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Postmarxismus und Arbeitsfetisch
Maintainer: Ulrich Leicht, Version 1, 02.07.2000
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv
(1) Wenn der Marxismus als historische (und zu historisierende) Gestalt der gesellschaftstheoretischen Reflexion heute weder ungebrochen fortzuführen noch simpel als "Irrtum" zu verwerfen, sondern vielmehr aufzuheben ist, dann stellt sich natürlich die Frage, anhand welcher Inhalte und Kriterien diese anstehende Aufhebung vor sich gehen soll. Denn einen ungebrochenen, einheitlichen und unumstrittenen Marxismus als solchen hat es bekanntermaßen auch in der Binnengeschichte der nunmehr zu Ende gehenden Epoche der "Modernisierung" nie gegeben - was auch heute wieder scheinbar eine Reaktion auf die Krise (oder eigentlich schon den Untergang) des Marxismus möglich macht, die wesentlich vergangenheitsbezogen ist und irgendeinen alten Knochen jener vielen Abarten und Seitenzweige wieder ausgraben möchte, die schon früher ein ideologisches Neandertaler-Schicksal erlitten hatten. Das Aufhebungsproblem kann aber kein archäologisches sein, sondern die gesamte Modernisierungsgeschichte der letzten hundert Jahre mit ihren sämtlichen Marxismen steht zur Disposition. Um einen Ausgangspunkt zu gewinnen, kann ein kurzer Blick auf die Brüche schon in der ideologischen Binnengeschichte des bisherigen Arbeiterbewegungs- oder Modernisierungs-Marxismus hilfreich sein.
(1.1) 23.08.2003, 17:45, Wolfram Pfreundschuh: Der Marxismus soll sich aufheben? Was kann das sein: Ein Gedanke, der praktisch wird? Der Marxismus kann unnötig werden. Wohin soll ER sich aufheben, in DEN Kommunismus, der "Gedanke", der auf ihn folgt? Das scheint mir ein sehr Hegelianisches ICH für einen Marxisten zu sein, das ICH, das hier spricht: Ich hebe mich auf, um anders zu sein - ich bewahre mich im Anderssein. Was ist an dieser Bewahrung POST-Marxistisch? Ich halte Hegel für einen PRÄ-Marxisten. Marx hat jener Philosophie ein ICH zugesprochen, die sich in der Unendlichkeit ihres Denkens, also in ihrer letztendlichen Theologie, nur um sich bewegt, niemals zur Kritk sich wenden kann. Ich bin nicht Kritik: Ich kritisiere. Ich kritisiere auch nicht die Ökonomie und verleibe auch nicht als Ökonom in einem Anderssein der Welt. Ich kritisiere die politische Ökonomie! Die Ökonomie ist auch nicht die Welt und wir sind keine Ökonomie. Wir sind Welt, und doch nicht. Die Welt ist unsere Entfremdung: Ist etwas, was zu uns gehört, aber sich uns entzieht, was uns sein lässt, um uns zu nutzen. Deshalb ändern nicht wir uns durch die Weltveränderung. Wir heben weder uns noch die Welt auf; wir ändern ihre Form, weil sie selbst Zweck hat: Die Formbestimmung des Fremden, die Wertfom. Also ist es völlig gleichgültig, ob sich der Marxismus aufhebt. Wie man sieht, tut er es schon lange ohne dass sich die Welt ändert. Nicht gleichgültig ist, ob mit dem Wissen und den Erkenntnissen, die durch Marx und andere vorliegen, noch etwas in der Welt zu ändern wäre. Kann Änderung in der Praxis Aufhebung sein? Nur aus der unendlichen Entfernung des objektiven Geistes wäre sie "Aufhebung", weil er seiner Idee folgend immer sich im Anderssein zu bestätigen hat. In Wirklichkeit ist es ein Kampf gegen die Mächte, welche die Formbestimmtheit in sich tragen: Namentlich das Kapital, in welcher Erscheinungsweise es uns auch gerade begegnen mag - als existentielle oder kulturelle Aneignungsmacht. Und eine Wendung hiergegen kann keine Aufhebung sein, auch nicht, wenn durch diese Entgegnung Kapital wesenlos, Wert unsinnig geworden wäre. Es sei denn, jemand würde dann sagen wollen: Siehe da, der Kapitalismus ist aufgehoben. Und er müsste konsequenterqeise dann auch sagen: Dem Herr sei's gedankt.
(2) Oft schon ist die Marxsche Theorie totgesagt worden, und immer wieder hat sie ihre Überlebenskraft bewiesen angesichts unaufgehobener Verhältnisse, in denen der Mensch weiterhin ein von stummen Zwängen geknechtetes Wesen bleibt. Dieser Zustand konnte unübersehbar in der bisherigen Modernisierungsgeschichte niemals überwunden werden, und heute sind wir anscheinend weiter von der Einlösung des revolutionären Aufhebungsversprechens entfernt als je zuvor. Allerdings sollte man nicht allzu sehr auf eine quasi-automatische Wiederauferstehung des Marxschen Ansatzes und seiner emanzipatorischen Gehalte hoffen, etwa so, wie die Neoliberalen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes, manche Spätmarxisten auf das nächste kapitalistische "Akkumulationsmodell" und die eschatologischen Sekten auf die Wiederkehr Christi warten. Schon in der Vergangenheit war Begräbnis und Auferstehung des Karl Marx stets von gesellschaftlichen wie theoretischen Brüchen und Verwerfungen begeleitet, in denen sich der noch unerschöpfte Modernisierungsprozess schubweise durchsetzte und in neuen, überraschenden Gestalten entpuppte. Dementsprechend führten die diversen "Krisen des Marxismus" auch jeweils zwangsläufig zu einer kontroversen Neuinterpretation und Reformulierung der Marxschen Theorie im veränderten gesellschaftlichen Kontext.
(2.1) Re: Geschichte und Untergang des Marxismus, 23.08.2003, 17:57, Wolfram Pfreundschuh: Die Marxsche Theorie hat nicht Überlebenskraft bewiesen angesichts "unaufgehobener Verhältnisse, in denen der Mensch weiterhin ein von stummen Zwängen geknechtetes Wesen bleibt", hierfür würde sicher auch schon Hegels Theorie gereicht haben. Die Überlebenskraft steckt in der Wahrheit ihrer ökonomischen Analyse, die sich immer wieder darin bewährt, dass sich das Ende der Ausbeutungsbedingung im Kapitalismus auch für das Kapital als unlösbarer Widerspruch zeigt: Das Verhängnis der Profitrate, die immer wieder Kapital zerstören muss, um die Mehrwertrate wieder zu erwecken, die Rate der Ausbeutung neu zu fassen und zu bestimmen. Die Marxsche Darstellung des Wertverhältnisses in den drei Bänden des Kapitals wird immer wieder genutzt, um zu zeigen, dass am Kapitalismus tatsächlich "etwas faul sein muss". Nirgendwo sonst ist die Stringenz der Unmöglichkeit von permanenter Kapitalerzeugung durch Ausbeutung bewiesen. Sobald sich zeigt, dass die Güter auf der Halde liegen und dass die Lohntüte nicht reicht, um ihn in Gang zu halten, um den Scheiß zu kaufen, den er erzeugt, da kapiert es auch jeder, der für seinen Lohn schuftet.
(3) Die erste "Krise des Marxismus" brach auf, als sich spätestens mit dem Ende der langen Gründerzeit-Stagnation die weitere langfristige Akkumulationsfähigkeit des Kapitalismus erwies und die anwachsende westeuropäische Arbeiterbewegung sich überall einer reformerischen, kapitalimmanenten "Realpolitik" zuwandte. Während die Reform-Marxisten, für die in Deutschland Eduard Bernstein repräsentativ war, die Marxsche Theorie in diesem Sinne reformulierten und einige ihrer Momente als falsifiziert bzw. "metaphysisch" verwarfen, beharrten die Gralshüter des unverfälschten Marxschen Erbes mit Karl Kautsky an der Spitze auf einer zunehmend sterilen Orthodoxie, die in der damaligen gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht konkretisiert werden konnte. Trotzdem blieb diese Orthodoxie, jedenfalls in Deutschland, die offizielle theoretische Doktrin der Sozialdemokratie, auch wenn die tatsächliche politische Praxis damit immer weniger zu tun hatte.
(4) Die zweite "Krise des Marxismus" brachte im Ersten Weltkrieg das große Schisma zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus. Diesmal kam die Neuinterpretation der Marxschen Theorie im Gegensatz zur vorhergehenden Epoche von "links". Die Oktoberrevolution im Rücken, brach Lenin sowohl mit dem westlichen Reformismus als auch mit der langweiligen Kautskyschen Orthodoxie. Den Problemen der Revolution im kapitalistisch rückständigen Russland entsprechend, wurde die Marxsche Theorie jedoch weniger von der Kritik der Politischen Ökonomie bzw. von ihrem philosophischen Gehalt her reformuliert, als vielmehr "politizistisch" im Sinne revolutionärer Machtbehauptung und einer Modelung weitgehend agrarischer, vormoderner Verhältnisse. Die "Radikalität" bezog sich vor allem auf die Vorgehensweise und auf die Formen der politischen Bewegung, weniger auf den historischen Inhalt und fast gar nicht auf die ökonomische Formbestimmung der Gesellschaft selbst; denn die postulierte planökonomische Alternative verließ niemals die ökonomischen Grundkategorien der warenproduzierenden Moderne, deren westliche Gestalt in vieler Hinsicht ausdrückliches Vorbild blieb. Alles was unter "Planwirtschaft" und "Beseitigung des Privateigentums" lief, war nur ein staatsökonomisches Derivat des Kapitalverhältnisses.
(5) Die kommunistische bzw. bolschewistische Neuinterpretation der Marxschen Theorie wurde so zum theoretischen Programm einer nachholenden Modernisierung im kapitalistisch rückständigen Osten und Süden des Planeten. Sie fand ihre historische Wirksamkeit in der sowjetischen Industrialisierung, in der chinesischen Revolution und in den antikolonialen nationalen Befreiungsbewegungen. Im Westen blieben der Kommunismus und linksradikale Ableger dagegen in der Minderheit oder bloße Randerscheinungen, da ihre Theorie nicht den entwickelten westlichen Verhältnissen entsprach. Das eigentlich auf dem Boden einer nachholenden Modernisierung erwachsene sogenannte "Primat der Politik" wurde so, oft noch voluntaristisch verlängert, zum theoretischen Erbteil und Markenzeichen auch des westlichen Kommunismus bis heute, während die Kritik der Politischen Ökonomie substantiell nicht über den Stand von Kautsky/Hilferding (bzw. in deren Gefolge Lenin) hinauskam.
(6) Der Schock der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise, die zeitweilige großen Erfolge der sowjetischen Industrialisierung, die chinesischen Revolution und in die Resultate des Zweiten Weltkrieges stabilisierten zunächst die kommunistische Reformulierung der Marxschen Theorie und schienen die Heraufkunft eines kommunistischen (staatskapitalistischen oder staatssozialistischen) Weltsystems anzudeuten. Die dritte "Krise des Marxismus" wurde aber unvermeidlich, als das westliche "Wirtschaftswunder" der Nachkriegsära mit historisch beispiellosen Wachstumsraten die Kapitalismuskritik in den entwickelten westlichen Ländern verblassen ließ und zum Umverteilungsritual degradierte, während gleichzeitig die östlichen (und südlichen) Ökonomien einer nachholenden Modernisierung relativ wieder weit zurückfielen und ökonomisch wie sozial, kulturell wie theoretisch zu versteinern begannen. Der "Marxismus-Leninismus" erstarrte zum dogmatischen Schema, und die westliche Sozialdemokratie entledigte sich der Marxschen Theorie überhaupt als Doktrin ("Godesberg").
(7) Die Rekonstruktion und Reformulierung der Marxschen Theorie kam auch in dieser Situation wieder von "links", diesmal in einem eigentümlichen Amalgam einerseits von westlichen Subjekttheorien, repräsentiert vor allem durch die Jugend- und Studentenbewegung von 1968, und andererseits von der letzten Welle der nationalen Befreiungsbewegungen der Dritten Welt (Vietnam u. a), flankiert von der spezifisch chinesischen Marx-Interpretation durch Mao Tsetung. Der gemeinsame Nenner dieser Neuinterpretation war die theoretische Apotheose des "politizitischen" Voluntarismus. Insofern war diese Reformulierung der "Neuen Linken" vielleicht die bisher schwächste, weil sie nur den alten linksradikalen "Politizismus" und seine voluntaristische Verlängerung durch einschlägige Strömungen der 20er bzw. 30er Jahre in einem neuen Kontext erweitert reproduzierte. Die einzige wirklich originäre Quelle innerhalb der "Neuen Linken" war (neben Ernst Bloch, dessen Rezeption aber randständig blieb) die Kritische Theorie der Frankfurter Schule, die allerdings schon viel früher ausformuliert worden war und überhaupt quer zum Gang der marxistischen Dinge liegt. Dieser Ansatz, dessen "dunkle" und oft kryptisch formulierte Implikationen unausgeschöpft blieben, wurde aber fast nur nach seiner voluntaristischen Ausdeutungsmöglichkeit hin aufgenommen und z. B. mit der kruden utilitaristischen Doktrin der "Mao-Tsetung-Ideen" kompatibel gemacht. Die Reformulierung der Marxschen Theorie durch die "Neue Linke" erscheint so bereits als das Produkt einer Spätzeit des Marxismus, in der keine wirklich eigenständigen Ansätze mehr erarbeitet, sondern die sämtlichen Konzepte der Vergangenheit noch einmal eklektisch durchlaufen wurden.
(7.1) 23.08.2003, 18:07, Wolfram Pfreundschuh: Richtig ist, dass die Kritische Theorie eine originäre Quelle in der Kulturkritik aufmachte, die aber vor allem durch die "dunklen" Implikationen der Ästhetik und der Negativen Dialektik, die dabei erstand, sich selbst paralysierte. Ich sehe keine Kompatibilität zu den "Mao-Tsetung-Ideen". Das darf man dem Adorno auch im Nachhinein nicht unterstellen, dass er hierfür getaugt hätte. Die chinesische "Kulturrevolution" war eindeutig so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was er formuliert hat. Es ist auch zu pauschal, zu behaupten, die Studentenrevolte habe sozusagen aus politischem Eifer nur die "Konzepte der Vergangenheit noch einmal eklektisch durchlaufen". Ich finde wichtig, dass sie die Finalität des Kapitalismus, die Zwangsläufigkeit der Barbarei als Faschismus, voll begriffen hatte und viele neue Formen des Kampfes gegen den Kapitalismus versucht hatte. Das kann man nicht so locker als Leerlauf in die Geschichte einreihen, nur weil ihre Geschichte sich wie jede, die sich selbst aus ihrem Nicht-Gelingen korrumpiert, in einigen Politikern, die eigentlich schon immer Politiker werden wollten, etabliert hat. Wahr ist aber, dass an der Kulturtheorie, oder besser an einer Kritik der politischen Kultur, nicht weitergearbeitet wurde (bis auf winzige Zuckungen, die es hierzu gab). Es kömmt drauf an, dies zu tun!
(8) Die Kapitalismuskritik dieses aufgewärmten Linksradikalismus war immer eine schwache, insofern er die bloß äußerlich wahrgenommenen Basisformen des kapitalistischen, warenproduzierenden Systems weiterhin unangetastet ließ. Die staatsökonomischen nachholenden Entwicklungsgesellschaften des Ostens und Südens wurden auf der politischen bzw. kulturellen Ebene (inadäquat und folgenlos) wegen gewisser "undemokratischer" Erscheinungen kritisiert, während ihre reale bürgerliche Reproduktionsform als "sozialistische Wirtschaftsgrundlage" missverstanden blieb. So wurde die vierte "Krise des Marxismus" unvermeidlich. Unter den Produktivitätsbedingungen und der Weltmarktentwicklung der 80er Jahre brachen zuerst große Teile der sogenannten Dritten Welt, dann die Ökonomien des sogenannten "Realsozialismus" zusammen. Die westlichen links-politizistischen Konzepte entpuppten sich als letztlich kapitalkonform und mutierten zur neuen "Realpolitik". Die Neue Linke erlebte also ihr spezifisches "Godesberg". Die Marxsche Theorie, ungleichzeitig schon durch ihre widersprüchliche Rezeptionsgeschichte in den globalen Modernisierungsschüben seit Beginn des 20. Jahrhunderts, wurde wieder einmal (voreilig) zu Grabe getragen.
(9) Wenn sich nun die Frage des abermaligen Revivals einer kritischen Theorie erhebt, die nur zusammen mit ihrem Gegenstand, dem Kapital, wirklich sterben kann, dann gewiss nicht aus Gründen der ideologischen Anhänglichkeit einer gläubigen und bibelfesten, in Treue fest beharrenden marxistischen Kirchengemeinde. Auch heute kann es nur die gesellschaftliche Konstellation der eigenen Zeit sein, deren Probleme der totgesagten Marxschen Theorie wieder neues Leben einzuhauchen vermögen. Die heutige Wirklichkeit der Weltgesellschaft ein halbes Jahrzehnt nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus ist aber unübersehbar diejenige einer in ihren Dimensionen noch nie da gewesenen globalen Krise. Viel wahrscheinlicher als die Transformation der Zusammenbruchsgesellschaften des Ostens und Südens zu funktionsfähigen Marktwirtschaften und Demokratien mit einem nachfolgendem neuen Akkumulationsschub des Weltkapitals ist das gemeinsame Ende der warenproduzierenden Moderne in einer globalen Barbarei. Es wird also kaum eine Lösung sein, wenn die diversen Erneuerungsansprüche, die aus den bisherigen Marxismen hervorgehen, auf eine gewissermaßen potenzierte Bernsteiniade hinauslaufen. Genau dies scheint jedoch bei den meisten alteingesessenen Projekten des akademischen Restmarxismus mehr oder weniger der Fall zu sein.
(10) Der tiefste Grund für diese merkwürdig flache, unglaubwürdige und zu nichts Neuem führende Verarbeitung der letzten Krise des Marxismus liegt darin, dass die bisherigen Marxismen allesamt der Modernisierungsgeschichte immanent bleiben mussten, d.h. der Dynamik der Moderne gegen die vormoderne Agrargesellschaft und deren Überreste stärker verpflichtet waren als der noch gar nicht deutlich formulierten Kritik des warenproduzierenden Systems der Moderne selber. Das galt eben nicht nur für die Marxismen der nachholenden Modernisierungsgesellschaften im Osten und Süden, sondern auch für die Marxismen der alten Arbeiterbewegung im Westen. Der Marxismus insgesamt entwickelte so seine Polemik hauptsächlich gegen die eigentlich vormodernen Verhältnisse und Beziehungsformen, in deren Begriffen auch das Kapitalverhältnis selber noch verstanden und kritisiert wurde. Das ist insofern kein Wunder, als das Kapital und die ihm entsprechenden Formen und Sekundärsphären ja keineswegs in idelatypischer reiner Gestalt in die Geschichte eintraten, sondern vielfältig und unentwirrbar verknüpft und vermengt mit traditionellen Strukturen, Verhaltensmustern und Denkweisen. Bis tief ins 20.Jahrhundert hinein war "das Kapital" sozusagen identisch mit seiner Durchsetzungsgeschichte (auch noch im Westen), d.h. es "war" eine Gemengelage in und mit einer noch keineswegs völlig durchkapitalisierten Welt, es "war" der Clinch kapitalistischer und vorkapitalistischer, moderner und vormoderner Momente. Unter diesen Bedingungen konnte eigentlich der Kapitalismus nicht als solcher (d.h. in seinen basalen Fetischformen) kritisiert werden, sondern immer nur ein jeweils vorgefundenes gesellschaftliches Amalgam vom virtuellen Standpunkt gewissermaßen des "nächsthöheren" (immer noch kapitalistischen) Entwicklungsstadiums aus.
(11) Mit anderen Worten: was die Marxisten kritisierten, das war das empirische Kapital eines empirischen historischen Durchgangszustandes (von heute aus gesehen Vergangenheit), und diese notwendig beschränkte, immanente Kritik konnte gar nicht unterschieden werden von einer auf das Fundament der kapitalistischen Moderne überhaupt zielenden Kritik. Weil die Begriffe dieses Marxismus in seiner Gesamtheit immer schon durchtränkt waren von der noch unausgeschöpften Problemlage der Modernisierung, und weil ihre revolutionäre Emphase, soweit sie eine solche besaßen, stets von den jakobinischen Momenten der bürgerlichen Revolution (bzw. deren Wiederholung in den östlichen und südlichen Modernisierungsdiktaturen) geliehen war, kamen auch die Transformations- und "Sozialismus"-Vorstellungen dieser ganzen langen Gesamtepoche nie über die Grundkategorien des modernen warenproduzierenden Systems hinaus. Von der Bürde dieser Erblast kann sich offenbar das Gros des akademischen Marxismus nicht mehr lösen, obwohl die ganze Epoche 1989 zu Ende gegangen ist. Der Untergang des Realsozialismus wird nicht als Teil einer historischen Gesamtkrise der Moderne begriffen, sondern nur als die Katastrophe einer vermeintlich zu radikalen Entfernung von den "Gesetzen der Marktwirtschaft". Die falschen Erneuerer wollen also von Marx ausgerechnet das verwerfen, was mit den grundlegenden VWL-Kategorien (Wert, Preis, Rentabilität etc.) kompatibel ist, um nur noch eine bedeutungslose theoretische Vogelscheuche zurückzulassen, deren Restbestände an Kritik auch anderswo und besser zu finden sind. Sie merken gar nicht, dass sie sich damit selber als Marxisten überflüssig machen (vielleicht ist das sogar der geheime Sinn ihrer "Erneuerung"), denn zur Analyse der real existierenden Marktwirtschaft und der dazugehörigen Realpolitik haben sie überhaupt nichts Originelles mehr beizutragen. Eine so verfahrende marxologische Pseudo-Erneuerung kann nur noch zusammen mit dem gegenstandslos gewordenen Marxismus untergehen.
(11.1) 28.08.2003, 17:12, Wolfram Pfreundschuh: Hier sollte doch die spannende Frage entstehen, wie die globale Krise nun zu begreifen ist. Einfach nur noch Krise? Es wäre ein ganz schlechter Witz eines bürgerlichen Größenwahns, würde er das größte Politikum des Kapitals auf ein Ende der Arbeit beschränken und skandieren: Leute, Euer System endet in der Krise! Wir machen jetzt mal was ganz Anderes! Kapierts doch endlich. Slogan: Beendigt Euren Fetisch! Die Globalisierung hat doch im höchsten Maße und Umfang die Marxsche Analyse bewiesen, die Grenze der Ausbeutung im Fall der Profitrate schon seit 150 Jahren als gültig gezeigt und zugleich auch, dass sich die Restaurationskräfte des Kapitals sich zunehmend noch als Militärposition darstellen können, welche die weltweiten Kapitalinteressen der Konzerne, Aktienmärkte, Multinationale Konzerne usw. flankieren müssen, um noch Erträge zu machen. Marxisten, die sich von der Notwendigkeit verabschieden, den Internationalismus des Kapitals in den Nationen, die selbst zu dessen unterworfenen Vermittlern geworden sind, als Wirklichkeit internationaler Ausbeutungsmacht aufzudecken und sich für eine Welt ohne Ausbeutung von Natur und Arbeit einzusetzen, das sind keine Marxisten mehr! Das sind vielleicht Philsosophen der Ästhetik, die ihre "wahren" Gefühle in der Welt haben, ihre Arbeitslosigkeit als Welt ihrer Sentimentalität wollen - ohne allerdings die Kultur ihres eigenen Sentiments kritisieren zu müssen; sie haben es ja gegen den Rest der Welt! Es ist nicht nur naiver Philosophismus, über Arbeit als Ontologie oder nicht Ontologie zu diskutieren, um ihr Ende oder ihre Aufhebbarkeit usw., ohne die weltweite Ausbeutung der Arbeit und die damit einhergehende Produktion von Armut als wesentlichen Trieb des Kapitalismus sich in der Kritik an der politischen Ökonomie vorzunehmen. Die Arbeit wird sich - soweit möglich - nur aufheben lassen, wenn ihre bürgerliche Form vom Standpunkt der Arbeit aufgehoben wird - auch wenn dies uns in unseren Breiten und als Monaden inmitten des Kapitals der drittreichsten Nation und des Maschinenproduzenten erster Klasse - vielleicht nicht möglich ist. Jedenfalls müssen wir nicht die Monade des Kapitals bleiben wenn wir uns für die Bereiuung der Arbeit weltweit einsetzen, weil dies auch weiterhin der Kern einer potentiellen Weltgesellschaft sein wird, gleichgültig, wieviel Arbeit, wieviel Technik und wieviel Intelligenz die Menschen dabei aufeinander beziehen und wieviel Zeitaufwand jeder einzelne hierfür nötig hat! Frieden kann es nur geben, wenn alle Menschen an der Entwicklung der Arbeit, des Arbeitsvermögens und der Produktionsmittel in gleicher Weise beteiligt sind und jeder darin auch an der "Aufhebung" der Arbeit beteiligt ist. Esoterischer Marxismus ist so gesehen nur ein intelligibles Moment der Barbarei und wird sich in seiner Positionslosiglkeit auflösen uder nur noch so kryptische Figuren hervorbringen, wie sie in Phase 4 zu bewundern sind.
(11.1.1) Der Standpunkt der Arbeit, 31.08.2003, 01:26, Petra Haarmann: Die Negation kann in keine Weise im Sinne einer Transformation der bürgerlichen Distributionsweise allein begriffen werden. Sozialismus, schließt nach Marx auch eine andere Produktionsweise ein, eine, die nicht als Metamaschine, die wesentlich auf direkter menschlicher Arbeit basiert, organisiert ist. Deshalb würde sie neue Formen individueller Arbeit und Tätigkeit ermöglichen, die für die Einzelne/den Einzelnen inhaltsreicher und befriedigender wären sowie ein anderes Verhältnis der Arbeit zu anderen Bereichen des Lebens ermöglichen. Die Möglichkeit dieser Transformation beruht letztlich auf der Möglichkeit einer bestimmten historischen Negation – der Abschaffung einer objektiven gesellschaftlicher Vermittlungsform (abstrakte Arbeit) und der damit verbundenen abstrakten Zwänge, einer Vermittlungsform, die letztlich durch Arbeit konstituiert wird und die die quasi-automatische richtungsgebundene Dynamik der kapitalistischen Gesellschaftsformation und ihre Produktionsform konstituiert. Folglich könnte die bestimmte historische Negation des Werts, wie sie von Marx als historische Möglichkeit gedacht wurde, die Menschen von der entfremdeten Bann ihrer eigenen Arbeit befreien, während die Arbeit, befreit von ihrer historisch spezifischen Rolle (nämlich als "abstrakte Arbeit" menschliche Gesellschaft zu vermitteln), so transformiert werden könnte, daß sie die Individuen bereicherte, anstatt sie zu verarmen. Die Befreiung der Produktivkräfte von den Zwängen, die ihnen durch die auf unmittelbarer Arbeitszeitverausgabung beruhende Form des Reichtums (Wert) auferlegt sind, bringt die Befreiung des menschlichen Lebens von der Produktion (kapitalistische konkrete "Arbeit") mit sich. Im Lichte der traditionellen Interpretation betrachtet ist es schon eine Ironie, wenn die Marxsche Analyse impliziert, daß die "Arbeit" für die meisten Menschen nur dann befriedigender und selbstbestimmter werden kann, wenn sie nicht länger die Gesellschaft konstituiert (indem sie den gesellschaftlichen Zusammenhang vermittelt). Marx’ Verständnis von der Abschaffung der kapitalistischen Form von Arbeit und Produktion bezieht sich also nicht auf die Produktion im engeren Sinne, sondern auf das strukturierende Prinzip unserer Form gesellschaftlichen Lebens selbst. Entsprechend ist seine Kritik des Kapitalismus keine von bzw. der gesellschaftlichen Vermittlung überhaupt, sondern der spezifischen Form von Vermittlung, die im Kapitalverhältnis durch die Arbeit konstituiert wird. Wert ist eine selbstvermittelnde Form von Reichtum, stofflicher Reichtum jedoch nicht; die Abschaffung der ersteren Form zieht notwendigerweise die Konstituierung neuer Formen gesellschaftlicher Vermittlung nach sich, von denen viele vermutlich kommunikativen Charakter haben werden (was keinesfalls notwendigerweise eine hierarchische, staatszentrierte Form der Verwaltung bedeutet). Zentral für die Marxsche Auffassung von der Aufhebung des Kapitalismus ist seine Vorstellung von der Wiederaneignung der historisch (entfremdet) als Kapital konstituierten gesellschaftlich allgemeinen Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Menschen. Marx zufolge beherrschen diese Kenntnisse und Fähigkeiten als Kapital (als gesellchaftlich totales Verhältnis) die Menschen; eine solche Wiederaneignung geht also mit der Aufhebung der für die kapitalistische Gesellschaft charakteristischen Herrschaftsform, die letztlich auf der historisch spezifischen Rolle der Arbeit als gesellschaftlich vermittelnder Tätigkeit beruht, einher. Somit steht die historisch entstandene Möglichkeit, daß die Menschen damit beginnen könnten, das zu beherrschen was sie erschaffen, anstatt davon beherrscht zu werden, im Zentrum seiner Vision einer postkapitalistischen Gesellschaft. Ansonsten möchte in anmerken, daß, bei aller Sympathie für Deine Bemühungen in Richtung Phase 4, Du selbst im patriarchal und (damit) überhistorischen Denkschema verhaftet zu sein scheinst. Dein "Standpunkt der Arbeit" setzt voraus, daß "Arbeit" die menschliche Gesellschaft konstituiert. Das ist im Kapitalismus so. Wo willst Du also dann hin? Die "Arbeit" läßt sich nur "befreien", wenn, umgekehrt, eine manifeste, offene Gesellschaftlichkeit angibt, was und wie, vermittelt durch eben diese menschliche Gesellschaftlichkeit, im Verhältnis zur 1. Natur geschieht (das was Du dann wohl konkrete Arbeit nennen würdest). Die gesellschaftliche Reproduktion gerät Dir vor lauter kapitalverhältniskonstituiertem Gebrauchswert aus dem Blick bzw. verbleibt in der von der "Produktion" abhängigen Sphäre. Naja, mit Nebenwidersprüchen können wir uns ja auch später noch beschäftigen, wenn sich - wie konnte das nur wieder passieren - am Hauptwiderspruch mal wieder nichts geändert hat. Letzte Frage: Was meinst Du mit eigentlich mit der ominösen "Kultur".
(12) Für eine wirkliche Erneuerung der Marxschen Theorie kann sich nicht mehr das Problem einer bloßen Interpretation (als Fortsetzung der bereits langen Reihe von Interpretationen) stellen, sondern vielmehr heute am Ende der Moderne eben nur noch das Problem der Aufhebung dieser Theorie und damit ihrer Interpretationen. Dass die Marxsche Theorie gegen den ausdrücklichen Willen ihres Urhebers zum "Marxismus" geworden war, also ihren Status als ganz gewöhnliche Gesellschaftstheorie mit ganz gewöhnlichen menschlichen und historischen Erkenntnisgrenzen verloren hatte, und tatsächlich zu einer Art Heilslehre mutiert war, die sich noch bis in die kritischsten Varianten des "westlichen Marxismus" hinein einer Ausdifferenzierung ihrer Inhalte, einer aufhebenden Überprüfung und somit Historisierung entzog: Dieser merkwürdige Vorgang hat sicherlich damit zu tun, dass der Marxsche Ansatz selber über ein Verständnisvermögen (und damit sozusagen über sich selbst) hinausgriff, das noch innerhalb der kapitalistischen Modernisierungsgeschichte zur gesellschaftlichen Praxis drängte.
(12.1) Re: Der doppelte Marx, 02.09.2003, 05:52, Raimund Köhn: Nein,
die Marxsche Theorie ist nicht überholt, sondern ihr Standpunkt wurde bislang noch nicht eingeholt worden. Das ist dann auch die Gegenthese zu diesem "Maintainer".
Lies einfach den 18. Brumaire und so das, was Marx meinte, was passieren wird, wenn die Arbeiterklasse nicht zum Bewußtsein ihrer selbst gelangt. Das ist historisch das aktuelle Faktum und leider deutet nichts darauf hin, daß auch nur irgendwelche Ergüsse von vermeintlich Intellektuellen diesen Standpunkt nur im Ansatz erreicht haben. Die vermeintlich moderne Gesellschaft ist nur das Verharren im Manchasterkapitalismus (Globalisierung war da bereits antizipiert) und diejenigen, die sich selbst heute als Modernisierer und Reformisten betrachten, sind nichts anderes als Konservative, die immer noch nicht begriffen haben, dasß die einzig adäquaten Beschreibung der heutigen Gesellschaft die einer Klassengesellschaft ist. Alles andere ist pure Ideologie.
(12.1.1) Re: Der doppelte Marx, 14.09.2005, 18:23, Ano Nym: und was könnte man deiner ansicht nach dagegen tun?
(12.1.1.1) Re: Der doppelte Marx, 26.09.2005, 23:06, Raimund Köhn: Die Diskussionen hier sind wirklich lustig, aber auch ganz interessant. So nach über 2 Jahren mußte ich erst mal nachlesen, was ich damals geschrieben habe, worauf ich mich bezogen habe und darüber nachdenken, was das alles mit meiner konkreten politischen Arbeit zu tun hat ;).
Ich antworte mal sinngemäß mit Herbert Marcuse: "Die Arbeiter haben ihre historische Aufgabe, als es an der Zeit war, nicht wahr genommen. In der aktuellen politischen Entwicklung geht es darum, die kritischen Potentiale und Bewegungen zu erkennen."
Marcuse bezog sich auf die entstehenden Frauen- und Umweltbewegungen in den 60er und 70er Jahren in den USA und hat sich immer wieder theoretisch auf die Potentiale dieser Bewegungen in seinen Gesellschaftsanalysen bezogen. Aktuell bedeutet das jedoch für marxistische/linke Soziologen und Theoretiker, sich mit der neuen Linken in Deutschland zu beschäftigen. Erstmals in der deutschen Geschichte nach dem 2. Weltkrieg scheint sich so etwas wie eine koordinierte linke Bewegung abzuzeichnen. Diese Bewegung ist auch nach der letzten Wahl nicht einheitlich. Sie weist eine Fülle von politischen und personellen, wie theoretischen Defiziten auf. Aber es handelt sich um eine außerparlamentarische wie politisch-parlamentarische Bewegung. Das macht Hoffnung und es ist die Herausforderung für die Gestaltung einer aktuell zukunftsweisenden linken/marxistischen Politik.
(13) Es ist also nicht möglich, Marx vom Marxismus und von der Modernisierungsgeschichte einfach abzulösen und die bisherigen Marxisten schlicht des (interpretativen) "Irrtums" zu bezichtigen. Vielmehr wird es zunächst einmal unabweisbar, danach zu fragen, was denn an dieser Marxschen Theorie selber noch "modernisierungstheoretisch" ist und somit auf der nunmehr erreichten Entwicklungshöhe und Krisenreife der Moderne zusammen mit dieser obsolet wird. Und da eine Rückkehr in die Vormoderne selbstverständlich weder möglich noch wünschenswert ist, wäre gleichzeitig zu fragen, welche Momente der Marxschen Theorie andererseits auf die jetzt erst erreichte Konstellation verweisen und ihrer Zeit so weit vorausgeeilt waren, dass sie uns heute noch erreichen und überhaupt erst heute wirksam werden können. Aus dieser Sicht lässt sich die Historisierung und Ausdifferenzierung der Marxschen Theorie vornehmen, die zwei letzten Endes unvereinbare Theoriewege bei Marx nicht etwa als Verhältnis von "Irrtum" und "Wahrheit", sondern als ein Problem der historischen Ungleichzeitigkeit innerhalb der Marxschen Theorie selbst unterscheidet und so zur Erkenntnis eines "doppelten Marx" gelangt. Der erste, "exosterische", modernisierungstheoretische, fetisch-immanente Argumentationsstrang bezieht sich auf die innere Bewegungsform und Durchsetzungsgeschichte des Kapitals als Verrechtlichung und Versachlichung aller Beziehungen, deren Entwicklungshorizont noch positiv besetzt war. Und das ist eigentlich der weltbekannte und gängige Marx: "Arbeitsstandpunkt" und Klassenkampf sind die zentralen Begriffe dieses Strangs, die zum historischen Marxismus geführt haben.
(13.1) 23.08.2003, 18:30, Wolfram Pfreundschuh: "Weltbekannt" ist der Klassenkampf vor allem als Standpunkt einer proletarischen Avantgarde, die als Diktatur einer "Übergangsgesellschaft" von sich selbst zur Kommunistischen Gesellschaft führen würde. Dieser Standpunkt enthält einen eindeutigen logischen Fehler, der sich im seinem Geschichtsobjektivismus auch bei Marx in einigen Aussagen finden lässt. Eine Gesellschaft unter der "Diktatur des Proletariats" kann keinen Grund entfalten, eine menschliche Gesellschaft zu schaffen, in welcher sich die Bildung des gesellschaftlichen Reichtums und seine Verteilung zwangsläufig ergibt. Gemeint war dies allerdings auch nicht so, wie es von Lenin positiv als Staatswesen umgesetzt wurde, sondern nur negativ, also als Negation einer herrschenden Klasse des Privatbesitzes von Produktionsmitteln, die darauf beruht, sich die Lebenskraft und das Arbeitsvermögen einer durch sie bestimmten Klasse von Besitzlosen, also Menschen, die nur ihr Leben und ihre Arbeitskraft haben und dies dem Besitzverhältnis unterwerfen müssen. Die theoretische Negation zielte also dahin, erst mal alle zu Eigentümern dessen zu machen, was sie erzeugen. Hierfür würde es genügen, Arbeit als Notwendigkeit zur Freiheit aller zu bestimmen und Arbeit darin aufzuheben, dass Freiheit die gesellschaftliche Form des Reichtums erhält. "Diktatur des Proletariats" ist deshalb falsch, weil es den Fortbestand einer, wenn auch unter Diktat geratenen anderen Klasse impliziert - und ansonsten am Begriff eines Proletariats festhält (Prolet kommt von Armut). das ist ein Fehler, der gerade von Marxisten ausdrücklich und unmissverständlich behoben werden muss. Da reicht nicht, von einem doppelten Marx und einem "exoterischen Argumentationsstrang" zu sprechen.
(14) Der zweite "esoterische" und im engeren Sinne "radikale" (i.e. an die Wurzel gehende) Argumentationsstrang von Marx bezieht sich auf die reale Mystifikation der Form von Ware und Geld als solcher, "in" der sich die Moderne samt ihren immanenten Konflikten darstellt, durchsetzt und entwickelt. Also, einerseits eine theoretische und gleichzeitig politische Mobilisation und Intervention innerhalb der (letztlich positiv besetzten) Modernisierungsbewegung, andererseits eine "dunkle" Meta-Kritik des eigenen Bezugssystems der warenproduzierenden Moderne selbst. Mit anderen Worten, jetzt steht unwiderruflich die Befreiung des Marxschen Werkes von jener schiefmäuligen, weihrauchgeschwängerten Interpretationsweise an, deren quasi-religiöses Moment auf eine uneingelöste (und bisher uneinlösbare) dunkle Seite dieser Theorie verweist. Das quasi-religiöse Moment des Marxismus entstammt sicherlich auch dem säkularisierten Religionsgehalt der Modernisierungsbewegung selbst, die nichts anderes als die Entfesselung einer Fetischform (Ware und Geld) ist. Innerhalb dieser historischen Gesamtbewegung speist sich die spezifische Erscheinungsform des marxistischen Fetischdienstes jedoch aus der Scheu vor einem schlechthin Unmöglichen und Uneinlösbaren in der Marxschen Theorie nämlich vor dem Ansatz einer radikalen Kritik dieser objektivierten und verinnerlichten Fetischform selber.
(14.1) 23.08.2003, 18:47, Wolfram Pfreundschuh: Der "esoterische" Marxismus, der sich von einem "quasi-religiösen" Moment der Arbeiterbewegung (besser: Aufstand der Armen) ablösen will, um ein "schlechthin Unmögliches und Uneinlösbares der Marxschen Theorie", die "radikale Kritik dieser objektivierten und verinnerlichten Fetischform selber" umzusetzen, hätte nur nachzuvollziehen, was die Kritik der politischen Ökonomie ist und müsste sich auf das besinnen, was sie wesentlich ausmacht: Die Kritik der abstrakt menschlichen Arbeit durch Verwirklichung konkreter menschlicher Arbeit, die nur als Emanzipation aller Menschen aus ihrem ausgebeuteten Lebensvermögen heraus sich begründen kann, um zu sich zu einer Freiheit zu entfalten, durch welche die Notwendigkeiten des Lebens zur Bildung von menschlichem, und d.h. gesellschaftlichem Reichtum sich vergesellschaften lassen. Ein "esoterischer" Marxismus, der sich quasi nur aus einem "Antifetischismus" begründen will, wäre das, was er zu kritisieren vermeint: absolute Religion. Das hat das Dilemma der Negativen Dialektik doch zur Genüge gezeigt. Es wäre der Traum von dem ganz anderen, von einer Erlösung, welcher sich nur als Heilserwartung äußern kann (schlag nach bei Adorno und Horkheimer). Wer das meint, der kann das Marxsche Werk getrost beiseite legen. Er verwendet es doch nur als Trost, dass sein Raunen und Ahnen einen wirklichen Sinn haben möge.
(15) Das absolute Tabu der Moderne, die Warenform-Wertform als solche, das Geld und damit die eigene Subjektform: Dieser Zusammenhang ist für das fetischistisch konstituierte Bewusstsein ebenso wenig kritisch und aufhebend thematisierbar wie für die Religiösen das Mysterium. Die "auf dem Wert beruhende Produktionsweise" (Marx), die ihre Bahn zieht wie ein schließlich katastrophisch verglühender Komet, setzt den Wert als Fetischkategorie blind voraus und biegt jede Reflexion wie von selbst auf diese Form zurück, in der nicht nur gehandelt, sondern auch gedacht wird. Erst das katastrophische Ende macht die "zweite Haut" dieser Fetischform der Moderne gesellschaftlich thematisierbar (was noch kein Gelingen des Abstreifens dieser Haut garantiert); und es ist das theoretisch Erratische an der Marxschen Theorie, daß sie dieses Problem als ihr geheimes Zentrum hat. Die Scheu der praktizierenden Marxisten vor diesem harten und (für sie) gleichzeitig dubiosen Kern, der in der vergangenen Epoche noch keinesfalls geknackt werden konnte, taucht die Marxsche Theorie und ihre Rezeptionsgeschichte in jenes eigentümliche quasi-religiöse Zwielicht.
(16) Nun ist aber die Fetischkritik in der Marxschen Theorie eben keineswegs weitgehend ausformuliert und schon gar nicht im Sinne einer "Aufhebungsbewegung" konkretisiert, wie Marx ja überhaupt eine riesige Fragmentmasse hinterlassen hat (obwohl, ja gerade weil er so überaus "systematisch" sein wollte, ein wissenstheoretisch und theoriegeschichtlich nicht uninteressanter Tatbestand). Eine solche gesellschaftlich konkrete Zuspitzung der Kritik auf die Fetischkonstitution des Kapitals, d.h. des als Verwertungsbewegung paradox auf sich selbst rückgekoppelten Geldes, wäre auch zu viel verlangt für eine Theorie kurz nach der Mitte des 19 Jahrhunderts. In einer Zeit, in der das Kapitalverhältnis noch mehr als hundert Jahre an struktureller Ausentwicklung und (welt)gesellschaftlicher Durchsetzungsgeschichte vor sich hatte, musste die radikale Kritik der Basiskategorien warenförmiger Vergesellschaftung ganz einsam dastehen.
(17) Dass Marx den Widerspruch in seiner Theorie ahnte, geht aus zahlreichen Aussagen hervor,. In Deutschland, so schrieb er im Vorwort seines Hauptwerks, "quält uns, gleich dem ganzen übrigen kontinentalen Westeuropa, nicht nur die Entwicklung der kapitalistischen Produktion, sondern auch der Mangel ihrer Entwicklung" (Kapital Bd.1, 12). Marx selbst meinte hier nur einen unmittelbaren Vergleich des damals unterentwickelten Deutschland mit dem bereits industriell fortgeschrittenen Großbritannien; aber ungewollt hat er damit das historische Programm der Arbeiterbewegung in eine Formel gefasst. Nicht bloß die kontinentaleuropäischen Länder waren England gegenüber unentwickelt, sondern der Kapitalismus als solcher war es noch sozusagen sich selbst gegenüber und hatte demnach (im Gegensatz zu den Erwartungen von Marx) ein säkulares historisches Entwicklungsfeld vor sich, auf dem Arbeiterbewegung und Marxismus als Speerspitzen der kapitalistischen Systementfaltung selbst zu agieren begannen.
(18) Marx unternahm natürlich alle Anstrengungen, die beiden unvereinbaren Ansätze seiner Theorie nicht nur zu versöhnen und zu vermitteln, sondern sogar als logisch auseinander hervorgehend darzustellen. Je mehr sich die Arbeiterbewegung seiner Theorie in ihrer "exoterischen" Variante bemächtigte, desto mehr musste sich Marx Illusionen über diese Vermittlungsfähigkeit machen, desto wütender wurden jedoch auch seine Ausfälle gegen die allzu deutliche systemimmanente Interpretation seiner Theorie, die ihm seinerseits als bloße "Fehlleistung" erscheinen musste. Sein Adlatus Friedrich Engels vollends, der ohnehin immer viel beschränkter "positiv" dachte, verlor nach Marxens Tod endgültig den Kontakt zum positivistisch beerdigten "esoterischen" Gehalt der Marxschen Theorie und wurde zum ersten Kirchenvater des aufsteigenden Marxismus. Heute haben wir es nun mit der eigentümlichen Problematik zu tun, dass der vom Marxismus selber von Beginn an beerdigte "andere Marx" überhaupt erstmals ins Licht einer neuen Krisengeschichte steigen kann, während umgekehrt der altbekannte, der "marxistische" Marx endlich seinerseits beerdigt werden muss, weil sein Gehalt zusammen mit der Modernisierungsbewegung bis zur Neige ausgeschöpft ist.
(19) Grundsätzlich lässt sich der "doppelte Marx" auf allen Ebenen seiner Theorie "entflechten" und darstellen. Wie schon angedeutet betrifft die "doppelte" Marxsche Argumentation zunächst das Problem der fetischistischen Beziehungsform "Wert" (das ist der Kern der Fetisch-Konstitution) in ihrer gesellschaftlichen Auseinandersetzung der kapitalistischen Realkategorien. Der "exoterische" Marx kritisiert die Subordination der "Arbeiterklasse" unter das Kapital verkürzt in der unvermittelten Erscheinungsform des Mehrwerts als "unbezahlte Arbeit" (und wird allein dadurch kompatibel mit der Legimitationsideologie der Arbeiterbewegung, die noch kruder und gerade deswegen wirkungsvoller von ideologischen Theoretikern wie den Linksricardianern oder Lassalle vertreten wird). Der andere "esoterische" Marx dagegen kritisiert die basale Fetischkategorie Wert als solche, und aus dieser Sicht erscheint der Mehrwert erst als die zum dynamischen, selbstdestruktiven System vollendete Gestalt des Werts selbst; d.h. es kann nicht der Mehrwert im Namen der sozialen Emanzipation des Proletariats aufgehoben werden, so dass der Wert als ontologische Basis übrigbliebe, sondern die Aufhebung der negativen Emanzipation in den objektivierten Gesetzen der Wertverwertung ist identisch mit der Aufhebung der Wertform selber und als solcher. Denn die "einfache" Wertform ist nur ein historisches Phantasma der Ideologie; sie wäre real gebunden an die bloße Nischenexistenz der Warenproduktion auf niedrigem Produktivkraft- und Bedürfnisniveau, während eine Befreiung vom Zwangsgesetz der Verwertung, die auf dem erreichten hohen Vergesellschaftungsniveau stattfinden soll, nur durch ein Aufsprengen der fetischistischen Wertform (d.h. durch die Aufhebung von Ware und Geld) überhaupt möglich ist.
(19.1) 23.02.2001, 15:23, Wolf Goehring: Hast du davon auch eine fassung, die ich einem befreundeten werkzeugmacher in die hand druecken koennte?!
(20) Vor diesem Hintergrund erscheint auch ein doppeltes Verständnis des Kapitalbegriffs selbst. Der "exoterische" Marx lässt den monistischen Kapitalbegriff dualistisch in "an sich" existierende soziale Klassen auseinanderfallen; er argumentiert durchgehend "soziologistisch". "Das Kapital" erscheint so zwar als ein "gesellschaftliches Verhältnis", jedoch im soziologistisch verkürzten Sinne: als das Verhältnis eines sozial dominierenden Teils der Gesellschaft, der als sogenannte Bourgeoisie ("herrschende Klasse") das Kapital "ist" oder repräsentiert, gegenüber dem sozial unterdrückten Teil der Gesellschaft, der als sogenanntes proletariat das Kapital weder "ist" noch es repräsentiert. Es käme also dieser Diktion zufolge darauf an, den sozialen "Standpunkt der Arbeiterklasse" einzunehmen, die (spätestens seit Engels und dann vor allem Lenin) zum mystifizierten Metasubjekt und damit zum Objekt einer quasi-religiösen (und immer wieder volkstümlerischen) Hingabe und Begierde wird. Der "esoterische" Marx dagegen hält am monistischen Kapitalbegriff fest, und das "gesellschaftliche Verhältnis" in diesem Sinne ist ein totales, alle Gesellschaftsmitglieder in die gleiche Fetischform einschließendes. Die "Klassen" sind hier nicht mehr voraussetzungslose, an sich seiende Konfliktsubjekte, sondern nichts als verschiedene Funktionsträger ihrer gemeinsamen historischen Basisform; und auch die sogenannte Arbeiterklasse "ist" in diesem Verständnis unabdingbar Bestandteil und Moment des Kapitalverhältnisses, nicht aber dessen prädestinierter Gegenspieler.
(21) Bis zu diesem Punkt einer theoretischen Entzerrung des "doppelten Marx" ist die marxistische Schmerzgrenze (und die bürgerlich-moderne Schmerzgrenze überhaupt) noch gar nicht erreicht. Die Problemstellung einer tatsächlichen Aufhebung von Ware und Geld mag zwar als "spinnert" betrachtet werden, ist jedoch in irgendwelchen staatsökonomischen und technokratischen Formen allenfalls noch denkbar (und sei es in pejorativer Bestimmung). Als sozialistische Zukunftsvorstellung in diesem verkürzten Sinne "durfte" das Problem durchaus gedacht, wenn auch meistens in eine sehr ferne Zukunft wegeskamotiert werden. Die eigentliche ideologische Schmerzgrenze des modernen Fetischbewusstseins wird erst dann überschritten, wenn die auflösende Kritik das Allerheiligste zu destruieren beginnt: die "Arbeit" und ihren ontologisierten Begriff nämlich. An dieser Stelle müssen sich die Geister endgültig scheiden. Deshalb beginnt erst hier die eigentliche Aufhebung von Marxismus und Marxscher Theorie. Apodiktisch gesagt: Wer diese Schwelle nicht zu überschreiten vermag, muss zwangsläufig zurückfallen in das altmarxistische Universum und damit in die obsolet gewordene bürgerliche Geschichte der Moderne.
(21.1) Re: Arbeit als Fetischbegriff, 15.09.2000, 09:02, Stefan Meretz: Irgendwie komme ich nicht rüber über die Schwelle ;-) Die Frage, ob "Arbeit" ein ontologischer Grundbegriff ist, erfasst nur eine Dimension. Eine andere, vielleicht damit verschränkte Frage ist die des Gegenstandsbezuges. Der Gegenstand, von dem hier die Rede ist, ist nämlich nicht das "individuelle Arbeitshandeln", sondern die gesellschaftliche (Re-)Produktion. Das bedeutet, "Arbeit" ist keine individualwissenschaftliche, sondern eine gesellschaftswissenschaftliche Kategorie. Das wird bei Kurz nicht unterschieden, er wechselt munter von einer auf die andere Ebene (was an in der Krisistheorie nicht vorhandenen Vermittlungsbegriffen zwischen Individuum und Gesellschaft liegt - da helfen auch die psychoanalytischen Versuche nicht weiter). Ich frage mich also, ob die Verdammnis der "Arbeit" als ontologisiertem Begriff nicht von dieser Verwechselung herrührt.
(21.1.1) Re: Arbeit als Fetischbegriff, 17.09.2000, 17:27, Petra Haarmann: Wenn Du schreibst, daß Arbeit keine individualwissenschaftliche, sondern gesellschaftswissenschaftliche Kategorie sei, gehst Du aus meiner Sicht der Erscheinungsebene unserer gegenwärtigen Vergesellschaftung zielgenau auf den Leim. Der von dir beklagte Mangel der Krisis-Therorie an Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft übersieht meines Erachtens, daß die Vorstellung von Subjekt-Objekt-Beziehungen und Instrumentalisierung von Natur und anderen Gesellschaftsmitgliedern erst durch die kapitalistische Gesellschaftsform entstanden sind. In unserer Gesellschaft ist es ja gerade die Arbeit, die als grundlegende objektivierende gesellschaftliche Vermittlungskategorie fungiert. In anderen traditionellen Gesellschaften war die Arbeit und ihre Produkte in eine Matrix offener sozialer Beziehungen eingebettet. Bedeutung und Sinn der jeweiligen Tätigkeit basierte daher ausschließlich auf den zugrundeliegenden sozialen Beziehungen. Der Sinn einer Arbeit/Tätigkeit war ihr also sozusagen immanent. Weder war Arbeit ein Zweck an sich, noch erschienen die entsprechenden Arbeitswerkzeuge und Produkte als bloße Objekte. Vielmehr waren die jeweiligen Tätigkeiten, nämlich vermittelt durch die sozialen Beziehungen, sozusagen mit sozialer Bedeutung und Wichtigkeit aufgeladen. In traditionellen bzw. nichtkapitalistischen Gesellschaften tritt Arbeitstätigkeit also nicht schlicht als Arbeit in Erscheinung, sondern ist vielmehr gesellschaftlich an/aufgefüllt und als solche eine bestimmte Erscheinungsform gesellschaftlicher Existenz. Arbeit in vorstehendem Sinne unterscheidet sich von kapitalistischer Arbeit gerade darin, daß sie eben nicht instrumentelles Handeln ist. In einer nichtkapitalistischen Gesellschaft ist es nicht die Arbeit, die die Gesellschaft konstituiert, sondern es werden vielmehr die verschiedenen Arbeiten durch die zugrundeliegenden sozialen/gesellschaftlichen Beziehungen konstituiert. In solchen Gesellschaften ist dann auch der gesellschaftliche Charakter von Arbeit natürlich, wenn auch Natur und natürlich einen ganz anderen Bedeutungsinhalt haben als in der warenförmigen Gesellschaft. Natur erscheint dann nämlich personifiziert und im besten Sinne nicht-rational entsprechend den zugrundeliegenden personalisierten und personalisierenden Bewußtseinsstrukturen. In der warenförmigen Gesellschaft hingegen wird Arbeit nicht durch gesellschaftliche Beziehungen konstituiert und vermittelt, sondern stellt als Arbeit die grundsätzliche gesellschaftliche Vermittlungsform dar. So wie in traditionellen Gesellschaften soziale Beziehungen der Arbeit Bedeutung und Wichtigkeit verleihen, so verleiht im Kapitalismus Arbeit sich selbst und den gesellschaftlichen Beziehungen einen objektiven Charakter. Dies liegt gerade daran, daß Arbeit sich nunmehr selbst vermittelt und jedwede soziale Bedeutung und Qualität ihrer selbst hierdurch negiert. In diesem Sinne könnte man auch sagen, daß Objektivität nichts anderes ist als die verdeckte gesellschaftliche Bedeutung, historisch dadurch entstanden, daß objektiviertes Tun sich reflexiv als gesellschaftliches Tun bestimmt (bestimmen muß). Anders als in anderen Gesellschaften stellen Arbeit und ihre Produkte im Kapitalismus eine Sphäre der Objektivität her, - obwohl dem Grunde nach gesellschaftlich bestimmt, ist die Erscheinungsform ungesellschaftlich materiell. Paradoxer Weise, eben weil die gesellschaftliche Dimension der Arbeit nur reflexiv konstituiert ist, und die Bedeutungszuweisung über soziale Beziehungen und Bezüglichkeiten ausfällt, scheint Arbeit nicht die gesellschaftliche Vermittlungsform zu sein die sie eigentlich ist. Ihre Erscheinungsform beschränkt sich vielmehr auf die eine Dimension der konkreten (überhistorischen) Arbeit (Verausgabung von Energie), die dann als technische Aktivität in instrumentalisierter Weise gesellschaftlich reguliert werden kann. Damit einher geht die Säkularisierung der Ware als gesellschaftliches Objekt. Obwohl der Ware als Objekt ihr gesellschaftlicher Charakter nicht als Folge gesellschaftlicher Vermittlung zuwächst, sondern sie vielmehr selbst als solche ein gesellschaftliches Objekt ist - in dem Sinn, daß sie das Endprodukt gesellschaftlicher Vermittlung ist -, erscheint sie als bloßes Ding. Zwar repräsentiert sie gleichzeitig Gebrauchswert und Wert, die letztere gesellschaftliche Dimension aber, der Wert, tritt lediglich vermittels eines universellen Äquivalents, nämlich des Geldes, in Erscheinung. Das Ergebnis dieser Verdopplung der Ware in Ware und Geld ist, daß das Geld als Objektivierung der abstrakten Dimension, die Ware aber nur als Ding erscheint. Die Tatsache, daß die Ware selbst die Vergegenständlichung gesellschaftlicher Vermittlung ist, hat also zur Folge, daß das produzierte Objekt nicht mehr Träger einer transzendenten (übernatürlichen oder traditionell heiligen) Bedeutung sein kann. Die Erscheinungsform ihrer Vermittlungsdimension ist vielmehr die eines rein materiellen Objekts. Die Säkularisierung der Arbeit und ihrer Produkte ist also ein Moment im historischen Prozeß der Auflösung und Umwandlung traditioneller gesellschaftlicher und sozialer Bindungen durch eine Vermittlungsform, die ihrerseits einen Doppelcharakter aufweist: konkret-materiell zum einen, objektiv-gesellschaftlich zum anderen. Die Formierung der konkret-materiellen Dimension geht dabei Hand in Hand mit der Erschaffung des objektiv-gesellschaftlichen Raumes. Man ging davon aus, daß die Überwindung der Beschränkungen, die durch offen sichtbare gesellschaftliche Beziehungen und Herrschaftsformen hervorgerufen waren, den Menschen ermöglichen würde, über ihre Arbeit frei zu verfügen. Weil aber Arbeit im Kapitalismus nicht wirklich frei von (unbewußter) gesellschaftlicher Bestimmung ist, sondern vielmehr selbst das Medium gesellschaftlicher Bestimmung wurde, sehen sich die Menschen nun einem neuen Zwang gegenüber gestellt, einem Zwang, der genau in dem begründet ist, was zur Überwindung der offenbaren persönlichen Herrschaftsformen führte: entfremdete und abstrakte gesellschaftliche Beziehungen, die durch Arbeit vermittelt sind. Gesellschaftliche Beziehungen einer solchen dritten Art schaffen ein Bezugssystem von objektiven, offenbar nicht durch die Gesellschaft bedingten Zwängen, in welchem selbstbestimmte Individuen ihre Interessen verfolgen. Dabei scheinen sowohl die Individuen als auch ihre Interessen nicht gesellschaftlich konstituiert zu sein, sondern als überhistorisch ontologische Spieler des Systems. Es wurde also, anders ausgedrückt, ein gesellschaftliches System geschaffen, daß den Anschein erweckt ungesellschaftlich zu sein. Die Überwindung dieser unbewußten gesellschaftlichen Zwänge in einer freien Vergesellschaftung würde es demzufolge zwingend notwendig machen, die säkularisierte Arbeit als gesellschaftliche Vermittlungsform abzuschaffen. Die Menschen könnten dann über ihre Arbeit und deren Produkte frei verfügen und zwar frei sowohl von traditionellen gesellschaftlichen Zwängen als auch frei von (post)modernen objektiv-gesellschaftlichen Zwängen. Das würde aber auch heißen, daß Arbeit, wiewohl säkulären Charakters, wieder einen eigenen Bedeutungsinhalt gewönne nicht als Ergebnis unbewußt affirmierter Traditionen, sondern auf Grund der ihr zuerkannten gesellschaftlichen Wichtigkeit und auch der substantiellen Befriedigung und Bedeutung für sich selbst, die die tätigen Individuen aus ihr zögen. Diese Arbeit hätte aber mit der uns und den alten Gesellschaften bekannten erzwungenen (traditionell-persönlich, objektiv-sozial) Arbeit nichts zu tun. Ich muß wäre ersetzt durch Ich bin und ich arbeite wohl durch ich lebe(im Kontext mit anderen). Von daher gehe ich mit dem Krisis-Ansatz sehr einig, die Funktion der Abstraktion Arbeit muß offengelegt werden. Danach gehört sie ins Museum als Terminus technicus für erzwungenes Tun. Ansonsten bin ich ganz unbesorgt, was uns noch alles einfallen wird das Menschsein auszudrücken.
(21.1.1.1) Re: Arbeit als Fetischbegriff, 20.09.2000, 17:08, Lorenz Glatz: Ich kann (noch?) nicht sagen, dass ich das alles verstanden hätte. Ich bin aber schon über die Aussage gestolpert, "daß die Vorstellung von Subjekt-Objekt-Beziehungen und Instrumentalisierung von „Natur“ und anderen „Gesellschaftsmitgliedern“ erst durch die kapitalistische Gesellschaftsform entstanden sind". Der alte Cato hat nämlich schon im 2.Jh. v.Chr. den Sklaven als "instrumentum vocale" (stimmbegabtes Werkzeug) bezeichnet.
(21.1.1.2) Re: Arbeit als Fetischbegriff, 22.09.2000, 13:40, Stefan Meretz: Ich versuche den Inhalt in meinen Worten kondensiert wiederzugeben, so dass du siehst, wie er bei mir angekommen ist. Anschließend werde ich ihn (separat) kommentieren. Ohne konjunktive Wiedergabe lese ich: Der Kapitalismus erst brachte das Denken in Subjekt-Objekt-Beziehungen und die 'rationelle' Vernutzung von Natur und Mensch durch 'Arbeit' auf die Welt. Davor waren Arbeit und Reproduktion keine gespaltenen Sphären und insofern gab es keine 'Arbeit' wie es etwa keine 'Freizeit' gab, es gab nur 'Leben' mit unterschiedlichen Tätigkeiten. Der gesellschaftliche Charakter dieser 'Arbeit' erscheine 'natürlich', 'persönlich', 'subjektiv' - jedenfalls: 'nicht objektiv', da erst der Kapitalismus der 'Arbeit' objektiven Charakter gibt. Dieser besteht darin, dass sich die aus dem Leben herausgelöste 'Arbeit' sich selbstzweckhaft über die Verwertungszyklen nur noch auf sich selbst bezieht und dadurch das nicht in den Zyklen Vereinnahmbare abstösst: das Soziale. Ihre Erscheinungsform ist die Ware, die zwiespältig ist: sie verweist einerseits auf die überhistorische, konkrete 'Arbeit' als Gebrauchsding und andererseits als abstrakte 'Arbeit' auf den neuen verobjektivierten Selbstzweck als Wertding - in der Erscheinungsform des Geldes. Die traditionellen sozialen Beziehungen wurden in einen neuen selbstreproduktiven Systemzusammenhang transformiert, in dem die freie 'Arbeit' genau diesen Zusammenhang erst herstellt. Daher erscheinen individuelle Interessen nicht als Widerspiegelung der Systemzwänge, sondern als ontologische, ungesellschaftiche, individuelle Besonderheiten. Eine freie Vergesellschaftung muss die systemischen Zwänge überwinden, also die 'Arbeit' als Vermittlungsform abschaffen, die diese reproduziert. Diese freie 'Arbeit' hat weder mit der traditionell-persönlich oder objektiv-sozial erzwungenen 'Arbeit' etwas zu tun, denn 'Arbeit' gehört als 'erzwungenes Tun' ins Museum. Wenn ich nun in Kommentar (21.1) darauf insistiere, dass 'Arbeit' keine individualwissenschaftliche, sondern eine gesellschaftswissenschaftliche Kategorie sei, reproduziere ich die Erscheinungsweise der 'Arbeit' als herausgelöster, verobjektivierter Sphäre.
(21.1.1.2.1) Re: Arbeit als Fetischbegriff, 22.09.2000, 13:43, Stefan Meretz: Ich stimme dir weitgehend zu. Deine Argumente betreffen nur meine Kritik nicht. Pointiert nenne ich mal die überhistorischen anthropologischen Grundlagen, wie ich sie sehe (lies ruhig: in Abhebung vom Tierreich): (1) Gesellschaft ist eine vom Individuum unabhängige selbsterhaltungsfähige Sphäre. (2) Die Natur des Menschen ist gesellschaftlich, d.h. er ist biologischerdings fähig, sich zu vergesellschaften. (3) Die individuelle Existenz ist gesamtgesellschaftlich vermittelt und durch seine Teilhabe reproduziert er hat den Systemzusammenhang. Diese Vermittlung ist keine deterministische, sondern eine individuell mögliche. Ende. Das bedeutet: Gesellschaft als sich-selbst-erhaltendes System ist kein Resultat der Moderne und 'Vermittlung' ist keine Erfindung des Kapitalismus, sondern nur eine spezifische Form. Um das analytisch in den (Be-)Griff zu bekommen, muss man individualwissenschaftliche und gesellschaftswissenschaftliche Ebene denkend trennen, um ihre Vermittlung als Gedankenform logisch-historisch zu rekonstruieren. (Das wir das erst seit der Moderne können, ist unbestritten, aber irrelevant). Damit reproduziere ich mitnichten eine Erscheinungsform des Kapitalismus, sondern mache mich erst erkenntnisfähig für den Gesamtprozess der Menschheitsgeschichte. Ich kann erkennen, dass sich die Vermittlungsform historisch verändert hat, und zwar entwicklungslogisch: Von den personal-konkreten Abhängigkeitsbeziehungen zur abstrakt-entfremdeten Vermittlung über Ware-Wert-Geld. Entwicklungslogisch heisst: Eine Form geht aus einer anderen aus einer Bewegung in Widersprüchen hervor. Das bedeutet aber, dass es notwendig ein Gemeinsames im Unterschied gibt, da sonst Entwicklung nicht erklärbar ist. Dieses Gemeinsame ist notwendig das Allgemeine, da es die Spezifika der Besonderungen gerade nicht enthält. Es ist gleichzeitig das historisch vorgängige. 'Arbeit' als diese allgemeine gesellschaftswissenschaftliche Kategorie erfasst den objektiv-ökonomischen Aspekt der Produktion und Reproduktion der Gesellschaft. Die individuelle Beteiligung an diesem Prozeß ist dann das individuelle 'Arbeitshandeln' (im Unterschied zu anderen Handlungen). Um das analytisch zu unterscheiden, brauche ich keine 'herausgelösten Sphären' wie wir sie heute kennen. Deine Argumente betreffen nur eine historisch-spezifische Form der 'Arbeit', eben die in diesen Selbstzweckzusammenhang eingebaute. Die muss weg, aber nicht weg in dem Sinne, das sie sich in 'Nichts' auflöst, sondern sich wieder transformiert, dialektisch aufhebt. Damit 'verschwinden' sowohl konkrete wie abstrakte Arbeit, genauso wie Gebrauchswert und Wert 'verschwinden'. Die 'Pole' sind eben nicht das 'Gute' und das 'Schlechte', sondern systemisch zusammengeschlossene Pole eines Widerspruchs, mit dessen Aufhebung auch die Pole 'verschwinden' (und neue entstehen). Nach dem 'erzwungenen Tun' gibt's eben 'freies Tun' - egal wie du das Kind nennst.
(21.1.1.3) Re: Arbeit als Fetischbegriff, 22.09.2000, 17:46, Ulrich Leicht: Ich finde die inhaltliche Debatte, so weit ich sie verstehe, spannend und werde mich auch noch einmischen. Allerdings sollten wir vielleicht versuchen, die Kommentare so zu fassen, daß sie lesbar bleiben, nicht wesentlich länger als die Abschnitte, durch die ich den Basistext von Kurz in einigermaßen lesbare und inhaltlich Gliederungen "ot"-fähig, also diskussionsoffen und diskutierbar zu machen versucht habe. Wer mehrere wichtige Gedankengänge mitzuteilen hat, kann dies auch in mehreren gegebenfalls auch untergliederten Kommentaren tun. Stefan hat das in seinen Erwiderungen ja versucht, wobei er entgegen seinen Gepflogenheiten selbst da noch zu lang wurde. Wenn ich Lorenz G. richtig interpretiere hat er damit n.a. auch ein Problem. Und Iris Rudolph ruft uns alle zu Recht auf: "Hallo ihr! Es fällt mir eh schon schwer genug die Texte und Kommentare zu verstehen. Erschwerend kommen sinnentstellende Tippfehler in mir zu hoher Häufigkeit vor. Könnt ihr eure Texte nicht noch einmal kurz korrekturlesen, bevor ihr sie abschickt? Wär nett. Noch unerquicklicher aber finde ich, dass alles doppelt und dreifach in einer mail auftaucht. Muss das so sein? Herzliche Grüsse Iris Rudolph" -- http://www.iris-rudolph.de e-fax: 0012082488898
(22) Entsprechend schwieriger wird es, auch in diesem Punkt den "doppelten Marx" auszudifferenzieren. Nicht nur die äußeren Widerstände der an dieser Stelle endgültig ausflippenden Marxisten werden größer, sondern auch die inneren Widerstände der Marxschen Theorie selber. Scheinbar durchgängig und lückenlos verwendet Marx auf den ersten Blick einen ontologischen Arbeitsbegriff. Und doch ist es wieder nur die "exoterische" Lesart, in der es so erscheint, dass die Arbeit zum Begriff einer ewigen überhistorischen Daseinsbedingung der Menschheit wird, die als lediglich usurpatorisch überformt von der Gestalt und von den Gesetzmäßigkeiten des Kapitals erscheint: eine Argumentation, die noch bis tief in den "westlichen Marxismus" hineinreicht, am deutlichsten natürlich bei Georg Lukács, und die namentlich auch von Alfred Sohn-Rethel trotz seiner in anderer Hinsicht weitreichenden Kritik sogar verschärft wird. Die derart überinterpretierte Arbeit wird so zum ontologischen Hebel einer vermeintlichen Aufhebung des Kapitals, und das Trägersubjekt dieser Arbeit zum identischen Trägersubjekt dieser Aufhebung erklärt (korrespondierend mit der verkürzten, soziologistisch-dualistischen Auffassung des Kapitalverhältnisses). Aber in dieser scheinbar glatten Wand der Marxschen Arbeitsontologie (und "Arbeitsutopie" im Anschluss daran) zeigen sich bei näherem Hinsehen doch entscheidende Risse, in denen die wühlende Tätigkeit des "esoterischen" Marx wieder zum Durchbruch kommt.
(23) Wenn sich die beiden Seelen der Marxschen Theoriebrust beim Arbeitsbegriff besonders innig und zunächst fast ununterscheidbar vermengen, dann aus einem durchaus historisch-dialektischen Grund. Selbst noch der "esoterische " Marx, hätte er sich selbst als solcher reflektieren können, hätte Veranlassung zu einer zwar keineswegs ontologischen, jedoch durchaus historischen Affirmation der "Arbeit" gehabt; und zwar gerade weil er so gut durch die empirische Erscheinung hindurchzuschauen vermochte. Niemand hat sich bekanntlich eindeutiger gegen die ungeheuerlichen Leiden der Entfesselungsgeschichte abstrakter "Arbeit" empört als Marx. Aber er versuchte diese Leiden dem Begriff der "Arbeit" akzidentiell zu setzen, weil er die andere Seite desselben Prozesses, das emanzipatorische und befreiende Moment gegenüber der vormodernen Unmündigkeit und Bedürfnisarmut, im Unterschied zu den bloß reaktionären Kapitalismuskritikern nicht aufgeben wollte. Der Systembegriff der "Arbeit", in deren subjektloser Struktur die Leiden der Modernisierung eigentlich angelegt sind, diffundiert also bei Marx gewissermaßen notgedrungen stark in Richtung seines "exoterischen" Doppelgängers, d.h. in Richtung eines reduzierten soziologistischen Subjektbegriffs, der das Totum der Produktionsweise in falscher Unmittelbarkeit identifiziert mit dem partikularen Funktionsträger "Bourgeoisie", die subjektiv für die Systemleiden verantwortlich gemacht wird ("Klassenhass"). Während der Marxismus in dieser Verkürzung aufgeht, lässt Marx selber sich aber immer wieder zu relativierenden Aussagen hinreißen, die das partikulare und unselbständige gegnerische Funktionssubjekt gleichsam entschuldigen: "Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozess auffasst, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag" (Kapital Bd.1,16)
(23.1) 24.08.2003, 00:17, Wolfram Pfreundschuh: Da scheint ein Polit-Tourist der Neuzeit durch, der einen Durchlauf im Museum macht. Die "Leiden" an der abstrakten Arbeit waren doch keine Unfähigkeit für das "emanzipatorische und befreiende Moment gegenüber der vormodernen Unmündigkeit und Bedürfnisarmut". Die Kritik der abstrakten Arbeit, der Kampf um die Verkürzung des Arbeitstags, gegen den Akkord und das Diktat des Zeittaktes waren die EINZIGEN emanzipatorischen Momente, die tatsächlich aus der "Bedürfnisarmut" herausgeführt haben. Dass sie noch gebunden waren an den Arbeitsablauf in der Industrie war deshalb nicht unemanzipatorisch. Im Gegenteil: Prinzipiell entwickelt dieser Kampf, weil er immanent war, die wirkliche Transzendenz in der Gestalt, dass das Kapital potentiell oder auch direkt unfähig wurde, wertadäquat zu produzieren. Nicht bedeutend ist, dass die Industrie eine herrschende Form der Ausbeutung war, sondern dass die Menschen sich ihres Lebens im Kampf gegen unmenschliche Produktionsverhältnisse bewusst geworden waren und über die Schranken und Beschränktheiten ihrer Lebensverhältnisse hinausblicken konnten, wenn auch "der volle Erfolg" nicht vermerkt werden kann. Jenseits von Manufaktur und Industrie sieht das Problem natürlich völlig anders aus. Die Finanzmärkte und transnationalen Konzerne haben in unseren Breiten die Ausbeutung von Menschen und Kulturen nur als geldwertes Exportverhältnis einer maschinenproduzierenden Gesellschaft gegenwärtigt, die für sich als Verwaltungs- und Dienstleistungsgesellschaft ist. Da mag es scheinen, dass Arbeit am Verschwinden ist, eben weil die Devisenmärkte ein Wertverhältnis von 10 zu 90 zu Gunsten der fast vollautomatisierten Maschinenproduktion pro Arbeitszeit darstellen. So sind wir denn alle auch objektive Subjekte einer Armutsproduktion außerhalb unseres Sichtbereichs. Unsere Emanzipation kann nur jenseits der klassischen Arbeitsform sein, aber im Bewusstsein von ihr. Hier stellt sich die Armseligkeit des Geldbesitzers heraus: Beziehungsarmut, menschliche Einsamkeit, geschichtliche und kulturelle Verödung, soziale Aggressivität, Passivität, Verdummung usw. Da klingt das schon sehr überhoben, dass jetzt "die andere Seite desselben Prozesses" zur Befreiung komme: Die Mündigkeit und der Bedürfnisreichtum! Ja, was sitzt Ihr da noch in Euren Löchern? Nur: Wogegen soll der Mündige und Bedürfnisreiche sich noch richten? Weil er noch nicht genug hat und ihm noch ein paar Befriedigungserlebnisse fehlen? Oder vielleicht, weil er sich mit kritischem Wissen zu einem großen Geist vollstopft und seine Kulturprobleme damit zu ordnen und zu überleben versteht?
(24) Diese relativierende Handschrift zeigt sich schon im "Kommunistischen Manifest", wo dieselbe vordergründig gegnerische "Bourgeoisie" (und mit ihr indirekt das gemeinsame Bezugssystem des arbeitsgesellschaftlichen "Fortschritts") geradezu begeistert gefeiert wird: "Die Bourgeoisie hat enthüllt, wie die brutale Kraftäußerung, die die Reaktion so sehr am Mittelalter bewundert, in der trägsten Bärenhäuterei ihre passende Ergänzung fand. Erst sie hat bewiesen, was die Tätigkeit des Menschen zustande bringen kann. Sie hat ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen, sie hat ganz andere Züge ausgeführt als Völkerwanderungen und Kreuzzüge... Die Bourgeoise reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation" (Manifest der kommunistischen Partei, 46 f.) Die Rede von der "zivilisatorischen Mission" des Kapitalismus findet sich bei Marx des öfteren, und der darin mitschwingende pädagogische Anspruch bezieht sich nicht nur auf die "unmündigen" außereuropäischen Kulturen, sondern auch auf die vormodernen Strukturen im Westen selbst.
(25) Die Modelung des menschlichen Subjekts durch diesen "zivilisatorischen Prozess" ist aber zwangsläufig mit einer Affirmation der "Arbeit" verbunden, deren Leiden in bloß falsche Adjektive verwandelt werden müssen. Schon der verächtliche Hinweis auf die angebliche "Bärenhäuterei des Mittelalters" zeigt die Befangenheit im "protestantischen Ethos" des modernen Arbeitsfetischismus an. Diese Befangenheit ist bei Marx freilich keine absolute, restlos aufgehende; er sieht sie vielmehr gerade in ihrer historischen Bedingtheit, wenn er über den Kapitalismus (durchaus wieder positiv) sagt: "Das Geld als Zweck wird hier Mittel der allgemeinen Arbeitsamkeit ... So werden die wirklichen Quellen des Reichtums eröffnet" (Grundrisse, 135) In gewisser Weise affirmiert Marx hier das "Geld als Zweck" und damit auch die "Arbeitsamkeit", aber nicht in ihrer erscheinenden Selbstzweckhaftigkeit, sondern sozusagen als bewusstlose "Pädagogik der Geschichte": Das "Geld als Zweck" wird in einem übergeordneten, nicht mehr bewusst wahrgenommenen (subjektlosen) Sinne zum "Mittel", eine über die krude Bedürfnisarmut hinausgehende "Arbeitsamkeit" zu entfesseln, die jedoch ihrerseits wiederum ein ebenso historisch-bewusstloses "Mittel" ist, "die wirklichen Quellen des Reichtums" zu öffnen - in all ihrer fetischistischen Bewusstlosigkeit eine Welt von Anlagen, Bedürfnissen, Möglichkeiten hervorzubringen (darunter auch die Individualität selbst).
(26) So verstanden, d.h. die "Arbeitsamkeit" nicht im platt protestantischen Sinne als zwanghafter Selbstzweck festgeschrieben, könnte die logische Konsequenz eigentlich sein, dass "Arbeit" und ihre Darstellungsform Wert bzw. Geld nach Erfüllung ("Erledigung") ihrer begrenzten historischen Aufgabe abgestoßen werden können als jene verfallenden "Mittel", deren eigentlicher Zweck, nämlich die "wirklichen Quellen des Reichtums" zu erschließen, erreicht ist und sie damit positiv überflüssig und sinnlos gemacht hat. Tatsächlich ist diese Konsequenz überraschenderweise schon früh angedeutet, nämlich in der "Deutschen Ideologie", einem nach langer Archivlagerung 1932 erstmals veröffentlichten Gemeinschaftswerk von Marx und Engels. Dort heißt es ziemlich eindeutig, "dass in allen bisherigen Revolutionen die Art der Tätigkeit stets unangetastet blieb und es sich nur um eine andere Distribution dieser Tätigkeit, um eine neue Verteilung der Arbeit an andre Personen handelte, während die kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt(!) ..." (Deutsche Ideologie, 71; Hervorhebung Marx/Engels).
(27) Aus dieser scheinbar ungeheuerlichen Auffassung ergibt sich ein nicht weniger ungeheuerliches Ansinnen an die "Proletarier": "Während also die entlaufenden Leibeigenen nur ihre bereits vorhandenen Existenzbedingungen frei entwickeln und zur Geltung bringen wollten und daher in letzter Instanz nur bis zur freien Arbeit kamen, müssen die Proletarier, um persönlich zur Geltung zu kommen, ihre eigne bisherige Existenzbedingung, die zugleich die der ganzen bisherigen Gesellschaft ist, die Arbeit, aufheben" (a.a.O., 79) Natürlich taten die "Proletarier" Marx diesen Gefallen ganz und gar nicht. Der Horizont ihres Verlangens, "persönlich zur Geltung zu kommen", war der historische Entwicklungshorizont der "Arbeit" selbst. Marx unterläuft hier eine optische Täuschung, der auch andere Theoretiker der Moderne (z.B. Kant) streckenweise erlegen sind, und die den Blick der marxistischen Ideologie immer wieder genarrt hat: Das gerade erst embryonal erscheinen historisch Neue, das in seinem frühen Erscheinen logisch erfasst werden kann, wird bereits als "fertig" wahrgenommen, ohne zu realisieren, dass die logische Darstellung und Extrapolation eine realhistorische Ausentwicklung kurzschlüssig vorweggenommen hat, deren realgesellschaftlicher Gang natürlich viel langsamer und windungsreicher durch viele Stadien hindurch verläuft als der schnelle und geradlinige Flug des theoretischen Gedankens. Tatsächlich steckten die Existenzbedingungen der "Proletarier" noch tief in erst oberflächlich zersetzten vormodernen Strukturen, und es bedurfte eben noch der Entwicklungskämpfe von mehr als einem Jahrhundert, bis das System der "Arbeit" überhaupt in sein Reifestadium treten konnte.
(28) Die "Arbeit" aufheben, ja sie "beseitigen" zu wollen, diese verdächtige Parole des immer wieder überraschenden theoretischen Stammvaters musste den selber zutiefst arbeitsfetischistischen marxistischen Epigonen also übel aufstoßen. Seit die "Deutsche Ideologie" überhaupt veröffentlicht ist, haben Ideologen der verschiedenen Marxismen versucht, diese anstößigen "Stellen" wegzuinterpretieren: Marx muss irgendein Attribut vergessen haben, er hat vielleicht von "Lohnarbeit" oder kapitalistisch bestimmter Arbeit sprechen wollen usw. Mit anderen Worten: er darf nicht gemeint haben, was er gesagt hat. Und in der Tat sind diese verdächtigen Aussagen eher beiläufig eingestreut, keineswegs offensiv herausgearbeitet, denn die Polemik hat ja mit dem deutschen Idealismus und dessen frühsozialistischen Folgideologien noch ganz andere Ziele im Vordergrund. So hat der Marxismus sich lieber an jene Aussagen in der widersprüchlichen Marxschen Theorie gehalten, die eindeutig arbeitsontologisch klingen: "Als Bildnerin von Gebrauchswerten, als nützliche Arbeit, ist die Arbeit ... eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln" (Kapital Bd.1,57).
(29) Dennoch ist selbst diese Aussage nicht völlig mit der marxistischen Arbeitsontologie kompatibel. Denn zwar spricht Marx hier, zwanzig Jahre nach der "Deutschen Ideologie", nicht mehr von einer Aufhebung und Beseitigung der "Arbeit" und ontologisiert diese Kategorie tatsächlich selber als immer wieder zitierte "ewige Naturnotwendigkeit". Andererseits aber setzt er sie im Unterschied zum Marxismus nicht direkt mit dem "Stoffwechselprozess mit der Natur" gleich. Vielmehr soll sie diesen nur "vermitteln". Vielleicht, so könnte man schlussfolgern, ist dann bloß der "Stoffwechselprozess mit der Natur" jene ewige anthropologische Notwendigkeit, während die "Vermittlung" dieses Prozesses historischen Veränderungen unterworfen ist und die "Arbeit" somit nur eine bestimmte historische Vermittlungsgestalt darstellt, die weder für alle Vergangenheit noch für alle Zukunft zwingend ist. Marx zieht diese Schlussfolgerung nicht; er fühlt wohl, dass ein Bruch mit der Arbeitsontologie nicht an der Zeit ist und dass die große historische Bewegung, der er sich mit Recht verpflichtet fühlt, die Arbeiterbewegung, über diesen Schatten noch nicht springen kann.
(29.1) Arbeit als "Vermittlung", 19.08.2000, 17:52, Stefan Meretz: Der Stoffwechselprozess mit der Natur ist also anthropologische Notwendigkeit. Arbeit "könnte" (Kurz verwendet den Konjunktiv, so dass unklar bleibt, ob das seine Position ist) man als eine historische Vermittlungsform auffassen. Wenn das aber so ist, was sind dann die anderen Vermittlungsformen? Tätigkeit? Das ist dann aber nur ein terminologisches Problem - wie nenne ich das Kind. Dass sich die Formen der Vermittlung historisch qualitativ ändern, ist unstrittig; genauso auch, dass der Inhalt der Vermittlung - der Stoffwechselprozess mit der Natur - gleich bleibt. Warum soll man das Konstante wie Differente nicht begrifflich so ausdrücken wie es Marx getan hat: abstrakte und konkrete Arbeit für den Kapitalismus (nur dort macht es Sinn) und nur "Arbeit" eben sonst?
(29.1.1) Re: Arbeit als "Vermittlung", 20.09.2000, 16:11, Lorenz Glatz: Gedanke 1: Die Arbeit hat Marx nicht nur in seiner Jugend, sondern noch bei seinen Studien fürs "Kapital" nicht so "ontologisch" gesehen wie Stefan es hier tun will: Gerade durch die Produktivkraftentwicklung der modernen Industrie tritt der Mensch "neben den Produktionsprozess, statt sein Hauptagent zu sein. In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eignen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur, und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper - in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der grosse Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint" (Marx, Grundrisse). Mir scheint, dass das eine sehr gute Überlegung darüber ist, wodurch die von der kapitalistischen Entwicklung selbst vernichtete Arbeit abgelöst wird bzw. abzulösen ist, wie also der "Stoffwechselprozess mit der Natur" anders als durch "Arbeit" zu vermitteln ist. Gedanke 2: Bei Stefans "nur 'Arbeit'" fällt mir auf, dass Marx gerade mit "nur Arbeit", "Arbeit sans phrase" die abstrakte Arbeit bezeichnet hat. Irgendwo weisen die Krisis-Leut darauf hin, dass ein einheitlicher Oberbegriff für produktive Tätigkeiten, für den "Stoffwechselprozess mit der Natur", vor dem Kapitalismus nicht existiert. "Arbeit" bezeichnet demnach also auch die Herauslösung dieses Prozesses aus dem Lebenszusammenhang. Wer arbeitet, lebt nicht; um zu leben, muss die Arbeit abgeschafft, ins Leben zurückgenommen werden. Gedanke 3: Vor dem Fordismus ist es auch für Bourgeois unüblich zu sagen, sie würden arbeiten, denn das tun seit alters her nur unfreie Menschen. Erst die Einbeziehung auch der Bourgeois als "erste Arbeiter" (Henry Ford) vollendet den Kapitalismus als Gesellschaft der Arbeit und die Arbeit als Tätigkeit, die bloß dem Gelderwerb bzw. der Geldvermehrung dient.
(29.1.1.1) Re: Arbeit als "Vermittlung", 07.10.2000, 22:16, Stefan Meretz: Zu G. 1) Marx hat sich immer wieder über die Seinsbestimmungen des "Gattungswesens Mensch" Gedanken gemacht. Das ist auch notwendig, damals wie heute. In der Regel ist nämlich total unklar, was "den Menschen" überhaupt ausmacht. Die "Aneignung seiner eignen allgemeine Produktivkraft" - oder "Entfaltung des Menschen an-und-für-sich" wie ich (mit Iris Rudolph) sagen würde, ist in der Tat die Aufhebungsperspektive. Zu G. 2) Die Frage der Real-Existenz des Begriffes "Arbeit" vor der Moderne ist für die wissenschaftliche Fragestellung irrelevant. Jede historische Wissenschaft ist rekonstruktiv. Und die Sphärentrennung ist ein historisches Realphänomen, dass überhaupt erstmal noch gründlich analysiert werden muss. Roswitha Scholz' "Wertabspaltung" gibt da erste Hinweise. Zu 3) Zustimmung, erst der Fordismus bringt den Kapitalismus als Totalität erstmals "auf seinen Begriff".
(29.1.2) Re: Arbeit als "Vermittlung", 06.10.2000, 13:15, Ulrich Leicht: Nach meiner Sicht der Dinge dürfte der Konjunktiv nicht Kurz' Position sein. Er will uns doch nur darauf hinweisen, daß bei Marx selbst dort, wo er anscheinend eindeutig "arbeitsontologisch" (historisch verständlich) argumentiert, genau gelesen sogar dann noch seine Zwiespältigkeit deutlich wird. Ansonsten: wie heißt es im Marx-Zitat (Kap. Bd.1, S.57) "... als nützliche Arbeit ... den Stoffwechselprozeß zwischen Mensch und Natur, also das m e n s c h l i c h e L e b e n zu vermitteln". Genau, es geht nicht um Arbeit sondern um die vielfältigen Momente menschlichen Tuns, die das Leben ausmachen, die reiche Palette unterschiedlicher konkreter Tätigkeiten, um die (Re)Produktion des Lebens zu gewährleisten, die Marx meint mit dem Begriff Arbeit als allgemeiner Tätigkeitsform fassen zu müssen. So abstrakt gefaßt, wäre alles und damit gleichzeitig nichts mehr Arbeit. Vor lauter abstraktem Wald keine konkreten Bäume mehr. Deshalb sollte mensch das "nur 'Arbeit' eben sonst", also z.b. bei der Beschreibung vorkapitalitischer Gesellschaften (siehe Absatz 39), nicht nutzen. Für mich bleibt es nach wie vor mehr als ein terminologisches Problem. Und für den Kapitalismus bleibt und reicht dann die Abstraktion "Arbeit" als kategoriale Beschreibung, weil "abstrakt" und "konkret" die zwei abstrakten Seiten, den Doppelcharakter der Verwertungsmaschinerie des warenproduzierenden Kapitalismus ausmachen (siehe Absatz 32). Was nicht heißt, daß wir dennoch Keimformen freien, nützlichen Tuns entdecken, wachküssen und entwicklen können (free software usw. machts deutlich). Wir sind eben (hoffentlich) noch nicht total ver-wursch/wer-tet.
(29.1.2.1) Re: Arbeit als "Vermittlung", 07.10.2000, 22:23, Stefan Meretz: In (29.1.3) versuche ich zu entwickeln, warum man den "abstrakten Wald" (die Ausgangsabstraktion) forschungsstrategisch unabdingbar braucht (mein "nur 'Arbeit' eben sonst" ist natürlich zu flapsig). Es ist also genau umgekehrt: Nur mit Ausgangsabstraktion "Wald" bin ich überhaupt in der Lage, mir die "konkreten Bäume" anzugucken. Sonst sähe ich nur unendliche Vielfalt, ein Chaos verschiedenen Grünzeugs.
(29.1.3) Re: Arbeit als "Vermittlung", 07.10.2000, 22:02, Stefan Meretz: Ich habe nochmal nachgelesen, bei Marx heisst der Satz: "Als Bildnerin von Gebrauchswerten, als nützliche Arbeit, ist die Arbeit ... ewige Naturnotwendigkeit, um ... das menschliche Leben zu vermitteln." (kein Unterschied in 1. und 4. Auflage des Kapital, in 4. Aufl. ist das auf S. 57) Marx unterläuft hier ein Kategorienfehler: "Gebrauchswert" ist eine Kategorie, die nur Gültigkeit hat für warenproduzierende Gesellschaften - genauso wie Tauschwert. In dem Satz will Marx aber von der konkreten Gesellschaftsform abstrahieren und eine allgemeine Aussage machen - ontologisch argumentieren. Diese Vermischung ist natürlich unzulässig. Dennoch ist Marx zuzustimmen: Menschen reproduzieren ihr Leben nicht *unmittelbar* (wie Tiere), sondern vermittels der gesamtgesellschaftlichen Produktion, an der der/die Einzelne teilhat (eine Möglichkeitsbeziehung, kein Determinismus). Dieses Vermittlungsverhältnis ist für den Menschen bzw. die menschliche Gesellschaft (jeder Form) kennzeichnend. Ich finde es höchst sinnvoll, die Entwicklung genau dieses Vermittlungsverhältnisses historisch-logisch zu rekonstruieren. Das geht natürlich nur, wenn ich davon ausgehe, dass eine historische Vermittlungsform aus der anderen hervorgeht. Weiterhin brauche ich eine Ausgangsabstraktion, also einen Begriff, der zunächst von den konkret-historischen Formspezifika abstrahiert. Erst auf Basis dieser Ausgangsabstraktion kann ich dann die historischen Formbestimmungen sichtbar machen. - Das alles muss ich sehr sauber tun, damit mir sowas wie Marx hier nicht passiert (Vermischung von Allgemeinem und historisch-spezifischer Form). Wer einen anderen Vorschlag für diese Ausgangsabstraktion, die ont(olog)isch sein muss, hat als "Arbeit", der/die mache einen Vorschlag.
(29.1.3.1) Re: Arbeit als "Vermittlung", 08.10.2000, 09:03, Ulrich Leicht: Zum ersten Punkt. Daß Marx dies so meint und hier falsch liegt, war ja klar. Das ist ja gerade das Verdienst von Krisis, dies offengelegt zu haben. Er ist aber in seinem Irrtum konsequent. Wenn die konkrete, die Gebrauchswertseite, das stofflich-sinnliche Moment, die nützliche Arbeit auch für das Kapitalverhältnis als positiv und nicht als abstrakt gesehen wird, dann macht es Sinn , daß es auch Allgemeingültigkeit, für vorkapitalistische und, was aber für mich noch problematischer wäre, auch für die nachkapitalistische Gesellschaften hat. Aber für mich unverständlich verfolgst Du in deiner Argumentation, auch in deinen ansonsten so bereichernden Publikationen, nach wie vor eigentlich den gleichen Weg. Die vermeintlich "konkrete", die nützliche Arbeit, ihre Gebrauchswertseite, die Kurz in dem Absatz 32 völlig zu Recht als die abstrakte Kehrseite der sogenannten "abstrakten" Arbeit dechiffriert, wird in deiner Argumentation weiter hochgehalten. Zum Vermittlungsverhältnis und der Ausgangsabstraktion. Was sie ist und wie sie bezeichnet werden könnte, deutetst du selber an - "vermittels der gesamtgesellschaftlichen Produktion" - also statt Arbeit" müßte es heißen: (Re)Produktion bzw. (Re)Produktionstätigkeit. Inhaltlich ist das gemeint, was wohl mit dem griechischen Wort "oikos" beschrieben wird, "das ganze Haus" bewirtschaften - also in diesem Sinne auch "wirtschaften" eine begriffliche Alternative. Oskar Negt spricht in seiner Kritik der totalen Betriebswirtschaftlichung in unserer Zeit von der Notwendigkeit einer "zweiten Ökonomie des ganzen Hauses". Ähnlich ja auch Gorz. Vielleicht hilft uns das weiter.
(30) In einer anderen Hinsicht bleibt der "esoterische" Marx dem Marxismus gegenüber freilich hart. Nie hat er sich von der Vorstellung trennen können, dass die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise identisch sein müsse mit einer Aufhebung der gesellschaftlichen Warenform, d.h. einer Überwindung der fetischistischen Geldbeziehung. Der Marxismus hat diese Allüre seines großen Meisters stets mit Misstrauen, Ablehnung, Vertuschung und Verharmlosung bedacht. Zwar durfte wie gesagt die Aufhebung der Ware-Geld-Beziehjung (im Unterschied zur Aufhebung der "Arbeit") durchaus "gedacht" werden; jedoch eben nicht als ernsthaftes oder gar als praktisches Problem, sondern höchstens als eine abstrakt-philosophische Zielvorstellung weit jenseits der "sozialistischen" oder "proletarischen" Revolution. Es ist sogar festzustellen, dass die Thematisierung dieses Problems noch eher in die Frühzeit des Marxismus fiel, während sie mit zunehmender historischer Erfahrung der Arbeiterbewegung immer mehr verblasste und schließlich ganz verschwand, bis hin zur offenen Ablehnung des Gedankens überhaupt. Die schwachen Konzepte einer "sozialistischen Marktwirtschaft" von heute sind kaum mehr als die Endmoränen dieses ideologischen Abschwächungs- und Verdünnungsprozesses.
(31) Hier wird eine eigenartige Verschränkung des historischen Entwicklungsproblems sichtbar. Marx wollte gegen den Marxismus eine (halbherzige) Ontologie der Arbeit mit der Aufhebung der Waren- bzw. Geldform verschwistern. Er behielt damit dem Marxismus gegenüber auf jene esoterische Weise recht, die in eine noch vor uns liegende Zukunft verweist. Dennoch ist seine Argumentation paradox, denn "Arbeit" und Warenform/Geld sind nur verschiedene Darstellungsweisen oder gesellschaftliche Ausdrucksformen eines Identischen. Der Marxismus behielt insofern seinerseits Marx gegenüber auf eine historisch begrenzte "realistische" Weise recht, als er dieser Identität Rechnung trug, damit aber auch seine kapitalistische Immanenz bewies. Der Marxismus beharrte also in den Gestalten sowohl der westlichen Arbeiterbewegung als auch des östlichen Staatssozialismus und der südlichen Befreiungsnationalismen zusammen mit der Affirmation der "Arbeit" in logischer Folgerichtigkeit auch auf der Fortexistenz von Geldform und Geldlohn. Damit aber blieb auch die Kapitalform der gesellschaftlichen Reproduktion als solche außerhalb der theoretischen und praktischen Kritik. Der Kapitalismus sollte im Grunde genommen nicht durch eine Überwindung der Kapitalform selber abgelöst werden, was identisch mit einer Aufhebung der "Arbeit" und der totalen Geldvermittlung wäre, sondern lediglich durch deren Verstaatlichung. Der Versuch, die unaufgehobenen Funktionskategorien der "Arbeit" dem etatistischen Kommando zu unterwerfen, konnte jedoch nur unter den Bedingungen "nachholender Modernisierung" eine zeitweilige und immer prekäre Rationalität gewinnen, um schließlich am Weltmarkt zu zerschellen.
(32) Für Marx muss das immanente Dilemma seiner "doppelten" Argumentation gerade hinsichtlich des Arbeitsbegriffs stets als bohrender Stachel präsent gewesen sein, auch wenn er sich dies (Patriarch und Choleriker, der er war) nie eingestehen mochte. Bei näherer Betrachtung seines Umgangs mit diesem fast ungreifbar schillernden Problem zeigt sich, dass er sich zur Behebung des Dilemmas mit einem begrifflichen Trick sozusagen selbst überlistet hat. Denn eigentlich ist der Begriff der "Arbeit" ohne jedes Attribut, die Abstraktion "Arbeit" also, bereits der Begriff der warenproduzierenden Produktionstätigkeit. Die sogenannte Gebrauchswertseite dieser Tätigkeit kann überhaupt nur die Kehrseite derselben gesellschaftlichen Realabstraktion sein: die Art und Weise nämlich, wie diese gesellschaftliche Abstraktion sich des sinnlichen Stoffes bemächtigt und ihn ihrer Form unterwirft. Der "Doppelcharakter der Arbeit" (Marx) ist nicht ontologisch verankert, er ist seinem Wesen nach der Doppelcharakter warenproduzierender Verhältnisse. Marx macht nun aus der stofflichen-sinnlichen Seite der "Arbeit" (und damit aus dem "Gebrauchswert", der doch nur die stofflich-sinnliche Seite derselben Wertabstraktion darstellt) einen ontologischen Begriff, der eben jene "ewige Naturnotwendigkeit" sein soll. Damit wird er kompatibel mit dem immanenten, notwendigen Selbstverständnis der Arbeiterbewegung.
(32.1) Re: Der doppelte Begriff der abstrakten Arbeit und die gesellschaftliche Sphärentrennung, 23.08.2003, 19:08, Wolfram Pfreundschuh: Dass Marx "aus der stofflichen-sinnlichen Seite der "Arbeit"" einen "ontologischen Begriff (macht), der eben jene "ewige Naturnotwendigkeit" sein soll", sehe ich als mögliches Missverständnis bei einigen wenigen Stellen des Kapitals, wo nicht deutlich wird, dass "die ewige Naturnotwendigkeit" nicht den Gebrauswert als solchen betrifft, sondern die Sinnlichkeit der Arbeit im Stoffwechsel mit der Natur, die allerdings auch in der Erzeugung von Gebrauchswerten sich vollzieht. Die Umkehrung, dass dies alleine der Gebrauchswert sei, halte ich nicht für richtig, weil das ganze Werk sich immer nur auf den Nutzen bezieht, den solche Natur innerhalb der kapitalistischen Produktion hat. Weder sie noch die Menschen ist im Nutzen wesentlich, weil er selbst Formbestimmung ist. "Ein Gebrauchswert oder Gut kann nach vierlei Seiten nützlich sein", weil auch er darauf beruht, dass er einem Ding zukommt, das ein "Ganzes vieler Eigenschaften" ist. Ich will aber nicht ausschließen, dass dies bei Marx im Kapital missverstänlich behandelt wird. In den Pariser Manuskripten wird das deutlicher abgehandelt und die Nutzung als Standpunkt eines "Sinns des Habens", also dem Besitzinteresse zugewiesen ist.
(33) Um aber andererseits seinen transzendierenden Ansatz zu retten, verdoppelt Marx den an sich schon abstrakten Begriff der Arbeit noch einmal attributiv, indem er die spezifisch historische warenproduzierende "Arbeit" von der ontologischen "Arbeit" abgrenzen will. Der dabei herauskommende berühmte Begriff der "abstrakten Arbeit" ist eigentlich ein merkwürdiger Ausdruck, eine rhetorische Verdoppelung, als würde man von einem "abstrakten Grün" sprechen, wo doch die Bezeichnung von etwas als "grün" an sich schon eine Abstraktion ist. Marx reißt die Realabstraktion sozusagen auseinander: Ihre Form sei historisch begrenzt, ihre Substanz oder ihr Inhalt sei ontologisch. So haben wir also "Arbeit" als ewige Naturnotwendigkeit und "abstrakte Arbeit" als historische Bestimmung warenproduzierender Systeme. Marx verlängert einerseits die warenförmige Realabstraktion ins Ontologische, andererseits will er ihren historischen Charakter und damit ihre Aufhebbarkeit retten. Der Arbeiterbewegungsmarxismus hat daher mit dem Begriff der "abstrakten Arbeit" wenig anfangen können und ihn nicht kritisch mobilisiert, sondern sich stattdessen lieber an ontologischen ("gebrauchswertmäßig" veredelten) Arbeitsbegriff gehalten, um sich geschichtsphilosophisch zu legitimieren.
(33.1) 23.08.2003, 19:21, Wolfram Pfreundschuh: Den Fehler der Ontologisierung hat fast die ganze Linke gemacht, z.B. auch Adorno; er ist nicht spezifisch für die Arbeiterbewegung. Aber deshalb ist "abstrakte Arbeit" keine rhetorische Verdopplung, weil sie immer auf konkrete Arbeit bezogen ist, die sich darin allerdings nicht vermittelt. Das macht ihre Formbestimmung als Ware aus. Das erst macht die Realabstraktion zur Wertsubstanz, also zur Substanz eines Dings, das nicht unmittelbar Arbeitsprodukt ist, sondern etwas anderes: Ein Ding für den Tausch mit anderen Dingen. Dass Arbeit im Kapitalismus zu einer Absurdität kommen kann (Arbeitslose und Überarbeitete, relative Überbevölkerung usw.) liegt nicht an ihrer Historie, die sie durch den Kapitalismus unnötig werden lässt, sondern daran, dass sie Wert erzeugen muss, Lohnarbeit ist und selbst dann, wenn sie keinen Sinn hat, dort erheischt wird, wo sie ihn bringt und dort fehlt, wo sie nicht finanzierbar ist. Tatsächlich ist für Marx eine Gesellschaft ohne Arbeit (im weiten Sinne des Wortes) nicht denkbar, ist ihm der "Schlüssel zum Verständnis der gesamten Geschichte der Gesellschaft" (MEW 21, S.307). Ohne das Verständnis des Arbeitsprozesses ist aber auch die historische Form des Kapitalismus (und die Kritik der politischen Ökonomie) nicht denkbar - und schon gar nicht seine Überwindung. Sie bliebe ein politisches Harakiri gegen das Kapital, das sich dorthin bewegt, wo es weiterkommt und Verwahrlosung hinterlässt, wo es keinen Wert bildet. Es bleibt dabei, dass die wirklichen Wertbildner nur wirklich den Wert kritisieren können. Das allerdings können auch die Menschen sein, die die Wertbildung mitverwalten und sich als Menschen in einer Verwertungskultur gegen die Produktion dieser Kultur stellen. Von daher ist die "Arbeiterbewegung" ein viel zu enger Begriff. Und: Arbeit ist dann auch Kulturarbeit usw. Zusammenfügung und Gestaltung gesellschaftlicher Güter jedweder Art.
(34) Diese Zwiespältigkeit findet sich auch wieder bei der Bestimmung dessen, was denn nun an der abstrakten Arbeit eigentlich real abstrakt ist. Marx entwickelt dies hauptsächlich nur nach einer Seite, nämlich nach der Formseite hin: als reale Abstraktion "vom" stofflichen Inhalt, als Gleichgültigkeit gegen das sinnliche Moment, dargestellt durch die Wertform und ihre Entfaltung bis zum Geld, dem "real abstrakten" Ding. Das ist zweifellos von großer Bedeutung. Aber die warenproduzierende "Arbeit" ist auch noch in einem zweiten Sinne "real abstrakt", den Marx keineswegs systematisch entwickelt: nämlich in ihrer Existenz als eine ausdifferenzierte Sphäre, die getrennt ist von Sphären wie Kultur, Politik, Religion, Erotik usw. oder, auf einer anderen Ebene, auch getrennt von "Freizeit" (Anklänge an dieses Problem finden sich bei Marx noch eher in den sogenannten Frühschriften, teilweise in den "Grundrissen"; aber das zentral ausformulierte Thema von Marx in seiner "Kritik der politischen Ökonomie" ist immer das Moment der Formabstraktion und nicht das Moment der Sphärentrennung).
(34.1) Sphärentrennung, 19.08.2000, 18:03, Stefan Meretz: Die Begründung der Sphärentrennung finde ich absolut stichhaltig. Sie stellt aus meiner Sicht einen substanziellen Fortschritt marxistisch fundierter Theorie dar. Nur: Sphärentrennung gibt's eben nur bei "warenproduzierender" Arbeit, deren Doppelcharakter Marx begrifflich adäquat fasst: Ein sinnliches Ding herzustellen, was gerade für die Wertmühle völlig egal ist. Wenn ich den Doppelbegriff konkrete/abstrakte Arbeit wegschmeisse, verliere ich an analytischer Kraft. Ich sitze damit quasi der nunmal als die "eine Arbeit" erscheinenden Oberfläche als abgetrennter Sphäre auf, wenn ich alles zum Abstraktum erkläre.
(35) Die Entfaltung und schließlich die volle Entfesselung der Formabstraktion in der Moderne ist aber nur möglich dadurch, dass die "Arbeit" als diese getrennte, "real abstrakte" Sphäre ausdifferenziert wird, vom übrigen Lebensprozess getrennt wird; dass der warenproduzierende Mensch also nicht nur von der sinnlichen Qualität seiner Gegenstände, sondern in und hinsichtlich der "Arbeit" auch gleichzeitig von den anderen Lebensmomenten "absieht" (abstrahiert), die zu funktionalen Sphären jenseits der "Arbeit" geronnen sind. Und diese Trennung liegt überhaupt der modernen "Sphärentrennung" insgesamt, jener "Ausdifferenzierung" moderner Gesellschaften zugrunde, von der in der Soziologie und Systemtheorie dauernd (und natürlich affirmativ) die Rede ist.
(35.1) 16.08.2000, 16:12, Ano Nym: Eine interessante Entwicklung der letzten Zeit ist, dass beide Abstraktionen in den Symbolberufen der Informationsgesellschaft (Web Designer usw.), trotz der Verwendung komplexer Technik, weniger stark ausgeprägt sind als in vielen anderen Berufen. Handelt es sich dabei um ein vorübergehendes Phänomen, weil der Bereich noch in den Kinderschuhen steckt und nicht "durchindustrialisiert" ist, oder eher um eine bleibende Eigenschaft?
(35.1.1) Usurpation, 19.08.2000, 18:10, Stefan Meretz: Guck Dir mal Absatz (43) noch mal an. Da steht m.E., um was es sich bei dem von beobachteten Phänomen handelt: um eine Usurpation der Lebenstotalität, um eine Ausdehnung der Arbeit auf letztlich alle Bereiche, damit Unterwerfung jeder Lebensregung unter die "invisible hand" der Wertverwertung.
(36) Dieses Problem deckt sich außerdem ganz wesentlich mit dem Problem des modernen Geschlechterverhältnisses. Der tiefste Grund für dieses Ab- und Ausdifferenzieren von der "Arbeit" getrennter Sphären ist nämlich die geschlechtshierarchische "Abspaltung" der zugerechneten weiblichen Bereiche, von der (nicht warenförmigen) "Hausarbeit" bis zur (ökonomisch überhaupt nicht mehr fassbaren) "Liebe", und erst auf dieser Grundlage kann sich auch das strukturell "männlich" dominierte Reich der "Arbeit" noch einmal in sich spalten und ausdifferenzieren, Dieses wesentlich geschlechtshierarische Moment der Ausdifferenzierung einer real-abstrakten Sphäre der "Arbeit" aber kommt vollends bei Marx ebenso wenig vor wie bei den Marxisten. Es äußert sich selbst noch in der "doppelten Vergesellschaftung" von Frauen, wenn diese trotz zunehmender Berufstätigkeit immer noch auf die Familie bzw. die Kinderbetreuung verwiesen bleiben (die überwältigende Mehrheit auch der sogenannten Alleinerziehenden sind Frauen) und wenn weibliche Tätigkeiten im Erwerbsbereich häufig schlechter bewertet und entlohnt werden.
(37) Im Verlauf des Modernisierungsprozesses erschien dieses geschlechtshierarchische Strukturverhältnis immer wieder vielfach gebrochen, ohne je aufgehoben zu werden; dies wäre auch nur möglich zusammen mit einer Aufhebung der gesellschaftlichen Warenform. Soweit Frauen in der Vergangenheit erwerbstätig waren, also in die ausdifferenzierte Sphäre der abstrakten "Arbeit" eintauchten, wurden sie dort gewissermaßen als "Fremdkörper" wahrgenommen weil ihre "eigentliche" Zuständigkeit immer wieder in Richtung der abgespalteten Haus- und "Liebes"-Tätigkeiten gedrängt wurde. Derartige Tendenzen sind selbst heute noch nicht gebrochen, wie die gesellschaftliche Auseinandersetzung in der Krise der letzten Jahre zeigt ("zurück zur Familie" usw.). Gleichzeitig müssen Frauen innerhalb der "Arbeits"-Sphäre selber als "männlich" apostrophierte Züge annehmen, sich also gewissermaßen psychosozial aufspalten: Ein Hinweis darauf, dass wir es hier nicht mit biologisch fundierten Sachverhalten zu tun haben, sondern eben mit historischen Zuschreibungen, wie sie in der Abdifferenzierung der "Arbeit" vom Lebensprozess in der Moderne entstanden sind.
(38) Erst diese basale Abspaltung der als "weiblich" definierten Lebensmomente von der "Arbeit" macht letztere zur gesonderten Sphäre der "Realabstraktion" (historisch erscheinend als Auflösungsprozess des "ganzen Hauses"). Und erst aufgrund dieser elementarer Sphärentrennung wiederum kann das "männlich" dominierte Reich der abstrakten "Arbeit" sich wiederum selber weiter ausdifferenzieren und neue getrennte Sphären aus sich heraussetzen wie "Politik", "Kunst und Kultur" etc. Dieser ganze von der "Realabstraktion" ausgehende Ausdifferenzierungsprozess getrennter Funktionssphären macht den entscheidenden Unterschied von Moderne und Vormoderne aus. Die vormodernen Gesellschaften hatten zwar einen "Stoffwechselprozess" mit der Natur", selbstverständlich, aber sie hatten keine ausdifferenzierte Sphäre der "Arbeit"; und selbst dort, wo sie Waren produzierten, war diese Produktion noch mit anderen Momenten verwoben (Religion, Tradition, blutsverwandtschaftlichen und "Gemeinschafts"-Strukturen usw.) Nicht einmal eine klare Trennung von "Arbeit" und "Freizeit" kann unter solchen Verhältnissen existieren. Das Problem betrifft also nicht etwa bloß die Einsichts- oder Verständnisfähigkeit vormoderner Menschen in etwas, das sie zwar an sich "gehabt hätten" (so das Dogma des ontologisierenden Arbeitsbegriffs), aber nicht hätten wissen können, sondern es betrifft ihre realen Verhältnisse: Sie "hatten" die "Arbeit" als besondere gesellschaftliche Sphäre auch an sich nicht. Ich kann hier nicht weiter auf die historischen Details und auf den Herausbildungsprozess der "Arbeit" (und komplementär dazu der abgespaltenen Haus- und Familientätigkeit) in der Geschichte eingehen; natürlich ist die "Arbeit" nicht auf einen Schlag in der Renaissance oder im 18. Jahrhundert plötzlich vom Himmel gefallen. Hier geht es nur um klare analytische Unterscheidungen.
(39) Dass Marx den real abstrakten Charakter der "Arbeit" als einer getrennten, ausdifferenzierten Sphäre eher vernachlässigt, dass dieses Moment bei ihm eher implizit erscheint und er im wesentlichen nur die reale Abstraktion der Form explizit entwickelt und ausformuliert, hat natürlich etwas mit seiner Verdopplung der "Arbeit" in einen historischen und in einen ontologischen Begriff zu tun. Die ontologische Bestimmung der "Arbeit" als Substanz oder Inhalt auf der Gebrauchswertseite der Wertabstraktion, und die damit zusammenhängende revolutionstheoretische Vorstellung, dass die (im Grunde als "männlich" gedachte) "Arbeiterklasse" sich des "Gebrauchswerts" bemächtigen solle, muss die Arbeit als besondere, getrennte Sphäre unangetastet lassen, zumindest den abgespaltenen, als "weiblich" definierten Bereichen gegenüber. Und da die Herausbildung dieser Sphäre in der Geschichte gleichzeitig die Herausbildung des modernen männlichen Selbstbildes darstellt, ist es auch der Mann Marx, der hier an seiner eigenen patriarchal strukturierten Bewusstseinsform Schranken findet.
(40) Die Herausbildung der "Arbeit" ist gleichzeitig destruktiv und fortschrittlich, ihre emanzipatorische Seite darf nicht vernachlässigt werden, um nicht in eine krude, rückwärtsgewandte Romantik zu verfallen. Trotzdem ist sie nur ein transitorisches Stadium und muss selber wieder aufgehoben werden. Aufhebung der "Arbeit" hieße konsequenterweise ihre Aufhebung nach beiden Momenten der Realabstraktion hin: nämlich Aufhebung als Formabstraktion und Aufhebung als getrennte Sphäre (was dann gleichzeitig auch die Aufgebung als getrennte Sphäre (was dann gleichzeitig auch die Aufhebung des "Gebrauchswerts" wäre). Marx blockiert sich auch hier wieder selber, weil er die Aufhebung nur halb denken kann und die "Arbeit" als getrennte Sphäre letztlich geschlechtshierarchisch-identitär ontologisiert; genauer: Diese Ontologisierung kommt dem implizit durchaus aufscheinenden Gedanken, die Sphärentrennung aufzuheben, systematisch in die Quere.
(41) Denn die Fixierung auf den "Doppelcharakter der Arbeit", in der die vermeintliche Befreiung der Gebrauchswertseite als ontologischer Hebel erscheint (und demzufolge die "Arbeiterklasse" als subjektiv-objektiver Aufhebungsträger statt als immanente Funktionskategorie), verstellt den Blick auf das Moment der Sphärentrennung, dessen geschlechtshierarchischer Kern folgerichtig "ableitungslogisch" auf eine Sekundärebene verbannt (soweit überhaupt erwähnt) wird. Für ein konsequentes Aufgreifen der Sphärentrennungs-Problematik und das Denken der Aufhebung von diesem Moment her, was dann die Aufhebung auch der Formabstraktion überhaupt erst möglich macht, wird aber logischerweise zusammen mit der ausdiffernzierten Sphäre "Arbeit" auch diese selber und als solche zum Aufhebungsgegenstand, da ihr Begriff an diesem Charakter als besondere Sphäre hängt und zusammen mit diesem steht und fällt; und damit würde notwendigerweise das ganze ontologische Konstrukt in sich zusammenkrachen, einschließlich der damit verbundenen geschlechtlichen Zwangsidentitäten (auch der zwangsheterosexuellen Orientierung).
(41.1) 16.08.2000, 16:23, Ano Nym: "... Zwangsidentitäten (auch der zwangsheterosexuellen Orientierung)"... "Arbeit" bringt also Zwangsheteros hervor? Finde ich ziemlich stark verkürzt. Dann müsste es ja in Gesellschaften vor oder außerhalb der "Arbeit" merkbar mehr Homos als z.B. heute in Westeuropa oder den USA gegeben haben. Ist das belegbar?
(41.1.1) 24.08.2000, 15:21, Bertrand Klimmek: "Homo" zu SEIN stellt sich zwar nicht unmittelbar als Zwansidentität dar, aber es ist wohl unstrittig, daß "homo" die - nicht weniger identitäre (!) - Kehrseite von "hetero" sein soll. Sich je nach dem, wie jemandem der Sinn gerade steht, heterosexueller oder homosexueller Ausschweifung sich hinzugeben, ohne sich zwanghaft überhaupt einen festen Charakterpanzer als normierte Hülle geben zu müssen, ist dann wohl im Ansatz eine praktische Aufhebung von sexueller IDENTITÄT als solcher. Sobald es also noch fixe, ontische Hetero-, aber auch Homo-Identitäten "gibt", d.h. sie postuliert werden, kann es mit der Befreiung aus fetischistischen Verhältnissen nicht weit her sein. (Obwohl er z.T. biologistisch argumentiert - so auch bei "Homosexualität" -, empfehle ich zu diesem Themenkomplex die Lektüre der Frühschriften Wilhelm Reichs: "Massenpsychologie des Faschismus", "Dialektischer Materialismus & Psychoanalyse", "Charakteranalyse" etc.)
(41.2) 06.01.2001, 22:54, Mausebaer ??: Die Frage nach der Belegbarkeit ist immer schon eine der bürgerlichen (empirischen) Wissenschaft. These: Die Homos sind eben heute keine Homos mehr als immanent-kritisch (geschweige denn transzendent-aufhebend) zur Hetero-Normierung - die Immanenz ist eine vollständige. Platt: Schwule SIND endlich Männer geworden. Parallele zu R. Scholz´ Abspaltungsthese: Aus dem Auftauchen von Frauen in Führungsetagen ändert sich eben nix am Patriarchat, nur seine Durchsetzungsform hat sich gewandelt. Deswegen: Heute gibt es nur Zwangsidentitäten - homo und hetero und noch einige mehr. Unser Sex, der sich auf diese Identitäten stützt, ist verseucht von der Wertvergesellschaftung. Lustmaximierer allenthalben, auch beim Sex gibt es einiges "zu tun", auch beim Sex gilt es zu haushalten ("Kosten"), und mehr herauszubekommen, als eingesetzt wird (Wert). Wenn die Wertgesellschaft nach abstrakter Arbeit verlangt, diese aber nur geleistet werden kann, wenn es eine "abgespaltene Sphäre" (vgl. R. Scholz) gibt, dann ist klar, dass die sexuellen Zwangsidentitäten unmittelbar das Wertprinzip stützen. Der Knackpunkt ist der "Dualismus", mit dem sich Homo-Partnerschaften ebenso rumschlagen müssen. Allein emanzipatorisch (im Sinne des "ganz anderen") ist die Frontstellung zu diesem Dualismus. Wer nicht mehr in Verwurstungszusammenhängen sein klaegliches "Ich" zusammenhalten muss, ist auch auf keinerlei "Identität" mehr angewiesen - sondern jetzt "so" und dann "so". Solche Menschen können über Hetero- und Homosexualität nur noch mitleidig lachen. Und eben auf diesen Zusammenhang weist R. Kurz hier mit dieser Nebenbemerkung hin. Ganz zu Recht, wie ich meine.
(41.2.1) was vergessen!, 06.01.2001, 23:11, Mausebär ??: Nicht fehlen soll hier der Verweis auf eine fetzige Seite: links, schwul. Schwankend zwischen Identitätsaffirmation und -kritik, schwulem Kult und Selbsthass, orthodoxem Marxismus/Leninismus und Wertkritik. Aber - lesen Sie selbst: www.etuxx.com
(42) Das Aufhebungsproblem auf der Basis eines ontologischen Arbeitsbegriffs, das sich auf den geschlechtshierarchisch strukturierten, warenlogisch immanenten Gegensatz von Gebrauchswert-Substanz ("ewig") und Form ("historisch") beschränkt, verzweigt sich seinerseits in zwei Argumentationsstränge, die Marx nur "stellenweise" andeutet und die von den Marxisten je nach Gusto mobilisiert worden sind. Beide Stränge lassen sich geradezu an idealtypischen Figuren darstellen. Einerseits entwickelt sich die Vorstellung, eine von ihrer realabstrakten Form befreite "Arbeit" würde in der sozialistischen Zukunftsgesellschaft zur "attraktiven Arbeit" werden, zum positiven "ersten Lebensbedürfnis". Auch wenn die Diskurse sich heute kaum noch auf Marx beziehen, taucht dieser Gedanke doch in den verschiedensten Verkleidungen immer wieder auf. Typologisch lässt sich sagen, dass sich dafür eher der "künstlerische" Mann begeistern kann, der (ohne sich als "Mann" im psychosozialen, geschlechtshierarchischen Sinne preisgeben zu wollen) seine "weiblichen" Seiten entdeckt; früher eher eine randständige Boheme -Existenz, ist er heute in der kasinokapitalistischen "Erlebnisgesellschaft" häufiger anzutreffen. Für diesen Künstler-Arbeiter bleibt die Frau dennoch letztlich Gegenstand und Natur. Er nähert sich dem Aufhebungsproblem durchaus, aber auf eine paradox zurückgebogene Weise, so dass die "Aufhebung" eigentlich keine sein darf und deswegen nur in der Form einer attributiven Veredelung der "Arbeit" erscheinen kann.
(43) Die kapitalistische Inflationierung des Arbeitsbegriffs (Beziehungsarbeit, Trauerarbeit usw.) wird daher positiv aufgenommen, "Arbeit" soll zur Kunst, zum Genuss usw. werden. Die "Arbeit", als ontologische Bestimmung unaufhebbar gemacht, soll also in ihrer kapitalistischen Form nur insofern "aufgehoben" werden, als sie verallgemeinert und totalisiert wird unter Einschluss der künstlerischen und wissenschaftlichen Momente, um gerade dadurch "attraktiv" zu werden. Nur in diesem geradezu perfiden Sinne scheint dann auch eine Aufhebung der Sphärentrennung auf: nicht als Wiederzurücknahme der "Arbeit" auf höherer Entwicklungsstufe in den gesellschaftlich-menschlichen Lebensprozess, sondern umgekehrt als ihre endgültige Usurpation der Lebenstotalität, freilich unter "Totschweigen" des dunklen, als "weiblich" definierten und abgespaltenen Kontinents der Reproduktion, dessen fatale Existenz sich diesem arbeitsfetischistischen Totalisierungskonstrukt sperrt. Negiert wird nicht die patriarchal-okzidentale Arbeits-Identität überhaupt, sondern nur die evidente Schmachgestalt des kapitalistisch ausgebeuteten unmittelbaren Produzenten: Alle Arbeits-Männer sollen Arbeits-Supermänner werden dürfen. An die Stelle des negatorischen Moments einer Aufhebung der Arbeit als solcher tritt das identifikatorische Moment eines "substantiellen Zusichselbstkommens" der Arbeit - Befreiung der Arbeit statt Befreiung von der Arbeit.
(44) Andererseits entwickelt sich die Vorstellung, die "Arbeit" würde in der sozialistischen Zukunftsgesellschaft als eine Art Residuum der "Notwendigkeit" zurückbleiben, eben als das berühmte "Reich der Notwendigkeit", auf dem sich aber dann ein "Reich der Freiheit" jenseits der "Arbeit" entfalten könne. Also hier plötzlich keine positive, sondern eine negative Ontologie der Arbeit, nämlich die ewige Naturnotwendigkeit des psychischen und sozialen Leidensmoments an der Arbeitswelt, das reduziert, aber nicht aufgehoben werden könne. Hier erscheint das patriarchal-"männliche" Selbstbild der Moderne gewissermaßen als Festhalten an diesem Leidensmoment, das der "Held der "Arbeit" (ähnlich dem christlichen Leidensfürsten) geradezu für sich in Anspruch nimmt, um es gleichzeitig zu kompensieren durch ein phantasmatisches "Reich" jenseits der "Arbeit", in dem sich die ordinäre "Freizeit" ebenfalls zu einer Art heldischer Supertätigkeit veredelt (also im Grunde genommen die "Arbeit" gar nicht aufgehoben, sondern nur in anderer Gestalt fortgesetzt wird). Dafür vermag sich vor allem der Typus des "Machers", der starrgesichtige Mann, der homo faber, der Technokrat und Szientist zu - "begeistern" wäre zuviel gesagt, denn seine Emotionen laufen grundsätzlich auf Sparflamme; er besitzt ungefähr die Leidenschaftlichkeit eines Taschenrechners.
(45) Einem Begriff von "Arbeit" als Spiel oder Kunst etc. steht dieser Typus (der wohl in der alten Arbeiterbewegung häufig anzutreffen war) eher misstrauisch gegenüber, und er wäre gerade deswegen vielleicht durchaus dazu bereit, das "Reich der Freiheit" als ein Jenseits der "Arbeit" zu "definieren", aber eben in jenem schiefen Sinn ihrer freigesetzten Verlängerung über die starre "Notwendigkeit" hinaus. Allerdings ist dies eher weniger sein Reich, auch wenn er sich mit einer gewissen Höflichkeit darauf bezieht; soweit er sich selber in diesem Reich vorzustellen vermag, geschieht dies wohl eher in einem traditionell bildungsbürgerlichen Sinne (als Verallgemeinerung der Hausmusik, des Museumsbesuchs etc.) oder andererseits als immer noch protestantisches Ethos des andauernden Erfindens, Komponierens, Bauens, Malens usw. Sein eigentliches ein und alles, auch wenn er sich dies nicht selber einzugestehen vermag, ist und bleibt aber in Wahrheit das Reich der Notwendigkeit, die Lust der Selbstunterwerfung unter das abstrakt herauspräparierte Leidensmoment als "Held der (vermeintlichen) Notwendigkeit". Das "Reich der Notwendigkeit" muss also bis ans Ende aller Tage dauern. Hier bleibt noch zuletzt die individuelle Zurechenbarkeit wichtig, aber weniger als veredelter Werktätigenstolz als vielmehr in einem dürren abrechnungstechnischen Sinne: "jedem nach seiner Leistung". Der stocknüchterne und berechnende Geist des häuslebauenden Mittelstands, der jedem unnützen Exzess abhold ist, pocht auf eine anständige "gesellschaftliche Rechnungsführung" und Leistungsabrechnung, die niemandem ein Stück Brot zuviel gönnt.
(46) Auch bei Marx tauchen beide Momente dieser verkürzten arbeitsontologischen "Aufhebungs"-Vorstellung auf (die komplementär sind, aber durchaus auch in Widerspruch zueinander treten können), ohne dass sie wie gesagt systematisch ausformuliert wären. Beide Aufhebungsbegriffe kommen nicht grundsätzlich an das Problem einer Aufhebung der "Arbeit" als getrennte Sphäre heran, und gerade das Problem der geschlechtshierarchischen Abspaltung bleibt notwendigerweise in diesem Kontext völlig "unvermittelt". Die Vorstellung von der "attraktiven Arbeit" möchte bloß die gewöhnliche Erwerbsarbeit mit den Elementen der "gehobenen" Arbeit des Künstlers, Theoretikers etc. anreichern. Das ewige Faszinosum der Renaissance-Künstler also, die Selbstübergipfelung des "männlichen Anspruchs: jeder Mann ein kleiner Leonardo da Vinci, gleichzeitig genialer Wissenschaftler, tiefgründiger Philosoph, begnadeter Maler und möglichst vielleicht auch noch Zehnkämpfer. Diese Imagination, die aus der abstrakten "Arbeit" als solcher folgt, bleibt selbst dann noch wirksam, wenn Frauen eigene "Karrieren" im männlich dominierten "Arbeits-Universum durchlaufen. In dieses unaufgehobene, veredelte Universum kann die "Gleichberechtigung" durchaus kurzschlüssig und formal hineingedacht werden, unter Ignoranz den ebenso unaufgehobenen abgespaltenen Bereichen und Momenten gegenüber (die sich aber natürlich real schmerzhaft bemerkbar machen).
(47) Diese falsche, patriarchal-bürgerliche Imagination des zukünftigen Super- und Edelarbeiters vergisst dabei völlig, dass die "Attraktivität" von Tätigkeit nicht in der Verfeinerung und Vergoldung männlicher Selbstherrlichkeit liegt (und auch nicht in der gnädigen Aufnahme der "Weiber" in dieses männlich ausgeheckte Arbeitsparadies), sondern gerade in deren Aufhebung, in der Aufhebung einer wechselseitig ausschließenden menschlichen Beziehungsform. Das wesentliche ist nicht die bloß anspruchsvolle Veredelung der unmittelbaren Tätigkeit, sondern die Herstellung befriedigender menschlicher Beziehungen in allen Tätigkeiten, und das heißt die Reintegration der "abgespaltenen" Bereiche auf höherer Entwicklungsstufe: die Entwicklung einer Kultur, in der gesellschaftliche Produktion und Erotik ebenso wenig getrennt sind wie "Freiheit" und "Notwendigkeit", Philosophie und Alltag usw. ( und in der sich demzufolge auch eine andere Naturbeziehung entwickelt, in der die Natur nicht auf eine tote Gegenständlichkeit "männlicher" Selbstverherrlichungs"arbeit" reduziert wird). Indem die "Arbeit" als getrennte Sphäre verschwindet, wird sie als solche aufgehoben.
(48) Ansätze für ein solches Denken finden sich gewiss eher in der Geschichte des künstlerischen Typus, d.h. in der ersten falschen Aufhebungsvariante, in der die "Arbeit" als Spiel und Kunst "attraktiv" werden und also eigentlich keine "Arbeit", d.h. keine getrennte Sphäre der "Realabstraktion" mehr sein soll. Dieser Ansatz zeigte sich schon in der Frühromantik, die keineswegs im bloßen "Irrationalismus" aufgeht. Unter den Utopisten war es Fourier, der die "Arbeit" geradezu erotisieren wollte, aber eben nicht als "Erotik des Leidens", sondern eher in einem durchaus hedonistischen Sinne für beide Geschlechter. Kein Zufall ist es sicher, dass sowohl bei den Frühromantikern als auch bei Fourier die Emanzipation der Frau als Problem eine unverhältnismäßig größere Rolle gespielt hat als bei anderen zeitgenössischen Theorien und Strömungen. In diesen Wein hat freilich die Frauenforschung inzwischen etlichen Essig gießen müssen, indem sie das gebrochene Verhältnis gerade der Frühromantiker dem zugeschriebenen "Weiblichen" gegenüber nachwies. Die mangelnde (historisch noch beschränkte) Aufhebungsqualität dieser Gedanken korrespondiert mit dem Festhalten am Arbeitsbegriff. Fourier, obwohl Marx natürlich analytisch und theoretisch ansonsten weit unterlegen, kommt mit seiner Variante der "attraktiven Arbeit", die mit Spiel, Erotik usw. durchsetzt eigentlich schon keine "Arbeit" mehr ist, sogar an diesem Punkt noch näher an die Aufhebung der getrennten Sphären heran als Marx, obwohl auch er die entscheidende Schwelle noch nicht überschreitet (und bei ihm protestantische und hedonistische Momente unentwirrbar miteinander verschlungen sind, was oft in Gestalt krauser Gedanken und Phantasien erscheint).
(49) Marx sperrt sich sogar, hier wieder ganz "protestantisch", ausdrücklich gegen den noch unklaren weitergehenden Aufhebungsansatz von Fourier: "Die Arbeit kann nicht Spiel werden, wie Fourier will, dem das große Verdienst bleibt die Aufhebung nicht der Distribution, sondern der Produktionsweise selbst in höherer Form als ultimate object ausgesprochen zu haben" (Grundrisse, 599). Gerade hier wäre es aber angemessen, den in Metaphern gekleideten Gedanken Fouriers weiterzuentwickeln im Sinne einer Aufhebung der Getrenntheit von "labor" und Genuss, von Aktivismus und Kontemplation usw., und damit eben einer Aufhebung der "Arbeit" selber. Marx, der doch sonst das "Geniale" bei den Utopisten so gut und verständnisvoll zu entdecken und aufzunehmen vermag, stolpert hier allzu verräterisch über den Begriff des "Spiels", den er sofort abwehrt für eine so (protestantisch) ernsthafte Angelegenheit wie die "Arbeit".
(50) Damit erledigt sich auch die zweite verkürzte und arbeitsontologische Aufhebungs-Vorstellung. Denn das "Reich der Notwendigkeit" wird keineswegs allein durch technologische Fortschritte minimiert, während es "an sich" unaufhebbar bliebe, sondern es wird dadurch real aufgehoben, dass die Momente des "Notwendigen", das vermeintliche Residuum von "labor", ihre geschichtlich herausgebildete, abgetrennte Sonderexistenz auf höherer Entwicklungsstufe wieder verlieren. Im Kontext einer nicht mehr arbeitsontologisch fixierten Kultur und befriedigender Sozial- und Geschlechtsbeziehungen können sogar Tätigkeiten, die als abgetrennte (eingesperrt in eine abstraktifizierte Sondersphäre, sei es die häusliche Liebes"arbeit", sei es die öffentliche Erfolgs"arbeit") nichts als "labor" im ältesten Sinne wären, selber "attraktiv" sein. Der selbstherrliche Mann, der schon eine Zukunftsgesellschaft "attraktiver Arbeit" von lauter Superkünstlern und Superwissenschaftlern heraufziehen sieht, möchte die schmutzigen Windeln vielleicht bis ans Ende aller Tage der "weiblichen Natur" überlassen. Oder hofft er auf die vollautomatische Scheißeausputzmaschine?
(51) Die Minimierung des Leidensmoments in der gesellschaftlichen Reproduktion durch die Potenzen der Produktivkraftentwicklung (die in kapitalistisch verkehrter Form erscheint) ist und bleibt zwar wichtig für die Aufhebung der "Arbeit". Mikroelektronische Revolution, Automatisierung usw. sind dabei unverzichtbare Voraussetzungen. Dennoch wäre die Reduktion des Aufhebungsgedankens auf dieses Moment unzulässig, und der Vorwurf ist berechtigt, dass eine solche Reduktion einem technizistischen, wissenschaftsgläubigen Produktivkraft-Fetischismus huldigt, der selber noch dem Universum der "Arbeit" entspringt. Ein bloß abstrakter (und verantwortungsloser) Hedonismus, der aus einer solchen Verkürzung folgen kann, ist heute schon als kapitalistisch immanenter Konsumfetischismus vermasst und stellt nur die Kehrseite des Produktivkraft-Fetischismus dar. Es handelt sich dabei um eine bloß abstrakte, unvermittelte Negation der "Arbeit", die sich auch um das Problem der Formaufhebung von Ware und Geld nicht zufällig herumlügt und vorderhand sich nur durch die monetären Wucherungen des "fiktiven Kapitals" in wenigen Reichtumsinseln der Welt halten kann. Eine tatsächliche Aufhebung der "Arbeit" kann sich nicht auf die technologischen Voraussetzungen beschränken. Die Mikroelektronik hebt nicht unmittelbar und als solche die "Arbeit" auf, sondern das entscheidende Problem ist die Aufhebung der menschlichen Beziehungsformen, wie sie durch das System der "Arbeit" historisch gesetzt worden sind.
(52) Zu dieser vermittelten, in sich reflektierten, menschlichen (nicht bloß technologischen) Aufhebung gehört vor allem auch die Einsicht, dass es weder möglich noch wünschenswert ist, alle Reproduktionsfähigkeiten technologisch zu automatisieren und womöglich gar die menschlichen Beziehungen selber im technologischen Apparat verschwinden zu lassen (also "Aufhebung" in eine Art Cyber-Welt; eine Horrorvision, die selber nur die kapitalistische Vereinzelung der abstrakten Individuen bis ins Groteske verlängert). Dazu gehört ferner auch die Einsicht, dass es nicht allein um eine Aufhebung geht, die den (westlichen) Aktivismus von seiner abstraktifizierten Form befreit, sondern auch um die Befreiung von diesem unaufhörlichen und zwanghaften Aktivismus selbst, der ebenfalls eine genuine Ausgeburt des modernen "Arbeits"-Universums ist. Das krisenhafte, transformatorische Moment der über die "Arbeit" hinausschießenden Produktivkraftentwicklung führt erst dann zur Aufhebung der "Arbeit", wenn diese als getrennte Sphäre aufgehoben und die Art und Weise der menschlichen Beziehungsformen auch im Mikrobereich transformiert wird.
(53) Es werden keine übergeschnappten Supermänner und Ehrgeizlinge mit halbverrückten Selbstbildern sein, von denen die Wertvergesellschaftung aufgehoben wird, sondern ganz gewöhnliche Menschen, die ihr ganz gewöhnliches Leben zusammen mit anderen leben und sich ihre Gedanken über die Welt machen wollen, ohne dauernd von abstrakten Zumutungen, Anforderungen und Überansprüchen umzingelt zu sein, ohne sich andauernd beweisen und selbstbestätigen zu müssen. Das Reich der Notwendigkeit wird in erster Linie dadurch aufgehoben, dass die soziale und geschlechtshierarchische Abspaltung mit ihren sämtlichen zwanghaften Zuschreibungen aufgehoben wird. Dafür ist zwar ein bestimmter Grad der Produktivkraftentwicklung nötig, der heute längst erreicht und überschritten ist. Aber nicht unmittelbar verschwindet das Reich der Notwendigkeit durch bloße Minimierung des menschlichen "Arbeitsaufwands", sondern erst vermittelt durch die aufgrund dieser Entwicklung der Produktivität mögliche Reintegration der abgespaltenen Bereiche auf hohem Niveau der Vergesellschaftung und der Bedürfnisse.
(54) In freilich oft verzerrter und verkürzter Weise erscheint dieses Problem sogar in der aktuellen Gewerkschaftsdebatte, in der teilweise die Fixierung auf den systemimmanenten (und in der Krise nicht mehr verlängerbaren) Lohn- bzw. Betriebskampf kritisiert und die Einbeziehung anderer Bereiche (Schule, Kindererziehung, Stadtteilprobleme etc.) gefordert wird. Im Marxschen Horizont ist diese Integration (z.B. als "polytechnische Erziehung" etc.) noch eindeutig vom Arbeitsuniversum her gedacht, in das die geschlechtsspezifisch abgespaltenen Lebensmomente bestenfalls mechanisch aufgesaugt werden sollen (was praktisch gar nicht geht).
(55) Allerdings lässt sich die Rede vom "arbeitszeit-ökonomischen" sogenannten Reich der Notwendigkeit heute auch immanent kritisieren. Hier spielen die mikroelektronische Revolution und ihre Folgen wieder eine entscheidende Rolle. Denn die kapitalistische Produktivkraftentwicklung und die daraus heute mit Händen zu greifende Krise der "Arbeitsgesellschaft" hat das Reich der Notwendigkeit selbst in jenem kruden technokratischen Sinne von Leistungszurechnung bereits innerhalb des kapitalistischen Prozesses selber ad absurdum geführt. Wichtig ist heute nicht mehr die individuelle bzw. "betriebliche" Leistung und deren Zurechnung, sondern die gesellschaftliche Kontrolle des längst verselbständigten technologisch-wissenschaftlichen Ressourcen-Einsatzes, und dieser Tatbestand steht in krassem Widerspruch nicht nur zur betriebswirtschaftlichen Rationalität, sondern auch zu deren "sozialistischer" Verlängerung. Marx konnte sich nicht vorstellen, dass die Parole des "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung" schon unterhalb der Schwelle seines "Sozialismus" obsolet werden würde. Auch deswegen machte er seine Zweiteilung sowohl in Notwendigkeit und Freiheit als auch in eine "niedere" und eine "höhere" Stufe des Kommunismus. Für ihn war die Transformation des Kapitalismus selber noch eine Angelegenheit "innerhalb" des Horizonts der Arbeitsgesellschaft. Das entspricht seinem realen historischen Standort (ist ihm also nicht vorzuwerfen), aber dieser Horizont ist heute bereits objektiv überschritten.
(56) Damit ist auch eine weitere Zwiespältigkeit bei Marx auflösbar geworden. In der "Kritik des Gothaer Programms" spricht er einerseits davon, dass bereits in der "niederen" Phase des Kommunismus "kein Austausch mehr" (kein Warentausch) stattfinden könne; andererseits jedoch redet er im Zusammenhang mit den "Muttermalen der alten Gesellschaft" davon, dass die Abrechnung und Zurechnung der individuellen Leistung auf absehbare Zeit weiterhin bestehen bleiben müsse. Und an anderer Stelle ist die Rede von der Weiterexistenz der "Wertbestimmung" im Sinne einer gesellschaftlichen Arbeitszeitrechnung: alles "Stellen", auf die sich der Marxismus mit großem Eifer legitimatorisch und arbeitsontologisch bezogen hat. Hier wird schon sichtbar, dass Marx sich in einen Widerspruch verwickelt aufgrund seiner historischen Scharnierstellung zwischen immanenter Modernisierungs- und transzendierender Aufhebungstheorie. Zwar ist es rein theoretisch vorstellbar, dass mit einem riesigen Aufwand an Rechenzeit mittels Computern eine direkte Arbeitszeitrechnung heute möglich wäre, aber ironischerweise ist das Problem gerade aufgrund dieser Möglichkeit (d.h. des Grades an Verwissenschaftlichung) gegenstandslos geworden. Wenn nicht mehr die Verausgabung von abstrakt menschlicher Arbeitskraft die Reproduktion des Notwendigen trägt, sondern im Gegenteil immer mehr überflüssige und gemeingefährliche "Arbeit" eigentlich stillzulegen wäre, dann wird eine gesellschaftliche "Arbeitszeitrechnung" absurd.
(57) In der Vergangenheit, als der Horizont der "Arbeitsgesellschaft" noch nicht überschritten war, musste das Postulat einer von der Formabstraktion des Werts befreiten "direkten" Arbeits(wert)-Rechnung eine prekäre Utopie bleiben (auch wenn Schumpeter sie für logisch möglich hielt). Solange die menschliche Arbeitskraftverausgabung weiterhin den Horizont gesellschaftlicher Reproduktion ausfüllte, konnte der riesige Abrechnungsmodus nur in Gestalt einer ebenso riesigen Abrechnungs- und Zuteilungsbürokratie gedacht werden, also etatistisch. Der "Stalinismus" hat diese Vorstellung übernommen, aber ihr selber keineswegs entsprochen, da die Sowjetunion sehr schnell wieder zur Wertform und damit Geldvermittlung überzugehen genötigt war. Völlig zu Recht verblasste die Utopie direkter Arbeitszeitrechnung; die Ontologie der Arbeit zieht folgerichtig und auch der Form nach die Ontologie des Werts (der gesellschaftlichen Warenform) nach sich. Das Problem muss unter den heutigen Bedingungen völlig anders gestellt werden, jenseits der "Arbeit" und erst dadurch jenseits des Werts, d.h. aber auch jenseits des abstrakten, selbstzweckhaften Leistungswahns der Moderne.
(58) Die weiteren Konsequenzen kann ich hier nur noch kurz streifen. Wie eine "naturwissenschaftlich" begründete Ontologie des Geschlechterverhältnisses mit einer Ontologie der "Arbeit" korrespondiert und diese zwangsläufig in eine Ontologie des Werts mündet (und sei es in diejenige einer "direkten Arbeitszeitrechnung"), so resultiert daraus auch eine Ontologie des Subjekts (d.h. des warenförmigen Erkenntnis- und Handlungs-Ensembles) und eine verkürzte, beschränkte Krisentheorie. Der Arbeiterbewegungsmarxismus hält am aufklärerischen Subjektbegriff fest, dessen "zweiter Durchgang" er nur ist, und wie er "Arbeit" und Wert nicht aufheben will, so will er das "Subjekt der Arbeit", das einer naturwissenschaftlich objektivierten Natur gegenübertritt, zwar "befreien" (nämlich von den Formzwängen des Kapitals), es aber ebenso wenig aufheben. Und weil das alles so ist, deswegen "darf" natürlich das Kapital in seinem historischen Prozess nicht die "Arbeit" und damit sich selbst ad absurdum führen, und schon gar nicht "hinter dem Rücken" aller Beteiligten.
(59) Hinter der teils herablassenden, teils wütenden Kritik an jeder Theorie einer absoluten Schranke des Kapitals (bzw. an der Prognose, dass diese Schranke unter unseren Augen erreicht wird) steht keineswegs bloß dieser oder jener empirische Einwand, sondern vielmehr der marxistische Grundsatz, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, also eine zutiefst ideologische Figuration. "Das Kapital" muss an sich ewig (oder zumindest noch für "Jahrhunderte") ausbeutungsfähig bleiben, erstens damit nicht mit ihm zusammen das historische Terrain der "Arbeit" verlassen und deren Ontologie falsifiziert wird, und zweitens damit das "Subjekt der Arbeit" sich zur selbstbefreienden Selbstherrlichkeit erheben kann und nicht zusammen mit dem "Kapital" (als dessen immanentes Moment es dann enttarnt wäre) selber im Orkus der Geschichte verschwinden muss. Daher eigentlich der Hass gegen die Zusammenbruchstheorie.
(60) Für ein postmarxistisches Bewusstsein, das als gesellschaftliches erst noch zu gewinnen ist, fällt dagegen die Befreiung des "esoterischen" fetisch-kritischen Marx von seinem "exoterischen" Doppelgänger in eins mit der Theorie einer absoluten Schranke des globalisierten Kapitals, mit der Aufhebung von Wert - Ware - Geld, mit der Aufhebung des warenfetischistisch konstituierten Geschlechterverhältnisses und mit der Aufhebung der "Arbeit" in allen ihren Ausgeburten. Das Resultat wäre eine Aufhebung der ausdifferenzierten Sphärentrennung der modernen Gesellschaft, in der das Individuum nur noch Schnittpunkt zahlreicher Funktionsmomente und eben deswegen abstrakt ist. Nur hier liegt der Ansatz für eine Aufhebung der Marxschen Theorie in ihrem eigenen Geiste.