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Gesellschaftliche Arbeit und ihr Wertausdruck

Maintainer: Werner Imhof, Version 2, 04.12.2001
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

(1) Die rasante Entwicklung der Technik, insbesondere der Mikroelektronik, hat manche Leute, darunter Robert Kurz und die Krisis-Gruppe, dazu verleitet, das nahende "Ende der Arbeitsgesellschaft" zu verkünden. Andere meinen, auch aus dem wachsenden Dienstleistungsbereich ein "Schrumpfen der Wertsubstanz" (Robert Schlosser) ableiten zu können. Die Realität besagt etwas anderes. Der Wertausdruck der gesellschaftlichen Jahresarbeit - auf nationaler Ebene das Nettoinlandspropdukt - macht nicht nur keine Anstalten zu schrumpfen, er fährt weiter fort zu wachsen (von konjunkturellen Einbrüchen oder Rezessionen mal abgesehen). Ein Trugbild der bürgerlichen Statistik und ihrer pseudowissenschaftlichen Kategorien, würden unsere Propheten vermutlich antworten. Aber eine Auseinandersetzung damit haben sie bisher nicht einmal versucht. Und damit stehen sie keineswegs alleine. Die Beschäftigung mit der Volkswirtschaftslehre (VWL) ist in linken Kreisen verpönt und ihre statistische Abteilung, die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR), so gut wie unbekannt. Die VWL gilt als ideologische Disziplin, die die gesellschaftlichen Verhältnisse verschleiert und der Legitimation der Kapitalherrschaft dient. Natürlich tut sie das. Aber das ist kein Grund, sie mit Mißachtung zu "strafen", im Gegenteil. Gerade weil sie Ideologie produziert bzw. die herrschenden Illusionen über die kapitalistische Wirtschaft "wissenschaftlich" kultiviert, ist es nötig, sich mit ihr auseinanderzusetzen, um die Verhältnisse zu entschleiern und die Kapitalherrschaft, d.h. das private Eigentum an gesellschaftlichen Produktionsmitteln, zu delegitimieren, zumal die VGR alle dazu erforderlichen Daten bereithält. Wozu haben wir die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie, wenn nicht dazu, sie auf die politische Ökonomie in ihrer heutigen Gestalt anzuwenden, also auf die VWL und die Empirie, auf die sie sich bezieht? Gerade darin aber scheinen die Schwierigkeiten zu liegen. Die oberflächlichen monetären Kategorien und Größen der VWL, wie etwa das Bruttoinlands- oder das Bruttosozialprodukt, scheinen mit denen der Marxschen Theorie nicht "kompatibel". Doch diese Schwierigkeit ergibt sich nur solange, wie man nicht alle wertförmigen Kategorien der bürgerlichen Ökonomie, also auch die Marxschen, als bloß verselbständigte und verdinglichte Formen gesellschaftlicher Arbeitszeit entziffert. Dies ist offenbar die eigentliche Schwierigkeit, nicht nur im Umgang mit der VWL, sondern auch und gerade im Umgang mit der Marxschen Theorie. Die Mißachtung der VWL ist daher tatsächlich nur Ausdruck einer fundamentaleren Blindheit, der Blindheit für die gesellschaftliche Arbeit in ihrer konkreten Totalität. Das Verhältnis von Produktions- und Zirkulationsarbeit, der Gegensatz von notwendiger und Mehrarbeit oder von bezahlter und unbezahlter Arbeit, das Verhältnis der produktiven Mehrarbeit zur bezahlten produktiven Arbeit (oder die Mehrwertrate des produktiven Gesamtkapitals), die absolute Entwicklung der produktiven Mehrarbeit (der vom gesellschaftlichen Gesamtkapital angeeigneten Mehrwertmasse), das widersprüchliche Verhältnis von "toter", vergangener und "lebendiger" Arbeit usw. - all das ist nicht Gegenstand empirischer Untersuchungen und schon gar nicht Gegenstand linker Gesellschaftskritik. Dabei ist der ganze Kapitalismus eine einzige Veranstaltung des organisierten Privateigentums zur fortschreitenden Plünderung des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens; eine Veranstaltung, die dieses Vermögen gleichzeitig begrenzt und die gerade durch die erfolgreiche Anhäufung vergangener Arbeit ihre künftigen Erfolge bei der Aneignung lebendiger Arbeit untergräbt. Und nach meiner Überzeugung kann es keine ernsthafte und ernst zu nehmende antikapitalistische Bewegung geben, wenn sie keine konkrete Vorstellung davon hat, daß (fast) die gesamte Gesellschaft auf der produktiven (oder industriellen [1]) Lohnarbeit beruht, daß und wie die Ausdehnung der produktiven Mehrarbeit das treibende Motiv des gesellschaftlichen Gesamtkapitals und der ihm dienenden Politik im Kampf gegen den tendenziellen Fall der Profitrate ist. Ohne Auseinandersetzung mit der amtlichen Sozialstatistik, also der VGR, aber ist eine solche Vorstellung nicht zu gewinnen. Dazu möchte ich im Folgenden einen Einstieg versuchen. [2]

(2) Die wichtigste "Aggregatgröße", an der das jährliche Wirtschaftswachstum gemessen wird, ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP, zu unterscheiden vom Bruttosozialprodukt, das den "Außenbeitrag" einschließt). Die VGR kennt drei verschiedene Darstellungen des BIP: - nach seiner Entstehung als Produktionswert aller Wirtschaftsbereiche abzüglich der Vorleistungen (das sind "nichtdauerhafte Produktionsgüter, die im betrachteten Zeitraum im Produktionsprozeß eingesetzt werden"), - nach seiner Verteilung als Summe von Volkseinkommen (unterteilt in Einkommen aus unselbständiger Arbeit und in Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen), indirekten Steuern und Abschreibungen, - und nach seiner Verwendung als Summe von privatem Verbrauch, Staatsverbrauch und Investitionen.

(3) Beginnen wir mit der Entstehungsrechnung des BIP. Die Definition irritiert zunächst dadurch, daß sie den "Produktionswert" aller Wirtschaftsbereiche einschließt, auch solcher, die offensichtlich weder materielle Güter oder Dienstleistungen noch Wert erzeugen, wie etwa die Kreditinstitute oder die "öffentlichen Haushalte". Außerdem ist nicht ohne weiteres ersichtlich, warum vom Produktionswert die Vorleistungen abgezogen werden (können), obwohl sie doch größtenteils "im betrachteten Zeitraum" produziert worden sein müssen. (Immerhin macht die Definition klar, daß das BIP entgegen landläufiger Meinung nicht die Wert- resp. Preissumme aller während des Jahres erzeugten Güter und Dienstleistungen darstellt.) Die Schwierigkeiten lassen sich lösen, wenn man weiß, warum oder unter welchen Bedingungen sich Arbeit als Wert ihrer Produkte darstellt. Die Antwort ist eigentlich simpel. Und doch herrscht gerade in dieser elementaren Frage allgemeine Unklarheit und Verwirrung. Ich möchte das an drei Beispielen illustrieren.

"Wert"-Vorstellungen

(4) "In der Produktion wird abstrakte Arbeit verrichtet. Sie heißt abstrakt, weil es unerheblich ist, was produziert wird. Hauptsache es wird Wert geschaffen. Der Wert ist die Menge an Arbeitszeit, die in ein Produkt gesteckt wird. Werden auf dem Markt Produkte getauscht, dann werden diese Werte, also Arbeitszeiten miteinander verglichen. Zwischen den direkten Produktentausch tritt in aller Regel das Geld, das keinen anderen Sinn besitzt, außer Wert darzustellen." (Gruppe Gegenbilder: Freie Menschen in freien Vereinbarungen. Gegenbilder zur Expo 2000, S. 20)

(5) In diesem Zitat ist jeder Satz schief bis falsch. Der Hauptfehler der AutorInnen aber ist die Gleichsetzung von Wert und aufgewandter Arbeitszeit. Wenn der Wert die Menge an Arbeitszeit ist, die in ein Produkt gesteckt wird, dann müssen Arbeitsprodukte immer Wert haben, also Waren sein, während gleichzeitig rätselhaft bleibt, warum denn ihr Wert überhaupt in Geldnamen, in Preisen ausgedrückt wird und nicht in dem, was er angeblich unmittelbar sein soll: in Arbeitszeit. Hätten die AutorInnen den Produktentausch näher unter die Lupe genommen, hätten sie feststellen können, daß dabei gerade nicht Werte, wohl aber (unbewußt und indirekt) Arbeitszeiten verglichen werden. Denn der Tauschwert einer Ware (oder ihre Wertform) ist nichts anderes als ein solcher Vergleich (ihre "wahre" oder gesellschaftliche Wertgröße aber ist gar nicht bekannt).

(6) "Die Vermittlung gesellschaftlicher Reproduktion in den Formen des Werts wird unmöglich, weil im Fortgang der relativen Mehrwertproduktion durch ständige Revolutionierung der Produktionstechniken die Wertsubstanz, die unmittelbar im Produkt sich darstellende menschliche Arbeit, allmählich aus dem Produktionsprozeß verschwindet." (Robert Schlosser: Voraussetzungen des Kommunismus, in: Übergänge zum Kommunismus Nr. 4, 1997, S. 12 f.)

(7) Wenn menschliche Arbeit sich "unmittelbar" im Produkt "darstellen" würde, gäbe es den Begriff des Werts nicht. Es ist umgekehrt: Gerade weil menschliche Arbeit sich im Austausch als Wert der Produkte darstellt, ist sie als menschliche Arbeit nicht mehr erkennbar. Und ob sie unmittelbar oder mittelbar in ein Produkt eingeht, hat mit der Erklärung, warum sie als sein Wert erscheint ("Wertsubstanz" wird), nicht das geringste zu tun. Robert Schlosser trifft sich hier mit Robert Kurz, der für die gemeinsame These vom "Verschwinden der Wertsubstanz" auch noch eine ganz eigenwillige Begründung gefunden hat:

(8) "... der 'Wert' ... ist die gesellschaftlich reale FIKTION 'vergegenständlichter' menschlicher Arbeit im unmittelbaren Produktionsprozeß." (Robert Kurz: Die Krise des Tauschwerts, in: Marxistische Kritik Nr. 1, 1986, S. 32) "... im Hinblick auf den 'WERTBILDUNGSPROZESS' als gesellschaftlichen Stoffwechsel des Menschen mit sich selbst, in dem die Arbeit aber als 'entstofflichte', als abstrakt-menschliche Arbeit erscheint, ... ist nur diejenige Arbeit eine 'produktive Arbeit', die UNMITTELBAR als gesellschaftliche 'Realabstraktion' oder wertbildende 'Substanz', als Verausgabung menschlicher Arbeit schlechthin, in dem jeweiligen Produkt [an anderer Stelle heißt es: "in einem BESTIMMTEN Produkt"] als 'vergegenständlichte' dargestellt wird." (A.a.O., S. 9) Woraus er folgert: "... wenn ein- und dieselbe indirekt in den stofflichen Arbeitsprozeß eingehende Tätigkeit, sagen wir: die Produktion eines Steuerungsmoduls, sich nicht nur auf ganz verschiedene Produkte erstreckt, sondern auch (z.B. durch Lizenzvergabe) auf Produkte ganz verschiedener Marktteilnehmer, dann wird fragwürdig, wie diese im stofflichen Sinne produktive Arbeit objektiv noch eine Wertgestalt annehmen kann." (A.a.O., S. 13)

(9) Eine heillose Konfusion, die daher rührt, daß Kurz den Wert als Ergebnis des "unmittelbaren Produktionsprozesses", losgelöst vom Austausch zu begreifen sucht, ja den Austausch sogar voraussetzt, nämlich "ganz verschiedene Marktteilnehmer" und "Lizenzvergabe", und dennoch meint, dem für den Markt produzierten Steuerungsmodul die "Wertgestalt" absprechen zu können. Er mißversteht den Begriff des "unmittelbaren Produktionsprozesses", der bei Marx den Produktionsprozeß (unter Regie) des Einzelkapitals bezeichnet unter Absehung von seinen Vermittlungen mit der Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Das Wort "unmittelbar" bedeutet also soviel wie "unvermittelt" und kennzeichnet einfach nur eine Betrachtungsweise, die von den gesellschaftlichen Zusammenhängen des Einzelkapitals abstrahiert, auch wenn sie diese gleichzeitig immer voraussetzt. Kurz mißversteht es vom Standpunkt des einzelnen kleinen Warenproduzenten, dessen Arbeit "unmittelbar" in ein bestimmtes Produkt, und zwar sein eigenes, eingeht und der sich nicht als Glied einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung begreift.

(9.1) 09.01.2002, 21:35, Wolf Göhring: Ich zitiere Marx aus dem Kapital (MEW 23): "Der tauschwert erscheint zunächst als das quantitative verhältnis, die proportion, worin sich gebrauchswerte einer art gegen gebrauchswerte einer andern art austauschen, ... Der tauschwert scheint daher etwas zufälliges und rein relatives, ... Der tauschwert kann überhaupt nur die ausdrucksweise, die 'erscheinungsform' eines von ihm unterschiedenen gehalts sein." (s.50,51) "Ein gebrauchswert oder gut hat also nur einen wert, weil abstrakt menschliche arbeit in ihm vergegenständlicht ... ist. Wie nun die größe seines werts messen? Durch das quantum der in ihm enthaltenen 'wertbildenden substanz', der arbeit. Die quantität der arbeit selbst mißt sich an ihrer zeitdauer, ..." (s. 53) "Da die wertgröße einer ware nur das quantum der in ihr enthaltenen arbeit darstellt, müssen waren in gewisser proportion stets gleich große werte sein." (s. 60) "Dieselbe arbeit ergibt daher in denselben zeiträumen stets dieselbe wertgröße, wie immer die produktivkraft wechsle." (s. 61) "Wir gingen in der tat vom tauschwert oder austauschverhältnis der waren aus, um ihrem darin versteckten wert auf die spur zu kommen. Wir müssen jetzt zu dieser erscheinungsform des werts zurückkommen. ... Das einfachste wertverhältnis ist offenbar das wertverhältnis einer ware zu einer einzigen verschiedenartigen ware, gleichgültig welcher. Das wertverhältnis zweier waren liefert daher den einfachsten wertausdruck für eine ware. ... Das geheimnis aller wertform steckt in dieser einfachen wertform. Ihre analyse bietet daher die eigentliche schwierigkeit." (s. 62,63) "Die einfache wertform einer ware ist enthalten in ihrem wertverhältnis zu einer verschiedenartigen ware oder im austauschverhältnis mit derselben. Der wert der ware A ... wird quantitativ ausgedrückt durch die austauschbarkeit eines bestimmten quantums der ware B mit dem gegebenen quantum der ware A. In andren worten: Der wert einer ware ist selbständig ausgedrückt durch seine darstellung als 'tauschwert'. Wenn es im eingang dieses kapitels in der gang und gäben manier hieß: Die ware ist gebrauchswert und tauschwert, so war dies, genau gesprochen falsch. Die ware ist gebrauchswert oder gebrauchsgegenstand und 'wert'. ... Unsere analyse bewies, daß die wertform oder der wertausdruck der ware aus der natur des warenwerts entspringt, nicht umgekehrt wert und wertgröße aus ihrer ausdrucksweise als tauschwert. Dies ist jedoch der wahn sowohl der merkantilisten und ihrer modernen aufwärmer ... als auch ihrer antipoden, der modernen freihandels-commis-voyageurs ..." (s. 74,75) Ich hoffe, die zitate beleuchten die unterschiedlichen begriffe wert, wertgröße, wertform oder wertausdruck, wertverhältnis, tauschwert hinreichend, um die "heillose konfusion" zu heilen. Zu geld, geldform, preis, preisform verweise ich auf s.109 und s.117. Noch ein kurzes zitat: "Die möglichkeit ... der abweichung des preises von der wertgröße (,) liegt also in der preisform selbst." (s.117)

(9.1.1) 12.01.2002, 18:46, Werner Imhof: Die Zusammenstellung von Zitaten ist noch kein Ausweis für eigenes Verständnis, zumal wenn sie zur Aufklärung der theoretischen Irrtümer von Robert Kurz überhaupt nichts beitragen. Ich hatte erwartet, Du würdest Dich mal zu meiner Kritik an Deinen Vorstellungen von Wert, Warenproduktion und ihrer Aufhebung äußern.

(10) Die Beispiele erhärten den Eindruck, daß Marx' Analyse der Ware wahrscheinlich der bekannteste und zugleich der am häufigsten mißverstandene Teil des "Kapital" ist. Es ist deshalb weder verwunderlich noch ein Ärgernis, wenn jemand damit Probleme hat, eher schon, wenn diese Probleme nicht zur Sprache gebracht werden, wenn nicht mal drumherum geredet, sondern drumherum geschwiegen wird. [3] Denn in diesem Text liegt der Schlüssel zum Verständnis der ganzen kapitalistischen Ökonomie (und ihrer praktischen Aufhebung!). Seine Schwierigkeit liegt allerdings nicht nur in der Sache selbst (den "theologischen Mucken" der Ware) begründet, sondern auch in Marx' Betrachtungs- und Darstellungsweise, die wenig Rücksicht auf landläufige Denkgewohnheiten nimmt. So entwickelt Marx z.B. seinen Wertbegriff, ohne sich lange bei der "vulgären" Vorstellung aufzuhalten, die nicht zwischen Wert und Tauschwert unterscheidet. Deshalb wird nicht besonders deutlich, daß Marx' "Wertabstraktion" eine gesellschaftliche Kategorie ist, die sich nicht nur auf eine einzelne Warenart, schon gar nicht auf ein einzelnes Exemplar dieser Ware bezieht, sondern auf die Gesamtheit aller Waren, was das scheinbare Paradox impliziert, daß die Waren in der Realität gerade nicht oder nur zufällig zu ihren Wert(größ)en ausgetauscht oder verkauft werden können. Sehr viele, wenn nicht die meisten Mißverständnisse der sog. "Arbeitswerttheorie" (ein Begriff, den Marx selbst nie benutzt hat) resultieren aber gerade aus der Vermengung oder Verwechslung der Ebene theoretischer Abstraktion mit der Ebene der empirischen Austauschverhältnisse, auf der es scheinbar (in der Analyse der VGR werden beide Ebenen sehr wohl kompatibel) nur Tauschwerte und Preise gibt, aber keine Werte im Marxschen Sinne.

(11) Was also ist denn nun der Wert (bei Marx)? Wer so fragt, ist in der Regel schon auf dem Holzweg. Statt zu fragen, was (der) Wert ist, sollten wir fragen, was Menschen tun, wenn sie ihre Arbeitsprodukte bewerten, indem sie sie austauschen. Statt vom Begriff ausgehend die Praxis verstehen zu wollen, sollten wir umgekehrt mal den Begriff aus der Praxis zu entwickeln suchen. Die Abstraktionen der bürgerlichen Ökonomie verhüllen die gesellschaftliche Praxis, der sie entstammen. Um sie durchsichtig zu machen, muß man die Praxis, also den Austausch, selbst als Abstraktionsprozeß betrachten.

Der Austausch als Abstraktionsprozeß

(12) Die einfachste Form des Austauschs ist die von x Ware A gegen y Ware B, z.B. von 1 Hose gegen 1 Paar Schuhe. Das Austauschverhältnis der Produkte ist die sachliche Form eines Verhältnisses zwischen Personen, ihres "praktischen Verkehrs" miteinander. Selbstverständliche Voraussetzung dabei ist, daß Ware A Nichtgebrauchswert für ihren Besitzer, aber Gebrauchswert für seinen Tauschpartner darstellt und Entsprechendes für Ware B gilt. Worin der Gebrauchswert der Hose oder die Art ihrer Konsumtion konkret besteht (ob sie getragen, nur in den Schrank gehängt oder verschenkt werden soll), ist für den Austausch nebensächlich. Ebensowenig ist der Austausch notwendig an dingliche Gebrauchswerte gebunden. Statt gegen ein Paar Schuhe könnte die Hose ebensogut gegen eine ärztliche Leistung oder gegen den Dienst eines Lastenträgers getauscht werden.

Wertform

(13) Der Austausch der beiden Produkte ist ein Vergleich, eine Gleichsetzung. Aber von was? Von "Werten"? Woran sollte man den "Wert" der Hose erkennen und messen und woran den der Schuhe? Für sich betrachtet, ist die Hose wohl Arbeitsprodukt und möglicherweise Gebrauchswert auch für ihren Besitzer, aber ohne den geringsten "Wert" (die Anführungszeichen sollen ausdrücken, daß der Begriff vorläufig noch eine unfaßliche Abstraktion ist). Wertform erhält die Hose erst durch den Austausch mit einer anderen Ware, durch ihren Eigentümerwechsel. ("Warum sagst Du Wertform und nicht einfach Wert?", fragte ein Kollege. Weil Arbeitsprodukte nicht von Natur aus die Form von Wertgegenständen haben. Weil der Wert immer eine Form hat, ohne die er gar nicht gedacht werden kann. Weil die Form selbst sich entwickelt, nämlich zur Geldform. Und weil es gerade die Form des Werts ist, die das Verständnis seines Inhalts, seiner "Substanz", und seiner Größe erschwert.) Das heißt: Produkte, die nicht in den Austausch eingehen oder eingehen sollen, nehmen keine Wertform an. Darauf hinzuweisen, ist alles andere als trivial und überflüssig. Es gibt Leute, wie etwa Kurz, die die "Wertgestalt" von Arbeitsprodukten in Frage stellen, ohne diese Gestalt als Folge des Austauschs zu begreifen. Auf der anderen Seite gibt es Leute, die meinen, die Aufhebung des Kapitalismus sei möglich bei Aufrechterhaltung von Markt und Geld. Und auch Kollege Manfred meinte ja: "Ohne Austausch läuft nichts!" Er übersieht unter anderem, daß selbst die heutige bürgerliche Gesellschaft zusammenbrechen würde ohne das überwiegend von Frauen geleistete Pensum an "privater" Arbeit, deren Produkte nicht in den Austausch gehen und die selbst auch nicht gegen Geld (Kapital oder Einkommen) getauscht wird...

(14) An dieser Stelle noch eine grundsätzliche Anmerkung. Der Austausch von Arbeitsprodukten setzt zweierlei voraus: erstens gesellschaftliche Arbeitsteilung und zweitens Privateigentum an Produktionsmitteln und damit auch an den Produkten. Arbeitsteilung kann vorkommen ohne Privateigentum, damit auch ohne Austausch (denken wir an die bekannten Beispiele aus dem 1. Kapitel des "Kapital": Robinson, die frühere bäuerliche Großfamilie oder den "Verein freier Menschen"). Aber Privateigentum an Produktionsmitteln kann nicht vorkommen ohne gesellschaftliche Arbeitsteilung (es ist ja gerade ihr historisches Produkt) und Austausch nicht ohne Privateigentum. (In einer Gesellschaft ohne Privateigentum an Produktionsmitteln können Produkte daher nicht ausgetauscht, sondern nur geliefert und bezogen, verteilt - nach welchen Regeln auch immer - und individuell oder kollektiv angeeignet werden. Sie können also auch keine Waren- oder Wertform annehmen.) Auch dieser Zusammenhang ist ganz und gar nicht selbstverständlich. Es ist Mode geworden, gegen die "Wertvergesellschaftung" zu Felde zu ziehen, ohne das Privateigentum an Produktionsmitteln auch nur zu erwähnen (siehe die zitierte Broschüre der Gruppe Gegenbilder).

(15) So wie die Wertform eines Produkts an den Austausch gebunden ist, so kann sein "Wert" auch nur in einem anderen Produkt ausgedrückt werden. Der Vergleich der Hose mit einem Paar Schuhe ist die Form ihres "Werts", die Wertform der Hose, ihr Wertausdruck oder ihr Tauschwert, das quantitative Verhältnis, in dem sie einer anderen Ware gleichgesetzt wird. Mit der Entwicklung des Austauschs entwickelt sich auch die Wertform der Ware. In der einfachsten Form bezieht sie sich nur auf eine andere Warenart, in der "entfalteten" Form auf eine Vielzahl unterschiedlicher Waren (x Ware A = y Ware B, z Ware C usw.). Und wenn die Warenbesitzer A und B ihre Waren zum zusätzlichen Vergleich in einer dritten Ware messen, ist das im Keim deren Aussonderung zur Geldware. Sobald eine Ware gewohnheitsmäßig allen anderen als gemeinsames Äquivalent dient, ist sie zum Geld geworden und die Wertform zur Geldform, zum Preis (x Ware A = y Geldeinheiten). In der Geldform wird eine Ware gleichzeitig indirekt mit allen anderen Waren ins Verhältnis gesetzt. Soweit der Gebrauchswert der Geldware nur noch darin besteht, allen anderen Waren als Material ihres Wertausdrucks zu dienen, kann sie durch wertlose Zeichen ersetzt werden.

Wertsubstanz

(16) Die Form des "Werts" ist also immer ein Vergleich. Sein Inhalt kann nur in etwas bestehen, das einer Ware mit der anderen und allen zusammen trotz ihrer qualitativen Unterschiede gemeinsam ist. Es muß etwas sein, das jeder Ware unabhängig von ihrem Austauschverhältnis mit anderen Waren zukommt und das sie gleichzeitig mit ihnen verbindet, weil es nur mit ihrer Hilfe ausgedrückt werden kann. Die Erklärung liegt schon in der einfachen Wertform, wenn sie auch durch "das Rätsel der Äquivalentform" (MEW 23, S. 72) verborgen wird, weil der "Wert" der Ware A ausgedrückt wird in bestimmten Mengen Gebrauchswert der Ware B. [4] Indem die Tauschenden ganz verschiedenartige Gebrauchswerte als Produkte ihrer ganz verschiedenartigen konkreten Arbeiten in bestimmten Proportionen gleichsetzen, abstrahieren sie von allen qualitativen Besonderheiten ihrer Arbeit wie der Produkte. Sie reduzieren ihre Produkte auf das, was sie allein gemeinsam haben: daß sie unterschiedslose, gleiche menschliche Arbeit enthalten, und zwar einfache Arbeit, wie sie jede durchschnittliche Arbeitskraft ohne besondere Ausbildung leisten kann (wie z.B. die des Lastentragens). Hosen und Schuhe sind zwar Produkte relativ komplizierter Arbeit, aber im Austausch mit Produkten einfacher Arbeit wird jene dieser gleichgesetzt, gilt komplizierte Arbeit als ein Vielfaches einfacher Arbeit. Nur durch diese Reduktion auf ihre gemeinsame Qualität als Arbeit überhaupt, Arbeit "sans phrase", allgemein menschliche Arbeit, abstrakt menschliche Arbeit (und wie die variierenden Ausdrücke bei Marx alle lauten) werden unterschiedliche Produkte überhaupt quantitativ vergleichbar, nämlich als gewisse Mengen "festgeronnener Arbeitszeit". (Genau genommen setzen die Tauschenden nicht nur ihre verschiedenen eigenen Arbeiten gleich, sondern auch die in den Produktionsmitteln, wie Garn, Stoff usw., steckenden voraufgangenen Arbeiten, die ja ebenfalls in das Austauschverhältnis ihrer Produkte eingehen.)

(17) Der Vergleich der Waren als bloße Quanta gleicher menschlicher Arbeit bedeutet nicht, daß seine Proportionen "stimmen", daß die ausgetauschten Arbeitsmengen wirklich gleich groß sein müssen. Im Gegenteil, das Austauschverhältnis der Waren ist ein grundsätzlich unsicherer, unbestimmter Vergleich, dessen Proportionen - wie sich noch zeigen wird - gerade nicht durch den (allenfalls zufällig) gleichen individuellen Arbeitsaufwand der Tauschenden bestimmt werden. Wie ungleich, willkürlich und "verkehrt" das Austauschverhältnis im Einzelfall auch immer sein mag (beliebtes historisches Beispiel: ein Weißer tauscht mit Indianern eine hochgestellte Flinte gegen einen gleich hohen Fellstapel) - Tauschen ist Vergleichen. Und das einzige, was verschiedene Arbeitsprodukte oder Gebrauchswerte gemein haben, ist, daß sie Produkte menschlicher Arbeit sind. Die Menschen müssen nicht wissen, daß sie ihre verschiedenartigen Arbeiten auf gleiche Arbeit reduzieren, indem sie ihre Produkte quantitativ vergleichen, "aber sie tun es" (und es gab Zeiten, das wußten sie auch noch, was sie taten).

(18) Wenn man den "Wert" losgelöst vom Austausch und damit vom Privateigentum zu ergründen sucht, muß dieser Abstraktions- oder Reduktionsvorgang etwas Befremdliches haben. Es scheint verrückt und wider die "sinnliche Vernunft" (Kurz), von der konkret-nützlichen Arbeit und dem Gebrauchswert ihres Produkts zu abstrahieren, um dessen "Wert" auszudrücken als "bloße Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit, d.h. der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ohne Rücksicht auf die Form ihrer Verausgabung" (MEW 23, S. 52), und Marx hat diesen Schein durch eben solche Formulierungen noch bekräftigt, jedenfalls für die, die ihre verfremdende Ironie nicht bemerken. Ein auf den ersten Blick unverständlicher, "gespenstiger" (auch dies ein Ausdruck von Marx) Vorgang. Und diesem Schein ist heute eine ganze Denkrichtung auf den Leim gegangen, die sog. "Wertkritik" von Robert Kurz und der Krisis-Gruppe, die auch die Gruppe Gegenbilder beeinflußt hat. Ihr Problem ist das Unverständnis für die gesellschaftliche Notwendigkeit und Bedeutung dieses Abstraktionsvorgangs, das sich schon in der semantischen Verkürzung der allgemein menschlichen Arbeit zur bloß noch "abstrakten Arbeit" ausdrückt, einem begrifflichen Gespenst, das scheinbar unabhängig von jeder konkreten Arbeit und neben ihr sein Unwesen treibt.

(19) Tatsächlich ist menschliche Arbeit immer doppelt bestimmt, qualitativ als besondere, auf einen bestimmten Nutzeffekt gerichtete Arbeit und quantitativ als Teil eines gegebenen Arbeitsvolumens, als Äußerung einer begrenzten (individuellen, familiären oder gesellschaftlichen) Arbeitskraft. In keiner Gesellschaft, gleich welcher Form, können die Menschen sich nur um die gewünschten Zwecke ihrer Arbeit kümmern, ohne ihre verfügbare Arbeitszeit zu berücksichtigen, sie entsprechend einzuteilen und mit ihr zu haushalten. Auch die Warenproduzenten haben - als Individuen und daher auch als Gesellschaft - nur ein endliches Arbeitsvermögen, weshalb sie als echte Privateigentümer gar nicht daran denken, die dadurch begrenzte Anzahl ihrer Produkte in beliebigen Proportionen mit anderen auszutauschen oder sie gar zu verschenken, sondern bestrebt sind, für ihr eigenes Produkt mindestens ein gleich"wertiges" Produkt, ein "Äquivalent" zu erhalten. Es ist der schlichte Eigennutz, der sie zum vergleichenden Austausch treibt und dazu, bei diesem Vergleich ihre verschiedenen konkreten Arbeiten auf gleiche menschliche Arbeit zu reduzieren. Und obwohl sie alle nur ihre jeweiligen Privatinteressen verfolgen, betätigen und bestätigen sie sich damit als Glieder eines übergreifenden gesellschaftlichen Zusammenhangs, einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung, in der jeder für fremde Bedürfnisse arbeitet und selbst auf die Produkte fremder Arbeit angewiesen ist.

Wertgröße

(20) Mehr noch. Ohne sich dessen bewußt zu sein, drücken sie in der Wertform ihrer Produkte nicht nur die gemeinsame Qualität ihrer verschiedenen konkreten Teilarbeiten als gleiche menschliche Arbeit aus, sie summieren diese auch zu einer gemeinsamen Quantität, zu einer einzigen gleichartigen gesellschaftlichen Gesamtarbeit [5]. Wenn man vorerst mal absieht vom Verbrauch der in den Produktionsmitteln enthaltenen vergangenen Arbeit und unterstellt, daß alle Produkte nach einmaligem Austausch oder Verkauf aus der Warenzirkulation herausfallen, also nur noch konsumiert werden [6], dann sind die über einen bestimmten Zeitraum, z.B. ein Jahr, summierten (realisierten) Tauschwerte oder Preise aller Produkte nichts anderes als der Wertausdruck der gemeinsamen Gesamtarbeit, in diesem Fall der Jahresarbeit. Denn jeder Tauschwert ist ein Vergleich mit fremder Arbeitszeit, sei sie in einer einzelnen anderen Ware vergegenständlicht oder im Geld als Äquivalent der in allen anderen Waren steckenden Arbeitszeit. Alle Tauschwerte zusammen können nicht mehr und nicht weniger Arbeitszeit ausdrücken, als tatsächlich gesellschaftlich aufgewandt wurde, wie sehr die Tauschwerte oder Preise der einzelnen Waren auch den tatsächlich in ihnen steckenden individuellen Arbeitsaufwand "verfehlen" mögen.

(21) Gleichzeitig ist es diese summierte Gesamtarbeit, die die Tauschwerte oder Preise der einzelnen Waren regiert. Es ist ihre quantitativ begrenzte Qualität als gleiche menschliche Arbeit, reduziert auf einfache Durchschnittsarbeit, die die verschiedenen individuellen Arbeitskräfte zu einer einzigen, gleichartigen gesellschaftlichen Arbeitskraft zusammenfaßt. Jede einzelne Arbeitskraft gilt soviel wie die andere, als bloße gesellschaftliche Durchschnittsarbeitskraft, die mit durchschnittlicher Geschicklichkeit und Intensität und unter durchschnittlichen sachlichen Produktionsbedingungen tätig ist. Also ist auch nur die Arbeitszeit gesellschaftlich "gültige" Arbeitszeit, die zur Herstellung einer Ware bzw. Warenart durchschnittlich notwendig ist. Das betrifft die einzelne Ware, die nur als Durchschnittsexemplar ihrer Art gilt, ebenso wie die Gesamtheit gleichartiger Waren, deren "gesellschaftlich notwendige" Menge begrenzt ist durch die zahlungsfähige Nachfrage nach ihnen - auch wenn daneben noch unbefriedigter Bedarf besteht (in einer Gesellschaft, die auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln beruht, beschränkt sich halt die "notwendige" Bedürfnisbefriedigung auf die ihrer zahlungsfähigen Mitglieder).

(22) Der so bestimmte, gesellschaftlich notwendige Anteil an der Gesamtarbeit ist nichts anderes als der Wert (ohne Anführungszeichen) einer Ware oder Warenart. [7] Werte können daher niemals "verglichen" werden (weil sie nämlich weder bekannt sind noch sein können), sie können sich nur durchsetzen in der Bewegung der Tauschwerte oder Preise, die sie beherrschen.

Das Wertgesetz

(23) An der Oberfläche des Marktgeschehens scheinen die Tauschwerte oder Preise bestimmt vom Wechselspiel zwischen Angebot und Nachfrage; wobei allerdings rätselhaft bleibt, was denn die Tauschwerte oder Preise bestimmt, wenn Angebot und Nachfrage sich decken. Was ihrer Bewegung wirklich zugrunde liegt, ist aber immer der zur Herstellung der Waren notwendige Anteil an der Gesamtarbeit, der sich bei überhöhtem Gesamtaufwand ("Überangebot") ausdrückt in einer Wertminderung der einzelnen Ware, weil sich die notwendige Arbeitszeit auf mehr Waren verteilt als nötig, und bei zu niedrigem Aufwand umgekehrt in ihrer Wertsteigerung. Und so zwangsläufig die empirischen Austauschverhältnisse beständig von den Wertverhältnissen abweichen, so zwangsläufig muß, gesellschaftlich betrachtet, die Summe aller Tauschwerte oder Preise mit der Summe ihrer Werte übereinstimmen. Denn wie "unstimmig" die Tauschwerte oder Preise auch immer sein mögen - sie sind immer nur Ausdrücke der allen Waren gemeinsamen "Wertsubstanz", der gesellschaftlichen Gesamtarbeit. Daß aber Wertgröße und Tauschwert resp. Preis überhaupt auseinanderfallen, ist weder ein Mangel der Theorie noch der Produktionsweise, sondern umgekehrt die "adäquate Form einer Produktionsweise, worin sich die Regel nur als blindwirkendes Durchschnittsgesetz der Regellosigkeit durchsetzen kann" (MEW 23, S. 117).

(24) Die Reduktion aller konkreten Arbeiten auf gleiche menschliche Arbeit ist also nur "eine bestimmte gesellschaftliche Manier", die Verteilung der Gesamtarbeit entsprechend der Arbeitsproduktivität und der gesellschaftlichen Nachfrage zu "regeln". So umständlich und irrational diese Manier auch scheinen mag, vom Standpunkt der Warenproduktion, also des Privateigentums, ist sie - individuell wie gesellschaftlich - durchaus rational, weil die einzig mögliche Rationalität, jedenfalls die einzig mögliche gemeinsame Rationalität.

(25) Ihre Kritik ist sinnvoll nur möglich im Namen einer "höheren" Rationalität, und die kann offensichtlich nur vom Standpunkt des aufgehobenen oder überwundenen Privateigentums aus gedacht werden, d.h. im Namen eines "Verein(s) freier Menschen ..., die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben" (MEW 23, S. 92). In einem solchen "Verein" wäre es sinnlos, die einzelnen Arbeitsprodukte als Verkörperung "gesellschaftlich notwendiger" Arbeitsmengen gegeneinander abzuwägen, weil die Produkte nicht zwischen Privatpersonen ausgetauscht würden, weil jedes Produkt unmittelbar Teil der Gesamtarbeit wäre und weil gesellschaftliche Notwendigkeiten (und Möglichkeiten) sich unmittelbar als notwendige (und mögliche) Änderungen in der proportionellen Verteilung und im Volumen der Gesamtarbeit ausdrücken würden. Gleichartige Produkte von Teilproduzenten mit unterschiedlicher Arbeitsproduktivität könnten daher auch nicht als Verkörperung unterschiedlicher Arbeitsmengen in Erscheinung treten und miteinander konkurrieren. Die An- und Ausgleichung von Produktivitätsunterschieden wäre, wie die Entwicklung der Produktivkräfte überhaupt, nicht auf das geheime Wirken eines "Wertgesetzes" angewiesen, sondern könnte durch Kooperation und öffentlichen Austausch von Informationen und Know-how geregelt werden. Usw. usf. (Vgl. "Materialien zur KW 48/99", S. 36)

Verbrauch und Ersatz von Produktionsmitteln

(26) Wir haben bisher den Aufwand der in den Produktionsmitteln enthaltenen vergangenen Arbeit der Einfachheit halber vernachlässigt und unterstellt, daß quasi nur Konsumtionsmittel produziert werden, die nach dem Austausch aus der Zirkulationssphäre herausfallen. Tatsächlich aber ist natürlich keine Produktion möglich ohne den Verbrauch von Produktionsmitteln (Arbeitsmitteln und Arbeitsgegenständen), die - wenn die Produktion zugleich Reproduktion sein soll - durch neue Produktionsmittel ersetzt werden müssen.

(27) Das gesellschaftliche Gesamtprodukt muß also (bei einfacher Reproduktion) außer Konsumtionsmitteln auch Produktionsmittel enthalten, die die bei der Herstellung der Konsumtionsmittel verbrauchten Produktionsmittel ersetzen, und zusätzlich Ersatz für die bei dieser Ersatzproduktion selbst wieder verbrauchten Produktionsmittel. Es ist daher zweckmäßig, die zwei "Abteilungen" zu unterscheiden, in die die gesellschaftliche Gesamtarbeit grundsätzlich (unabhängig von ihrer Form) unterteilt ist: die Produktion von Produktionsmitteln (PM) als Abteilung I und die Produktion von Konsumtionsmitteln (KM) oder Lebensmitteln im weitesten Sinn als Abteilung II. Zwar sind die Grenzen nicht immer scharf, weil ein Produkt (z.B. Getreide) mal als Produktions-, mal als Konsumtionsmittel dienen kann, manchmal auch als beides zugleich (z.B. beim Güter- und Personentransport). Dennoch bleibt die Unterscheidung sinnvoll. Das jährliche Gesamtprodukt (GP) beider Abteilungen läßt sich abgekürzt so darstellen:

GP(I) = PM(I) + PM(II),
GP(II) = KM(I) + KM(II),
wobei GP(I) die Produktionsmittel und GP(II) die Konsumtionsmittel für beide Abteilungen umfaßt. Es liegt auf der Hand, daß zwischen den Abteilungen Austausch von PM(II) gegen KM(I) stattfinden muß, während PM(I) und KM(II) innerhalb ihrer jeweiligen Abteilung ausgetauscht werden müssen. Alle Waren, Produktions- wie Konsumtionsmittel, sind stofflich gesehen Produkt der Jahresarbeit, nicht aber ihrem Wert nach! Ihr Produktenwert ist größer als das Wertprodukt der Jahresarbeit.

(28) Das Arbeitsjahr beginnt notwendigerweise mit einem Bestand an Produktionsmitteln aus vorangegangener, vorjähriger oder noch früherer Arbeit. Ob die Produktionsmittel dabei sämtlich in Naturalform vorhanden sind oder teilweise noch in Geldform, ist unerheblich. In der einen wie der anderen Form repräsentieren sie vergangene Arbeit, alten Wert. Je nach Funktion und Lebensdauer der Produktionsmittel (bezogen auf die betrachtete Produktionsperiode, also das Jahr) unterscheiden sie sich aber in der Art ihres Stoff- und Wertverbrauchs und folglich auch in der Art ihres Stoff- und Wertersatzes.

(29) Langlebige Produktionsmittel, in der Regel Arbeitsmittel, die ihren Gebrauchswert über das Jahr hinaus behalten, geben dennoch ratenweise, entsprechend ihrer durchschnittlichen Lebensdauer, Wert ab, verteilt auf die während des Jahres mit ihnen produzierten Waren. (Bei kapitalistischer Produktion entspricht das dem Wertverschleiß des fixen Kapitals oder den Abschreibungen.) In dieser Wert"abgabe" oder Wert"übertragung" zeigt sich der Doppelcharakter der Arbeit, die als gleiche gesellschaftliche Arbeit neuen Wert bildet, während sie gleichzeitig als konkret-nützliche Arbeit alten Wert erhält. Es wird also vergangene, in Produktionsmitteln vergegenständlichte Arbeit verbraucht, ohne im selben Jahr durch neue Arbeit ersetzt werden zu müssen. Was aber ersetzt werden muß, sind langlebige Produktionsmittel, deren Lebensdauer im laufenden Jahr endet. Und sie können ersetzt werden, weil der verzehrte oder übertragene alte Wert der Produktionsmittel nach dem Verkauf der Produkte in Geldform zurückkehrt und zum Kauf anderer Produktionsmittel zur Verfügung steht. Auch wenn diese Produktionsmittel Produkt diesjähriger Arbeit sind, bleiben sie für ihre Käufer und Anwender Verkörperung des ursprünglichen alten Werts, der nur seine Träger gewechselt hat.

(30) Ähnlich ist es mit den kurzlebigen Produktionsmitteln, in der Regel Arbeitsgegenstände (Rohstoffe, Vorprodukte usw.), die in der Produktion (bis auf Abfälle) vollständig konsumiert werden und damit als Gebrauchswerte enden. Ihr Wert geht ganz in den Produktenwert ein und kehrt nach dem Verkauf in Geldform zu seinem Besitzer zurück, um erneut in Produktionsmittel verwandelt zu werden. Wie oft er im Laufe des Jahres auch zirkulieren und sich in neuen Produktionsmitteln darstellen mag, je nach der Zirkulationsdauer der Waren, in denen er vergegenständlicht ist - für seinen Besitzer bleibt er immer derselbe alte Wert, der nur ständig die Form wechselt. (Bei kapitalistischer Produktion entspricht er dem zirkulierenden Teil des konstanten Kapitals oder den "Vorleistungen".)

Produktenwert und Wertprodukt

(31) Jede einzelne Ware enthält also einen Wertteil, der vorjährige und frühere Arbeit darstellt, und einen, der neu zugesetzte, diesjährige Arbeit darstellt. Was für die einzelne Ware gilt, gilt auch für das Gesamtprodukt jeder Abteilung der gesellschaftlichen Arbeit. Man kann es sich also auch so vorstellen, daß ein Teil des Gesamtprodukts in Abteilung I wie in Abteilung II bloß vergangene Arbeit repräsentiert und der andere Teil nur diesjährige Arbeit. Diese Vorstellung mag zunächst befremdlich scheinen, aber sie ist durchaus nicht realitätsfern. Jeder Warenproduzent weiß, daß er soundsoviel Produkte verkaufen muß, um seine Kosten zu decken, ehe er mit den restlichen Produkten den "Lohn" seiner eigenen Arbeit einstreichen kann. Diese Betrachtungsweise ist eine zulässige Vereinfachung, die sich auch auf die Gesamtheit der Produzenten beider Abteilungen anwenden läßt, um das Wertprodukt vom Produktenwert zu unterscheiden.

(32) Betrachten wir also die eben gegebene Darstellung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts, so wird klar, daß PM(I) und KM(I) nur vergangene Arbeit, alten Wert repräsentieren, während PM(II) und KM(II) nur die aktuelle Jahresarbeit verkörpern, ihr Wertprodukt, neuen Wert darstellen. PM(I) besteht stofflich aus Produktionsmitteln, die verbrauchte Produktionsmittel in Abteilung I ersetzen, und ihr Wert ist nur der "wiedererscheinende" Wert dieser verbrauchten Produktionsmittel (gleichbleibende Wertverhältnisse bzw. Arbeitsproduktivität vorausgesetzt). KM(I) besteht stofflich aus Konsumtionsmitteln, die nur den Wert der verbrauchten Produktionsmittel in Abteilung II konservieren, um ihn im Austausch mit Abteilung I in neue Produktionsmittel zu verwandeln. PM(II) dagegen verkörpert neuen Wert, das Wertprodukt der Abteilung I, das sich im Austausch mit den Konsumtionsmitteln KM(I) der Abteilung II realisiert. KM(II) schließlich verkörpert das Wertprodukt der Abteilung II, das die Produzenten dieser Abteilung untereinander austauschen.

(33) Das gesamte Wertprodukt entspricht (bei einfacher Reproduktion) also dem Produktenwert beider Abteilungen abzüglich des Werts der Produktions- und der Konsumtionsmittel für Abteilung I oder, anders ausgedrückt, dem in Abteilung I erzeugten Wert der Produktionsmittel für die Abteilung II plus dem Wert der Konsumtionsmittel für diese Abteilung. Die ganze Schwierigkeit, die dieses Ergebnis bereiten mag, liegt in dem Austausch zwischen den Abteilungen bzw. in dem Umstand, daß die Konsumtionsmittel für die Abteilung I nur den Wert der in Abteilung II verbrauchten Produktionsmittel transportieren, der in Gestalt neuer Produktionsmittel zu ihr zurückkehrt, während Abteilung I durch diesen Austausch ihren Neuwert realisiert, so daß also "Austausch zwischen diesjähriger und vorjähriger Arbeitszeit" (MEW 24, S. 426) stattfindet.

(34) Da PM(II) wertgleich ist mit KM(I), könnte es scheinen, daß das ganze Wertprodukt stofflich aus Konsumtionsmitteln besteht. Und diesen Schein pflegt auch die Entstehungsrechnung des BIP, die sämtliche "Vorleistungen" aus dem Wertprodukt eliminiert, obwohl doch die "Vorleistungen" für die Abteilung II stoffliche Träger von Neuwert sind. Hier zeigt sich nicht nur die Beschränktheit des bürgerlichen Wertbegriffs, der keinen objektiven gesellschaftlichen Inhalt (aner)kennt [8], sondern auch die typische Arroganz des Privateigentums gegenüber den gesellschaftlichen Voraussetzungen der eigenen Existenz. Vom Standpunkt des Privateigentums sind die "Vorleistungen" (die in der BRD über 60 Prozent des Produktenwerts oder das Anderthalbfache des Wertprodukts ausmachen) nur "Kosten", die die eigene Rendite belasten, während sie tatsächlich den Entwicklungsgrad der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die zunehmende Vergesellschaftung der kapitalistischen Produktion anzeigen.

Einige Schlußfolgerungen

(35) Wenn hier von der Gesamtarbeit und ihrem Wertprodukt die Rede ist, ist immer zu bedenken, daß dabei nur die Arbeit zählt, die a) durch Aneignung und Umformung von Naturstoff (und sei er der menschliche Körper) einen Gebrauchswert, konsumierbares Produkt erzeugt, das b) tatsächlich in den Austausch eingeht, also gegen anderes Produkt oder Geld ausgetauscht wird. Alle Arbeiten, die nicht beide Bedingungen erfüllen, bilden keinen Wert und tragen daher auch nichts zum Wertprodukt bei, so nützlich und unverzichtbar sie auch sein mögen. Aus dieser eigentlich so simplen Bestimmung wertbildender Arbeit ergeben sich eine Reihe von Schlußfolgerungen, die auch für eine Gesellschaft mit kapitalistischer Warenproduktion gelten.

(36) - Wertform und Wertgehalt eines Produkts hängen in keiner Weise ab von der Art seines Gebrauchswerts oder seiner Konsumtion. Die Produktion oder produktive Konsumtion ist immer ein materieller Vorgang (insofern ist der Begriff der "materiellen Produktion" eigentlich eine Tautologie, weil auch jede "geistige" Produktion ein Medium braucht, in dem sie sich materialisieren kann und für andere "konsumierbar" wird). Die individuelle Konsumtion dagegen kann ebenso materieller wie ideeller oder psychischer Art sein (der streng genommen allerdings auch wieder materielle Prozesse zugrunde liegen), außerdem ebenso produktiver wie destruktiver, lebenserhaltender wie lebensgefährdender Art usw.

(37) - Wertform und -gehalt eines Produkts hängen daher auch nicht davon ab, ob es dingliche Existenz als individualisierbare, transport- und lagerfähige Ware besitzt oder im Moment seiner Produktion auch schon konsumiert wird, also (materielle) Dienstleistung ist. Alle Vorstellungen, daß (materielle) Dienstleistungen grundsätzlich aus der Wert- und Mehrwertproduktion herausfallen, sind haltlos.

(38) - Die Arbeit, die der Austausch selbst (die Zirkulation des Warenwerts und des Geldes, nicht der Warentransport) erfordert, produziert weder konsumierbare Produkte noch fügt sie irgendwelchen Produkten Gebrauchswert zu. Also bildet sie auch keinerlei Wert. Sie bedeutet vielmehr Abzug von der verfügbaren gesellschaftlichen Arbeitszeit. Auch ihre Verselbständigung in speziellen Zirkulationsdienstleistungen absorbiert daher immer nur einen Teil des gesellschaftlichen Gesamtprodukts. Daß diese Dienstleistungen selbst auch Wertform annehmen, heißt nicht, daß sie selbst Wert produzieren, sondern nur, daß sie bereits produzierten Wert realisieren und an ihm partizipieren.

(39) - Produkte, die individuell konsumiert werden, ohne in den Austausch zu gehen, wie die Dienste eines angestellten Gärtners, nehmen keine Wertform an und daher auch keinen Wert. Was der Gärtner mit dem Geld seines "Arbeitgebers" austauscht, ist nicht seine Arbeit bzw. ein bestimmtes Arbeitsprodukt (obwohl er auch als selbständiger Produzent auftreten könnte), sondern seine Arbeitskraft, die dadurch Wertform erhält, Ware wird und vom Käufer nach dessen Ermessen genutzt wird, ohne ein Quentchen Wert zu bilden, mag sie auch noch so viel Gebrauchswert liefern. (Vom Standpunkt des Kapitals sind persönliche Dienste daher unproduktiver Luxus, anders als selbständige Gärtnerarbeit, die ihren Produkten Wert verleiht und daher grundsätzlich auch kapitalistisch organisiert werden kann.)

(40) - Nicht überall, wo "Wert" drauf steht, ist auch Wert drin. Unbearbeitete Erde z.B. hat keinen Wert, wie die ganze Natur überhaupt "wertlos" oder "wertfrei" ist. Der "Wert" eines Grundstücks ist in Wirklichkeit der Rechtsanspruch des Grundeigentümers auf arbeitslose Aneignung eines Teils des gesellschaftlichen Wertprodukts.

(41) - Das Wertprodukt einer warenproduzierenden Gesellschaft kann nur wachsen a) durch Ausdehnung des Arbeitsvolumens, sei es durch Verlängerung der Arbeitszeit, sei es durch Zunahme der Produzentenzahl innerhalb gegebener Produktionszweige, sei es durch Vermehrung der Produktionszweige selbst, also Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, b) durch Intensivierung der Arbeit oder c) durch Zunahme komplizierte(re)r gegenüber einfach(er)er Arbeit.

Kapitalistisches Wertprodukt und BIP

(42) Die Bestimmung der wertbildenden Arbeit ändert sich nicht durch den Übergang von der einfachen zur kapitalistischen Warenproduktion. Was sich ändert, ist vor allem die Stellung der Produzenten zu den Produktionsmitteln. Die kapitalistische Produktionsweise beruht auf der Trennung der Arbeiter von den Produktionsmitteln, wodurch ihre Arbeitskraft selbst zur Ware wird, die sie den Produktionsmittelmonopolisten verkaufen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Damit teilt sich die lebendige Arbeit, auch wenn die Form des Arbeitslohns alle Arbeit als bezahlte erscheinen läßt, in den Anteil an der Gesamtarbeit, der notwendig ist zur Reproduktion der Arbeitskraft, und in Mehrarbeit, die den Kapitalisten ein unentgeltliches Mehrprodukt liefert, das als Mehrwert realisiert wird.

(43) Was sich außerdem ändert, ist die Art und Weise, in der das Wertgesetz die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit beherrscht. Der Wert einer Ware bzw. Warenart (mit Ausnahme der Arbeitskraft) oder ihr gesellschaftlich notwendiger Anteil an der Gesamtarbeit nimmt die Form des "Produktionspreises" an, der sich aus ihrem durchschnittlichen "Kostpreis" und der Durchschnittsprofitrate des gesellschaftlichen Gesamtkapitals zusammensetzt. Die Herleitung dieser "verwandelten Form des Werts", in der sich das durchschnittliche Verhältnis von "toter" und lebendiger Arbeit oder die Zusammensetzung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals ausdrückt, ist für die vorliegende Betrachtung jedoch nicht weiter wichtig.

(44) Das Gesamtprodukt einer kapitalistischen Gesellschaft ist in der gleichen Weise darstellbar wie das einer Gesellschaft mit einfacher Warenproduktion, nur daß die Produkte in beiden Abteilungen nicht mehr nur zwei, sondern drei Wertbestandteile repräsentieren: den Wertersatz der verbrauchten Produktionsmittel oder des "konstanten" Kapitals (c), den Ersatz des vorgeschossenen Lohns oder des "variablen" Kapitals (v) und den Mehrwert (m). Bei einfacher Reproduktion müßte auch I (v + m) wertgleich sein mit II c und stofflich nur die in Abteilung II verbrauchten Produktionsmittel ersetzen. Da kapitalistische Produktion bei normaler Entwicklung aber immer auch erweiterte Reproduktion ist, können die Kapitalisten beider Abteilungen ihren Mehrwert nicht vollständig konsumieren. I (v + m) muß also größer als II c sein, weil ein Teil von I m aus Produktionsmitteln bestehen muß, die in Abteilung I selbst zur Akkumulation dienen können. Ebenso muß II m zum Teil aus Konsumtionsmitteln bestehen, die nicht von den Kapitalisten dieser Abteilung selbst konsumiert, sondern gegen zusätzliches v in beiden Abteilungen getauscht werden können. Doch wie immer sich das Mehrprodukt in akkumulierbare und bloß konsumierbare Bestandteile aufteilen mag, sie bleiben stoffliche Träger des Mehrwerts. Und da der Ersatz des verbrauchten konstanten Kapitals nur wiederkehrender Vorjahreswert ist, kann das Wertprodukt einer rein kapitalistischen Gesellschaft, in der alle Arbeit von Lohnarbeitern verrichtet wird, aus nichts anderem bestehen als dem Äquivalent des variablen Kapitals und dem Mehrwert beider Abteilungen.

(45) In der Realität stellt es sich allerdings nicht ganz so einfach dar. Erstens existiert bisher kein Land mit rein kapitalistischer Produktion. Auch in den entwickeltsten Ländern gibt es immer noch einen kleinen, zeitweise sogar wachsenden Bereich nicht- oder protokapitalistischer Warenproduktion, vom selbst arbeitenden Landwirt (samt eventuell "mithelfenden Familienangehörigen") über den selbständigen Taxifahrer und den scheinselbständigen Trucker bis zum freiberuflichen Architekten. Auch ihre Arbeit geht natürlich in das nationale Wertprodukt ein, auch wenn sie nur teilweise von ihnen selbst realisiert wird und zum anderen Teil die Mehrwertmasse des gesellschaftlichen Gesamtkapitals erhöht. Außerdem gibt es Unternehmen der "öffentlichen Haushalte", wie Wasserwerke, Entsorgungsbetriebe, Krankenhäuser oder öffentlich-rechtliche Medien, die ihre Produkte zu Kostpreisen oder doch unter den möglichen Produktionspreisen, also unter ihrem Wert abgeben. Durch den "Verzicht" auf ihren Anteil an der gesellschaftlichen Mehrwertmasse erhöht sich entsprechend der dem privaten Kapital zufallende Mehrwert. In der VGR werden die öffentlichen Unternehmen ebenso wie die nichtkapitalistischen Produzenten dem Sektor "Unternehmen" zugerechnet.

(46) Zweitens gibt es neben den beiden Abteilungen des produktiven Kapitals einen ausgedehnten Zirkulationssektor (Handel, Banken, Versicherungen, "Wohnungsvermietung" und verschiedene "sonstige Dienstleistungen", wie Werbung), der mitsamt den Löhnen und Gehältern aus dem Mehrwert beider Abteilungen gespeist wird. Abgesehen von gewissen produktiven Arbeiten in den Bereichen Handel und Wohnungsvermietung dient die Arbeit in diesem Sektor nur der Zirkulation vorhandenen Werts und der Aneignung von Teilen des Mehrwerts in Form von kommerziellem Profit, Zins und Grundrente. Die "Wertschöpfung" dieses Sektors ist also eine Fiktion, und doch drückt sie einen realen Anteil an der Jahresarbeit aus, der in diesem Sektor eben nur realisiert wird.

(47) Drittens treten noch die "öffentlichen Haushalte" - Staat und Sozialversicherung - auf den Plan, deren eigene "Wertschöpfung" ebenso fiktiv ist wie die des Zirkulationssektors, die vielmehr über direkte und indirekte Steuern sowie über "Sozialbeiträge" einen Teil des Wertprodukts - Mehrwert wie variables Kapital bzw. Lohn - an sich ziehen, um sich selbst zu erhalten, in die gesellschaftliche Infrastruktur zu investieren, Mehrwert in Form von Subventionen umzuverteilen und variables Kapital in "Sozialleistungen" zu verwandeln. Die Teilung der lebendigen Arbeit in notwendige und in Mehrarbeit ist ja längst zu einer Drei- oder Vierteilung geworden, da die Lohnabhängigen sichtbar nicht nur für die eigene Reproduktion arbeiten, sondern auch für die ihres "unproduktiven" Anhangs ("Lohnnebenkosten") und für den Staat (Lohn- oder Einkommensteuer). Daß der größte Teil ihrer Arbeit als Mehrarbeit durch die Form des Lohns nach wie vor verschleiert wird, erleichtert es dem Kapital, den Unmut der Lohnabhängigen auf die sichtbaren Kostgänger ihrer Arbeit abzulenken. Was sich auch darin ausdrückt, daß ein erklecklicher Teil des realen Wertprodukts (nach aktuellen Schätzungen 10 bis 15 Prozent) regelmäßig dem Zugriff der "öffentlichen Hände" entzogen wird und als "Schattenwirtschaft" aus der amtlichen Statistik herausfällt.

(48) Viertens ist natürlich die Verbindung der inländischen Produktion mit dem Weltmarkt zu berücksichtigen. Immerhin wird fast ein Drittel des deutschen Wertprodukts im Austausch mit dem Ausland realisiert, der aufgrund des Produktivitätsgefälles zu den weniger entwickelten Ländern immer auch die Aneignung fremder Arbeitszeit einschließt.

(49) Dies sind nur die gröbsten Probleme bei der qualitativen und quantitativen Analyse des kapitalistischen Wertprodukts und seiner Darstellung in der Sozialproduktsrechnung der VGR. Im Detail ergeben sich noch eine Reihe weiterer Schwierigkeiten und Ungereimtheiten, ganz abgesehen von den Fehlerquellen der Statistik (vgl. Stobbe, a.a.O., S. 401 ff.). Es kann daher auch gar nicht darum gehen, irgendwelche Wertbestandteile auf die Million oder auch nur auf die Milliarde genau zu erfassen. Die Analyse des BIP bzw. des BSP kann nur die annähernden Größenverhältnisse, Proportionen und Entwicklungstrends in der Verteilung und Zusammensetzung der Gesamtarbeit und des Gesamtprodukts sichtbar machen.

(50) Wichtiger noch als die quantitative Analyse der monetären Kategorien aber ist ihre qualitative Entzauberung als bloße Ausdrücke gesellschaftlicher Arbeitszeit. Die Selbstzweckbewegung des "mehrwertheckenden Werts" wird die Menschen solange beherrschen, bis sie begreifen, daß sie selbst nur ihre gesellschaftliche Arbeitszeit beherrschen müssen, um mit dem Kapital auch dem Wert und dem Geld ein Ende zu setzen.

(51) Wer nun zum Abschluß einige quantitative Aussagen zur Zusammensetzung des BIP erwartet, wird enttäuscht werden. Es ist nicht schwer, in den Definitionen des BIP nach Entstehung, Verteilung und Verwendung das Wertprodukt v + m des produktiven Kapitals plus dem Wertverschleiß des fixen Kapitals (Abschreibungen) wiederzuerkennen. Es wird auch nicht ganz falsch sein, den Anteil des Mehrwerts am Wertprodukt nach überschlägiger Rechnung mit 65 bis 70 Prozent anzunehmen. Doch mit einer solchen Einzelaussage ist nicht viel anzufangen, weil sie noch mit verschiedenen Unklarheiten über Methodik und Zahlenmaterial der VGR behaftet und daher auch nicht sinnvoll in längeren Zeitreihen darstellbar ist. In meinen Augen wäre es ein großer Schritt nach vorn, wenn sich die/der eine oder andere durch diesen Text angeregt fühlt, ins Thema einzusteigen und seine Schwierigkeiten in gemeinsamer Debatte zu bewältigen...

(51.1) 23.07.2003, 00:54, kienle robert: Löblich ist zunächst einmal, daß der Autor eine empirische Überprüfung der Aussagen der Kritik der Politischen Ökonomie einfordert. Schade ist nur, dass er die in diesem Kontext durchgeführten Untersuchungen wie auch die damit verbundenen Kontroversen nicht zur Kenntnis nimmt. Die Behauptung, daß die (marxistische) Linke es bisher versäumt habe das Marxsche „Hypothesenset“ empirisch zu überprüfen, lässt sich so nicht halten. Verwiesen sei nur auf die bereits in 50er Jahren erschienene Arbeit „Das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“ von Joseph Moses Gillman wie auch auf die neueren Arbeiten „Vom Wirtschaftswunder zur Wirtschaftskrise“ von Elmar Altvater et al. und „Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation“ von Stephan Krüger (die Liste ließe sich fortsetzen). Erstaunlich ist auch, dass der Autor die in diesem Kontext geführten Debatten nicht erwähnt. Ich denke hier insbesondere an das sog. „Transformationsproblem“. Was ist damit gemeint? Im dritten Band des „Kapital“ wird die Transformation der Warenwerte in Produktionspreise auf der Grundlage von Kostpreisen als Wertgrößen durchgeführt. Legt man diesen Ansatz zugrunde, dann gilt, dass die Summe der Profite gleich der Summe des Mehrwerts ist. Gleiches gilt für die ausbezahlten Löhne und das variable Kapital wie auch für die Ausgaben für Produktionsmittel und das konstante Kapital. Daß es sich hier um einen wenig realistischen Fall handelt, wird deutlich, wenn man den hohen Grad an Arbeitsteilung bedenkt, der für eine kapitalistische Ökonomie spezifisch ist. Der Kostpreis kann dann nicht mehr als Wertgröße behandelt werden, sondern ist i.d.R. Produktionspreis. Eine empirische Überprüfung der Aussagen der Kritik der Politischen Ökonomie steht mithin vor dem Problem, dass die Marxschen Hypothesen Aussagen auf der Wertebene beinhalten (so z.B. die Determination der Profitrate durch die Mehrwertrate und die organische Zusammensetzung), dass aber statistisch mit Preisgrößen zu operieren ist. Abschließend möchte ich eine Überlegung präsentieren, die zumindest hinsichtlich des in einer Periode produzierten Neuwerts das „Transformationsproblem“ umschifft. Legt man die obigen Überlegungen zugrunde, dann kann keine Identität zwischen den Profiten und dem Mehrwert und den Löhnen und dem variablen Kapital bestehen. Der Grund dafür liegt darin, dass die Lohngüter in Produktionspreisen und nicht in Werten vorliegen. M.E. lässt sich dieses Problem aber umgehen: Legt man die Überlegung zugrunde, dass die Austauschrelation der Ware Arbeitskraft durch die Austauschrelation der Güter determiniert ist, die notwendig sind sowohl für deren Reproduktion wie auch Produktion, dann folgt daraus, dass die Lohngüter in Produktionspreisen in die Wertbestimmung der Arbeitskraft eingehen. Der Wert und der Preis der Ware Arbeitskraft sind mithin identisch, so dass – da der in einer Periode geschaffene Neuwert mit der Summe der Löhne und Profite identisch ist – auch gilt, dass die Summe der Profite gleich der Summe des Mehrwerts ist.

Anmerkungen

(52) [1] Der Begriff der industriellen Lohnarbeit bezeichnet hier die Arbeit der Lohnabhängigen, die ihre Arbeitskraft gegen industrielles Kapital im Unterschied zum Handels- und Bankkapital tauschen, die also in einem kapitalistischen Produktionsbetrieb arbeiten.

(53) [2] Die Verwendung volkswirtschaftlicher Begriffe und Definitionen orientiert sich am Standardwerk von Alfred Stobbe: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen, Berlin u.a. 1994, ohne jedoch alle Zitate im einzelnen durch Anführungszeichen und Seitenangaben zu kennzeichnen.

(54) [3] Im Sommer hatte ich einige Fragen zum Thema an die TeilnehmerInnen der letztjährigen KW 48 verschickt, darunter diese: Was verstehst Du unter "wertbildender" oder "wertmäßig produktiver Arbeit"? (Beide Begriffe bedeuten dasselbe; der erste ist bei Marx zu finden, der zweite bei Kurz.) Von gerade mal zwei Rückmeldungen enthielt eine gar keine Antwort auf diese Frage, die andere eine völlig verfehlte (nämlich: "im Marxschen Sinne mehrwerterzeugende Tätigkeit").

(55) [4] "Das Geheimnis aller Wertform steckt in dieser einfachen Wertform." (MEW 23, S. 63) "Die Herren Ökonomen haben bisher das höchst Einfache übersehn, daß die Form: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock nur die unentwickelte Basis von 20 Ellen Leinwand = 2 Pfd. St., daß also die einfachste Warenform, worin ihr Wert noch nicht als Verhältnis zu allen anderen Waren, sondern nur als Unterschiednes von ihrer eignen Naturalform ausgedrückt ist, das ganze Geheimnis der Geldform und damit, in nuce, aller bürgerlichen Formen des Arbeitsprodukts enthält." (Marx an Engels, 22.6.1867, MEW 31, S. 306)

(56) [5] Der Begriff der Gesamtarbeit bezieht sich hier logischerweise nur auf die Arbeit, deren Produkte in den Austausch eingehen.

(57) [6] Diese Annahme dient nur der einfacheren Gedankenführung. In Wirklichkeit geht die in Produktionsmitteln enthaltene Arbeit natürlich über kurz oder lang ganz oder teilweise wieder in die Zirkulation neuer Waren ein. Wie sich das auf den Wertausdruck der gesellschaftlichen Arbeit auswirkt, wird gleich noch zu betrachten sein.

(58) [7] Der Wert ist also nicht das, was er zu sein scheint: eine Eigenschaft von oder ein Verhältnis zwischen Dingen, sondern ein "unter dinglicher Hülle verstecktes Verhältnis zwischen Personen" (MEW 23, S. 88 Fn. 27), das sie als Glieder einer gesellschaftlichen Gesamtarbeit ausweist. Marx hat diesen "dinglichen Schein" als erster beschrieben und analysiert. Er hat ihn aber auch selbst wieder bestätigt - durch seine metaphorische Sprache. Wert"bildnerin" (Arbeit), Wert"substanz", Wert"übertragung" usw. sind Metaphern, die dem Wert den Schein einer physischen Existenz verleihen. Sie sind allerdings unvermeidlich, weil der Begriff des Werts selbst eine Metapher oder auch eine Hieroglyphe für etwas Verborgenes, sinnlich nicht Faßbares ist. Ist dessen Geheimnis einmal gelüftet, als entfremdeter Umgang der Menschen mit ihrer gesellschaftlichen Arbeitszeit, haben all diese Metaphern nur noch Abkürzungsfunktion. Und nur in diesem Sinn hat Marx sie auch benutzt, nicht ohne sie immer wieder mit ihrem verborgenen gesellschaftlichen Inhalt zu kontrastieren und ironisch zu verfremden.

(59) [8] So Stobbe: "Der Leser oder die Leserin mache sich zunächst von der Vorstellung frei, es gäbe für irgendein Gut oder eine Forderung so etwas wie einen 'inneren', 'wirklichen' oder 'eigentlichen' Wert, der diesem Wirtschaftsobjekt unabhängig von seiner Bewertung durch Menschen innewohnen würde." A.a.O., S. 49


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