Home Was ist ot ? Regeln Mitglieder Maintainer Impressum FAQ/Hilfe
Etwas Theorie (Autor: Ulrich Weiß)
Maintainer: Werner Imhof, Version 2, 04.12.2001
Projekt-Typ:
Status: Archiv
(1) Marx hebt den Fortschritt der freien (Lohn-)Arbeit gegenüber Sklavenarbeit hervor. "Als Sklave hat der Arbeiter Tauschwert, einen Wert; als freier Arbeiter hat er keinen Wert; sondern nur die Disposition über seine Arbeit, durch Austausch mit ihm bewirkt, hat Wert. [...] Seine Wertlosigkeit und Entwertung ist die Voraussetzung des Kapitals und die Bedingung der freien Arbeit überhaupt. Linguet betrachtet sie als Rückschritt; er vergißt, daß damit der Arbeiter formell als Person gesetzt ist, der noch etwas außer seiner Arbeit für sich ist und der seine Lebensäußerung nur veräußert als Mittel für sein eignes Leben." (MEW 42, S. 214) "Prinzip der bürgerlichen Nationalökonomie": Arbeit. (Auguste Cornu: Karl Marx. Die ökonomisch-philosophischen Manuskripte. Akademie-Verlag, Berlin 1955, S. 31)
(2) Vom Standpunkt der entfremdeten Arbeit jedoch, so zugleich Marx, ist auch freie (Lohn-)Arbeit Zwangsarbeit. "Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit." (MEW EB 1, S. 514)
(3) "Der einzige Zusammenhang, in dem sie [die Individuen UW] noch mit den Produktivkräften und mit ihrer eignen Existenz stehen, die Arbeit, hat bei ihnen allen Schein der Selbstbetätigung verloren und erhält ihr Leben nur, indem sie es verkümmert. ... Selbstbetätigung und Erzeugung des materiellen Lebens ... fallen ... jetzt so auseinander, daß überhaupt das materielle Leben als Zweck, die Erzeugung dieses materiellen Lebens, die Arbeit (welche die jetzt einzig mögliche, aber wie wir sehen, negative Form der Selbstbetätigung ist), als Mittel erscheint." (MEW 3, S. 67)
(4) Marx verfolgt die Formen der Entfremdung von der einfachen Kooperation in den frühkapitalistischen Manufakturen bis hin zu der kapitalistischen Großproduktion. Der Handwerker, der bereits der formellen Herrschaft des Kapitals untergeordnet ist, dem das Produkt der Arbeit also selbst nicht mehr gehört, kann noch ein vielseitiger, oft auch noch künstlerisch tätiger Produzent sein, der alle Arbeiten zur Herstellung der Ware selbst beherrscht. Den Fortschritt zur reellen Subsumtion unter das Kapital wird durch die fortschreitende Arbeitsteilung, damit durch die zunehmende Entleerung der Fähigkeiten der unmittelbaren Produzenten bedingt. Diese Entwicklung, immer verbunden mit einer Steigerung der Produktivität der Arbeit schreitet fort bis hin zu einer solchen Bindung an einen maschinellen Prozeß, der auch noch die äußere Kontrolle des unmittelbaren Produzenten aufheben kann. Der eindimensionierte, dressierte Mensch funktioniert wie ein Teil der Maschine. Was in der tayloristischen Fließbandarbeit tatsächlich Wirklichkeit wurde, die Teilung der Arbeit bis zu dem Grade, da sie von einem intelligenten Gorilla ausführbar wird, da sie und damit der unmittelbare Produzent von jedem Geist und jeder selbständigen Gestaltung befreit ist, hat Marx im Kapital und in den Grundrissen als unvermeidliche Entwicklungsrichtung der kapitalistischen Produktionsweise vorausgesagt. Aufhebung der Entfremdung ist nach Marx identisch mit Aufhebung dieser (knechtenden) Arbeitsteilung, dies auch und vor allem die Teilung von körperlicher und geistiger Arbeit, und mit der Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Eines kann nicht ohne das andere aufgehoben werden.
(5) Die kommunistische Revolution - beseitigt nach Marx die Arbeit, d.h. die bisherige Art der Tätigkeit, - verwandelt die Arbeit in Selbstbetätigung. Sie führt nicht zur Selbstentleerung, nicht zur Abhängigkeit des Individuums, sondern zu seiner Selbstverwirklichung. - Sie ist gleichwohl wie künstlerische Tätigkeit, die immer auch Spiel, nicht bloßer Spaß, sondern zugleich verdammtester Ernst, intensivste Anstrengung. - Die tätige Überwindung von Hindernissen ist hier Betätigung der Freiheit.
(6) "... daß in allen bisherigen Revolutionen die Art der Tätigkeit stets unangetastet blieb und es sich nur um eine andre Distribution dieser Tätigkeit, um eine neue Verteilung der Arbeit an andre Personen handelte, während die kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt (im Ms. Gestrichen: ... die moder[ne] Form der Tätigkeit, unter der die Herrschaft der ...) und die Herrschaft aller Klassen mit den Klassen selbst aufhebt." (MEW 3, S. 69 f.)
(7) "Erst auf dieser Stufe fällt die Selbstbetätigung mit dem materiellen Leben zusammen, was der Entwicklung der Individuen zu totalen Individuen und der Abstreifung aller Naturwüchsigkeit entspricht; und dann entspricht sich die Verwandlung der Arbeit in Selbstbetätigung und die Verwandlung des bisherigen Verkehrs in den Verkehr der Individuen als solcher. Mit der Aneignung der totalen Produktivkräfte durch die vereinigten Individuen hört das Privateigentum auf." (MEW 3, S. 68)
(8) "Du sollst arbeiten im Schweiße deines Angesichts! war Jehovas Fluch, den er Adam mitgab. (Das Alte Testament, 1. Buch Mose 3, 19) Und so als Fluch nimmt A. Smith die Arbeit. Die 'Ruhe' erscheint als der adäquate Zustand, als identisch mit 'Freiheit' und 'Glück'. Daß das Individuum 'in seinem normalen Zustand von Gesundheit, Kraft, Tätigkeit, Geschicklichkeit, Gewandtheit' auch das Bedürfnis einer normalen Portion... von Arbeit hat und von Aufhebung der Ruhe, scheint A. Smith ganz fernzuliegen. Allerdings erscheint das Maß der Arbeit selbst äußerlich gegeben, durch den zu erreichenden Zweck und die Hindernisse, die zu seiner Erreichung durch Arbeit zu überwinden. Daß aber diese Überwindung von Hindernissen an sich Betätigung der Freiheit - und daß ferner die äußren Zwecke, die das Individuum selbst erst setzt, gesetzt werden - also als Selbstverwirklichung, Vergegenständlichung des Subjekts, daher reale Freiheit, deren Aktion eben die Arbeit, ahnt A. Smith ebensowenig. Allerdings hat er recht, daß in den historischen Formen der Arbeit als Sklaven-, Fronde-, Lohnarbeit die Arbeit stets repulsiv, stets als äußre Zwangsarbeit erscheint und ihr gegenüber die Nichtarbeit als 'Freiheit und Glück'. Es gilt doppelt: von dieser gegensätzlichen Arbeit und, was damit zusammenhängt, der Arbeit die sich noch nicht die Bedingungen, subjektive und objektive, geschaffen hat ..., damit die Arbeit traivail attractif, Selbstverwirklichung des Individuums sei, was keineswegs meint, daß sie bloßer Spaß sei, bloßes amusement ...Wirklich freie Arbeiten, z. B. Komponieren, ist grade zugleich verdammtester Ernst, intensivste Anstrengung." (MEW 42, S. 512)
(9) Für den Übergang von der Lohnarbeit zur kommunistisch-freien Tätigkeit sind nach Marx mindestens zwei Bedingungen erforderlich: Erstens die materiellen Voraussetzungen, materiell im Sinne von PM und von damit verbundenen bestimmten Formen der Produktionstätigkeit, die in sich die Möglichkeiten zur Aufhebung von knechtender Arbeitsteilung und Entfremdung tragen, und zweitens die menschliche Kraft, die die dann falsch gewordene, mit zivilisatorischem Fortschritt unvereinbar gewordene kapitalistische Hülle zerbrechen kann, indem die Individuen in ihren Assoziationen eine neue Form von Gesellschaftlichkeit, von Leben und Arbeiten, begründen.
(10) Erstens zu den materiellen Bedingungen für Selbstverwirklichung des Menschen in der Produktion materieller Güter: "Die Arbeit der materiellen Produktion kann diesen Charakter nur erhalten, dadurch, daß 1. ihr gesellschaftlicher Charakter gesetzt ist, 2. daß sie wissenschaftlichen Charakters, zugleich allgemeine Arbeit ist, nicht Anstrengung des Menschen als bestimmt dressierter Naturkraft, sondern als Subjekt, das in dem Produktionsprozeß nicht in bloß natürlicher, naturwüchsiger Form, sondern als alle Naturkräfte regelnde Tätigkeit erscheint." (Ebd., Hervorhebung UW)
(11) Zweitens ist die soziale Kraft, die die Umwälzung herbeiführen wird, nach Marx die gegen die Bourgeoisie kämpfende Arbeiterklasse.
(12) Warum hält (der junge) Marx diese für befähigt? 1. Im Proletariat sind alle Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft in ihrer unmenschlichen Spitze zusammengefaßt. 2. Es hat bzw. gewinnt das theoretische Bewußtsein dieses Verlustes. 3. Die absolut gebieterische Not zwingt zur Empörung gegen diese Unmenschlichkeit. Es muß sich selbst befreien. 4. Es kann sich nur befreien, wenn es seine eigenen Lebensbedingungen aufhebt. 5. Wenn es diese aufhebt, dann hebt es alle unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft auf.
(13) Wieso kann sich das Proletariat zu einer solchen Kraft entwickeln? 1. Es wird durch die kapitalistische Entwicklung selbst zur größten Klasse der Gesellschaft. 2. Es wird durch die kapitalistische Produktion konzentriert und organisiert. 3. Es durchläuft die harte, aber stählende Schule der Arbeit. 4. Es entwickelt im Klassenkampf die erforderlichen Eigenschaften, die zur Begründung der neuen Lebens- und Produktionsweise unverzichtbar sind.
(14) "Wenn die sozialistischen Schriftsteller dem Proletariat diese weltgeschichtliche Rolle zuschreiben, so geschieht dies keineswegs, wie die kritische Kritik zu glauben vorgibt, weil sie die Proletarier für Götter halten. Vielmehr umgekehrt. Weil die Abstraktion von aller Menschlichkeit, selbst von dem Schein der Menschlichkeit, im ausgebildeten Proletariat alle Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft in ihrer unmenschlichen Spitze zusammengefaßt sind, weil der Mensch in ihm sich selbst verloren, aber zugleich nicht nur das theoretische Bewußtsein dieses Verlustes gewonnen hat, sondern auch unmittelbar durch die nicht mehr abzuweisende, nicht mehr zu beschönigende, absolut gebieterische Not - den praktischen Ausdruck der Notwendigkeit - zur Empörung gegen diese Unmenschlichkeit gezwungen ist, darum kann und muß das Proletariat sich selbst befreien. Es kann sich aber nicht selbst befreien, ohne seine eigenen Lebensbedingungen aufzuheben. Es kann seine eigenen Lebensbedingungen nicht aufheben, ohne alle unmenschlichen Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft, die sich in seiner Situation zusammenfassen, aufzuheben. Es macht nicht vergebens die harte, aber stählende Schule der Arbeit durch. Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird. Sein Ziel und seine geschichtliche Aktion ist in seiner eignen Lebenssituation wie in der ganzen Organisation der heutigen Gesellschaft sinnfällig, unwiderruflich vorgezeichnet." (MEW 2, S. 38)
(15) Die tatsächliche geschichtliche Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise und der Arbeiterklasse selbst, aber auch die eigenen Erkenntnisse, die Marx in seinen Kritiken der Politischen Ökonomie gewinnt und darstellt, lassen seine Annahme einer historischen Mission der Arbeiterklasse fragwürdig werden.
(16) Zumindest bis zum Höhepunkt des Fordismus sind es gerade einige von Marx beschriebenen bzw. vorausgesagten Entfremdungsprozesse, die einige der Marxschen Begründungen für die historische Mission des Proletariats in Frage stellen (bzw. diese Mission bejahen, aber als tatsächlich auf die innerkapitalistische Entwicklung bezogen und nicht auf die Begründung einer neuen Gesellschaft).
(17) 1. Die tayloristisch-fordistische reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital treibt die von Marx beschriebenen Reduktionen der Persönlichkeit des unmittelbaren Produzenten voran. Auf dieser Basis werden auch die Fähigkeiten vernichtet, die zu freier Selbstbetätigung führen könnten.
(18) 2. Das steigende Produktivitätsniveau und der proletarische Klassenkampf führt noch innerhalb des Kapitalismus zur Hebung des materiellen Lebensniveaus der Proletarier und damit zumindest in den Metropolen zur Aufhebung der gebieterischen Not, die zur Empörung treibt.
(19) Mit der gegenwärtigen sich tatsächlich vollziehenden Entwicklung des wissenschaftlichen Charakters der Arbeit entwickelt sich die Arbeiterklasse in Richtungen, die nach alter marxistischer Revolutionstheorie die Befähigung der Proletarier als Klasse zur revolutionären Umwälzung in Frage stellen:
(20) 1. Die Industriearbeiterschaft - diese hatte Marx vor allem im Auge, und die Geschichte der proletarischen Revolutionen bestätigte dies, als er von den revolutionären Potenzen der Arbeiterklasse sprach - stellt nicht mehr die zahlenmäßig stärkste Klasse. Sie reduziert sich quantitativ mit großer Geschwindigkeit.
(21) 2. Die Arbeiterklasse wird durch die kapitalistische Entwicklung selbst dezentralisiert und in ihrer Organisationsfähigkeit beeinträchtigt.
(22) 3. Die harte, stählende Schule der Arbeit, die zum einheitlichen Handeln unter einem Befehl befähigte, weicht zunehmender Individualisierung, die ein Klassenhandeln immer schwieriger macht.
(23) 4. Der Klassenkampf des Proletariats zur Erreichung eines höheren materiellen Lebensniveaus bereits innerhalb des Kapitalismus, auch nach Marx sozusagen eine Bedingung der Entfaltung der Produktivkräfte noch in ihrer kapitalistischen Form und zugleich eine Schule des Sozialismus (es geht um höheren Lohn, gegen Arbeitslosigkeit, für Mitbestimmung, für Sicherung sozialer Leistungen durch den Staat; der Kampf wird vorrangig im nationalen Rahmen geführt...) gewinnt heute in den Metropolen (schon aus ökologischen Gründen, aber auch hinsichtlich der Solidarität mit den nichtproletarischen subalternen Schichten, die Arbeitslosen und die nichttariflich Arbeitenden in prekären Verhältnissen eingeschlossen) zunehmend einen zivilisationsfeindlichen Charakter. Es entwickeln sich in diesem Kampf gerade nicht die erforderlichen Eigenschaften, die zur Begründung der neuen Lebens- und Produktionsweise unverzichtbar sind, sondern diejenigen, die mit den Kapitalverhältnissen kompatibel sind.
(24) Wer die Begründung einer sozialistischen Gesellschaft an den Klassenkampf der Arbeiterklasse bindet, gerät heute in ein Dilemma. Gerade mit den materiellen Prozessen, die Voraussetzungen für sozialistisch-kommunistische Gesellschaften darstellen, schwindet die Kraft genau dieser Klasse.
(25) Das historisch bereits vollzogene Dilemma ist der Real-"Sozialismus" selbst. Er führte (durchaus vielfach in Übereinstimmung mit Marxschen Voraussagen hinsichtlich der Aufgaben etwa der Diktatur des Proletariats) über lange Zeit zur dynamischen Entwicklung der Produktivkräfte, erhöhte den zahlenmäßigen Umfang, das materielle Lebensniveau, die Bildung sowie die Fähigkeiten der Arbeiterklasse und schuf einen starken Staat. Genau mit diesen materiellen Bedingungen und Strukturen seiner Dynamik, seiner zeitweiligen Stärke und Selbstbehauptung verbaute er sich aber den sozialistischen Charakter seiner Entwicklung. Dieses System brach genau an diesem Punkt zusammen, da die ersten materiellen Möglichkeiten entstanden waren, die eine unabdingbare Voraussetzung - hier wieder nach Marx - einer wirklich sozialistisch-kommunistischen Lebens- und Produktionsweise sind.
(26) Meine Konsequenz aus dem Ganzen: Die Begründung einer sozialistisch- kommunistischen Gesellschaft kann gerade auf der ökonomischen Grundlage, auf der sie einzig erfolgreich sein kann, nicht in den Formen des proletarischen Klassenkampfes gedacht werden bzw. praktisch vor sich gehen. Der Blick auf die sich noch im Kapitalismus im unmittelbaren Fertigungsprozeß vollziehenden bzw. nunmehr möglichen Änderungen des Charakters der Arbeit macht die Problematik und die neuen revolutionären Möglichkeiten deutlich.
(27) Noch ein Ausflug zum Arbeitsverständnis von Hegel. Warum? Weil meines Erachtens die mit der wissenschaftlich-technischen Revolution verbundenen Entwicklung der materiellen Produktion einen vom ML (besonders auch von Engels, auch aber von Marx) behaupteten Gegensatz zwischen Marx und Hegel aufhebt. Dieser Gegensatz und seine Aufhebung sind für unsere Fragestellung äußerst relevant.
(28) Marx hebt es als große Leistung Hegels hervor, daß jener "in der Phänomenologie ... die Weltgeschichte als Erzeugungsprozeß des Menschen ... erkannt und dabei die Arbeit ... als Äußerung der Wesenskräfte des Menschen erfaßt" habe. (Cornu, a.a.O., S. 11) Er kritisiert, daß Hegel dabei die "Arbeit auf abstrakt geistige Arbeit, auf das Denken und Wissen" reduziere, im Denken den "Gegenstand als gegenständliches Objekt ... somit ... die Entfremdung" aufhebe, also "das Denken zum Wesen der Geschichte" mache. (Ebd.) Diese Kritik besteht zu recht, allerdings nur insofern die Geschichte bis zur kapitalistischen Gesellschaftsformation gemeint ist.
(29) Mit der wissenschaftlich-technischen Revolution kommt es zu einem Umbruch hinsichtlich des Charakters der Produktion der materiellen Lebensbedingungen. Die Produktionstätigkeit wird tatsächlich vorwiegend geistige Arbeit. Marx bestimmte selbst den Grundrissen genau diesen Punkt als diejenige Grenze, von der an die auf Wert, Arbeitsteilung, Entfremdung, Privateigentum gegründete Gesellschaft, tatsächlich aufgehoben werden kann. Hegel hat sozusagen in seiner Philosophie diejenige Epoche, in der die materiellen und geistigen Voraussetzungen für die Aufhebung von Entfremdung erst geschaffen werden, geistig übersprungen. Insofern war er zu seiner Zeit Idealist bzw. indem er die geistige Arbeit zum Wesen des Geschichtsprozesses erklärte, nahm er den Standpunkt der Unternehmer und seiner Manager ein, war er ein bürgerlicher Denker. Setzt man aber die Bedingungen voraus, unter denen auch die unmittelbare Produktionsarbeit vornehmlich geistige Arbeit wird, hat Hegel bereits das Prinzip der kommunistischen Form von geschichtlicher Entwicklung erfaßt. Gerade mit seiner Herr-Knecht-Dialektik bringt er ein wunderbares Bild, daß bereits den Prozeß beschreibt, wie sich gerade durch die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise die materiellen und menschlichen Bedingungen ihrer Aufhebung herstellen.
(30) Marx' tatsächliche Leistung ist es nicht, Hegel vom Kopf auf die Füße zu stellen. Auf der Suche nach den materiellen und menschlichen Bedingungen und Wegen zur allgemeinmenschlichen Emanzipation erkennt Marx mittels der Analyse der kapitalistischen Produktionsweise genau diese Prozesse, durch die der Produzent immer mehr aus dem unmittelbaren Fertigungsprozeß heraustritt, Arbeit zunehmend zur wissenschaftsförmigen, allgemeinen Tätigkeit wird. Dann sind, um im Hegelschen Bild zu bleiben, die Herren und Knechte nicht mehr zwei notwendige, feindlich-gegensätzliche Seiten der Produktion selbst. Der Knecht übernimmt bzw. kann noch unter der Knechtschaft übernehmen immer mehr Funktionen, die im arbeitsteiligen Prozeß bisher notwendig dem Herren zukamen. Es sind dies die Aufgaben, den arbeitsteiligen Prozeß zu einem effektiven (d.h. hier mehrwertheckenden, im Kommunismus bedürfnisbefriedigenden) Ganzen zusammenzufassen und voranzutreiben.
(31) Hegel beschreibt auch die Mentalitätsbrüche in diesem Prozeß der über Generationen laufenden notwendigen Herstellung des Herr-Knechtschafts- Verhältnisses und dann seiner Aufhebung. [1] Wenn die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise so weit fortgeschritten ist, daß die Produzenten tatsächlich aus dem unmittelbaren Produktionsprozeß heraustreten oder heraustreten könnten, dann ist das "Wissen unmittelbar in .. [ihm] selbst" und "äußere Autorität ist hinweggeworfen." (Hegel Bd. 16, S. 50) Was Marx als Zukunft der kapitalistischen Produktion und als deren Grenze voraussagte und was heute tatsächlich geschieht, das ist sozusagen das Entgegenwachsen der Geschichte zum Hegelschen "Idealismus". Das ist der Punkt, da - bezogen auf Produktion - Denken tatsächlich zum Wesen der Geschichte wird. Hegel, insofern er die Dominanz des Denkens als eine Bedingung der Aufhebung der Entfremdung (dies nach Marx identisch mit knechtender Arbeitsteilung und Privateigentum) beschreibt, kann also gar nicht auf die Füße gestellt werden. Er ist eher ein Kopf, dem zu seiner Zeit der Leib noch nicht zugewachsen ist.
(32) Der real-"sozialistische" Versuch etwa, Entfremdung aufzuheben, ehe die Bedingung dafür geschaffen waren, daß Produktionsarbeit wesentlich geistige Arbeit sein konnte, mußte notwendig scheitern und zur Rekonstruktion von Herr- und Knechtschaftsverhältnissen führen. Dieser Kopfgeburt fehlt die Basis, die Füße, auf die etwas zu stellen gewesen wäre. Faktisch wurde die Führung des Real-"Sozialismus" zunehmend zur schlimmsten Hegelei der Junghegeljaner.
(33) Wenn allerdings die mit Marx und dem Blick auf heutigen Prozesse glänzend begreifbaren Bedingungen dafür gegeben sind, daß geistige Arbeit tatsächlich zum Wesen der Geschichte werden kann, denn stehen Hegel wie Marx genau richtig. Marx hat die Basis beschrieben, auf der das Hegelsche Denken das den dann menschlichen Verhältnissen angemessene werden kann. Worum es sich dagegen im materiellen Klassenkampf der Arbeiterklasse handelte, das war ein Kampf um Zivilisation, der sich noch im Herr- und Knechtschaftsverhältnis vollzog, also noch innerhalb der Unfreiheit verblieb. Hierfür konnte allerdings Hegel tatsächlich kein Kronzeuge sein und die Bezeichnung von Hegel als Idealist bekam deshalb notwendig eine denunziatorische Nuance.
(34) Hegels Kopf wie Marxens Vorstellungen von der kommunistischen Gesellschaft gewinnen also dann eine materielle Basis, wenn sich die Stellungen von Herr und Knecht als gesonderte zusammengehörige Seiten des Arbeitsprozesses auflösen können, ohne daß das erreichte Zivilisationsniveau zurückgenommen wird.
(35) Die Trennung von körperlicher und geistiger Arbeit wird durch zwei Prozesse aufgehoben:
(36) 1. Die Entwicklung des kapitalistischen Produktionsprozesses verbindet die körperliche mit immer mehr Elementen geistiger Arbeit mit der Perspektive, daß Arbeit vorrangig aus geistiger Arbeit besteht, einen allgemeinen, also wissenschaftlichen Charakter gewinnt.
(37) 2. Die dem zunehmend (verwissenschaftlichten) Produktionsprozeß gegenüberstehende, von der ursprünglich wesentlich körperlichen Arbeit getrennte geistige Arbeit, die in einem arbeitsteiligen Fertigungsprozeß erst den Zusammenhang der körperlich Arbeitenden sicherte, wird als eine selbstständige leitende, also knechtende Tätigkeit funktionslos.
(38) Das ist der Zeitpunkt, da die Produktion, da die Arbeit direkt der menschlichen Bedürfnisbefriedigung unterworfen werden kann. Damit wirken als Triebkraft von Produktion ganz andersgeartete Motive als die der einstigen Herren und Knechte. Die Produktion bedarf nicht mehr der Triebkraft der Mehrwertproduktion bzw. der Lohnarbeit, sondern kann direkt der menschlichen Bedürfnisbefriedigung unterworfen werden. Von diesem Punkt an ist die revolutionär/reformistisch- zivilisierende Rolle von Bourgeoisie und Proletariat beendet. Es können sich solche Emanzipationsbewegungen konstituieren, die durch ihre geistige, kulturelle und politische Arbeit unmittelbar neue Lebens- und Produktionsweisen begründen.
(39) Hegel hat in sehr abstrakter Form nichts weniger getan, als kommunistische Arbeit oder allgemeinmenschliche Tätigkeit beschrieben. Daß dies in der Form einer "grotesken Felsenmelodie" geschah, ist der Tatsache geschuldet, daß für eine wirkliche kommunistische Tätigkeit erst noch in zwei Jahrhunderten die notwendigen Voraussetzungen entstehen mußten. Das vorausgesetzt sowie die Kenntnisse von Marx' konkreten Bestimmungen zu den materiellen Bedingungen einer kommunistischen Produktions- und Lebensweise ist Hegel heute nicht weniger als Marx ein höchst aktueller Zeitgenosse.
(40) Wir sind heute in diesen Prozeß hineingestellt, der die Bedingungen für die Aufhebung von Knechtschaft hervorbringt. Mit unserem Denken und Fühlen sind wir aber noch den vergangenen Kampfformen verbunden. Wir tun gut daran, die gescheiterten Versuche, die Entfremdung zu durchbrechen, genauestens zu analysieren. Auf diesem Wege können wir diejenigen Begriffe und die Mentalitäten entwickeln, mit denen die heutigen Möglichkeiten, Wege und Träger zur Aufhebung von Entfremdung, knechtender Arbeitsteilung und Privateigentum erkannt und praktisch genutzt werden. So meine Hoffnung. Allerdings glaube ich, daß dies nicht vorrangig über die betrachtende geistige Tätigkeit geschehen kann, sondern daß das eigene praktische Bemühen um eine neue Lebens- und Arbeitsweise, um neue lebensfähige Assoziationen dafür unverzichtbar ist. Die Entdeckung der notwendigen Formen der Befreiung und die Verbreitung der Erkenntnisse kann nur zugleich der Prozeß der unmittelbaren Begründung neuen Lebens und Arbeitens sein.
(41) [1] Das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft ist der Anfang zu Befreiung des Selbst. Hegel, Werke in 20 Bänden, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt/M, S. 80 f. "Es ist die Menschheit nicht sowohl aus der Knechtschaft befreit worden als vielmehr durch die Knechtschaft." (Ebd., Bd. 12, S. 487) "Während die Arbeit zunächst nur in knechtenden Verhältnissen vollbracht werden kann" - sowohl der Herr als auch der Knecht spielen eine Rolle "beim Übergang zum allgemeinen Selbstbewußtsein". (Ebd., Bd. 10, S. 224 f.) Es verkehren sich in der Entwicklung des Arbeitsprozesses und durch ihn selbst die Beziehungen Herr - Knecht. Letzterer arbeitet sich durch die Entwicklung von Fähigkeiten und durch die Beherrschung der Produktion zur wahren Selbständigkeit. "Die Knechtschaft (wird) vielmehr in ihrer Vollbringung zum Gegenteile dessen werden, was sie unmittelbar ist; sie wird ... zur wahren Selbständigkeit sich umkehren." (Ebd., Bd. 3, S. 152) "Durch das Freiwerden des Knechtes wird (auch) der Herr frei." (Ebd., Bd. 10, S. 227)