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Was heißt "gesellschaftliche Aneignung"?
Maintainer: Werner Imhof, Version 1, 06.12.2002
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv
(1) Seit Ende 2000 kursiert in den Reihen der Globalisierungskritiker ein Text von François Chesnais, Claude Serfati und Charles-André Udry, die damit eine Diskussion über die programmatische Orientierung dieser internationalen Bewegung anstoßen wollten: "Die Zukunft der 'Anti-Globalisierungs-Bewegung'. Einige erste Überlegungen mit dem Ziel, ihre theoretischen Grundlagen zu festigen." (Die Seitenangaben in Klammern beziehen sich auf die deutsche Übersetzung, die von der Schweizer Attac-Gruppe im Pdf-Format zum Download ins Internet gestellt wurde; siehe http://www.attac.org/schweiz/forum/Chesnais_Serfati_Udry.htm ) Nach Ansicht der Autoren läuft die Bewegung Gefahr, "in einer Sackgasse (zu) enden", wenn sie nicht imstande ist, das "Tabu" der "Eigentumsfrage" zu brechen (9) und eine Perspektive der "gesellschaftlichen Aneignung" (12) zu entwickeln, und zwar im Sinne einer "Überwindung der Ware, des Wertgesetzes und der Lohnabhängigkeit" (13). So wichtig der Text als Diskussionsanstoß ist und so hochgesteckt seine allgemeine Zielsetzung, so enttäuschend ist er bei näherer Betrachtung, wenn man ihn an seinem eigenen Anspruch mißt. Die Orientierung, die die Autoren präsentieren, läuft nicht auf die Überwindung von Ware, Wertgesetz und Lohnabhängigkeit hinaus, sondern auf ihre - Konservierung.
(1.1) Aneignungs- versus Liberalisierungstheorie, 31.12.2005, 21:11, Test Suite: Habe gerade das Zitat von Clemenceau auf Eurem Site gelesen, dass erweitert werden sollte im Sinne \"Mir tut jeder leid, der mit neun(SIC! ach Du grüne Neune) nicht schon Anarchist war\". Zum Namen Imhof: Mehrere Imhof Bücher musste ich nicht nur kaufen.Ach!Diese ImhoffBücher musste ich auch noch lesen. Zum Aneignungsthema:Entwickelt doch eine stringente Theorie zu Evo Morales Selbstreferenzierung auf Simon bolivar und General Martin, der mit der Unterstellung argentinischer Soldaten unter das Kommando von Bolivar den entscheidenden Anteil an der Entkolonialisierung und Selbstaneignung der Territorien rund um die Anden hat?
(2) Um zu wissen, wie die Warenproduktion und mit ihr die Lohnabhängigkeit, das Wertgesetz usw. überwunden werden kann, muß man wissen, was sie konstituiert. Die Autoren stellen sich diese Frage gar nicht erst. Die Kritik der kapitalistischen Warenproduktion und ihres Drangs zur Expansion, zur "marchandisation" (5), scheint für sie keiner weiteren Erklärung zu bedürfen. Dabei sind es gerade aktuelle Losungen wie "Die Welt ist keine Ware!" (die auch die Autoren aufgreifen) oder "Gesundheit ist keine Ware!", die sie herausfordern. Was ist es denn, was "die Welt" zur Ware macht oder zu machen droht? Kann es überhaupt "die Welt" sein, die Warencharakter erhält? Oder sind es nicht vielmehr die Produkte bestimmter Industrien, derentwegen die Natur geplündert wird? Und kann wirklich "die Gesundheit" Ware sein oder werden? Oder sind es nicht tatsächlich Produkte menschlicher Arbeit, die, statt der Gesundheit zu dienen, das Kapital nur als profitable Waren interessieren? Die Losungen drücken offensichtlich nicht nur eine verbreitete Kritik an der kapitalistischen Warenproduktion aus, sondern auch Unklarheit darüber, was da eigentlich Warenform annimmt und warum. Die Autoren beseitigen diese Unklarheit nicht, sie teilen sie vielmehr und "festigen" sie noch, indem sie die Warenproduktion in Frage stellen, ohne die gesellschaftlichen Beziehungen in Frage zu stellen, die sie konstituieren.
(2.1) Die Ware ist keine Ware!, 06.12.2002, 15:33, Bertrand Klimmek: Die oft genug weinerliche Feststellung, daß irgendetwas "zur Ware" geworden sei, hat ja ohnehin selten eine fundamentale Opposition zur bürgerlichen Tauschvergesellschaftung als Grundlage gehabt. Man hat es allzu oft von sentimentalen Geborgenheitstheologen gehört, in deren Nachfolge ja auch das Gros der Globalisierungskritiker - wissentlich oder unwissentlich - steht. Ich erinnere mich da noch ziemlich verstört an Nonnen (in standesüblicher Kluft), die beim Kirchentag 2001 in Frankfurt lächelnd Geldscheine vor den Fernsehkameras verbrannten; die "Wucherer" blieben allerdings, anders als am 9.11.1938, unangetastet. Anstatt die Libertinage auf höchstmöglichem Produktivitäts- und gesellschaftlichen Niveau anzustreben, propagiert der Mainstream der vermeintlichen Systemkritiker den "gerechten Tausch" und andere weiße Schimmel, um schließlich die bürgerliche Ideologie zu sich selbst zu bringen - auf dem Umweg über die klebrige Moral der Asketen.
Insofern ist es sehr wohltuend und eigentlich auch überfällig, hier mal eine Kritik des antiwestlichen Reflexes, der sich in der Phrase äußert, etwas sei "zur Ware geworden", zu lesen. Ein weiterer lesenswerter Aufsatz zum Thema findet sich hier ...
(3) Was Arbeitsprodukte zu Waren macht, ist die Tatsache, daß die gesellschaftliche Produktion in Form voneinander getrennter Privatarbeiten organisiert ist, die miteinander und mit der individuellen Konsumtion über den Austausch "verbunden" sind, der den Produkten Waren- oder Wertform aufzwingt. Bei kapitalistischer Produktion beruht die Privatarbeit auf der Anwendung kollektiver Arbeitskraft, die über die zur eigenen Reproduktion notwendige Arbeit hinaus unbezahlte Mehrarbeit leistet, die sich in einem Mehrprodukt verkörpert, das im Austausch als Mehrwert realisiert wird. Durch diese Produktion von Mehrwert wird Geld, das gegen Arbeitskraft und Produktionsmittel getauscht wird, zu Kapital und die Wertform der Produkte zur Kapitalform. Historisch entstand das Kapitalverhältnis als Klassenverhältnis, indem die kollektive Arbeitskraft aus doppelt "freien" Lohnarbeitern rekrutiert wurde ("frei" von eigenen Produktionsmitteln und "frei" zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft). In dieser Form hat sich die kapitalistische Produktionsweise global durchgesetzt und setzt sie sich auch noch heute durch. Die Entwicklung hat jedoch gezeigt, daß das Kapitalverhältnis nicht notwendig an das Klassenverhältnis gebunden ist. Auch Belegschaftsunternehmen oder Genossenschaften, in denen die Arbeitskräfte gleichzeitig Eigentümer der betrieblichen Produktionsmittel sind, sind gezwungen, unbezahlte Mehrarbeit für ein Mehrwert realisierendes Mehrprodukt zu leisten, wenn sie die Produktionsmittel nicht nur reproduzieren, sondern modernisieren und erweitern und sich in der Konkurrenz behaupten wollen. Der kapitalistische Charakter der Produktion oder die Kapitalform der Produkte kann also nur aufgehoben werden, wenn mit der Privatarbeit und dem Austausch die Wert- oder Warenform der Produkte überhaupt aufgehoben wird, d.h. wenn sich die getrennten Produzenten mitsamt den Produktionsmitteln zu einer gesellschaftlichen Arbeitskraft vereinigen und ihre Produktion unmittelbar der - individuellen wie produktiven - Konsumtion dient.
(4) Die Autoren dagegen halten den Austausch - und folglich auch die Privatarbeit - offenbar für eine unverzichtbare Form gesellschaftlicher Beziehungen. Denn sie meinen, der zunehmenden "Konzentration des Eigentums der Produktions-, Kommunikations- und Tauschmittel" (8) den "gesellschaftlichen Charakter der Produktion und des Handels" entgegenstellen zu müssen (12, Hervorhebung von mir; "échange", Austausch, im Original). Dabei verwechseln sie die Erscheinung mit dem darin Erscheinenden. Der gesellschaftliche Charakter der Produktion kommt im Austausch zum Ausdruck, weil kaum noch etwas produziert wird, das nicht für die Befriedigung fremder Bedürfnisse bestimmt ist, und weil jede/r von den Produkten fremder Arbeit abhängig ist, ohne unmittelbar mit eigenem Produkt "zahlen" zu können. Gerade in der Notwendigkeit, alle Produkte in die allgemeine Ware, in Geld, zu verwandeln, wie auch im kommerziellen Kredit zeigt sich die Vergesellschaftung der Privatarbeiten, ihre Kombination zu einer gesellschaftlichen Gesamtarbeit.
(4.1) Austausch = Privatarbeit=verzichtbar?, 06.12.2002, 17:07, Hanna Behrend: Der Verzicht auf Austausch bedeutet den Verzicht auf Arbeitsteilung, also Rückkehr zu vorsteinzeitlichen Verhältnissen. Nicht die Arbeit ist privat, nur der durch sie produzierte Mehrwert wird privat angeeignet. Alle Produzierenden zahlen doch mit dem eigenen Produkt für ihren Lebensunterhalt, nur insofern die Arbeitsproduktivität inzwischen so enorm eskaliert ist, bedarf es einer immer geringer werden Anzahl von Produzierenden. Da der Mehrwert privat angeeignet wird, steht er für eine gesellschaftliche Nutzung nicht zur Verfügung. Ergebnis: Erhöhung der Lebensarbeitszeit der Produzierenden, Dauermassenarbeitslosigkeit, die immer weniger angemessen alimentiert wird; kein Geld für nicht kommerzialisierbare gesellschaftliche notwendige Arbeiten wie Bildung, Gesundheitswesen, Kultur. Was der Satz "Der gesellschaftliche Charakter der Produktion kommt im Austausch zum Ausdruck, weil kaum noch etwas produziert wird, das nicht für die Befriedigung fremder Bedürfnisse bestimmt ist, und weil jede/r von den Produkten fremder Arbeit abhängig ist, ohne unmittelbar mit eigenem Produkt "zahlen" zu können" bedeuten soll, kann ich mir daher nicht vorstellen. Kapitalistische Eigentumsform ist Eigentum an den Produktionsmitteln und damit Verfügungsgewalt über den Mehrwert. Was ist daran vergesellschaftet?
(4.1.1) vorsteinzeitliche Verhältnisse?, 06.12.2002, 18:56, Bertrand Klimmek: "Der Verzicht auf Austausch bedeutet den Verzicht auf Arbeitsteilung" halte ich für Unsinn. Ohne den Auswüchsen von Fachidiotentum und Arbeitsteilung das Wort reden zu wollen: Seit wann impliziert die Tatsache, daß A C produziert und B D, daß A und B ihre Erzeugnisse tauschen müssen?
Erstens hat A vielleicht schon genug C und kann B etwas abgeben, ohne daß aber B aus irgendwelchen Gründen etwas von D entbehren kann (vielleicht will/braucht A ja auch gar kein D). Tausch im Sinne von Äquivalententausch, denn sonst ist das Wort sinnlos, setzt bereits den Wert- d.h. Tauschwertcharakter der Produkte, also ein abstraktes quantitatives Maß voraus. Der bürgerliche Tausch ist also in einem universellen Schenken, und v.a. Beschenkenlassen aufzuheben.
Zweitens (und grundlegender) aber gäbe es in freien Verhältnissen wohl gar nicht mehr auch nur die Option, daß A B etwas "gibt" bzw. umgekehrt, denn wenn irgendwann bedürfnisorientiert (und nicht mehr marktorientiert) produziert werden und der Tausch somit aufgehoben sein sollte, dann muß auch das Eigentum als solches (d.h. Privateigentum) seine historische Grundlage verlieren.
In 4.1 lese ich die übliche Spielart der Kritik, die nicht die Warenform, sondern nur deren (notwendige) Konsequenz: die Mehrwertaneignung skandalisiert.
(4.1.2) Re: Austausch = Privatarbeit=verzichtbar?, 15.12.2002, 13:40, Werner Imhof: Der Verzicht auf Austausch bedeutet mitnichten Verzicht auf Arbeitsteilung. In jedem Produktionsbetrieb, sei er eine Autofabrik oder eine McDonald's-Bude, herrscht Arbeitsteilung ohne Austausch. Austausch setzt Arbeitsteilung und Privateigentum an Produktionsmitteln voraus, aber Arbeitsteilung nicht notwendig den Austausch. Im Gegenteil ist es gerade die Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die den Austausch auch gesellschaftlich so obsolet macht, wie er es auf Betriebsebene ist. Was geschieht denn im Austausch? Es wird doch nicht Produkt gegen Produkt getauscht, sondern Produkt gegen Geld. Die Produkte werden der produktiven oder individuellen Konsumtion zugeführt, und im Gegenzug fließt Geld, Wertersatz für das veräußerte Privateigentum. Den Austausch für unverzichtbar zu erklären, heißt deshalb nicht anderes, als Privateigentum und Geld für unverzichtbar zu erklären.
(4.1.2.1) Re: Austausch und Arbeitsteilung, 18.12.2002, 19:43, Birgit Niemann: "Im Gegenteil ist es gerade die Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die den Austausch auch gesellschaftlich so obsolet macht, wie er es auf Betriebsebene ist." Die Organisation der Arbeitsteilung auf Betriebsebene funktioniert aber auf der Basis der Spezialisierung der tätigen Individuen. Die beteiligten Individuen werden dabei durch ihre jeweilige Spezialisierung maßgeblich bestimmt und "vereinseitigt". Außerdem beruhen auf den unterschiedlich spezialisierten Teilarbeiten auch jenseits der Eigentumsverhältnisse die Entscheidungshierarchien. Marx thematisiert aber doch gerade die Aufhebung dieser reduzierenden Spezialisierung. Die Aufgabe müsste also lauten, die gesellschaftliche Arbeitsteilung zu erhalten, bei gleichzeitiger Aufhebung der einseitig spezialisierten Individuen. Wie stellst Du Dir die Beibehaltung der großindustriellen Arbeitsteilung bei Aufhebung der Spezialisierung denn vor? Wobei ich natürlich insbesondere die Aufhebung zwischen organisierender, entscheidender und ausübender Teilarbeit, die die betrieblichen Hierarchien begründen, im Sinn habe.
(4.1.2.1.1) Re: Austausch und Arbeitsteilung, 30.12.2002, 19:18, Werner Imhof: Ich finde es wenig hilfreich, gesellschaftliche und betriebliche Arbeitsteilung einander entgegenzustellen. Die letztere ist ja nur ein Ausschnitt der ersteren, der Ausschnitt eben, der dem Interessen- und Wahrnehmungshorizont des Privateigentums entspricht. Jede Arbeitsteilung aber bedeutet Spezialisierung, die Herausbildung und Entwicklung spezieller Teilfunktionen der gesellschaftlichen Arbeitskraft, und jede Spezialisierung bedingt eine "vereinseitigende" Entwicklung und Beanspruchung der beteiligten Individuen, auf gesellschaftlicher Ebene nicht anders als auf betrieblicher. Da nun – von bestimmten exzessiven Formen abgesehen (abgesehen auch vom Obsoletwerden bloßer Zirkulationsarbeiten wie auch vom möglichen Wegfall bestimmter Produktionszweige) – die Arbeitsteilung nicht aufgehoben oder zurückgenommen werden kann (es sei denn um den Preis entsprechender Produktivitätsrückschritte), kann auch die "vereinseitigende" Wirkung der spezialisierten Teilarbeiten nicht aufgehoben werden. Was aber aufhebbar ist, ist die "Subsumtion des Individuums unter die Teilung der Arbeit" (Marx), seine lebenslange Unterwerfung unter eine oder einige, womöglich noch unqualifizierte, Teilfunktion(en), und damit auch die gegensätzlichen Formen, in denen der Kapitalismus die Arbeitsteilung entwickelt hat, wie der Gegensatz von Kopf- und Handarbeit oder von Planung und Ausführung. Daß, wie Du meinst, "auf den unterschiedlich spezialisierten Teilarbeiten auch jenseits der Eigentumsverhältnisse die [betrieblichen] Entscheidungshierarchien" beruhen, möchte ich nach aller persönlichen Erfahrung in sehr verschiedenen Betrieben doch entschieden bestreiten. Die betrieblichen Hierarchien beruhen wesentlich auf den Eigentumsverhältnissen. Sie sind Herrschaftsinstrumente der Privateigentümer (Gesellschafter, Aktionäre), um den Arbeitsprozeß als Verwertungsprozeß "top-down" organisieren, optimieren und kontrollieren zu können. Techniker sind in Vorstand und Management nicht deshalb vertreten, weil der arbeitsteilige Produktionsprozeß nicht ohne diese Hierarchien auskommt, sondern weil die Kapitalverwertung nicht ohne technischen Verstand auskommt; die Techniker haben dienende Funktion. Der Arbeitsprozeß selbst, als zeitliches Neben- und Nacheinander von Teilarbeiten, in dem jede von ihnen unentbehrlich ist, ist von jedem eingearbeiteten Kollektiv auch kollektiv organisierbar.
(4.1.2.1.1.1) Re: Austausch und Arbeitsteilung, 07.01.2003, 15:53, Wolf Göhring: Werner schreibt: "Da nun ... die Arbeitsteilung nicht aufgehoben oder zurückgenommen werden kann (es sei denn um den Preis entsprechender Produktivitätsrückschritte), ..."
Wieso muss die aufhebung der arbeitsteilung zu rueckschritten der produktivitaet fuehren und was waere das und wieso haette das einen preis?
Wie "produktiv" muss die menschheit sein? Bei lebensmitteln ist das halbwegs klar. Aber etwa bei schnapssorten? Oder bei autos? Oder wolkenkratzern? Weiterhin taeglich 130 ha zubetonieren in der BRD, was nur noch rund 500 jahre geht, weil dann die 360.000 qkm der BRD zubetoniert sind?! Wenn in china prozentual soviele autos rumfahren wie hier, dann scheint der weltweite oekologische kollaps vorprogrammiert, oder man macht ein "bisschen" krieg, um die ressourcennutzung zu "regeln". Die einen (der "norden" oder der "sueden"?) haben danach ressourcen, die andern nicht: Das eigentum bleibt, evtl. umverteilt.
Nach derzeitigem erkenntnisstand (Radermacher, FAW an der uni ulm) muss die ressourcen-effizienz um den faktor 10 gesteigert werden, um das ueberleben der menschheit auf laengere sicht zu sichern. Faktor 10 bedeutet - bei etwas materialeinsparung pro produkt - eine erhoehung der lebensdauer der produkte um das ca. 6 bis 8-fache. Also kuehlschraenke fuer knapp 100 jahre, haeuser fuer rund 500 jahre. Gueterbahnwaggons 400 oder mehr jahre, LKWs fuer 100 jahre, kraftwerke 250 jahre, usw. Mit recycling ist der faktor 10 bei weitem nicht erreichbar: dem steht naemlich der 2. hauptsatz der waermelehre (salopp: nichts geht ohne satte entropieerhoehung) gnadenlos entgegen.
Welche massenproduktivitaet wird bei 6 bis 8-facher lebensdauer noch gebraucht? Koennte es nicht so sein, dass gerade durch die aufhebung der arbeitsteilung diese fortschritte in der produktqualitaet moeglich werden, die jenen faktor 10 ergeben?
Noch'n bisschen was aus der deutschen ideologie : "Die verschiedenen entwicklungsstufen der teilung der arbeit sind ebensoviel verschiedene formen des eigentums; ..." (MEW 3, s. 22)
(4.1.2.1.1.1.1) Aufhebung der Arbeitsteilung, 10.01.2003, 17:57, Werner Imhof: Zustimmung: Du hast, ja recht – die Engelsche Vision "einer praktisch schrankenlosen Steigerung der Produktion" (MEW 20, S. 263) und als deren Voraussetzung auch der Produktivkräfte ist längst nicht mehr halt- und verantwortbar. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel wäre keine wirkliche Vergesellschaftung , wenn sie nicht mit der Reduzierung der Produktionszwecke und -folgen auf ein global verallgemeinerbares Niveau einherginge.
Widerspruch, und zwar heftigster, wenn Du meinst, daß dazu die Arbeitsteilung aufgehoben oder zurückgenommen werden müßte oder auch nur könnte. Denn wenn mit Aufhebung der Arbeitsteilung nicht die Aufhebung der Subsumtion oder Unterwerfung der Individuen unter sie gemeint sein soll, was könnte oder müßte sie dann praktisch bedeuten? Entweder – im extremsten Fall - die Stillegung quasi der gesamten heutigen Produktion, der Verzicht auf fast alle gewohnten Produktions- und Konsumtionsmittel, weil sie ohne Arbeitsteilung nicht einmal denkbar wären, also tatsächlich die "Rückkehr zu vorsteinzeitlichen Verhältnissen" (Hanna Behrend). Oder – bei moderaterer Auslegung – eine teilweise Rücknahme der Arbeitsteilung, die die Vielzahl der vorhandenen Spezialisierungen in den verschiedenen Produktionszweigen reduziert und dadurch die Arbeit der dort tätigen Individuen vielseitiger macht. Ich stelle mir also vor, daß das hiesige Uniklinikum mit seinen über 50 Fachabteilungen und Instituten zu einer Universalklinik "vereinheitlicht" wird, wo in jedem Haus das Personal für jede Krankheit und jede Therapie zuständig ist und z.B. der ehemalige HNO-Arzt heute am Herzen operiert, morgen Tumorforschung betreibt, übermorgen entbindet, dazwischen mal eben als Unfallchirurg aushilft usw... Die Patienten würden sich die Haare raufen und die Flucht ergreifen. Ein weniger gemeingefährliches Beispiel wäre die Baustelle eines Hauses. Statt spezialisierter Handwerker wäre hier also der universelle Bauarbeiter gefordert, der nach selbstgefertigten Bauplänen heute einschalt, morgen mauert, übermorgen gipst, dann das den Dachstuhl zimmert und deckt, daneben Heizungs- und Elektroleitungen verlegt, fliest, anstreicht und was sonst noch alles dazugehören mag. Da er nichts richtig gelernt hat, wird er nicht nur ziemlich unproduktiv sein (das wäre noch der geringste "Preis"), er wird vor allem viel Murks und mehr Arbeitsunfälle als üblich produzieren. Wenn er aber alle Teilarbeiten beherrschen will, wird er dazu eine zwanzigjährige Lehrzeit brauchen, in der er nacheinander von einem Spezialgebiet zum nächsten wechselt, um anschließend doch nur vielseitiger - Hausbau-Spezialist zu sein.
(4.1.2.1.1.1.1.1) Re: Aufhebung der Arbeitsteilung, 13.01.2003, 16:42, Wolf Göhring: Was meinst du mit "Reduzierung der Produktionszwecke und -folgen auf ein global verallgemeinerbares Niveau"?
Kapitalistisch sind die zwecke ja ambivalent: wertverwertung und mehr oder weniger nuetzliches produkt.
Die eine folge der produktion, naemlich nuetzliche produkte, soll doch nicht verschwinden. Die andere, der erzielte profit, aber sicherlich. Die, ich nenne es mal so, weiteren "nebenfolgen" an verbrauchten ressourcen und kuenftigen muell muessen sicher drastisch verkleinert werden.
War's so gemeint?
(4.1.2.1.1.1.1.2) Re: Aufhebung der Arbeitsteilung, 13.01.2003, 16:58, Wolf Göhring: "Denn wenn mit Aufhebung der Arbeitsteilung nicht die Aufhebung der Subsumtion oder Unterwerfung der Individuen unter sie gemeint sein soll, was könnte oder müßte sie dann praktisch bedeuten?"
Ich versteh deine (rhetorische) frage so, dass die arbeitsteilung bestehen bleibt, aber die individuen derselben nicht unterworfen sind. Das individuum kann also, zugespitzt, machen, was es will. Waer das nicht dann wieder doch aufgehobene arbeitsteilung?
(4.1.2.1.1.1.1.3) Re: Aufhebung der Arbeitsteilung, 13.01.2003, 17:16, Wolf Göhring: Das thema mit der arbeitsteilung ist alt, ebenso wie die frage der aufhebung der warenproduktion. Engels hat sich im "Anti-Duehring" (MEW 20) zu beidem geaeussert. Daraus zur arbeitsteilung:
"Und nun besehe man sich die kindliche Vorstellung des Herrn Duehring, als koennte die Gesellschaft Besitz ergreifen von der Gesamtheit der Produktionsmittel, ohne die die alte Art des Produzierens von Grund auf umzuwaelzen und vor allem die alte Teilung der Arbeit abzuschaffen; als sei alles abgemacht sobald nur 'den Naturgegebenheiten und den persoenlichen Faehigkeiten Rechnung getragen' (Engels zitiert Duehring, W. G.) - wobei dann nach wie vor ganze Massen von Existenzen unter die Erzeugung eines Artikels geknechtet, ganze "Bevoelkerungen" von einem einzelnen Produktionszweig in Anspruch genommen werden, und die Menschheit sich nach wie vor in eine Anzahl verschieden verkrueppelter 'oekonomischer Spielarten' teilt, als da sind 'Karrenschieber' und 'Architekten'. Die Gesellschaft soll Herrin der Produktionsmittel im ganzen werden, damit jeder einzelne Sklave seines Produktionsmittels bleibt und nur die Wahl hat welches Produktionsmittels." (a.a.o., s. 277)
Engels notiert zuvor (s. 274): "Ebensowenig ist die Aufhebung der alten Teilung der Arbeit eine Forderung, die nur auf Kosten der Produktivitaet der Arbeit durchzufuehren waere."
Werner nun: "... der Verzicht auf fast alle gewohnten Produktions- und Konsumtionsmittel, weil sie ohne Arbeitsteilung nicht einmal denkbar wären." Wie Broedner in "Fabrik 2000" am maschinenbau (produktionsmittel) nachweist, war die spezielle arbeitsteilung zwischen fertigung und arbeitsvorbereitung (u. a. numerische programmierung) von den herrschaftsinteressen des kapitals bestimmt und voll und ganz auf der linie Taylors. Wie tayloristisch muss es denn bleiben, um die "gewohnten" produkte beizubehalten? Dabei wissen wir seit Marx, dass sich das kapital die nachfrage nach seinen produkten schaffen muss, das "gewohnte" selbst ein produkt kapitalistischer verhaeltnisse.
Nun auch noch Marx aus Kapital I (MEW 23, s. 511, 512), wie ihn Engels zitiert (s. 274, 275): Die kapitalistische produktionsweise "revolutioniert damit ebenso bestaendig die Teilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft und schleudert unaufhoerlich Kapitalmassen und Arbeitermassen aus einem Produktionszweig in den andern. Die Natur der grossen Industrie bedingt daher Wechsel der Arbeit, Fluss der Funktion, allseitige Beweglichkeit des Arbeiters."
Modern versteckt sich das beispielsweise hinter floskeln wie "lebenslanges lernen" und "flexibilitaet" oder hinter der zumutbarkeitsregel der bundesanstalt fuer arbeit, die jeden auf quasi jeden angebotenen arbeitsplatz zwingt, wenn er einen job sucht.
(4.1.2.1.1.1.1.4) Re: Aufhebung der Arbeitsteilung, 13.01.2003, 17:48, Wolf Göhring: "Ein weniger gemeingefährliches Beispiel wäre die Baustelle eines Hauses. ... Wenn er aber alle Teilarbeiten beherrschen will, wird er dazu eine zwanzigjährige Lehrzeit brauchen, in der er nacheinander von einem Spezialgebiet zum nächsten wechselt ... ."
Stimmt nicht, wie ich aus eigener erfahrung berichten darf. Mein haus stand nach 31 monaten (freizeit). Es kamen auch einige handwerker auf die baustelle, weil das arbeitsvolumen zu umfangreich war, nicht weil die handgriffe nicht in kurzer zeit erlernbar gewesen waeren, beispielsweise durch nachfragen bei erfahrenen. Die erfahrung musste keine jahrzehnte lange sein. (Damit habe ich nichts zu den verwendeten industriellen vorprodukten gesagt, aber dort gilt sicher das obige zitat von Marx ueber den steten, vom kapital erzwungenen wechsel der arbeit.)
Murks? Den machen fachleute auch, aus unterschiedlichen gruenden, einige fehler entstanden aufgrund der arbeitsteilung, weil arbeitsteilung einen besonderen aufwand erfordert, um ein konsistentes gesamtprodukt herzustellen. Werners arbeitsplanung "übermorgen gipst, dann den Dachstuhl zimmert" zeigt (unfreiwillig), wie heikel es ist, ein konsistentes produkt hinzukriegen.
Die gesamte, an der arbeitsteilung orientierte industrielle arbeits- und produktionsplanung hat mit diesem problem der herstellung zueinander konsistenter teilarbeiten zu tun. (dazu unter anderem: Peter Broedner: Fabrik 2000, und ders.: Der ueberlistete Odysseus)
(4.1.2.1.1.1.1.5) Re: Aufhebung der Arbeitsteilung, 13.01.2003, 18:08, Wolf Göhring: Ich frage nochmal: "Koennte es nicht so sein, dass gerade durch die aufhebung der arbeitsteilung diese fortschritte in der produktqualitaet moeglich werden, die jenen faktor 10 ergeben?"
Werner dazu u.a.: "Da er nichts richtig gelernt hat, wird er nicht nur ziemlich unproduktiv sein (das wäre noch der geringste 'Preis') ..."
Vor dem hintergrund der industrielaender folgende betrachtung: Der faktor 10, den ich erlaeutert hatte, bedeutet eine 6-8 fache laengere lebensdauer der heutigen produkte. Damit sind nur ein sechstel bis ein achtel der heutigen stueckzahlen zu produzieren, wenn man die ersparten ressourcen nicht sogleich in andere zusaetzliche produkte steckt und damit den faktor 10 sofort wieder zunichte macht.
Unterstellt, die produktion waere hierzulande insgesamt ausreichend, so sinkt dann bei heutiger produktivitaet das arbeitsvolumen auf etwa ein sechstel bis ein achtel des heutigen. Die individuelle zeit, die jemand mit der produktion irgendwelcher dieser dinge zubringt, wird im grossen durchschnitt auch entsprechend niedrig sein. Die erfahrung und spezialisierung, die jemand in einer bestimmten taetigkeit gewinnen kann, wuerde, so interpretiere ich Werners einwand, entsprechend geringer ausfallen - oder aber man nutzt einiges der frei gewordenen zeit fuer eine universelle bildung: schaut andern bei der arbeit zu, macht etwas mit, wendet etwas ein, schlaegt vor, stellt sich mal ganz dumm, organisiert mit usw. Kaemen da am ende nicht etwa andere produkte als die "gewohnten" heraus, kaeme da nicht etwa heraus, dass arbeitsteilung obsolet ist? Das heisst nicht, dass man gleichzeitig alles tut, sondern dass man im verein mit andern abklaert, wer was macht. Durch diesen zeitfressenden prozess wuerde man ueberhaupt erst die arbeit zu einer gemeinschaftlichen, sozialistischen machen.
(4.1.2.1.1.1.1.6) Re: Aufhebung der Arbeitsteilung, 13.01.2003, 19:00, Wolf Göhring: Werner: "... der ehemalige HNO-Arzt heute am Herzen operiert, morgen Tumorforschung betreibt, übermorgen entbindet, dazwischen mal eben als Unfallchirurg aushilft usw... Die Patienten würden sich die Haare raufen und die Flucht ergreifen."
Wenn denn die handfeste produktion um den faktor 10 ressourceneffizienter werden und deshalb 6-8 fach langlebigere produkte liefern muss und nur noch entsprechend weniger stueckzahlen hervorbringen darf und dadurch die benoetigte arbeitszeit sinkt, was soll dann die mediziner davon abhalten, auch entsprechend weniger in ihrem metier zu tun? Wie sehr litte dann ihre fertigkeit in der diagnose von krankheiten, in der behandlung oder gar in der operation? Die gesellschaft wuerde sicherlich mehr mediziner als heute benoetigen. Wie wuerden diese in der neuen gesellschaftlichen situation ihre arbeit organisieren? Wuerden sie's "wie gewohnt" machen? Wieviel und welches hochgradige spezialistentum wuerde benoetigt?
Es gibt ernst zu nehmende software, die den arzt bei der diagnose unterstuetzt (im internet auch fuer laien, womit die aerzte zu ihrem aerger in der sprechstunde recht qualifiziert konfrontiert werden). Fuer extrem feine operationen (z.b. innenohr) gibt es schon spezialmaschinen, weil kaum jemand dies freihaendig kann. In der operationstechnik sind sicherlich weitere technische fortschritte zu erwarten. Welche konsequenzen das in zukunft fuer die heutige notwendigkeit aerztlichen spezialistentums hat, weiss ich nicht. Ich will aber nichts ausschliessen.
(4.1.3) 15.12.2002, 13:44, Werner Imhof: Nicht "die Arbeit" ist privat, sondern die gesellschaftliche Arbeit ist privat organisiert, in Form getrennter oder "unabhängiger" Privatarbeiten. Wäre sie es nicht, gäbe es weder Wert noch Mehrwert. Nur Arbeit, deren Produkte ausgetauscht werden, kann als Wert- und Kapitaleigenschaft ihrer Produkte erscheinen. Die Arbeit eines angestellten Gärtners bildet ebensowenig Wert wie die Arbeit eines Kleingärtners, der für den Eigenbedarf produziert.
(4.1.3.1) Wäre sie es nicht, gäbe es weder Wert noch Mehrwert., 18.12.2002, 20:07, Birgit Niemann: So wie Du es hier schreibst, klingt es so, als entstünde der Wert und der Mehrwert erst im Austausch. Im Kapital Band I bestimmt Marx aber gerade den Verwertungsprozess als Produktionsprozess. Denn gerade die Anwendung des Gebrauchswertes der zu ihrem Tauschwert gekauften Arbeitskraft im Produktionsprozess bezeichnet er als Verwertungsprozess. Dauert die Anwendung der gekauften Arbeitskraft über den Punkt hinaus, der für ihre eigene Reproduktion erforderlich ist, spricht er von Mehrwerterzeugung. "Vergleichen wir ferner den Wertbildungsprozess mit dem Arbeitsprozess, so besteht der letztere in der nützlichen Arbeit, die Gebrauchswerte produziert. Die Bewegung wird hier qualitativ betrachtet, in ihrer besondren Art und Weise, nach Zweck und Inhalt. Derselbe Arbeitsprozess stellt sich im Wertbildungsprozess nur von seiner quantitaven Seite dar." (Kapitel Arbeitsprozess und Verwertungsprozess) Also ein und derselbe Prozess ist je nach betrachteter Eigenschaft (Qualität oder Quantität) einmal Arbeitsprozess und einmal Wertbildungsprozess. Dabei wird noch nicht einmal etwas über die private Aneignung des Arbeitsergebnisses gesagt. Nachfragen möchte ich allerdings noch nach dem Inhalt der von Dir genannten Privatheit. Ist mit Privat gemeint, dass das ökonomische Einzelkapital auf dem Markt als autonome Einheit mit eigenem Selbstzweck fungiert oder ist explizit die Privatheit des personalisierten Kapitaleigners gemeint?
(4.1.3.1.1) Re: Wäre sie es nicht, gäbe es weder Wert noch Mehrwert., 30.12.2002, 19:20, Werner Imhof: Diesen Einwand hatte ich fast erwartet. Und bestimmt gibt es einige LeserInnen, die ihn teilen. Doch was habe ich eigentlich geschrieben? "Nur Arbeit, deren Produkte ausgetauscht werden, kann als Wert- und Kapitaleigenschaft ihrer Produkte erscheinen." Was als Wert(eigenschaft) erscheint, ist Arbeit, und zwar Arbeit, die sich in Produkten vergegenständlicht, also Produktionsarbeit und nicht etwa Zirkulationsarbeit. Aber eben auch nicht jede Produktionsarbeit, sondern nur die, deren Produkte ausgetauscht werden, kann als Werteigenschaft dieser Produkte erscheinen. Wenn darüber gestritten wird, ob der Wert nun in der Produktion oder im Austausch entsteht, so ist das ein Streit um die falsche Frage. Er entsteht in der Produktion für den Austausch. Der Wert ist eben nicht eine Eigenschaft der Produkte, die ihnen wie ihre Form, ihre Farbe, ihr Gewicht usw. "in der Produktion" verliehen wird. Er ist ein soziales Verhältnis, ein Produktionsverhältnis, nämlich das Verhältnis der Privatarbeit zur Gesamtarbeit, d.h. zur Gesamtheit aller über den Austausch verbundenen Privatarbeiten. Genauer: Die Wertgröße einer Ware ist ihr gesellschaftlich notwendiger Anteil an dieser Gesamtarbeit. Das heißt aber auch, daß der Wert einzelner Waren(arten) überhaupt keine empirische Größe ist; er ist unbekannt. Was bekannt ist, ist der Preis einer Ware, der sie zu allen anderen Waren in bestimmte Verhältnisse setzt, und so den Anteil an der allen Waren gemeinsamen Gesamtarbeit ausdrückt, die die Ware im Austausch realisieren soll. Ob sie ihn realisieren kann, steht auf einem anderen Blatt, und ob sie damit ihren Wert realisiert, auf einem dritten.
(4.1.3.1.2) 30.12.2002, 19:21, Werner Imhof: Die meisten Mystifikationen des Wertbegriffs entstehen dadurch, daß mensch den Wert resp. den Wertbildungs- und Verwertungsprozeß losgelöst von seiner elementarsten Voraussetzung zu ergründen sucht, dem Austausch. So auch bei Dir. Du beziehst Dich auf Marx' Betrachtung des Arbeits- und des Verwertungsprozesses, als sei es völlig unerheblich, daß es sich dabei um den Produktionsprozeß von Waren, also für den Austausch bestimmten Produkten handelt. Du behauptest sogar, daß dabei "noch nicht einmal etwas über die private Aneignung des Arbeitsergebnisses gesagt" wird. Das ist erstaunlich. Nicht nur weil Dir Marx' explizite Feststellungen entgangen sein müssen, z.B. daß das Produkt Eigentum des Kapitalisten ist, nicht des unmittelbaren Produzenten, des Arbeiters (S. 200). Sondern auch weil die vorhergehenden Kapitel von der Ware, vom Austauschprozeß, dem Geld und der Verwandlung von Geld in Kapital handeln. Wie kann man das alles übergehen? Ich kann es mir nur dadurch erklären, daß der Austausch als etwas so Selbstverständliches, Natürliches verinnerlicht ist, daß gar nicht mehr registriert wird, daß die Kritik des Tauschwerts auch eine Kritik des Austauschs ist.
(4.1.3.1.3) 30.12.2002, 19:22, Werner Imhof: Den Begriff der Privatarbeit benutze ich als allgemeinen Gegensatz zur gemeinschaftlichen oder unmittelbar gesellschaftlichen Arbeit. Er schließt einfache Warenproduktion ebenso ein wie kapitalistische Produktion und sagt nichts über die Form und den Umfang des Privateigentums. "Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte unabhängig betriebner Privatarbeiten sind. Der Komplex dieser Privatarbeiten bildet die gesellschaftliche Gesamtarbeit." (MEW 23, S. 87)
(4.1.4) 15.12.2002, 13:52, Werner Imhof: Daß der Mehrwert (wie der Wert überhaupt) privat angeeignet wird, ist eine Tautologie. Denn der Begriff des Mehrwerts unterstellt Privatproduktion auf der Basis von Lohnarbeit, also unbezahlte oder Mehrarbeit, die sich in einem Mehrprodukt vergegenständlicht. Ganz wie die notwendige oder bezahlte Arbeit realisiert sich die Mehrarbeit aber erst im Austausch (mal unterstellt, daß kein Kaufmannskapital dazwischentritt), also in der Veräußerung des Produkts gegen die - natürlich private - Aneignung einer gleichwertigen Geldsumme. Da Deine Feststellung aber offenbar nicht als Tautologie gemeint ist, sondern als Kritik, scheinst Du der Vorstellung einer nichtprivaten, also "gesellschaftlichen" Aneignung des Mehrwerts anzuhängen. Wie aber soll das gehen? Vor den Wert, also auch vor den Mehrwert, hat der liebe Gott den Austausch gesetzt. D.h. wenn die "Gesellschaft" sich den Mehrwert aneignen soll, muß er zuvor als solcher durch den Verkauf des Mehrprodukts realisiert sein, sich also in den Händen der Kapitalisten befinden. Die "gesellschaftliche" Aneignung des Mehrwerts setzt seine private Aneignung voraus. Sie würde deshalb auf nichts anderes hinauslaufen können als auf die Verstaatlichung (Totalbesteuerung oder Konfiskation) der Profite, also eine Staatswirtschaft auf der formalen Basis der Warenproduktion, die genauso wenig lebensfähig wäre wie der verblichene "Realsozialismus".
(4.1.5) 15.12.2002, 13:56, Werner Imhof: Alle Produzierenden zahlen gerade nicht mit dem "eigenen" Produkt für ihren Lebensunterhalt. Zum einen gehört das "eigene" Produkt, soweit sie lohnabhängig sind, sowieso nicht ihnen, sondern ihrem "Arbeitgeber". Zum andern müssen sie ihren Lebensunterhalt mit Geld bezahlen. Das heißt sie müssen das einzige Produkt, das ihnen gehört, ihre Arbeitskraft, verkauft haben. Der VW-Arbeiter kann im Supermarkt weder mit einem "Stück Auto" bezahlen noch mit seiner Arbeitskraft.
(4.1.6) 15.12.2002, 13:58, Werner Imhof: Daß es einer immer geringer werdenden Anzahl von Produzierenden bedarf, um eine bestimmte Produktenmenge zu erzeugen, liegt nicht an der enorm "eskalierten" Arbeitsproduktivität (die ließe sich theoretisch auch in allgemeine Arbeitszeitverkürzung umsetzen), sondern an der privaten Form der gesellschaftlichen Arbeit, die gesellschaftlichen Fortschritt nur als Jagd nach privatem Vorteil (Extraprofit) zuläßt und honoriert.
(4.1.7) 15.12.2002, 14:05, Werner Imhof: Daß der Mehrwert für eine gesellschaftliche Nutzung nicht zur Verfügung steht, ist ein Irrtum. Ein großer Teil des Mehrwerts dient der Unterhaltung des Zirkulationssektors (Handel, Banken, Werbung usw.) samt der darin Beschäftigten. Ein weiterer Teil fällt in Form von Steuern dem Staat zu. (Die Abgrenzungsprobleme, welcher Teil der Steuern der notwendigen Arbeit zur Reproduktion der Arbeitskraft zuzurechnen ist, klammere ich mal aus.) Ein Dritter Teil wird wieder in Kapital verwandelt, also akkumuliert. Der Rest schließlich wird gegen Konsum- und Luxusgüter getauscht. Das alles sind Formen gesellschaftlicher Nutzung, und zwar notwendige Formen in einer Gesellschaft, die ihre Reproduktion auf der Basis des Austauschs abwickelt, den "Austausch" von Lohnarbeit und Kapital eingeschlossen. Wenn Du nun sagen willst, daß diese Nutzung nicht dem Wohl aller Gesellschaftsmitglieder dient, so ist auch das wieder nur eine Tautologie oder eine "abgeschmackte" Kritik. Man kann nicht einerseits den Austausch für unverzichtbar halten und andererseits meinen, seine gesellschaftlichen Konsequenzen vermeiden zu können.
(5) Doch der Austausch selbst ist die Negation dieser Vergesellschaftung, obwohl er sie ständig voraussetzt. Als wechselseitiger Ersatz des Privateigentums ist er nur die Verkehrsform der Privateigentümer untereinander, die Form, in der sich die Privatarbeit aller Vergesellschaftung zum Trotz bestätigt und reproduziert. Gleichzeitig ist er die Verkehrsform, hinter der sich die Vermehrung des Privateigentums verbirgt, weil der Austausch von Ware und Geld notwendig den Austausch der Ware Arbeitskraft gegen Geld als Kapital einschließt oder richtiger: weitestgehend auf ihm beruht. Der Austausch ist also auch die Form, in der sich das sich verwertende Privateigentum realisiert und in der sich die Privatarbeit in den gegensätzlichen Formen von Lohnarbeit und Kapital reproduziert. Es heißt daher, die Wirklichkeit auf den Kopf zu stellen, wenn man dem Austausch "gesellschaftlichen Charakter" bescheinigt und den Widerspruch zum gesellschaftlichen Charakter der Produktion nur an der "Konzentration" des Privateigentums an Produktionsmitteln festmacht, statt an diesem überhaupt und am Austausch als seiner Verkehrsform. (Im übrigen ist die vermeintliche "Konzentration" dieses Eigentums tatsächlich die Konzentration und Zentralisation der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel und lebendige Arbeit, bei relativ breiter Streuung oder "Vergesellschaftung" des Kapitaleigentums.) Die Konzentration und Zentralisation der privaten Herrschaft über die gesellschaftliche Arbeit ist zwangsläufiges Resultat des Austausches auf der Basis der Lohnarbeit, weshalb es widersinnig ist, das Resultat zu anzuprangern, nicht aber die gesellschaftliche Praxis, aus der es hervorgegangen ist.
(6) Verfehlt ist es auch, das Geld als "Tauschmittel" mit den Produktions- und Kommunikationsmitteln in eine Reihe zu stellen, als wäre es bloß "technischer" Vermittler von Gebrauchswerten und ebenso in "gesellschaftliches Eigentum" zu verwandeln wie die Produktions- und Kommunikationsmittel. (Übrigens ist auch die besondere Erwähnung der Kommunikationsmittel unlogisch. Denn entweder sind sie selbst Produktionsmittel, also in diesen schon enthalten, oder sie sind Mittel der individuellen Konsumtion, dann gehören sie nicht hierher.) Doch Geld, gleichgültig in welchen Händen, ist Privateigentum, private Macht über fremde, gesellschaftliche Arbeitszeit und ganz und gar nicht nur Mittel des Austauschs, sondern sein alles beherrschender Zweck, nämlich als Kapital auf der einen Seite und als Lohn auf der anderen. Die Autoren betrachten das Kapital anscheinend nicht als durch den Austausch vermitteltes Produktionsverhältnis, sondern als dem Austausch und dem Geld äußerliche Macht, die aus der zuvor "unerreichten" Konzentration des "Eigentums der Produktions-, Kommunikations- und Tauschmittel" resultiert und die "Unterwerfung" der "Tauschmittel" unter die "Strategien der Wertvermehrung des Kapitals" zur "Folge" hat (7) - als wäre das Kapital nicht von Haus aus sich verwertender Wert und das Geld nicht notwendige Durchgangsform seines Kreislaufs.
(6.1) zur Klammerbemerkung über "Kommunikationsmittel", 06.12.2002, 16:14, Bertrand Klimmek: Auch wenn es vielleicht nur am Rande interessiert: die herausgehobene Erwähnung der "Kommunikationsmittel" seitens der drei Chefideologen ist ihrer vermeintlich besonderen Wichtigkeit geschuldet, die die Bedeutung anderer Gebrauchs- bzw. Tauschmittel qualitativ übersteige. So ist es ihnen ein primäres Ziel, die "Macht" der Medien zu brechen, oder vielmehr: sie sich selbst anzueignen, zu demokratisieren oder was auch immer, wovon man schon einen Vorgeschmack im diskursiven Sandkasten Indymedia bekommt. Dahinter steht die populäre Auffassung, das fetischistische Warenbewußtsein (soweit es überhaupt benannt wird), konstituiere sich nicht durch das Alltagsleben in all seinen Facetten, sondern sei zuallererst Produkt einer "Manipulation", z.B. "der Werbung", (altlinke Vulgärversion) oder aber eines falsch akzentuierten "hegemonialen Diskurses" (akademisch-postmoderne Version). Beide Ideologien treffen damit ein Körnchen der Wahrheit, die sie aber steif und fest fürs Ganze halten. Im Kern ist dies die Unfähigkeit, den dialektischen Sachverhalt zu verstehen, daß sich Warenwelt und warenförmiges Bewußtsein gegenseitig konstituieren. Die Schwierigkeit, diese Totalität zu durchbrechen bzw. zu überwinden, ist als "Verblendungszusammenhang" (Adorno) bekannt.
Übrigens geht das Ansinnen, die Medien "rhizomatisch" "demokratisieren" zu wollen, bei den DiskurstheoretikerInnen mit der Auffassung einher, der "Diskurs" - der ihnen (wie der bürgerlichen Ideologie der Markt) Vater aller Dinge ist - müsse nur basisdemokratisch vonstatten gehen (eben so, wie der Markt atomistisch). Was hinsichtlich ihrer "Kritik" einmal mehr zeigt, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Der Diskurs ist der Markt der Meinungen.
(7) Die Autoren propagieren die "Überwindung der Ware", aber sie selbst präsentieren nichts anderes als die Sichtweise von Warenproduzenten, die die Kritik des Großkapitals mit einer "Ehrenerklärung" für den Austausch verbinden. Sie wenden sich gegen das "Tabu der Eigentumsfrage", aber sie selbst reproduzieren es nur in anderer Form, als Tabu des Austauschs. Das Befremdliche daran ist, daß sie den Anspruch erheben, "sich auf die von den grundlegendsten Kritikern des Kapitalismus (gemeint sind Marx und Engels) erarbeiteten theoretischen Fundamente ... abzustützen und darauf zu bauen" (4), und diesen Anspruch durch mehrere Marx-Zitate noch unterstreichen. Dabei kann es ihnen schwerlich entgangen sein, daß sie sich mit ihrer Auffassung vom "gesellschaftlichen Charakter des Austauschs" im krassen Gegensatz zur Marxschen Kritik der bürgerlichen Ökonomie befinden. Nun ist diese ja nicht sakrosankt. Aber wenn man denn meint, daß die "theoretischen Fundamente" "natürlich im Lichte der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts sowie der Entwicklung des gegenwärtigen Kapitalismus und Imperialismus" "unumgänglich" (!) der "Erneuerung" (!) bedürfen (ebd.), dann sollte man auch so konsequent sein und offen aussprechen, was einem an den "Fundamenten" denn veraltet und nicht mehr tragfähig erscheint, statt den Eindruck zu erwecken, man würde sich weiterhin auf sie "abstützen und darauf bauen". Da die Autoren diese Offenheit vermissen lassen, kann ich nicht umhin, mit einer Passage aus den (von ihnen selbst zitierten) "Grundrissen" zu demonstrieren, wie weit sie mit ihrer Auffassung vom "gesellschaftlichen Charakter des Austauschs" von Marx entfernt sind:
(8) "Die Notwendigkeit selbst, das Produkt oder die Tätigkeit der Individuen erst in die Form des Tauschwerts, in Geld, zu verwandeln, daß sie in dieser sachlichen Form ihre gesellschaftliche Macht erhalten und beweisen, beweist zweierlei: 1) daß die Individuen nur noch für die Gesellschaft und in der Gesellschaft produzieren; 2) daß ihre Produktion nicht unmittelbar gesellschaftlich ist, nicht the offspring of association, die die Arbeit unter sich verteilt. Die Individuen sind unter die gesellschaftliche Produktion subsumiert, die als ein Verhängnis außer ihnen existiert; aber die gesellschaftliche Produktion ist nicht unter die Individuen subsumiert, die sie als ihr gemeinsames Vermögen handhaben. Es kann also nichts falscher und abgeschmackter sein, als auf der Grundlage des Tauschwerts, des Geldes, die Kontrolle der vereinigten Individuen über ihre Gesamtproduktion vorauszusetzen..."[1]
(9) Wenn man allerdings meint, die Produzenten müßten unbedingt am Austausch - und damit zwangsläufig auch an der Privatarbeit in den Formen von Lohnarbeit und Kapital - festhalten, dann kann mit solcher Kritik wohl ebensowenig anfangen wie mit der Vorstellung eines "Verein(s) freier Menschen ..., die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben", die also "assoziiert sind auf der Grundlage der gemeinsamen Aneignung und Kontrolle der Produktionsmittel".[2] Die Autoren erklären zwar, daß "die ProduzentInnen ... ihre Existenz- und Arbeitsbedingungen ... selbst beherrschen" sollten, halten es aber für "verkürzt", diese Bedingungen "ihre 'Produktionsmittel'" zu nennen (6). Doch was ihnen als "Verkürzung" erscheint (deren Urheber Marx sie mit keinem Wort erwähnen), ist das Ergebnis ihrer eigenen verkürzenden Betrachtungsweise. Denn sie selbst beschränken die mögliche "Kontrolle der assoziierten ProduzentInnen" auf die Kontrolle "über die Arbeitsmittel, die durch ihre Intelligenz und ihre Arbeit angehäuft wurden" (7).
(10) Die Produktionsmittel bestehen aber ganz und gar nicht nur aus angehäuften Arbeitsmitteln, also betrieblichen Produktionsanlagen, wie Maschinen, Gebäuden u.a.m., die bei kapitalistischer Produktion stoffliche Träger des fixen Kapitals sind. Sie bestehen ebensosehr aus Arbeitsgegenständen, also Rohstoffen, Vorprodukten, Komponenten etc., wie aus "nichtanhäufbaren" Arbeitsmitteln, nämlich Energie, Hilfs- und Betriebsstoffen, die bei kapitalistischer Produktion allesamt Träger von zirkulierendem konstanten Kapital sind und ebenso laufend ersetzt werden müssen, wie sie verbraucht werden. Tatsächlich machen sie den größten Teil der jährlich erzeugten und verbrauchten Produktionsmittel aus; in der BRD zum Beispiel absorbiert ihre Herstellung weit mehr als die Hälfte der produktiven Gesamtarbeit. Ihr hoher Anteil an der Gesamtproduktion zeugt von der entwickelten gesellschaftlichen Arbeitsteilung, von den vielfältigen Beziehungen der Betriebe untereinander.
(11) All das kann den Autoren - als studierten Ökonomen! - kaum unbekannt sein. Wenn sie dennoch den größten Teil der Produktionsmittel von der möglichen Kontrolle durch die "assoziierten ProduzentInnen" ausnehmen, dann gibt es dafür nur eine Erklärung: Ihre Fixierung auf die bürgerliche Verkehrsform des Austauschs versperrt ihnen die Vorstellung, daß sich die Kontrolle der "assoziierten ProduzentInnen" nicht nur auf die vorhandenen Betriebsanlagen erstrecken könnte, sondern auch auf die Produktionsmittel, die bisher im Austausch gegen Geld ständig erst noch erworben werden müssen. Mit anderen Worten: Sie haben die Perspektive der Vergesellschaftung der (und zwar aller und nicht nur bestimmter) Produktionsmittel durch die assoziierten Produzenten dem Austausch geopfert! Darin liegt immerhin eine gewisse Konsequenz. Denn solange die Produzenten am Austausch festhalten, solange sich also Produktionsmittel für ihre Hersteller erst in Geld verwandeln müssen, bevor sie in "fremden" Händen als Produktionsmittel fungieren dürfen, solange unterliegen sie in der Tat nicht der Kontrolle "assoziierter ProduzentInnen", sondern den Zwängen der kapitalistischen Warenproduktion und -zirkulation.
(12) Die Autoren hätten das mögliche Verhältnis der Produzenten zu den Produktionsmitteln nicht auf die Kontrolle über ihre "angehäuften Arbeitsmittel" beschränkt, wenn sie mit Marx ihre gemeinsame Aneignung und Kontrolle sämtlicher Produktionsmittel im Sinn hätten. Sie müssen sich der Diskrepanz beider Perspektiven also bewußt sein. Man sollte daher erwarten, daß sie diesen Widerspruch wenigstens konstatieren. Statt dessen erwecken sie auch hier den Anschein, als würden sie sich positiv auf Marx beziehen (können). Sie erklären, daß "die Beziehung der direkten Produzenten zu ihren Arbeitsmitteln und -verhältnissen" (also wohl auch zu ihren Verhältnissen unter- und zueinander) zu den "zentralen Konzepten der Analyse von Marx" gehört, ja, "eines seiner aktuellsten Konzepte ist" (6). Aber gleichzeitig vermeiden sie es, Marx' "Konzept" dieser Beziehungen beim Namen zu nennen und mit ihrem eigenen Konzept der "Arbeiterkontrolle über die Betriebe" (wie seine geläufigere Formulierung lautet) zu kontrastieren. Wo für Marx im "Kapital" die "geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation" hinausläuft auf die Aufhebung oder Negation des Privateigentums auf der klaren und einfachen Grundlage "der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel"[3], sehen die Autoren nur eine nicht näher bestimmte "Negation der Negation", deren "Umsetzung ... komplexe politische (!) Fragen aufwirft, die bisher alles andere als gelöst sind", was - wie sie gönnerhaft hinzufügen - "die analytische Bedeutung dieses Abschnitts in keiner Weise" "schmälert" (6, Anm. 5). Doch ungelöste (und unlösbare) politische Fragen wirft die "Negation der Negation" nur für den auf, der Kooperation und Gemeinbesitz mit ihrem Gegenteil, Privatarbeit und Austausch, versöhnen möchte und deshalb sein Heil in einem Ersatzsubjekt namens Staat suchen muß.
(13) Aber sprechen die Autoren nicht ausdrücklich von "gesellschaftlicher Aneignung", von "gesellschaftlichem Eigentum" und von der Selbstherrschaft der Produzenten über "ihre Existenz- und Arbeitsbedingungen"? Doch, das tun sie. Die Frage ist nur, wie denn die Produzenten ohne Aneignung und Kontrolle sämtlicher Produktionsmittel "ihre Existenz- und Arbeitsbedingungen selbst beherrschen" sollen und wer denn die Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum verwandeln soll, wenn nicht die Produzenten selbst. Denn daß dazu "die Selbstverwaltung jedes Unternehmens (!) und jeder Arbeitsstätte ... für sich allein genommen" nicht genügt, sehen auch die Autoren (13). Nach ihrer Logik müßte es also eine gesellschaftliche Macht oder Instanz neben oder über den Produzenten geben, die an ihrer Stelle die Produktionsmittel in gesellschaftliche verwandeln und die ihnen die Herrschaft über ihre "Existenz- und Arbeitsbedingungen" verleihen könnte. Man braucht diese Konsequenz nur zu formulieren, um zu begreifen, daß diese Instanz nichts anderes sein kann als der Staat oder die als Staat organisierte politische Macht der Gesellschaft, daß also die "gesellschaftliche Aneignung" auf Verstaatlichung und das "gesellschaftliche Eigentum" auf Staatseigentum hinausläuft. Tatsächlich erheben die Autoren denn auch das bestehende "öffentliche Eigentum und den öffentlichen Sektor" kurzerhand zu einer "Variante" des "gesellschaftlichen Eigentums" (11). Zwar machen sie die Einschränkung, daß das "gesellschaftliche Eigentum" der "Verwaltung und Kontrolle durch alle BürgerInnen" unterliegen müsse. "Ohne wirklich kollektive und demokratische Formen der Verwaltung und Kontrolle", meinen sie, "ist das gesellschaftliche Eigentum ein Betrug." (12) Doch das ist eine Scheinsicherung. Der Betrug bzw. Selbstbetrug liegt schon darin, Staatseigentum zu gesellschaftlichem Eigentum zu erheben.
(14) Die Autoren sehen im Eigentum nur das, was der Begriff vordergründig ausdrückt - ein Rechtsverhältnis gegenüber Sachen, Herrschaft über Sachen. Aber jedes Recht ist nur die Verallgemeinerung einer bestimmten gesellschaftlichen Praxis, die Kodifizierung praktischer Beziehungen zwischen Menschen. Und die gesellschaftliche Bedeutung des Privateigentums an Produktionsmitteln besteht darin, daß es die Produzenten voneinander trennt. Es ist Produkt der "Dissoziierung" der gesellschaftlichen Produzenten, ihrer Getrenntheit, juristischer Ausdruck für Produktionsverhältnisse, die gekennzeichnet sind durch Privatarbeit und Austausch. Das ist die grundlegende Bestimmung des Privateigentums an Produktionsmitteln als einem sozialen Verhältnis. Sie bleibt auch grundlegend für das kapitalistische Eigentum, also für die zusätzliche Spaltung der Gesellschaft in Kapitalisten und Lohnarbeiter. Denn die Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln setzt die Getrenntheit der Produzenten voneinander logisch und historisch voraus.
(15) Durch eben diese Getrenntheit ist das Privateigentum an Produktionsmitteln auch nicht nur Herrschaft über Sachen, sondern zugleich ihr Gegenteil - Beherrschung durch Sachen, Herrschaft der Produkte über ihre Produzenten bzw. über die Eigentümer der Produktionsmittel, seien sie Privatkapitalisten, Aktiengesellschaften oder Belegschaften "selbstverwalteter" Betriebe. Da sie miteinander nur über den Austausch ihrer Produkte verkehren, nehmen ihre gesellschaftlichen Beziehungen die Form ihnen äußerlicher sachlicher Verhältnisse und monetärer "Kosten" an. Die gesellschaftliche Arbeit tritt als etwas von ihr selbst Verschiedenes in Erscheinung, als Wert- und Kapitaleigenschaft der Produkte. Das Verhältnis der Teilarbeit zur Gesamtarbeit erhält die mysteriöse Form des Tauschwerts, des Preises, der gleichzeitig verbirgt, was er ausdrückt. Und diese verselbständigte Form bringt ebenso verselbständigte sachliche Zwänge hervor, der sich die Menschen nicht entziehen können, solange sie an der Produktion für den Austausch festhalten. Die Autoren selbst verweisen auf den "der Ware und dem Geld innewohnenden Fetischismus" - sie meinen wohl ihren Fetischcharakter, ihre verselbständigte Macht über die Menschen, deren Produkt sie doch sind - und nennen es eine Illusion, ihn "unter Kontrolle zu halten" (5). Aber sie selbst teilen diese Illusion, weil sie nicht im Ansatz daran denken, den Waren- und Geldfetisch mit dem Austausch in Verbindung zu bringen, und weil sie staatliches Eigentum zu gesellschaftlichem erklären, wenn es denn nur recht demokratisch "verwaltet und kontrolliert" werde.
(16) Doch so wie das Privateigentum an Produktionsmitteln auf der Trennung der Produzenten beruht, auf Privatarbeit und Austausch, so kann das gesellschaftliche Eigentum an ihnen auch nur realisiert werden durch die Vereinigung der Produzenten, durch die gemeinsame Aneignung und Nutzung der Produktionsmittel im Prozeß der Gesamtproduktion. D.h. die Aufhebung des kapitalistischen Eigentums ist unmöglich ohne Überwindung beider Trennungen, der der Produzenten von den Produktionsmitteln und der der Produzenten voneinander. Und sie können auch überhaupt nur zusammen aufgehoben werden - und zwar allein durch die vereinigten Produzenten selbst -, weil ihre gemeinsame Aneignung und Kontrolle sämtlicher Produktionsmittel (und nicht nur der "angehäuften Arbeitsmittel") die Überwindung der trennenden Austauschbeziehungen voraussetzt.
(16.1) 06.12.2002, 17:12, Ano Nym: Darin sind sie aber immerhin konsequent: Weil sie nur die Trennung "der Produzenten von den Produktionsmitteln" aufheben möchten, nicht aber die "der Produzenten voneinander", scheuen sie sich ja auch, sich Kommunisten zu nennen. Wenn ich mich nicht irre, steckt die Aufhebung der letztgenannten Trennung ja schon in der Vorsilbe von Com-munismus, von lateinisch cum = "mit" bzw. "miteinander" ...
(17) Die Autoren dagegen denken das Eigentum an den Produktionsmitteln losgelöst von der ökonomischen Praxis, die es konstituiert. So wie sie übersehen, daß der Austausch getrenntes, also privates, Eigentum an Produktionsmitteln ebenso voraussetzt, wie er es reproduziert, so übersehen sie, daß gesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln ihren gleichzeitigen Austausch, also Eigentümerwechsel, ausschließt. Sie begreifen das gesellschaftliche Eigentum nicht als praktisches Verhältnis wirklicher Subjekte, produzierender und konsumierender Individuen, die ihre Produktionsmittel als gemeinsame behandeln, sondern als ein der unverändert bürgerlichen Produktionsweise übergestülptes Rechtsverhältnis, als Rechtsanspruch eines abstrakten Subjekts, das sie Gesellschaft" nennen, während es in Wirklichkeit doch nur vom Staat verkörpert werden kann. So stellen sie denn auch die bürgerlichen Formen des gesellschaftlichen Produkts ebensowenig in Frage (mit einer scheinbaren Ausnahme, auf die ich gleich eingehe) wie die bürgerliche Organisation der gesellschaftlichen Produktion. Auch auf der Grundlage "gesellschaftlichen Eigentums" besitzt der produzierte Reichtum für sie Geldform, teilt sich das Gesamtprodukt in notwendiges und Mehrprodukt (das natürlich erst in Geld verwandelt werden muß, bevor über dessen Verteilung und Verwendung "mitbestimmt" werden kann), sind die Produzenten von Unternehmen bezahlte Lohnabhängige (12 f.).
(18) Der Sprachgebrauch der Autoren reflektiert immerhin die einfache Wahrheit, daß die Verstaatlichung noch so vieler Produktionsmittel das Privateigentum an ihnen nur dem Namen nach aufheben kann, wenn sie weiterhin der Produktion für den Austausch dienen. Gesellschaftliche Verhältnisse sind jedoch nicht nach den Namen zu beurteilen, mit denen sie belegt werden, sondern nach ihrer wirklichen Praxis. Und soweit verstaatlichte Produktionsmittel weiter der Produktion für den Austausch dienen, repräsentieren sie auch als Eigentum der "öffentlichen Hände" de facto nur eine Variante des Privateigentums. Auch wenn diese Unternehmen teilweise nicht oder nur in gewissen Grenzen kapitalistisch betrieben werden, also statt Produktionspreisen nur Kostpreise (Gebühren) geltend machen, wie öffentliche Krankenhäuser oder Medien, werden sie dadurch noch lange nicht zu einer "Variante" gesellschaftlichen Eigentums. Sie bleiben faktisches Privateigentum in staatlicher Hand oder "öffentlich-rechtlicher" Form, das dem Austausch und damit der Herrschaft des kapitalistischen Eigentums unterworfen ist, durch den Verzicht auf (s)einen Anteil an der gesellschaftlichen Mehrwertmasse den dem Privatkapital zur Verfügung stehenden Anteil erhöht und dafür aus Steuermitteln und/oder über Staatsschulden subventioniert werden muß.
(19) Ihre Verwaltung und Kontrolle mag noch so demokratisch organisiert sein und noch so viele BürgerInnen einbeziehen - sie bleibt Verwaltung und Kontrolle faktischen Privateigentums, dessen Produkte sich in Geld verwandeln müssen, damit es sich zumindest erhalten kann. Ganz abgesehen davon ist die "Verwaltung und Kontrolle durch alle BürgerInnen" ein frommer Wunsch, ein untauglicher Ersatz für die fehlende Assoziation der Produzenten und die Gemeinschaftlichkeit ihrer Produktion. Zum einen würde sich jeder Versuch, "alle BürgerInnen" quasi zu Aufsichtsratsmitgliedern der "öffentlichen" Betriebe und Unternehmen zu machen, sehr schnell als reines Wunschdenken erweisen. Zum andern kann auf der anerkannten Basis des Austauschs, also des Privateigentums, auch seine Verwaltung und Kontrolle nur Ausdruck privater oder partieller Interessen sein (von Käufern und Verkäufern, Gläubigern und Schuldnern, Kapitalanlegern und Lohnabhängigen usw.). Sobald sich aber gemeinschaftliche Interessen und Ansprüche formieren, wie es ansatzweise bei den französischen Sud-Gewerkschaften der Fall ist, haben sie nur die Wahl, sich entweder zur "Fundamentalopposition" gegen das gesamte auf Privatarbeit und Austausch beruhende Wirtschaftssystem weiterzuentwickeln, die statt der Verwaltung staatlichen Privateigentums die Vergesellschaftung sämtlicher Produktionsmittel durch die assoziierten Produzenten auf ihre Fahne schreibt, oder ehrenwerte, aber hilflose Verfechter des "gesellschaftlichen Nutzens" gegen die unverstandene Herrschaft des Tauschwerts zu bleiben.
(20) Die Autoren präsentieren nun aber auch eine Idee, die den Rahmen der bürgerlichen Produktionsweise zu überschreiten scheint (und im übrigen ihrer eigenen Auffassung vom "gesellschaftlichen Charakter des Austauschs" zuwiderläuft). "In einer immer stärker den Marktmechanismen unterworfenen Welt", vermerken sie in einer Fußnote, sei es notwendig, "die Forderung eines unentgeltlichen Zugangs zu grundlegenden Dienstleistungen wieder zu thematisieren" (11, Anm. 12). Die Forderung klingt radikal. Sie läuft hinaus auf die Einrichtung eines ausgedehnten staatlichen Sektors, dessen Produkte dem Austausch entzogen wären, in dem das Privateigentum an den Produktionsmittel also, wie heute bei öffentlichen Schulen und Straßen, nicht nur dem Namen nach, sondern sogar der Form nach ausgeschlossen wäre. Rechnet man zu den "grundlegenden Dienstleistungen" das Gesundheitswesen inclusive Altenpflege, das öffentliche Verkehrssystem, die Wasser-, Strom- und Gasversorgung sowie die Kommunikationsdienste, so würde ein unentgeltlicher öffentlicher Sektor vielleicht ein Drittel des privaten Verbrauchs von der Zahlungspflicht befreien. Für die lohnabhängige und einkommensschwache Bevölkerung eine scheinbar attraktive Perspektive... Die Forderung der Autoren hat nur einen Haken: Unter gewöhnlichen bürgerlichen Verhältnissen ist sie ökonomisch widersinnig (und politisch naiv), weil eine Rechnung ohne den Wirt - die Herrschaft des Austauschs bzw. des Tauschwerts. Und in einer möglichen revolutionären Situation, bei Existenz einer antikapitalistischen Massenbewegung wäre sie ein Programm der Desorientierung, der Ablenkung von der Perspektive des "unentgeltlichen Zugangs" zu den Produktionsmitteln und damit auch zu sämtlichen Dienstleistungen und Gütern des individuellen und kollektiven Konsums.
(21) Doch unterstellt, es fände sich eine Regierung, die das Experiment eines erweiterten öffentlichen Sektors unentgeltlicher Dienstleistungen und Einrichtungen realisieren würde - was wären die ökonomischen Konsequenzen? Die in diesem Sektor geleistete Arbeit würde nicht mehr als Werteigenschaft ihrer Produkte in Erscheinung treten. Sie würde weder neuen Wert bilden noch vorhandenen (in Produktionsmitteln vergegenständlichten) Wert erhalten. Statt dessen würde sie nur anderweitig, im privaten Sektor nämlich, produzierten und realisierten Wert verzehren. Schließlich müßte der Staat die im öffentlichen Sektor beschäftigten Arbeitskräfte ebenso bezahlen wie den Ersatz für die verbrauchten Produktionsmittel, von den Kosten ihrer Erweiterung und Modernisierung ganz zu schweigen. Um sie bezahlen zu können, müßte er zuvor einen Teil des im privaten Sektor realisierten Wertprodukts abschöpfen, also die Steuern erhöhen oder neue Steuern einführen. Die Finanzierung des unentgeltlichen öffentlichen Sektors würde also das Florieren, sprich: die erfolgreiche Kapitalverwertung, des privaten Sektors voraussetzen. Die Geschichte würde daher über kurz oder lang darauf hinauslaufen, daß die Lohnabhängigen als Hauptnutzer des öffentlichen Sektors in ihrer Rolle als Steuerzahler und Verbraucher auch die Hauptlast seiner Betriebskosten tragen müßten. Was sie vorher direkt über den Preis der öffentlichen Dienstleistungen gezahlt haben, würden sie nun indirekt über höhere Steuern und über verteuerte Produkte des privaten Sektors zahlen. Was sie in der einen Form gespart hätten, würden sie in anderer Form mehr ausgeben. Doch das Experiment würde noch nicht einmal als Nullsummenspiel enden. Die "Unentgeltlichkeit" der "grundlegenden Dienstleistungen" würde die Gesellschaft, die ihren Reichtum allein in getauschter Arbeitszeit bemißt, ärmer machen: Ihr Wertprodukt würde schrumpfen. Auch wenn das gesellschaftliche Arbeitsvolumen unverändert bliebe - Wert und Mehrwert bildend wäre die Arbeit allein im privaten Sektor, weil nur ihre Produkte in den Austausch gehen. Mit dem gesellschaftlichen Wertprodukt würde aber auch der Anteil des Staates daran absolut schrumpfen mit der Konsequenz, daß er Personal und Leistungen abbauen oder/und Steuern erhöhen oder/und zusätzliche Schulden machen müßte...
(22) Allein schon deshalb wird das Experiment ein Gedankenexperiment bleiben. Auf dem Boden der verallgemeinerten Warenproduktion, in der der gesellschaftlich gültige Reichtum, der "Wert", nur in der Produktion für den Austausch entsteht, kann sich auf die Dauer kein Staat - wer auch immer seine Geschäftsführung stellen mag - erlauben, den Austausch einzuschränken statt ihn zu fördern, wenn er nicht seine eigene Existenz untergraben soll. Und wenn er bestimmte Produkte kauft und Einrichtungen unterhält, die er der "Allgemeinheit" zur unentgeltlichen Nutzung überläßt, dann in aller Regel deshalb, weil es sich um allgemeine Bedingungen der Warenproduktion handelt, die das Kapital selbst nicht in der notwendigen Menge, Qualität und Zuverlässigkeit vermarkten könnte. Ein rein kapitalistisch betriebenes Schulsystem z.B., im Prinzip durchaus realisierbar, wäre schwer mit der allgemeinen Schulpflicht zu vereinbaren und würde den Arbeitskräftenachwuchs kaum so breit erfassen und mit den gesellschaftlich benötigten Grundkenntnissen ausstatten, wie es das öffentliche Schulwesen immer noch tut. Noch eindeutiger liegen die Dinge beim öffentlichen Straßennetz. Die meisten Menschen würden heute noch zu Fuß gehen oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen, wenn der Straßenbau sich marktwirtschaftlich hätte entwickeln müssen, d.h. über den Verkauf der Straßennutzung an die gewerblichen und privaten Autofahrer. Das "öffentliche" Eigentum erlaubte und erlaubt eine großangelegte Subventionierung des Straßenbaus aus allgemeinen Steuermitteln (weit über Kfz- und Mineralölsteuer hinaus) im Interesse des Gesamtkapitals, weil aufgrund der gesellschaftlichen Arbeitsteilung praktisch alle Wirtschaftszweige direkt oder indirekt von der Automobilisierung des Verkehrs und dem damit einher gehenden Marktwachstum profitieren.
(22.1) "... profitieren.", 06.12.2002, 18:01, Bertrand Klimmek: Und Profit ist auch schon das richtige Stichwort: Profit ist ein relativer Vorteil, und relativ wozu profitiert also die Gesamtheit der Wirtschaftszweige? Relativ zu den konkurrierenden Kapitalfraktionen im "Ausland" natürlich, womit ein weiterer (gelinde gesagt:) ärgerlicher Punkt der Globalisierungsgegner angesprochen wäre - und hier kann man sie in ihrem Kryptonationalismus, der mit der Staatsfixierung notwendig einher geht, wörtlich nehmen.
So nimmt es auch keine Wunder, daß die NPD und ähnliche sich seit einigen Jahren gern als Globalisierungsgegner definieren (was sind sie denn sonst)? Die vermeintlich linken Globalisierungsgegner, von denen im Text die Rede ist, können darin natürlich nur den Unterwanderungsversuch in eine an sich gute Sache sehen (wie auch die Anti-Castor-Bauern, wenn die Heimatschützer auf einmal explizit rechts sind), weil sie die ideologischen Überschneidungen nicht wahrhaben wollen.
(23) Der unentgeltliche Zugang zu öffentlichen Schulen und Straßen verwandelt sie also keineswegs in gesellschaftliches Eigentum, in gemeinschaftliche Produktionsmittel. Von einer Variante gesellschaftlichen Eigentums könnte man sprechen, wenn z.B. der Staat die Schulen assoziierten Lehrern als Gemeinbesitz überließe und ihnen die nötigen Mittel zur Unterhaltung und Ausstattung der Schulen wie zur eigenen Reproduktion zur Verfügung stellte. Davon kann aber keine Rede sein. Öffentliche Schulen wie Straßen sind und bleiben Eigentum des Staates, der sie als Treuhänder der Privateigentümer plant, bezahlt, unterhält und die dazu nötige Kaufkraft organisiert, weil und soweit das Privateigentum selbst dieser Aufgabe nicht gewachsen ist. Wenn also das Staatseigentum an unentgeltlichen "öffentlichen Gütern" der Form nach das Privateigentum ausschließt, als seine Negation erscheint, so doch nur, weil sein Inhalt die Förderung des Privateigentums, des Austauschs ist. Eben deshalb sind auch dieser Form des Staatseigentums Schranken gesetzt, wie auch sein Umfang abhängig ist von der erfolgreichen Vermehrung des Privateigentums. Auch diese Form des Staatseigentums ist also nicht nur keine "Variante" gesellschaftlichen Eigentums, sie ist eine Variante seiner Negation.
(23.1) "gesellschaftliches Eigentum"?, 06.12.2002, 18:11, Bertrand Klimmek: Rein begrifflich macht es übrigens keinerlei Sinn, von "gesellschaftlichem Eigentum" zu reden, wenn hier mit der Gesellschaft alle Menschen gemeint sind. Es liegt im Begriff des Eigentums, daß es exklusives, also ausschließendes Eigentum ist, sonst bräuchte es nicht als Eigentum von irgendwem (und sei es "der Gesellschaft") deklariert zu werden. Es ist schon klar, daß das "gesellschaftliche Eigentum" einst als radikalisierte Variante des kollektiven oder Genossenschafts-Eigentums in den Fabeln der Arbeiterbewegung auftauchen mußte, die sich damit immerhin von kleinbürgerlich-syndikalistischen Spielarten abzugrenzen wußte auf ihrem Weg in den juristischen Sozialismus ...
(23.1.1) Re: "gesellschaftliches Eigentum"?, 11.12.2002, 19:11, Birgit Niemann: "Es liegt im Begriff des Eigentums, daß es exklusives, also ausschließendes Eigentum ist ... " Das ist doch eigentlich überhaupt kein begrifflicher Widerspruch. Beim Gemeineigentum ist ja auch der Einzelne als Einzelner von der Verfügungsgewalt über das Eigentum ausgeschlossen. Er kann über das Eigentum allein im Rahmen kooperativer (oder auch kollektiver) Prozesse verfügen. Oder verstehe ich da irgend etwas falsch?
(23.1.1.2) Re: "gesellschaftliches Eigentum"?, 12.12.2002, 12:59, Wolf Göhring: Ich will's nicht beim trocknen ja belassen.
Du schreibst: "Beim Gemeineigentum ist ja auch der Einzelne als Einzelner von der Verfügungsgewalt über das Eigentum ausgeschlossen." Das spinne ich mal weiter. Deine bemerkung gilt dann fuer alle einzelne, von denen dann kein einziger eigentum am gemeineigentum hat. Also hat man eigentuemerloses gemeineigentum, weil jeder nur durch kooperation mit irgenwelchen anderen, die auch nicht eigentuemer sind, ueber das gemeineigentum verfuegen kann. Damit faellt aber der begriff des eigentums in sich sich zusammen, wenn niemandem mehr etwas zu eigen ist, weil er das gemein"eigentum" stets nur ausdruecklich im verein mit andern nutzen kann.
Max Stirners einziger und sein eigentum loesen sich in nichts auf, was schon St. Max (Marx' und Engels' spottformel) nicht verstanden hatte, auch wenn er am ende seinen einzigen feststellen laesst: Ich hab mein sach auf nichts gestellt.
(23.1.1.2.1) Re: "gesellschaftliches Eigentum"?, 13.12.2002, 19:09, Birgit Niemann: "Also hat man eigentuemerloses Gemeineigentum,.." Diesem Satz entnehme ich, das Du nur natürlichen Personen die Eigenschaft "Eigentümer sein zu können" zugestehst. In meinem (nicht besonders umfangreichen) juristischen Wissen findet sich aber die dunkle Erinnerung, dass es auch juristische Personen gibt, die Eigentümer sein können (z.B. Genossenschaften, Kapitalgesellschaften und andere Einzelkapitale, sowie Vereine und vieles andere mehr). Auch wenn jetzt Gemeineigentum etwas sein soll, was der gesamten Gesellschaft gehört, so liegt der Unterschied doch nur in der Größe und Komplexität der Gesellschaft, die Eigentümer ist. Nun dämmert mir, dass Du jetzt vielleicht noch einen Unterschied zwischen juristischem und ökonomischem Eigentum machen wirst. Falls dass der Fall ist, klär doch bitte mal einen DB (Dummen Biologen) über diesen Unterschied auf. Beachte aber in Deiner Rede bitte, dass ich zwar Darwin und Dawkins kenne, aber niemals Max Stirner las, dessen Aussagen mir deshalb fremd sind. Mit Marxen sieht es etwas besser aus. Da kannst Du auch bei mir ein paar Grundbegriffe vorraussetzen.
(23.1.1.2.1.1) Re: "gesellschaftliches Eigentum"?, 16.12.2002, 19:26, Wolf Göhring: Zu Max Stirner siehe: Marx/Engels: Die deutsche Ideologie. Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentasnten Feuerbach, B. Bauer und Stirner, und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten. Band 1, III. Sankt Max, 1. Der Einzige und sein Eigentum, in Marx Engels Werke MEW 3, S. 101-436.
Oberflächlich gesehen war M&E der Feuerbach weit weniger wichtig als der Stirner, denn den F. bedachten M&E nur mit 60 seiten kritik in der "Deutschen Ideologie".
Stirner und M&Es kritik sind mühsam zu lesen: Der eine, weil man sich durch viel kleinbuergerliche ideologie durchkaempfen muss, die beiden andern, weil sie das kleinbuergerliche dieser ideologie aufdecken. (Und zum "reinschmoekern", so man den blauen waelzer hat, durchaus empfehlenswert.)
(23.1.1.2.1.2) Re: "gesellschaftliches Eigentum"?, 16.12.2002, 19:36, Wolf Göhring: Ich will jetzt keine einfuehrung in buergerliches recht und schon gar nicht ins BGB geben, denn darum geht's hier meiner meinung nach nicht.
Da hattest dem Satz "Es liegt im Begriff des Eigentums, daß es exklusives, also ausschließendes Eigentum ist ... " gegenuebergestellt, dass "beim Gemeineigentum ja auch der Einzelne als Einzelner von der Verfügungsgewalt über das Eigentum ausgeschlossen (ist)", weil er "über das Eigentum allein im Rahmen kooperativer (oder auch kollektiver) Prozesse verfügen (kann)".
Du schiebst hier in "ausschliessen" einen andern sinn, als ich ihn in dem von dir zitierten satz gelesen habe: Eigentum schliesst den nicht-eigentuemer im sinne eines verbots aus (und der unerlaubte gebrauch wird meist auch mit schloessern und mauern ziemlich schwierig gemacht). Beim "gemeineigentum", wo jeder im rahmen kollektiver prozesse mitmachen kann, ist keinem einzelnen das mitmachen verboten. Wo ist da der ausschluss?
(23.1.1.3) Re: "gesellschaftliches Eigentum"?, 12.12.2002, 13:28, Wolf Göhring: Ich fuege noch ein praktisches argument an. Der einzelne "kann über das Eigentum allein im Rahmen kooperativer (oder auch kollektiver) Prozesse verfügen", schreibst du. Aus meiner sicht ist fuer lange zeit, vermutlich sogar nie, eine technik verfuegbar, so dass ein einzelner irgendetwas stoffliches tun koennte, ohne auf kooperative prozesse angewiesen zu sein.
Selbst hochintellektuelles und individualistisches wie reden, wo man eigentlich nur die luft braucht, geht nicht ohne kollektive prozesse: Durch diese hat man ueberhaupt erst reden gelernt.
Auch der aussteiger, der am deich die schafe huetet, hat, wenn er in gummistiefeln durch den matsch watet, den weltmarkt an den fuessen haengen, denn ohne kollektive prozesse waere er nicht an die galoschen gekommen.
Die kollektivitaet von prozessen ist etwas so allgemein formuliertes, dass dies nichts darueber aussagt, ob und welches eigentum besteht. Adam Smith und seine heutigen juenger werfen beispielsweise die ganz verschiedenen gesellschaftlichen formen, die in der organisierung von produktion in der fabrik und im austausch der produkte auf dem markt bestehen, kunterbunt zusammen. Beides wird einheitlich als "co-operation" bezeichnet, wenn das loblied der arbeitsteiligen, auf austausch fussenden produktion gesungen wird. (A.Smith: Wealth of Nations. Prometheus Books, New York 1991, p.16, 17, im abschnitt "of the division of labour". Orig 1776. Text ist auch im web zu finden.)
(23.1.1.3.1) Re: "gesellschaftliches Eigentum"?, 13.12.2002, 18:47, Birgit Niemann: "Die Kollektivitaet von Prozessen ist etwas so allgemein formuliertes, dass dies nichts darueber aussagt, ob und welches Eigentum besteht." Du haust hier etwas zusammen, was ich überhaupt nicht gemeint habe. Natürlich gibt es keine einzige menschliche Betätigung bzw. Benutzung von Gegenständen oder auch sonst was, die nicht in irgendeiner Art und Weise durch menschliche Kooperativität hervorgebracht wird. In obiger Angelegenheit habe ich mich ausschließlich darauf bezogen, das auch beim Gemeineigentum das im Absatz zuvor thematisierte Ausschlußprinzip gewahrt ist. Nämlich gegenüber der isolierten Verfügungsgewalt des Einzelnen. Noch deutlicher wird für mich die Sache, wenn man zwei oder mehrere Gesellschaften nebeneinanderstellt. Von der Verfügung über das gesellschaftliche Eigentum der einen Gesellschaft sind die Individuen der anderen Gesellschaften dann ausgeschlossen. Oder würdest Du so etwas wie Jagdgründe vielleicht nicht als Stammeseigentum betrachten? Das Sprache selbstverständlich Kollektivität vorraussetzt und Produkt davon ist, würde ich niemals in Abrede stellen. Das gilt übrigens für jede Art von Kommunikation, egal auf welcher Lebensebene.
(23.1.1.3.1.1) Re: "gesellschaftliches Eigentum"?, 16.12.2002, 20:12, Wolf Göhring: Was hat das "ausschlussprinzip" mit "der isolierten verfuegungsgewalt des einzelnen" zu tun? Mit den "ewigen" jagdgruenden verschiedener staemme deutest du aus meiner sicht an, dass das 2 paar schuhe sind.
Hat jemand, wenn er etwas nur "im rahmen kollektiver prozesse" tun kann, keine "verfuegungsgewalt"?
(24) Die Verwechslung des Staatseigentums mit gesellschaftlichem Eigentum durch die Autoren ist die Konsequenz ihrer Verabsolutierung des Austauschs. Da sie sich die Vereinigung der Produzenten zu gemeinschaftlicher Produktion mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln nicht vorstellen können, gleichzeitig aber ihre Kontrolle über die "angehäuften Arbeitsmittel" "für sich allein genommen" für "ungenügend" halten (13), brauchen sie den Staat als vorgestellte Ersatzgemeinschaft oder als Gemeinschaftsersatz. Sie betrachten den Staat als das, als was er erscheint: als Repräsentant der "Allgemeinheit", als Hüter des "Gemeinwohls", als Gemeinschaft seiner "BürgerInnen". Sie selbst drücken es so aus: "Das gesellschaftliche Eigentum, von dem das öffentliche Eigentum und der öffentliche Sektor eine Variante darstellen, besitzt zwei Grundzüge: erstens den gesellschaftlichen Charakter von Produktion und Handel; zweitens die Idee eines Gemeinschaftsgutes ("bien commun", Gemeinwohl, im Original) und eines allgemeinen Interesses jenseits des Individualismus und der durch die Verherrlichung des Privateigentums hervorgebrachten engstirnigen Verteidigung von Partikulärinteressen." (11)
(25) In diesem Satz ist die ganze Philosophie der Autoren konzentriert. Da Produktion und Austausch bereits gesellschaftlich sind, muß nur noch die Idee des "Gemeinwohls" zur Herrschaft gelangen, um die Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum zu verwandeln. Die Idee der Gemeinsamkeit soll die gemeinsame Praxis ersetzen, die vorgestellte Gemeinschaft "aller BürgerInnen" die wirkliche Gemeinschaft der gesellschaftlichen Produzenten. Doch die Idee ist eine Illusion und die im Staat verkörperte "Allgemeinheit" nur eine "illusorische Form der Gemeinschaftlichkeit" (Marx)[4]. Denn der Staat ist nicht "Gegenmacht" des bürgerlichen Eigentums, sein Antipode (auch wenn es dem einzelnen Bourgeois so scheinen mag), sondern seine unentbehrliche Ergänzung, sein notwendiger "Überbau". So wie die Warenproduzenten ihren privaten Anteil an der gemeinsamen Gesamtarbeit nur in der verselbständigten Form des Tauschwerts, im Geld als allgemeinem Äquivalent, ausdrücken können, so können sie ihre gemeinsamen Privatinteressen auch nur in Gestalt einer von ihnen getrennten, selbständigen "öffentlichen Gewalt" als allgemeine Interessen ausdrücken und durchsetzen. Und spätestens seit sich die Warenproduktion als kapitalistische entwickelt, ist diese Gewalt zur Existenzbedingung des bürgerlichen Eigentums und seiner Vermehrung geworden.
(26) Das Kapital hat den Staat allerdings nicht erfunden. Der Staat überhaupt ist historisches Produkt vorbürgerlichen Privateigentums und der mit ihm entstandenen Interessengegensätze zwischen Eigentümern und Nichteigentümern wie zwischen den Eigentümern selbst; und seine Formen haben sich mit denen des Privateigentums bzw. der jeweils zugrundeliegenden Produktions- und Verkehrsverhältnisse gewandelt. Auch das Kapital mußte den vorgefundenen Staat erst den eigenen Bedürfnissen unterwerfen und anpassen, ein immer noch andauernder Prozeß, der bereits weit über die Ebene der Nationalstaaten hinausgeht und der ebenso unumkehrbar wie unaufhaltsam ist. Denn der Staat ist längst vollkommen abhängig vom Kapital, und nicht umgekehrt. Er hat (von Resten nichtkapitalistischer Kleinproduktion mal abgesehen) keine andere Existenzgrundlage als das fungierende Kapital, dessen Verwertungsdruck wächst mit zunehmender Masse und abnehmender Rate des Profits. Auch wenn der Staat seine Einnahmen hauptsächlich über direkte und indirekte Steuern den Lohnabhängigen abpreßt, so muß ihr Lohn sich doch zuvor als Kapital bewährt haben. Und auch die Staatsschulden, die als fiktives Kapital die privaten Geldvermögen vermehren, sind nur vorweggenommene Steuereinnahmen, die ihre vorherige Realisierung als Kapital voraussetzen. Der Staat kann und muß deshalb auch die Interessen des Kapitals als Interessen der "Allgemeinheit" ausdrücken, das allgemeine Wohl der kapitalistischen Wirtschaft, vor allem das Wachstum des Wertprodukts bzw. des "Volkseinkommens", als "Gemeinwohl" und das gemeinsame oder Durchschnittsinteresse der kapitalistischen Eigentümer als "allgemeines Interesse" (wobei dessen Bestimmung selten ohne Streit abgeht).
(27) Daran würde sich wenig ändern, wenn eine von einer Massenbewegung getragene "linke" oder "sozialistische" Regierung die Macht übernähme - solange die Lohnabhängigen weiter als Lohnabhängige für den Austausch produzieren. Auf dem Boden des Austauschs als der herrschenden und anerkannten Verkehrsform der Gesellschaft, kann der Staat auch unter einer "Arbeiterregierung" dem ökonomischen Inhalt nach nur ein bürgerlicher Staat sein, eine Organisation - wie demokratisch sie auch sein mag - zur Sicherung und Erweiterung des Austauschs, also der kapitalistischen Warenproduktion. Er mag noch so viele Betriebe verstaatlicht, die Kontrolle über sie gar den Belegschaften übertragen und ihnen "die politischen und juristischen Mittel zur Beherrschung ihrer Arbeitsbedingungen zugestanden" (6) haben - solange sie weiter für den Austausch produzierten, träten sie sich als kollektive Privatproduzenten gegenüber, die ihre Produktionsmittel und ihre eigene Arbeitskraft als Kapital behandeln, d.h. verwerten, müssen. Selbst wenn sie es nicht wollten, würde die vom Kapital ererbte Konkurrenz sie dazu zwingen. Die Preise ihrer Waren müßten also nicht nur den Wert der verbrauchten Produktionsmittel, die Löhne sowie Sozialabgaben und Steuern ersetzen, sie müßten darüber hinaus ein weiteres unbezahltes Mehrprodukt realisieren, um die Modernisierung, Rationalisierung und Erweiterung der Produktion zu ermöglichen. Und wenn sie es bis dahin noch nicht wüßten, würden sie sehr bald feststellen, daß die realisierbaren Preise von anderen Bedingungen abhängen als den realisierten Kosten, dem kalkulierten Arbeitsaufwand und dem erhofften Gewinn, so daß diese Faktoren sich als gegensätzliche Interessen geltend machen würden und insbesondere die Ausdehnung der profitbringenden Mehrarbeit auf Kosten der bezahlten Arbeit sich zum Zwangsgebot verselbständigte, dessen Mißachtung die Betriebe in den Ruin treiben würde... Daran könnte auch die Verwaltung und Kontrolle des vermeintlich "gesellschaftlichen Eigentums" durch "alle BürgerInnen" nichts ändern. Zumal "der Bürger" selbst ein Konstrukt des bürgerlichen Staats, eine juristische Abstraktion ist.
(28) Der Staat verleiht den Individuen der bürgerlichen Gesellschaft, wie Marx bemerkte[5], quasi eine doppelte Existenz. Als Bürger sind sie gleiche und freie Teilnahmeberechtigte am gesellschaftlichen Leben. Als Kapitalist und als Lohnarbeiter, als Millionär und als Tellerwäscher sind sie wirkliche Teilnehmer. Im Bürger, im Citoyen, simuliert der Bourgeois seine Verbrüderung mit dem Proletarier, dem Lohnabhängigen, und suggeriert ihm, sich ebenfalls als Glied einer abstrakten Allgemeinheit zu begreifen. Der Staat erscheint so als eine vom konkreten Besitz unabhängige Gemeinschaft, wie sie die bürgerliche Gesellschaft in ihren praktischen Produktions- und Distributionsverhältnissen negiert und die sie doch als Fiktion nötig hat, um die besonderen Interessen der Privateigentümer als allgemeine geltend zu machen. Und um die Lohnabhängigen zu zwingen, auch ihre Interessen nicht als Sonderinteressen zu verfolgen, sondern als dem "Gemeinwohl" verpflichtete. Diese Gemeinschaft besteht auch keineswegs nur in der Einbildung, als Ideologie, sondern in der Staatsbürgerschaft und im Bürgerrecht erhält sie durchaus eine wirkliche Existenz. Ihre Realität erleben am spürbarsten die, die von ihr ausgeschlossen sind, wie einst die Juden und heute illegale und "papierlose" Immigranten. Und doch bleibt sie eine illusorische Gemeinschaft, die die wirklichen Beziehungen der "Bürger" nicht konstituiert, sondern diese voraussetzt, sie allenfalls beeinflußt, indem sie von ihnen abstrahiert. Sie bliebe es auch im hier unterstellten Fall, daß die politische Macht in den Händen einer "Arbeiterregierung" läge und die lohnabhängigen Produzenten die Kontrolle über ihre "aufgehäuften Arbeitsmittel" besäßen. Auf der Grundlage der unverändert bürgerlichen Praxis von Privatarbeit und Austausch, d.h. der praktischen Herrschaft von "Partikulärinteressen", kann die Gemeinschaft "aller BürgerInnen" ebenso wie die Überwindung der "Partikulärinteressen" durch die Idee des "Gemeinwohls" nur ein frommer Wunsch sein.
(29) Man stelle sich - auch wenn das heute utopisch erscheinen mag - eine länderübergreifende Massenbewegung vor, in der die Lohnabhängigen die Betriebe besetzen und beginnen, die Produktion in eigener Regie zu organisieren. Wie sollten sie mit ihren zwischenbetrieblichen Beziehungen umgehen? Sie könnten sich sagen: Nichts zwingt uns, an den Organisations- und Verkehrsformen festzuhalten, die wir vom Kapital übernommen haben und die uns in voneinander isolierte und zum Teil konkurrierende Belegschaften auseinanderdividieren, während wir tatsächlich über die gesellschaftliche Arbeitsteilung alle miteinander verbunden sind. Assoziieren wir uns doch auf gesellschaftlicher Ebene, wie wir auf betrieblicher Ebene assoziiert sind - ohne die Produkte gegen Geld zu tauschen. Befreien wir unsere Beziehungen vom bornierten Kalkül des Privateigentums und des Betriebsegoismus, von der Fessel des Geldes, das doch nur der Verewigung und Vermehrung privater Macht über unsere Arbeit dient. Organisieren wir direkte kooperative Beziehungen zu den Belegschaften der liefernden wie der beziehenden und der bisher konkurrierenden Betriebe, verbünden wir uns mit den individuellen Konsumenten (zu denen wir selbst ja auch zählen) und bilden wir gemeinsame Organe öffentlicher Selbstverwaltung, um die gesamte Produktion in den Dienst des gesellschaftlichen Nutzens und Bedarfs zu stellen und nach humanen und ökologischen Maßstäben umzugestalten... Selbstorganisation der gesellschaftlichen Arbeit durch die assoziierten Produzenten im Bündnis mit den Konsumenten auf Basis der gemeinsamen Aneignung sämtlicher Produktionsmittel - das wäre die Aufhebung von Privatarbeit und Austausch, damit auch der Warenform der Produkte, der Lohnabhängigkeit und des Wertgesetzes. Und es wäre das Ende aller verselbständigten staatlichen Sonderformen und -funktionen des gesellschaftlichen Produkts, wie Steuern und Sozialabgaben, Subventionen und Sozialleistungen, samt der davon lebenden Apparate!
(29.1) Re: Ein alternatives Szenario, 06.12.2002, 19:00, Horst Ribbeck: Nachdrücklich zustimmend und ergänzend - und sei's noch so utopisch - stelle dir vor eine Selbstverwaltungs-u. Kommunikations-Struktur, die NICHT einen "gerechten" AUSTAUSCH organisiert, sondern eine den menschlichen Bedürfnissen angemessene Verteilung aller Produkte und eine allgemeine Zugänglichkeit aller Recourcen mit dem erklärten Entwicklungsziel - jeder Mensch kann sich selbstverständlich nehmen was und soviel er braucht Und jeder Mensch "arbeitet" was und soviel er kann. (Ein wenig ist es schon so bei Linux)
So viel scheint mir sicher, eine solche Gesellschaft wäre mit Sicherheit effizienter - gemessen an den vitalen Bedürfnissen der Menschen - als die jetzige.
Um mal das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen - vom real zu beobachtenden Energieverbrauch der Menschheit her - sozusagen phänomenologisch:
Alle Tätigkeiten zur Aufrechterhaltung unserer Fetischmaschine (Geldmaschine - Austauschmaschine - Wertverwertunsmaschine etc.) könnten entfallen ohne den gesellschaftlichen Reichtum um ein Jota zu mindern:
Buchführungen
Lohnbüro's
Kassen
Banken
Versicherungen
Finanzämter
Sämtliche Strukturen zur Sicherung des Eigentums wie
Polizei
Justiz
Armee
Und in der Folge sämtliche hierfür nötige Produktion und Recourcenverbrauch wie
Kassen
Bankpaläste incl. Geldautomaten
Versicherungspaläste
Regierungsgebäude
Polizeipräsidien
Gefängnisse
Kasernen
Alle Arten von Waffen von der
Personenmine über
Panzer
Bomber und
Flugzeugträger bis hin zur
Atomrakete
Und ein erheblicher Teil des Straßennetzes samt Autokaravane.
Auch Al Kaida
Die Liste ist ergänzungsbedürftig!
(29.1.1) Re: Ein alternatives Szenario, 13.08.2005, 12:59, Rolf Köhne: Das Problem ist der Übergang! Wieviel Zeit wird der Prozess der Selbstorganisation der weltweit assoziierten Produzenten in Anspruch nehmen? Wovon und wie werden die assozierten Produzenten während des Prozesses der Selbstorganisation leben? Wie wird der weltweite Verständigungsprozess über Produktion und Verteilung organisiert sein? Werde ich noch morgens meinen Kaffee bekommen? Wenn letzteres nicht gewährleistet ist, werde ich notgedrungen versuchen, mit den Kaffeepflückern ins "Geschäft" zu kommen, also zum Austausch zurückkehren. Andere, deren Bedürfnisse unbefriedigt bleiben, die sie aber durch Austausch befriedigen könnten, werden dies notgedrungen auch tun. Solange ich keine Gewissheit habe, dass mit der Weltrevolution etwas besseres entsteht, werde ich mich nicht an ihr beteiligen. Das alternative Szenario ist naive Spinnerei, solange diese Fragen ungeklärt bleiben.
(30) Anmerkungen:
[1] Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1974, S. 76
[2] Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 92, bzw. Grundrisse, a.a.O., S. 77; Hervorhebungen von mir
[3] MEW Bd. 23, S. 791
[4] Deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S. 34
[5] Zur Judenfrage, MEW Bd. 1, S. 354