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Gnu/Linux - Meilenstein auf dem Weg in die GPL-Gesellschaft?

Maintainer: Stefan Merten, Version 1, 30.03.2000
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

1. init 1: Zum Beitrag

(1) Paper zum Vortrag auf dem LinuxTag '00 vom 29.6.00 bis 2.7.00 in Stuttgart

Aktuelle Version ständig unter http://www.oekonux.de

(1.1) 04.04.2000, 15:16, Stefan Merten: Oder auch hier in OpenTheory :-) .

(1.1.1) 01.05.2000, 15:36, Stefan Merten: Nur ein Test, der nicht in der Oekonux-Liste landen sollte.

1.1. Zur Einordnung

(2) Der Beitrag Gnu/Linux - Meilenstein auf dem Weg in die GPL-Gesellschaft versteht sich als ein Blick auf Work in Progress. Einige seiner Inhalte sind im Projekt Oekonux seit seiner Entstehung Mitte '99 diskutiert worden. Das Thema dieses Projekts deckt sich weitgehend mit dem Thema des Beitrags. Kern ist eine Mailing-Liste, die auf der Web-Site archiviert wird. Besonders nützlich ist der FAQ, der die Debatte in der Mailing-Liste zusammenfaßt. Um ihre Mühe zu würdigen und um aktiv den Open-Source-Gedanken zu pflegen, folgt hier eine Liste von Mail-Adressen der Leute, die sich in der Oekonux-Mailing-Liste bereits zu Wort gemeldet haben:

andersen@exozet.com Annette.Schlemm@t-online.de benni@hera.rbi.informatik.uni-frankfurt.de Bettina.Berendt@educat.hu-berlin.de blasum@muc.de cr@iac-research.ch E.Kowallik@tu-bs.de erwin@hermes.zsi.at f.nahrada@magnet.at Frank.Oppenheimer@Informatik.Uni-Oldenburg.DE h0724elw@rz.hu-berlin.de henrik.motakef@ruhr-uni-bochum.de Holger.Blasum@staticon.com holger@avendo.de ingoh@schwaben.de j.jaeger@jpberlin.de kritinf@hotmail.com lagemann@telelogic.de lydia@zedat.fu-berlin.de micklei@fokus.gmd.de nussini@zedat.fu-berlin.de ohil@tequila.in-berlin.de pit@icf.de pit@klubradio.de rf@rainer-fischbach.com rwfischbach@hotmail.com schilling@berlin.snafu.de schilling@context-net.de sloyment@gmx.net smerten@dialup.nacamar.de spindler@unix-ag.uni-kl.de ss5@ophon.sax.de stefan.meretz@hbv.org steffi@nef.wh.uni-dortmund.de Thomas.Kalka@gmx.de

(3) Der Beitrag geht zunächst kurz auf krisenhafte Entwicklungen in unseren Gesellschaften [1] ein. In einem zweiten Teil wird herausgearbeitet, was das Besondere an Gnu/Linux [2] ist. Im abschließenden Teil lädt der Beitrag zu einem utopischen Blick auf eine GPL-Gesellschaft ein, in der wichtige Prinzipien der Gnu/Linux-Entwicklung gesellschaftlich relevant geworden sind.

(4) Das init in den Überschriften ist übrigens eine unter Unix gebräuchliche Nomenklatur für die sogenannten RunLevels. Diese bezeichnen den Systemzustand mit folgender Bedeutung.

1.2. Zum Autor

(5) Um die Einschätzung des Beitrags zu vereinfachen, möchte ich gerne kurz etwas zu meinem persönlichen Hintergrund sagen.

Ich habe Informatik studiert und arbeite seit 1992 als Diplom-Informatiker. Meine Beschäftigung mit Computern begann aber schon vor dem Studium mit einem ZX81.

(6) Daneben bin ich nach einer längeren Pause seit 1989 politisch in verschiedensten Zusammenhängen aktiv. Meine politische Heimat ist der mit einer kräftigen Prise Marx'scher Analyse angereicherte Anarchismus. Zentral war und ist für mich eine tiefgehende Kritik am Bestehenden und die Suche nach gangbaren Alternativen.

Beide Einflüsse fanden sich schon vor einigen Jahren zu der Frage zusammen, ob allgemein die Entwicklung von Computern und speziell freie Software wie Gnu/Linux [3] eine gesellschaftliche Relevanz und vielleicht sogar gesellschaftsveränderndes Potential haben können. Dieser Beitrag ist also gewissermaßen ein Zwischenergebnis bei der Beantwortung dieser Frage.

(6.1) 17.01.2002, 20:01, Ano Nym: interessant, gestern habe ich mit einem Marxisten diskutiert: "Das ist ein erkenntnistheoretisches Problem. Es kann immer nur eine Wahrheit geben"...

2. init 2: Arbeitsgesellschaft am Ende

(7) Vorbemerkung: Dieser Abschnitt kann nur kursorisch auf wenige Aspekte dieses komplexen Themas eingehen. Eine eingehende und bedenkenswerte Auseinandersetzung mit dem Thema betreibt die Gruppe Krisis. Hier sollen nur einige Begriffe angerissen werden, die für unser Thema von besonderer Bedeutung sind.

2.1. Die wichtigsten Elemente der Arbeitsgesellschaft

(8) Unsere Gesellschaften sind durch Lohnarbeit gekennzeichnet [4]. Die Arbeit der Menschen tritt hierbei als abstrakte Größe auf: Für die Lohnarbeit spielt die Art und Weise ihres konkreten Ablaufs genausowenig eine Rolle wie das Produkt oder die Dienstleistung, die das Ergebnis der Tätigkeit darstellt. Rechtfertigen tut sich diese Form der Tätigkeit einzig dadurch, daß die Arbeitskraft gegen Geld getauscht wird. Diese Abstraktion der Tätigkeit von ihren Inhalten und Zielen hat eine Entfremdung der Arbeitenden von ihrem eigenen Handeln zur Folge, daß am augenfälligsten in der Fließbandarbeit sichtbar wird.

(8.1) Re: 2.1. Die wichtigsten Elemente der Arbeitsgesellschaft, 04.09.2000, 14:15, Wolf Göhring: 1. in der ueberschrift wird mit bestimmtem artikel "arbeitsgesellschaft" im singular verwendet, dann geht's gleich in der mehrzahl mit "unsere gesellschaften" weiter. Wenn beides etwas miteinander zu tun haben soll, dann muss man sich entscheiden, ob's eine oder mehrere gibt. Im letzteren fall muesste "unsere" auch noch ein bisschen bestimmt sein. 2. Soll "arbeitsgesellschaft" etwas mit "lohnarbeit" zu tun haben? Soll "arbeitsgesellschaft" eine gesellschaft bezeichnen, in der lohnarbeit ein wesentliches element ist? Dann sollte man sie auch so bezeichnen: Lohnarbeitsgesellschaft. 3. Fuer die lohnarbeit, die die kollegInnen mueller meier schulze leisten, spielen konkreter ablauf ebensosehr eine rolle wie das produkt oder die dienstleistung, die das ergebenis der taetigkeit darstellen. Wenn mueller meier schulze sich unterstehen, dieses keine rolle spielen zu lassen, dann sind sie ihre lohnarbeit sofort los.

(8.1.1) Arbeitsgesellschaft, 29.06.2002, 21:17, Benni Bärmann: Zu Deinem Punkt (2): Tatsächlich ist es nicht nur Lohnarbeit, durch die unsere Gesellschaft (für mich nur Einzahl) geprägt ist, sondern ebensosehr andere Formen von Arbeit (z.B. Hausarbeit, Arbeit von Selbstständigen, ...). Wenn überhaupt macht also nur die Bezeichnung "Arbeitsgesellschaft" einen Sinn. Tatsächlich gibt es auch noch andere Dinge, die ebenso wichtig und bestimmend sind, nicht nur Arbeit (Familie, Nation, Religion, Freundschaft, Liebe, ...). Arbeit ist aber dennoch zentral und deswegen macht die Bezeichnung Arbeitsgesellschaft schon Sinn, zumindestens als analytischer Begriff, dass man sich eben gerade mit diesen Aspekten von Gesellschaft besonders auseinandersetzt.

(8.1.2) Abstraktion, 29.06.2002, 21:23, Benni Bärmann: Zu Deinem Punkt (3): Die Abstraktion von Inhalt und Ziel von Arbeit verstehe ich folgendermassen:

Von Inhalt und Ziel der Arbeit wird abstrahiert in dem Sinne, dass das eigentliche Ziel der Arbeit, nämlich das konkrete Produkt, hinter dem abstrakten Ziel, nämlich aus Geld mehr Geld zu machen, verschwindet. Das bedeutet nicht, dass das Produkt völlig egal ist, es bedeutet nur, dass - sollten sich beide Ziele im Widerspruch befinden - immer das abstrakte Ziel dem konkreten vorgezogen werden wird, zumindestens durchschnittlich und gesellschaftlich betrachtet.

(9) Eng verbunden mit diesem System abstrakter Lohnarbeit ist das Prinzip der Warenproduktion für einen Markt. Wirtschaftliches Handeln ist unter marktwirtschaftlichen Bedingungen nur dann sinnvoll, wenn nach der Produktion der Tausch der Ware gegen Geld auf dem Markt gelingt. Auch hier findet also eine Abstraktion statt: Inhalt und Ziel wirtschaftlichen Handelns ist nicht primär ein bestimmtes Produkt, eine bestimmte Qualität oder ähnliche stoffliche Qualitäten, sondern die Erzielung von Tauschwert [5].

(9.1) 12.05.2000, 12:08, Lorenz Glatz: Es ist zunächst gleichgültig, ob die abstrakte Arbeit in Form von Sklavenarbeit, Lohnarbeit oder selbständiger Arbeit erbracht wird. Die Abstraktion hat mit Lohnarbeit grundsätzlich noch nix zu tun, sondern ist unmittelbare Folge davon, dass für den Tausch (ab einer gewissen Stufe = für Geld) und nicht für konkrete Bedürfnisse der Produzenten gearbeitet wird, dass also Waren produziert werden. An der Ware interessiert den Produzenten nicht die konkrete Arbeit, sondern nur die in ihr enthaltene abstrakte "Arbeit schlechthin". Diese macht den Tauschwert der Waren aus, macht sie als Wertgegenstände vergleichbar.

(9.2) 12.05.2000, 12:10, Lorenz Glatz: Die enge Verbindung von Warenproduktion und Lohnarbeit schaut doch so aus: Lohnarbeit ist das Kind der Mutter Warenproduktion. Die Lohnarbeit ermöglicht eine neue Stufe der Warenproduktion: Die Anwendung gekaufter Ware Arbeitskraft (= Lohnarbeit) ermöglicht nicht bloß die Produktion von (Tausch)Wert, sondern gleichzeitig die Vermehrung von Wert. Denn die "Konsumtion" dieser auf dem Arbeitsmarkt gekauften Ware (= Lohnarbeiter arbeiten lassen) erzeugt mehr Wert, als ihr Kauf (Lohn) kostet. An der Lohnarbeit interessiert deren Anwender also nicht nur die im dadurch produzierten Produkt enthaltene abstrakte Arbeit (=[Tausch]Wert). Viel mehr noch interessiert der Umstand, dass dieser Wert denjenigen übersteigt, der für den Lohn ausgelegt wurde - der Mehrwert. Mit der Lohnarbeit wird eine gesellschaftliche Maschine in Gang gesetzt, die aus Geld mehr Geld macht und dabei die Warenproduktion über die ganze Gesellschaft und über die ganze Welt mit Feuer und Schwert verbreitet hat.

(10) Zu beiden Prinzipien tritt wegen des Marktes das Konkurrenzprinzip hinzu, das die Akteure sowohl auf dem Warenmarkt als auch auf dem Arbeitsmarkt zueinander in (negative) Beziehung setzt. Auf der Seite der WarenproduzentInnen führt die Konkurrenz zur Notwendigkeit der Profitmaximierung. Bei der Erzielung von Profiten wird Lohnarbeit zwar eingesetzt, betriebswirtschaftliches Ziel einer jeden UnternehmerIn ist aber die Minimierung der Arbeitskräfte bei Beibehaltung der erzeugten Menge an Waren oder umgekehrt die Steigerung der erzeugten Warenmenge bei gleichbleibendem Arbeitskräfteeinsatz.

(10.1) 04.09.2000, 14:50, Wolf Göhring: Ich will mich nicht an einer Neuformulierung abrackern, will aber auf folgendes hinweisen: Die "beiden Prinzipien" beziehen sich doch wohl auf das "System abstrakter Lohnarbeit" und das "Prinzip der Warenproduktion für einen Markt". Hier wird unterderhand aus einem "System" ein "Prinzip". Warum? Ist es ernst gemeint, wenn ein Prinzip "hinzutritt", welches dann noch sogar die "Akteure", also die Handelnden in Beziehung setzt? Sind es nicht die Handelnden selbst, die sich auf einander beziehen?

(11) Historisch haben diese Faktoren dazu geführt, daß menschliche Arbeitskraft immer stärker und auf immer mehr Feldern durch den Einsatz von Maschinen ersetzt und damit überflüssig gemacht wurde. Es ist nur logisch, daß dieser Prozeß nur durch eine permanente Ausweitung der Märkte in Gang gehalten werden kann. Gelingt diese Ausweitung nicht, so treibt die Konkurrenz der WarenproduzentInnen letztlich dazu, die Lohnarbeit mehr und mehr ganz abzuschaffen - was wiederum nicht gut gehen kann, da die Erzielung von Profiten unlösbar mit dem Gebrauch von Lohnarbeit verbunden ist.

Daß wir heute an diesem historischen Punkt angekommen zu sein scheinen, soll durch zwei allgemein bekannte Phänomene belegt werden.

(11.1) 14.05.2000, 20:54, Lorenz Glatz: Vielleicht wäre die bisherige Argumentation so ein bissl schlüssiger: Es ist ein alter Hut: In unseren Gesellschaften regiert ein ziemlich abstraktes Ding, nämlich das Geld. Als oberstes Prinzip im Leben gilt die Arbeit. Aber auch diese ist sehr abstrakt geworden, gleich in doppelter Hinsicht: Einerseits interessiert den Kapitalgeber an der Arbeit nicht dieser oder jener konkrete Inhalt, sondern ausschließlich der Umstand, dass das erarbeitete Ergebnis vermarktet und dabei zu Geld gemacht werden kann. Zu mehr Geld, als dafür ausgelegt wurde. Andererseits ist auch für die Arbeitskraft, die ein Produkt herstellt oder sonst eine Leistung erbringt, nicht dieser oder jener konkrete Inhalt der Arbeit entscheidend, sondern der Umstand, dass sie sich für Geld verkaufen kann. Ob das alles aber gelingt, wird durch die Konkurrenz auf den Güter-, Dienstleistungs- und Arbeitsmärkten entschieden. Hier wird die Sache paradox: Einerseits sind alle Dinge bis hin zur Arbeitskraft nur dann etwas wert, wenn Arbeit aufgewendet wird, um sie herzustellen oder zu erhalten. Andererseits sind Produkte und Leistungen umso konkurrenzfähiger, je weniger Arbeit für sie benötigt wird, je weniger wert, je billiger sie sind. Und die Arbeitskraft ist umso konkurrenzfähiger, je mehr sie in je kürzerer Zeit leistet, je wertloser und billiger daher ihr Produkt wird. Dieser Zwang hat in der Geschichte der Marktwirtschaft dazu geführt, dass einerseits Arbeit immer intensiver wurde und anderseits menschliche Arbeitskraft immer stärker und auf immer usw....

(11.2) 16.09.2001, 23:34, Jack Daniels: "da die Erzielung von Profiten unlösbar mit dem Gebrauch von Lohnarbeit verbunden ist." - Logik? Verstehe ich nicht.

(11.2.1) Tja:, 25.02.2002, 10:47, B K: vielleicht weniger trinken und mehr denken. Denn soo schwer ist das doch nicht zu verstehen, oder? (Wenn der Profit, der Mehrwert des sog. Arbeitgebers eine Differenz darstellt, dann muß doch irgendwo ein Subtrahend sein; dieser ist nicht anderes als der Lohn, der Tauschwert der eingekauften Arbeitskraft. Ohne also Arbeitskraft zu kaufen kann nicht kapitalistisch produziert werden ...)

2.2. Massenarbeitslosigkeit und Börsenboom

(12) Seit Jahren wird immer deutlicher, daß der hohe Sockel an Arbeitslosigkeit nie mehr wird abgebaut werden können. Stattdessen wird zunehmend davon ausgegangen, daß die Massenarbeitslosigkeit weiter steigen wird [6]. Es zeigt sich, daß die Ersetzung menschlicher Arbeitskraft weiter zügig voran schreitet [7]. Bedenkt man, was durch den noch stärkeren Einsatz von Computern in großen Dienstleistungssektoren wie Banken oder Versicherungen [8] noch an Einsparpotential existiert, so muß vermutet werden, daß wir sogar erst am Anfang einer Entwicklung stehen [9].

(12.1) Re: 2.2. Massenarbeitslosigkeit und Börsenboom, 14.05.2000, 21:07, Lorenz Glatz: Allerdings kann man die Arbeitslosigkeit - wie in den USA - auch dadurch in Grenzen halten, sogar abbauen, dass man breite Schichten dazu zwingt, durch billige persönliche Dienste für diejenigen Arbeitskräfte, die noch "verwertet" werden können, ihr Leben zu fristen. Das ändert zwar nichts an der Krise der Verwertung, lässt sich aber eine Zeitlang sogar als Rückgang der Arbeitslosigkeit verkaufen.

(12.2) Re: 2.2. Massenarbeitslosigkeit und Börsenboom, 19.01.2003, 05:35, Thomas Uwe Grüttmüller: /s/"großen Dienstleistungssektoren"/"großen Teilen des Dienstleistungssektors"

(13) Während die Massenarbeitslosigkeit also ständig zunimmt, bilden sich an den globalen Börsen immer neue spekulative Blasen. Nach klassischen kaufmännischen Kriterien unseriöse Firmen steigen wie Raketen an den Aktienmärkten auf - um oft genug wie Kometen wieder auf den Boden der wirtschaftlichen Tatsachen zurückzukommen. Fällt diese spekulative Blase teilweise in sich zusammen, so gehen schon mal ganze Staaten mit Millionen von Menschen über Bord wie das Beispiel Indonesien als größtes Opfer der Asienkrise deutlich zeigt. Auch an diesem Phänomen zeigt sich, wie das Geldkapital, das früher in neue Produktion reinvestiert wurde, heute offenbar nicht mehr in der Lage ist, durch eine Ausweitung der Produktion Gewinne zu erzielen, die über den (Kurs)Gewinnen liegen, die derzeit an der Börse zu erzielen sind.

(13.1) 14.05.2000, 21:14, Lorenz Glatz: "Gewinne zu erzielen, die über den (Kurs)Gewinnen liegen, die derzeit an der Börse zu erzielen sind" - Das kann man so verstehen, als ob die Börsengewinne sozusagen von der Produktion unabhängig wären. Das Problem liegt aber darin, dass sie entweder an die (erwartbare) Gewinnentwicklung der Produktion etc. gebunden bleiben. Wenn diese Bindung reißt, muss die Spekulation einmal wieder "auf dem Boden der Tatsachen aufschlagen". Die Börsenspekulation vieler Produktionsfirmen zeigt, dass sie die Gewinne aus der "normalen Geschäftstätigkeit" für die (Re)Finanzierung nicht mehr reichen, sondern sie spekulieren müssen, um die erforderlichen Gewinne aufzuweisen - die Konkurrenz tut es schließlich auch. Dadurch sitzen aber immer größere Teile der Wirtschaft auf einem Geldpolster, der oft aus wenig mehr als heißer Luft besteht.

(13.2) Korrektur, 14.05.2000, 21:25, Lorenz Glatz: Pardon, die erste Version ist sprachlich Schrott! "Gewinne zu erzielen, die über den (Kurs)Gewinnen liegen, die derzeit an der Börse zu erzielen sind" - Das kann man leicht missverstehen. Die Börsengewinne sind jedenfalls von der Produktion nicht unabhängig. Sie bleiben an die (erwartbare) Gewinnentwicklung der Produktion etc. gebunden. Wenn diese Entwicklung ausbleibt, MUSS die Spekulation auf kurz oder lang "wieder auf dem Boden der wirtschaftlichen Tatsachen" aufschlagen. Die Börsenspekulation vieler Produktionsfirmen zeigt, dass die Gewinne aus der "normalen Geschäftstätigkeit" für die (Re)Finanzierung nicht mehr reichen, sondern dass sie spekulieren müssen, um die erforderlichen Gewinne aufzuweisen - die Konkurrenz tut es schließlich auch. Dadurch sitzen aber immer größere Teile der Wirtschaft auf einem Geldpolster, der oft aus wenig mehr als heißer Luft besteht.

(13.2.1) Re: Börsenspekulation, 17.05.2000, 12:55, Stefan Meretz: Der Satz "Die Börsenspekulation vieler Produktionsfirmen zeigt, dass die Gewinne aus der "normalen Geschäftstätigkeit" für die (Re)Finanzierung nicht mehr reichen..." ist auch mindestens missverständlich. Es hört sich so an, als ob die Unternehmen gezwungen sind, an die Börse zu gehen, um sich dort Geld für realökonomische Investitionen zu holen. Das ist nicht so. Es gibt eher das scheinbare Paradoxon, dass der externe Finanzierungbedarf wegen zunehmend verfügbarer liquider Mittel (wg. Steuergeschenken und anderer Umverteilung) abnimmt, während gleichzeitig die Finanzmärkte explodieren. M.a.W. Reale Wertproduktion und "fiktive Wertproduktion" entkoppeln sich zunehmend voneinander. Die Blase muss irgendwann platzen, nur eine entkoppelte Blase knallt nicht gar so laut. Gefährlich wird es, wenn die "fikiven Werte" wieder in den realökonomischen Kreiskauf einfliessen, etwa durch Beleihung etc. Wie weit das gediehen ist, weiss ich nicht, mir wird nur ganz übel, wenn ich höre, dass jetzt z.B. zur Finanzierung der öffentlichen Belange auf Börsenspekulationen zurückgreifen.

(13.2.1.1) Re: Börsenspekulation, 22.09.2000, 18:02, Lorenz Glatz: Stefan hat recht. Es geht nicht um die Finanzierung von Realinvestitionen, eher im Gegenteil. Ich denke es ist so: Die Unternehmen sind "gezwungen", an der Börse mitzuspekulieren, weil es in der Realwirtschaft dank wegschmelzender Arbeit keine ausreichenden Anlagemöglichkeiten mehr gibt für die Gewinne. In die Realsphäre kommt das fiktive Geld inzwischen ziemlich massiv zurück: Die US-Pensionskassen z.B. gehören an den Weltbörsen zu den Großanlegern. Und "Middle America" finanziert seinen Wohlstand laut R. Kurz ganz wesentlich durch Belehnung seiner Aktien.

(13.3) 16.09.2001, 23:36, Jack Daniels: Richtig ist, das es sich nur um Buchgewinne handelt. (Wobei natürlich auch Giralgeld Buchgeld ist, ...)

2.3. Fazit

(14) Es gibt also Hinweise darauf, daß die Arbeitsgesellschaft und damit die auf Tausch basierende Vergesellschaftung an ihrem historischen Ende angekommen sind. Auch wenn dies zunächst vor allem als Zusammenbruchsszenario und also bedrohlich erscheint, so eröffnet es doch die Möglichkeit einer neuen Gesellschaft, die die Defizite der alten überwindet und endlich eine Gesellschaft ermöglicht, in der nicht abstrakte Prinzipien sondern das Wohlergehen aller Menschen auf diesem Planeten im Mittelpunkt stehen.

(14.1) Re: 2.3. Fazit, 17.01.2002, 20:04, Ano Nym: Weltuntergang überall. Es ist immer schlecht das Scheitern zu beschwören. Lieber "we can do better"! Den Untergangspropheten glaube ich nicht.

(14.2) zu glatt, 29.06.2002, 22:53, Benni Bärmann: Das Problem mit der Wertkritik ist eben gerade, dass sie die Untergangsmomente überbetont. Damit will ich nicht sagen, dass diese Momente nicht vorhanden seien, sondern vor allem, dass das Lämend wirkt. Gerade an der Formulierung hier, "... so eröffnet es doch die Möglichkeit ..." merkt man das sehr schön. Das kommt nämlich ziemlich hoppladihop daher. Das wird so herbeigehandwedelt. Es fehlt jede konkrete Verbindung zwischen der Krisenanalyse und den Handlungsmöglichkeiten. Siehe dazu auch mein Text zu Freie_Software_im_Empire

3. init 3: Das Besondere an Gnu/Linux

(15) Die These des Beitrags lautet ja, daß Gnu/Linux ein Meilenstein auf einem Entwicklungsweg ist. Zu einem Meilenstein gehört, daß er gewisse Besonderheiten aufweist, die andere Produkte nicht aufweisen. GegnerInnen der Meilenstein-These versuchen immer wieder, Gnu/Linux in bekannte Schemata zu pressen [10] und damit dessen Bedeutung herunterzuspielen.

In diesem Abschnitt werden daher zwei typische Vergleiche mit bereits existierenden Produkten oder Phänomenen untersucht. Es wird herausgestellt, was an Gnu/Linux das Besondere ist.

3.1. Gnu/Linux ist nicht nur ein einfaches Hobby

(16) Oft wird ins Feld geführt, daß es sich bei Gnu/Linux nur um ein Hobby [11] handeln würde und es als solches keine gesellschaftliche Relevanz haben könne. Zwar wird die Entwicklung freier Software nach wie vor vorwiegend als individuelles Hobby betrieben, das Ergebnis dieser Tätigkeit geht aber in den folgenden Aspekten weit über sonstige Hobby-Produkte [12] hinaus.

(16.1) Re: 3.1. Gnu/Linux ist nicht nur ein einfaches Hobby, 16.09.2001, 23:37, Jack Daniels: Das mag für den Kleingärtnerverein auch zutreffen.

3.1.1. Erheblicher gesellschaftlicher Nutzen

(17) Als umfangreiches Software-System, das ein Betriebssystem und zahllose Anwendungen umfaßt, ist Gnu/Linux für immer mehr Menschen ganz konkret im täglichen Einsatz nützlich. Betrachten wir die Entwicklung von Gnu/Linux, so zeigt sich sogar, daß die Nützlichkeit sowohl durch die Breite der möglichen Anwendungen als auch durch die konkrete Nutzbarkeit durch immer mehr Menschen permanent steigt. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen.

(17.1) Re: 3.1.1. Erheblicher gesellschaftlicher Nutzen, 17.01.2002, 20:05, Ano Nym: "nützlich", soso. Arte pour L'arte wäre mir lieber.

(17.1.1) Re: 3.1.1. Erheblicher gesellschaftlicher Nutzen, 29.06.2002, 22:03, Benni Bärmann: Vielleicht liegt das neue gerade darin, dass "Arte pour L´arte" und Nützlichkeit in Freier Software zusammenfallen. Oder eben anders formuliert: Selbstentfaltung als Produktivkraft.

(18) Gnu/Linux ist also ein Produkt mit erheblichem quantitativem und qualitativem gesellschaftlichen Nutzen. Damit unterscheidet es sich wesentlich von anderen in Hobby-Tätigkeiten hervorgebrachten Produkten, die zwar vielleicht in der Qualität, nicht aber in der Quantität mit warenförmiger Konkurrenz mithalten können und deren gesellschaftlicher Nutzen von daher deutlich beschränkter ist.

(18.1) 17.01.2002, 20:06, Ano Nym: vielleicht dadurch, dass digitale Güter wie Informationen, Musik, Software nahezu kostenfrei kopiert werden können.

3.1.2. Direkte Konkurrenz zu Waren

(19) Als nützliches und flächendeckendes Produkt steht Gnu/Linux in der Gunst der NutzerInnen in unmittelbarer Konkurrenz zu Waren, die von Mega-Unternehmen wie Microsoft hergestellt und verkauft werden. Zwar stehen auch andere Hobby-Produkte in Konkurrenz zu Waren - z.B. das Gemüse aus dem Schrebergarten zu dem Gemüse vom Markt -, trotzdem gibt es einige Besonderheiten.

(19.1) Re: 3.1.2. Direkte Konkurrenz zu Waren, 22.09.2000, 18:08, Lorenz Glatz: Ich meine, wir sollten hier nicht von "Konkurrenz" reden, das Wort gehört zum Markt. Es handelt sich doch eher um "Alternative".

(19.1.1) Konkurrenz und Markt, 29.06.2002, 23:02, Benni Bärmann: "Konkurrenz" gehört zwar zum Markt, ist aber nicht mit ihm identisch. Zum einen bedeutet Markt immer auch Kooperation, wenn auch meistens erzwungene und zum anderen bedeutet Konkurrenz nicht immer Markt. Beispiele für die "positiven" Möglichkeiten von Konkurrenz sind Spiele aber eben auch Freie Software. Diese wird durchaus auch in Konkurrenz hergestellt nur stehen Kooperation und Konkurrenz hier im genau umgekehrten Verhältnis wie beim Markt. Siehe auch: http://co-forum.de/index.php4?Notizen%20zur%20Selbstentfaltung

(20) Zunächst fällt auf, daß sich Gnu/Linux etablieren konnte, obwohl bereits ein umfangreiches Warenangebot auf seinem Sektor existierte. Aber damit nicht genug ist Gnu/Linux tendenziell dabei, die warenförmige Konkurrenz auszustechen und zu verdrängen [13].

(20.1) zu überschwänglich, 03.07.2001, 13:33, Gabriel Pickard: Gnu/Linux wird von einigen Unternehmen und Organisationen effektiv genutzt und in bestimmten Bereichen sehr oft eingesetzt, es kann aber nicht die Rede davon sein, dass Gnu/Linux in einem Absehbaren Zeitraum diese Hauptkonkurenz Windows "ausstechen" wird.

(20.1.1) zu ungenau, 05.07.2001, 13:30, Ullrich Wetzig: Was bringt dieser Kommentar? Ohne Argumente, ohne Beweise -- Leere Behauptung! Anders könnte ich genauso gut behaupten: Gabriel Pickard wird in absehbarer Zeit kein wirklich nützliches Mitglied für die Gesellschaft sein ;-) Absehbar sind für mich in etwa die nächsten 10 Jahre und für das Ende dieser Periode ist nicht ausszuschliessen, dass Linux für jede Anforderung die momentan noch mit Windows bearbeitet wird, eine besserere, stabilere, sicherere und effektivere Version bieten wird. Windows und Linux sind bereits Bestandteile der westlichen Kultur und Kulturentwicklung hängt von mehr Faktoren ab, als sich ein einzelner Mensch vorstellen oder gar beeinflussen kann. Jede Prognose in die eine oder andere Richtung, welche nicht zumindest versucht beinflussende Faktoren zu indentifizieren und für die Beweisführung zu bewerten, ist verlorene Energie. (Ausser natürlich die Wirkung als schlechtes Beispiel)

(20.1.1.1) Re: zu ungenau, 17.01.2002, 20:07, Ano Nym: Vielleicht bedarf es der Propagqanda... gegen die PR-Maschinerie um eine kritische Masse von Überzeugten zu erreichen. Da muss man auch an den Erfolg "glauben", so unwissenschaftlich das sein mag.

(21) Dies dürfte bislang noch keinem Hobby-Produkt gelungen sein. Im Gegenteil ist die normale Entwicklung die, daß die als Hobby begonnene Produktion über kurz oder lang von den HobbyistInnen selbst oder anderen in eine warenförmige Produktion verwandelt wird und damit für das Hobby-Produkt bestenfalls noch eine Nische bleibt.

3.1.3. Gnu/Linux ist hochmodern

(22) Es fällt auf, daß die Entwicklung von freier Software mit hochmoderner Technik arbeitet. Nicht nur ist naturgemäß der Computer zentrales Arbeitsmittel, sondern darüberhinaus ist mit dem Internet die neueste Technik von existentieller Bedeutung. Die Entwicklung der Technik wird sogar in einzelnen Fällen durch Gnu/Linux vorangetrieben [14].

(22.1) Re: 3.1.3. Gnu/Linux ist hochmodern, 17.01.2002, 20:08, Ano Nym: "in einzelnen Fällen", ist das Ganze denn nicht Technik???

(22.1.1) Re: 3.1.3. Gnu/Linux ist hochmodern, 29.06.2002, 23:07, Benni Bärmann: Gemeint ist wohl, dass Gnu/Linux treibende Kraft in der Entwicklung der Informationstechnik ist. Das ist eben nur in "einzelnen Fällen" der Fall. In anderen Fällen werden Neuerungen noch immer von proprietären Anbietern erfunden und erst später von Freier Software nachvollzogen.

(23) Damit unterscheidet sich Gnu/Linux wesentlich von normalen Hobby-Produkten, die im allgemeinen aus dem handwerklichen Bereich stammen. Mit Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung von Gnu/Linux ist dies ein wichtiger Punkt, da sich an der jeweils aktuellen Spitzentechnologie und der Art ihres Einsatzes oft wichtige Trends ablesen lassen.

3.1.4. Internationale Vernetzung

(24) Ein weiteres Kennzeichen von Gnu/Linux ist, daß es mit einer hohen internationalen Vernetzung entsteht. Menschen in allen Teilen der technisch gut ausgestatteten Welt [15] kooperieren über das Internet über alle Staatsgrenzen und kulturellen Schranken hinweg.

(25) Nicht nur ist das für ein Hobby-Produkt einmalig, es dürfte auch multinationalen Konzernen mit ihrer gigantischen Infrastruktur und ihren milliardenschweren Möglichkeiten nur selten gelingen, eine so reibungslose und produktive internationale Kooperation hinzubekommen.

(25.1) 28.04.2000, 08:47, Gambo Hayoko: Einerseits ermöglicht der freie und selbstbestimmte Umgang mit Software eine Form von Selbstverwirklichung, wie sie Hobbies zu eigen ist. Daß hier die persönliche Leistung und vor allem der Stolz auf das Geschaffene im Vordergrund steht, ist sicher einer der Hauptgründe für die hohe Qualität eines erheblichen Teils freier Software. Gleichzeitig fällt durch den freien und selbstbestimmten Umgang mit Produktion auch die Entfremdung sowohl von der Tätigkeit als auch vom Produkt weg, die bei Lohnarbeit immer eine Rolle spielt. Die Abstraktion, die Lohnarbeit mit sich bringt, ist also aufgehoben.

3.1.5. Fazit

(26) Zwar stammt Gnu/Linux aus dem individuellen Hobby, es ist aber sowohl in der Art und Weise der Produktion als auch im hergestellten Produkt in vielen und wichtigen Aspekten längst über eine einfache Hobby-Produktion hinausgewachsen. Es kann also nicht mehr von einem Hobby gesprochen werden.

(26.1) Re: 3.1.5. Fazit, 22.09.2000, 18:15, Ano Nym: Der Hinweis auf "Hobby" ist gut. Mir scheint aber, dass die Vorgangsweise noch mehr derjenigen der Wissenschaft gleicht. Offene, für alle publizierte Diskussion, gemeinsame Bemühung um Lösung der Probleme und Fortschritte in der Erkenntnis. Im Falle der Softwareentwicklung ist aber Wissenschaft zur unmittelbaren Produktivkraft geworden.

(26.1.1) Re: 3.1.5. Fazit, 22.09.2000, 18:17, Lorenz Glatz: Tschuldigung, der Ano Nym bin ich

(26.1.2) Wissenschaft, 29.06.2002, 23:17, Benni Bärmann: Es stimmt zwar, dass Freie Software sich in vielem an Wissenschaft annähert, dennoch gibt es viele wesentliche Unterschiede. Es wäre also vielleicht sinnvoll in diesem Text (oder z.B. auch in der Kladde) neben "FS ist kein Hobby" und "FS ist keine Ware" noch einen Abschnitt "FS ist keine Wissenschaft" unterzubringen und dort sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede darzustellen. Unterschiede dürften sein:

- Keine akademische Tradition und dadurch größere Offenheit und Durchlässigkeit (Keine Prüfungen, keine direkten Zulassungsbeschränkungen)
- Wissenschaft hat umgekehrt zu FS die Tendenz immer mehr verwertet zu werden und sich somit von ihren (zumindestens ideelen) Wurzeln zu entfernen
- größere Praxisorientierung
- ??? vielleicht fällt euch noch mehr ein

3.2. Gnu/Linux ist keine Ware

(27) Gnu/Linux ist ein Produkt - eine Ware ist es deswegen aber nicht. Wesensmerkmal einer Ware ist, daß sie getauscht wird - gewöhnlich gegen Geld. Gnu/Linux wird aber im Prinzip nicht getauscht [16], sondern ist als Gut frei verfügbar [17].

Daß Gnu/Linux keine Ware ist, hat einige besondere Konsequenzen.

(27.1) Re: 3.2. Gnu/Linux ist keine Ware, 16.09.2001, 23:41, Jack Daniels: Getauscht nicht als Gesamtprodukt, das ist richtig. Oder ien Ware mit Preis null, aber man durchaus einen Markt der Informationen sich vorstellen, an dem bestimmte Konzepte angeboten werden. Die einen bieten an, die anderen wählen die Komponenten.

3.2.1. Konkrete Gründe führen zu Gnu/Linux

(28) Wie bereits erwähnt zeichnet sich eine Ware dadurch aus, daß sie primär für den Verkauf hergestellt wird. Dies heißt insbesondere, daß Aspekte wie Qualität, Verschleißfreiheit oder Wartungsfreundlichkeit sekundär sind und spätestens dann uninteressant werden, wenn die Angebotsseite am Markt zu einem Anbietermonopol übergeht. Bestes und allseits bekanntes Beispiel dafür ist Microsoft [18].

(29) Da Gnu/Linux nicht primär getauscht wird, mithin also die Erzielung von Profit nicht der (abstrakte) Antrieb für eine Entwicklungstätigkeit sein kann, können nur konkrete Gründe zu einer solchen Tätigkeit führen. Hier gibt es zwei Hauptgründe [19].

(29.1) Zwei Hauptgruende, 23.08.2000, 17:35, Tobias Hoevekamp: So banal es auch klingen mag, "Spass" am Programmieren halte ich fuer einen mindestens genauso wichtigen Hauptgrund.

(30) Einerseits ermöglicht der freie und selbstbestimmte Umgang mit Software eine Form von Selbstverwirklichung, wie sie Hobbies zu eigen ist. Daß hier die persönliche Leistung und vor allem der Stolz auf das Geschaffene im Vordergrund steht, ist sicher einer der Hauptgründe für die hohe Qualität eines erheblichen Teils freier Software. Gleichzeitig fällt durch den freien und selbstbestimmten Umgang mit Produktion auch die Entfremdung sowohl von der Tätigkeit als auch vom Produkt weg, die bei Lohnarbeit immer eine Rolle spielt. Die Abstraktion, die Lohnarbeit mit sich bringt, ist also aufgehoben.

(30.1) Leistung / Stolz, 23.08.2000, 17:40, Tobias Hoevekamp: Gewinn an Reputation ist m.E. der Anreiz zu hoher Leistung. Hohe Leistung wiederum fuehrt zur hohen Qualitaet der Software. Die erlangte Reputation ist es auch, auf die jemand stolz ist.

(30.1.1) Re: Leistung / Stolz, 27.08.2000, 20:42, Stefan Merten: Ich denke nicht, daß Reputation der einzige Anreiz für hohe Leistung ist. Ich kann auch etwas gut machen wollen, ohne daß absehbar irgendwer davon erfährt. Es gibt so etwas wie einen Handwerkstolz, bei dem die Reputation nur die äußere Reflexion davon ist.

(31) Andererseits stehen bei der Produktion freier Software oft konkrete Probleme konkreter Menschen im Mittelpunkt [20]. Es wird nicht für einen anonymen Markt produziert, der erst im Nachhinein über die Verkaufbarkeit eines Produkts entscheidet, ob die Produktion sinnvoll war oder nicht. Die Abstraktion, die Warenproduktion mit sich bringt, ist also ebenfalls aufgehoben.

3.2.2. Gnu/Linux ist nicht integrierbar

(32) Bekanntlich sind erhebliche Teile von Gnu/Linux durch Lizenzen geschützt, die verhindern, daß die Quellen wieder unter Verschluß kommen. Diese einfache Tatsache ist der Hauptgrund dafür, daß es prinzipiell unmöglich ist, den riesigen freien Software-Kuchen wieder durch Privatisierung der Öffentlichkeit zu entziehen und so in die Warenwelt zu integrieren.

(33) Daran ändern auch schlaue Geschäftsmodelle nichts, die aus der Produktion von freier Software Profite schlagen wollen. Es mag sein, daß es einigen wenigen Firmen wie Cygnus gelingt, über sekundäre Effekte Profit aus freier Software zu schlagen, es gilt aber der altbekannte, etwas abgewandelte Spruch:

Erst wenn der letzte freie Filter für ein Grafikformat geschrieben ist, erst wenn das letzte Desktop von KDE oder Gnome erobert ist, erst wenn auf der letzten Uralt-Exotik-Hardware Gnu/Linux läuft, dann werdet ihr begreifen, daß auf der GPL keine profitorientierte Wirtschaftsordnung aufgebaut werden kann.

(33.1) 27.04.2000, 18:02, Torsten Wöllert: Alles richtig, nur klingt das "Profite schlagen" unnötig negativ. Immerhin treiben diese Firmen auch die technische Weiterentwicklung geGNUter Software voran und bereichern damit die *Public Domain*. Dieser Paradox erscheinende Aspekt scheint mir völlig neu zu sein und verdient sicher eine eingehendere Betrachtung. Warenwirtschaftlich erzeugtes und scheinbar völlig rational-egoistisch handelndes Kapital fördert die Erzeugung prinzipiell nicht warenförmiger Güter. Ist das alles nur Hype oder steckt mehr dahinter? Im Übrigen werden uns die erwähnten sekundären Effekte wohl dauerhaft erhalten bleiben: Es geht doch letztendlich um die Reduzierung von subjektiv wahrgenommener Unsicherheit und Komplexität (nach dem Motto: Da weiss man was man hat.) durch den Aufbau von Marken usw.

(33.1.1) 29.06.2002, 23:26, Benni Bärmann: Ich denke diese paradoxen Effekte sind gesellschaftlicher Ausdruck des Widerspruchs zwischen Selbstentfaltung und Selbstverwertung. Da Selbstentfaltung die entscheidende neue Produktivkraft ist und diese prinzipiell zwar nicht verwertbar ist, aber eben dennoch verwertet werden muss, wird "das Kapital" gezwungen sich auf unsicheres Terrain zu begeben. Doch heisst das nicht, das das nicht auch Gefahren birgt. Verwertung und Entfaltung stehen zwar in einem prinzipiell paradoxen Verhältnis zueinander, das muss aber nicht heissen, das da nicht auch wieder neue Kompromisse gebildet werden können etc. Genau so etwas sind die Raymondschen Geschäftsmodelle, temporäre und prekäre Kompromisse. Das bedeutet eben einerseits, das Freie Software sozusagen mitten im Herzen der Bestie operiert aber eben andererseits auch, dass das Verhältnis jederzeit kippen kann. Ausgang offen.

3.2.3. Ein Wort zu den Börsen-Hypes

(34) Nach den Internet-Firmen ist es heute der Begriff Linux, der BörsianerInnen-Herzen höher schlagen läßt. Ähnlich wie schon bei dem Internet-Hype, der durch die Dot-Com-Firmen ausgelöst worden ist, handelt es sich hier aber um eine spekulative Blase, die früher oder später auf den Boden der wirtschaftlichen Tatsachen zurückkommen muß. Ist bei den Dot-Com-Hypes teilweise sogar noch ein letzter Rest von realwirtschaftlicher Vernunft festzustellen, so ist dies bei Firmen, die von der Produktion freier Software leben wollen, überhaupt nicht mehr nachvollziehbar.

(34.1) Re: 3.2.3. Ein Wort zu den Börsen-Hypes, 17.01.2002, 20:10, Ano Nym: Warum nicht? Die Börsianer zahlen für ihren glauben an die Gewinne einen Preis, wie wir für überteuerte Nivea Handcreme den MArkenaufschlag.

(35) Grundsätzlich besteht natürlich die Gefahr, daß durch solche Prozesse das Prinzip der Nicht-Warenförmigkeit von Teilen von Gnu/Linux leidet. Da aber gerade diese Nicht-Warenförmigkeit Vorteile gebracht hat, die durch eine Integration in marktförmige Strukturen sofort zerstört würden [21], halte ich dies nicht für eine reale Gefahr [22].

(35.1) 29.06.2002, 23:33, Benni Bärmann: Die Geschichte hat Dir ja zu einem gewissen Anteil bereits Recht gegeben. Dennoch: Zumindestens das "sofort" in obigem Satz ist falsch. Mac OS-X ist so ein Beispiel wo Freie Software marktförmig vereinbart wurde (ich weiss, mit GPL wäre das nicht passiert). Lindows ist vielleicht auch so ein Versuch. Wie gesagt: Ausgang offen (siehe meinen letzten Kommentar). Ich halte es generell für nicht hilfreich den Eindruck zu erwecken, das die Geschichte determiniert sei. Ich weiss, das Du das nicht meinst, das hast Du mir ja oft genug gesagt, aber in solchen Passagen tritt das immer wieder in Deinen Texten auf. Das ist btw. auch lähmend. Das ist wie bei Wahlen, wenn alle Umfragen einen klaren Sieg vorraussagen geht keiner mehr hin. Motiviert wird man vor allem dann, wenn der Ausgang offen erscheint aber ein Sieg eine realistische Möglichkeit ist.

3.2.4. Fazit

(36) Gnu/Linux ist also keine Ware und es kann auch keine werden. Diese Eigenschaft von Gnu/Linux hat wichtige Konsequenzen, die die Grundlage des Erfolges von Gnu/Linux bilden.

(36.1) Re: 3.2.4. Fazit, 23.08.2000, 17:49, Tobias Hoevekamp: Ich stosse mich etwas daran, dass der Begriff "Ware" bislang nicht genauer spezifiziert wurde. ESR (wahrscheinlich hat er es auch nur uebernommen) ordnet einer Ware einen "use value" und einen "sales value" zu. Hat eine Ware im herkoemmlichen Sinn beides, so ist bei OSS der "sales value" gleich null. Dieser Unterschied wird von der Gesellschaft bislang nicht erkannt.

(36.1.1) Re: 3.2.4. Fazit, 27.08.2000, 20:47, Stefan Merten: Ware ist durchaus definiert. Im Text unter (9). Die von dir erwähnte Charakteristik ist ein Aspekt von Ware. Wobei eine Ware mit dem Tauschwert Null natürlich absurd ist.

3.3. Was ist Gnu/Linux dann eigentlich?

(37) Nachdem wir also jetzt wissen, daß Gnu/Linux weder Hobby-Produkt noch Ware ist - was ist es denn dann? Es ist ein Produkt - soviel ist wohl klar. Allerdings ist es ein spezielles Produkt, dessen Art und Weise der Produktion über die hinlänglich bekannten Produktionsweisen hinausweist. Genau diese Eigenschaft ist es, mit der die Prinzipien von Gnu/Linux uns das Tor zu einer neuen Welt öffnen können.

Nach der bisher negativen Abgrenzung möchte ich noch einmal herausstellen, was das Positive an Gnu/Linux ist.

3.3.1. Freiwillige Tätigkeit statt Arbeit für den Chef

(38) Wie keine Ware entsteht Gnu/Linux auf freiwilliger Basis. Niemand sagt den Gnu/Linux-EntwicklerInnen was sie zu tun haben oder entlohnt sie in irgendeiner Form [23] für ihre Tätigkeit. Alles was diese Menschen tun, tun sie aus freien Stücken und aus durchaus individuellen Gründen. Kein Chef befiehlt ihnen was sie zu tun haben. Auch wenn sie sich einer Projektkoordination unterordnen, so geschieht dies auf freiwilliger Basis und aus Einsicht in deren Notwendigkeit.

(38.1) Re: 3.3.1. Freiwillige Tätigkeit statt Arbeit für den Chef, 04.09.2000, 15:20, Wolf Göhring: Ich halte die Linux-sache für etwas durchaus neuartiges. Aber, an obiger stelle hab ich fragen: Was tut ein Linux'er, wenn die harddisk kaputtgeht, kauft er ne neue oder kriegt er die geschenkt (aus einsicht in die notwendigkeit)? Bezahlt er seine pizza (aus einsicht in die notwendigkeit) oder prellt er die zeche? Und wenn sein geld ausgegeben ist, fuellt er seine EC-karte mit einem trickreichen Linux-basierten programm nach oder geht er jobben? Also, ich denke, man muss ein paar silben darueber verlieren, wie Linux mit dem rest der warenoekonomie - leider - unentrinnbar verhaekelt ist.

(38.1.1) Re: 3.3.1. Freiwillige Tätigkeit statt Arbeit für den Chef, 05.09.2000, 20:42, Jörg Walter: Dass auch jeder, der freie Software produziert, bis auf weiteres der Warenoekonomie nicht entrinnen kann ist unbestreitbar. Aber es geht ja darum, wie Robert Kurz an mehreren Stellen ausgeführt hat, nach und nach dieser Warenoekonomie Bereiche zu entreissen. Es geht ja gerade darum, Linux und Software allgemein vom Rest der Tauschwirtschaft zu enthaekeln. Die Grenze zur Hardware duerfte allerdings eine schwer zu überwindende sein. Festplatten kann mensch leider nicht im Internet produzieren. Und der/die Linux-ProgrammiererIn muss natuerlich auch weiterhin seine Arbeitskraft verkaufen, aber das brauch er/sie halt nicht mehr zu tun, um Software zu kaufen.

(39) Diese Freiwilligkeit ist ein entscheidender Unterschied zu entlohnten Tätigkeiten, bei denen diese Freiwilligkeit höchstens als willkommener Nebeneffekt auf Seiten des Arbeitgebers vorkommt, nie aber Zweck der Veranstaltung ist. Diese Freiwilligkeit hebt die in der Lohnarbeit übliche Entfremdung der ProduzentIn gegenüber ihrer Tätigkeit auf. Die ProduzentInnen gewinnen eine Macht über ihr eigenes Tun [24], die sie in Lohnarbeit prinzipiell nicht haben können.

3.3.2. Lustprinzip statt sinnentleertem Schuften

(40) Daß auf dieser freiwilligen Basis ein nützliches Produkt entsteht, kann demnach nur daran liegen, daß die EntwicklerInnen Lust haben, Gnu/Linux herzustellen. Diese Lust kann sich auf vielfältige Bereiche erstrecken. Die Lust am Programmieren [25] dürfte für alle EntwicklerInnen ein Grund sein, aber auch Lust an der Kommunikation mit anderen EntwicklerInnen und die Kooperation mit ihnen, auf die Verantwortung für ein wichtiges Projekt, darauf anderen Nützliches schenken zu können - die individuellen Gründe sind ausgesprochen vielfältig [26].

(41) Diese Lust am Tun ist in der Lohnarbeit aber genausowenig vorgesehen wie die Freiwilligkeit [27]. Lohnarbeit ist nach ihrer Definition dadurch gekennzeichnet, daß die Entlohnten weder nach dem Inhalt ihres Tuns noch nach den Arbeitsbedingungen [28] fragen. Da der Lohn der entscheidende (abstrakte) Antrieb für die Tätigkeit ist, ist es auch nicht nötig, die (konkreten) Arbeitsinhalte oder die Arbeitsbedingungen besonders angenehm zu gestalten. Es reicht für Lohnarbeit völlig aus, daß die Arbeitenden [29] vor Unwillen nicht grob unproduktiv werden.

(42) Für die einzelne EntwicklerIn ist diese Lust am eigenen Tun der Antrieb, für andere Nützliches zu schaffen, und gleichzeitig die Quelle für die eigene Befriedigung. Eine darüber hinaus gehende Entlohnung ist also in der Art und Weise dieser Tätigkeit nicht angelegt und also - und das ist wirklich wichtig - das Tauschprinzip überwunden.

3.3.3. Selbstorganisation statt Befehlston

(43) Auch wenn es eigentlich nach dem Gesagten auf der Hand liegt, soll trotzdem nochmal herausgehoben werden, daß die Tätigkeit für Gnu/Linux selbstorganisiert ist. Die EntwicklerInnen von Gnu/Linux können nicht nur, sie müssen dabei sogar Formen finden, in denen sie ihre kollektive Tätigkeit organisieren [30]. Es ist dabei offensichtlich möglich, daß Menschen ohne Anleitung von außen über Kultur- und Staatsgrenzen hinweg gemeinsam tätig werden, gemeinsam Spaß miteinander haben und dabei sich auch noch gemeinsam nützlich machen.

(43.1) Re: 3.3.3. Selbstorganisation statt Befehlston, 16.09.2001, 23:42, Jack Daniels: Wie wäre es mit dem Vergleich mit den Trampelpfaden, auch hier unwillentlicher "Strassenbau". Ein Pfad wird ertramplet, indme viele ihm folgen..

3.3.4. Nützlichkeit statt Marktchancen

(44) Da Gnu/Linux von den EntwicklerInnen nicht verkauft wird, entfallen also alle monetären Gründe für die Entwicklung für Gnu/Linux. Betrachten wir jetzt einmal nicht die ProduzentInnen sondern das Produkt, so bleibt also allein der Nutzen des Produkts [31] als Motiv für seine Herstellung übrig. Nur unter diesen Bedingungen ist es möglich, daß Qualität in vielen Facetten zum zentralen Kriterium wird [32].

(44.1) 27.04.2000, 18:06, Torsten Wöllert: Der interessanteste Zusammenhang scheint dabei zu sein, dass die Qualität eines Programms tendenziell um so höher ist, als je größer seine unmittelbare Nützlichkeit eingeschätzt wird (weil sich dann viele Verbesserer finden). Das scheint extrem tragfähig zu sein.

(45) Wird eine Ware produziert, so muß diese eine Qualität erreichen, die gerade ihren Absatz nicht verhindert [33] - also eine relative Qualität. Es ist unter Marketing-Gesichtspunkten ja sogar hinderlich z.B. Langlebigkeit in ein Produkt einzubauen. Produktion für einen Markt hat also überhaupt keinen Anlaß so etwas wie eine absolute Qualität herzustellen.

Solche absolute Qualität kann aber aus den Gründen, die zu Gnu/Linux führen, durchaus entstehen, da die Lust daran, etwas möglichst Gutes herzustellen sicher eines der wichtigeren Antriebe für viele EntwicklerInnen ist.

3.3.5. Kooperation statt Konkurrenz

(46) Alle diese Aspekte führen dazu, daß in Gnu/Linux Konkurrenz nur in sehr beschränktem Umfang sinnvoll ist. Während in der Warenwelt eine unüberschaubare Anzahl mehr oder weniger gleicher Produkte künstlich unterscheidbar gemacht werden müssen [34], ist es in der Gnu/Linux-Szene eher unüblich, daß eine breite Konkurrenz entsteht. In vielen Fällen verschwinden gleichartige Konkurrenzprodukte nach und nach [35] - und sei es nur dadurch, daß sie nicht mehr weitergepflegt werden [36].

(46.1) Re: 3.3.5. Kooperation statt Konkurrenz, 16.09.2001, 23:46, Jack Daniels: Das entspricht aber nicht der Realität. Zum einen gibt es die Trampelpfadmonopole (Warum noch einen guten Editor entwerfen, wenn es schon so viele ausgereifte mit einer diese gewohnten Anwenderschar gibt). Zum anderen die tatsächliche Konkurrenz unter verschiedenen Produkten, Editoren sind da ein gutes Beispiel. Vi oder EMacs, alles Gewohnheitssache.

(47) Dies ist kein Zufall, denn auch die EntwicklerInnen untereinander stehen ja nicht in einem Konkurrenzverhältnis. Im Gegenteil ist es vorteilhafter für alle Beteiligten, wenn die EntwicklerInnen zusammenarbeiten und sich gegenseitig befruchten - mithin die Vorteile von Kooperation nutzen.

(47.1) Kooperation, 23.08.2000, 18:23, Tobias Hoevekamp: Ich glaube, dass an dieser Stelle ein - leider allzuoft missbrauchter - Begriff eingefuehrt werden sollte: die Synergie. Die Entwicklung von OSS ist hochgradig synergistisch. Ein Beispiel: In unserer heutigen Gesellschaft bewege ich mich bei der Weitergabe von Informationen an Arbeitskollegen in einer Zwickmuehle: Damit ich meinen "sales value" meinem Chef gegenueber hoch halten kann (und daran ist die Mehrheit der schaffenden Bevoelkerung interessiert) ist es vorteilhaft, Informationen nicht leichtfertig - ohne Gegenleistung - weiter zu geben. Diese Vorsicht bei der Weitergabe von Informationen behindert die Ausbildung von Synergien. Ich weiss jedoch auch, dass mein Unternehmen besser da steht, wenn es synergistisch arbeit, sprich wenn ich alle Informationen offen auf den Tisch legen wuerde. Bei OSS-Projekten haben nun alle Informationen (codes, emails, ideen, etc.) keinen "sales value" und somit erhoehe ich meine Wertigkeit nicht, wenn ich etwas zurueckhalte. Jede Entwickler weiss darum und gibt seine Informationen an andere weiter. Es ist sogar genau andersherum als im Berufsleben. Je mehr "gute" Informationen ich weitergebe, desto hoeher ist meine Reputation und dies ist ein gewichtiger Anreiz. Ich fuehre es allein auf die Synergie zurueck, dass Linux und andere OSS-Projekte - bislang weitestgehend ohne finanzielle Anreize - sich haben soweit entwickeln und eine derart grosse Bedeutung erlangen koennen.

3.3.6. NutzerInnen statt KonsumentInnen

(48) Aber selbst der Charakter der NutzerInnen ist ein anderer als das bei Waren übliche Konsumverhältnis. Dadurch, daß die NutzerInnen wissen, daß sie sich nicht grundsätzlich von den EntwicklerInnen unterscheiden, sind auch ihre Ansprüche tendenziell andere [37]. Wenn sie wissen, daß das Produkt auf freiwilliger Basis hergestellt wurde, werden sie eher nicht in die Anspruchshaltung gehen, die sie von einem gekauften Produkt her kennen. Stattdessen werden sie vielleicht sogar versuchen, bei der Weiterentwicklung mitzuhelfen - und sei es durch die Beschreibung von Fehlern, die ihnen aufgefallen sind, oder auch dadurch, daß sie sich neue Features wünschen.

(48.1) 27.04.2000, 18:08, Torsten Wöllert: Gerade das scheint beim Linux-Boom etwas unter die Räder gekommen zu sein. Eine interessante Materialsammlung von Nikolai Bezroukov dazu findet sich unter www.softpanorama.org

3.3.7. Fazit

(49) Die genannten Aspekte grenzen Gnu/Linux positiv von anderen Produkten ab. In ihrer Summe ergeben sie eine völlig andere Produktionsweise als die aus der Warenwelt gewohnte. Wie wir gesehen haben, hat dies weitreichende Auswirkungen sowohl auf die ProduzentInnen, als auch auf das Produkt, als auch eingeschränkt auf die NutzerInnen.

(50) Wichtig ist auch, daß alle diese Aspekte eng miteinander verwoben und nicht voneinander trennbar sind. Dadurch ist es nicht möglich Gnu/Linux in die Warenwelt zu reintegrieren ohne seinen Erfolg zu zerstören.

(51) Zusammengenommen ist dies schon sehr spannend. Der Erfolg, den Gnu/Linux gegenüber klassisch hergestellten Produkten hat, machen die Prinzipien von Gnu/Linux aber zu einer ernsthaften Alternative zu der klassischen Produktionsweise [38]. Damit ist Gnu/Linux ein Meilenstein auf dem Weg in eine neue Gesellschaft - die GPL-Gesellschaft!

4. init 6: Die GPL-Gesellschaft

(52) Nach diesen mehr analytischen Überlegungen hier nun eine Vision der GPL-Gesellschaft [39]. Es geht um eine Gesellschaft, die auf den Prinzipien beruht, die Gnu/Linux erfolgreich machen, und von denen einige wichtige eben beschrieben wurden. Die These ist, daß die GPL-Gesellschaft eine ist, in der die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt rücken, in der also nicht mehr blinde Mechanismen [40] wie der Markt die Menschen knechten anstatt ihnen zu dienen. Stattdessen werden die Menschen frei, ihre Beziehungen zueinander und zu den Dingen bewußt und nach freier Entscheidung zu gestalten.

An diese Vision, die vor allem eine Vorstellung davon geben soll, welches Potential in den Prinzipien von Gnu/Linux steckt, schließen sich einige Überlegungen zum Übergang an.

4.1. Have a lot of fun...

(53) Wie könnte also eine Welt aussehen, die auf den Prinzipien von Gnu/Linux beruht? Nun, endgültig können wir das heute natürlich nicht sagen - zu viel ist ungewiß und manches wird durch neue Entwicklungen in neuem Licht betrachtet werden müssen. Die in den beiden folgenden Facetten geschilderten Elemente könnten aber wichtige Teile der GPL-Gesellschaft bilden.

4.1.1. Güterversorgung

(54) Wie Gnu/Linux bereits heute würden in der GPL-Gesellschaft materielle Güter allgemein bereit gehalten [41] bzw. bei Bedarf hergestellt. Bei Gütern, die leicht, schnell und unkompliziert - z.B. ausschließlich durch Maschinen - hergestellt werden könnten, könnte vermutlich auf Lagerhaltung im wesentlichen verzichtet [42] werden. Die produzierten Güter stünden allen unentgeltlich zur Verfügung, die sie benötigen. Würde ein heutiger Supermarkt als Verteilstelle genommen, so müßten vor allem die Kassen entfernt werden.

(54.1) Re: 4.1.1. Güterversorgung, 04.09.2000, 15:04, Wolf Göhring: "...ausschliesslich durch maschinen hergestellt" Sowas reizt meinen widerspruch, diesmal in literarischer form: "In Tripolis ist jetzt eine Dampfmaschine erfunden worden, die Theaterstücke aus dem Französischen sowie aus allen andern lebenden oder toten Sprachen in zehn Minuten übersetzt, kopiert, zensiert, druckt, einbindet, ankündigt und kritisiert sowie, wenn man nicht schnell genug den Hemmhaken einsetzt, auch wieder zu Lumpen — zerreibt." G. A. Freiherr v. Maltitz, Pfefferkörner, Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1832

(54.2) Re: 4.1.1. Güterversorgung, 19.01.2003, 04:35, Thomas Uwe Grüttmüller: Ich verstehe den ersten Satz ("Wie Gnu Linux" usw.) nicht. Computer, Brote usw. werden doch auch heute schon entweder auf Lager gehalten oder bei Bedarf hergestellt. Das ist ja nicht gnu-linux-typisch. D.h. wenn der Satz mit "Genau wie heute würden..." beginnen würde, wäre alles klar für mich. Oder, wenn "materielle Güter allgemein seltener bereit gehalten, sondern vor allem bei Bedarf hergestellt" würden. Aber so?

(54.2.1) Re: 4.1.1. Güterversorgung, 20.01.2003, 14:48, Ano Nym: Du schreibst "Computer, Brote usw. werden doch auch heute schon entweder auf Lager gehalten oder bei Bedarf hergestellt." Das stimmt natürlich so nicht. Computer, Brote usw. werden auch heute schon entweder auf Lager gehalten oder bei Nachfrage hergestellt. Der Unterschied zwischen Nachfrage und Bedarf ist das A und O, um das es eigentlich geht. Oder meinst du, in der Sahelzone gibt es Nachfrage nach Brot ...?

(55) Die zur Verfügung stehenden Güter wären wie Gnu/Linux von hoher Qualität. Diese Qualität würde sich auf alle Aspekte eines Gutes beziehen. Es würden also nicht nur direkte Qualitätsmerkmale wie Benutzbarkeit, Flexibilität oder Wartbarkeit [43] eine Rolle spielen, sondern z.B. auch ökologische Gesichtspunkte wie z.B. Langlebigkeit und Ressourcenverbrauch bei Produktion und Benutzung könnten angemessen berücksichtigt werden.

(55.1) 27.04.2000, 18:11, Torsten Wöllert: Das Problem ist dabei die Bereitstellung von Gütern, deren Erzeugung keinen Spaß macht. Im Augenblick passiert das oft, um M$ (Microsoft) eins auszuwischen.

(55.1.1) Das Feidnbild ist wichtig, 16.09.2001, 23:51, Jack Daniels: denn ohne die Konkurrenzarchitektur, würde ein wichtiger Anreiz fehlen. So schlecht sind M$-Produkte ja nun auch wieder nicht. Es geht darum eine dominanten architektur zu verdrängen. Wir müssen um das Gegenbild dankbar sein. Richtig ist, dass ein "Markt" existiert. Wäre etwa Linux auf dem Stand von MS-DOs, so würden nur wenige daran arbeiten und auch wenige daran entwickeln. Es geht um zweierlei: 1. DER Glaube an seine Zukunft 2. Zahl der Beteiligten

(56) Die Güter würden sich wie Gnu/Linux unmittelbar an den Bedürfnissen der potentiellen NutzerInnen [44] orientieren. Die Bedürfnisse der NutzerInnen würden im direkten Kontakt [45] mit den ProduzentInnen ermittelt und müßten nicht durch eine anonyme Instanz wie den Markt nachträglich vermittelt werden. Das würde auch die Palette der hergestellten Güter betreffen.

(56.1) 16.09.2001, 23:54, Jack Daniels: Durchaus ein Problem: nicht alles, was die nutzer verlqangen, will der Programmierer bauen. was Programmierer an Features interessiert, ist nicht unbedingt wichtig für die Nutzer. Man denke nur daran, was für eine geniale Idee das Maskottchenprinzip unter Linux zur Promotion war...

(57) Wie Gnu/Linux schon heute würden die verfügbaren Güter es NutzerInnen tendenziell ermöglichen, eigenständig und selbstverantwortlich mit ihnen umzugehen. Die heute scharfe Trennung von ProduzentInnen, die über die Produktion verfügen, und KonsumentInnen, die lediglich Vorgefertigtes passiv konsumieren können, würde dadurch gelockert. Weiterhin würden Produktionsmaschinen auf breiter Basis zur Verfügung stehen [46], da mit ihrer Hilfe Menschen vollständig selbstbestimmt Güter herstellen könnten.

4.1.2. Lust und Freiheit

(58) Wie für Gnu/Linux würden Menschen selbstbestimmt und freiwillig handeln. Sie würden je nach persönlichem Gusto und den vorliegenden Notwendigkeiten [47] der Muße nachgehen oder sich nützlich machen [48]. Oft würde beides miteinander kombiniert werden können, so daß die Grenze zwischen Freizeit und Arbeit verschwindet.

(59) Die Maschinen würden in zahlreichen Aspekten verändert werden müssen [49], da die Orientierung auf Warenproduktion bis in die Konstruktion von Maschinen reicht. Es müßten Produktionsmaschinen gebaut werden, die entweder selbständig arbeiten können, oder an denen es Spaß macht tätig zu sein.

(59.1) 27.04.2000, 18:12, Torsten Wöllert: Sowas gibt's (neben Computern) in gewissem Maße in vielen Bereichen des Handwerks.

(59.2) Spass, 23.08.2000, 18:28, Tobias Hoevekamp: Schoen zu sehen, dass hier "Spass" auch als Anreiz gesehen wird :-)

(60) Vom Zwang zur Konkurrenz befreit [50] könnten die Menschen sich endlich die Freiheit nehmen, so zu kooperieren wie es ihnen gefällt. Ähnlich wie bei Gnu/Linux sind parallele Entwicklungen zwar durchaus denkbar, aber Kooperation zwischen verschiedenen Menschen oder Gruppen von Menschen würde dominieren. Konkurrenz - und damit ein permanenter Konfliktherd - wäre also nicht mehr wie heute fest in das gesellschaftliche System eingebaut. Die Qualität der produzierten Güter würde darunter dennoch nicht leiden, da ja nicht mehr der Zwang zur Vermarktung, der die Konkurrenz unabdingbar braucht, sondern die persönliche Lust der entscheidende Antrieb der Produktion wäre.

(60.1) 27.04.2000, 18:14, Torsten Wöllert: ... die persönliche Lust an der Herstellung und an der *Nutzung*.

(61) Auf der Basis von Kooperation für eine gemeinsame Sache könnten die Menschen nicht nur im produktiven Bereich wieder zu menschlichen Beziehungen zurückkehren - also solchen, die nicht durch Geld geprägt sind. Die Anerkennung für besondere Leistungen wird wieder direkt und unmittelbar erlebbar und äußert sich nicht nur in einer höheren Geldsumme. Menschen, die nicht mehr dazu gezwungen sind, einen Großteil ihrer Zeit mit inhaltlich sinnloser Arbeit zu vertun, sondern die selbstbestimmt sinnvoller Tätigkeit nachgehen können, haben viel weniger das Bedürfnis, sich irgendwelchen Ersatzbefriedigungen hinzugeben.

(61.1) Kooperation, 24.02.2002, 00:59, Réka Hosszu: Solche Gesellschaften hatten wir schon vor paar tausend Jahren, wo Kooperation durchaus freiwillig für eine gemeinsame Sache praktiziert wurde.(zB.Egyptn(sorry habe kein Umlaut auf meiner Tastatur)Irgendwie konnten diese Gesellschaften nicht weiterleben entweder wegen inneren Zerfall an Moral oder wegen fremde Eindringlinge die keine Ahnung hatten und nur die \\\"Waren\\\" brauchten.Heute sind die Menschen wahrscheinlich auch nicht allgemein auf dem geistlichen Niveau, die dazu erforderlich wäre. Man muss nur die Heterogenität der menschlichen Spezies auf allen Ebenen und Flächen betrachten um klar sehen zu können,dass da ohne eine grundlegende neue Selbstbestimmung des Menschen oder Glaube oder Philosophie (?was)nie eine stabile, neue, bessere Gesellschaft entstehen kann.Wie ich das so mitgekriegt habe arbeitet ot. an so ein Projekt und das schätze ich sehr.

(61.1.1) Re: bessere Gesellschaft, 25.02.2002, 10:58, Ano Nym: Allerdings, und wie wir gegen den "inneren Zerfall an Moral" kämpfen! Und "fremde Eindringlinge die keine Ahnung hatten" zurückschlagen! Genau das ist doch OpenTheory, oder? Ein wertkonservativ idealistischer Kampfbund ...
[Oder haben wir da etwas mißverstanden?]

4.2. Fahrkarten in die GPL-Welt

(62) Diese - zugegeben recht mutige - Vision steht und fällt natürlich mit der Verallgemeinerbarkeit der Prinzipien von Gnu/Linux. Eignen die Prinzipien von Gnu/Linux sich tatsächlich als Grundlage einer neuen Vergesellschaftungsform jenseits von Geld und Markt, so sollten diese sich wegen ihrer Überlegenheit zumindest bis zu einem gewissen Grad von alleine durchsetzen. Es wäre also zu beobachten, ob die Prinzipien von Gnu/Linux in anderen Bereichen als der Software-Entwicklung ebenfalls an Bedeutung gewinnen. Dabei ist es sinnvoll, zwischen Informationsgütern und materiellen Gütern zu unterscheiden.

(62.1) Re: 4.2. Fahrkarten in die GPL-Welt, 23.08.2000, 18:44, Tobias Hoevekamp: Ich moechte noch einen Schritt weiter gehen. Ich glaube, dass sich der Noosphere waehrend des derzeitigen Informationszeitalters exponentiell vergroessert. Der Besiedlung des Noosphere liegen die gleichen Mechanismen zugrunde wie bei der Ausbildung aller komplexer, selbst-organisierender Systeme wie z.B. des Universums oder der Natur auf der Erde. Diese Mechanismen sind m.E. die Maximierung der Entropie (ein Begriff aus der Thermodynamik als Mass fuer die Unordnung; eine Beteiligung der Entropie an der Evolution ist wissenschaftlich gut belegt) und die Maximierung von Synergie. Der letztere Aspekt ist allerdings noch weniger erforscht und ein Zusammenhang von Synergie und Entropie ist auch noch nicht hergestellt. Ich glaube, dass Synergie der zentrale Begriff der OSS ist.

4.2.1. Let"s rock!

(63) Ein interessantes Phänomen spielt sich derzeit in der Musikbranche ab. Mehrere Faktoren spielen hier zusammen. Zunächst wurde eine Basiserfindung [51] gemacht, nämlich effektive und hochqualitative [52] Kompressionsalgorithmen für Audiodaten - allen voran MP3.

(64) Ebenso wichtig war offenbar die breite Verfügbarkeit [53] dieses Algorithmus. So ist mindestens der Dekompressionsalgorithmus frei verfügbar und bald gab es für alle relevanten Betriebssysteme Abspielprogramme. Aber auch die Prinzipien der Kompression sind zumindest in den Grundzügen frei verfügbar, so daß mittlerweile auch dafür freie Implementierungen [54] existieren, die mittlerweile ebenfalls hohe Qualitätsstandards erreichen.

(65) Zu all dem kommt natürlich noch das Internet hinzu, das die flächendeckende, leichte und preiswerte Verteilung von Musik im MP3-Format überhaupt erst erlaubt. Mittlerweile gibt es ganze Web-Sites, die sich ausschließlich der Verbreitung von MP3-kodierter Musik widmen.

(66) Diese drei ineinandergreifenden Entwicklungen lösen eine Dynamik aus, die der von Gnu/Linux nicht unähnlich ist. Herkömmlichen - und damit marktförmigen - Verteilungsweisen von Musik wächst eine ernsthafte Konkurrenz [55] heran. Die Musikindustrie als einer der Hauptnutznießer des bisherigen Vermarktungssystems gerät auch umgehend in leichte Panik und setzen alles daran, diese Entwicklung zu unterbinden [56] oder notfalls zu beherrschen. Die Entwicklung von Gnu/Linux vor Augen läßt sich aber absehen, daß diese Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt sein werden.

(67) Spannend ist auch, wie die MusikerInnen als andere wichtige Nutznießer des bisherigen Vermarktungssystems dieser Entwicklung sehr ambivalent gegenüber stehen. Während manche sich auf den Standpunkt der Musikindustrie stellen und die Entwicklung verteufeln, beginnen andere damit, diese neue Form für sich zu nutzen. Darunter befinden sich Größen wie David Bowie und die Toten Hosen aber vor allem zahllose unbekannte MusikerInnen, die dies als einfache Möglichkeit sehen, ihre Kunst [57] - auch kostenlos - einer breiteren Öffentlichkeit näher zu bringen. Auch hier sind deutliche Parallelen zu Gnu/Linux [58] zu erkennen.

(68) Nun, die letzte Schlacht in dieser Auseinandersetzung ist sicher noch lange nicht geschlagen und die Ausgangssituation ist in der Welt der Musik sicher eine andere als in der der Software. Aber es gibt auch hochinteressante Parallelen und sollte sich ein freies MP3 weiter durchsetzen, so ist dies ein weiterer Schritt in die Richtung, die Gnu/Linux schon so erfolgreich vorexerziert und damit ein weiterer Baustein für die GPL-Gesellschaft.

4.2.2. Internet kontra Profite

(69) Von vielen interessierten Seiten wird behauptet - und hartnäckig geglaubt -, daß das Internet einen neuen Profitschub [59] auslöst. Allgemein wird davon ausgegangen, daß durch das Internet nicht nur (netto) neue Arbeitsplätze entstehen, sondern sich auch hervorragend Geschäfte machen lassen. Dabei lassen sich die Gläubigen auch durch Fakten wie z.B. die permanenten roten Zahlen der allermeisten Internet-Firmen nicht aus der Ruhe bringen.

(70) Die Realität gibt diesen Glauben - zumindest bislang - allerdings nicht her. Von ganz wenigen Ausnahmen [60] abgesehen gibt es keine Beispiele, in denen sich im Internet eigenständige kommerzielle Angebote [61] entwickelt haben. Die bekannten Buchverkäufer wie amazon.com oder bol.de z.B. betreiben das Internet ja lediglich neben ihrem angestammten Geschäftsbereich [62]. Bislang ist also kein Geschäft bekannt, wozu das Internet die unabdingbare Grundlage wäre [63].

(70.1) 27.04.2000, 18:17, Torsten Wöllert: Wenn man vernachlässigt, dass die extrem niedrigen Grenzkosten einer Kommunikation übers Internet bestimmte Dinge erst rentabel machen (z.B. Spam). Neu scheint mir die einfachste Sammlung von Verhaltensprofilen zu sein, die kommerziell verwertet werden können, und denen man auch durch Verschlüsselung usw. kaum beikommt.

(71) Daß das Internet, das ja das nicht-kommerzielle Gnu/Linux erst ermöglicht hat, kommerziellen Bemühungen gegenüber sich derart störrisch verhält, ist aber nicht der Unfähigkeit der Akteure oder mangelnder Infrastruktur zuzuschreiben. Vielmehr gibt es einen fundamentalen Grund, der eine Einbindung des Internet in den marktförmigen Verwertungsprozeß so sehr erschwert, daß sie in der Praxis nicht mehr funktioniert.

(71.1) 28.04.2000, 15:17, Torsten Wöllert: Wirklich? Auch im Internet, wie bisher in jedem Medium, wird es auf die mündige Nutzung ankommen. Auch dort wird Marketing für die Massen funktionieren, nur dass es fast ausgeschlossen erscheint, konkurrierende nichtkommerzielle Angebote dauerhaft auszuschalten (kommerzielle kann man aufkaufen oder kaputtpreisen), weil die Kosten so gering sind, dass sie von vielen ohne größere Probleme ohne entsprechende kommerzielle Aktivität aufgebracht werden können. Der Hauptunterschied scheint mir die Vielfalt zu sein, und das ist wirklich neu.

(72) Das Internet ist nämlich die Globalisierung in ihrer reinsten Form [64]. Im Internet sind alle weltweiten Anbieter einer Ware buchstäblich nur noch einen Mausklick voneinander entfernt. Diese extreme Globalisierung hat entscheidende Folgen.

(72.1) 27.04.2000, 18:18, Torsten Wöllert: Schon, nur bietet Unübersichtlichkeit (und das ist das Internet zur Zeit) immer Raum für Informationssortierer und -vermittler.

(73) Einerseits wird durch diese Globalisierung die Konkurrenz zwischen verschiedenen Anbietern so sehr verschärft, daß sehr schnell nur noch der Preis Null [65] konkurrenzfähig ist. Auf einen Preis Null läßt sich aber außer durch eine indirekte Finanzierung durch Werbung oder Mischfinanzierungen bekanntlich kein Geschäft aufbauen.

(73.1) 27.04.2000, 18:19, Torsten Wöllert: Transparenz und Kundenwissen vorausgesetzt.

(74) Andererseits ermöglicht die weltweite Verfügbarkeit und praktisch unbegrenzte Kapazität [66] des Internet einem Anbieter eine Präsenz gegenüber potentiellen KundInnen, die im marktwirtschaftlichen Alltag undenkbar ist. Dies führt dazu, daß ganz wenige Firmen [67] ausreichen, um mit ihren Angeboten einen weltweiten Bedarf [68] zu befriedigen.

(75) Unter diesen Voraussetzungen sind eigenständige kommerzielle Angebote im Internet dauerhaft bestenfalls für Anbieter möglich, die ein weltweit einzigartiges Produkt anbieten. Das Internet als solches ist daher vielleicht eine der wichtigsten Grundlagen für die GPL-Gesellschaft.

4.2.3. Stand der industriellen Produktion

(76) Die Arbeitslosigkeit, die in unserer heutigen Gesellschaftsform als tiefgreifende Krise wahrgenommen werden muß, ist nicht unwesentlich durch den Entwicklungsstand der industriellen Produktion [69] verursacht. Es ist also schon heute so, daß für die Herstellung von nützlichen Dingen immer weniger Menschen benötigt werden.

(77) Zudem verschiebt sich die Tätigkeit der noch in der Industrie beschäftigten Menschen von stupiden und monotonen Arbeiten immer weiter zu kontrollierenden, überwachenden und steuernden, aber auch verwaltenden, planenden und wissenschaftlichen Tätigkeiten [70]. Gerade im Bereich der Software reichen die Tätigkeiten [71] sogar schon heute bis in den künstlerischen Bereich.

(78) Die industrielle Produktion hat also schon heute einen Entwicklungsstand erreicht, der die nahezu menschenfreie Produktion [72] möglich erscheinen läßt. Gleichzeitig verändert sich der Charakter der verbleibenden Tätigkeiten hin zu solchen, die mit Lust ausgeführt werden können. Die Voraussetzungen für einen Übergang in die GPL-Gesellschaft wachsen also schon seit längerem heran.

4.2.4. GPL-Produkte

(79) Ein wichtiger Schritt auf dem Weg in die GPL-Gesellschaft wäre die Übertragung der GPL auf andere Produkte als Software. Während diese Übertragung für Informationsprodukte bereits stattfindet [73] und natürlich auch relativ leicht zu bewerkstelligen ist, steht ein solcher Schritt für materielle Produkte noch aus [74].

(79.1) Re: 4.2.4. GPL-Produkte, 23.08.2000, 18:54, Tobias Hoevekamp: Materielle Gueter haben einen "sales value", ist er auch noch so klein. Damit stehen sie im Gegensatz zu GPLten Informationen, deren "sales value" null ist. Der Besitz von Informationen ist somit kostenlos, der - auch nur des kleinsten - Sandkorns nicht. Mit welchem Gut ich mir in Zukunft ein Sandkorn in Besitz nehmen darf weiss ich nicht. Sicher bin ich mir, dass es auch in Zukunft ein solches Gut geben wird. In naehrer Zukunft wird dieses Gut weiterhin "Geld" heissen.

(79.1.1) Re: 4.2.4. GPL-Produkte, 27.08.2000, 20:49, Stefan Merten: Das ist nicht ganz richtig. Alle Dinge haben nur dann einen Tauschwert, wenn menschliche Arbeitskraft in ihnen vergegenständlicht ist. Das klassische Beispiel ist der Unterschied zwischen einfacher Luft - die keinen Tauschwert hat, weil (noch) dafür arbeiten muß - und Preßluft, die nur mit Hilfe menschlicher Arbeitskraft erzeugt werden kann.

(80) Die Übertragung auf materielle Produkte fällt schwerer, weil sie nicht so einfach wie Information kopiert [75] werden können. Genauer gesagt besteht die Produktion eines materiellen Guts auch nicht aus dem Kopieren eines bereits bestehenden Produkts, sondern ein materielles Gut wird mit zuweilen spezialisiertem Werkzeug und unter Anwendung spezieller Algorithmen hergestellt. Der Vorgang der Produktion materieller Güter unterscheidet sich also erheblich vom Vorgang des abstrakten Kopierens wie mit einem cp-Befehl, der eine Datei völlig beliebigen Inhalts dupliziert [76].

(81) Wenn die Kopierbarkeit digitaler Informationen also Gnu/Linux erst ermöglicht hat, so müßte eine Übertragung der Prinzipien von Gnu/Linux auf materielle Produkte einhergehen mit dieser einfachen Kopierbarkeit bzw. Herstellung. Nun geistert der Multiduplikator zwar immer wieder durch verschiedenste Science Fiction, die technische Entwicklung ist aber heute von deren Funktionsprinzipien noch weit entfernt.

(82) Ein Schritt in diese Richtung könnte aber sein, daß Universalmaschinen gebaut werden, die computergesteuert mehr oder weniger beliebige Werkstücke herstellen können. Erste Entwicklungen in diesem Bereich sind tatsächlich schon in Betrieb. So gibt es bereits Maschinen, die mit Hilfe von Laser und speziellen Materialien vollautomatisch ein dreidimensionales Werkstück erzeugen, mit dem dann weitergearbeitet werden kann. Eine solche Maschine ist also quasi ein Universalmaterialisator [77] von Werkstücken. Mit einer solchen Maschine können die für die GPL-Gesellschaft entscheidenden Eigenschaften von Informationen auf materielle Güter übertragen werden [78], so daß solche Maschinen die Basis der Produktion in einer GPL-Gesellschaft sein könnten.

4.2.5. Informationsgesellschaft auf den Begriff gebracht

(83) Seit Jahren geistert der Begriff der Informationsgesellschaft durch die Medien, die auch als postindustrielle Gesellschaft bezeichnet wird. Leider bleibt gerade beim letzteren Begriff seltsam offen, was denn das entscheidende Charakteristikum dieser Gesellschaft nun sein soll. Die GPL-Gesellschaft und ihre Prinzipien könnten nun diesen Begriff mit Inhalt füllen.

(83.1) 27.04.2000, 18:23, Torsten Wöllert: Mir scheint der Begriff Wissensgesellschaft gerade im Bezug auf GPL treffender. Schließlich ist ja ein herausraugendes Merkmal von GNU/Linux, dass alle Komponenten über offene Standards und Protokolle mit einander verbunden sind und spielen. Das kommt Wissen (im Sinne von gewusst wie) schon sehr nahe, Indormation ist da Wesentlich unergiebiger. Nicht umsonst spricht man von "information overload" und nicht von "knowledge overload".

(83.1.1) Wissen / Informationen, 23.08.2000, 18:57, Tobias Hoevekamp: Ich wuerde Wissen als eine Teilmenge von Information sehen und somit ist der unter (83) gewaehlte Begriff der Information durchaus gerechtfertigt. Schlankerhand koennte man sagen, dass Wissen wertvolle Informationen sind.

(83.1.1.1) Re: Wissen / Informationen, 27.08.2000, 20:52, Stefan Merten: Mir wäre der Begriff Informationen auch deswegen wichtig, weil Wissen etwas ist, das nur Menschen zu eigen ist - sage ich jetzt mal so. Informationen dagegen sind auch von Maschinen verarbeitbar - sogar ohne daß der steuernde Mensch ein Wissen über die Informationen hat.

(83.1.1.1.1) Re: Wissen / Informationen, 29.06.2002, 23:47, Benni Bärmann: Das ist doch aber eher ein Argument gegen den Begriff "Informationsgesellschaft". Gesellschaften sind immer von Menschen gemacht und somit macht der Begriff der "Wissensgesellschaft" tatsächlich mehr Sinn.

(84) In den vorindustriellen Agrargesellschaften war die Subsistenzproduktion von Gütern für den unmittelbaren Lebensbedarf die entscheidende Konstante. In der industriellen Gesellschaft wurde diese agrargesellschaftliche Konstante durch die allgemeinere materielle Produktion von Waren abgelöst und die Produktion von Gütern für den unmittelbaren Lebensbedarf wurde zunehmend zum reinen Anhängsel der industriellen Produktion [79]. Die gesamte Gesellschaft wurde durch diesen Wechsel in der Produktionsweise so entscheidend geprägt, daß von einem historischen Epochenbruch gesprochen werden muß.

(85) In der GPL- bzw. Informationsgesellschaft würde nun wiederum die Produktion von Waren zum bloßen Anhängsel [80] der Produktion von Informationen. Die Gesellschaft würde also von den Prinzipien der Produktion von Informationen bestimmt - deren erstes Beispiel Gnu/Linux ist. Ein solcher Umbruch wäre in der Tat ein erneuter Epochenbruch von wahrhaft historischer Dimension.

(85.1) 23.08.2000, 19:00, Tobias Hoevekamp: Und nun ist zu allem Ueberfluss das hoechste Gut in der Kette Information - Ware - Lebensmittel auch noch ohne "sales value". Da duerfen wir ruhig schon von einem Paradigmenwechsel sprechen.

Referenzen

(86)

Anmerkungen

(87) [1] Mit unseren Gesellschaften sind die Gesellschaftsformationen gemeint, die in Westeuropa, Nordamerika und Japan voll entwickelt sind.

(88) [2] Ich verwende durchgängig die Bezeichnung Gnu/Linux anstatt des gebräuchlichen Linux um auf die Bedeutung der Gnu-Bewegung hinzuweisen, ohne die Linux nicht denkbar wäre.

(89) [3] Im folgenden werde ich den Begriff Gnu/Linux synonym für freie Software allgemein verwenden. Den Begriff Open Source verwende ich übrigens nicht so gerne, da in diesem der Versuch mitschwingt, das Potential, das in Gnu/Linux steckt, wegzudefinieren. Eine Diskussion liefert Richard Stallmann in Why "Free Software" is better than "Open Source".

(90) [4] Natürlich gibt es auch in unseren Gesellschaften Tätigkeiten, die gewöhnlich als Arbeit bezeichnet, aus verschiedenen Gründen aber nicht entlohnt sind. Auch wenn diese Tätigkeiten für das Überleben der Gesellschaft unerläßlich sind, spielen sie im gesellschaftlichen Prozeß doch eine untergeordnete Rolle.

(90.1) 04.05.2001, 12:02, Ano Nym: Arbeit, die Eltern mit Kindern haben, ist - auch wenn sie nicht bezahlt wird - gesellschaftlich nicht irrelevant!

(90.1.1) 07.05.2001, 11:34, Stefan Merten: Steht da ja: "unerläßlich sind". Mit untergeordnet ist gemeint, daß sie nicht angemessen gewürdigt werden. Materieller Ausdruck davon mag sein, daß Kinder heute als größtes Armutsrisiko gelten.

(91) [5] Für Privatleute ist der Tauschwert zudem nur dann von Interesse, wenn er den selbst für die Produktion eingesetzten Tauschwert übersteigt. Die UnternehmerIn muß also Gewinn machen.

(92) [6] Selbst in den Gewerkschaften setzt sich nach und nach die Erkenntnis durch, daß Vollbeschäftigung wie noch in den 70er Jahren nie mehr möglich sein wird.

(93) [7] Gegen diese Gesetzmäßigkeit sind PolitikerInnen übrigens machtlos - auch wenn sie uns permanent anderes weis machen wollen.

(94) [8] Die Übernahme der Dresdner Bank durch die Deutsche Bank mit ihrem massenhaften Verlust an Arbeitsplätzen mag hier als aktuelles Beispiel dienen.

(95) [9] Nach der Theorie ist diese Entwicklung nur zu stoppen, wenn eine erneute Marktausweitung gelingt, also eine neue, arbeitsintensive und gleichzeitig für große Massen interessante Ware gefunden wird, wie in der Mitte des 20. Jahrhunderts das Automobil. Zwar ist eine solche Ware nicht prinzipiell ausgeschlossen, aber sie ist nicht in Sicht.

(96) [10] Besonders hervorgetan hat sich auf diesem Gebiet der in der Gnu/Linux-Szene sehr bekannte Eric S. Raymond, der vor allem mit seinem Papier Homesteading the Noosphere versucht hat, die Entwicklung von Gnu/Linux in hergebrachte marktwirtschaftliche Formen zu pressen.

(97) [11] Unter Hobby soll hier eine Tätigkeit verstanden werden, die mit freiwilliger und selbstbestimmter Anstrengung verbunden ist. Ob dabei ein greifbares Produkt entsteht ist im allgemeinen zwar zweitrangig, in unserem Zusammenhang aber sind vor allem solche produktiven Hobbies von Interesse.

(98) [12] Das eventuelle Produkt eines Hobbies unterscheidet sich von einer Ware in erster Linie durch die Zweckbestimmung des Produktionsprozesses. Während bei der Produktion von Waren das abstrakte Ziel des Verkaufens den Hauptantrieb bildet, ist die Produktion eines Hobby-Produkts durch Selbstverwirklichung der ProduzentIn und eventuell eine unmittelbare Nützlichkeit des Produkts gekennzeichnet.

(99) [13] Am augenfälligsten dürfte dies heute im Bereich der Server sein, in denen Gnu/Linux dabei ist, das von Microsoft in diesem Sektor positionierte Windows NT zu überrunden. Die Entwicklung auf dem Desktop geht nach meiner Überzeugung in eine ähnliche Richtung.

(100) [14] Als Beispiel sei hier das CVS-System erwähnt, daß erst mit dem breitflächigen Einsatz in der Gnu/Linux-Entwicklung zu dem Tool herangereift ist, als das wir es heute kennen.

(101) [15] Daß die Entwicklung freier Software eine Tätigkeit ist, die in den Ländern der III. Welt zumindest in der Masse praktisch nicht stattfindet, kann in diesem Rahmen nicht weiter erörtert werden. Es sei aber darauf hingewiesen, daß sowohl die Kostenlosigkeit von Gnu/Linux als auch die Verfügbarkeit des Source-Codes den Ländern der III. Welt Chancen bietet, die diese auch allmählich zu nutzen beginnen.

(102) [16] Daß Distributionen von Gnu/Linux von Firmen wie SuSE oder RedHat gegen Geld verkauft werden, ist kein Widerspruch gegen dieses Prinzip. Die Abwesenheit des Tauschprinzips geht auf diesem Sektor sogar so weit, daß es möglich und legal ist, eine eigene, für den Verkauf vorgesehene Distribution auf einer anderen solchen Distribution aufzusetzen.

(103) [17] Mit den Einschränkungen des technischen Zugangs gilt dies sogar für eine komplette Distribution: Debian.

(104) [18] Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß eine Feindschaft gegenüber Microsoft bei nicht wenigen Gnu/Linux-VerfechterInnen emotional eine Rolle spielt. Allerdings macht Microsoft es seinen NutzerInnen mit seinen Produkten auch nicht gerade schwer, sich ein solches Feindbild zuzulegen ;-) .

(105) [19] Auf die vieldiskutierte Anerkennungsökonomie soll hier nicht ausführlich eingegangen werden. Im Kern halte ich diese Theorie aber für den verzweifelten Versuch, das Phänomen freier Software in kapitalistisch verstehbare Kategorien zu pressen.

(106) [20] Viele freie Software-Projekte haben ihre Wurzel sogar darin, daß ein einzelner Mensch ein ganz konkretes Problem lösen wollte, es für sich getan hat und sich seine Lösung auch für andere als nützlich erwiesen hat.

(107) [21] Zur Unvereinbarkeit des Entwicklungsmodells von Gnu/Linux mit kapitalistischen Strukturen hat Stefan Meretz u.a. mit Die doppelte algorithmische Revolution des Kapitalismus wichtige Beiträge geleistet.

(108) [22] Immerhin scheinen das ja auch große Distributoren wie RedHat oder SuSE zu wissen, die zumindest ihren Verlautbarungen nach die Prinzipien freier Software auch nach ihrem Börsengang hochhalten wollen. Und auch große Firmen wie IBM versuchen, auf dem Sektor Gnu/Linux vorsichtig zu Werke zu gehen.

(109) [23] Die vielzitierte Anerkennung kann nicht als Lohn betrachtet werden, da sie sich nicht in materielle Lebensmittel verwandeln läßt. Auch die Hoffnung durch in der Szene der freien Software erzielte Meriten besser bezahlte Jobs zu finden, ist für die allermeisten kein realistisches Ziel. Darauf soll hier nicht näher eingegangen werden.

(110) [24] In der Arbeitsgesellschaft ist diese Macht über das eigene Tun in die sogenannte Freizeit verlegt. Allerdings ist auch diese Freizeit durch berufliche Vorgaben stark eingeschränkt, so daß eigentlich nur eingeschränkt von freier Zeit gesprochen werden kann.

(111) [25] Es ist kein Zufall, daß die Programmiertätigkeit eine ist, die offenbar viel mehr Lust erzeugen kann als andere Tätigkeiten, die in der industriellen Produktion entstanden sind. Auch dies ist ein Hinweis darauf, daß die Entwicklung der Produktionsmittel inzwischen in ein Stadium getreten ist, daß die Veränderung des gesellschaftlichen Überbaus möglich macht und darüberhinaus angezeigt erscheinen läßt.

(112) [26] Ähnliche Prinzipien gibt es in der Wissenschaft und in der Kunst. Auf die nicht uninteressanten Parallelen kann hier nicht näher eingegangen werden.

(113) [27] Neuere Management-Methoden versuchen allerdings in der Tat gerade diese Freiwilligkeit und deren Produktivitätsreserven in die kapitalistischen Produktionsprozesse hineinzutragen. Da Lohnarbeit aber per Definition für andere geleistet wird, besteht hier eine absolute strukturelle Schranke, die auch noch so geschickte Management-Methoden nicht überwinden können.

(114) [28] Daß in den Industriestaaten für viele erträgliche Arbeitsbedingungen überhaupt geschaffen wurden, ist langdauernden sozialen Kämpfen zu verdanken. Eine Tatsache, die heute oft in Vergessenheit gerät.

(115) [29] Menschen müssen sich also auf diese Zumutungen des Arbeitslebens einlassen. Um dazu überhaupt in der Lage zu sein, werden in unseren Gesellschaften Menschen von Kindesbeinen an auf dieses Funktionieren gedrillt. Es ist aber Anlaß zur Hoffnung, daß trotz dieses Drills Menschen noch in der Lage sind, selbstbestimmt tätig zu werden.

(116) [30] Diese Aufgabe ist auch dadurch erschwert, daß die EntwicklerInnen auf keine Vorbilder zurückgreifen können, sondern buchstäblich alles von der Pike auf neu erfinden müssen. Um so bemerkenswerter ist es, daß die Organisation so schnell so gut funktioniert.

(117) [31] Genaugenommen spielt es für die EntwicklerIn zunächst einmal keine Rolle, ob das eigene Produkt für andere nützlich ist - ihr persönlicher Lustgewinn kann sich ja auch einstellen, ohne daß andere einen Nutzen aus ihrem Tun ziehen können. Für sie ist allein die Nützlichkeit für sie selbst von Belang. Dies hindert sie aber andererseits nicht daran ihre Entwicklung zu veröffentlichen. Dies ist vermutlich der innere Grund dafür, daß manche freie Software von schlechter Qualität ist.

(118) [32] Das beste und bekannteste Beispiel für den hohen und facettenreichen Qualitätsstandard dürfte der GCC sein. Einerseits ist der GCC schon lange als zuverlässiger Compiler bekannt, andererseits hat aber seine breite Verfügbarkeit auf praktisch jeder bekannten Plattform und die damit verbundene Uniformität seiner Benutzung dazu geführt, daß er zur Basis für die gesamte Gnu-Bewegung geworden ist. Kein nach Marktkriterien entwickelter Compiler war dazu auch nur ansatzweise in der Lage.

(119) [33] Plastisches Beispiel dafür ist das 3-Liter-Auto, daß technisch längst machbar und ökologisch höchst sinnvoll wäre. Da über die niedrigeren Betriebskosten sogar für die KäuferInnen ein echter Gewinn zu erzielen wäre, hätte ein solches Fahrzeug sogar sicher Absatzchancen. Trotzdem wehrt sich die Autoindustrie seit Jahren konsequent und erfolgreich gegen Bau und Vermarktung und verkauft lieber ihre Flotte von Spritfressern.

(120) [34] Jeder von uns kennt die zahllosen Versuche an sich völlig uniforme und austauschbare Produkte wie Waschmittel oder auch PCs durch ein besonderes Design künstlich zu etwas Besonderem zu machen. Dies spiegelt sich auch in der Werbung, die nicht die fehlendenen besonderen Qualitäten eines Produkts bewirbt, sondern ein bestimmtes Image mit einem Produkt verbindet.

(121) [35] Als ein Beispiel von vielen sei MHonArc genannt. Dieses Tool archiviert Mail auf HTML-Seiten - eine Aufgabe, die sich vielen Leuten stellt. Die MHonArc-Leute wissen aber selbst von nur einem nennenswerten Produkt (Hypermail), das (inzwischen wieder) gepflegt wird.

(122) [36] Dabei kann die langfristige permanente Pflege einer freien Software übrigens durchaus als Qualitätsmerkmal genommen werden - vor allem wenn sich die ErstentwicklerIn mittlerweile zurückgezogen hat. Denn nur Software, die den Aufwand lohnt wird im Zweifelsfall von anderen EntwicklerInnen übernommen.

(123) [37] Daß dies von einigen NutzerInnen allerdings erst noch gelernt werden muß, darf allerdings auch nicht verschwiegen werden.

(124) [38] In Software-Guerilla oder mehr? Die Linux-Story als Beispiel für eine gesellschaftliche Alternative betrachtet Stefan Meretz die Produktivkraftentwicklung nach Marx'schen Kriterien. Dies soll hier nicht weiter aufgerollt werden.

(125) [39] Die GPL (GNU General Public License) ist die rechtliche Grundlage der meisten freien Software. Die GPL regelt die Rechte und Pflichte, die die BesitzerIn einer bestimmten Software an dieser Software hat. Sie wurde erfunden, um sicherzustellen, daß einmal als frei gekennzeichnete Software auch frei bleibt, so daß es nicht möglich ist, sie zu privatisieren oder sonstwie der Öffentlichkeit zu entziehen. Sie bildet quasi die Magna Carta der GPL-Gesellschaft.

(126) [40] Bewußt ist offengelassen, ob diese neue Vergesellschaftung in der GPL-Gesellschaft ohne blinde Mechanismen auskommt, oder ob nur neue solche Mechanismen den Menschen dienen. Diese interessante Debatte kann hier leider nicht geführt werden.

(127) [41] Die allgemeine Bereitstellung von Gütern beinhaltet auch, daß Güter an alle die Stellen verteilt werden, wo sie benötigt werden. Einer internationalen Verteilung von Gütern stünde ja - von ökologischen Überlegungen einmal abgesehen - nichts im Wege.

(128) [42] Dies erinnert an das Just-In-Time-Prinzip, das seit vielen Jahren die Lagerhaltung in der Industrie zunehmend ersetzt. Diese Prinzip wurde erst durch die breite Verfügbarkeit von Computern (und Kommunikationsmitteln) möglich.

(129) [43] Das (nicht nur) aus der Software-Produktion bekannte Prinzip der Modularisierung könnte hier zu neuen Ehren kommen. Modularisierte Güter erlauben den einfachen Austausch von Komponenten und tragen somit entscheidend sowohl zur Wartbarkeit als auch zur flexiblen Nutzung von Gütern bei.

(130) [44] Dies steht im Gegensatz zu Waren, die ja hergestellt werden, um verkauft zu werden. Im Umkehrschluß werden einerseits Waren, die nicht auf keine kaufkräftige Nachfrage stoßen würden, gar nicht erst hergestellt. Die Bedürfnisse von Menschen, die über wenig oder keine Kaufkraft verfügen, bleiben von Waren also unberücksichtigt. Andererseits werden umgekehrt natürlich Luxuswaren produziert, die die Bedürfnisse nur ganz weniger, dafür aber kaufkräftiger Menschen erfüllen. Eine bedürfnisorientierte Güterproduktion würde also auch für eine Demokratisierung auf der Ebene der Bedürfnisse sorgen.

(131) [45] Dadurch würde auch die Notwendigkeit von Werbung in ihrer heutigen Form entfallen. Es bliebe die Notwendigkeit potentielle NutzerInnen realistisch über existierende Güter zu informieren. Darüberhinaus würde ein permanenter Diskurs über mögliche Verbesserungspotentiale und deren Realisierbarkeit zwischen ProduzentInnen und (interessierten) NutzerInnen bestehen.

(132) [46] So wäre es z.B. denkbar, daß hochqualitatives und spezialisiertes Werkzeug bis hin zu entsprechenden Maschinen in einer Werkstatt gebündelt ist, die vielen Menschen z.B. eines Wohngebiets zur Benutzung zur Verfügung steht. Die Betreuung einer solchen Werkstatt und ihrer LaiennutzerInnen könnte dann von Menschen übernommen werden, die sich eine entsprechende Kompetenz angeeignet haben und denen eine solche unterstützende Tätigkeit Spaß macht.

(133) [47] Da Menschen zu allen Zeiten auch ohne äußeren Zwang dafür gesorgt haben, daß ihr Überleben gesichert ist und damit also den vorhandenen Notwendigkeiten Rechnung getragen haben, ist davon auszugehen, daß sie dies unter Bedingungen der Freiheit nicht ablegen werden. Im Gegenteil bringt echte Freiheit ein Gefühl für freigewählte Verantwortung hervor, das nicht mit Geld zu bezahlen ist. Als Illustration mag die Verantwortung von Eltern gegenüber ihren Kindern dienen.

(133.1) 27.04.2000, 18:24, Torsten Wöllert: Sicher spielt aber auch sozialer/Gruppenzwang (Konformismus) eine Rolle dabei.

(134) [48] Daß auch ohne äußere Zwänge Menschen sich freiwillig nützlich machen, ist alleine durch die Existenz von Hobbies und nicht zuletzt Gnu/Linux gezeigt.

(135) [49] Der Computer als eine der universalsten Maschinen, die die Menschheit bisher hervorgebracht hat, läßt sich eben nicht wie eine Werkzeugmaschine nur zur Herstellung eines Produkts verwenden, sondern eignet sich auch zum Spielzeug. Auch hier weist also der Computer als eines der fortgeschrittensten Maschinen der Technikentwicklung über den Kapitalismus hinaus.

(136) [50] Der Zwang zur Konkurrenz hat reichlich Nachteile. An den Microsoft-Produkten ist im Unterschied zu Gnu/Linux z.B. feststellbar, wie die Weiterentwicklung im Sinne der NutzerInnen, durch die Geheimhaltung gebremst wird.

(136.1) 23.08.2000, 18:35, Tobias Hoevekamp: Das Wissen um (moegliche) Konkurrenz ist aber auch ein Anreiz, sein bestes zu geben. Wenn Linus nicht im Sinne der Linux-Entwickler handeln wuerde waere seine Reputation bald aufgebraucht und das Projekt wuerde sich Gabeln.

(137) [51] Diese Basiserfindung war offenbar eine entscheidende Voraussetzung, um die folgende Entwicklung auszulösen. Audiodaten konnten auch vorher schon digital verarbeitet werden und um die immense Datenflut von Audiodaten in den Griff zu bekommen, gab es auch vor der Erfindung von MP3 schon verschiedene Kompressionsalgorithmen (z.B. uLaw und aLaw). Allerdings waren diese älteren Algorithmen nicht in der Lage, hohe Kompressionsraten mit hoher Qualität zu verbinden.

(138) [52] Zur Qualität von MP3 hat die renommierte Computerzeitschrift c't in der Ausgabe 3/2000 einen Test veröffentlicht, bei dem auch geschulte HiFi-Ohren in ihrer überwiegenden Mehrheit keine Unterschiede mehr zur CD feststellen konnten.

(139) [53] Interessant ist, daß seit Jahren die Firma RealAudio versucht, Kompressionstechnik u.a. für Audio zu verbreiten. Trotzdem sie mit ihrer Technik in ähnliche Leistungsbereiche vorstießen wie MP3 und obwohl sie die Abspielprogramme kostenlos verteilten, war das kommerzielle RealAudio-Format nicht in der Lage, eine Dynamik ähnlich zu MP3 auszulösen.

(140) [54] Die c't hat vor allem den LAME-Encoder hervorgehoben.

(141) [55] Eine andere Konkurrenz wächst der Musikindustrie durch die immer weitere Verbreitung von CD-Brennern heran, da es mit ihnen möglich ist, das heutige Hauptverbreitungsmedium für Musik ohne Qualitätsverlust zu kopieren.

(142) [56] Mit dem DAT (Digital Audio Tape) ist der Musikindustrie dies vor Jahren gelungen. Auch das DAT, das als digitale Ablösung der CompactCassette vorgesehen war, hätte eine qualitätserhaltende Kopie von CDs ermöglicht. Diese Technik konnte von der Musikindustrie so gründlich verhindert werden, daß heute DAT in der HiFi-Szene praktisch keine und höchstens noch im Computerbereich als Backup-Medium eine gewisse Rolle spielt.

(143) [57] Der künstlerische Aspekt von Musik bildet eine interessante Parallele zur Entwicklung von Software. In beiden Fällen ist die KünstlerIn zunächst mal um ihrer selbst und der Kunst Willen produktiv tätig und braucht so also zunächst keinen weiteren Anreiz für diese Tätigkeit. In beiden Fällen tritt die Vermarktung von außen hinzu. Ein Umstand, der im Bereich der Kunst im übrigen schon immer als problematisch gesehen wird.

(144) [58] Angesichts des von der Musikindustrie nur allzu oft verzapften Einheitsbreis zählt eine Qualitätssteigerung sicher zu den wünschenwerten Parallelen einer solchen Entwicklung ;-) .

(145) [59] Es wird hier nicht auf Geschäftsprozesse zwischen Firmen eingegangen, die durch das Internet erst ermöglicht werden.

(146) [60] Als Ausnahme können evt. die Suchmaschinen dienen, die über Werbung von Dritten Einnahmen für ihre Leistung erzielen. Allerdings handelt es sich für die KundInnen nicht mehr um einen klassischen Tausch Ware gegen Geld, sondern es wird die Ware Information gegen das Ertragen der Belästigung durch die Werbung getauscht. Es gibt nicht eine Suchmaschine, die ihren BesucherInnen die Suche in Rechnung stellen würde.

(147) [61] Es gibt allerdings den Bereich der Pornographie im Internet, in dem vermutlich tatsächlich Geld verdient wird. Auch hier handelt es sich aber oft nicht um wirklich neue Formen, sondern bereits aus real existierenden Rotlichtbezirken Bekanntes wird lediglich im Internet multipliziert.

(148) [62] Auch die Zahl der speziell für das Internet abgestellten Mitarbeiter dürfte entsprechend niedrig sein.

(149) [63] Dies relativiert auch die seit Jahren immer wieder aufkommenden Befürchtungen - oder wahlweise Hoffnungen - einer durchgreifenden Kommerzialisierung des Internet. Darüber hinaus: Selbst wenn viel mehr kommerzielle Sites online wären, so gäbe es auch nicht einen vernünftigen Grund die vielen nicht-kommerziellen Sites zu entfernen. Es würde also immer ein nicht-kommerzieller Anteil im Internet erhalten bleiben. Dies hängt stark damit zusammen, daß im Gegensatz zu den Sendefrequenzen bei Fernsehen und Rundfunk die Ressourcen für einen Internet-Auftritt nicht knapp sind. Um das einzig wirklich knappe Gut im Internet - die Domain-Namen - gibt es übrigens prompt Versuche, diese stärker zu kommerzialisieren.

(150) [64] Diese extreme Durchsetzung der Globalisierung, die ja ein in der kapitalistischen Produktionsweise angelegtes Prinzip ist, scheint also nicht mehr zur immanenten Modernisierung des Kapitalismus in der Lage zu sein und weist also über ihn hinaus.

(151) [65] Eindruckvolles Beispiel ist die Internet-Ausgabe der Britannica. Seitdem dieses Standardlexikon im Internet verfügbar ist, macht es zumindest im englischsprachigen Raum schlicht keinen Sinn mehr, ein ähnliches, jedoch kostenpflichtiges Angebot zu machen.

(152) [66] Bei halbwegs durchdachter Software ist eine Web-Site ja auf beliebig viele Rechner verteilbar, so daß auftretende Engpässe schnell, billig und einfach beseitigt werden können.

(153) [67] Gnu/Linux selbst ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, wie der weltweite Bedarf an Distributionen mit sehr wenig Lohnarbeit abgedeckt werden kann. Die Firma SuSE als einer der beiden größten Distributoren beschäftigen gerade mal 250 MitarbeiterInnen.

(154) [68] Auf Begrenzungen stoßen Anbieter erst, wenn sie das Internet verlassen und z.B. Waren liefern müssen. Dazu benötigen sie natürlich eine Infrastruktur, die zunächst vom Internet unabhängig existiert und begrenzt sein kann.

(155) [69] So stecken z.B. in einem Auto, das heute ein Werk verläßt, um mehrere Größenordnungen weniger Arbeitsstunden als zu Zeiten von Henry Ford - ganz davon abgesehen, daß ein modernes Auto einen unvergleichlich höheren Gebrauchswert hat als ein Model T.

(156) [70] Diese Tätigkeiten lassen sich zunehmend schwerer mit den hergebrachten Kommandomethoden organisieren. Nicht umsonst hypen in den Management-Etagen in den letzten Jahren Führungskonzepte, die die traditionellen hierarchischen Beziehungen zunehmend hintan stellen und Motivation und Nutzung der kreativen Ressourcen der Mitarbeiter in den Vordergrund stellt. Diesen Versuchen sind aber durch die unaufgehobene Fremdbestimmtheit der Lohnarbeit prinzipielle Schranken gesetzt.

(157) [71] Die erfolgreiche Organisation von Software-Produktion hat schon heute nur noch wenig mit den Organisationsmethoden aus den klassischen Industrien bekannten zu tun. Wo erfolgreich Software produziert wird, herrschen echte Team-Arbeit und Konsensorientierung anstatt Befehlston deutlich vor. Auch dieser Aspekt weist deutlich über den Rahmen des Kapitalismus hinaus und hat letztlich in Gnu/Linux einen angemessenen Ausdruck gefunden.

(158) [72] Als weiterer Aspekt kommt hinzu, daß die Produkt- und Dienstleistungspalette durch den Zwang zu Vermarktung und Konkurrenz aufgebläht wird. In einer GPL-Gesellschaft könnten Produkte und Dienstleistungen, die heute lediglich zur Vermarktung benötigt werden, also wegfallen.

(159) [73] Für Dokumente gibt es z.B. die Open Content License oder seit neuerem auch eine Free Documentation License von Gnu.

(160) [74] Allerdings gibt es auch hier erste Bemühungen in Form der Freedom CPU (F-CPU).

(161) [75] Dabei darf nicht vergessen werden, daß die einfache Kopierbarkeit von Informationen eine Errungenschaft der Neuzeit ist. Nie in der Geschichte der Menschheit war es so einfach, Informationen in nahezu beliebigem Umfang zu kopieren, wie dies heute mit digitalisierter Information und Computern möglich ist. Es sei nur an die klösterlichen SchreiberInnen des Mittelalters erinnert, die handschriftlich Bücher kopierten.

(162) [76] Auch das Internet beruht entscheidend auf der Einfachheit einer digitalen Kopie: Ein Web-Browser muß ja z.B. eine lokale Kopie - und liege sie nur im Hauptspeicher - des Angezeigten vorhalten. Das Internet ist also entscheidend eine Möglichkeit zum Fernkopieren.

(163) [77] Selbstverständlich sind auch stärker spezialisierte, aber weitgehend programmierbare Maschinen schon ein Schritt in diese Richtung. So gibt es beispielsweise in der Metallverarbeitung heute schon Automaten, die einmal programmiert praktisch unbeaufsichtigt die Arbeit von vielen Menschen übernehmen. Dabei sind sie in so weiten Bereichen programmierbar, daß mit ihnen eine breite Palette von Werkstücken erzeugt werden kann.

(164) [78] Natürlich blieben auch dann einige Probleme der materiellen Produktion wie z.B. die Rohstoffversorgung bestehen. Dieses Problem stellt sich aber auch bei der Kopie von Informationen und ist dort in der Regel heute nicht mehr vorhanden. Die Versorgung mit Medien, auf denen die Kopien existieren ist also für den Bereich der Informationskopien lediglich ein Anhängsel des eigentlichen Vorgangs geworden. Diese Tatsache dürfte wesentlich durch die Uniformität der Medien und damit der Möglichkeit ihrer massenhaften Produktion begünstigt sein. Solche Effekte dürften sich bei den genannten Universalmaschinen mittelfristig ebenfalls einstellen.

(165) [79] Dies drückt sich heute u.a. in dem Anteil der Personen aus, die in der Agrarproduktion lohnarbeiten. Im hochindustrialisierten Deutschland liegt dieser Anteil heute bei ca. 5%.

(166) [80] Schon in der Entwicklung der industriellen Gesellschaft ist seit Jahrzehnten ein Trend weg von der materiellen Produktion zu erkennen. Die sogenannte Dienstleistungsgesellschaft ist ein Ausdruck dessen. Allerdings hat sich bislang die gesellschaftliche Form nicht von der industriellen Gesellschaft lösen können.

(166.1) 04.09.2000, 15:43, Wolf Göhring: Wenn taeglich 160 ha flaeche in D zugebaut werden mit allem drum und dran, dann ist das meines erachtens kein "trend weg von der materiellen produktion". Die sperrmuellberge zeigen auch keinen "trend weg". Richtiger duerfte sein, dass einiges nach ichweissnichtwohin (China) verlagert wurde, in regionen wo meiner einschaetzung nach durch mechanisierung in der landwirtschaft und in rohstoffindustrien arbeitskraft frei wurde.

(166.1.1) 29.06.2002, 23:51, Benni Bärmann: Der Trend liegt eben gerade darin, dass in den materiellen Bereichen immer weniger Wert geschaffen wird. Wenn also materielle Produktion als erstes in Billiglohnländer auswandert, dann ist das ein Zeichen für den Trend zur Dominanz der Wissensproduktion. Eigentlich müsste man es ja eher umgekehrt erwarten, da Informationen ja viel leichter zu transportieren sind als T-Shirts.


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