 21.06.2002, 23:21, Annette Schlemm: Eben, eine Dialektik und keine starre Entgegensetzung, wie es oft gedacht wird (von wegen "Natur = harmonisch", "Gesellschaft = exterministisch, naturzerstörerisch"). Wenn ich von gemeinsamer Entwicklung spreche/schreibe, steckt in meinem Entwicklungsbegriff immer die Entwicklung über Widersprüche drin. Aber eben Ko-Evolution, Bloch nannte das "Allianz" (damals war der Begriff noch noch so versaut). Wen meine Gedanken dazu genauer interessieren (bitte nicht als "Hausaufgabe" mißverstehen...): http://www.thur.de/philo/as250.htm und die dort verlinkten Seiten.
(63.2) 18.06.2002, 14:46, Wolf Göhring: Im buendel der bei mir eingegangenen emails, in dem sich diejenige mit dem hinweis auf deinen text befand, war auch der "Newsletter" von "European Environmental Press". Darin las ich unter dem titel "Sustainable urban drainage" einen bericht ueber einen artikel in "Environment Business Magazine" (United Kingdom), der so ganz das technisierte naturverhaeltnis illustriert, dem wir heute allesamt "froenen" und unterworfen erscheinen. Noch ein paar jahrhunderte dieser entwicklung und die menschheit koennte durchaus in jener zuvor von mir glossierten schoenen neuen welt ankommen. Ich zitier den text im naechsten absatz in voller laenge, weil er zu deinen knappen und abstrakten zeilen den praktischen kontrapunkt liefert, weil er zeigt, was mensch praktisch treibt: Die umwandlung des mexiko-sees in mexiko-city, um ein historisches beispiel zu nehmen.
(63.3) 18.06.2002, 14:56, Wolf Göhring:
Sustainable urban drainage
SUDS (Sustainable Urban Drainage Systems) refers to a collection of methods used to reduce runoff from hard surfaces through storage and by enhancing groundwater recharge via infiltration. It is being strongly promoted by the Environment Agency and SEPA. Pollutant concentrations are reduced through filtration, sedimentation, adsorption and biodegradation. SUDS also offer aesthetic and cost benefits compared to surface water drains and storm-sewers. And as flood damage has increased, their ability to cope with sustained heavy rainfall has attracted growing interest.
The problems, according to the experts, stem from the effects of development on natural drainage systems.
An Environment Agency publication on SUDS describes the different options for sustainable drainage. Porous pavements can be used to allow water to permeate through the ground. Stormwater can be diverted into infiltration trenches backfilled with stone; or shallow, surface infiltration basins, which allow water to gradually infiltrate the subsoil. Filter drains comprising a trench, filled with gravel wrapped in a geotextile membrane, are another option. Runoff water is directed into the drain and filtered through the stones prior to discharge. Swales are also used: grassed depressions that lead surface water overland to a storage or discharge system. Once the runoff has been managed away from problem areas like footpaths and car parks, passive treatment systems use natural processes to filter out and break down pollutants from surface water runoff.
(64) Dabei muß ja beachtet werden, dass die Natur ohne Menschen auch nicht stabil, unverändert bleibt, sondern sich immer fort entwickelt. „Die Natur ist kein Vorbei...“ beschrieb das Ernst Bloch.
(65) Zusätzlich muß natürlich bedacht werden, dass die heutige Gesellschaftsform Zerstörungen der natürlichen Lebensgrundlagen mit sich bringt, die nicht tolerierbar sind. Der Ausweg ist aber nicht der Verzicht auf jegliche Naturveränderung, weil das der Verzicht auf menschliches Leben wäre.
(66) Wir sehen hier eine analoge Situation:
Für die Gesellschaft sehen wir, dass sich das einzelne Individuum nur frei entwickeln kann, wenn sich alle anderen auch frei entwickeln können. (Auch dies ist vor allem in der jetzt herrschenden Gesellschaftsform strukturell sehr behindert, aber in der Negation zeigt sich das Grundsätzliche: wir sehen auch, dass die Entfaltung des einzelnen Individuums behindert wird, wenn andere darin behindert sind und umgekehrt...)
(67) Für das Verhältnis von Gesellschaft und Natur gilt dasselbe:
Die Gesellschaft kann sich nur weiter entwickeln, wenn sie ihr Naturverhältnis vernünftig entwickelt – die Natur kann zu neuer Blüte kommen, wenn die gesellschaftlich erzeugten Formen (sog. Kulturlandschaften...) sie bereichern...
(67.1) 18.06.2002, 21:30, Marcus Hanel: vor diesem hintergrund würde mich interessieren, ob du den menschen als ein hochentwickeltes lebewesen siehst... in einigen sätzen schien mir diese "theorie" sehr ausgeprägt. "Zusätzlich muß natürlich bedacht werden, dass die heutige Gesellschaftsform Zerstörungen der natürlichen Lebensgrundlagen mit sich bringt, die nicht tolerierbar sind. Der Ausweg ist aber nicht der Verzicht auf jegliche Naturveränderung, weil das der Verzicht auf menschliches Leben wäre." mir scheint der stellenwert, den du dem menschen beimisst, völlig überzogen. dieser punkt ist ein immer wiederkehrendes phänomen bezüglich derartiger themen. vielleicht wäre es möglich, den menschen erst einmal "ganz unten" anzusiedeln, wenn es um entwicklung geht. denn der stand der dinge lässt auf eine kreatur schließen, die, gesegnet mit bewusstsein, wissentlich ihres bewusstseins, auf ihren eigenen untergang hinarbeitet. möglicherweise würden sich schon erste erfolge einstellen, wenn wir uns nicht so wichtig nehmen würden. "unmenschlichkeit" könnte uns schon näher beschreiben. aber es fällt auf, dass der mensch immer als etwas (im kern)gutes betrachtet wird. Warum?
(67.1.1) 21.06.2002, 22:21, Benni Bärmann: Du bist aber schon selbst ein Mensch, oder? Also welchen anderen Standpunkt kannst Du einnehmen als den des Menschen? Wenn der Mensch "ganz unten" ist, dann ist das für mich ein Ausdruck entweder von Selbsthass oder von Arroganz, wenn man meint, nur die anderen Menschen seien "die Bösen", wärend man selbst ja schon eine Art Übermensch ist. Beide "Theorien" (ich übernehme mal Deine Anführungszeichen), führen jedoch wohl ziemlich offensichtlich zu einer nicht wünschenswerten Praxis - Womit sie für mich widerlegt sind, denn eine Theorie, die zu einer perversen Praxis führt, hat ein Problem.
(67.1.1.1) 24.06.2002, 16:06, Marcus Hanel: deine argumentation finde ich nicht schlüssig. wenn ich den menschen "ganz unten" ansiedle, dann stelle ich mich selber in frage (denn auch ich bin ein mensch :-))) es muss aber doch möglich sein, das "überwesen" mensch von dem immer wieder propagierten sockel zu holen. du glaubst, dass meine argumentation entweder auf selbsthass oder arroganz basiert, weil ich mich nicht mit der Definition "krönung der natur" arrangieren kann. ich stelle in frage und schließe mich dabei natürlich ein, weil alles andere nicht zu einer entwicklung führt. wenn mensch glaubt, die erde sei eine scheibe, dann handelt er doch anders als wenn er von außen auf die welt sehen kann. kann sich der mensch nicht selber auch von außen betrachten, ohne zu werten? wenn wir uns als menschen so unheimlich toll finden, welchen grund sollte es geben, menschliche entwicklung zu unterstützen. und dabei fallen dann sofort schlagworte wie "übermensch", die, wie du sicher meinst, mit rassismus und eltärer rassenideologie zu tun haben. blödsinn! wir sind uns hoffentlich einig darüber, dass sich etwas ändern muss auf dieser welt. diejenigen, die das in der hand haben, sind wir: die menschen. ich sehe dieses "ganz unten" (ich gebe zu, sehr verkürzter ausdruck) nicht bei affen, löwen, fischen, ameisen, sondern bei uns. insofern liegt es bei uns, ob wir "weiter" kommen oder nicht. ich glaube, dass Widerstand bezüglich politischer, gesellschaftlicher und umwelt-relevanter themen sehr wichtig ist. dabei wird aber immer wieder von revolutionären bewegungen gesprochen, die eine veränderung herbeiführen sollten. gerade das finde ich nicht. es ist aus meiner sicht nur noch möglich, lebensnah im engsten sinne zu agieren und zwar über evolutionäre bewegungen. und das kann nur dort anfangen, wo sich menschen in frage stellen. selbstkritik ist ein kostbares und seltenes gut, dass der mensch aber erst lernen muss. ich schließe mich natürlich ein :-))) komisch, dass die meinung, menschen seien "ganz unten", die reaktion hervorruft, der, der dies äußere, sei ein rassist. aber vielleicht sagt das auch eine menge über den menschen aus...
(67.1.1.1.1) Krönung der Natur, 25.06.2002, 17:53, Benni Bärmann: Ich hab Dich nicht als Rassisten bezeichnet, das läge mir fern. Auch ist nirgendwo im Text oder in meinen Stellungnahmen vom Menschen als "Krönung der Natur" die Rede.
Ich sage nur, dass uns nur die menschliche Perspektive zur Verfügung steht. Die Vorstellung sich - oder gar die Menschheit als ganzes - von aussen betrachten zu können ist im Wortsinne "unmenschlich". Diesen Vorwurf kann man allerdings ein Stück weit auch dem Text machen, so wie jedem Versuch zu definieren, was der Mensch sei und was er nicht sei, ob jetzt gut oder böse Krönung oder Fußabtreter ist dann nur noch eine Geschmacksfrage. Ich hab da immer massive Probleme mit (ohne wirklich sagen zu können, wie genau man ohne Wesensbestimmung auskommt allerdings).
Für den Ansatz, der im Text vertreten wird spricht jedoch, dass er betont, dass der Mensch Möglichkeiten hat sich zur Welt zu verhalten und dass er davon mehr hat als die Tiere. Das ist immerhin keine direkte Wesensbeschreibung sondern eine indirekte. Schonmal ein Fortschritt.
(67.1.1.1.2) 27.06.2002, 22:10, Annette Schlemm: Lebensnah und nur evolutionär? Hast Du Dich mal mit der Evolution des Lebens auf der Erde befaßt? Da gabs und gibts eine Menge qualitativ grundlegender Umwälzungen...
(67.1.2) 21.06.2002, 23:26, Annette Schlemm: Es ist schon gut, daß diese Frage immer mal so deutlich gestellt wird. Einerseits richtet sie sich berechtigt gegen die überhebliche Meinung, der Mensch als Krone der Schöpfung könne mit der Welt machen was er wolle. Wenn aus diesen Bedenken dann aber jegliche Berechtigung des Menschseins (und Menschsein ist nun mal was anderes als nur-Natur-sein) abgesprochen wird, dann ist das schon sehr traurig. Ohne Menschsein könnten wir über all die Fragen nicht diskutieren und solange die Menschenfeinde ihre Gedanken und Worte nicht abschalten können, werden sie Menschen bleiben, ob sie wollen oder nicht.
Daß Menschen oft sehr schlimme Dinge tun und verantworten (auch die "Unmenschlichkeit" gehört zur ihrem Mensch-Sein, sie können sich nicht frei sprechen davon) verweist uns gerade darauf, daß Menschen eben nicht von vornherein gut (oder böse) sind...
Es sagt uns nur über die gegenwärtige Verfassung des gesellschaftlichen Lebens...
(67.1.2.1) 25.06.2002, 22:33, Marcus Hanel: liebe annette, ich hätte noch ein paar fragen zum verständnis. was meinst du mit: "...Menschsein ist nun mal was anderes als nur-Natur-sein"? ich interpretiere deine aussage dahingehend, dass du das menschsein über das nur-natur-sein stellst. liege ich da richtig? dann interessiert mich, wen oder was du unter "Menschenfeinden" verstehst. und schließlich würde ich mich freuen, wenn du mir noch näher bringen könntest, was mit "Daß Menschen oft sehr schlimme Dinge tun und verantworten..." gemeint ist. Was sind "schlimme Dinge"? ich habe die erfahrung gemacht, dass diskussionen häufig ins leere laufen, weil die beteiligten verschiedene auffassungen von begriffen haben. ein herrlich banales beispiel zum schluss, das für mich sehr deutlich macht, was passiert, wenn menschen nicht von außen auf ihre probleme schauen: aus FR v. 25.06.2002 -- theoretiker. Drei Tage lang haben Anhänger verschiedener mazedonischer Fußballvereine darüber gesprochen, wie Ausschreitungen rivalisierender Fans verhindert werden können. Doch beim Abendessen zum Abschluss des von der Regierung organisierten Workshops wurde klar, wie weit Theorie und Praxis auseinander liegen: Ein Streit darüber, welcher Verein die besseren Spieler hat, endete am Sonntagabend in einer Schlägerei. Für das Seminar hatten sich die Organisatoren eine besonders friedliche Umgebung ausgesucht: die Stadt Ohrid, wo Regierung und Politiker der albanischen Minderheit ein Friedensabkommen ausgehandelt hatten. Doch weder Tagungsort noch Vorträge zeitigten bei den Teilnehmern des Workshops "Stoppt Gewalt" Wirkung. "Plötzlich begannen sie, sich zu schlagen", sagte ein Kellner. Die Polizei schritt ein und nahm etwa 30 Personen fest.
(67.1.2.1.1) Mensch und Natur, 26.06.2002, 14:09, Annette Schlemm: Menschsein ist eine besondere Naturform, in der die Natur über ihre bisherigen Möglichkeiten hinaus geht. Das Besondere am Menschen ist, dass er die Fähigkeit hat, sich bewusst zu den Gegebenheiten der Welt zu verhalten und diese auch bewusst und kreativ zu verändern. Das kann keine andere Naturform.
Einerseits werden Menschen dadurch natürlich nicht „unnatürlich“. Andererseits unterscheiden sie sich von all den anderen Naturformen, und um diesen Unterschied geht es mir. Den zu verwischen, zu leugnen wäre meiner Meinung nach falsch und hat Konsequenzen, die mit Menschlichkeit nicht zu vereinbaren sind (Biologismus...).
(67.1.2.1.1.1) Re: Mensch und Natur, 26.06.2002, 20:42, Marcus Hanel: "Menschsein ist eine besondere Naturform, in der die Natur über ihre bisherigen Möglichkeiten hinaus geht." das nimmst du an. eine sehr eltitäre meinung, die du nicht beweisen kannst. du gehst von deiner wahrnehmung aus, deinen menschlichen sinnen. möglicherweise ist dieses "handwerkszeug" nichts im vergleich mit denen anderer lebewesen. wenn ich nun sagen würde, dass einstein "die Fähigkeit hat(te), sich bewusst zu den Gegebenheiten der Welt zu verhalten und diese auch bewusst und kreativ zu verändern" wusste, dann würdest du wahrscheinlich nicken. nun ersetzen wir einmal den namen einstein durch hitler. eine interessante interpretation von der "besonderheit" von menschen. die menschen haben schon immer geglaubt, sie seien eine "besonderheit". ich denke, dass das problem ist.
(67.1.2.1.1.1.1) Re: Mensch und Natur, 27.06.2002, 11:32, Benni Bärmann: Natürlich hatte Hitler die Fähigkeit Welt bewusst und kreativ zu verändern. Sowohl Bewusstsein als auch Kreativität können destruktiv sein. Du denkst viel zu sehr im Gut/Böse-Schema. Die Menschen sind nicht "besser" im Sinne dieses Schemas, sie haben einfach nur größere Macht und Macht kann konstruktiv oder destruktiv eingesetzt werden. Ihre besondere Macht zu leugnen - in dem man sie als nur spezielle Tiere bezeichnet - führt zu nichts.
(67.1.2.1.1.1.2) Re: Mensch und Natur, 27.06.2002, 22:13, Annette Schlemm: Ich weiß nicht, was Du mit Einstein und Hitler willst. Gegenüber anderen Lebewesen hatten sie durchaus die Besonderheit, sich bewußt zu ihren Umweltbedingungen verhalten zu können, sich frei entscheiden zu können in einem Sinne, in dem es Tiere nicht können... Was wer dann draus macht, ist eine andere Frage und hängt z.T. mit den gesellschaftlichen Bedingungen zusammen, die es so für Tiere gar nicht gibt...
(67.1.2.1.2) Menschenfeinde, 26.06.2002, 14:09, Annette Schlemm: Ja, hier habe ich ein wenig schnell geschossen. Ich habe dazu ein Konglomerat von Theorien und Konzepten im Hinterkopf, die dem Menschen seine Menschlichkeit im Sinne dieser eben genannten Besonderheit absprechen und im Menschen „nichts weiter“ als eine Art anderes Tier sehen wollen. Sicher hat jede Lebensform ihre Berechtigung und ist wertvoll. Aber: um die Bakterien zu retten, sollten wir nicht menschliches Leben prinzipiell in Frage stellen. In manchen Formen der Gaia-Theorie wird das aber z.B. in Kauf genommen (da wird die „lebende Erde“ – mit Betonung der Bedeutung der Bakterien für ihre Lebendigkeit - in Schutz genommen vor ihrem „Krebs“, der menschlichen Existenzweise).
Jedenfalls sind mir tatsächlich schon Vertreter solcher Konzepte begegnet, die sich – provokativ oder ernstgemeint – „Menschenfeinde“ nennen.
Typisch für diese Überlegungen ist übrigens das „von-außen-Betrachten“ der Welt.
Wir sollten hier unterscheiden zwischen a) der abzuschaffenden Naturausbeutung in der jetzigen Gesellschaftsordnung und b) der prinzipiellen Tatsache, dass menschliches Leben ihre Umgebungsnatur (wie auch die eigene, innere) immer verändern wird, sie nicht unberührt lassen kann (was innerhalb der Biologie nebenbei gesagt, ja auch nie geschieht).
(67.1.2.1.2.1) Re: Menschenfeinde, 26.06.2002, 20:58, Ano Nym: "Sicher hat jede Lebensform ihre Berechtigung und ist wertvoll. Aber: um die Bakterien zu retten, sollten wir nicht menschliches Leben prinzipiell in Frage stellen." das hört sich an wie: ich habe ja nichts gegen ausländer, aber... ich denke, du meinst es so nicht, aber die richtung ist ein und dieselbe. warum würde es dich verdrießen, wenn der mensch eine art tier wäre? was daran wäre so schlimm? wenn ich diese meinung habe, dann muss ich kein menschenfeind sein. ganz im gegenteil. die these, die hier vertreten wird, läuft darauf hinaus, kategorien zu schaffen, in die wir (eben nur die menschen)bestimmen und zwar ohne den kleinsten beweis. wenn ich ehrlich bin, erinnert mich deine argumentation an rassenlehre. der arier(mensch), der über juden (bakterien?) steht.
(67.1.2.1.2.1.2) Re: Menschenfeinde, 27.06.2002, 22:17, Annette Schlemm: Was soll dieser indirekte Vergleich von Juden und Bakterien!?
Bleib bitte sachlich. Denk mal darüber nach, daß Du mit Deinen ganz normalen Lebensäußerungen jede Sekunde über tausende von Bakterien in deinem Körper bestimmst und du nicht leben kannst, ohne ständig von anderem Leben zu leben. Das macht übrigens jede Lebensform. Menschen gestalten insgesamt ihre Lebensverhältnisse bewußt (im schlimmsten Falle unbedacht), sonst wären sie keine Menschen. DAs müssen wir halt erst mal so akzeptieren. Und sie machen das in einem Sinne, wie es kein Tier, keine Tierpopulation macht. Das gibt uns keinen Freibrief, alles kaputt zu machen, sondern Verantwortung. Aber wenn wir gar nicht akzeptieren, daß wir da etwas Besonderes darstellen, können wir uns auch der Verantwortung nicht stellen.
Um das Kategorien-Schaffen kommst Du übrigens nie herum, sobald Du mit Worten denkst. Und Kategorien unterscheiden immer. Du wirst doch wohl nicht ernsthaft denken, daß sich Menschen durch gar nichts von Bakterien unterscheiden, oder?
(67.1.2.1.3) Schlimme Dinge, 26.06.2002, 14:10, Annette Schlemm: Nun, z.B. die Naturausbeutung über das Maß hinaus, was Menschen zu ihrer (auch erweiterten) Reproduktion brauchen. Oder das, was sie sich gegenseitig antun. Das ist konkret leider so vielfältig, dass ich es nicht einzeln aufführen möchte. Ich meine jene Dinge, die bei manchen Menschen dazu führen, enttäuscht über die Menschheit, pessimistisch, nihilistisch zu werden.
(68) So, das wars erst mal mit dem Protokoll.
Viel Spaß und Erfolg beim Weitermachen...