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Gegenbilder, Kap. 3.3: Mensch - Natur
Maintainer: Gruppe Gegenbilder, Version 1, 18.08.2000
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv
(1) Das Verhältnis von Mensch und außermenschlicher Natur bietet für die Gestaltung der Gesellschaft eine entscheidende Einflußgröße. Die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft ist ein ständiger Prozeß des Versuchs, sich unabhängiger von natürlichen Einflüssen zu machen, sich aus natürlichen Regelkreisen und Prozessen zu emanzipieren. Gleichzeitig bleibt die Natur oder das, was aus ihr im Rahmen menschlicher Veränderung geworden bzw. übrig geblieben ist, eine unersetzliche Lebensgrundlage. Sauerstoff, Wasser, Nahrungsmittel - sie alle stammen aus natürlichen Quellen. Nur wenige Elemente sind künstlich erzeugt worden (z.B. durch radioaktive Zerfallsprozesse), ohne jedoch dadurch die natürlich vorhandenen ersetzen zu können.
(1.1) Re: Die Natur ist für den Menschen da - und nicht für den Profit!, 12.01.2004, 18:02, Ano Nym: Ihr stinkt
(1.1.1) Re: Die Natur ist für den Menschen da - und nicht für den Profit!, 12.01.2004, 18:02, Ano Nym: aber die site ist äußerst interessant!
(1.1.2) Re: Die Natur ist für den Menschen da - und nicht für den Profit!, 30.04.2004, 09:35, Ano Nym: du auch
(1.1.2.1) Re: Die Natur ist für den Menschen da - und nicht für den Profit!, 30.04.2004, 09:39, Ano Nym: diemenschen sind dumm, sie zerstören ihre eigene welt und versuchen sie dann zu schützen, was wiederum sehr viel geld kostet. wie dumm von uns. schützt die umwelt verdammt noch mal. es ist nie zu spät anzufangen!!!!!!!
(2) Der bisherige Verlauf des Mensch-Natur-Verhältnisses bietet keinerlei Ansatzpunkte für eine Annahme, der Mensch könnte auch ohne die natürlichen Lebensgrundlagen existieren. Ganz im Gegenteil: Der Mensch hat immer größere Fähigkeiten entwickelt, die Natur zu verändern. Er lebt aber weiterhin in ihr. In Einzelfällen ist sogar sichtbar, daß menschliche Eingriffe in die eingespielten Abläufe der Natur ihn selbst gefährden - auch das geschieht über die Prozesse der Natur (z.B. Klimaschwankungen, Unwetter, Fluten, Dürre).
(3) Der Mensch formt die Natur für bestimmte Ziele. Machtstrukturen zwischen Menschen bewirken unterschiedliche Möglichkeiten des Zugriffs auf die Natur und des Abwälzens der Folgen dieses Zugriffs auf andere Menschen. Natur ist in einem veränderbaren Rahmen steuer- und beeinflußbar, aber nicht ersetzbar. Gleichzeitig ist unübersehbar, daß es der Mensch ist, der grundsätzlich wertet, steuert und bestimmt, welche Abläufe wie beeinflußt werden. Er kann zwar die Naturgesetze nicht brechen, aber sie gezielt nutzen und damit bislang unbeeinflußte Abläufe verändern. Er kann sogar die Folgen von Umweltveränderungen/-zerstörungen beeinflussen, aber nicht abschaffen. Diese Fähigkeiten machen den Menschen zum bewußten Gestalter der Natur und als solches zu einer einmaligen Spezies auf der Erde. Er ist vielfach frei von natürlichen Zwängen, aber nicht von den Folgen seines Verhaltens. Beispiel: Kein Mensch unterliegt einem unbeherrschbaren Freß- oder Sexualtrieb. Wer aber nicht ißt, verhungert. Die Folgen sind nicht aufhebbar. Der Mensch lebt nicht getrennt von der Natur.
(4) Der Mensch ist im beschriebenen Sinne eine unbestimmte Person. Tatsächlich liegen große Unterschiede vor, wer in welchem Maße Natur verändern und die Folgen auch auf andere abwälzen kann. Insofern stimmt das gezeigte Bild nur für die Gesamtheit der Menschen, nicht aber für den Einzelnen, da viele kraft bestehender Herrschaftsstrukturen definieren können, daß andere die Folgen ihres Handelns zu tragen haben.
(6) Machtstrukturen in der Gesellschaft, also nicht zwischen Mensch und Natur, führen also zu der Situation, daß einzelne Menschen aufgrund vorhandener Herrschaftsstrukturen in die Umwelt eingreifen können, ohne auf die Folgen Rücksicht nehmen zu müssen. Umweltzerstörung, die immer auch eine Zerstörung der Lebensgrundlagen von Menschen ist, geschieht nur im Rahmen von Machtstrukturen, von herrschaftso- rientieren Systemen wie dem Kapitalismus, dem Staatskapitalismus oder Diktaturen, weil die Menschen nur hier gegen ihr Interesse handeln, sich in einer lebenswerten Umwelt und auf deren Grundlage entfalten frei zu können. {Ein Beispiel für Staatskapitalismus ist der sogenannte "real existierende Sozialismus" im früheren Ostblock. Der Staat trat im weltweiten Markt wie eine Firma auf.}
(7) Umweltschutz muß daher eine Auseinandersetzung mit den Herrschaftsstrukturen und gesellschaftlichen Reproduktionslogiken sein. Ziel muß erstens sein, Macht abzuschaffen, um Freiheit zu erringen, in der die Menschen wieder die Gestaltungskraft über die Umwelt besitzen, ohne daß sie die Folgen auf andere abwälzen. Zweitens müssen die Rahmenbedingungen, die Menschen dazu bringen, selbst immer wieder ihre eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören, und die ihnen gleichzeitig den Zugang zu ihren eigenen Lebensgrundlagen verwehren, überwunden werden. Nur dann werden Menschen frei sein, ohne Zerstörung der Umwelt sich selbst zu entfalten. Sogar weitergehend: Sie brauchen die Umwelt als Lebensgrundlage zu ihrer Entfaltung. Umweltzerstörung würde sich dann gegen sie selbst richten, Umweltschutz sie selbst fördern.
(8) "Umweltschutz ist eine Frage der Ressourceneffizienz" - so oder ähnlich lauten die Grundsätze der Expo 2000 in Bezug auf die Sicherung der Lebensgrundlagen. Damit wird Umweltschutz zum Teil kapitalistischer Wirtschaft, denn Ressourceneffizienz wird nach Expo-Darstellung vor allem durch technischen Fortschritt erreicht. Im Mittelpunkt steht der Umgang mit Rohstoffen. Mit ihnen so umzugehen, daß sie länger bzw. möglichst auf Dauer halten, soll die Umwelt retten, aber ebenso ein nachhaltiges Wirtschaften, d.h. auch die dauerhafte Existenz des ausbeutenden Kapitalismus und der Profitsteigerung absichern. {Die wörtliche Übersetzung von "sustainable" ist nicht "nachhaltig", sondern "dauerhaft, aushaltbar"} Fragen der Mit- und Selbstbestimmung spielen keine Rolle, z.B. die Frage von Landnutzung und Landlosigkeit, Subsistenzwirtschaft, Existenzsicherung usw. Gleichzeitig werden wichtige Bereiche des Umweltschutzes durch diese Betrachtung gänzlich ausgeblendet, u.a. die Nutzung des Landes und der Arten- und Biotopschutz.
(9) Die Reduzierung des Umweltschutzes auf die Ressourceneffizienz verfestigt und steigert die bestehenden Machtverhältnisse: Die Technik ist die Retterin, während der Mensch eher als Täter, d.h. Schuldiger dargestellt wird - vor allem durch die Konstruktion einer "Überbevölkerung". Somit werden diejenigen, die über die High-Tech verfügen, zu den RetterInnen. Industrienationen und Konzerne sichern mit der Formel "Technischer Fortschritt = Ressourceneffizienz = Umweltschutz" ihre Herrschaft ab. {Quelle: Aussagen der Expo, gesammelt in der Studie "Expo No" (Bergstedt, 2000d) unter www.projektwerkstatt.de/download/studie.pdf downloadbar}
(10) "Umweltschutz wird zum Erlebnis" - mit diesem Titel der Expo-Umweltbroschüre geht die Expo noch einen Schritt weiter. Sie definiert Umweltschutz nicht nur als einen Gegenstand technischer Entwicklung, sondern degradiert die Menschen zu KonsumentInnen. Diese können erleben, wie technischer Fortschritt die Umwelt schützt. Ihnen sind nicht nur die Entscheidungsrechte genommen, sondern sie sind ganz gezielt zu ZuschauerInnen des gesellschaftlichen Lebens geworden. Umweltschutz ist kein politischer Prozeß mehr, sondern ein technisches Ereignis, dem die fehlbaren Menschen staunend folgen dürfen. {Quelle: Broschüre "Umweltschutz wird zum Erlebnis" der Expo 2000 GmbH}
(11) "Umweltzerstörung ist eine Frage des bevölkerungswachstums" - auf diese Art schafft sich die Expo ihre Legitimation für das Zukunftsbild, in dem die Technik im Mittelpunkt steht. Nicht das kapitalistische Wirtschaftssystem, der so organisierte Hunger nach immer mehr Rohstoffen, Land, Luxus usw., sondern die Menschen sind die Schuldigen. Ihre anwachsende Zahl, ihr Bedarf nach Nahrung und Energie sind die Quelle der Umweltzerstörung. Die Technik bietet sich als Retterin an - sie schützt die Natur vor den Menschen und letztlich auch die Menschen vor sich selbst. Hinter der Technik stehen die Konzerne und Industrienationen sowie auch im kleinen gesellschaftlichen Rahmen diejenigen, die Herrschaft ausüben. Sie sind die Hauptverursacher der Umweltzerstörung - und ebenso von Ausbeutung, Kriegen, Vertreibung, Diskriminierung usw. Mit ihrer Konstruktion des Problems "Mensch" und der Retterin "Technik" vertauschen sie die Opfer-TäterInnen-Rolle komplett. Die Böcke schlagen sich selbst zum Gärtner vor. {Quellen: Aussagen der Expo, gesammelt in der Studie "Expo No" (s.o.) und im Film "Alles im Griff", 4. Projekt ... (1998)}
(12) "Umweltschutz fängt im Kleinen an" - diese alte Ideologie suggeriert, daß es vor allem Aufgabe der Menschen und speziell derjenigen in den Privathaushalten ist, die Umwelt zu schützen. Auch dahinter steht ein Herrschaftsinteresse. Die Aufforderungen zur Mülltrennung oder zum Verzicht aufs Blumenpflücken verschleieren die zentrale Verantwortlichkeit des herrschenden Wirtschaftssystem für die Ausbeutung von Mensch und Natur. Das gilt z.B. auch für die aktuellen Kampagnen zum Stromwechsel, wenn diese nicht mit der Machtfrage, d.h. der Verfügungsgewalt an der Energieerzeugung, verbunden werden. {Quelle: Aussagen der Expo im Film "Alles im Griff" (s.o.)}
(13) {Ökonomie und Ökologie werden hier nicht als beschreibend-wissenschaftliche Begriffe, sondern im Sinne von Symbolbegriffen für ein an ökonomischer Verwertung ausgerichtetes Handeln bzw. für Umweltschutz benutzt.} Die Expo 2000 vertritt eine gesteigerte Form der ohnehin in den 90er Jahren zum prägenden Ökokonzept gewordenen Auffassung, daß sich ökonomische und ökologische Ziele verbinden lassen, ja diese Verbindung die einzige Chance auf einen Schutz der Lebensgrundlagen bietet. Aus dieser Auffassung sind die mit ökonomischen Wirkungsmechanismen arbeitenden Umweltschutzstrategien wie die Ökosteuer, das Öko-Audit oder die Selbstverpflichtungen der Konzerne und Regierungen entstanden. Inzwischen, nach ca. 10 Jahren intensiver Debatte und Werbung für die Konzerne als wichtigste Umsetzerinnen des Umweltschutzes, gibt es nur noch kleine Teile der Umweltbewegung, die Lösungen gegen die Zerstörung der Umwelt außerhalb der marktwirtschaftlichen Verwertungslogik suchen. Die überwältigende Mehrheit, und mit ihnen auch die Expo 2000, halten Umweltschutz für einen Teil betriebswirtschaftlicher Überlegungen. Umweltschutz wird dabei vor allem auf eine effizientere Nutzung von Rohstoffen reduziert. Dieses wiederum sei vor allem mit Hochtechnologien zu erreichen, weshalb die Konzerne und die Industrieländer sich selbst als Heilsbringer in Sachen Umweltschutzfortschritt präsentieren. Viele Umweltschutzorganisationen unterstützen diese Sichtweise, indem sie mit dem Konzernen und z.B. internationalen Kapitalismusinstitutionen wie der Weltbank kooperieren, um ausgerechnet diese als Ausgangspunkt von Umweltschutz einsetzen zu wollen. Die Böcke werden damit zu den Gärtnern - ihre Macht bleibt erhalten.
(14) Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber schnell, daß Verwertung, Profit und das Mittel Marktwirtschaft mit Umweltschutz grundsätzlich nicht vereinbar sind. Profitorientierter Umweltschutz ist nur möglich, wenn die Ökologie reduziert wird auf ihre Funktion als Wirtschaftsfaktor. Rohstoffe sind Produktionsmittel, eine "nachhaltige Nutzung" verspricht längeren Profit als die Ausbeutung zu einem schnellen Ende. Wenn ein Rohstoff doppelt so lange hält, bietet er die Grundlage für deutlich längere Profit- und Ausbeutungszeiten sowie mehr Sicherheit, daß in der Zeit entweder moderne Verfahren zur Ausbeutung weniger optimaler Quellen oder Ersatzstoffe gefunden werden. Insofern beinhaltet auch das Konzept der Nachhaltigkeit nichts anderes als ein profitorientiertes Ziel. Der Schutz der Umwelt soll zum Zwecke der längeren Ausbeutung erfolgen. Dem stehen sogar schon die geltenden Umweltschutzbestimmungen entgegen. Im Naturschutzgesetz wird der Schutz der Natur als Lebensgrundlage des Menschen oder um ihrer selbst willen eingefordert. Wirtschaftlicher Nutzen dagegen ist nicht als grundlegendes, sondern höchstens als zusätzliches Teilziel formuliert. Dabei ist der freie und gleichberechtigte Zugriff aller Menschen auf die Umwelt die Voraussetzung dafür, daß die Umwelt als Lebensgrundlage der Menschen dienen kann. Eine Demokratisierung des Flächen- und Rohstoffverbrauchs stände ökonomischen Zielen (Profit, Kapitalanhäufung, Marktdominanz usw.) aber grundlegend entgegen. Ökonomische Orientierung und ökologische Ziele sind daher unvereinbar, denn Profitorientierung steht dem Zugriff der Menschen auf "ihre" Lebensgrundlagen entgegen. Wer mit marktwirtschaftlichen Mitteln die Umwelt schützen will, degradiert die Umwelt zum Produktionsfaktor für den Profit. Das genau aber hat die Zerstörung der Umwelt im wesentlichen verursacht. Ökosteuern, Öko-Audit usw., d.h. die Vermarktwirtschaftlichung des Umweltschutzes (Ökoneoliberalismus) ist wie das Löschen eines Feuers mit Öl - zudem verbunden mit dem Vorschlag, die BrandstifterInnen als Chefetage beim Löschen vorzuschlagen.
(15) Zitat Vandana Shiva in der "taz" vom 21.3.1993, S. 11:
"Im Umweltschutz von oben treten technologische Mittel und Marktintervention an die Stelle wesentlicher ökologischer Prozesse und der Macht des Volkes. {"Volk" muß hier im Sinne von "Menschen" verstanden werden.} Sowohl die Beteiligung der Menschen als auch die ökologische Regeneration werden im wesentlichen ausgeschaltet, aber rhetorisch beschworen. Das Ergebnis ist häufig eine Verschärfung der ökologischen Krise und eine weitere Zuspitzung der sozio-ökonomischen Ungleichheiten."
(16) Natur und Technik unterscheiden sich in einem grundlegenden Punkt, der meist übersehen wird. Die Natur kann zwar auch bedrohlich und zerstörend sein für das individuelle Leben, aber sie ist als Basis des Lebens immer da - eine gesicherte Existenzgrundlage. Technik dagegen steht nicht von sich aus allen offen. Sie wird gemacht, verteilt, verkauft usw. Vor allem die Groß- und Hochtechnologie ist von Beginn an nicht gleichberechtigt verfügbar, sondern in der Hand einzelner Konzerne oder Nationen. Sie wird gezielt zur Schaffung von Abhängigkeitsverhältnissen eingesetzt. Natur muß gewaltsam angeeignet werden, um als Herrschaftsmittel dienen zu können. Eine solche Betrachtung bedeutet keine generelle Technikkritik, sie soll jedoch zeigen, daß Emanzipation nicht allein ein technischer Prozeß sein kann, da Technik nicht frei von Herrschafts- und Verteilungsfragen, d.h. "neutral" sein kann. Dennoch - oder besser: deshalb - ist auch heute schon die Forderung nach umfassender Demokratisierung und Selbstbestimmung auch in jeder einzelnen Technikentwicklung und -anwendung richtig.
(17) Eine durchgreifende Emanzipation schließt den Zugang jedes Menschen zu den Ressourcen der Natur, d.h. zu den Lebensgrundlagen ein. Subsistenz bedeutet die Fähigkeit des Menschen, aus eigener Kraft zu überleben und gut zu leben. Sie muß möglich sein als Existenzsicherung und als unumstößliche Sicherheit, die den Menschen unverkäuflich macht, die ihn gesellschaftliche Bindungen bis hin zum Verkauf seiner Arbeits- und/oder Denkkraft aus freien Stücken wählen läßt. Sie läßt ihn ebenso frei entscheiden, an einer zukünftigen, freien Gesellschaft teilzunehmen, die aus der Selbstentfaltung der Menschen den Reichtum schafft, der allen Menschen auch die materielle Absicherung garantiert. {Subsistenz kann in individuelle S. (Möglichkeit zum guten Leben aus eigener Kraft) und gesellschaftliche S. (Möglichkeit zum guten Leben durch gemeinsam geschaffene Möglichkeiten) unterschieden werden.} "Freie Menschen in freien Vereinbarungen" sind nur dann möglich. Denn frei sind nur die Menschen, die eine Alternative haben zur eigenen Verwertung durch andere. Daraus folgt die enge Verbindung von Emanzipation und Umweltschutz. In einer zerstörten Umwelt können Menschen nicht unabhängig existieren. Der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen ist eine der notwendigen Voraussetzungen einer Vision von "Freien Menschen in freien Vereinbarungen".
(18) Die Behauptung, Menschen müssen von oben zu einem umweltverträglichen Verhalten gebracht werden, ist falsch. Die dabei vorgeschlagenen Mittel reichen von repressiven Methoden wie schärferen Gesetzen oder dem Einsatz von Militär und Polizei bis zu unauffälligeren Mitteln der Vorgabe von Lerninhalten und öffentlichen Appellen. Doch all das geht von einem falschen Menschenbild aus, nämlich dem Bild eines begriffsstutzigen, egoistischen und rücksichtslosen Wesens, das gezähmt und auf den richtigen Weg gebracht werden muß. Übersehen wird dabei erstaunlicherweise schon, daß auch dort, wo über Gesetze oder Bildungsinhalte als "Erziehung zum Guten" entschieden wird, Menschen sitzen, also genau dieselben "rücksichtslosen" Menschen. Da bliebe als Hilfsargument nur, sie als erkenntnisreichere Eliten zu begreifen, die z.B. die Erfordernisse des Umweltschutzes bereits begriffen haben. Doch auch das läßt sich schon allein an der Realität widerlegen, da bisher vor allem die gesellschaftlichen Eliten sowohl gegenüber anderen Menschen wie auch gegenüber der Natur ausbeutend und rücksichtslos vorgegangen sind.
(19) Grundlegender ist ein jedoch anderer Widerspruch. Der Grund für den oft in der Tat rücksichtslosen Umgang der Menschen miteinander und mit ihrer Umwelt ist eine Folge der Machtstrukturen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Durch die klaren Rollenverteilungen, d.h. soziale Konstruktionen zwischen "Oben und Unten", zwischen Geschlechtern, Altersgruppen, Nationalitäten usw. gibt es für den/die EinzelneN nur begrenzte Möglichkeiten, tatsächliche Veränderungen außerhalb seiner Rolle zu erreichen. Gleichzeitig kann er/sie die Machtstrukturen für sich nutzen und die Folgen des eigenen Handelns auf andere abwälzen. Dieses Geflecht von Macht und Ohnmacht erscheint in sich derart stabil, daß es nicht mehr hinterfragt wird. Und so leitet sich die Annahme ab, daß umweltzerstörendes Verhalten nur durch repressive Mittel, finanzielle Anreize, Bildung oder Appelle zu beheben sei.
(20) Tatsächlich spricht vieles für eine andere Bewertung: Der Umgang vieler Menschen untereinander und mit der Umwelt ist Folge einer ständigen Erfahrung. Die Menschen haben registriert, daß ihr Engagement keine Relevanz hat für das gesellschaftliche Geschehen. Sie können ihre gesellschaftliche Rolle nicht sprengen. Oder platt: Wer jahrelang eifrig den Müll sortiert hat als von den Regierenden und Konzernen zugeteilte Aufgabe bei der Rettung der Umwelt, verliert angesichts der Müllskandale, des leichtfertigen Umgangs mit Atom- und chemischen Müll usw. irgendwann einmal den Glauben an das eigene Tun - zu Recht. Statt neuer Appelle oder stärkerer Repression bzw. finanzieller Anreize, um das nachlassende Umweltengagement wieder zu verstärken, muß das Prinzip grundlegend geändert werden. Die Menschen müssen wieder tatsächlich ihre Umwelt gestalten können, selbstbestimmt und in freier Vereinbarung mit den anderen Menschen. Dann wächst auch das Interesse an einer lebenswerten Umwelt - und es scheidet die Möglichkeit aus, mit dem eigenen Verhalten sorglos die Umwelt anderer Menschen beeinträchtigen zu können, denn diese wollen fortan auch selbstbestimmt entscheiden.
(21) In einer Welt der freien Menschen in freien Vereinbarungen wird der Umgang und die Gestaltung des Lebensumfeldes zu einer Sache, die den Menschen obliegen muß. {Naturschutz} Alle müssen dabei gleichberechtigt sein, d.h. über die gleichen Mitbestimmungsrechte und Möglichkeiten verfügen.
(22) Flächen und Rohstoffe gehören allen Menschen. In freien Vereinbarungen wird festgelegt, welche Flächen wie genutzt, gestaltet oder sich selbst überlassen werden. Naturschutzziele werden von Menschen formuliert und in diese Diskussion eingebracht.
"Nicht Firmen, GrundeigentümerInnen und Regierungen bestimmen über die Nutzung der Umweltgüter, sondern die Menschen selbst. Der Flächen- und Rohstoffverbrauch muß zur Entscheidungssache auf unterster Ebene werden, die Gewinnung, Verarbeitung und der Handel mit ihnen ist Sache der Menschen selbst, nicht höherer Institutionen, Regierungen oder des 'Marktes' mit seinen Institutionen. Die Utopie einer emanzipatorischen Gesellschaft muß auf dieser Grundlage des selbstbestimmten Umgangs der Menschen mit ihrer Natur aufbauen." (Bergstedt 1999d)
(23) Niemand kann vorhersehen, was alles geschehen wird, wenn die Menschen den Zugriff auf ihre Lebensbedingungen, auf ihre "Umwelt" haben. Die Hoffnung aber besteht, daß dann, wenn kein Mensch die Folgen seines Handelns ungefragt auf andere abwälzen kann, niemand ein Interesse daran hat, Umweltgüter so auszubeuten, daß die eigenen Lebensgrundlagen in Frage gestellt werden. Da Machtmittel fehlen, Vergiftungen, Müllberge, radioaktive Verstrahlung usw. auf andere abzuwälzen, die Reste der Naturausbeutung bei anderen zu lagern oder LohnarbeiterInnen den Gefahren auszusetzen, die Anderen Profite bringen, wird der Umgang mit der Natur in jedem Einzelfall zu einer bewußten Auseinandersetzung zwischen Individuum und seiner Umwelt. Gleiches gilt zwischen den Menschen, die zusammen leben oder Vereinbarungen schließen, und ihrer gemeinsamen Umwelt.
(24) Das freie Verhältnis von Mensch und Natur schafft die Chance eines kreativen und bewußten Umgangs. Techniken zur Nutzung von Natur werden aus den Möglichkeiten der Menschen heraus entwickelt und dienen dazu, intelligent die Möglichkeiten der Natur nutzen. Alle Menschen haben nur die eine, nämlich "ihre Umwelt". Sie zu nutzen, die Flächen und Rohstoffe geschickt so einzusetzen, daß es ein besseres Leben ergibt, wird das Ziel vieler, wenn nicht aller Menschen sein. Dabei aber die Potentiale der Natur nicht zu zerstören, sondern zu erhalten bzw. gar zu entwickeln, liegt im unmittelbaren Interesse der Menschen. Darauf beruht die Hoffnung, in einer Welt der freien Menschen in freien Vereinbarungen auch das Verhältnis zur Natur von der Profitmaximierung hin zu einem auf ein besseres Leben ausgerichteten Behutsamkeit zu entwickeln.
(25) Heute grenzt es schon fast an die Grenzen des Utopisch-Hoffbaren, die Natur als Lebensgrundlage wenigstens nicht noch mehr zu zerstören, sondern so viel wie möglich von ihr zu erhalten. Deshalb setzen sich unter Umweltbewegten auch immer wieder Gedanken durch, die einen statischen Zustand als Idylle einer Einheit von Mensch und Natur wünschen und anstreben. Wer, wie Rudolf Bahro und viele Feministinnen, davon ausgeht, die Natur verharre in "ursprünglichen Zyklen und Rhythmen" (Bahro, S. 319), dem bleibt wirklich nur eine Rückkehr zu traditionellen Lebensformen. Diese Ökokonzepte sind geprägt von Technikfeindlichkeit, Mystifizierung der schweren Arbeit und der Idyllisierung einer "harmonischen Einheit mit der Natur", die es aufgrund der klimatischen Verhältnisse zumindest in Mitteleuropa nie für längere Zeit gab. Die antiemanzipatorische "Rückbindung" an diese scheinbar statischen Zyklen soll dann mittels "erhebender" Spiritualität erträglich oder gar wünschenswert gemacht werden. Solche naturstatischen, emanzipationsfeindlichen Ökokonzepte geraten inhaltlich leicht in die Nähe zu "Rechter Ökologie" (Geden). Die Kritik an solchen Konzepten braucht sich aber gar nicht nur auf ihre politischen Konsequenzen beziehen, sondern auch inhaltlich sind sie einfach falsch. Denn die Natur ist nicht statisch, sie ist "kein Vorbei", wie es Ernst Bloch kennzeichnet (Bloch, S. 807, siehe auch: Schlemm 1996ff.). Sie entwickelt sich selbst ständig weiter - unter anderem und sogar wesentlich über die Entwicklung vernünftiger Naturwesen, der Menschen.
(26) Wie alle Visionen ist die Vision einer gemeinsamen Fortentwicklung von Mensch und Natur noch nicht genau ausmalbar. In ihrem Zentrum steht auf jeden Fall die Entwicklung der menschlichen Natur selbst. Aber auch die schöpferischen Potenzen der Natur, ihre vielfältigen Kräfte und Zusammenhänge stehen uns weiterhin zur Verfügung. Naturgesetze beschreiben keine Verbote, sondern Möglichkeiten. Der berühmte Ausspruch von Francis Bacon: "Wissen ist Macht" bezieht sich nicht auf unterdrückende Beherrschung, sondern die Ermöglichung neuer Naturzustände ("zweite Natur"), die unser Leben bereichern und der Natur selbst die Tür zu neuen Möglichkeiten öffnet. "Allianztechnik" nennt Bloch jene Mittel, mit denen die befreiten, sich frei vereinenden Menschen sich nun auch neu mit den natürlichen Möglichkeiten verbinden. {Siehe auch im kapitel 2.1, Punkt C. zur "Menschen-Epoche".}
"An Stelle des Technikers als bloßen Überlisters oder Ausbeuters steht konkret das gesellschaftlich mit sich selbst vermittelte Subjekt, das sich mit dem Problem des Natursubjekts wachsend vermittelt." (Bloch, S. 787)
(27) Es wird selbstverständlich eine andere Art Wissenschaft und Technik sein, die diese Menschen entwickeln, meilenweit von der beherrschenden, überlistenden, raubenden Aneignung natürlicher Ressourcen durch bürgerlich-kapitalistischen Zugriff entfernt. Da wir immer zuerst an die Kritik dieser Formen denken, fällt es uns schwer, eine Vision einer anderen Wissenschaft und Technik zu entwickeln. Bloch kennzeichnet sie mit folgenden Worten:
(28) Einen aktueller, wenig beachteter Hinweis wurde im Buch "Wachstum der Grenzen" (Bloch/ Maier 1984) gegeben, wo "Technologien, die sich auf Symbiose selbstorganisierender Systeme stützen" (S. 37) skizziert werden. Während sich die Gesellschaft und die Natur nicht mechanizistisch verhalten, sondern sich-selbst-organisierend - vermittelt zwischen ihnen derzeit eine eher mechanizistische Technik. Eine qualitative Einheit gelingt erst, wenn auch sie den Charakter von Selbstorganisation erhält.
(29) In ihrer konkreten Form werden wir sie - solange wir die neue Gesellschaft noch nicht haben - auch nicht vollständig entwickeln können. Bloch selbst griff bei seinen Hoffnungen auch daneben, denn er pries die Atomtechnik als nicht-mechanische, nicht-euklidisch wirkende neue Technikform. Aber Wesenszüge einer vertretbaren Allianztechnik, mögliche Keimformen und alles, was heute doch schon möglich ist, sollten wir nicht versäumen zu entwickeln. Als utopische Vision können wir uns vielleicht den bekannten "Replikator" aus den StarTrek-Folgen vorstellen. Eher unsichtbar, aber effektiv und produktiv stellt eine auf Modularität beruhende vernetzte und integrierte Produktionstechnologie die jeweils benötigten Dinge her. Begriffe wie "individuelle Massenpodukte", "wandlungsfähige Produkte" und ähnliches gehören heute schon zum Standardwerkzeug der Konstrukteure und Technologen. Viele politisch engagierte Menschen übersehen diese "graue Produktionsalltagswelt" nur allzugern und wissen deshalb nichts über faszinierende Entwicklungen in diesem Bereich, die unabdingbar für eine umfassende Vision einer neuen Gesellschaft sind. Als Kriterium für unsere Vision ist jedoch nicht nur die Bequemlichkeit der Produktionsweise mit den Replikatoren wichtig, sondern, ob statt "Beherrschung" der Natur eine "Vermittlung der Natur mit dem menschlichen Willen" (Bloch) vorliegt.
"Technik als Entbindung und Vermittlung der im Schoß der Natur schlummernden Schöpfungen, das gehört zum Konkretesten an konkreter Utopie." (Bloch, S. 813)Nur solch eine dynamische, nichtstatische Vorstellung kann Grundlage emanzipatorischer Öko-Politik sein.
(30) {Institutionalistiert bedeutet hier, daß sich die ökonomischen Systeme und Einrichtungen selbst erhalten - und Selbstzweck sind, d.h. von dem Wollen der Menschen entkoppelt sind. Beispiele: Markt, Behörden, Handelsorganisationen, aber auch Gewerkschaften, NGOs, Parteien.} Das Zielbild einer herrschaftsfreien Gesellschaft sieht die Menschen im Mittelpunkt. Alle Menschen sind frei und gleichberechtigt. Was zwischen ihnen bzw. zwischen den Organisationen und Gruppen, zu denen sich Menschen zusammenschließen, geschieht, erfolgt auf der Ebene freiwilliger Vereinbarungen. Die Existenz von Strukturen, die sich selbst erhalten, d.h. den Menschen kontinuierlich die Regelung ihres Zusammenlebens abnehmen, widerspricht dem Prinzip der Selbstbestimmung. Folglich gibt es auch keine ökonomischen Strukturen, die nicht von den Menschen selbst gewollt, getragen und organisiert werden - keinen Handel, kein Wirtschaftsministerium, keine Welthandelsorganisation und keine Bank, die nicht direkt aus dem Willen und der Vereinbarung der Menschen entspringen. Und auch kein Patentamt, keine Kontrollbehörde usw., deren einziges Ziel ist, vielen Menschen den Zugriff auf die Lebensmöglichkeiten zu entziehen.
(31) Eine herrschaftsfreie Gesellschaft ist nicht das Ende von Austausch, Handel und Zusammenarbeit von Menschen und ihren Zusammenschlüssen. Aber alle Institutionen und Organisationen verschwinden, die heute auch dann weiterexistieren, wenn es keine Menschen gibt, die sie wollen und tragen (außer denen, die mittels und wegen Lohnarbeit in den Organisationen ihr Leben fristen).
(32) Ökonomische Sicherheit erreichen die Menschen zunächst über die Fähigkeit und Möglichkeit zur individuellen Subsistenz. {Zur Unterscheidung zwischen individueller und gesellschaftlicher Subsistenz siehe im Glossar.} Sie bedeutet die Fähigkeit, sein Leben selbst zu organisieren. Das beinhaltet die Möglichkeit zur Befriedigung der Grundbedürfnisse (Nahrung, Wasser, je nach Wohnort ein Dach über dem Kopf und Heizung u.ä.) und zur Entwicklung der kulturellen Gemeinschaft zwischen Menschen. Aus der Sicherung über die individuelle Subsistenz kann die Entfaltung der Menschen in der freien Gesellschaft folgen, die dann die notwendigen Grundlagen für ein freies Leben schafft.
(33) Die Absicherung von Menschen kann vor Auflösung zentraler ökonomischer und staatlicher Strukturen über verschiedene Wege führen. Gefordert wird bereits die finanzielle Absicherung über eine Grundversorgung, d.h. ein staatlich gesichertes Gehalt. Dieses darf nicht an Bedingungen geknüpft sein, weil es sonst in gleicher Weise wie ein Arbeitsplatz zu konformen Verhaltensweisen führt, also nicht absichert, sondern kanalisiert. Sinnvoller, vor allem in Hinblick auf eine Weiterentwicklung in Richtung einer herrschaftsfreien Gesellschaft, wäre die Absicherung über materielle Werte, vor allem einen Anteil am Bodenbesitz, möglicherweise auch an anderen Kapitalwerten. Diese müssen unverkäuflich sind, damit nicht über Zwang, ökonomischen Druck u.ä. diese Sicherungen wieder entfallen bzw. bei wenigen zusammengeführt werden. Bei einer Absicherung über einen Anteil am Boden können die Menschen selbst entscheiden, ob sie diesen selbst bewirtschaften, anderweitig nutzen, aber verpachten (auf welcher Tauschbasis auch immer) oder mit anderen gemeinsam nutzen.
(34) In einer herrschaftsfreien Gesellschaft bildet der Boden die Basis der Freiheit und Absicherung. Alle Menschen müßten ab ihrer Geburt über eine solche materielle Absicherung verfügen und selbst entscheiden, ob sie ihre Basis in einen gemeinschaftlichen Zusammenhang einbringen, an andere verpachten oder selbst nutzen einschließlich der Entscheidung, sich der Gesellschaft völlig zu entziehen.
(35) Sinn dieser Absicherungen ist, den Menschen vom Zwang zu befreien, seine Arbeitskraft und Kreativität zu verkaufen, um überleben zu können. Subsistenz ist daher ein Gegenprogramm zur systematischen Zerstörung der eigenen Überlebensfähigkeit der Menschen und des daraus resultierenden Zwanges, sich dem Arbeitsmarkt, d.h. der Verwertung im Kapitalismus, hinzugeben. Je nach Zustand einer Gesellschaft sind unterschiedliche Maßnahmen nötig. In vielen sog. Entwicklungsländern eher die Verteidigung bzw. Wiederherstellung der Verfügung über das Land durch die dort lebenden Menschen, in den Industriestaaten dagegen eine völlige Neuorganisation von Eigentumsverhältnissen. Im Ergebnis sollten Boden und materielle Werte zu einem Teil der Subsistenzabsicherung und zum anderen der gemeinsamen Entscheidung über Nutzung und Gestaltung zugeführt werden, um sowohl individuelle Rechte wie auch gemeinschaftliche Entwicklungsprozesse, z.B. der Festlegung von Naturschutzflächen, naturnaher Nutzung usw., zu gewährleisten.
(36) Als Weiterentwicklung entsteht auf Basis der Selbstentfaltung der freien Menschen in der Gesellschaft eine gesellschaftliche Subsistenz, d.h. ein Reichtum an materiellen und kreativen Mitteln für ein gutes Leben aller Menschen.
(37) Die folgenden Konzepte stellen Lösungen dar, die innerhalb der bestehenden Verhältnisse umsetzbar sind, diese aber gleichzeitig Stück für Stück verändern und sich damit den Visionen annähern. Sie können über Protest, Mitbestimmungsprozesse oder auch parlamentarisch umgesetzt werden - gegen Letzteres spricht aber, daß Herrschaftsebenen bei allen Vorschlägen eigene Macht an die Menschen abgeben müßten. Und das werden sie freiwillig nicht tun.
(38) Das zentrale Konzept für eine politische Reform in Richtung eines emanzipatorischen Umweltschutzes wäre die Demokratisierung des Flächen- und Rohstoffverbrauches. Danach werden überall, d.h. weltweit, Beteiligungsstandards bei der Vergabe bzw. Verplanung von Flächen sowie bei der Nutzung von Rohstoffen geschaffen und kontinuierlich ausgebaut. Vorläufiges Ziel ist, die Nutzung von Rohstoffen von der Zustimmung der jeweils betroffenen Menschen abhängig zu machen. Dies sind nicht Staaten, Provinzregierungen oder irgendwelche Institutionen, sondern die Menschen selbst. Die Qualität solcher Regelungen wird sehr stark daran festzumachen sein, wieweit der individuelle und der Minderheitenschutz gewährleistet wird - z.B. daß etwas, was alle grundlegend, d.h. in der Sicherung ihrer Grundbedürfnisse betrifft, auch von allen getragen werden muß.
(39) Ein solches Konzept ist eine Reform, denn es stellt Machtstrukturen und soziale Konstruktionen nicht als solches in Frage, sondern steigert die Zugriffsrechte der Menschen bezogen auf den Faktor Umwelt. Damit ist es aber immerhin ein Schritt zu einer Gesellschaft "von unten" - und somit als Konzept akzeptabel.
(40) Die Umsetzung der Demokratisierung des Flächen- und Rohstoffverbrauchs könnte auf den Flächen erfolgen, die dem Staat bzw. den Gemeinden gehören. Per verbindlichem und dauerhaftem Beschluß übergeben die Gemeinden ihre Flächen einem demokratischen Prozeß, d.h. die Versammlung der jeweils dort lebenden Menschen (Dorf, Ortsteil u. ä.) entscheidet über die Gestaltung und Nutzung. Das könnte auf die Flächennutzungsplanung ausgedehnt werden und dann auch Bereiche einschließen, die im Privateigentum liegen.
(41) Naturschutz-Positionen werden in solche Entscheidungsprozesse "von unten" eingebracht, d.h. durch Menschen, die sie vertreten. Konkrete Personen stellen sie gegenüber den anderen, gleichberechtigten Menschen vor - eine Einigung erfolgt in freier Vereinbarung. Naturschutz setzt sich so immer über einen Überzeugungs- und Mitbestimmungsprozeß um, nicht über Obrigkeit und ihre Mittel. Beispiele:
(42) Je direkter wirtschaftliche Kontakte organisiert werden, desto einfacher wird es möglich, daß die beteiligten Menschen diese selbst verwalten. Daher sind kleinräumige Strukturen des Wirtschaftens und Handels kleine Schritte in Richtung des Abbaus ökonomischer Hierarchien. Solche dezentralen Ökonomien sind u.a. Tauschen und direkte Ökonomie, Direktvermarktung und gemeinsames Eigentum. {Weitere Ausführungen zur direkten Ökonomie im Kapitel 3.1, Punkt C. unter Konzepte.}
(43) Jeder Schritt gesellschaftlicher Machtverlagerung nach unten sowie verbesserter Beteiligungsrechte für die BürgerInnen bedeutet einen Fortschritt hin zur Herrschaftsfreiheit. Zur Zeit bietet sich aber nur ein geringer legaler Rahmen für solche Veränderungen. Kreativität kann aber fehlende Regelungen ersetzen, um Bereiche zu schaffen, in denen Prozesse "von unten" zur Geltung kommen. Beispiele:
(44) Verbesserungen der Beteiligungsrechte für alle Menschen einschließlich des vollen Akteneinsichtsrechts werden auch die Mitwirkungsmöglichkeiten bei ökonomischen Entscheidungen stärken, vor allem bei der Gewerbeansiedlung und Flächennutzung. Zudem stellt die direkte Demokratie die Mittel bereit, per BürgerInnen- oder Volksentscheid weitergehende Veränderungen durchzusetzen, wenn die PolitikerInnen diese verweigern. Daher ist sie sowohl Teilschritt wie auch Mittel zur Durchsetzung der Herrschaftsfreiheit.
(45) Die aktuell vorliegenden Konzepte zur direkten Demokratie, vor allem aus Kreisen der Organisation "Mehr Demokratie e. V.", bergen zu viele Mängel und integrieren bestehende Ungleichheiten in die eigenen Vorschläge. Daher sind sie als Konzept für einen Schritt hin zu einer emanzipatorischen Gesellschaft ungeeignet. So sollen nur die bisher Wahlberechtigten abstimmen, was Ungleichheiten zementiert. Viele Fragen sollen ausgeschlossen oder auf eingeschränkte Ja/Nein-Entscheidungen reduziert werden. Die Abstimmungen stellen sich als Korrektiv zum Parlament dar statt als eigenständiger, die Parlamente Stück für Stück entmachtende Politikstruktur. {Informationen zu den Vorschlägen von 'Mehr Demokratie siehe unter http://www.mehr-demokratie.de}
(46) Eine eigenständige Diskussions- und Entscheidungsebene kann aber über Abstimmungen aufgebaut werden. Besonders wichtig sind:
(47) Bereits seit den 70er Jahren entwickelten sich alternative Wissenschafts- und Technikansätze. Derzeit geraten sie immer mehr in den Sog rot-grüner Politikberatung. Dies macht den Platz frei, noch einmal Anlauf zu nehmen. Ohne gescheite Wissenschaft und Technik können wir keine emanzipatorische Vision verwirklichen. Das Internet ermöglicht die Bildung einer communityalternativer DenkerInnen und WissenschaftlerInnen, genauso wie sich einst durch den Buchdruck die Wissenschaft von den Klösterbibliotheken emanzipieren konnten. {Ein Beispiel für eine solche Förderung wären kleine, hocheffiziente Windanlagen, die auf dörflicher Ebene oder gar auf Hausdächern funktionieren.}
(48) Wichtig ist ein Wandel in der Förderung von Forschung hin zu dezentralen, die Selbstorganisation stärkenden Techniken, d.h. solchen Techniken, die in mitbestimmungsorientierten Prozesse angewendet werden können. Diese müssen im örtlichen maßstab finanzierbar und unabhängig von ständiger Betreuung durch High-Tech-Konzerne sein.
(49) Der konkrete Naturschutz (Arten-, Biotop-, Landschaftsschutz) ist Basisarbeit und findet vor Ort statt. Naturschutz von unten muß also auch alle wichtigen Entscheidungen ohne übergeordnete Stellen fällen können. Eine elementare Voraussetzung für eine Demokratisierung des Naturschutzes ist die Einrichtung von BürgerInnenversammlungen, Naturschutzstationen, Naturschutz-AGs oder regionalen Umweltzentren. Alle Einrichtungen sollten für alle BürgerInnen offen sein und aus ihnen selber entstehen, also nicht von oben eingesetzt oder vorgeschrieben werden. Besonders geeignet erscheinen aus den bisherigen Erfahrungen die Naturschutzstationen oder Ökologischen Stationen, weil sie einen festen Ansprechpartner in Sachen Naturschutz, an den sich die Bevölkerung wenden kann, darstellen. Die Naturschutzstation bietet Hilfen, Informationen und Arbeitsmöglichkeiten für Fragen und Probleme der Menschen sowie offene Räume für Diskussionen und Projektarbeit. Sie hat gleichzeitig die finanzielle und organisatorische Ausstattung, sich wirksam für die Belange des Naturschutzes einzusetzen, Projekte zu initiieren und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Die Naturschutzstationen haben ihr Ziel im Namen verankert und sind "parteiisch" für die Umwelt, jedoch ohne eine formale Macht, von oben und ohne die Zustimmung der Menschen handeln zu können. Andererseits sind sie eine zuverlässige Stimme des Umweltschutzes, denn sie können weder abgewählt noch abgesetzt werden. Sollten also bestimmte Naturschutzvorhaben gerade nicht durchsetzbar sein, wird die Naturschutzstation noch mehr Menschen davon überzeugen müssen. Ihr Erfolg hängt direkt damit zusammen, wie sie Menschen überzeugen kann, denn diese entscheiden.
(50) Der nächste Schritt sollte die Übergabe von staatlichen Kompetenzen sein. Hier könnte der Anfang mit dem Vertragsnaturschutz gemacht werden, der schon jetzt in einigen Biologischen Stationen angewendet wird.
(51) Anzustreben wäre aber auch, daß Kompetenzen für die Festlegung von Schutzgebieten, Planungen oder der Mittelvergabe vor Ort geregelt werden. Hierzu wären Gesetzesänderungen nötig. Die Auflösung von Verwaltungsstrukturen ist auf Dauer eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, daß Naturschutz von unten wachsen kann.
(52) Die Serviceleistungen bisheriger Naturschutzverwaltungen wie z.B. Erfassung von Daten über Tier- und Pflanzenarten oder die Betreuung von Naturschutzflächen wird von Naturschutzstationen übernommen. Überregionale Anliegen könnten von einzelnen Stationen übernommen werden (z.B. übernimmt eine Naturschutzstation, die in einer Region mit einem hohen Wiesenvogelanteil liegt, die Koordination zum Wiesenvogelschutz). Eine direkte Umwandlung der Naturschutzverwaltung in die regionalen Strukturen (Stationen, Beauftragte) wäre nicht sinnvoll, da die bestehenden Feindschaften personell und funktional weiter bestehen würden und kein echter Neuanfang möglich wäre.
(53) Ziel ist die Demokratisierung in allen Bereichen. Neben den Naturschutzbereichen sollten auf Dauer alle den Landschaftsverbrauch betreffenden Entscheidungen (Straßenbau, Kiesabbau, Siedlungsbau usw.) vor Ort und von allen Menschen gleichberechtigt gefällt werden. Dies würde den Naturschutz aufwerten, weil er nicht mehr übergeordneten Planungen unterzuordnen wäre, sondern dem Votum der Menschen unterliegt - das würde auch für alle andere Vorhaben gelten. Sicher wäre es schwieriger, Großprojekte wie Autobahnen oder Transrapid durchzusetzen. Dies ist im Interesse des Naturschutzes. Gibt es allerdings einen echten Bedarf für ein Großprojekt, hat dies auch in direkt-demokratischen Prozessen eine Chance haben. Es würde dann aber von breiten Bevölkerungsteilen getragen und deren Belange in die Planung integrieren.
(54) Experimente sind kleine oder größere, aber konkrete Projekte, die schon gelaufen sind, laufen oder laufen könnten - auch unabhängig von geänderten Rahmenbedingungen. Sie sind daher kein Schritt hin zu den Visionen, aber ein wichtiger Beitrag, um Lust und Akzeptanz zu einem emanzipatorischen Umweltschutz zu schaffen bzw. zu einer emanzipatorischen Gesellschaftsveränderung insgesamt. Zudem werden Möglichkeiten und Methoden entwickelt, ausprobiert und im Prozeß eventuell durchgesetzt.
(55) Statt teurer Planungen werden die Flächen den AnwohnerInnen übergeben. Diese sollen sich einigen - gemeinsam einen Plan erarbeiten. Sie wissen von Beginn an: Worauf sie sich einigen, das können sie auch umsetzen. Das wird viele neu motivieren. In der Debatte besteht dann wieder die Chance, daß sich ein Bewußtsein für die Umwelt, für die Belange von Kindern, alten Menschen usw. herausbildet. Die Auto- und Betonfraktion gewinnt meist nur dort, wo die Entscheidungen über Behörden und Parlamente laufen ... denn dort entscheidet niemand der direkt Betroffenen.
(56) Hier werden die beiden Ansätze sehr gut deutlich. Statt teurer Großanlagen ohne örtliche Akzeptanz und Beteiligungsverfahren, aufgebaut von überregional agierenden Firmen, die auch das Kapital überregional akquirieren, entstehen die Windenergieanlagen aus dem Kreis der BewohnerInnen von umliegenden Dörfern und Städten. Gefragt sind kleinere Anlagen mit 2 bis 4 Windmühlen, die dann auch sehr direkt mit den BesitzerInnen, d.h. möglichst vielen Menschen im direkten Umfeld, verbunden sind. Wichtig ist, im Bereich von Forschung und Entwicklung das Schwergewicht auf kleine, dezentral verwirklichbare Anlagen zu setzen.
(57) Ebenfalls ein gutes und zudem aktuelles Beispiel ist die Frage des Ökostromes. Die Liberalisierung der Leitungsnetze hat zwar den Scheinvorteil geschaffen, individuell StromkundInnen gewinnen zu können z.B. für eine Stromabnahme, für die Strom aus regenerativen Energien eingespeist wird. Etliche Firmen und auch die Umweltverbände haben diese Entwicklung begrüßt und begonnen, im liberalisierten Markt mit kapitalistischen Mitteln (Werbung) und Aussagen (Strompreis) konkurrierend zu agieren. Dennoch kann das nur schiefgehen und würde den Umweltschutz zur Ware verkommen lassen. Das Gegenmodell wäre ein "Ökostrom von unten". Kernstück solcher mitbestimmungsorientierten Stromproduktion wäre eine Gemeinschaft der regionalen ErzeugerInnen und VerbraucherInnen. Idealtypisch bilden sich in allen Regionen aktive Kreise, die neue Anlagen planen und Werbung für die Abnahme von umweltgerecht produziertem Strom machen. Die Ökostrom-Anbieterfirmen nehmen dabei die Rolle der Geschäftsführung und Abwicklung, der Fortbildung, Öffentlichkeitsarbeit usw. ein. {Mehr Informationen zu Ökostrom von unten unter http://move.to/oekostrom.}
(58) Wo die Leitungsnetze den Menschen selbst gehören, werden die Einzelnen auch zu den Bestimmenden. Sie diskutieren und entscheiden mit. Wie das Beispiel des Schwarzwaldortes Schönau zeigt, führt echte Mitbestimmung dann auch zu hochinteressanten Entscheidungen im Sinne des Umweltschutzes. In Schönau gehört das Netz einer gemeindeweiten Versorgerfirma in BürgerInnenhand {siehe http://www.ews-schoenau.de} - durchgesetzt durch einen BürgerInnentscheid. Auf dieser Basis wird zur Zeit der Ausbau von regenerativer Energien beispielhaft vorangetrieben. Diese Form der Steigerung von Mitbestimmungsrechten ist Umweltschutz von unten, er wendet sich gegen Liberalisierung und Großkraftwerke, die nur über anonyme, mitbestimmungsfreie Strukturen zu schaffen sind.
(59) Ökologische Landwirtschaft ist nicht alles. Sie kann genauso von Profitmaximierung geprägt sein, mit der Ausräumung der Landschaft und immer größeren Flächen einhergehen, vor allem zu einer Konzentration auf wenige große Höfe beitragen. Die Alternative wären landwirtschaftliche Betriebe, in denen die AnwohnerInnen sowie die VerbraucherInnen mitdiskutieren und tatsächlich mitentscheiden können, was und wie angebaut wird. Solches Mitbestimmungsrecht in Umweltschutzfragen, also der Umweltschutz von unten, führt zu einer Steigerung des Umweltbewußtseins.
(60) Die Gestaltung und Nutzung des Schulgeländes oder auch der Gebäude ist Sache der SchülerInnen. Die Ergebnisse werden sehr unterschiedlich sein, sich im Laufe der Zeit wandeln - aber es kann ein Lernen des Umgangs mit der Umwelt sein, wenn dazu das Recht tatsächlich besteht. Die vielen Widersprüche, auch geschaffen durch die einer gemeinsamen Entscheidungsfindung entgegenstehende Sozialisation der SchülerInnen, müssen ausgehalten werden. Freie Menschen gibt es unter den bestehenden Zwängen nicht, und freie Vereinbarungen sind ein dauernder Lernprozeß. Zudem wird das System Schule der freien Vereinbarung entgegenstehen, denn die zentralen Bereiche der Schule (Lerninhalte, Lernform, Benotung usw.) bleiben in der Regel außerhalb der Mitbestimmungsrechte.
(61) Das Ringen um Freiräume in Schulen darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Schulen insgesamt eine Herrschaftsstruktur sind, die Menschen in gesellschaftliche Abläufe einpassen - ob nun autoritär oder über die reine Zulassung gesellschaftlicher Zwänge. Insofern muß die Demaskierung der Schule als Ort der Steuerung des Denkens und der Lebensplanung immer betrieben werden, einschließlich der Zwangssituation, daß alle Menschen (zumindest in Deutschland) der Schulpflicht unterworfen sind.
(62) Weiter geht es mit Kapitel 4: Freie Menschen in freien Aktionsgruppen.