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Knappheit. Eine Realabstraktion.
Maintainer: Stefan Meretz, Version 1, 08.10.2004
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv
(1) Die freie Enzyklopädie Wikipedia [1] definiert Knappheit als »das (zu) seltene Vorkommen angestrebter materieller oder ideeller Güter/Werte«. Die Klammer verrät die Unsicherheit bzw. das Ambivalente dieser Defintion: Handelt um ein »absolut« seltenes Vorkommen oder bemisst sich Seltenheit an einem Bedarf, mithin am Stand gesellschaftlicher Bedürfnisse? Ist »Knappheit« also ein ontischer oder ein gesellschaftstheoretischer Begriff?
(1.2) 12.10.2004, 21:10, Stefan Merten: Fällt mir gerade so ein: Der Bedarf muss im Kapitalismus zumindest mit Zahlungsfähigkeit verbunden sein, sonst ist er nicht relevant.
(1.2.1) "Bedarf", 14.10.2004, 12:22, B. Klimmek: Wenn ein Bedarf mit Zahlungsfähig- und -willigkeit verbunden ist, spricht man ja nun von "Nachfrage". Was qualitativ etwas anderes ist als bloß Bedarf. Das macht nämlich genau den Unterschied zwischen Kapitalismus und Kommunismus aus. Hier regiert die Nachfrage, dort muß es der Bedarf. Bitte also nicht verwischen, diese wesenhafte Grenze ...
(1.3) Streifzug 2: Review auf keimform.de, 10.11.2006, 10:32, Stefan Meretz: Nach einiger Zeit habe ich die Diskussion hier bei open theory im Blog keimform.de ausgewertet. Titel: Streifzug-Review 2: »Knappheit«.
(2) »Seltenheit« und damit auch »Knappheit« sind offensichtlich relationale Begriffe: Selten - in Bezug worauf? Knapp - für wen? Dennoch wird »Knappheit« häufig als vermeintliche Seinsbestimmung einer Sache verwendet: das knappe Öl, die knappe Zeit etc. Verrückt wird die Angelegenheit, wenn es um hergestellte Güter geht. Güter, die als Waren hergestellt werden, werden nur hergestellt, weil sie knapp sind, denn nur dann sind sie verkaufbar: »Verwertung braucht Knappheit« [2]. Die Knappheit, die Verwertungs- also Produktionsvorausetzung ist, muss gleichsam mit geschaffen werden, damit überhaupt Güter produziert werden, die jedoch die Knappheit nie beseitigen können, weil sie sonst nicht produziert werden würden. Verwundert stellen Theoretiker/innen fest, dass wir in Zeiten des Überflusses in einem »Zeitalter der Knappheit« (Wallimann/Dobkowski) leben. Da sie jedoch Knappheit ontisch und nicht als Resultat der Herstellung von Gütern als Waren, mithin nicht als gesellschaftlich hergestellt begreifen können, prallen Überfluss und Knappheit wie zwei unerklärliche Mysterien aufeinander.
(2.1) "Überfluß", 11.10.2004, 17:05, B. Klimmek: Hinzu kommt ja noch der allzu moralische Gestus, wenn von (meist nur vermeintlichem) "Überfluß" die Rede ist. Kaum kommt man hierzulande mal dazu, unaffektiert über Überflußproduktion reden zu können. Man hört sofort aus allen Ecken: "ja, unsere Überflußgesellschaft" und "wir leben doch im Überfluß!" Ungeachtet dessen, daß - wie Meretz hier sehr zurecht und stringent logisch herausarbeitet (in Anlehnung an Lohoff: "Zur Dialektik von Mangel und Überfluß") - es in wesentlichen Fragen überhaupt noch nie zu einer globalen Bedürfnisbefriedigung, sprich einem Überfluß an Gütern, die dann eben keine Waren mehr wären, gekommen ist.
Das erste Problem ist also erstmal, die pawlovsch hervorschnellende Kirchentagsrhetorik hinter sich zu lassen bzw. öffentlich zu diskreditieren.
(2.2) Knappheit / Mangel, 26.10.2004, 14:31, Rolf Schröder: Der Knappheitsbegriff führt mitten hinein in das Herz der neoklassischen Wirtschaftstheorie. Bedauerlicherweise wird das, was die Seite 1 der meisten ökonomischen Lehrbücher beherrscht, von linker Seite weit gehend ignoriert. Der scheinbare Widerspruch zwischen Überfluss und Knappheit erklärt sich mit einer Gleichsetzung von Mangel und Knappheit, bei letzterer ist etwas da (im Gegensatz zum Mangel, bei dem etwas fehlt), aber es ist nicht genug, als dass es nicht abgeschätzt und eingeteilt werden müsste (vgl. die sehr lesenswerte Darstellung Unersättlichkeit und Grenze. Anmerkungen zum Begriff: Knappheit von B. Sichtermann, Mehrwert, Nr. 14, 1978, S. 133-171, hier z. B. S. 137).
(2.2.1) Re: Knappheit / Mangel, 15.10.2006, 14:29, Stefan Meretz: Leider gibt es es den von dir genannten Sichtermann-Artikel nicht online. Frau Sichtermann möchte vielleicht an diesen Artikel auch nicht mehr erinnert werden. Ich habe nur deine Paraphrasierung von Sichtermann in einem längeren Artikel gefunden: "Scarcity means, as Sichtermann (1978: 165) emphazises, that something is there, although not in infinite quantities therefore, it has to be quantified, divided, made subject to rational planning". Hier ist nicht von Knappheit, sondern von Begrenztheit die Rede. Bei Knappheit interessiert nicht, ob etwas "da" ist oder nicht, entscheidend ist, dass es nicht allgemein verfügbar ist. "Überfluss und Knappheit" ist in der Tat kein "Widerspruch", sondern eine Paradoxie.
(3) Den Gipfel der Verrücktheit erreichen wir schließlich bei Informationsgütern, die zwar eines stofflichen Trägers bedürfen, selbst aber unstofflich und damit genuin unbegrenzt sind. Hier hilft nur blanke Gewalt, um sie »knapp« zu machen, trete sie in vermittelt rechtlicher oder unmittelbar physischer Form auf.
(3.1) 12.10.2004, 21:10, Stefan Merten: Sie bedürfen nicht mal unbedingt eines stofflichen Trägers. Elektromagnetische Wellen würde ich jedenfalls nicht als stofflichen Träger betrachten.
Zugespitzt könnte mensch vielleicht sagen, dass Informationsgüter lediglich eine bestimmte Struktur von Wechselwirkung sind.
(3.1.1) 13.10.2004, 16:40, Wolf Göhring: Wunderbar, diese durchs unendliche und leere all schwebenden elektromagnetischen wellen, meilenweit kein stoff. Oder etwa ein einsam mit hamalnue dahineilendes lichtquant. Dies waere die konsequenz, wenn elektromagnetische wellen, als repraesentanten eines informationsgutes, keines stofflichen traegers beduerften. Ziemlich idealistisch, aetherisch und esoterisch eine solche vorstellung.
Wie sollte man ohne stoff auch nur 1 bit erkennen koennen?! Das bedeutet, zunaechst mal feststellen, dass an einer bestimmten stelle gerade mal ein bit da ist, und auch noch feststellen, welchen "wert" es hat, ob es auf den fuessen oder auf dem kopf steht.
Und wie geht so'n traegerloses informationsgut in meinen denkkasten rein? Dort isses auch bloss ein informationsgut, das bar jeglichen stofflichen traegers sein koennte. Mein kopf koennte also voellig hohl und doch voller informationsgueter sein. Schon erstaunlich, dass die natur selbiges noch nicht erfunden hat. Sonst ist sie doch so schlau.
Das nichts nichtet, ganz Heideggerisch.
(3.2) 12.10.2004, 21:10, Stefan Merten: Heute habe ich etwas Witziges über das Wort "Raubkopien" gelernt. Nicht nur, dass "Raubkopien" mit Wegnehmen, bei dem die Beraubte nachher das geraubte Gut nicht mehr hat, nichts zu tun haben - das wusste ich schon. Nein, auch der Begriff Raub ist nur zulässig, wenn es sich um eine Erlangung unter Einsatz oder Androhung von Gewalt handelt - sonst handelt es sich um Diebstahl. Gewalt ist über ein P2P-Netzwerk aber etwas schwierig ;-) .
(3.3) 12.10.2004, 21:11, Stefan Merten: "Genuin unbegrenzt" finde ich zu heftig. Informationen, die noch nicht erfunden sind, sind z.B. nur extrem begrenzt erhältlich ;-) . Besser wäre vielleicht: Nicht an stoffliche Begrenzungen gebunden.
(3.3.1) Informationen genuin unbegrenzt, 23.10.2004, 16:20, Stefan Meretz: Darüber habe ich länger nachgedacht, bin aber zu dem Schluss gekommen, dass "genuin unbegrenzt" schon richtig ist. Eine ausführliche Erklärung nähme allerdings viel Platz in Anspruch, deswegen das abkürzende Argument: Hier geht's um die Verfügbarkeit von Informationen für alle Menschen, und die ist nicht begrenzt, da sie nicht abnnehmen, wenn man sie verteilt. Noch "nicht erfundene Informationen" sind IMHO ein Widerspruch in sich: Es gibt sie nicht, womit sie auch keine Informationen sind und damit auch nicht begrenzt sein können;-)
(3.4) 14.10.2004, 10:10, Hans-Gert Gräbe: Und schon wirfst du zwei Knappheitsbegriffe in einen Topf, die Knappheit von Ideen und die Knappheit von Produkten, in denen eine Idee materialisiert ist.
Die Debatten wiederholen sich. In einer Gesellschaft, in welcher Ideen nur als in Produkten materialisierbare Ideen was "wert" sind, im Sinne des gesellschaftlich praktizierten Wertbegriffs also keinen eigenständigen Wert haben ("Einmal entdeckt, kostet das Gesetz über die Abweichung der Magnetnadel im Wirkungskreis eines elektrischen Stroms oder über Erzeugung von Magnetismus im Eisen, um das ein elektrischer Strom kreist, keinen Deut."; die weitergehende Kritik von WolfG an einem solchen praktizierten Verständnis in opentheory.org/kw48_02-2/4.1.1 will ich hier nicht wiederholen), wird offensichtlich auch in unseren Diskussionen diese Verbindung unauflösbar.
Es wäre aber gerade diese Verbindung, die zunächst theoretisch aufgelöst werden müsste. Alle Argumente in diesem Text drehen sich nur um eine angebliche Wertlosigkeit von "Gütern", bei denen die materielle Replikation der Idee so einfach ist, dass - im Gegensatz etwa zu ingenieurtechnischen Ideen im Anlagen- und Werkzeugbau - nicht einmal mehr eine Produktionsinfrastruktur vorgehalten werden muss. Womit man die Kosten für die Idee nicht mehr in einem (wohlfeilen und theoretisch gut verstandenen) Abschreibungsmodell für Maschinen und Anlagen verstecken kann.
Weitgehend uninteressant und die Aliens krümmen sich vor Lachen, dass hier so was diskutiert wird. Denn ihnen ist bekanntlich egal, worüber wir diskutieren, Hauptsache wir verlassen nicht den durch sie gesetzten Rahmen der Welt der "Güter". Dass das, was dort eingeführt werden soll, viel zerstört, aber auch von den Aliens nicht zu praktischem Funktionieren gebracht werden kann, ist mir im Zusammenhang mit Software-Komponenten deutlich geworden, wozu ich gerade eine Vorlesung halte. Seit über 30 Jahren (Smalltalk, 1968) existiert die technologische Basis und seit 30 Jahren versucht man, einen "Komponenten-Markt" zu etablieren. Aber selbst ein Stück weit entfachte Feuer wie bei VBS gehen irgendwie immer von selbst aus. Das hat aber nach meinem Verständnis gerade nicht mit Knappheit und Gütercharakter zu tun, sondern mit Infrastruktur und Standards, ohne welche Komponenten nicht laufen.
Dass man im praktisch-politischen Raum dem Aufrichten von Barrieren, mit denen Knappheit erzeugt werden soll, Widerstand leisten muss, steht auf einem anderen Blatt. Aber auch da geht es m.E. nicht gegen Knappheit, sondern für freizügigen Zugang.
Wichtige kritische Ideen - das Einzige, was den Aliens wirklich gefährlich würde - sind übrigens wirklich knapp und werden immer knapper (gehalten), da die Finanzierung kritischer Wissenschaft (im Sinne etwa von [Frieder Otto Wolf, Kritische Wissenschaft und globalisierungskritische Bewegung, Forum Wissenschaft 2/04 22-26, 2004]) immer weiter zurückgefahren wird.
(3.4.1) 14.10.2004, 14:47, B. Klimmek: Sehr kryptisch das, vor allem aber diese "Alien"-Metapher. Der Text wird dadurch nicht unbedingt seriöser. Ist das der neue Nerd-Slang gegen "die da oben"?? Zum Beispiel ist mir auch der Satz nach "Die Debatten wiederholen sich." nicht klar, nicht einmal grammatikalisch: "In einer Gesellschaft, [Relativsatz], [Aufzählung] ([Klammerbemerkung]), wird offensichtlich auch in unseren Diskussionen diese Verbindung unauflösbar." Wie meinen? Ist das grammatische Subjekt des Satzes so unwichtig, daß es erst ganz verschämt am Ende kommen muß?
(3.4.1.1) 15.10.2004, 09:45, Hans-Gert Gräbe: Es ist ein Kommentar zu einem Text von SMz, mit dem mich ein längerer diskursiver Zusammenhang verbindet. Insofern habe ich mir erlaubt, kontextuelle Begrifflichkeiten aus dem Oekonux-Zusammenhang frei zu verwenden. Die Alien-Metapher insbesondere nimmt Bezug auf die komplexen Argumentationen im Buch "Die Aliens sind unter uns" von C.Spehr, dessen Anliegen im Untertitel "Macht und Herrschaft im demokratischen Zeitalter" vielleicht deutlicher zum Ausdruck kommt. Ein paar ergänzende Ausführungen dazu findest du auch am Ende meines Texts http://www.opentheory.org/mtb-mawi.
Innerhalb dieses diskursiven Zusammenhangs wiederholen sich die Debatten in der Tat, siehe etwa http://www.opentheory.org/kw48_02-2, http://www.opentheory.org/info_kap_1. Insbesondere die fundierten Kritiken von Werner Imhof stehen m.E. nach wie vor im Raum.
Mit der Kritik an meinem Schachtelsatz hast du natürlich recht. Hier noch einmal ohne Klammern, denn ich halte den Gedanken für relativ zentral: "In einer Gesellschaft, in welcher Ideen nur als in Produkten materialisierbare Ideen was "wert" sind, ... also keinen eigenständigen Wert haben, wird diese Verbindung offensichtlich auch in unseren Diskussionen unauflösbar". Ein paar Überlegungen, warum Konzepte auch unabhängig von einer produkthaften Realisierung interessant sind, findest du z.B. in meinem Text http://www.opentheory.org/mtb-d-thesen
(3.4.2) Ideen und Produkte, 16.10.2004, 08:57, Stefan Meretz: Ich habe Schwierigkeiten zu verstehen, was du mir mitteilen willst. IMHO werfe nicht ich "die Knappheit von Ideen und die Knappheit von Produkten, in denen eine Idee materialisiert ist" in einen Topf, sondern - ja, ich weiss, es ist dir zu "formzentriert" - die Logik der Verwertung (metaphorisch gemeint). Gerade "im Sinne des gesellschaftlich praktizierten Wertbegriffs" sind nicht nur materialisierte Idee "was wert", sondern auch die Ideen selbst sollen "was wert", sprich verkaufbar sein, obwohl sie in der Regel "wertlos" sind (dein Beispiel von Marx mit dem Gesetz, wo es eindeutig ist). Das ist ähnlich wie bei materialen Infrastrukturen, die gesellschaftlich geschaffen werden müssen, damit Gesellschaft funktioniert (und mithin die Verwertung), die aber selbst aus funktionierender Wertproduktion alimentiert werden müssen. Mir ist überhaupt nicht klar, warum du Infrastruktur und Güter gegeneinander stellst. Auch ist jeder erhaltene und geschaffene freizügige Zugang ein Beitrag gegen künstliche Begrenzungen (Knappheit).
(3.4.3) 18.10.2004, 22:31, Stefan Merten: Ich kopiere aus deinem Monsterkommentar erstmal raus, worum es mir geht: "Dass das, was dort eingeführt werden soll, viel zerstört, aber auch von den Aliens nicht zu praktischem Funktionieren gebracht werden kann, ist mir im Zusammenhang mit Software-Komponenten deutlich geworden, wozu ich gerade eine Vorlesung halte. Seit über 30 Jahren (Smalltalk, 1968) existiert die technologische Basis und seit 30 Jahren versucht man, einen "Komponenten-Markt" zu etablieren. Aber selbst ein Stück weit entfachte Feuer wie bei VBS gehen irgendwie immer von selbst aus. Das hat aber nach meinem Verständnis gerade nicht mit Knappheit und Gütercharakter zu tun, sondern mit Infrastruktur und Standards, ohne welche Komponenten nicht laufen."
(3.4.3.1) 18.10.2004, 22:32, Stefan Merten: Software-Komponenten - ein Prinzip, dass wie so viele andere mal vor ein paar Jahren gehypet wurde. Jenseits irgendwelcher akademischer Definitionen stelle ich fest, dass die Baukästen, die ich mir für meine Arbeit wünsche, in Sprachen wie Python, Perl o.ä. in jedem nur wünschbaren Umfang zur Verfügung stehen. Vielleicht nennst du das nicht Komponenten. Für mich ist es das, was ich mir von Komponenten wünsche.
(3.4.3.1.1) Software aus Komponenten, 25.10.2004, 13:06, Hans-Gert Gräbe: Ich mach dazu - wie gesagt - gerade eine Vorlesung. Mir wird dabei immer klarer, dass Linux eigentlich die Komponenten-Software schlechthin ist (besonders mit Gentoo, denn 'emerge ...' macht unter dem Blickwinkel nichts anderes als ein Produktivsystem aus Komponenten zusammenzuschrauben) und alles Marktgefasel drumherum die fragilen Fäden eher zerschneidet als unterstützt. Da ist [Szyperski, Component Software, Addison Wesley 2002] wirklich eine Fundgrube, auch wenn er nicht über Open Source redet.
(3.4.3.2) 18.10.2004, 22:32, Stefan Merten: Natürlich sind diese Komponenten in Freier Software entstanden und auch Sun hat mit dem halb-freien Java einen ähnlichen Prozess hingekriegt. Und das habe nichts mit Warencharakter zu tun? Aber hallo! Einen Markt für proprietäre Komponenten gibt es auch nach meiner Wahrnehmung nicht. Weil es sich nicht rechnet würde ich sagen. Hier steht der Warencharakter einer sehr vernünftigen Infrastruktur nachhaltig im Wege. In Freien Projekten fällt der weg und damit der Zwang zur Verknappung - und schon blüht auf, was sinnvoll ist.
(3.4.3.2.1) 25.10.2004, 13:12, Hans-Gert Gräbe: Die Mechanismen sind nach meiner Beobachtung leicht subtiler. Es ist nach meinem Verständnis nicht die fehlende Verknappung, sondern der Zwang zur Standardisierung, der hier Marktmechanismen ausknockt. Komponenten funktionieren nur innerhalb einer Plattform. Es ist ja gerade der große Erfolg von Java, dass Sun die JVM weitgehend frei(zügig) herausgibt. Sobald einer versucht, die Plattform zu proprietarisieren, ist der "Markt" tot. Genau der Unterschied zwischen den zwei Vorteilsmodellen, von denen ich in letzter Zeit viel geredet habe. Kompetenzvorteil und eine aus Bausteinen gebaute Welt bedeuten nicht das Ende der Wertform, aber einen Wechsel der Leitsozialisation.
(3.4.3.2.1.1) 29.10.2004, 22:12, Stefan Merten: Standardisierung ist - betriebswirtschaftlich gesehen - eine andere Lesart von mangelnder Verknappungsmöglichkeit. Wenn mein Produkt einem Standard folgen muss, dann ist es austauschbar - ein Grund warum mensch volswirtschaftlich Standards überhaupt haben will. Handele ich aus Profitinteresse, dann schieße ich mir also ins Knie, wenn ich mich an Standards halte (modulo der andernorts genannten Einwände).
(3.4.3.2.1.2) 29.10.2004, 22:12, Stefan Merten: Nun, vom Ende der Wertform durch einen einzelnen Aspekt zu reden, wäre eine leichtsinnige Unterschätzung derselben. Was du Wechsel der Leitsozialisation nennst, finde ich aber durchaus tiefgreifend. Immerhin wächst Komponentenarchitektur als eine vernünftige Technologie nur jenseits der Wertform. Wechsel der Leitsozialisation heißt in diesem Falle, dass sich eben alle Player auf diese Logik jenseits des Werts einlassen müssen oder sie erfolglos bleiben. Nicht das Ende der Wertform / Subsistenz, aber die Bauern fangen an, für den Markt zu produzieren.
(3.4.3.2.1.2.1) 01.11.2004, 19:19, Hans-Gert Gräbe: Ich finde in dem Zusammenhang interessant, dass es seit 30 Jahren - Szyperski beschreibt das sehr schön - intensive Bemühungen gibt einen Komponentenmarkt zu etablieren, aber selbst unter guten Vorzeichen (M$ als Provider der Infrastruktur für VB) alles wieder schnell zusammenbricht. Meist, weil die kleinen Anpassungen aus wirtschaftlicher Sicht nur der (kompetente) Nutzer machen kann, nicht aber der Provider. Selbst mit dem Ansatz "Konfigurieren" kommt man nicht weiter, weil das Marktprinzip die kausale Entkopplung der beiden Parteien nicht abbilden kann.
Und ich wundere mich, dass Szyperski nicht begreift, dass Linux die Komponentensoftware ist, besonders seit Gentoo.
(3.4.3.2.1.2.2) Ende der Wertform?, 01.11.2004, 19:21, Hans-Gert Gräbe: Davon rede ich auch nicht! Im Gegenteil möchte ich die Wertform auf ihre zivilisatorisch brauchbaren Aspekte abgeklopft wissen. Müheaspekt ja - Nutzenaspekt hat sich überlebt und muss durch direktere Kommunikationsformen vermittelt werden.
(3.4.3.3) 18.10.2004, 22:32, Stefan Merten: Ganz ähnliches gilt für Infrastruktur und Standards. Es ist doch sonnenklar, dass ein proprietärer Hersteller kein Interesse an einem Standard haben kann, den er nicht kontrolliert. Dazu müssen proprietäre Hersteller gezwungen werden - in Gremien wie dem W3C oder IETF und durch eine Realität, in der sie nicht den Markt dominieren.
(4) Sortieren wir neu: Vorkommen, Begrenztheit, Knappheit - so lautet eine sinnvolle Unterscheidung, entwickelt im Oekonux-Projekt [3]. Ein Gut kommt vor oder nicht - unabhängig davon, ob wir es brauchen oder nicht. Das Vorkommen kennt ein absolutes Maß. Auf der Erde gibt es Rohstoffe fester Menge. Verleiht man dem Begriff ein zeitliches Maß, so ist er auch auf hergestellte Güter übertragbar: In Wien gibt es so-und-soviele Fahrräder. Die Apfelernte erbrachte so-und-soviele Tonnen.
(4.1) 12.10.2004, 21:11, Stefan Merten: Ok, der Trick ist also, dass du Vorkommen auch als Bestandsaufnahme, als Schnappschuss betrachtest. Ja, das macht Sinn. Hebelt halt den historischen Charakter ein bisschen aus.
(5) Die Reichlichkeit oder Begrenztheit stellt ein Verhältnis her zwischen der Verfügbarkeit eines Gutes und den Bedürfnissen der Menschen, dieses zu erhalten und zu benutzen. Gemessen am Bedarf, kann ein Gut in zu geringer Menge vorkommen. Solche Begrenzungen können abgestellt werden. Vom gewünschten Gut kann mehr hergestellt werden. Mit neuen Technologien können vormals unzugängliche Rohstoffe gefördert werden, oder das Bedürfnis wird mit Produkten befriedigt, die eben jenen begrenzten Rohstoff nicht erfordern. Im nächsten Monat können mehr Fahrräder hergestellt werden. In einigen Jahr geben die neu gepflanzten Apfelbäume mehr Äpfel. Produktion von Lebensmitteln im allgemeinen Sinne bedeutet immer, gesellschaftlich mit Begrenzungen umzugehen.
(5.1) 14.10.2004, 10:29, Hans-Gert Gräbe: Oh, bitte nicht diesen Machbarkeitswahn. 20 Jahre nach den "Grenzen des Wachstums" ist das nun wirklich nicht mehr state of the art.
(5.1.1) Club of Rome?, 14.10.2004, 14:55, B. Klimmek: Also, erst Antiglobalisierungsliteratur hier empfehlen und jetzt noch den paternalistischen Club Of Rome zitieren - der ja nun 20 (25?) Jahre später auch selbst "nun wirklich nicht mehr state of the art" ist ... Wohin soll das noch führen? Vor Leuten, die die Rede vom "Machbarkeitswahn" im Munde führen, habe ich doch schon in einem vorgängigen Kommentar gewarnt. Sollen ruhig wieder zur heimischen Subsistenz-Scholle gehen, sie beackern und von "Machbarkeitswahn", "Fortschrittsgläubigkeit" und der "Macht" der "Konzerne", meinetwegen noch vom "Empire" schwadronieren ... Vielleicht noch mit einem Zitat von Häuptling Der-mit-stolz-erhobenem-Haupt-tanzt garniert?
(6) Eine besondere Form des Umgangs mit Begrenzungen ist die Warenproduktion. Genau besehen löst sie die Verfügbarkeit eines Gutes vom Vorkommen und von Begrenzungen ab. Eine Ware darf nicht frei verfügbar sein, sonst sie sie keine, sie muss knapp sein. Ist sie nicht knapp, wird sie knapp gemacht: weggeschlossen, verschlechtert, vernichtet. Knappheit ist eine geschaffene, soziale Form der Warenproduktion, eine Realabstraktion. Sie abstrahiert von wirklichen Begrenztheiten und Vorkommen, um daraus die real wirksame »Form Knappheit« zu machen. Die soziale »Form Knappheit« produziert die Paradoxie des Mangels im Überfluss. Da abgelöst vom wirklichen Vorkommen, kann sie auch nicht nachhaltig sein. Sie ist geradezu das Gegenteil, denn sie zerstört Vorkommen. Die Warenproduktion kann Begrenzungen daher auch nicht wirklich begegnen. Anstatt Begrenzungen zu überwinden, muss sie Begrenzung zunächst in Knappheit transformieren, um sie dann zu perpetuieren. Dies gilt für Nahrungsmittel und Bodenschätze, für Industriegüter, für Arbeitskraft und im besonderen Maße für menschliche Kreativität.
(6.1) 08.10.2004, 18:16, Ano Nym: Das ist etwas zu kurz gegriffen. Das "Gesetz von Angebot und Nachfrage" widerspiegelt - etwa im Fall der Rohstoffallokation - durchaus reale "Begrenzungen", obzwar nur im (allzukurzen) Zeithorizont des Marktes, der für langfristige Veränderungen der "Vorkommen" insofern blind ist, als dass sie von den Marktteilnehmern in der Regel nicht antizipiert werden. Dies ist der eigentliche Grund für die Unmöglichkeit einer Versöhnung von "ökonomischer" und "ökologischer Effizienz" im Rahmen kapitalistischen Wirtschaftens.
(6.2) Knappheit der Arbeitskraft, 11.10.2004, 17:21, B. Klimmek: Ohne das nun vollständig durchdacht zu haben ...: ich denke, daß "der Kapitalismus" nicht bruchlos Arbeitskraft verknappen kann, und zwar aus folgendem Grunde. Das Spezifische an der Ware Arbeitskraft ist ja nun, daß ihre Träger nicht Ziegelsteine sind, sondern (potentielle) Konsumenten alles Produzierten. Das kapitalistische System funktioniert doch aber eben nur dann so, wie wir es kennen, wenn eine gewisse Knappheit an "Arbeitsplätzen" besteht - und eben nicht eine an "Arbeitskräften". Ich möchte kein böses Subjekt "Kapital" unterstellen (vielleicht eher jenes automatische), das da nun genau drauf achtet, aber m.E. sind es systemimmanente Zwänge, die eben dazu führen, daß strukturell die vielzitierte Reservearmee bestehen muß (also eben keine Knappheit an Arbeitskraft: vielmehr brachliegende), damit psychologisch/juristisch den in Lohn und Brot stehenden klar ist, daß sie ja noch privilegiert sind gegenüber jenen, die nicht einmal mehr ausgebeutet werden.
Oder bin ich da - als Laie der politischen Ökonomie - einem Fehler aufgesessen? Es könnte ja sein, daß es hier mal wieder widerstrebende Tendenzen innerhalb des Systems gibt. So wie z.B. die Gesamtheit der bornierten Interessen der Einzelkapitalien bisweilen dem Gesamt-Kapitalinteresse zuwiederlaufen - was sich ja dann notwendigerweise und recht ungemütlich in Krisen bahnbricht ...
(6.2.1) Re: Knappheit der Arbeitskraft, 16.10.2004, 12:54, Stefan Meretz: Wenn du es nicht nur aus Sicht des Kapitals denkst, sondern die gesamte Funktionslogik in den Blick nimmst, dann muss du berücksichtigen, dass in der Tat auch "die Arbeit" dafür sorgen muss, knapp zu sein, um Ware sein zu können. Das notwendige Interesse des Kapitals, Arbeitskraft möglichst unknapp und damit billig zur Verfügung zu haben, steht hier in der Tat im unversönlichen Widerspruch zum notwendigen (Gegen-)Interessen der Arbeit, eben jene zu verknappen, um Arbeitskraft als Ware noch verkaufen zu können. Obwohl "unversöhnlich" handelt es sich gleichwohl um einen immanenten Widerspruch. - Allerdings, das stimmt schon, kommt das alles in der simplen Aufzählung zu kurz.
(7) Die Ideologie der Knappheit kann durchaus auf reale Begrenzungen verweisen, aber ist eine Mär, dass Begrenzung Knappheit ist. Begrenzungen können überwunden werden, Knappheiten per Definition nicht. Mit Begrenzungen ist die Menschheit schon immer umgegangen, mit Knappheiten schlägt sie sich erst seit Zeiten des Kapitalismus herum.
(7.2) 13.10.2004, 10:23, Bastian Steudel: Kann man die "Ideologie der Knappheit" wirklich am Kapitalismus fest machen, oder doch nicht lieber am Menschen? (für den etwas um so begehrenswerter wird, je knapper es ist...)
(7.2.1) 15.10.2004, 22:04, Stefan Merten: Du tappst hier in eine ideologische Falle. Menschen haben ein Bedürfnis zunächst mal ganz unabhängig davon wie und ob es zu befriedigen ist. Das im Kapitalismus zu denken, ist leider fast unmöglich. Wollen wir uns mit Gesellschafttheorie befassen, dann ist dieser Entideologisierungsschritt aber dringend nötig.
Wäre deine Vermutung richtig, so würdest du dich tagtäglich nach einem Antigrav (noch nicht erfunden) oder einem Öltanker (vermutlich nicht für dich verfügbar) verzehren. Das ist offensichtlicher Unsinn. Das Begehren hat also erstmal überhaupt nichts mit der Verfügbarkeit von Etwas zu tun.
Die Erfüllung eines Bedürfnises wird aber natürlich anstrengender, wenn die Bedürfnisbefriedigung schwierig zu erlangen ist. Dazu kann gehören, dass die Mittel zur Bedürfnisbefriedigung nur begrenzt vorhanden sind. Das Streben nach Bedürfnisbefriedigung verlagert sich dann auf die Schaffung dieser Mittel - und nicht auf die Schaffung von Knappheit Was du vermutlich meinst, ist das Streben nach materiellem Reichtum aus Gründen, die dem Gebrauchswert dieses Reichtums entfremdet sind. So kann ich mit z.B. vorstellen, dass du dich nach einem Ferrari verzehrst - auch wenn der Gebrauchswert eines Autos für dich mit einem Golf völlig oder sogar mehr abgedeckt wäre. Diese Entfremdung zwischen dem Nutzen einer Sache und dem Bedürfnis nach ihr aufzulösen, wäre für mich Teil des Programms einer GPL-Gesellschaft. wie sie dem Warenproduzieren immanent ist.
(7.2.2) Kulturgeschichte des Knappheitsbegriffes, 26.10.2004, 14:38, Rolf Schröder: Interessanter Punkt. Hilfreich ist vielleicht Illich, der (unabhängig von den üblichen theoretischen Betrachtungen) einmal versucht hat, den Knappheitsbegriff etymologisch bzw. kulturgeschichtlich zu entwickel (siehe 10.3.).
(8) Die Abschaffung der »Form Knappheit« ist eine Schlüsselfrage der weiteren Menschheitsentwicklung. Denn das wäre die Voraussetzung, sich ernsthaft - global und nachhaltig - dem Umgang mit Begrenzungen zuwenden zu können. Das ist nicht weniger als die Frage nach neuen gesellschaftlichen Kooperations- und Vermittlungsformen: Stellt sich die gesellschaftliche Kooperation und Vermittlung »blind« und »paradox« als automatische Warenproduktion her, die Knappheit perpetuiert, oder stellen wir eine Kooperations- und Vermittlungsform her, in der es möglich ist, sich mit Begrenzungen zu befassen? Hierbei - und das ist das Spannende - zeigt der Bereich der nichtstofflichen Informationsgüter paradigmatisch auf, was machbar wäre. Dort fehlt nämlich das »naturale Fundament« von Knappheit, denn Informationsgüter sind genuin unbegrenzt. Sie müssen erst mit Gewalt verknappt werden, um in Warenform gepresst zu werden.
(8.1) 14.10.2004, 10:42, Hans-Gert Gräbe: Eine Antwort auf meine Kritik (5.1) wären nicht "neue gesellschaftliche Kooperations- und Vermittlungsformen", sondern primär neue Kommunikationsformen, die auf den technologischen Möglichkeiten aktueller IT-Entwicklungen aufsetzen (und wo wir wohl gerade Zeuge ihrer Herausbildung sind; diese Diskussion hier wäre ohne die von SMz entwickelte Software und die entsprechenden technologischen Grundlagen gar nicht denkbar; "Stehen auf den Schultern von Riesen"). Von der Beschränktheit einer alleinigen Betrachtung der Formfrage jenseits von Inhalten, die ich anderenorts (opentheory.org/info_kap_1, etwa 25.1 und 28.1) bereits kritisiert hatte, mal abgesehen.
Was sind "Informationsgüter"? Sitzt du hier nicht einer von den Aliens bewusst lancierten "Realfiktion" auf? Dann würde aber auch das "Paradigmatische" dieses Bereichs für deine Fragestellung (die m.E., wie gesagt, vollkommen falsch fokussiert ist) zweifelhaft.
(8.1.1) bloß Kommunikation, 14.10.2004, 15:05, B. Klimmek: Wenn es bloß um "neue Kommunikationsformen" ginge, wie hier propagiert wird, dann müßte ja der Erzrevisionist der Frankfurter Schule Jürgen Habermas bereits den richtigen Weg weisen. Wohin der führt, wenn er sich bloß auf redliche Kommunikationsstandards beruft, die anzupeilen wären, kann man ja anhand seiner neueren Weggefährten ablesen. Er ist vom Revisionisten der vormals Kritischen Theorie zum offenen Propagandisten der geläuterten Weltmacht Europa avanciert. Blanker Idealismus also, sich von neuen "Kommunikationsformen" irgendein Heil zu erwarten. Das gelobte, regelrecht fetischisierte Internet ist ja nun auch schon in die Jahre gekommen; und wo ist sie nun, die allesumwälzende Wirkung? Wer hat eben noch den Fetischismus der Technik gegeißelt ("Machbarkeitswahn")?
Und: wer sind denn nun diese "Aliens"? Oder ist das geheim? Womöglich eine Verschwörung?
(8.1.2) 15.10.2004, 10:10, Hans-Gert Gräbe: Das mit den "Informationsgütern" ist mir gestern schlagartig klar geworden, als ich in [Szyperski: Component Software, Pearson 2002] gelesen habe. Die ersten drei Kapitel (Software-Komponenten und Markt) kann ich für unsere Diskussion sehr empfehlen. Er macht klar, dass Software 'blueprints' sind. Während in allen anderen ingenieurtechnischen Disziplinen genau zwischen den blueprints und den Produkten unterschieden wird, geschieht das im Softwarebereich genau nicht. Das beginnt bei der Konfusion mit dem Objektbegriff, wo oft nicht klar zwischen Prototyp und Instanz unterschieden wird. Verkauft wird kein Softwareprodukt, sondern ein blueprint, ein Bauplan. Ein Produkt (mit aller theoretischen "Wert"produktion im Schlepptau) wird daraus, so Szyperski, erst bei der Installation auf dem (z.B. heimischen) PC. Wenn man genau hinschaut (in der Informatik unterscheidet man ja zwischen design time, compile time und run time) wird selbst da der blueprint-Charakter nicht verlassen, sondern der Plan nur "detailliert". Erst beim Laden des Codes in den Speicher entsteht ein gebrauchsfertiges "Produkt". Und das bei jedem "Programmstart" neu. Das mag für einen einzelnen Computer noch nicht so klar werden, in einer Serverumgebung schon. Komisch, dass noch keiner auf die Idee gekommen ist, dort seine Hand aufzuhalten. Denn es ist ja klassisches Franchising, was da jeder mit seinem Computer macht! Mit thin client und application providing gibt es aber starke Bemühungen in der Richtung.
So sind die Dinge wirklich. Klassische Industriezweige lassen dich gar nicht erst in die Nähe der eigenen blueprints.
Deutlicher wird das noch an einer Webseite, denn das, was da übers Netz auf deinen Computer übertragen wird, hat ja wirklich Produktcharakter. Es kommt eine Anforderung von deinem Browser an den Server, der 'produziert' - bei dynamischen Seiten im wirklichen Wortsinn - die Antwortbytes, die werden zu dir zurücktransportiert und dann dargestellt. Alles sehr wertförmig interpretierbar, die Produktion auf dem Server, die logistische Leistung der Kabelnetze. Jeder könnte also gute Gründe für ein paar Micro-Cent nennen - oder vielleicht besser Micro-Dollars, die Abkürzung sieht besser aus :-).
Wäre allerdings die Frage, wie es zu bewerten ist, wenn du den Reload-Button drückst. Schließlich kriegst du dann ja ein neues Produkt und Cash wäre wieder fällig. Wie wenn du dein Auto zu Schrott fährst und ein neues brauchst.
Vielleicht sollte man diese Absurditäten mal konsequent durchdeklinieren.
(8.1.2.1) Blueprints und Produkte, 16.10.2004, 09:16, Stefan Meretz: Das finde ich wirklich spannend - danke für die Beschreibung. Die Absurdität, die du hier anreisst, ist doch die, dass etwas, dass eigentlich Infrastruktur ist, "produktifiziert" werden muss, um es (besser) verwerten zu können. Denn in dieser Form der "Produkte" sind sie wesentlich einfacher verknappbar. Dieser Aspekt ist das Mikro-Thema meiner Kolumne (für die mir nur 6300 Zeichen zur Verfügung stehen).
(8.1.2.1.1) 19.10.2004, 08:55, Hans-Gert Gräbe: Nicht um es "besser verwerten zu können", sondern um es überhaupt verwerten zu können.
(8.1.3) Alles nur Kommunikation?, 16.10.2004, 09:07, Stefan Meretz: Das ist vielleicht wirklich ein Unterschied zwischen uns: Nach meiner Auffassung geht es schlicht um die Frage, wir wie unserer Leben re-/produzieren. Da wir dies unabhängig von der Form stets gesellschaftlich tun und jeder Mensch zwar gesellschaftlich, aber nicht "die Gesellschaft" ist, stellt sich die Frage nach den "gesellschaftlichen Kooperations- und Vermittlungsformen". Diese sind hier und heute durch den Wert determiniert. Wenn dem nicht mehr so sein soll, dann ist die Frage: wie soll's denn anders gehn? Wie sehn denn "gesellschaftliche Kooperations- und Vermittlungsformen" jenseits des Formprinzips "Wert" aus? Nun sagst du: Wir müssen nur anders kommunizieren, wir brauchen "primär neue Kommunikationsformen". Das finde ich, gelinde gesagt, dem Problem "nicht angemessen".
(8.1.3.1) 21.10.2004, 10:46, Hans-Gert Gräbe: Habe ich so general auch nicht gesagt, sondern nur im Kontext von (5) und (5.1). Und da haben wir mglw. wirklich verschiedene Vorstellungen. Du sagst in (9.1.1), dass es nur äußere Beschränkungen dieser Gesellschaft sind, welche die Leute hindern, ihren Ideen nachzugehen und sie zu realisieren. Im Licht von (5) siehst du sonst keine Gründe und Grenzen, warum Ideen nicht realisiert werden können sollten (komische grammatikalische Konstruktion; aber genau diesen kategorisch imperativen futuristischen Konjunktiv meine ich!). Ich dagegen möchte auf (9.1.1.1) sogar noch eins draufsetzen, im Sinne meiner Kritik (5.1): Ideen haben darf jede(r) soviel er/sie will. Aber Realisieren von Ideen ist Eingriff in die reale Wirklichkeit, in welche eine Vielfalt anderer Interessen auch eingebetten sind. Deshalb ist es sinnvoll, Ideen vor deren Realisierung einem (auswählenden) Evaluationsprozess zu unterwerfen und damit (vor jeder Realisierung) zu sozialisieren. Und eben - auch aus Vorsorgeaspekten, so wie wir uns eine Feuerwehr halten, obwohl wir alles tun, dass es nicht brennt - längst nicht jede Idee zu realisieren. Habe ich in meinen d-thesen weiter ausgeführt.
Das geht (auch heute) keineswegs ausschließlich über den Wert, denn der blendet ja gerade die dinglichen Logiken aus. Hast du auch nicht gesagt, aber du sagst "determiniert". Wieso meinst du, dass die Hülle so fest auf dem "Eingemachten" sitzt? Ich kenne auch Aufsätze von SMz, in welchen der Keimform-Charakter expliziert wird im Sinne von Dominanzwechseln usw. Warum nicht hier auch? Wohin wechselt die Dominanz? Im mawi-Paper nehme ich dazu zwei Leitsozialisationen ins Visier, zwischen denen sich nach meinem Verständnis dieser Dominanzwechsel gerade vollzieht. Und komme zum "clash", siehe (9.1.1.1).
Mir ist weiters deine Gegenüberstellung Individuum - Gesellschaft zu holzschnittartig. Da ist viel mehr intermediäre Strukturiertheit dazwischen. Und genau dort laufen die m.E. theoretisch wirklich interessanten kooperativen Prozesse ab. Eine (erneute) staatssozialistische Alternative würde keines der zentralen heutigen Probleme wirklich lösen. Du redest aber davon - nicht auf der alten dirigistischen Ebene, aber auf der einer Totalität gewisser Vermittlungsformen ("stets gesellschaftlich").
(8.2) Alternative Geldtheoretiker, 26.10.2004, 14:43, Rolf Schröder: Knappheit überwinden wollen viele. Nur, welches sind die Scharlatane und wo gibt es eine wirkliche Perspektive? Aktuelles Beispiel: mit der Überwindung der Knappheit des Geldes sollen sich (wie von Zauberhand) alle sozialen Probleme in Wohlgefallen auflösen klingt eher nach Alchemie!?
(9) Diesen Umstand hat sich die Bewegung Freier Software zu nutze gemacht. Mit Hilfe von Lizenzen, die Verknappung verhindern, wird das Gut Software allgemein verfügbar und somit verwertungsunfähig gehalten. Das schließt nicht aus, dass die Software im »Bundle« mit anderen Leistungen einen Preis haben kann. Es ist jedoch verfehlt, im »unentgeltlichen Nutzen« von Software das Wesentliche von Freier Software zu sehen. Die Bewegung Freier Software ist in ihrem Kern eine soziale Form, mit Begrenzungen umzugehen, die nicht Knappheit re/produziert. Das ist ein wesentlich radikalerer, weil paradigmatischer Eingriff in die Logik der Warenform als ein Etikett »kostenlos« auf einer Ware, die ihre Form nicht ändert.
(9.1) 14.10.2004, 10:48, Hans-Gert Gräbe: Die Knappheit auch im Open Source Bereich kann jeder, der nicht blind ist und die vielen "nice to have" Listen durchgeht, sehen. Mit Hilfe der Lizenzen wird nicht Knappheit verhindert, sondern das Bauen von Barrieren. Das genau, der freizügige Zugang (und die Schaffung einer "gated community", in welcher dieses Prinzip Konsens ist, wie etwa V.Grassmuck in seinem Buch "Freie Software" treffend herausgearbeitet hat) ist bekanntlich der Inhalt der GPL.
(9.1.1) Knappheit bei Freier Software, 16.10.2004, 09:21, Stefan Meretz: Das ist nun wirklich unserös: Du legst an die Freie Software den Maßstab einer freien Gesellschaft an. Es gibt - um das mal zu verallgemeinern - global gesehen unendliche Listen von "nice-to-haves", aber die Leute haben ja keine Chance, dem nachzugehen, weil sie so Scheiss machen müssen wie "arbeiten gehen", um ihr Dasein zu fristen.
(9.1.1.1) 19.10.2004, 08:51, Hans-Gert Gräbe: Keineswegs, denn genau das ist der Knackpunkt. Ich gehe davon aus, dass es immer deutlich mehr Projekte, "nice to have"'s, "I'll want to do"'s geben wird als der endliche Zeitrahmen erlaubt zu realisieren. In diesem Sinne werden realisierte Ideen immer ein knappes Gut sein.
Die Geschichte mit den "Informationsgütern" (ich kann das nicht anders als in Anführungsstrichen schreiben) dagegen ist ganz anderer Natur: "information wants to be free" ist der zentrale Leitsatz der Wissenssozialisation, der Austausch in Produktform (als Informations-Gut) zentrale Voraussetzung für marktförmige In-Wert-Setzung. Diese Vergewaltigung der Natur von Information auch theoretisch aufzuarbeiten halte ich für extrem wichtig. Aber das geht nach meinem Verständnis nur so wie in meinem mtb-mawi Paper, als "clash of civilizations" (um mal paraphrasierend Huntington und Spehr nebeneinander zu legen).
Das, wie u.a. hier geschehen, auf Bereiche ausdehnen zu wollen, wo ein solcher "clash" gar nicht passiert, halte ich dagegen für extrem fragwürdig.
Übrigens gibt es wenigstens noch eine dritte Form von Knappheit: die der öffentlichen Kassen.
(10)
[1] de.wikipedia.org
[2] Nuss, S., Heinrich, M., Freie Software und Kapitalismus, Streifzüge 1/2002, 39-43
[3] www.oekonux.de
(10.2) 12.10.2004, 21:12, Stefan Merten: Die Korrekturen nur, falls die Streifzüge wieder nicht redaktionell korrigieren ;-) .
(10.2.1) 16.10.2004, 09:22, Stefan Meretz: Danke für die Korrekturen. Ich werde sie mal sicherheitshalber weitergeben. Bei den Streifzügen sind die Korrekturlese-Ressourcen anscheinend arg begrenzt;-)
(10.3) 26.10.2004, 14:51, Rolf Schröder:
Barbara Sichtermann: Unersättlichkeit und Grenze. Anmerkungen zum Begriff: Knappheit, Mehrwert, Nr. 14, 1978, S. 133-171.
Ivan Illich: Einführung in die Kulturgeschichte der Knappheit, In: Stephan H. Pfürtner: Wider den Turmbau zu Babel. Disput mit Ivan Illich, Reinbek bei Hamburg, 1985, S. 12-31