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Freie Kooperation als Weg aus dem Kapitalismus?
Maintainer: Annette Schlemm, Version 1, 19.03.2002
Projekt-Typ: geschlossen
Status: Archiv
(1) Wir haben bei der Veranstaltung viele Fragestellungen nur angetippt, nur teilweise behandelt und vieles blieb im Raum stehen. Ich denke, wir sollten die Virtuelle Welt nutzen, um wenigstens an einigen Punkten weiter zu diskutieren.
Ich kann kein vollständiges Protokoll oder eine vollständige Auflistung der am 15. und 16.3. angesprochenen Fragestellungen liefern. Ich stelle hier lediglich einige Fragen zusammen, die mir aufgefallen sind. Ich versuche dabei, kurz die geäußerten Meinungen wieder zu geben (in Richtung "Aktives Zuhören"), bitte um Präzisierungen und ein weiteres Eingehen und die Weiterentwicklung der Fragen. Weitere Aspekte sind natürlich jederzeit ergänzbar...
(2) Johannes nutzte die Einleitung des Gesprächs, um seine Bedenken hinsichtlich der VERNUNFT zu formulieren: Bisher haben aufklärerische, emanzipative Bewegungen immer darauf gesetzt, daß fortschrittliches Denken auch vernünftig ist, und daß sich vernünftiges Denken durch Fortschrittlichkeit auszeichnet. Gerade die Aspekte, die ja im Text von Christoph angespochen werden (wie sich Gleichheit und Freiheit zueinander verhalten), hatten ja traditionell immer auch einen Bezug zum Vernunftbegriff. Christoph lässt diesen einfach wegfallen und spricht nur von Interessen, die nicht hinterfragt werden und von Aushandlungen, die sich nicht an einer Meßlatte wie "Vernünftigkeit" messen müssen (wie z.B. viele traditionelle Konzepte wie die von Habermas usw.). Es gibt hier in der Freien Kooperation also nichts Übergreifendes (was sonst die Vernunft sein soll), sondern alles wird auf die Individuen und die Struktur der Kommunikation (wie die abläuft, ob mit starren Regeln, oder wenigstens als vernünftig geforderten, oder eben immer neu ausgehandelten) verlagert. Ganz deutlich wurde Johannes da nicht - aber mir schien, er hätte es lieber, wenn die Vernunft noch irgendwo drin wäre.....
(2.1) Re: Vernunft, 19.03.2002, 23:05, Annette Schlemm: Sehe ich das richtig? Leider wurde darüber dann nicht mehr gesprochen. Wie denken andere darüber?
(2.2) Re: Vernunft, 22.03.2002, 16:02, Johannes Stockmeier: Ja, genau. Vernunft ist bislang, als stärkste konsensbildende Macht, der konstitutive Begriff für Kooperation gewesen. Ob daraus abgeleitet auch die gesamtgesellschaftliche Kooperation (Stefan Meretz) als vernünftig angesehen werden kann, ist nicht erst seit Hegels berüchtigtem Satz umstritten. Für jede personale Kooperationhat sich jedenfalls die Vernunftprämisse der Realitätsprüfung unterziehen müssen und so eine strukturbildende emanzipative Dynamik entfaltet. Dass Christoph Spehr auf die vermittelnde Kraft dieses Begriffes glaubt verzichten zu müssen, hängt mit der Erfahrungen Zusammen, die mit revolutionären und emanzipativen Bewegungen im 20ten Jahrhundert gemacht wurden. Der Gebrauch von vorgeblichen Vernunftmitteln „um tierischer als jedes Tier zu sein“, ihre autoritäre, disziplinierende Instrumentalisierung hat nicht zu einer Neubestimmung des Vernunftbegriffs geführt, sondern zu seiner Diskreditierung innerhalb einer emanzipativ-humanistisch orientierten Linken. Als exemplarisch für die Durchsetzung von Vernunft mit Gewaltmethoden kann der Leninismus gelten (der Stalinismus hat die Spannung des Begriffs bereits aufgegeben in der apriorischen Verschmelzung von Rationalität mit administrativer Gewalt). Über die Leninsche Vernunft hinauszudenken scheint linker Theorie schwer zu fallen; sollten sich seine Methoden als unwiderleglich rational erweisen und andererseits der emanzipative Anspruch dabei auf der Strecke bleiben, dann hilft nur noch die Vernunft zu opfern, um die Utopie zu retten.
Spehrs Theorie der freien Kooperation ist die abstrakte Negation des Leninismus. Deswegen bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Struktur der Kommunikation zu hypostasieren, die dann allein gesellschaftliche Vermittlung noch leisten kann. Ein Vorwurf, der bereits Habermas gemacht wird und der in verschärftem Maße für Christoph Spehr gilt, weil Spehr –in dieser Linie konsequent- auch noch die vermittelnde Regel das Diskurses ablehnt. Der Konsens innerhalb einer Kooperation soll bei ihm in als Ergebnis von regellos geführten Verhandlungen gewonnenen ad hoc Regeln vorliegen. Strikt soll dabei jedes individuelle Partikularinteresse respektiert werden, wie immer es sich auch artikuliert. Das nötigt ihn zu weiteren Prämissen, die ich für unrealistisch halte: Emphatisch behauptet Spehr nicht nur die absolute Verhandlungsfähigkeit jedes Individuums, sondern auch die Gleichwertigkeit jedes Arguments, unabhängig von seinem Rationalitätsgehalt.
Zweitens begegnet Spehr der Möglichkeit des Scheiterns von Verhandlungen ausweichend: Wem’s nicht passt, der kann ja gehen (und es soll dann dafür gesorgt sein, daß derjenige auch wirklich gehen kann, zu einem vertretbaren Preis usw.). So tritt die Irrationalität ihre Reise nach Jerusalem an -wobei der Kasus, daß den Letzten die Hunde beißen, theoretisch nicht eintreten muß, da ja immer wieder beliebig viele Kooperationen gegründet werden können.
Vor diesem Problemhintergrund (den ich hier nur angedeutet habe) kann es m.E. nur darum gehen, die Vernunft vor autoritärer Vereinnahmung und Instrumentalisierung zu schützen, nicht sie aus dem sozialen Leben wegzueskamotieren. Im Übrigen lässt sich auch von denjenigen Kooperationen, die auch unter heutigen Bedingungen nach Spehr’schen Kriterien als frei gelten können, sagen, daß Rationalität der konsensbildende Faktor ist. Wie ließe sich zum Beispiel anders Software programmieren und in einer FS-Kooperation Arbeitsabläufe planen? Stillschweigend ist Rationalität die Voraussetzung jeder funktionierenden Kooperation. Es ist eine Denunziation, jede Berufung auf ein gemeinsames Interesse (denn so argumentiert die Vernunft) als Versuch partikularer Machtaneignung zu interpretieren. Das ist phobisch, nur erklärlich aus einem in der Vergangenheit ML-geprägten linken Diskussionsstil. Ich denke, wir kommen nicht umhin, uns über die Verbindlichkeit von Vernunftargumenten innerhalb einer freien Kooperation doch einige Gedanken zu machen. Und vor allem gälte es zu klären, warum Kapitalismus heutzutage immer noch als das allgemein Vernünftige hingenommen wird.
(2.2.1) Re: Vernunft, 31.03.2002, 16:40, Annette Schlemm: Die Anregung, über Vernunft in unseren Fragestellungen nachzudenken hab mich zum Nachlesen bei Hegel angeregt. Da passiert was Interessantes:
Die Denkform des Selbstbewußtseins gehört dem isolierten Einzelnen an. Es betont die Negativität der Unterscheidung des Selbst vom Anderen. Das Selbst gewinnt im Selbstbewußtsein seine Freiheit nur GEGEN das Andere. Erst in der Denkform der Vernunft gelangt das nun vernünftig gewordene Denken zur Allgemeinheit, die eine positive Vermittlung des Vernünftigen mit dem Anderen verstehen kann.
Insofern ist Johannes´Kritik an Christoph richtig - und trifft sich mit Stefans Überlegung, daß das Konzept der Freien Kooperation nur das Verhandeln von immer noch Partialinteressen bleibenden Interessengegensätzen behandelt, aber an die Möglichkeit, daß Allgemeininteressen das Handeln der Beteiligten bestimmen können ohne ein Gegeneinander "nicht glaubt" (wie Christoph es formulierte).
Trotzdem würde ich die Forderung nach Vernunft nicht normativ an ein Gesellschaftskonzept stellen wollen (d.h. von außen als Kriterium und Maßstab, wobei der Inhalt dessen, was mit "Vernunft" gemeint ist, offen bleibt), sondern genau nachschauen, was Vernunft in unseren Fragestellungen bedeutet. Gegen zwei Extrema muß es sich abgrenzen: a) gegen den Streit der gegeneinander gerichteten Selbstbewußtseine und b) gegen eine übergestülpte äußerliche Stiftung von Vernunft (wogegen manche Rationalitätskritik berechtigt ist). Positiv sollte es in die Richtung gehen, daß Vernunft in unserem Sinne Denkinhalte vermittelt, bei denen sich die einen nur in Vernetzung mit den anderen bestimmen und entwickeln können... (genau so etwas kennzeichnet übrigens eine Totalität, hier eine ideelle).
Bei Hegel steckt dies noch nicht im Vernunftbegriff selbst (der ist eher im Sinne b) bestimmt: Zur Vernunft gehört bei ihm das Aufgeben der Besonderheit des Selbst (Enzyklopädie Bd.III, § 437: hier steht wirklich "aufgeben" und nicht "aufheben", was etwas anderes wäre) - und genau das wollen wir ja nun auch wieder nicht! (siehe negative Abgrenzung gegen b)
Hegel sieht die Vernunft noch nicht als das Non-plus-Ultra an, sondern er geht weiter in Richtung "Geist". Das ist nun nicht das, was wir ihm oft unterstellen (irgendetwas Mystisches), sondern kann auch in unserem Sinne interpretiert werden: Im Begriff des "Geistes" steckt etwas Spannendes: "die komplizierte Dialektik des Verhältnisses von Einzelnem und Allgemeinem im gesellschaftlichen Sein, die sich aus dem Zusammenhang individuellen Handelns und jener überindividuellen, objektiv-gegenständlichen Strukturen, die die Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Handelns bestimmen, ergibt." (Sahra Wagenknecht: Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegelkritik des jungen Marx... Bonn, 1997, S. 40) Das kennen wir doch irgendwie, oder?
(2.2.1.1) Re: Vernunft, 01.04.2002, 13:03, Thomas Kalka: Ist denn nicht die Forderung an eine Kooperation, eine "freie Kooperation" sein zu sollen, eine vernünftige ? Ich verstehe nicht, warum FK immer nur aus der Sicht des Einzelnen gesehen wird. Eine Gesellschaft kann doch an sich den Anspruch stellen, eine Gesellschaft "freier Kooperation" sein zu wollen, das wäre dann das Allgemeininteresse. Das Allgemeininteresse vermittelt dann gerade zwischen den Einzelnen und erlaubt über den "Grundsicherungsanspruch" (jeder muß eine Alternative außerhald der Gesellschaft haben) ein echtes Verhandeln der Einzelnen.
(2.2.1.1.1) Re: Vernunft, 02.04.2002, 12:35, Johannes Stockmeier: Wenn die Forderung vernünftig wäre, dann wäre die Kooperation nicht mehr "frei" im Spehr'schen Sinne, denn der hat nun mal keinen Begriff von Vernunft. Es lässt sich auch nicht Vernunft mit "Allgemeininteresse" übersetzen, das ist mir viel zu schwammig. Der Begriff des Interesse scheint mir da angebracht zu sein, wo es um den Austrag von Gegensätzen geht, also zum Beispiel das Klasseninteresse, also da wo es erstmal keine Vermittlung gibt. Nun hat ja Stefan Meretz in seinem Vortrag ausgeführt, daß der Klassengegensatz im Kapitalismus kein antagonistischer, sondern ein innerkapitalistischer Gegensatz ist. Der vermittelnde Überbegriff wäre der Kapitalismus, also die Selbstverwertung des Werts. Aber inwiefern kann man Kapitalismus das allgemeine Interesse nennen? Es ist bemerkenswert, daß eine ältere Bedeutung dieses Wortes "Zinsen" ist (im Englischen immer noch "interest"). Interesse ist ursprünglich ein Rechtsbegriff und schaut man genauer nach, ergibt sich daraus genau dieser Gegensatz, daß das Interesse einerseits die Zahlungsverpflichtung des Schuldners, andererseits den Vorteil des Gläubigers meint. Was also "zwischen" (inter-esse) Gläubiger und Schuldner steht, ist tatsächlich die Kapitalverwertung, das bedeutet aber im Klartext immer noch, daß die einen blechen und die anderen kassieren. Na, 'Klasse'! Das Allgemeininteresse vermittelt zwischen den Partikularinteressen, aber so, daß den Vorteil nur die eine Seite hat. Deshalb hat Christoph Spehr recht, wenn er mißtrauisch wird, wenn in einer Kooperation ein Allgemeininteresse ins Spiel kommt, das meint nämlich in der Tat meistens einen einseitigen Vorteilsverzicht. Das Partikularinteresse meint dagegen den Vorteil jedes Individuums, oder einer Partei, aber es kann, solange es Interesse bleibt, nicht anders sich vermitteln, als daß es sich gegen andere Interessen durchsetzt, wie das Annette Schlemm mit Hinweis auf Hegel dankenswerterweise ausgeführt hat. Da Christoph Spehr beim Partikularinteresse stehen bleibt, ist nicht zu erwarten, daß es innerhalb seines Kooperationsmodells jemals zu befriedigenden Lösungen für alle Beteiligten kommen wird. Aber dieses Problem schummelt er mit seiner "Grundsicherung" weg; wie ich schon sagte, die Grundsicherung ist die Reise nach Jerusalem. Betrachtet man dagegen Kooperationen unter dem Gesichtspunkt der Vernunft, dann ergibt sich eine ganz anderer Perspektive. Denn Vernunft ist die Fähigkeit zur Einsicht in den Gesamtzusammenhang, es vermittelt zwischen den Individuen bewußt, es ist nicht blind, wie das Interesse. Jetzt wetterleuchtet natürlich jedem altmarxistisch sozialisierten Menschen wieder die 'Freiheit als Einsicht in das Notwendige', und was sich damit verknüpft, ist eine repressive Gemeinschaftlichkeit, die um nichts besser ist, als der stumm bleibende Zwang der Ökonomie. Ich rede aber nicht von Notwendigkeit, sondern von Vernunft. Und ich rede nicht von einer "Einsicht", von der hinlänglich bekannt ist, wie sie historisch erbracht wurde. Es sind Gewaltverhältnisse, offensichtliche und nicht offensichtliche, die uns am Gebrauch der Vernunft hindern und die das zum Teil auch erreichen. Trotzdem ist Vernunft das erste, was sich diesen Gewaltverhältnissen entgegensetzen lässt. Das partikulare Interesse ist vielleicht der erste Impuls, der sich auflehnt gegen die Gewalt, aber dann muß es zu einer Reflexion des Interesses kommen, sonst bleiben wir im 'wilden Dschungel' stecken .
Nachtrag: wie ich sehe, habe ich mir in meinem vorangegangenen Kommentar den Lapsus geleistet, der Vernunft selbst das Argumentieren mit dem Allgemeininteresse zu unterschieben. Es ist heute eben vor allem die Bedeutung "einen Vorteil suchen" in dem Wort "Interesse" präsent. Das kann aber nur hinsichtlich des partikularen Interesses zutreffen. Und hier noch ein link zu einem schönen Aufsatz von Kai Froeb unter dem Titel "Sei doch vernünftig", der vielleicht zur Klärung zwischen repressivem und konsensbildendem Vernunftgebrauch beitragen kann. http://hegel-werkstatt.de/artikel/grundkonzepte/sei_doch_vernuenftig.htm
(2.2.1.2) Re: Vernunft, 02.04.2002, 12:33, Johannes Stockmeier: Ich stimme Dir vollkommen zu. Dass sich der Eindruck ergibt, ich stellte die Forderung nach Vernunft an ein Gesellschaftskonzept normativ und abstrakt, ist dem eben sehr abstrakten Level zu verdanken, auf dem wir hier die Freie Kooperation diskutieren. Das ist aber wiederum der Vorgabe geschuldet. Nein, Vernunft muß natürlich in jeder einzelnen Kooperation konkret bestimmt werden, und hinsichtlich der gesamtgesellschaftlichen Kooperation betrachte ich den Vernunftbegriff als eine Diskussion, nicht als eine festgelegt Norm. Am Geistbegriff halte ich ebenfalls fest, nur ist Geist etwas, was sich noch weniger fordern und herbeizitieren lässt, als Vernunft. Das klappt nur bei den Katholiken. Geist sollte im säkularen Zeitalter ein rein analytischer Begriff bleiben, während der Vernunft neben der analytischen auch noch eine praktische Bedeutung zukommen kann.
(2.2.1.3) Re: Vernunft, 04.04.2002, 21:34, Petra Haarmann: Ich vermute, daß wir was den Geist betrifft einen Dissens haben. Vielleicht werden aber auch Begriffe nur verschieden benutzt, weshalb ich an dieser Stelle gerne Randnotizen zum Geist einfügen möchte. So wie ich das verstehe, hat Hegel versucht, mit seiner Theorie das klassische Problem der Subjekt-Objekt-Dichotomie zu überwinden, indem er nämlich die gesamte Realität, die natürliche wie auch die gesellschaftliche, die subjektive wie die objektive, durch Praxis konstituiert bestimmt, - genauer gesagt durch die objektivierende Praxis des Geistes, des welthistorischen Subjekts. Geist erschafft die objektive Realität durch Selbstobjektivierung und vermittels dieses Prozesses erschafft er auch reflexiv sich selbst. Da sowohl Objektivität als auch Subjektivität durch Geist im Wege dialektischer Entfaltung geschaffen werden, sind Objekt und Subjekt nicht grundverschieden, sondern sie besitzen eine identische Substanz; beide sind Momente eines allgemeinen und homogenen Ganzen, - einer Totalität. Für Hegel umfaßt Geist also Subjektivität und Objektivität, er ist das identische Subjekt-Objekt, die Substanz, die gleichzeitig das Subjekt ist. Die Entfaltung des Geistes in der Geschichte beruht auf den inneren Widersprüchen der Totalität. Nach Hegel vollzieht sich der Prozeß der Selbstobjektivierung in Form von Selbstentfremdung und wird schlußendlich dazu führen, daß Geist sich das wieder aneignen wird, was ihm im Laufe seiner Entfaltung entfremdet wurde bzw. Geist sich selbst entfremdet hat. Die historische Entwicklung hat also einen Endpunkt: der Geist wird zu sich selbst kommen als ein totalisierendes und totalisiertes Subjekt. Wenn man sich hierzu die Marxsche Kritik und Metakritik an Hegel ansieht, scheint es mir, daß man verschiedene Stufen erkennen kann. In seiner Kritik an Hegels Philosophie des Rechts verbleibt er noch bei der Feuerbachschen Inversion von Subjekt und Objekt (1843). In den Ökonomischen und Philosophischen Manuskripten von 1844 wird Arbeit noch als transhistorischer Begriff verstanden. In der Heiligen Familie (1845) kritisiert er den Begriff der Substanz und insbesondere Hegels Gleichsetzung von Substanz und Subjekt. Im Kapital aber (1867) benutzt er selbst die Kategorie Substanz, indem er ausführt, daß der Wert eine Substanz habe, - nämlich abstrakte Arbeit. Das heißt, daß er die Substanz nicht länger als eine theoretische Hypostasierung versteht, sondern vielmehr als Eigenschaft der durch wertförmige Arbeit vermittelten gesellschaftlichen Beziehungen ansieht, vermittels dessen eine bestimmte Form gesellschaftlicher Realität ausgedrückt wird. Hiervon ausgehend, analysiert er die komplexen Strukturen der gesellschaftlichen Beziehungen unter Einführung der Kategorie des Kapitals, des sich selbst verwertenden Werts, wobei der Wert die Substanz ist, - eben jenes berühmte automatische Subjekt. Der Zusammenhang des Begriffs Kapital und Hegels Begriff vom Geist ist m.E. offensichtlich. Damit sagt Marx aber nichts anderes, als daß es im Kapitalismus in der Tat ein historisches Subjekt im Hegelschen Sinne gibt, welches aber nicht identisch mit irgendeiner gesellschaftlichen Gruppe oder etwa der Menschheit ansich ist, sondern vielmehr in objektivierten gesellschaftlichen Beziehungen und Handlungen besteht. Letztere faßt er mit der Kategorie Kapital (und von daher auch Wert). Die gesellschaftlichen Beziehungen sind also ganz besondere sie besitzen die Qualitäten, die Hegel dem Geist zugeschrieben hat, so z.B. die dialektische Entwicklung durch die Geschichte hindurch. Diese theoretische Wende bedeutet, daß die Marxsche Theorie kein Meta-Subjekt (Geist) statuiert, welches in einer zukünftigen Gesellschaft zu sich selbst käme. Stattdessen impliziert der Wechsel von einer Theorie des kollektiven (bürgerlichen) Subjekts zu einer von entfremdeten gesellschaftlichen Beziehungen, daß der Begriff des Subjekts selbst Gegenstand der Kritik wird. Die Wende wird noch deutlicher in Hinblick auf den Begriff der Totalität. Bei der Totalität handelt es sich nicht um ein unbestimmtes Ganzes. Nach Hegel konstituiert der Geist eine allgemeine, substantiell homogene Totalität, die schon am Anfang der Geschichte existiert hat aber auch, in entfalteter Form, das Ergebnis ihrer eigenen Entwicklung sein wird. Die vollständige Entfaltung ist der Endpunkt der Geschichte. Bezogen auf traditionelle (bürgerliche) materialistische Interpretationen liest sich das so: Gesellschaftliche Totalität ist durch Arbeit konstituiert, jedoch nur fragmentiert und verschleiert und kann nicht zu sich selbst kommen, da sie von den kapitalistischen Beziehungen daran gehindert wird. Dies ist der Standpunkt der Kritik, die Realisierung der Totalität ist Gegenstand der nächsten historischen Stufe, - sprich Sozialismus. Nach der Marxschen Analyse besteht aber die Einzigartigkeit des Kapitalverhältnisses gerade darin, daß es durch eine qualitativ homogene gesellschaftliche Substanz hergestellt wird, also als gesellschaftliche Totalität existiert. Dies ist die wesentliche Eigenschaft des Kapitalismus und ein Ausdruck der Entfremdung. Andere (historische) Gesellschaftsformen können hingegen nicht mit Hilfe einer gesellschaftlichen Substanz erfaßt werden, entfalten sich also nicht aus einem einzigen strukturierenden Prinzip heraus und verfügen auch nicht über eine immanente notwendige geschichtliche Logik bzw. Entwicklung. Ist aber das Kapital - und nicht etwa das Proletariat oder die Menschheit als solche - das totale Subjekt folgt, daß die historische Negation nicht die Verwirklichung, sondern die Abschaffung der Totalität bedeutet.. Weiter folgt daraus , daß der Widerspruch, der die Entfaltung der Totalität antreibt, ebenfalls völlig anders gesehen werden muß er treibt, wie angenommen werden kann, die Totalität nicht zu ihrer vollständigen Verwirklichung, sondern zur Möglichkeit ihrer geschichtlichen Abschaffung. Der Marxsche Begriff der historischen Negation des Kapitalismus als der Abschaffung statt der Verwirklichung der Totalität bedeutet damit auch, daß die Negation des Kapitalismus die Aufhebung einer bestimmten Form gesellschaftlicher Vermittlung einschließt und nicht die Aufhebung gesellschaftlicher Vermittlung(en) schlechthin. Marx hat Hegel nicht auf die klassische politische Ökonomie angewendet, sondern Hegels Konzepte in bezug auf die Verkehrsformen der kapitalistischen Gesellschaft in einen Zusammenhang gesetzt. Das heißt, Marx Kritik an Hegel ist der Entfaltung der Kategorien im Kapital immanent was, verglichen mit der Art wie Hegel seine Begriffe entfaltet, implizit auf den bestimmten soziohistorischen Kontext verweist, der sich in ihnen niederschlägt. Für die Marxsche Analyse drücken Hegels Begriffe der Dialektik, des Widerspruchs und des identischen Subjekt/Objekts zwar grundlegende Aspekte der kapitalistischen Realität aus, können diese jedoch nicht adäquat erfassen. Weder erklären Hegels Kategorien das Kapital als das Subjekt einer entfremdeten Produktionsweise, noch analysieren sie die historisch spezifische Dynamik der Formen, die durch besondere, ihnen immanente Widersprüche vorangetrieben werden. Vielmehr setzt Hegel den Geist als das Subjekt und die Dialektik als das universelle Bewegungsgesetz. Mit anderen Worten: Marx behauptet implizit, daß Hegel die abstrakten, widersprüchlichen gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus zwar begriff, aber nicht in ihrer historischen Besonderheit. Statt dessen hypostasierte er sie und drückte sie idealistisch aus. Dennoch bringt Hegels Idealismus diese Formen zum Ausdruck, wenn auch unangemessen: er präsentiert sie vermittels Kategorien, die die Identität von Subjekt und Objekt darstellen und den Anschein erwecken, als besäßen sie ein Eigenleben. Diese kritische Analyse setzt sich deutlich von einem Materialismus ab, der diese idealistischen Kategorien einfach nur anthropologisch umkehrt; letzterer Ansatz gestattet keine adäquate Analyse jener für den Kapitalismus charakteristischen entfremdeten Gesellschaftsstrukturen, die die Menschen beherrschen und tatsächlich von ihrem Willen unabhängig sind. Marx Kritik stellt also nicht mehr eine materialistische, anthropologische Umkehrung von Hegels idealistischer Dialektik dar, sondern ist in gewissem Sinne deren materialistische Rechtfertigung. Marx versucht implizit zu zeigen, daß der rationale Kern der Hegelschen Dialektik eben ihr idealistischer Charakter ist: er ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Herrschaftsweise, die durch Strukturen gesellschaftlicher Verhältnisse konstituiert wird, die, weil sie entfremdet sind, gegenüber den Individuen eine quasi-unabhängige Existenz annehmen und die, ihrer eigentümlichen Doppelnatur wegen, dem Charakter nach dialektisch sind. Das historische Subjekt Geist ist, Marx zufolge, die entfremdete Struktur gesellschaftlicher Vermittlung, die die kapitalistische Formation konstituiert. Vor diesem Hintergrund verstehe ich nicht, warum Ihr nun gerade den Geist und seine spezifische Vernunft (was nicht heißt, daß ich Vernunft an sich ablehne) wieder aus der emanzipatorischen Schublade holt. Vielleicht verstehe ich Euch nur vollkommen falsch, aber ich habe immer wieder den Eindruck, daß in der Konzeption von Annette und Stefan der Hegelsche Geist zwar zu begraben ist aber stattdessen ein anderes historisches Subjekt, nämlich der anthropologische Mensch, nun endlich zu sich selbst kommen soll. Ich vermute, daß das mit der Holzkampschen Sichtweise zusammenhängt, die ermöglicht, den Standpunkt der Kritik in ein außerhalb zu verlegen. Ich wäre Euch dankbar mir Euren Standpunkt in dieser Hinsicht zu erläutern.
(2.2.1.3.1) Re: Vernunft, 25.06.2003, 07:09, Wolfram Pfreundschuh: Könn ihr bitte den Text hier noch einmal reinstellen, so dass er ordentlich formatiert (=lesbar) ist und dass man ihn Satz oder zumindest absatzweise kommentieren kann? Danke Kai
(2.2.1.3.1.1) Re: Vernunft, 21.09.2003, 07:57, Wolfram Pfreundschuh: Dieser Text ist nicht von mir, sondern von Kai. Wolfram
(2.2.2) Re: Vernunft, 31.03.2002, 16:41, Annette Schlemm: Als Marx noch am Beginn seines Weges (1843) stand, vertrat er die Idee eines Vernunftstaates, der wirklich die allgemeinen Interessen gegen die vom sog. "Ständestaat" vertretenen Partikulatinteressen vertreten sollte. Dieser Begriff eines Vernunftstaates war aber nur logisch abgeleitet (aus dem Verhältnis von Einzelnem und allgemeinem) - noch nicht materialistisch... (siehe MEW 40, S. 422) In der "Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie" (ab Sommer 1843) kritisiert er dann aber auch, daß bei Hegel der (bürgerliche) Staat "nicht aus dem besondern Wesen der Familie etc., und dem besonderen Wesen des Staates, sondern aus dem allgemeinen Verhältnis von Notwendigkeit und Freiheit hergeleitet" (MEW 1, S. 208-209) wird. Er kritisiert: "Hegel gibt seiner Logik einen politischen Körper; er gibt nicht die Logik des politischen Körpers." (ebd., S. 250): Hier haben wir einen Kernsatz zum Umgang mit der Vernunft: Es gibt keine außerwirkliche Vernunft (Logik), der nur noch ein politischer Körper zu geben wäre - sondern der politische Körper selbst trägt seine Logik, seine jeweils konkrete Vernunft...
Wir wären also schlecht beraten, eine irgendwoher geholte "Vernunft" abstrakt gegen politische Wirklichkeit (oder politische Konzepte einer anderen Wirklichkeit) zu stellen - sondern sie kann nur in und mit und aus der Wirklichkeit selbst herausgeholt und entfaltet werden...
Die Geschichte geht aber noch weiter... 1843 setzt auch Marx dem Hegelschen Staatsbegriff immer noch einen abstrakten Staats- und "wirklichen Menschen-"begriff entgegen.
(2.2.3) Re: Vernunft, 24.05.2002, 17:00, Benni Bärmann: Die Vernunft gegen die Freie Kooperation in Stellung zu bringen macht doch nur dann Sinn, wenn es eine vernünftige Kooperation gäbe, die keine Freie ist. Was soll das für eine sein? Eine erzwungene? Sei der Zwang jetzt direkt oder über Moral vermittelt.
(3) Christoph meinte in der Diskussion dazu:
(4) Petra: "Das bedeutet, daß die bestimmende Struktur weder erfasst, noch untersucht, oder etwa ihr Entstehen geklärt wird, sondern in ihrer quasi-objektiven Form als gegeben hingenommen wird."
(4.1) Re: Ahistorismus- und Ontologievorwurf:, 19.03.2002, 23:06, Annette Schlemm: Ich sehe das nicht automatisch so. Ich denke, daß man sich der Historizität bewusst sein kann, sie auch in richtigen theoretischen Abhandlungen explizit bearbeiten muß - aber auch Teilergebnisse veröffentlichen kann (noch dazu in der wie üblich eher belletristischen Form, die Christoph so gut beherrscht). Ich sehe es nicht als Manko bei Christoph selbst (außer ich würde von seinem Konzept wirklich eine "Theorie für alles" erwarten) - sondern sehe es als notwendig an, zu ergänzen - was aber an anderer Stelle in Oekonux oder bei der Betrachtung der Produktivkraftentwicklung durch Stefan (und mich) schon gemacht wird. Aber es stimmt schon, später legt Christoph an sein Konzept selbst den Anspruch an, eine "Theorie" sein zu sollen...
(5) Da Christoph in diesem Text auch nicht explizit antikapitalistisch argumentiert (eine kapitalismuskritische Haltung setze ich bei ihm immer voraus, wohl vor allem, weil mir in seinem Buch "Ökofalle" gerade jene Argumente wichtig waren, die beweisen, warum innerhalb keine NGO-artigen Verhandlungen zum Ziel führen KÖNNEN), kann aus seinem Text heraus nicht dem Vorwurf von Petra widersprochen werden, er würde das Problem des Kapitalismus nur in seiner "pathologischen Verlaufsform" sehen und sein Entwurf sei "lediglich eine Affirmation [Bestätigung, bejahende Zustimmung] nicht weiter hinterfragter Strukturen dieser Totalität darr, einer Totalität der er durch angemessene Verlaufsformen - Gleiche verhandeln mit Gleichen - letztlich zu ihrer Verwirklichung verhelfen will." (Petra).
(6) Auch Ulis Kritik zielt in diese Richtung: Er meint, daß die Theorie von Christoph ein "Fehlversuch" ist, weil sie "bürgerliche Kategorien" verwende. Vor allem missfällt ihm, daß Christoph schreibt, daß Freiheit im Sinne der Freien Kooperation "in jeder gesellschaftlich vorgefundenen Form anwendbar" sei. Deshalb gehörten Freie Kooperationen eher in bürgerliche Gesellschaften und seien kein "Weg aus dem Kapitalismus".
(6.1) URL dazu, 31.03.2002, 16:51, Annette Schlemm: siehe inzwischen hierzu http://www.opentheory.org/frei-wozu-thesen/
(7) Zur Assoziation greife ich hier schon mal Stefans Einschätzung vor: er betont, daß das Konzept der Freien Kooperation noch in dem Streit der Partialinteressen befangen bleibt, und keinen Begriff von "gemeinsamen Eigeninteressen" hat. Das liegt auf der gleichen Ebene. Dazu aber später noch mal mehr.
(8) Also - es geht um die Gretchenfrage: Geht es bei "Freier Kooperation" überhaupt um "Wege aus dem Kapitalismus"?
(9) Christoph in der Diskussion dazu:
(10) Es wurde später kurz andiskutiert, gehört aber von der inhaltlichen Logik her eher hierher: Christoph fragte an einer Stelle in die Richtung nach, ob das Streben nach Wegen aus dem Kapitalismus sich die Situation wieder so vorstellt, daß es einen Hauptwiderspruch gäbe, und alle anderen Herrschaftsformen nur als Nebenwidersprüche gedacht würden. Dies wurde im Rahmen der Totalitäts-Diskussion angesprochen, aber nicht ausführlich diskutiert. Ich sehe es jetzt so, daß es tatsächlich Christophs Meinung und Erfahrung ist, eben nicht mehr vorwiegend eine Hauptwiderspruchskapitalismuskritik anzuerkennen, sondern nach tieferen Ursachen für Herrschaft allgemein zu fragen.
(10.1) Re: Herrschaftskritik und Haupt- und Nebenwidersprüche, 19.03.2002, 23:07, Annette Schlemm: Tatsächlich gab es viele unerträgliche Herrschaftsformen auch schon vor dem Kapitalismus (Patriarchat, Rassismus...), aber auch diese haben IM Kapitalismus eine spezifische Form erhalten und sind zumindest in dieser Form eng mit dem verbunden, was als "Kapitalismus" zu verstehen ist: grundlegend wertvermittelte Vergesellschaftung, der alle Akteure unterliegen. Trotzdem entsteht aus der Fokussierung des Befreiungskonzepts auf die Aufhebung des Kapitalismus keine Haupt- und Nebenwiderspruchs-Differenzierung. Denn es geht nicht (wie vielleicht dem alten Marxismus) um jeweils einander nur bekämpfende Menschengruppen (Arbeiter-Kapitalisten, Frauen-Männer,...), sondern darum, daß alle diese Akteure (ohne ihre spezifische Widersprüchlichkeit zu negieren) an die "stumme Macht der Verhältnisse" gebunden sind, durch sie wesentlich bestimmt werden und daß sie auch die je spezifischen Herrschaftsverhältnisse nur aufheben können, wenn sie wenigstens auch diese stumme Macht außer Kraft setzen, sich ihr entziehen, sie zerstören um dann selbstbestimmt weiteres in Angriff zu nehmen. Das heißt nicht, daß mit der Beseitigung des Kapitalismus alle anderen Probleme automatisch beseitigt wären (wie der alte Marxismus wirklich oft dachte), daß aber MIT und IN ihm kein einziges anderes Herrschaftsverhältnis wirklich nachhaltig gelöst werden kann. Und wenn auch nicht mehr jede Befreiungsbewegung vom antikapitalistischen Kampf beherrscht werden soll - eine völlige Leugnung, ein Verschweigen, ein Vergessen der jeweiligen antikapitalistischen Komponente ist gleich gar nicht angemessen.
(10.1.1) Re: Herrschaftskritik und Haupt- und Nebenwidersprüche, 19.03.2002, 23:31, Benni Bärmann: Das reicht nicht aus. Der Witz ist, dass es umgekehrt auch gilt. Man wird auch den Kapitalismus nicht abschaffen, solange man die anderen Herrschaftsverhältnisse nicht abschaffen kann, da sie sich gegenseitig stützen. Der Kapitalismus funktioniert doch auch nur, weil bestimmte Arbeiten durch rassistische oder sexistische Ausgrenzungen als "billig" definiert werden oder Grenzziehungen für billige illegale Einwanderer sorgen. So wie Du es da schreibst gibt es immer noch eine Hierarchie. Und in diesem Punkt hat Christoph einfach Recht, wenn er sagt, dass die Wertkritiker immer noch diese Hierarchie haben. Was man bräuchte wäre gerade eine Sicht von Herrschaft die diese Wechselbeziehungen benennt und da ist Christophs Ansatz zumindestens schonmal in der richtigen Richtung.
(10.1.1.1) Re: Herrschaftskritik und Haupt- und Nebenwidersprüche, 21.03.2002, 18:28, Stefan Merten: "Der Kapitalismus funktioniert doch auch nur, weil bestimmte Arbeiten durch rassistische oder sexistische Ausgrenzungen als "billig" definiert werden oder Grenzziehungen für billige illegale Einwanderer sorgen." So, so. Kannst du das irgendwie belegen? Geht vermutlich schon methodisch nicht :-( . Ich halte diese These jedenfalls für reichlich steil. Der Kapitalismus braucht keine (ungerechte) Ausbeutung - aber "er" nimmt sie wo er kann.
(10.1.1.1.1) Re: Herrschaftskritik und Haupt- und Nebenwidersprüche, 24.05.2002, 17:15, Benni Bärmann: Belegen kann ich eh garnix. Aber ich halte es schon für plausibel, dass Herrschaft sich gerade dadurch reproduziert, dass sie auf unterschiedlichen Wegen daherkommt. Ein ganz guter Text dazu ist http://www.opentheory.org/herrschaft/text.phtml Mein "brauchen" war auch nicht so gemeint, dass Kapitalismus nicht auch prima ohne Rassismus funktionieren würde. Es gibt ja auch schliesslich jede Menge Kapitalisten, die überzeugte Antirassisten sind. Ich glaube aber schon, dass Kapitalismus immer irgendwelche anderen Herrschaftsverhältnisse braucht um sich zu flankieren. Bei Krisis heisst das dann wohl "Abspaltung" (auch wenn die sicher was anderes damit meinen als ich jetzt, da die ja auch ziemlich auf den Wert fixiert sind). Der Wert alleine ist ziemlich ohnmächtig, alleine schon, weil er eben nicht so omnipotent ist, wie seine Vertreter ihn gerne zeichnen. Wenn man also jetzt den Wert als den Vater (Ganz bestimmt nicht die Mutter - auch kein Zufall) aller Dinge darstellt, sitzt man im Grunde kapitalistischer Propaganda auf. Das mag alles etwas wirr klingen. Ich hoffe ein bisschen was kommt trotzdem rüber :-)
(10.2) Re: Herrschaftskritik und Haupt- und Nebenwidersprüche, 19.03.2002, 23:08, Annette Schlemm: Ich denke, hier zeigt die Praxis den TheoretikerInnen, wo es langgeht: die vielfältigen, sich in den letzten Jahrzehnten herausdifferenziert habenden Bewegungen befinden sich gerade auf dem Weg zu einer neuen Einheit, in der die gemeinsamen "Gegner", die sie alle - in unterschiedlicher Form - bestimmenden gesellschaftlichen Verhältnisse auch immer genauer erkennen lassen: die Antiglobalisierungsbewegung. Naomi Klein, die Autorin des dafür wichtigen Buches "No Logo!" beschreibt z.B., wie lebensfremd ihre eigene feministisch-postmoderne Politik in ihren Jugendjahren war, weil sie vergessen hatten, daß die die Lebensverhältnisse grundlegend bestimmende Arbeitswelt von anderen Mächten als nur patriarchalen bestimmt wird... und wie sich das für sie geändert hat.
(10.3) Re: Herrschaftskritik und Haupt- und Nebenwidersprüche, 21.03.2002, 18:27, Stefan Merten: Vielleicht ist es ja auch einfach wenig sinnvoll, sich permanent in die Haupt-/Nebenwiderspruchs-Debatte drängen zu lassen. Kapitalismuskritisches Denken hat für mich ein klar definiertes Thema und Herrschaftskritik ist da nur u.a. drin. Für mich ist (mittlerweile) das Wichtigste die Abschaffung von Entfremdung durch den Wert und darüber hinaus vielleicht auch allgemein. Ob andere Formen von Herrschaft nach einer solchen Abschaffung weiterbestehen oder vielleicht sogar neu entstehen kann ja eigentlich nicht Thema einer Kapitalismuskritik sein.
(10.3.1) Re: Herrschaftskritik und Haupt- und Nebenwidersprüche, 24.05.2002, 17:18, Benni Bärmann: Das stimmt nur dann, wenn diese anderen Herrschaftsverhältnisse eben unabhängig vom Wert existieren. Das ist es ja gerade, was ich - und ich glaube auch Chistoph - bezweifel.
(11) Christoph betont später in der Diskussion, daß die Freie Kooperation "von Herrschaft und Befreiung" im allgemeinsten Sinn handelt. Damit schließt er an seine bisherigen Arbeiten dazu (besonders im Alienbuch, siehe insgesamt zu seinem Herrschaftsbegriff http://www.thur.de/philo/herrschaft.htm)
(12) Hier zeigt sich die Wurzel der unterschiedlichen Positionen, die deutlich wurden: Christophs Position:
(13) Meinungen aus "Wege aus dem Kapitalismus" (Zusammenfassung der Grundposition)
(13.1) 24.05.2002, 17:32, Benni Bärmann: Natürlich haben beide Seiten Recht. Es gibt eben beides, die Alltagsebene in der Herrschaft personal fassbar wird und die Systemebene, wo sie strukturell ist. Letztere kann man nochmal unterteilen und kommt dann zu den drei Sichten auf Herrschaft wie sie im sehr zu empfehlenden Paper der Göttinger stehen (Jaja, ich wiederhole mich :-) Hier nochmal der Link: http://www.opentheory.org/herrschaft/text.phtml Spannend wird es dann, wenn man sich klar macht, wie diese unterschiedlichen Ebenen von Herrschaft (genauso wie auch die unterschiedlichen Herrschaftsverhältnisse, s.o.) sich gegenseitig bedingen. man kriegt zwar fast das Gruseln angesichts soviel Mehrfachabsicherung des Monsters, aber es nützt ja nix, so ist´s halt nun mal. Da hilft kein Jammern.
(14) Christoph unterscheidet zwischen Herrschaft (die er ablehnt) und Macht (die er nicht prinzipiell ablehnt). Den eher positiven Machtbegriff setzt er parallel zum englischen "Power" ("Power to the people"), wofür es im Deutschen kein so gutes Wort gibt. Er will damit ausdrücken, daß wir immer über die Arbeit anderer verfügen müssen, wenn wir Ziele verwirklichen wollen.
(14.1) Re: Macht, 19.03.2002, 23:09, Annette Schlemm: Mir fiel dazu ein, daß diese Power besser mit dem Begriff "Handlungsfähigkeit" bestimmt ist. (Menschen haben die Möglichkeit zu handeln, d.h. ihre eigene Existenz über die Teilhabe am gesellschaftlichen Prozeß zu reproduzieren. Handlungsfähig ist ein Mensch, indem er über seine Lebensbedingungen verfügt, indem er sich am gesellschaftlichen Prozeß beteiligt (nach Holzkamp "Grundlegung der Psychologie" 1985, S. 241).)
Ich persönlich bevorzuge die Bezeichnung der "Handlungsfähigkeit" für die positiv gemeinte gemeinte "Power" - und folge der eher negativen Besetzung des Wortes "Macht".
(14.2) Re: Macht, 20.03.2002, 18:42, Hanna Behrend: Vielleicht wäre es günstig, zwischen empowerment (ein Prozess, bei dem sich bisher Machtlose befähigen, ihre Interessen durchzusetzen) und agency (Fähigkeit zu politischem Handeln) zu unterscheiden. Agency setzt geschichtliche Subjekte voraus - die Arbeiterklasse, wie sie vom Ende des 18. bis zur Mitte des 20. Jh. bestand, besteht so nicht mehr und ist daher kein historisches Subjekt (mehr). Das heißt m.M. nach aber keineswegs, dass Veränderungen ohne historical agents zustande kommen. Diese kommen aber heute in verschiedenen Teilen der Welt aus sehr unterschiedlichen sozialen Schichten und unterscheiden sich auch ihrer wirtschaftlichen Rolle und ihrer kulturellen Einbindung nach, und natürlich spielen Klasse, Geschlecht, Religion, Generation u.a. eine wesentliche Rolle. Daher finde ich Christoph Spehrs Modell so produktiv, weil es in der heutigen komplexen Welt und den ihr entsprechenden historischen Subjekten Handlungsmöglichkeiten eröffnet, die nicht schon auf etwas festgelegt sind, was wir gar nicht voraussehen können. Wir können historische Analysen über die Vergangenheit machen. Prognosen, wann es zu einer historischen Veränderung kommen wird oder wie diese aussehen könnte, können wir nicht stellen. Wir wissen nur: Bei aller Komplexität der Subjekte würden alle gewinnen, wenn es gelänge, die patriarchal-kapitalistische Produktionsweise zu transformieren, ihre Destruktivität (Kriege, Staats- und anderer Terrorismus, Naturzerstörung, Arbeitlosigkeit, Seuchen, Polarisierung von Arm und Reich usw.)wenigstens einzudämmen, den Mehrwert aus der ungeheuer gewachsenden Produktivität wenigstens zu einem Teil den destruktiven Zwecken zu entziehen. Das alles geht ohne Vernetzung der AkteurInnen nicht. Bisher ist es (noch) nicht gelungen, in dieser Hinsicht zu dauerhaftem "empowerment" zu kommen. Niemand weiß aber, wann und aus welchem, möglicherweise nichtigem Anlass, ein Dominoeffekt einsetzen könnte. Alles, was wir tun können, ist so viele AkteurInnen wie möglich zu intelligent und tolerant wie möglich ermutigen, sich für vernünftige politische Aktivitäten zu engagieren. Vernünftig heißt hier nützlich für die Beförderung einer solchen Transformation.
(14.3) Re: Macht, 24.05.2002, 17:38, Benni Bärmann: Auf der Oekonuxliste haben wir jetzt letztens ausgehend von einem Paper von Holloway, wo es heisst "DER KAMPF UM DIE AUFLÖSUNG DER MACHT IST DER KAMPF FÜR DIE EMANZIPATION DER KREATIVEN MACHT (POTENCIA) VON DER INSTRUMENTELLEN MACHT (POTESTAS)" eben diese Unterscheidung in "Potencia" und "Potestas" eingeführt. Ist ja auch egal, welche Begriffe man verwendet, klar dürfte sein, dass Macht eben ziemlich deutlich in zwei Begriffe teilbar ist, die eben sehr unterschiedlich besetzt sind, daher dürfte ein Grossteil der Verwirrung rund um den Machtbegriff bei Freier Kooperation erklärbar sein.
(15) Wir sahen eben bei der "Herrschaft", wie wichtig unterschiedliche Begriffsverständnisse sind. Für den nächsten Punkt muß ich die Sache noch verkomplizieren. Dieser methodische Einschub wurde nicht diskutiert, aber im Nachhinein erscheint er mir wichtig als Orientierung für das Spätere:
Es gibt Worte und Worte...Dafür, daß ein Stein, ein Ball, eine Feder und alle anderen physikalischen Körper sich, wenn sie von oben nach unten freie Bahn haben, sich nach unten bewegen, kann mal zusammenfassend "der Fall" sagen. Wir fassen viele Erscheinungen zu einer Art Beschreibung zusammen: "Fall". Das ist in diesem Sinne ein beschreibendes Wort. Viele Worte sind solche Allgemeinworte. Viele entstehen einfach durch Zusammenfassung. Andere entstehen durch Definitionen (und Definitionen beruhen oft auf Zusammenfassungen) - irgendwann definiert dann mal jemand: "Ein Fall ist die Bewegung eines physikalischen Körpers zum Erdmittelpunkt, wenn er nicht durch einen Widerstand gehindert wird". Dann kann man diesen Allgemeinbegriff auch als eine Art Etikett verwenden, die jeder einzelnen erfahrbaren (empirischen) Erscheinung, die das betrifft, "aufkleben" kann. Die Bewegung dieses Blattes ist jetzt ein "Fall", der Stein "fällt" auch...
Es gibt aber auch noch andere Worte/Begriffe: Die haben nicht einfach ein Beispiel oder viele, die man nur noch zusammenfassen braucht. Sie haben nicht direkt empirisch erfahrbare Beispiele (bzw. wenn man welche angibt, geschieht das zwar oft zur Verdeutlichung, aber der Begriff entsteht nicht wirklich aus der Zusammenfassung dieser empirischen Beispiele). Was ich jetzt meine, wird nicht nur "Begriff" genannt, sondern auch "Kategorie". Das sind jene allgemeinen Worte, die ich sozusagen "als Brille" im Kopf habe, bevor ich mir die Welt anschaue und nach denen ich die Dinge und Ereignisse in der Welt überhaupt erst sortiere. Wenn ich mir die Welt mit der Aristotelischen Brille ansehe, ist es z.B. ganz klar, daß eine Feder langsamer fällt als ein Stein. Sieht doch jede/r, oder? Galilei überlegte sich, woran diese erfahrbare unterschiedliche Ankunftszeit auf dem Boden liegt. Wenn kein Luftwiderstand wäre, würde dann die Feder auch so langsam fallen? Hoppla! Nein: Vorausgesetzt, ich denke mir den Luftwiderstand weg, fallen alle Körper unabhängig von ihrer Form und sogar der Masse gleich schnell!! In vakuumerfüllten Falltürmen wurde dies inzwischen auch getestet. Dies ist die Galileische Sicht der Dinge - moderne Physik setzt sich seitdem immer so eine Brille auf, daß sie überlegt: was kann ich weglassen, unter welchen Bedingungen passiert was? Ohne solche Modellierungen, Idealisierungen ist die Art Wissenschaft nicht möglich, die wir heute kennen (auch die Forderung nach "Ganzheitlichkeit" könnte das nicht reparieren - wichtig ist es, sich dieser Abstraktionen immer bewusst zu bleiben und die Ergebnisse nicht auf Fälle anzuwenden, wo die Idealisierungen nicht mehr angemessen sind. Dies ist auch der Punkt, wo man scheinbar wissenschaftlich begründete Handlungen kritisieren kann). Der "Fall" in der modernen Physik ist nicht nur die Zusammenfassung der Beobachtung empirischer Fallbewegungen, sondern eine Kategorie, mit der der Physiker die Welt auf eine Weise sieht, in der sein Fallgesetz anwendbar ist, in der er die Berechnung der Statik von Häusern und Brücken machen kann u.s.w. Er verfälscht ja damit die Daten der Welt nicht - aber er sieht sie mit einer besonderen Brille, er setzt Kategorien voraus, die man der Welt nicht gleich "ansieht" (wie die Kategorie des Falls, bei dem Feder und Stein gleich schnell fallen). Im Gegenteil, es widerspricht dem ersten Anschein sogar (weil ja jede/r sieht, daß ein Stein schneller fällt als eine Feder). Genau das ist das Problem mit der Wissenschaft und ihren Kategorien.
Wir können aber nicht auf sie verzichten. Wir können nicht weg von der Brille. Wir sehen die Welt entweder aristotelisch (wir sehen die Feder langsamer fallen als den Stein), oder galileisch (wir sehen, daß sie ja "eigentlich" gleich schnell fallen und nur der Luftwiderstand die Feder mehr aufhält). (Die spätere Brille ist immer komplizierter, deshalb ist es bequemer, die vorherigen Brillen aufzubehalten und zu behaupten, nur das sei die "natürliche Sicht der Dinge" und die anderen Brillen hätten keine Berechtigung.)
Sobald wir in der Gesellschaft nicht nur irgendwie auf ihre "Reize" reagieren, sondern sie verstehen wollen, müssen wir auch hier auf unsere Brillen achten. Auch hier gibt es eine nahegelegte ("aristotelische") Sicht: Gesellschaft ist eben eine gaaaanz große Menschengruppe. Aaaber:
(16) Ab jetzt wiederhole ich einen großen Teil des Beitrags von Stefan Mz.:
Kooperationen sind nicht "selbstähnlich", wie Christoph schreibt und anwendet (in dem Sinne: Freie Kooperation kann es in der Liebe geben, im Verein, in der Fabrik und auch der ganzen Gesellschaft). Sondern es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen A) "personalen Kooperationen" und B) der gesamten Gesellschaft.
(16.1) Re: Gesellschaftsbegriff, 20.03.2002, 11:42, Uli Frank: Das Problem bei der Diskussion war, daß quantitative und qualitative Gesellschaftsbegriffe durcheinandergingen. Die oft benutzte Vokabel "Metaebene" für Gesellschaft jenseits einer bestimmten Kooperation geht offensichtlich von der quantitativen Vorstellung aus: wer eine bestimmte Kooperation verläßt, landet wieder in Gesellschaft: einer weiteren Kooperation... und so immer weiter, bis die "Gesamtgesellschaft" erreicht ist, die man nicht mehr verlassen kann, wie die antiken Menschen die Erdscheibe nicht verlassen konnten. In dieser Vorstellung hat die Idee der Selbstähnlichkeit sicher keinen Platz. Wenn man aber Gesellschaft als "Medium" (Stefan) oder totalisierende Tendenz oder Substanz oder Struktur oder historische Form der Vergesellschaftung o.ä.- also qualitativ versteht, dann will man doch gerade ausdrücken, daß sich dieses Prinzip eben durch alle "Ebenen" der empirischen Gesellschaft von "oben" bis "unten" hindurchzieht. Die großen Fetische drücken es aus (Petra) aber auch meine Vorstellungen von Liebe, Beziehungen u.ä. Die Bezeichnung "Selbstähnlichkeit" würde diesen Zusammenhang doch genau treffen. Etwas anderes wäre die Frage nach meinem individuellen Einfluß: Je "personaler" meine konkrete Kooperation, umso größer könnte mein direkter Einfluß sein, der aber dafür weniger "tief" reichen würde . Je umfassender die kooperativen Strukturen - bis hin zu einer nationalen Gesellschaft- umso indirekter (weniger personal) wären meine Einflußmöglichkeiten- aber dafür auch grundsätzlicher. Und ich kann auch die gesamtgesellschaftliche Logik verlassen. Rein räumlich wird das unter Globalisierungsbedingungen zwar immer schwerer- das ist ja gerade das Problem der heutigen Totalisierungstendenzen- . Aber mit den Durchsetzungserfolgen der Wert- Verwertungslogik läßt ja offensichtlich auch die äußere Kontrolle nach (zB. kann man sich heute ja fast ungehemmt über alles informieren, sodaß Enthüllungs-Politik sich immer weniger lohnt). Es wird technisch- juristisch- praktisch immer leichter, sich der Logik zu entziehen- allerdings nicht bewußtseinsmäßig. Deshalb müßte auf der mentalen und emotionalen Abkopplung von der herrschenden Logik die Betonung liegen. Dieser Ausstieg ist in konkret unterschiedlicher Weise auf allen Ebenen von Kooperation möglich (ganz "oben" etwa in Form öffentlicher Debatten, Experimenten usw.)
(17) zu A) personale Kooperation:
(18) zu B) Gesamtgesellschaft:
(19) In der Diskussion wurde deutlicher (als auf dem Plakat), daß wir uns die Gesellschaft nicht nur als quantiativ größere Menschenmenge (oder "große Kooperation") vorstellen dürfen, sondern dieses Wort einen Begriff meint, der nicht nur eine Beschreibung einer empirischen (erfahrbaren) Menschenmenge ist, sondern als andersartiger Begriff - eben als Kategorie - zu verstehen ist. Wenn wir sie als empirische Zusammenfassung verstehen, wie den Aristotelischen "Fall", nehmen wir sie, wie sie erscheint: als Summe von vielen Menschen. Das mag in der Umgangssprache ausreichen. Für eine Theorie, ein Begreifen dessen, was menschliches Leben bestimmt, ist eine kategoriale Verwendung sehr zu empfehlen.
(20) Stefan betonte (in der späteren Diskussion) folgende Aspekte der Gesellschaft als Kategorie (wobei ich manches reinformuliere, was er vielleicht nicht so gesagt hat):
(21) Jetzt noch das Plakat von Stefan zur Gesellschaft (mit Diskussion dazu in Klammern):
(23) -> "Wir nehmen unser Gefängnis überall hin mit, wohin wir auch gehen, in jedes konkretes Verhältnis." (Christoph: Freie Kooperation, S. 16) ("stummer Zwang der Verhältnisse") -> Selbstfeindschaft: Ich kann mich nur auf Kosten anderer behaupten - und dieser "Andere" bin ich.
(24) Es zeigt sich, daß die Fragen, was eine Gesellschaft ist, wie sich die kapitalistische Gesellschaftsform strukturiert und auch, in welcher Sphäre Herrschaft verankert ist, damit zusammenhängt, als welche Art Einheit bzw. System man das jeweilige Ganze versteht. Wir kennen einerseits die Verallgemeinerung, viele Ganzheiten "System" zu nennen. Manche von ihnen werden dann auch noch als "Totalität" bezeichnet und darunter lässt sich verschiedenes verstehen...
(25) Petra charakterisierte die Totalität als "eine gesellschaftliche Substanz, ein Prinzip (nicht Ding), das sämtliche Beziehungen der Gesellschaft - auch die zwischen den Individuen - konstituiert. Solch eine Totalität sieht man nicht direkt, sondern sie erscheint in verschiedenen Erscheinungsformen, wie Markt, Recht etc. Die Totalität ist jeweils das überformende Prinzip, das nicht selbst erscheint, sondern sich in Erscheinungsformen (die verschiedenen Herrschaftsformen!) ausdrückt (die alte Differenz von Haupt- und Nebenwidersprüchen erscheint hier also als Unterscheidung der kategorialen Ebenen: Totalität - Erscheinungsformen).
(26) Christoph versteht dagegen als Totalität ein soziales Bündnis, das nicht in einer Waren/Wertverwertungslogik aufgeht.
(27) Willi ergänzte, daß es besser ist, von einer "totalitären Tendenz" zu sprechen, statt die Tendenz direkt mit der Realität zu identifizieren. Als Tendenz setzt sich das Kapitalverhältnis gerade gegenwärtig immer weiter überall (Globalisierung) und auf allen Ebene (von der Schule bis zum Sportverein) durch. "Totalität" ist nicht als total geschlossene Sphäre zu verstehen (im Sinne von "Totalitarismus"), "sonst würde ich nicht denken, daß man da rauskommt" (Petra).
(27.1) Totalität, 24.05.2002, 17:57, Benni Bärmann: Für mich stellt sich das inzwischen so dar, dass es sich selbst verstärkende Dynamiken gibt, die Herrschaft immer wieder neu reproduzieren. Ich hab das in meinen anderen Kommentaren oben ja schon angedeutet. Die "kybernetische Maschiene" ist nur ein Teil davon, wenn auch ein wichtiger. Was es jedoch auch gibt, sind sich selbst verstärkende befreiende Dynamiken. Beide muss man identifizieren und hat dann eine Grundlage für das eigene Handeln. Einfach ist das natürlich nicht, weil sich diese Dynamiken sowohl in einzelnen Personen als auch sogar in einzelnen Handlungen überschneiden. Es ist jedoch absolut notwendig, das Gesamtbild nicht aus den Augen zu verlieren, da es sonst sehr schnell passiert, dass man mehr Schaden anrichtet als Nutzen.
(28) (weiter mit den Plakaten von Stefan):
(28.1) Re: Zur Kooperation - Frei und erzwungen, 21.03.2002, 02:35, Thomas Kalka: Das Konzept der Freien Kooperation enthält implizit einen Gesellschaftsbegriff. Gesellschaft ist definiert durch die Brille, die die sie Konstituierdenden aufhaben. Was Christoph vorschlägt ist nun eine ganz andere Brille. Die Brille im Kapitalismus ist für Herrschaft fast blind, wären die in einer Gesellschaft freier Kooperation geradezu sensitiv für Herrschaft ist. Das die Freie Gesellschaft Konstituierdene kann nicht Herrschaft sein. "Der Aspekt, daß ich den anderen brauche, um mich selbst entfalten zu können" fehlt nicht als Mangel, denn er ist selbstverständlich und nicht Bestandteil der Theorie. Die Anwendung der Theorie der Freien Kooperation nimmt aber die Herrschaftsmittel, mit denen das "Gebrauchen des Anderen" gegen seine Interessen erzwungen werden kann. Damit etabliert sie automatisch kooperative Umgangsformen bei denen meine Partialinteressen und die des Anderen nicht im Widerspruch stehen. Es ist die Brille, die wir aufhaben, die uns unsere Partialineressen im Gegensatz zu denen der Anderen sehen läßt.
(28.2) Re: Zur Kooperation - Frei und erzwungen, 21.03.2002, 21:03, Carmen Ehms: Ich hab mir hier noch notiert, dass über die Vermittlung zwischen den Individuen neu nachgedacht werden sollte, unter der Themenstellung, wie könnten neue Vermittlungsformen aussehen. Hier hat mich auch Christophs Überlegung zum Nachdenken gebracht. Er meinte: was ist breit genug, etwas zu beschreiben, aber was ist auch spezifisch genug dazu. Ich denke, das gilt für den Begriff der Gesellschaft genauso wie für den Begriff der FK. Vielleicht könnte zur Unterscheidung und zum Erklären in welcher Denkebene grade der Begriff verwendet wird, immer ein Zusatzwort geprägt werden. Ist eigentlich schon sowas belegt, wie "kategorialer Gesellschaftsbegriff"?
(29) Christoph glaubt nicht, daß es in einer freien Gesellschaft keine Konflikte und Regulationsnotwendigkeiten gibt, so daß man auf die Prinzipien der Freien Kooperation verzichten könnte (d.h. er nimmt an, daß es immer auch Partialinteressen gibt, und für den Umgang mit ihnen die Prinzipien der Freien Kooperation) - glaubt auch nicht, daß sich immer jemand findet, der das Nötige tut (selbstbestimmt, sich selbst entfaltend...) in der Art "Das wird sich schon finden" (was in Oekonux diskutiert wird) - sondern meint, die Prinzipien der Freien Kooperation zur Regulierung der Organisierung seien deshalb nicht verzichtbar. Die Prinzipien der Freien Kooperation sind sozusagen die Mindestforderung für den Konfliktfall.