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J. Gläser: Parteireform

Maintainer: Hans-Gert Gräbe, Version 1, 29.05.2001
Projekt-Typ:
Status: Archiv

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1. Warum eine Parteireform notwendig ist

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Ob die antikapitalistische Linke aus ihrer Defensive herauskommt, hängt insbesondere auch davon ab, wie die PDS die Erwartungen erfüllen kann, die nach dem Ausbleiben des Politikwechsels zunehmend in sie gesetzt werden. Offensive antikapitalistische Politik heißt unter den gegenwärtigen Bedingungen, nicht nur die in der Bundesrepublik erreichten sozialen Standards gegen den Neoliberalismus zu verteidigen, sondern zugleich auch neue Lösungen für gesellschaftliche Probleme vorzuschlagen, mit denen unter den Bedingungen eines radikalen Wandels in Wissenschaft, Technologie und Wirtschaft unsere Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit verwirklicht werden können. Diese Vorschläge müssen an die Erfahrungen der Menschen anschließen und öffentlich vermittelbar, d.h. nicht nur einem kleinen Zirkel von Experten verständlich sein. Zweitens heißt offensive antikapitalistische Politik, neue Arbeitsformen für die Veränderung der Gesellschaft zu entwickeln, die die Einmischung Vieler in die Politik ermöglichen.

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Die PDS muß diese neue Qualität ihrer Arbeit unter schwierigen Bedingungen erreichen, die ihrer besonderen Geschichte und der Hegemonie neoliberalen Denkens geschuldet sind:

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  1. Seit der Abbau sozialstaatlicher Regelungen und die Anpassung des Menschen an die globalisierte Wirtschaft zum dominierenden gesellschaftlichen Trend geworden sind, ist die PDS in der Rolle einer Verteidigerin. Sie verteidigt von ihr selbst als unzureichend empfundene soziale und demokratische Standards gegen eine neoliberale Mehrheit. Diese Verteidigung kann aber wegen der Mehrheitsverhältnisse immer nur zeitweise und punktuell erfolgreich s in. Wo die PDS politische Verantwortung übernimmt, sieht sie sich sogar dazu gezwungen, am Abbau von Standards mitzuwirken, um Schlimmeres zu verhüten. Die PDS ist in der politischen Defensive.



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  2. Die PDS ist in sehr unterschiedlichem Maße in der Gesellschaft verankert. Die sehr gute politische Verankerung in Ostdeutschland darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die soziale Verankerung sich auf wenige Alters- Berufs- und soziale Gruppen konzentriert. In Westdeutschland ist die Situation offensichtlich noch problematischer. Die unzureichende gesellschaftliche Verankerung der PDS begrenzt nicht nur ihre Ausstrahlung in die Gesellschaft, sondern beraubt sie auch wichtiger Quellen von Wissen und Erfahrungen. Da unsere politischen Positionen außerdem dem dominierenden öffentlichen Meinungsbild widersprechen, droht uns eine Abschottung von der Gesellschaft.



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  3. Die Altersstruktur der PDS beschränkt zunehmend ihr Wirken in der Gesellschaft. Aus historischen Gründen wegen der teilweisen Ächtung der PDS in der Öffentlichkeit, aber auch wegen der Scheidung der Gesellschaft in Vielarbeiter und Nichtarbeiter gelingt es nur schwer, Menschen der Generation zwischen 35 und 50 als Mitglieder der PDS oder zur Mitarbeit zu gewinnen. Die politische Alltagsarbeit vor Ort wird dadurch bereits spürbar beeinträchtigt.



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  4. Auch die materielle Situation der PDS ist angespannt und unterscheidet sich von der anderer Parteien. Millionenspenden deutscher Großbanken sind in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen werden sinken. Und die PDS hat nur wenige Mitglieder in staatlichen Funktionen, die ihre Kompetenz und ihre Arbeitsmöglichkeiten in die Arbeit der PDS einbringen können. Das hauptberuflich politisch tätige Personal der PDS beschränkt sich auf Abgeordnete und deren Mitarbeiter sowie auf die wenigen von der Partei finanzierten hauptamtlichen Mitarbeiter.



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  5. Obwohl es bereits große Schritte in Richtung auf eine Normalisierung gegeben hat, ist das Bild der PDS in den Massenmedien häufig noch von Klischees geprägt. De Versuche, uns als nur kosmetisch veränderte SED darzustellen, sind beileibe nicht verschwunden. Das politische Handeln der PDS wird unvollständig und verzerrt reflektiert. Unsere eigene Ungeschicklichkeit und Gehemmtheit im Umgang mit Medien ist dafür allerdings mitverantwortlich.

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Wenn wir die gestiegenen Erwartungen, die andere und wir selbst in uns setzen, erfüllen wollen, dann müssen wir diese Schwierigkeiten überwinden und in die politische Offensive gelangen. Das ist nur möglich, wenn wir uns selbst verändern. Wir müssen mehr werden, und wir müssen besser arbeiten als die anderen. Die Bedingungen dafür zu schaffen ist Aufgabe der Parteireform. Die Parteireform muß die Arbeitsfähigkeit der PDS entscheidend steigern. Dabei darf ein wichtiger kultureller Vorzug der PDS nicht verloren gehen: Die PDS wird immer ein kultureller Raum bleiben, in dem man sich nicht permanent dafür entschuldigen muß, in der DDR gelebt zu haben, und in dem Ostdeutsche keine Bürger zweiter Klasse sind. Es ist eine kulturelle Aufgabe der PDS in dieser Gesellschaft, den Unterschied zwischen kritischer Auseinandersetzung und Abwertung klarzumachen und vorzuleben.

2. Aufgabe der Parteireform ist die Öffnung der PDS

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Der Begriff 'Öffnung' wird meist sehr unscharf gebraucht und löst dadurch Ängste aus. Wenn im Zusammenhang mit der Parteireform von 'Öffnung' die Rede ist, dann ist damit keineswegs gemeint, daß sich die PDS den vorherrschenden Meinungen anpassen und nun auch intern nach den durch Massenmedien vorgegebenen Mustern diskutieren soll. Es geht vielmehr darum, sich den gesellschaftlichen Problemen auf eine Art und Weise zu stellen, die eine strategisch offensive Arbeit ermöglicht. Das berechtigte Anliegen, sich im Kreise Gleichgesinnter auszutauschen und politische Strategien zu entwerfen, darf nicht dazu führen, daß wir Schranken zur Gesellschaft aufbauen, in der wir leben. Im Einzelnen heißt das:

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Programmatische Öffnung: Bis heute erwarten Linke von denen, mit denen sie gemeinsam für eine bessere Gesellschaft kämpfen wollen, totale Übereinstimmung in allen politischen Ansichten. Es reicht uns nicht aus, daß unsere Bündnispartner die gleichen Ziele verfolgen wie wir, sondern wir verlangen voneinander immer auch noch, daß wir alle aus den gleichen Motiven heraus handeln. Das schränkt unsere Bündnisfähigkeit und damit unsere Handlungsfähigkeit in der Gesellschaft ein. Wir müssen lernen, daß gemeinsame politische Ziele entscheidend sind und nicht gemeinsame Weltanschauungen. Pluralismus in der PDS heißt, daß wir alle in unserer Partei begrüßen, die unsere Vorstellungen von einer menschlicheren Gesellschaft verwirklichen wollen - aus welchen Gründen auch immer. Es ist einfach unmöglich und ein Akt der Bevormundung, all unsere Mitglieder und SympathisantInnen auf eine Interpretation der DDR, auf eine Bewertung der heutigen BRD, der Welt usw. festlegen zu wollen. Programmatische Öffnung heißt, die politischen Ziele kompromißlos zu fixieren und als KampfgenossIn zu begrüßen, wer diese Ziele auch anstrebt. Dafür ist es notwendig, die Art und Weise unserer bisherigen programmatischen Arbeit grundlegend zu überdenken. Insbesondere müssen wir Arbeitsformen finden, die garantieren, daß der reiche Erfahrungsschatz, den die PDS auf allen Ebenen praktischer politischer Betätigung akkumuliert hat, in die programmatische Arbeit einfließt.

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Politische Öffnung: Wenn wir eine sozial gerechtere Gesellschaft erarbeiten wollen, dann müssen die Funktionsprobleme dieser Gesellschaft zum Hauptthema der politischen Arbeit werden. Wir werden die sozialen Probleme dieser Gesellschaft nicht lösen, wenn wir uns auf die sozialen Probleme konzentrieren. Wir müssen die Wirtschaftspolitik, die Bildungspolitik, die Wissenschafts- und Technologiepolitik angehen, weil in ihnen die Weichen für eine soziale und ökologische Entwicklung der Gesellschaft gestellt werden. Bislang wird uns in diesen Politikbereiche gesellschaftlich nichts zugetraut, und auch wir selbst halten uns häufig nicht für kompetent. Wenn wir aber die Gesellschaft verändern wollen, dürfen wir die Aufmerksamkeit für strategische Politikfelder nicht mehr den Zufälligkeiten innerparteilichen Selbstlaufs überlassen. Wir müssen uns diesen Politikfelder öffnen und hier auch Prioritäten in der Personalpolitik und im Ressourceneinsatz setzen.

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Strukturelle Öffnung: Für viele Menschen verbindet sich der Kampf für politische Ziele heute nicht mehr mit der Mitgliedschaft in einer Partei. Die PDS zieht durch ihr aktives politisches Eintreten für eine bessere Gesellschaft Menschen an, die sich gegen Kriege, gegen Umweltzerstörung, für den Erhalt von Eisenbahnstrecken usw. einsetzen und bezogen auf dieses Ziel in der PDS mitarbeiten wollen. Ähnlich gibt es Menschen, die ein eng begrenztes fachliches Interesse haben und auf diesem Gebiet der PDS ihr Wissen zur Verfügung stellen wollen. Auch Bürgerinitiativen, Friedensgruppen, Vereine und Verbände wollen auf diese Art und Weise mit der PDS kooperieren, ohne sich auf eine dauerhafte Bindung einzulassen. Was gerade im Fall der Friedensbewegung schon hervorragend gelungen ist, wird immer mehr zur Praxis des politischen Alltags werden. Das wirft die Frage auf, wie eine Partei strukturell beschaffen sein muß, die solche Möglichkeiten zur Mitarbeit und Kooperation schafft. Diese Frage müssen wir schnell beantworten. Alle Geschäftsstellen und Büros der PDS, alle Basisorganisationen und Fraktionen müssen es als Gelegenheit begreifen, wenn sie jemandem bei der Durchsetzung seiner politischen Ziele helfen können, wenn diese Ziele auch Ziele der PDS sind. Alles andere widerspräche unserem emanzipatorischen Ansatz: Wir wollen keine Gesellschaft für andere gestalten, sondern erreichen, daß die Menschen ihre Gesellschaft selbst verbessern. Diesen Menschen Mitwirkungsmöglichkeiten im politischen System zu bieten, verlangt von der PDS ihre Verankerung im politischen System auszubauen und sich zugleich Strukturen zu geben, die es BürgerInnen ermöglichen, ihre politischen Interessen selbst zu vertreten. Dazu gehören Informationsdienstleistungen ebenso wie abgestimmte Aktionen im Parlament, aber auch die ganz simple materielle Unterstützung durch Kopierer, Computernutzung und Logistik.

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Methodische Öffnung: Wenn wir in unserer Minderheitenposition erfolgreich sein wollen, dann müssen wir neue und bessere Arbeitsweisen entwickeln. Dazu gehören sowohl die Handhabung des parlamentarischen Instrumentariums, die der lähmenden Routine entrissen werden muß, als auch das Erfinden wirksamen außerparlamentarischen Protests. Wir dürfen uns nicht auf Presseerklärungen, Gesetzentwürfe und Demonstrationen reduzieren lassen. Die methodische Öffnung ist wahrscheinlich die anspruchvollste Aufgabe der Parteireform. Sie fordert von uns allen intensives Lernen und den bewußten Kampf gegen die Routine des politischen Alltags.

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Kulturelle Öffnung: Eine unangenehme Bremse in unserer politischen Arbeit ist die mangelnde Streitkultur. Noch immer gelingt es uns nur selten, von der eigenen Meinung abweichende Ansichten als Anregung zum Nachdenken aufzunehmen. Noch immer schlagen wir auf den Boten ein, wenn uns die Botschaft nicht gefällt. Noch immer halten wir ideologische Einheitlichkeit für wichtiger als gemeinsames Handeln, wittern wir überall Abweichler und Abtrünnige. Kulturelle Öffnung heißt, aus unterschiedlichen Ansichten Gewinn zu ziehen und trotz unterschiedlicher Ansichten gemeinsam zu handeln. Das betrifft auch die Außendarstellung unserer Partei. Wir überschütten die Menschen mit Antworten. Auch wenn das der herrschenden politischen Kultur zuwiderläuft, sollten wir stärker auf die Fragen aufmerksam machen, die wir haben.

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Personelle Öffnung: Wir müssen uns mehr Möglichkeiten schaffen, mit denen wir die Kreativität und Einsatzbereitschaft möglichst vieler Menschen wirksam werden lassen. Personelle Öffnung heißt erstens Öffnung für Menschen, die wegen ihrer angespannten beruflichen Arbeit wenig Zeit für die PDS haben, sich aber gern einbringen möchten. Unsere Versammlungen und Konferenzen sind wahrscheinlich nicht geeignet, diese Menschen in die Arbeit einzubeziehen. Zweitens heißt es Öffnung für Menschen, die an der Lösung eines einzelnen speziellen politischen Problems mitarbeiten wollen, ohne sich gleich prinzipiell an die PDS binden zu wollen. Drittens heißt personelle Öffnung, daß auch innerhalb der PDS die Kooperation von Spezialisten, die nicht unsere Politik im allgemeinen, sondern einzelne Themenfelder aktiv unterstützen wollen, besser unterstützt werden muß. Viertens schließlich heißt personelle Öffnung, daß mehr Menschen Gelegenheit erhalten müssen, Verantwortung zu übernehmen. Wir sollten alle Parteifunktionen daraufhin prüfen, ob ein Generationswechsel nicht neue Chancen in der Aktivierung von Mitgliedern und Sympathisanten böte. Die personelle Öffnung der PDS auf all diesen Ebenen ist dringend erforderlich. Wir müssen erreichen, daß die Vorstände aller Ebenen mittelfristige personalpolitische Vorstellungen entwickeln.

3. Erste Schritte

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Wie wir unsere Arbeitsweisen und Strukturen verändern müssen, um die beschriebenen Aufgaben zu lösen, bedarf sorgfältiger Überlegung und ausführlicher Diskussion. Aus den bisherigen Diskussionen zur Parteireform lassen sich folgende Schwerpunkte ableiten:

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