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Maintainer: Stefan Meretz, Version 2, 18.07.2006
Projekt-Typ: geschlossen
Status: Archiv

Zur Debatte um eine freie Gesellschaft

(1) Jede Gesellschaft besitzt unabhängig von der Form eine basale Eigenschaft: Der Erhalt der Gesellschaft ist durchschnittlich auf die Beiträge der Menschen angewiesen, jedoch vom Beitrag des konkreten Einzelnen unabhängig. Damit sich eine Gesellschaft erhalten kann, braucht sie einen »selbstreproduktiven Mechanismus«. Dieser »Mechanismus« hat konstitutive Funktion, ist das organisierende Moment des gesellschaftlichen Zusammenhangs. Er ist unsichtbar und sorgt doch dafür, dass durchschnittlich alle notwendigen Beiträge erbracht werden. Er konstituiert den Gedankenraum, in dem die Menschen wahrnehmen und denken und lernen sich im Medium der Gesellschaft zu bewegen und sich zu anderen ins Verhältnis zu setzen. Eske Bockelmann hat in seinem Buch »Im Takt des Geldes« eindrucksvoll beschrieben, wie sich im Übergang zur Moderne buchstäblich alles änderte: das Hören, das Sehen, das wissenschaftliche Denken und das Handeln.

(1.1) Re: Zur Debatte um eine freie Gesellschaft, 18.07.2006, 09:54, Stefan Meretz: Kommentar aus Version 1: 13.07.2006, 18:10, Hans Ley: Solange Menschen ihren (durchschnittlichen) Beitrag erbringen, also Teil des Mechanismus sind, identifizieren sie sich mit dem „Mechanismus“. Jeder hat das Bestreben sich möglichst unersetzbar zu machen und hofft das System werde auf seinen einzelnen (einzigartigen) Beitrag nicht verzichten können. Doch jeder ist ersetzbar, diejenigen, die gestern noch die größten Erfolge vorweisen konnten und die treuesten Diener des „Mechanismus“ waren sind morgen überflüssig. Doch es ist wie im Krieg, es trifft immer nur die anderen, bis es dann plötzlich einen selbst erwischt und man selbst einer der Versager ist, die dem Kampf des Lebens nicht gewachsen sind.

(1.2) Re: Zur Debatte um eine freie Gesellschaft, 18.07.2006, 09:57, Stefan Meretz: Kommentar aus Version 1: 14.07.2006, 16:19, Hans Ley: Warum ist das System, der “Mechanismus” in dem wir alle gefangen sind so stark, so fest in den Köpfen der Menschen verankert. Warum fürchten sich so viele Menschen davor auch nur über Alternativen nachzudenken. Warum entwickelt sich dieser Mechanismus immer mehr zu einem totalitären System, daß nicht mehr in Frage gestellt werden darf, nicht einmal mehr hinterfragt werden darf.
Hans-Olaf Henkel, der ehemalige BDI Präsident, hat diesen totalitären Mechanismus exakt auf den Punkt gebracht: "Herrscher über die neue Welt ist nicht ein Mensch, sondern der Markt. (...) Wer seine Gesetze nicht befolgt, wird vernichtet." (Süddeutsche Zeitung, 30.05.1996) Das ist die Sprache des Unmenschen, was nicht heißen soll Hans-Olaf Henkel ist ein Unmensch.
Ein totalitäres System entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern im Wechselspiel zwischen der Ausübung von Herrschaft und dem vorauseilenden Gehorsam der Menschen, der diese Herrschaft möglich macht. Es ist eine Spirale, die immer enger wird, den Menschen immer weniger Spielraum, immer weniger Luft zum Atmen läßt. Niemand ist da der den Anfängen wehrt, aber wo gibt es überhaupt erkennbare Anfänge, die man abwehren könnte, alles ist schleichend, grau in grau. Doch was macht diesen Mechanismus zu einem Paradigma? Es ist der naturwissenschaftliche Anspruch, das System ist in den Köpfen der Menschen wie ein Naturgesetz verankert. Der Sozialdarwinismus lehrt uns, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf und lehrt uns das Recht des Stärkeren. Das System ist nur die logische und konsequente Anwendung der „Naturgesetze“ auf die menschliche Gesellschaft, auf die Wirtschaft. Wer will sich gegen Naturgesetze auflehnen, es erscheint den meisten Menschen leichter die Schwerkraft aufzuheben als die unerbittlichen und ehernen Gesetze des Marktes. Hat nicht der Zusammenbruch des Realexistierenden Sozialismus die letzten Bedenken an der Naturgesetzlichkeit des Kapitalismus zerstreut. War nicht schon das Ende der Geschichte gekommen, das letzte Ziel erreicht, die Tore zum immerwährenden Konsumparadies offen? Doch es ist nur ein Paradies für wenige, die Zahl der Verlierer, der Ausgestoßenen wird täglich größer. Beschleicht nicht mehr und mehr auch die Glücklichen, die sich noch in ihrem Erfolg sonnen ein dumpfes Gefühl, ein Gefühl des Ausgeliefertsein an ein System, daß nicht mehr von Menschen gesteuert wird, sondern sich verselbständigt hat und nur noch seinen eigenen Gesetzen folgt. Eine falsche Entscheidung, ein Konkurrent der besser ist und ....... was kommt dann?

(1.2.1) Re: Zur Debatte um eine freie Gesellschaft, 19.07.2006, 23:18, Stefan Meretz: Ja, du beschreibst sehr treffend die Tragödie. Aber wie Maike in 8.1 sagt: Auch repressive soziale Verhältnisse sind selbstreproduktiv. Oder wie ich das anderenorts gesagt habe: Der Kapitalismus ist eine kybernetische Maschine. Der Ausstieg ist aus mehreren Gründen so endlich schwer: (1) Das System hat sich selbst totalisiert, es durchdringt langsam alle Bereiche; (2) jede/r ist gezwungen, die Maschine zu bedienen, weil nur dadurch die eigene Existenz gesichert werden kann; (3) es gibt kein ausserhalb, auch wenn ich anderes will und vielleicht anderes praktiziere, muss ich doch am Alten teilhaben. Dennoch führt kein Weg dran vorbei: Das Neue muss praktisch in die Welt gesetzt werden. Und wir müssen die "Mechanik" (oder Dynamik) des Neuen begreifen, um es nicht als verkapptes Altes zu betreiben. Daran ist z.B. der Realsoz gescheitert: Es war nicht neu. Manche sagen, das Progessive war, dass er als erstes und dann auch ziemlich geräuschlos von der Weltbühne abgetreten ist. So freundlich wird das mit dem Kapitalismus nicht gehen.

(1.2.1.1) Re: Zur Debatte um eine freie Gesellschaft, 21.07.2006, 16:48, Hans Ley: Stefan, du schreibst "Der Kapitalismus ist eine kybernetische Maschine." Es wäre wahrscheinlich schon sehr viel damit gewonnen, wenn dieses Modell in die Vorstellungen vieler Menschen Eingang finden würde und sie begreifen würden:

Der KAPITALISMUS IST KEIN NATURGESETZ

Aber die Wirklichkeit ist viel komplexer. Das Bild der Maschine ist sehr grob, in Wirklichkeit ist der Kapitalismus viel mehr wie ein Lebewesen. Die menschliche Gesellschaft ist wie ein Organismus und der Kapitalismus lebt mit und auf diesem Organismus wie ein Pilz, in einer engen Symbiose. Es ist bei dieser Betrachtungsweise nicht notwendig den Boden der Naturwissenschaften zu verlassen, denn die Systemtheorie liefert uns das notwendige Handwerkszeug, wir müssen es nur anwenden.

(1.2.1.2) Re: Zur Debatte um eine freie Gesellschaft, 11.09.2006, 17:47, Christian Maxen: Hallo Stefan, Du schreibst, der Ausstieg aus dem Kapitalismus sei aus mehreren Gruenden schwer: (1)(2)(3).., meine gelebten Beobachtungen sind Deinen Beschreibungen sehr aehnlich. Freude und Bestaetigung kommt auf, wenn ich bei Dir lese "Das Neue muss praktisch in die Welt gesetzt werden. Und wir muessen die "Mechanik" (oder Dynamik) des Neuen begreifen,.." Dieses Neue zu benennen und zu beschreiben ist guter Grund, dass wir uns alle hier treffen. Doch: Ist es nicht "das Neue", was dem Kapitalismus die Moeglichkeit geben sollte, geraeuschlos(freundlich) von der Weltbuehne abzutreten. Eigenschaft eines moeglichen Neuen kann sein, parallel zu Existierendem sich zu entwickeln, im Alten schlecht laufende Funktionen zu uebernehmen (etwa wenn Gewerkschaften keine Idee mehr davon haben, wie Produktionsmittel am Standort gehalten werden, dann duerfen die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst auf die Idee kommen, die Fabrik zu uebernehmen, um damit die Funktion der Gewerkschaft Selbst erfuellt zu haben.). Der Schluessel liegt im Auto. Und wie man sich selbst versteht (oder verstehen moechte), als Einzelne und als Gruppen von Menschen. So versteht sich ein Bild vom Neuen von Selbst aus den Menschen (der kleinen Frau, Ihren Maennern und deren Kindern) und Ihren Beduerfnissen (Nahrung, Kleidung und geschuetzter Schlafplatz) und zugehoeriger Arbeit, fuer deren Organisation, Aufrechterhaltung und Bildung. Mutiger Schluss ist, Bildungsstaetten (heisst Schulen) als regionale (und global verteilte) vernetzte OrganisationsZentren zu betrachten. Also ueber Schulen im weltweiten Netz Familiengrundversorgung (inklusive Arbeit) zu organisieren. Ich bin so frech und behaupte, dass dies Selbst unsere Kinder und Heranwachsende koenn(t)en sollen duerfen muessten. Den Schulen angeschlossene Werkstaetten (etwa Pleite gegangene Meister-/Ausbildungsbetriebe), wie vieles mehr (Kuechen, Gaerten) ist denkbar. In der Hoffnung, nicht wieder mal das Thema verfehlt und das Niveau hier in den Keller gerissen zu haben.

(1.2.1.2.1) Re: Zur Debatte um eine freie Gesellschaft, 12.09.2006, 19:08, Hans Ley: Hallo Christian, Du schreibst "Mutiger Schluss ist, Bildungsstaetten (heisst Schulen) als regionale (und global verteilte) vernetzte OrganisationsZentren zu betrachten. Also ueber Schulen im weltweiten Netz Familiengrundversorgung (inklusive Arbeit) zu organisieren." Das ist genau der Weg, den ich mir vorgenommen habe, mit dem kleinen Unterschied, ich versuche es an einer Uni zu realisieren.

(1.2.1.2.1.1) Re: Zur Debatte um eine freie Gesellschaft, 14.09.2006, 01:14, Christian Maxen: Hans, das freut mich sehr. Aehnlich Wuensche (Anforderungen an Selbst-Organisation und Funktionen in moeglichen freien Gesellschaften) erzeugen (pro Zeitgeist) aehnliche Traeume und Visionen. Doch mit gemeinsamen Worten und Bildern tun wir uns schwer. Deshalb sind wir hier (wie ich OffeneTheorie verstehe), ein gemeinsames Bild fuer Zukunft(Neues) zu erschaffen/erarbeiten/beschreiben, um die Welt danach gemeinsam-selbst gestalten zu koennen. Hinter dem Begriff der "Zukunft" und der Anwort auf die Frage, was sich mir hinter dem Begriff "Zukunft" verbirgt liegt der Grund, warum Universitaet fuer mich andere Bedeutung fuer moegliche gesellschaftliche Funktionen und Organisation hat, als die Bildungsstaette Schule. Nicht besser oder schlechter, sondern sich ergaenzend anders. Ich nahm die bekannte Aussage :"Kinder sind unsere Zukunft". Die Kinder stellte ich in den Mittelpunkt all meiner Betrachtungen. Ich nahm Familie als "Keimzelle" einer jeden Gesellschaft und fragte mich, wo die sich oertlich treffen, wenn nicht mehr in Gotteshaeusern, Gaststaetten/Teestuben oder Rathaesern, um gesellschaftliche Funktionen (Schangerschaftskurs/Ausbildungsstaetten) selbst zu organisieren (verwalten). Stadtteillaeden sind mir bekannt, doch hat Schule maechtige Vorteile als regionale/lokale Anlaufstelle und Treffpunkt zu fungieren, die sich aus meiner Sicht zu einer (globalen-) gesamtgesellschaftlichen eierlegenden Woll-Milch-Sau spinnen lassen - unter regional eigenen Bedingungen natuerlich. Universitaeten erscheinen mir da etwas weit ab vom Volk, sollte es sich selbst organisieren wollen. Nicht unverbeinbar, gelebte Beispiele zeigen wichtige Effekte/Erfahrungen beim Austausch Schule Fach-/Hochschule. Wie all dies Potential zu einem Gemeinsam zu erwecken ist, das bleibt mir OffeneTheorie.

(1.2.1.2.1.1.1) Re: Zur Debatte um eine freie Gesellschaft, 15.09.2006, 02:10, Hans Ley: Es wäre vielleicht interessant unsere Träume, Visionen und konkreten Ideen auszutauschen, um festzustellen, wo sie vielleicht übertragbar sind und wo wesentliche Unterschiede in den beiden Ansätzen bestehen.

(1.2.1.2.1.2) Re: Zur Debatte um eine freie Gesellschaft, 21.09.2006, 12:21, Christian Maxen: Du magst lachen, mein Pulver ist verschossen. Siehst Du Dich nicht in dem Bild, was ich zu malen versucht hab? Nun beschrieb ich auch nur Struktur, und weniger Funktionen und praktische Organisation, in denen man sich leichter wiederfinden mag. Dies Wiederfinden mag auch den struktur-belebenden Menschen selbst ueberlassen bleiben. Ich behaupte, in von mir Beschriebenem laesst sich der einleitende Absatz (1.) denken, also auch Neues praktisch in die Welt setzen (1.2.1.Satz5). Das geschieht auch (OpenSource an Schulen). "Das Neue" hat ja bereits begonnen, der Fus_ ist in der Tuer. Computertechnik++ als Werkzeug Mitten in der Basis, der Familie und in Schuelerinnenhand. Heranwachsende als "Agenten im System", als Informationstraeger (wie Sensoren in der Gesellschaft), Sie sind die freien Menschen, die sich die Erde auf der Sie leben (sich fortpflanzen) selbst gestalten duerfen. In (Test-)Umgebung gesellschaftliche Funktionen selbst zu organisieren, Ihnen die Werkzeuge zur Hand zu geben, obliegt uns. Diese Organisation gesellschaftlicher Funktionen kann natuerlich auch belebt werden, etwa durch Arbeit bei der Schaffung primaerer, lokaler Werte, Grund- und Selbstversorgung. Hierin (1.) zu erkennen, einen "..'selbstreproduktiven Mechanismus'. Dieser "Mechanismus" hat konstitutive Funktion, ist das organisierende Moment des gesellschaftlichen Zusammenhangs.", das braucht auch nur meine Phantasie zu sein. Um auf Hans, Deinen letzten Kommentar zurueck zu kommen - Du schreibst :"unsere Traeume, Visionen und konkreten Ideen auszutauschen, um festzustellen, wo sie vielleicht uebertragbar sind". Das passiert ja gerade. Und hoffentlich je am richtigen Ort. Ich bin mir da gelegentlich etwas unsicher. "Wesentliche Unterschiede" wie Du schriebst,.. mein Ansatz ist eher der des Betrachten des Gemeinsamen (ich verallgemeinere halt gern), zeitweises Betrachen der Unterschiede ist OK, man darf aber nachher nicht vergessen, die Dinge wieder zusammen zu fuegen, es sei denn es entsteht etwas -die Kenntnisse vergangener Jahrtausende und aktuelle Entwicklungen beruecksichtigendes- wirklich Neues.

(1.2.2) Re: Zur Debatte um eine freie Gesellschaft, 31.07.2006, 17:17, Hans Ley: Wann werden die Menschen aus ihren Träumen aufwachen und ihre Zeit sinnvoll nutzen? http://www.zeit.de/2006/31/Titel-Bewerbungsgesellschaft-31

(1.3) Re: Zur Debatte um eine freie Gesellschaft, 29.08.2006, 00:38, Hans Ley: Hallo, ist das jetzt das Sommerloch oder wars das schon ?

(2) Der »selbstreproduktive Mechanismus« der Warengesellschaft wird bestimmt durch ein Abstraktum: den Wert. Diese Erkenntnis entspricht durchaus dem Alltagsbewusstsein: Geld regiert die Welt. Hat eine freie Gesellschaft, Kommunismus, einen »selbstreproduktiven Mechanismus« oder wird dort alles »bewusst verabredet«? Nehmen wir an, mit dem Wert verschwände ein zentrales organisierendes Moment. Es gibt keine Vorgaben mehr, ob sichtbar oder unsichtbar. Nun gilt es, das gesellschaftlich Notwendige zu verabreden. Was muss durchschnittlich produziert, reproduziert, repariert, organisiert, kurz: getan werden? Wie werden Notwendigkeiten in gesellschaftlicher Größenordnung verabredet? Wie werden auch die Dinge getan, die unspaßig sind?

(2.1) 21.07.2006, 22:18, Hans Ley: Ist es wirklich notwendig den Begriff des Wertes vollständig über Bord zu werfen. Der Wertmaßstab und das Vergleichen von Werten ist doch eigentlich das problematische. Es spielt dabei auch keine Rolle ob wir das allgemein anerkannte GELD als Maßstab oder ein anderes Medium verwenden, wie es heute in vielen Tauschringen geschieht. Immer wird etwas miteinander verglichen und ausgetauscht. Es steht immer die Frage im Vordergrund: „Ich biete etwas an! – Was bekomme ich dafür?“ Wer nichts anbieten kann, bekommt auch nichts – vielleicht ein Almosen. Wenn viele das auch anders sehen, aber der Weg über Tauschringe oder andere Formen von Geld, kann Detailprobleme lösen, wie die Verhinderung von Hortung und Spekulation aber es ist nicht möglich das Ziel „ALLES FÜR ALLE“ zu erreichen.
Nur wen ich etwas für andere tue, was mir Freude macht und was ich am besten kann, ohne danach zu fragen: „Was bekomme ich dafür?“ habe ich einen kleinen Schritt auf diesem Weg gemacht. Doch was kann ich, oder können „wir“ konkret tun ?

(2.1.1) Was kann ich, was können "wir" konkret tun?, 22.07.2006, 11:19, Maike Arft-Jacobi: Ich möchte ein Beispiel nennen und fragen, ob sich das vielleicht irgendwie verallgemeinern lässt?

Im Rahmen meiner "persönlichen Selbstverwirklichung" hatte ich eine kleine Internetseite zum Thema "Privatisierung im Gesundheitswesen" ins Internet gestellt. Unerwarteterweise haben darauf Leute reagiert und nun ist es ein Wiki, bei dem alle mitmachen können: http://ungesundleben.org/privatisierung/

Manchmal schicken GeschäftsführerInnen von Klinikunternehmen usw., die von ihren KundInnen auf obige Seiten angesprochen wurden und Änderungen der Inhalte wünschen, E-Mails. Denen kann ich - wie allen anderen - antworten: "Sie können gern alle Verbesserungen ins Wiki einbringen, die Sie als sinnvoll erachten. Bitte beachten Sie, dass bei unterschiedlichen Darstellungen eines Sachverhalts alle Versionen erhalten bleiben sollen."

Jetzt gibt es drei Möglichkeiten für GeschäftsführerInnen: a) wenn sie an dem Wiki mitarbeiten, unterstützen sie es und stellen sich rein praktisch z.B. mit Krankenschwestern, die auch an dem Wiki mitarbeiten, auf dieselbe Stufe; b) wenn sie nicht an dem Wiki mitarbeiten, haben sie keinen Einfluss drauf; c) eine Form von Gewalt anwenden.

Die Struktur "Wiki" ist so beschaffen, dass sie enthierarchisierend usw. wirkt. Kein Politkader, keine Redaktion muss etwas einschränken oder dafür sorgen, dass irgendeine gewollte politische Position dabei rauskommt. Es kommt die Resultante des Handelns der Menschen heraus, die das Thema wichtig genug finden, um bei dem Wiki mitzumachen. Diese Resultante könnte theoretisch auch sein: "Privatisierung im Gesundheitswesen ist toll". Aber sie ist es nicht, weil Pro-Privatisierungs-Kräfte weniger auf solche horizontalen Formen der Kommunikation angewiesen sind, wie es ein Wiki darstellt, sondern ihnen vielmehr entgegengesetzt sind. Könnte man vielleicht auch z.B. Brillen oder Kochtöpfe so machen wie ein Wiki?

(2.1.1.1) Re: Was kann ich, was können "wir" konkret tun?, 22.07.2006, 21:50, Hans Ley: Maike, deine Idee ein Wiki zu einem kontroversen Thema zu eröffnen und die Leute damit aus der Reserve zu locken ist genial. Meinen Glückwunsch!

Zu deiner Frage: „Könnte man vielleicht auch z.B. Brillen oder Kochtöpfe so machen wie ein Wiki?“

Alles was bisher erfolgreich gemacht wurde ist nicht stofflich und für viele scheint es unmöglich Erfahrungen, die bei der Entwicklung Freier Software gemacht wurden auf den stofflichen Bereich zu übertragen. Materialisatoren, die man wie einen Drucker an einen Computer anschliessen kann, sind zur Zeit noch sehr teuer und ihre Möglichkeiten eingeschränkt. Die Teile für eine Brille herzustellen ist schon möglich, für Kochtöpfe ist mir noch keine Lösung bekannt.

Doch der Kostenanteil des Wissens (Know-How) wird bei modernen Produkten und Produktionsmitteln immer höher und der eigentliche Material- und Fertigungskostenanteil immer geringer. Das Wissen für die Herstellung eines Produktes kann sehr gut in einem Wiki von vielen Leuten erarbeitet werden und dieses Wissen steht dann jedem frei zur Verfügung. Ich arbeite an einem solchen Projekt für eine Freie Werkzeugmaschine.

Einen guten Ansatz zum Thema „ALLES FÜR ALLE“ sehe ich in den Umsonstläden. Im Moment denke ich mit dem Gründer eines Umsonstladens darüber nach, wie das Konzept von Gebrauchten Produkten zu Neuen Produkten erweitert werden kann.

(2.1.1.1.1) Umsonstladen mit neuen Produkten, 23.07.2006, 10:58, Stefan Meretz: Whow, das wäre natürlich der Hammer! Aber wie bei alle Projekten besteht das Problem der Ankopplung an die Wertsphäre: Ob beim Wiki, beim Umsonstladen, bei Freier Software - irgendwie muss das gelöst werden. Wichtig finde ich, daraus zu achten, dass (a) die Schnittstelle möglichst klein ist - also nicht x Baustellen bestehen, die geldmäßig abgesichert sein müssen; (b) möglichst wenig permanenter Geldfluss erforderlich ist - etwa regelmäßige Mietzahlungen; (c) es möglichst keine Abhängigkeiten von Geldfluss und Projektinhalt gibt - etwa bestimmte Themen, die vorhanden sein müssen, um eine Förderung zu bekommen etc. In diesem Sinne ist Freie Software (um das mir vertraute Beispiel zu nehmen) günstig: Ich muss "nur" je mich über Wasser halten und in großen Abständen je mein Produktionsmittel auf meinem Schreibtisch.

(2.1.1.2) Re: Was kann ich, was können "wir" konkret tun?, 23.07.2006, 11:05, Stefan Meretz: Hältst du das für eine gute Verallgemeinerung: http://www.allesundumsonst.de/ ?

(2.1.1.2.1) Re: Was kann ich, was können "wir" konkret tun?, 02.09.2006, 21:35, Maike Arft-Jacobi: Ich meinte es eher strukturell, von der Art der Zusammenarbeit her - beginnend mit: Menschen finden Kochtöpfe wichtig genug, um mit ihrer Produktion und Weiterentwicklung einen Teil ihres Lebens zu verbringen ...

Siehe dazu auch Punkt 3: Wie wegkommen von zentraler Planung?

(2.1.1.2.2) Re: Was kann ich, was können "wir" konkret tun?, 13.09.2006, 10:32, Benni Bärmann: Ein ähnliches Projekt wo in lokalen Gruppen verschenkt wird, gibts hier: http://freecycle.org/ In manchen Städten brummt das schon richtig.

(2.1.2) geldfrei heisst tauschfrei, 23.07.2006, 10:45, Stefan Meretz: Richtig, Hans, es kommt nicht nur auf das Geld an, sondern grundsätzlich auf das Problem der Kopplung von Geben und Nehmen. Wenn wir sagen, Geben und Nehmen muss entkoppelt sein - wie bei Maikes Wiki oder bei der Freien Software -, dann heisst das aber auch, wir schmeissen den abstrakten, jede Qualität überbügelnden Begriff des "Werts" über Bord. - Vielleicht, um dann dann mal wieder einen qualitativen Begriff von "wertvoll" etablieren zu können.

(2.1.2.1) Re: Wert = wertvoll = nützlich, 23.07.2006, 21:02, Hans Ley: Das ist genau der Punkt, weshalb ich den Begriff des Wertes nicht so einfach über Bord werfen möchte, denn wenn wir Wert als "wertvoll" im Sinne von Qualität begreifen, können wir sehr viel gewinnen. Das Gefühl etwas Wertvolles und Nützliches für viele andere Menschen zu schaffen kann in der Zukunft ein viel stärkeres Stimulans sein etwas zu tun als es heute noch der Profit ist.

(2.1.2.1.1) Re: Wert = wertvoll = nützlich, 02.09.2006, 22:22, Maike Arft-Jacobi: Vielleicht ist dies Gefühl schon heute ein viel wichtigeres Stimulans als hegemoniale Strömungen wahr haben wollen.

Solange die Grundlagen auch nur annähernd stimmen (angemessene Wohnbedingungen; essen können, was man möchte; genügend unorganisierte Zeit; Gesundheitsversorgung; nicht gedemütigt werden), möchten alle Menschen, die ich kenne, im Erwerbsleben ihre Sache gut machen und für andere Sinnvolles tun - ob es Putzen oder Programmieren oder Schreiben oder Gartenarbeit ist. Anders macht es keinen Spaß. Das Gefühl, Sinnloses zu tun, ist dermaßen demotivierend, dass auch bei hohem Gehalt die Arbeitsleistung abfällt.

M.E. gäbe es bei Lebensumständen, die o.g. Grundlagen erfüllen und für alle gleich wären, keine Probleme bezüglich der Motivation. Person A wird Zahnärztin, weil sie es möchte, und Person B putzt die Praxis, weil sie es möchte. A kann ohne B nicht arbeiten und umgekehrt.

Nur wenige machen sich klar, dass eine Lebensstunde von B genau so viel Wert hat wie eine Lebensstunde von A. Die längere Ausbildungszeit von A wird ja durch die Lebensstunden anderer ermöglicht, die z.B. Bücher produzieren oder die Uni bauen oder Rohstoffe für die Stromkabel aus der Erde holen oder Jeans für A nähen.

Materiell lässt sich der Wert einer Lebensstunde eines Menschen als Durchschnitt der von der Menschheit produzierten Produkte und Dienstleistungen ausdrücken. Lebensstunden nach der Art der Arbeit unterschiedlich zu bewerten, ist sachlich nicht angemessen.

(2.1.2.1.1.1) Re: Wert != wertvoll/nützlich, 05.09.2006, 15:25, Stefan Meretz: Lebensstunden nach der Zeit der Arbeit zu bewerten, ist aber genauso unangemessen, Maike. Aus meiner Sicht ist grundsätzlich jede Orientierung an einem "dritten Maßstab", was heisst, an einem entfremdeten Maßstab, wie es z.b. bei der Arbeit generell der Fall ist, abzulehnen. In Form von "Arbeit" ist doch jede Tätigkeit generell demotivierend, weil sich "Arbeit" heute auf kein sinnvolles gesellschaftliches Gesamt mehr beziehen kann (ich weiss, dass viele immer noch die Arbeit hochhalten). Gleichzeitig trifft es zu, was du beschreibst: Es gibt eigentlich kein Motivationsproblem, individuell Nützliches zu tun. Nur nicht in Form von "Arbeit": Es wird so unendlich viel getan mit unglaublich nützlichen Ergebnissen - und von Arbeit keine Spur: Hobby, Sport, Feiern, Kochen, Familie, Freie Software, Projekt xy usw.

(2.1.2.1.1.1.1) Re: Wert != wertvoll/nützlich, 06.09.2006, 16:45, Hans Ley: Der Vergleich von Arbeit ist nicht so einfach, denn alles über einen Kamm zu scheren, löst das Problem auch nicht. Es wäre viel gewonnen, wenn wir die Arbeit und den Lebensunterhalt immer mehr entkoppeln könnten, denn es diskutiert sich wesentlich leichter über den Wert einer Arbeit, wenn davon nicht das Überleben abhängt. Stefan, wenn du sagst: "In Form von "Arbeit" ist doch jede Tätigkeit generell demotivierend, ...." dann ist mir das auch wieder zu generell, wie bei der Wertfrage. Du relativierst deine Aussage zwar "... weil sich "Arbeit" heute auf kein sinnvolles gesellschaftliches Gesamt mehr beziehen kann." Aber ich bin auch einer von den denen, die die Arbeit, so wie ich sie verstehe und praktiziere, hochhalten. Unter den positiven Tätigkeiten, die du aufführst, finde ich auch die Freie Software und am Beispiel der Freien Software Entwicklung kann ich meinen persönlichen Arbeitsbegriff am besten erklären: Arbeit und Hobby sind eins und das Geld spielt keine Rolle.

(2.1.2.1.1.1.1.1) Re: Wert != wertvoll/nützlich, 07.09.2006, 01:35, Maike Arft-Jacobi: Soweit ich verstehe, sind die Positionen: den Begriff der "Arbeit" wegwerfen oder den Begriff der "Arbeit" ausdehnen. Ich kann mir beides gut vorstellen. Was mir nicht so klar ist:

Die Ressourcen der Welt sind begrenzt, weil die Welt ja endlich ist. Die Menschheit muss aufpassen, nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen als da sind bzw. erarbeitet/wiedergeschaffen werden können. Kann da nicht ein Arbeitsbegriff (und im Anschluss vielleicht ein Wertbegriff als Rechenparameter) sinnvoll sein, der nicht allzu weit gefasst ist?

(2.1.2.1.1.1.1.1.1) Re: Wert != wertvoll/nützlich, 09.09.2006, 20:13, Hans Ley: Weil die Ressourcen der Welt begrenzt sind, nicht zuletzt unsere persönliche Lebenszeit, müssen wir diese Ressourcen sinnvoll, also effizient einsetzen. Das dem Kapitalismus inhärente Effizienzgebot macht ganz wesentlich seinen Erfolg aus und die mangelnde Effizienz hat ganz wesentlich zum Scheitern des RealSoz geführt. Bei vielen Diskussionen, in denen die Arbeit als überflüssiges Übel dargestellt wird, von dem die Menscheit sich emanzipiert hat, weil alles vollautomatisch von Maschinen produziert wird, übersieht man meist, dieses System funktioniert nur, weil Menschen in diesem System effizient und zielgerichtet arbeiten. Ohne diese Voraussetzungen würde die Versorgung der Menschheit mit Produkten blitzschnell zusammen brechen und es würde ein ungeheures Chaos mit unvorstellbaren Hungernöten ausbrechen.

(2.1.2.1.1.1.1.1.1.1) Re: Wert != wertvoll/nützlich, 10.09.2006, 18:17, Stefan Meretz: Das halte ich für ein gerne kolportiertes Märchen, Hans. Der Kapitalismus ist nicht effizient, wenn du Effizienz am Ziel misst, für alle Menschen mit geringstem Aufwand das beste zu schaffen. Er ist (?) vielleicht lokal effizient, weil er seine Ineffizienz anderen aufhalst. Er ist geradezu tödlich effizient in etlichen Bereichen. Ja, richtig, das war der RealSoz nicht, der hatte einfach zu viele Skrupel (eine Diskussion lohnt nicht, denn in Wirklichkeit war der RealSoz nicht das ganz andere). Im Kern argumentierst du, dass man die Menschen zwingen müsse (eben durch "Arbeit": "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen"). Das bestreite ich. Das ungeheure Chaos und die unvollstellbaren Hungersnöte produziert der Kapitalismus systematisch tagtäglich, es ist nicht sein Versagen, sondern zweifelhafter "Erfolg". Deswegen versuche doch bitte zu unterscheiden zwischen der Warenform "Arbeit" (=sich zu verkaufen) und den Tätigkeiten, die freie Menschen motiviert tun (oder tun würden, ließe man sie), sobald an "Arbeit" nicht ihr Leben gekoppelt ist.

(2.1.2.1.1.1.1.1.1.1.1) Re: Wert != wertvoll/nützlich, 10.09.2006, 22:00, Hans Ley: Sicher hat der Kapitalismus nur eine sehr eingeschränkte Effizienz, die bezogen auf die Menschheit katastrophal ist. Die Effizienz von der ich spreche und die ich als wichtig ansehe ist auch keine Erfindung des Kapitalismus, sondern resultiert aus der technisch-naturwissenschaftlichen Entwicklung. Ich glaube auch nicht daß der RealSoz an irgendwelchen Skrupeln gescheitert ist, sicher hast du recht, er war nicht das ganz andere, sondern eigentlich der siamesiche Zwilling des Kapitalismus. Was Kapitalismus wirklich bedeutet, sehe ich tagtäglich, wenn ich nur das Haus verlasse und ich kenne die kapitalistischen Märchen, die von den hiesigen Systemgewinnlern zur Rechtfertigung ständig kolportiert werden zur Genüge. Wenn ich von Effizienz spreche, dann spreche ich als Ingenieur und es ist leider eine Tatsache, diese Effizienz wird vom kapitalistischen System benutzt und kommt nur wenigen zugute. Gleichzeitig wird ebenfalls systemimmanent ein großer Teil dieser Effizienz wieder vernichtet, indem Produktivkraft durch hemmungslose Spekulation, Manipulation, feindliche Übernahmen, Ausschlachtung von Unternehmen, Marktbereinigungen, usw. zerstört wird. Du hast mich gründlich mißverstanden, wenn du glaubst im Kern wollte ich die Menschen zur Arbeit zwingen. Der Spruch "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" wurde immer wieder benutzt die Menschen unter die Knute, in die Fron zu zwingen. Für mich ist es eine Lust, die Dinge zu tun, die ich gerne mache und wenn ich das, altmodisch wie ich bin, immer noch als "Arbeit" bezeichne, weil mir noch kein besseres Wort eingefallen ist, bitte ich das zu entschuldigen ;-) Ich bin jedenfalls glücklich dabei und ich stelle mir vor, andere Menschen könnten vielleicht bei einer ähnlichen Tätigkeit ebenfalls glücklich sein. Dieses Glück wünsche ich anderen, aber wer damit nichts anfangen kann, soll bitte was anderes oder auch nichts tun. Es macht mich etwas traurig, wenn du mir unterstellst, ich wolle andere zur Arbeit zwingen. In diesem Forum und an anderer Stelle habe ich deutlich gemacht, wie wichtig eine Bedingungslose Grundversorgung für Alle ist, die den Menschen die Freiheit gibt, das zu tun, was sie wollen oder eben auch nichts zu tun. Ich versuche eine solche Grundversorgung in Gang zu bringen, aber bis jetzt war es leider noch nicht möglich, weil zu viele Menschen das Reden über eine Sache für die Sache an sich halten. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. :-)

(2.1.2.1.1.1.1.1.1.1.1.1) Re: Wert != wertvoll/nützlich, 11.09.2006, 21:45, Stefan Meretz: Hans, ich unterstelle dir nicht persönlich, du wolltest andere Menschen zur Arbeit zwingen. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, in welche Diskurse du dich mit deiner an "Arbeit" gekoppelten Effizienzbegeisterung begibst. Ich sage das auch, weil ich das (als Ingenieur) gut nachvollziehen kann, was es bedeutet, Dinge schöpferisch in die Welt zu setzen:-) Ok, ich will auch nicht weiter auf dem Arbeitsbegriff rumreiten - es sollte deutlich geworden sein, welche Bauchschmerzen ich damit habe.

(2.1.2.1.1.1.1.1.1.1.1.1.1) Der Begriff Arbeit ...., 12.09.2006, 19:02, Hans Ley: .... oder wie bezeichnen wir die Tätigkeit, die wir uns vorstellen. Worte sind schon wichtig und die Begriffe NeueArbeit oder NewWork sind ja wohl nicht zuletzt geprägt worden um einen Unterschied deutlich zu machen.

(2.1.2.1.1.1.1.1.1.1.1.1.1.1) Re: Der Begriff Arbeit ...., 13.09.2006, 08:59, Wolf Göhring: Vielleicht taugt das wort "schaffen" etwas. Im sueddeutschen und suedwestdeutschen hat's im alltag durchaus den sinn, den du dem taetig sein beimessen moechtest. "Geschaeft" ist dort nicht nur ein gemueseladen, sondern meint auch taetigkeit. Wenn man's alttestamentarisch nimmt (da schuf einer himmel und erde), hat schaffen auch den sinn freier schoeperischer nuetzlicher taetigkeit. (oder war das erschaffen von himmel und erde unnuetz?)

Haett ich nur noch eine frage: Wie wuerde man einen nennen, der taetig ist? Waere das ein taetiger, ein taeter oder vielleicht auch ein tuer?

(2.1.2.1.1.1.1.1.1.1.1.1.1.1.1) Re: Der Begriff Arbeit ...., 15.09.2006, 02:06, Hans Ley: .... "schaffen" ist gut, in dem Wort klingt sehr viel positives mit, angefangen mit erschaffen, wir schaffen das, usw ...... und einer der etwas tut, etwas schafft ist ein "Schaffer", oder was sagen die Schwaben .....

(2.1.2.1.1.1.1.1.2) Re: Wert != wertvoll/nützlich, 10.09.2006, 18:26, Stefan Meretz: "Arbeit" ist ja nicht ein beliebiger Begriff, den wir einfach umdefinieren könnten. Es gibt nicht ein bißchen schwanger. "Arbeit" ist eine objektive Form der gesellschaftlichen Vermittlung zwischen "freien" Arbeitskraftverkäufern - mit Verwertungslogik, Entwürdigung, Wertabstraktion, Effizienz, Zerstörung etc. Wir werden Arbeit, Geld und alles, was dranhängt (Markt, Staat, Repression etc.), nur los, wenn es uns gelingt, eine andere Form der gesellschaftlichen Vermittlung ins Werk zu setzen. - Das ist das Thema dieses Artikels - um es mal wieder zurückzubinden;-)

(2.1.2.1.1.1.1.1.2.1) Re: Wert != wertvoll/nützlich, 10.09.2006, 22:11, Hans Ley: Stefan, wie ich in meinem obigen Kommentar wohl deutlich gemacht habe, gehen unsere Vorstellungen über den Begriff der Arbeit weit auseinander. Für mich ist es ein Sammelbegriff, der viele Formen der Arbeit umfaßt, die im einzelnen defniert werden müssen. Für dich ist Arbeit ein genau umrissener Begriff. Um Missverständnisse zu vermeiden wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben einen neuen Begriff für die "... andere Form der gesellschaftlichen Vermittlung ..." zu finden.

(2.1.2.1.1.1.1.2) Re: Wert != wertvoll/nützlich, 10.09.2006, 18:02, Stefan Meretz: Hm, ich weiss, dass meine generelle Ablehnung von "Arbeit" nicht einfach zu verstehen ist. Mich stört an "Arbeit" nicht, was da konkret getan wird (ich blende mal Scheissarbeit aus, von der es ja auch genug gibt). Mich stört die Form: "Arbeit" ist eine spezifische gesellschaftliche Form, notwendige Tätigkeiten zu tun. "Arbeit" macht eben genau das, was dir nicht gefällt, Hans: Sie schert völlig unterschiedliche Tätigkeiten über einen Kamm - ob Bau von Bomben oder Pflege von Kranken. Das liegt am gleichmachenden Wert, der nur abstrakte Arbeit kennt. Ich bekomme Brechreiz beim Spruch "Hauptsache Arbeit" (in Berlin ist mal wieder Wahlkampf). Deine Vision teile ich: Geld spielt keine Rolle mehr, weil gesellschaftlich nicht mehr getauscht wird, und was früher "Arbeit" oder "Hobby" hieß, ist heute ein und dasselbe geworden - irgendeine nützliche, mir gemäße Tätigkeit, auch kurz "Selbstentfaltung" genannt. - Tja, und da wir das nicht haben, ist - da stimme ich dir auch zu - individuell viel gewonnen, wenn je ich es schaffe, "Arbeit" und Lebensunterhalt zu entkoppeln. Aber eben nur individuell...

(2.1.2.1.1.1.1.2.1) Re: Wert != wertvoll/nützlich, 13.09.2006, 01:43, Maike Arft-Jacobi: Jetzt verstehe ich besser: "Arbeit" fasst menschliche Tätigkeiten zusammen und grenzt sie gegen andere menschliche Tätigkeiten ab. Dem liegt eine bestimmte Struktur zugrunde, die zu überwinden ist. Analoges passiert z.B. auch beim Wort "Frau": Abgrenzung gegen "Mann" - zugrunde liegende Struktur: binäre Geschlechterverhältnisse. Abschaffung des Sexismus impliziert Abschaffung des Begriffs "Frau".

Vorschlag für neuen "Arbeits"-Begriff (oder wie immer das dann genannt wird) am Beispiel Trinkwasser: Trinkwasser ist eine endliche Ressource. Man kann sie verbrauchen und erzeugen. Trinkwasser zu erzeugen, würde ich "Arbeit" nennen bzw. von der Tätigkeit des Trinkwasserverbrauchens abgrenzen wollen. Nicht aus Spaß, sondern weil aufgepasst werden muss, dass mindestens so viel Trinkwasser erzeugt wie verbraucht wird.

Es muss dabei nicht vorausgesetzt werden, dass es menschliche Tätigkeiten gibt, die nur verbrauchen und gar nichts erzeugen. Jede menschliche Tätigkeit erzeugt etwas, aber nicht immer etwas, dass verbrauchbar ist (Software z.B. oder ein Lächeln nutzt nicht ab, wird nicht alle ...). Auch gibt es keine Tätigkeiten, die nur erzeugen, aber nichts verbrauchen (ein Mensch verbraucht immer Kalorien, wenn sie etwas tut).

(3) Zentrale Planung scheidet aus - auch wenn es neue Versuche gibt, Planwirtschaften auf der Grundlage neuer Computertechnologie (theoretisch) zu begründen. Gleichwohl werden Computer und das Internet eine wichtige Rolle spielen. Nur geht es nicht darum, die Gesellschaft zu organisieren und zu planen, sondern darum, dass die Gesellschaft sich selbst organisiert und plant. Selbstorganisation und Selbstplanung sind die Grundlagen, Computer und Internet sind Mittel. Was bedeuten Selbstorganisation und -planung unter den Bedingungen der Abwesenheit des Wertfetischs, des alles durchdringenden und organisierenden Moments der Warengesellschaft? Selbstorganisation und -planung - wofür? Die Antwort scheint mir auf der Hand zu liegen: für die Befriedigung der je eigenen Bedürfnisse.

(4) Um die Bedürfnisbefriedigung geht es auch in der Warengesellschaft, nur ist sie hier nicht »unmittelbar« möglich. Jede und jeder muss den Umweg über das Geld nehmen, muss durch das Nadelöhr des Werts hindurch, nicht in allen Bereichen der Gesellschaft, aber zunehmend in mehr. Auch in einer freien Gesellschaft ist die Befriedigung nicht »unmittelbar« möglich, da der oder die Einzelne nicht alles selbst herstellt oder leicht an das Gewünschte heranreicht. Nur ist die »Vermittlung« in der freien Gesellschaft nicht über ein Abstraktum organisiert, sondern über den Kontakt zu anderen Menschen.

(5) Ist es denkbar, zu beliebigen anderen Menschen zwecks Bedürfnisbefriedigung Kontakt aufzunehmen? Manchmal schon, aber in der Regel nicht. Das wäre viel zu aufwändig, und dafür ist die Gesellschaft in ihrer Struktur viel zu differenziert. Eine Eigenschaft der (halbwegs funktionierenden) Warengesellschaft hat also zu bleiben: die personalunabhängige Verfügbarkeit von Mitteln zur Bedürfnisbefriedigung. Habe ich in der Warengesellschaft aktuell und zukünftig Geld in der Tasche, so kann ich selbstständig entscheiden, auf Reichtümer zuzugreifen - dabei ausgeblendet, dass der Gesamtzustand der Warengesellschaften auch für die Geldhabenden kein stabiler ist.

(6) Das bedeutet für die freie Gesellschaft, dass Güter und Dienste personalunabhängig verfügbar sein müssen - und das verbunden mit der Gewissheit, dass das morgen und übermorgen auch noch so ist. Dann wäre die Gesellschaft als Infrastruktur des je eigenen Lebens reich, stabil und verlässlich. Ich müsste mir keine Gedanken machen, die benötigten Reichtümer wären da und kämen mit wenig Aufwand zu mir. Ich stünde auch nicht permanent unter Verabredungszwang, um mir diese Lebensqualität zu organisieren. Zur Erinnerung: Basale Eigenschaft von Gesellschaften ist, dass konkret ich nicht gezwungen bin, einen notwendigen Beitrag zu erbringen - und sei es eine Verabredung.

(7) Dieser Zusammenhang wurde von Klaus Holzkamp theoretisch verallgemeinert. In der Gesellschaft gibt es kategorial »allgemeine Nutzer« und »allgemeine Produzenten«. Durchschnittlich werden diese »Rollen« wahrgenommen, aber eben nicht zwangsweise personal. Kinder zum Beispiel sind zunächst nur »Nutzer« und entwickeln sich erst nach und nach zu »Produzenten«. Es gibt Menschen, die gehen darin auf, Dinge zu schaffen, andere wiederum darin, vorhandenen Reichtum zu nutzen. Wieder andere machen mal dies und mal das. Selbstentfaltung bedeutet, die je eigenen Möglichkeiten produktiv oder nutzend oder produktiv-nutzend maximal zu entwickeln und individuell auszubauen - unabhängig von der konkreten Tätigkeit. Bedürfnisbefriedigung bedeutet also keinesfalls, bloß nutzender »Konsument« zu sein und vorhandenen Reichtum geschleust durch die Wertöse zu verschlingen - das ist die warenförmig pervertierte Form der »Selbstverwirklichung«. Sondern es bedeutet, egal, ob als »Nutzer« oder als »Produzent«, die je eigene Persönlichkeit maximal zu entfalten und das Leben zu leben.

(8) Also keine Zwangsverabredung. Verabreden werden wird natürlich, doch nur durchschnittlich, nicht notwendig individuell bei jeder Handlung. Wie aber entsteht trotzdem Reichtum, Stabilität und Verlässlichkeit? Das Geheimnis liegt im selbstorganisierenden Kern, im »selbstreproduktiven Mechanismus« der freien Gesellschaft. Dieser konstituiert sich nämlich über die Selbstentfaltung des Menschen - sei es als »Nutzer« oder als »Produzent«. Beides wird ohnehin nicht mehr voneinander zu unterscheiden sein: Das eigene Nutzen eines Reichtums ist häufig wiederum ein Produzieren für andere. Die These lautet also: Sind die Menschen von der (Wert-)Leine gelassen, werden sie in ihrer Vielfalt all jenen stofflichen und nichtstofflichen Reichtum schaffen, den eben diese Menschen brauchen - stabil und verlässlich: Alles für alle.

(8.1) Selbstreproduktion, 18.07.2006, 09:59, Stefan Meretz: Kommentar aus Version 1: 16.07.2006, 10:07, Maike Arft-Jacobi: Selbstreproduktiv sind auch repressive soziale Verhältnisse.

1.2 fragt: "Warum ist das System, der “Mechanismus” in dem wir alle gefangen sind so stark, so fest in den Köpfen der Menschen verankert. Warum fürchten sich so viele Menschen davor auch nur über Alternativen nachzudenken."

Laut einer Studie soll sozialer Ausschluss die gleichen neurophysiologischen Wirkungen entfalten wie auf die Fresse kriegen. Dieser Umstand, den nachzuvollziehen man wohl keine Studie braucht, genügt, um zu erklären, weshalb Menschen Handlungen und Gedanken vermeiden, mit denen sie sich aus ihrem sozialen Umfeld isolieren könnten.

Worin genau besteht der Unterschied zwischen repressiver und freier Sebstreproduktion? Sicherlich wäre, um so einen Unterschied zu denken, Selbstreproduktion nicht in beiden Fällen als "Mechanismus" zu verstehen. Auch wäre wohl dieses "Eigennutz-Andernutz"-Ding noch grundlegender zu hinterfragen. Solange soziale Integration und Identität/Ego/personales Selbst polar verkoppelt sind, scheint mir soziale Selbstreproduktion repressiven Charakter zu haben, weil die Möglichkeit solzialer Desintegration durch selbstständiges Denken, ungewöhnliches Empfinden, neue Formen des Handelns etc. dann Angst macht.

Der Bezug auf "Selbstentfaltung" als konstituierendes Element freier Selbstreproduktion hilft hier, glaube ich, nicht weiter, weil das Selbst wesentlich sozial ist und seine Entfaltung daher auch in repressiven Modi möglich ist. Nur, wer abweicht, merkt Grenzen und kann sich in der Selbstentfaltung eingeschränkt fühlen. Eine Lösungsmöglichkeit bietet sich vielleicht hierüber an - wie es so schon im Text angedeutet ist: weil das Selbst wesentlich sozial ist, soll es auch selbst so sein dürfen und nicht über den Wert-Umweg. Ein Selbst, das sozial ist, müsste sich vielleicht nicht (mit abgetrennten Selbsten) "verabreden".

(8.1.1) Re: Selbstreproduktion, 19.07.2006, 23:04, Stefan Meretz: Ich stimme dir komplett zu, im letzten Absatz gibst du die Antwortrichtung an auf die Fragen vorher. Es bleibt trotzdem unbefriedigend zu sagen: Unter repressiven Bedingungen ist "Selbstentfaltung" repressiv (weil nur auf Kosten anderer möglich") und unter (wert-)freien, nicht-entfremdeten Bedingungen ist Selbstentfaltung positiv-reflexiv (weil die Anderer Bedingung der eigenen Entfaltung sind). Das ist mir schon bewusst. - Mir ging es um den Punkt der gesellschaftlichen Vermittlung: Viele denken, wenn der Markt weg ist, ist die Vermittlung (oder gar der gleich der ganze soziale Zusammenhang) weg. Deswegen muss in gesellschaftlichem Maßstab geplant, verabredet, stellvertreten werden, weil sonst nix mehr klappt. Das halte ich für Quatsch. Da gehen Leute dem Fetischismus, den sie sonst kritisieren, dann doch noch auf den Leim.

(8.2) 09.09.2006, 21:42, Hans Ley: Die Verabredung ist eigentlich das kleinste Problem. Als Produzent kenne ich den "Markt" für den ich produziere und wenn ich etwas Neues produzieren will suche ich nach einer Marktlücke oder nach einem neuen Produkt, das es in dieser Form noch nicht gibt. Das ist in der Freien Software Entwicklung nicht viel anders als in der kapitalistischen Marktwirtschaft. Die entscheidende Frage ist nur: Verlange ich für mein Produkt, meine Leistung eine Gegenleistung oder stelle ich sie frei, stabil und verlässlich anderen zur Verfügung: Alles für alle.

In diesem Zusammenhang stellt sich dann auch die Frage, was machen wir mit dem Begriff des Marktes, ist er zu sehr mit der kapitalistischen Marktordnung verbunden und ist ein neuer Begriff notwendig, oder läßt sich das Wort mit einem neuen Inhalt füllen.

(8.2.1) Entscheidende frage, 10.09.2006, 10:42, Wolf Göhring: Die entscheidende frage ist beileibe nicht, ob man fuer sein "produkt" eine gegenleistung verlangt oder nicht. Wenn man tagelang ohne gegenleistung produkte macht, dann hat man einen knurrenden magen, und dann hoert man auf, produkte ohne gegenleistung zu machen.

Ein schritt "back to the roots": "produkt" ist das partizip perfekt das lateinischen wortes producere, was einfach nur hervorbringen heisst. Die tuecke liegt im perfekt: man hat etwas getan, man hat hergestellt, man hat stoffe verbraucht einschliesslich des koerpereigenen stoffwechsels, und danach wackelt man mit dem produkt auf dem kopf zum markt in der hoffnung, dass man es los wird, dass man etwas erhaelt, das den hunger stillt usw. In der hoffnung, dass es die marktluecke gefunden habe, macht dann das milchmaedchen seinen beruehmten freudenhupfer, und aus ist es.

Der durchaus lesenswerte Marx nennt dies ganze ein spiel "ex post": erst mal produzieren, dann die einzelnen stuecke verhoekern. Dieses verfahren hat all die bekannten folgen: geld, kapital, lohnarbeit, arbeitslosigkeit, bankrott, gammelfleisch, wirtschaftskrisen, organisierte kriminalitaet einschliesslich waffenproduktion und krieg. Die afghanischen mohnbauern kennen die weltweite "marktluecke" fuer heroin bestens. Die Heckler & Kochs halten mit ihren ballermaenner auch eine wundersame marktluecke besetzt. Jene afrikaner, die nach europa schwimmen, glauben fest, dort eine marktluecke fuer ihre arbeitskraft entdeckt zu haben. Ach, nur pech, wenn die marktluecke fuer chemische fotofilme ploetzlich verschuettet ist, weil einer in fernost - wo liegt das eigentlich? - auf die boshafte idee kam, diese luecke mit digitalen kameras wie mit frischen semmeln zuzuwerfen.

Anstelle eines "ex post", eines im-nachhinein ist - wiederum Marx (Grundrisse) - ein "ex ante", ein im-vorhinein zu finden: Es ist ein solches geflecht von verabredungen zu finden, dass bereits beim herstellen der dinge klar ist, wozu sie konkret gut sein sollen. Der schritt, mit dem produkt auf den markt zu ziehen, entfaellt zugunsten der vielen zuvor zu gehenden schritte, sich konkret ueber das, was getan werden sollte, zu verabreden. In diesen verabredungen muss auch geklaert werden, wieviel man zu beissen bekommt, wie man bei krankheit behandelt werden wird usw. In diesem geflecht ist dann auch kein platz mehr fuer organisierte kriminalitaet jedweder art.

Diese verabredungen sind das schaerfste, was die menschheit bei strafe unsaeglicher massaker (fuer die heftig geruestet wird) je zu tun hatte: Sie muss sich dem als ganze, also global widmen. Schon an einer tasse kaffee kann man durchbuchstabieren, dass man den weltmarkt in der hand haelt, wenn man die tasse zum mund fuehrt. Es geht nicht nur um die bohnen, es geht um die tasse, das wasser, die wasserleitungen, die energie zum kochen, das gefaess, in dem das wasser erhitzt wird usw.

Allons enfants de la terre, sage ich in leichter abwandlung der eingangsstrophe der marseillaise, packen wir's an. Oder weniger pathetisch: Schaun w'r mal, was in der harten welt der produktion tatsaechlich schon so an verabredungen laeuft, wo diese haken und klemmen, wo es den vielen an rechten mangelt, diese verabredungen auszudehnen, wo die ideologischen bretter den blick auf diese notwendigkeit verbauen, wo die kenntnisse ueber den weltweiten zusammenhang so duenn sind, dass der blick eher auf der meckernden geis und den gackernden huehnern im hof ruht als ueber die naechste huegelkette zu streifen.

(8.2.1.1) Re: Entscheidende frage, 10.09.2006, 23:21, Hans Ley: Wolf, klar hast du recht, die entscheidende Frage ist nicht ob ich eine Gegenleistung verlange, sondern ob ich eine verlangen muß, um zu überleben. Wenn mein Lebensunterhalt gesichert ist, bedeutet dies nicht die Katastrophe, wenn meine "Milchmädchenrechnung" nicht aufgegangen ist und der "Markt" mein Produkt nicht braucht.

Wie ich deinem Kommentar entnehme möchtest du über die zu produzierenden Güter Verabredungen treffen. In großen Bereichen der Produktion ist das mit Sicherheit sinnvoll und wünschenswert. Es wird nicht so ganz einfach sein die notwendigen Strukturen zu etablieren, aber es sollte möglich sein. Mir geht es darum auch die individuellen Entwicklungs- und Produktionsinitiativen von Einzelnen und Gruppen als wesentliches Element für die Entwicklung einer neuen wirtschaftlichen Basis zu sehen und zu würdigen. Als Beispiel, die Entwicklung von Linux hätte wahrscheinlich nicht stattgefunden, wenn Linus Torvalds erst einmal versucht hätte, sich mit anderen zu verabreden. Alles Neue ist immer von Einzelnen oder kleinen Gruppen ohne gesellschaftliche Verabredung begonnen worden.

(8.2.2) 15.10.2006, 22:21, Hans-Gert Gräbe: Die Verabredung als kleinstes Problem? Es geht ja nicht nur darum, etwas zu verabreden, sondern auch dafür Sorge zu tragen, dass das Verabredete dann verwirklicht wird. D.h. die Verabredung muss in hinlänglicher Deutlichkeit erfolgen, und zwar auf eine so verbindliche Weise, dass sich nach der Realisierungsperiode der Abmachung beide Seiten in ihrer Vorstellung von dem, was abgemacht wurde, bestätigt finden. Bzw., wenn dies nicht so ist, entsprechende Diskursmechanismen zu einer Bewertung kommen, was denn passiert ist. Eine Variante, wie das gehen kann, macht das BGB vor: Vertragsfähigkeit als Basis von Verantwortungsfähigkeit, Schuldfähigkeit, wenn du was vergeigst (was, neben "objektiven Ursachen", ja durchaus auch an deiner Selbstüberschätzung gelegen haben kann). Und dann (Buch 3 schließlich) Eigentum und Besitz als die Kategorien, die das in dieser Gesellschaft absichern. Kann man ja alles in Frage stellen, aber über die Mechanismen der gegenseitigen Verantwortlichkeit, die als Substitut des BGB gedacht sind, würde ich dann schon gern etwas mehr erfahren. Denn dass es in dieser hehren Zukunft auch Konflikte geben wird, das werdet ihr doch hoffentlich nicht ernsthaft in Frage stellen, oder?

(8.2.2.1) Verabredung, 20.10.2006, 16:53, Wolf Göhring: Verabredungen werden nicht nur auf der grundlage des BGB getroffen und zu bestandtteilen buergerlicher vertraege gemacht, hinter denen dann letztlich unabhaengig voneinander produziert wird, um am ende auszutauschen.

Verabredungen finden auch in einem betrieb statt: Zwischen arbeitsbereichen, aber auch zwischen vorgesetzten und untergegeben (ich verwendene hier bewusst die untertanen-sprechweise) im rahmen individueller zielplanungen.

Konflikte in diesen bereichen werden einerseits mit haerteren bandagen als mit dem BGB ausgefochten. Zwei aktuelle beispiele dafuer sind die kabelprobleme beim airbus 380 und die konstruktionsbedingten hohen montagezeiten beim golf.

Andererseits fuehren die konflikte zu neuen verabredungen.

Sowohl Hans-Gerts verweis aufs BGB als auch mein verweis auf betriebliche verabredungen liefern kein bild davon, wie verabredungen in einer welt aufgehobener warenform getroffen und revidiert werden koennten. Diese verweise koennen nur eine ahnung des zukuenftigen abgeben, denn sie finden gaenzlich unter den bedingungen der warenform statt, wozu auch die lohnarbeit gehoert.

(8.2.2.1.1) Re: Verabredung, 21.10.2006, 01:23, Maike Arft-Jacobi: Daraus, dass (frei-willige!) Verabredungen überhaupt getroffen werden, ergibt sich eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Verabredungen auch eingehalten werden. Denn die Menschen würden meist gar nicht erst Verabredungen treffen, wenn sie nicht vor hätten, sie einzuhalten. Es ergibt sich ein Rest nicht eingehaltener Verabredungen, der wahrscheinlich tragbar ist, d.h. nicht eingehaltene Verabredungen werden dann eben nicht eingehalten. Wer dauernd Verabredungen nicht einhält, setzt sich selbst schachmatt. "Nö, mit dir treffe ich gar nicht erst eine Verabredung, weil du sie sowieso nicht einhältst", heißt es dann. Wer dauernd Verabredungen nicht einhält, wird somit aus dem Kontext gesellschaftlicher Verabredungen ausgesiebt und verliert an Einfluss. Das ist eine Art der Selbstreproduktion des Verabredungs-Systems. Wenn ich eine Verabredung mit jemanden treffe, dann fühle ich mich immer irgendwie belastet, in die Pflicht genommen. Also treffe ich möglichst wenig Verabredungen. Lässt sich dieser Charakter von Verabredungen ändern?

(8.2.2.1.2) 23.10.2006, 11:46, Hans-Gert Gräbe: Mein Anliegen der Bemerkung war auch nicht, das BGB als die Antwort zu sehen, sondern auf Fragen aufmerksam zu machen, auf die das BGB ein Antwortversuch ist und die mir hier im ganzen Text außerordentlich unterbelichtet scheinen.
Das mit den freiwilligen Verabredungen übersieht, dass es viele Gründe geben kann, eine Abmachung auch bei bestem Willen nicht einhalten zu können. Dumm gelaufen, wenn sich hundert andere gerade auf diese Abmachung verlassen haben und nun ihrerseits die eigenen Versprechen nicht mehr einlösen können. Du siehst, welche Lawine das potenziell lostritt. Das bewusst zu behandeln und nicht einem solchen Selbstlauf zu überlassen, wie du es vorschlägst, gehört für mich schon dazu, wenn es gilt "alle naturwüchsigen Voraussetzungen zum ersten Mal mit Bewußtsein als Geschöpfe der bisherigen Menschen zu behandeln, ihrer Naturwüchsigkeit zu entkleiden und der Macht der vereinigten Individuen zu unterwerfen" (MEW 3, S. 70). Mal ganz abgesehen davon, dass auch die "Verabredungsunfähigen" ja Menschen sind.


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