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Umweltschutz von unten: Ökosteuer-Kritik
Maintainer: Jörg Bergstedt, Version 1, 30.09.2000
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv
(1) 1. Ökosteuern sind gefährlich Die (unbestreitbar vorhandenen) positiven Wirkungen linearer Ökosteuern resultieren vor allem aus der Verteuerung des Rohstoffverbrauchs. Dadurch wird selbiger eingeschränkt, zumindestens dort, wo die finanziellen Mittel fehlen, die Mehrkosten zu tragen, oder das Investitionskapitel für Modernisierungen vorhanden ist und sich rechnet. Doch diesen Vorteilen stehen eklatante Nachteile gegenüber, die in der Diskussion kaum oder nicht genannt werden:
(2) Mit der Einführung der Ökosteuer überläßt die Politik (in Deutschland: Parlamente und Regierungen) erneut ein Handlungsfeld dem Spiel der Kräfte am Markt (Deregulierung). Dieses Kräftespiel ist aber nicht gleichberechtigt, sondern aufgrund etlicher Gesetze und Verordnungen sowie durch den Einfluß auf die zentralen Verbände und die Regierungen sind große Konzerne bevorteilt. Durch die größeren Möglichkeiten, vor allem finanziellen Ressourcen, können große Konzerne auf die Einführung der Ökosteuer besser reagieren als kleine (Modernisierung, Rationalisierung). Mit der Ökosteuer regelt ein ökonomisches Mittel die Verteilung der Ressourcen - und nicht ein demokratisches, d.h. politische Willensbildung. Nicht das, was die Menschen wollen, geschieht, sondern das, was mit Geld bezahlbar ist.
(3) Als Vorteil der Ökosteuerreform wird die Senkung der Lohnkosten angeführt. Dazu ist zunächst festzustellen, daß Deutschland keine hohen Lohnkosten hat. Zwar sind die Löhne und ihre Nebenkosten pro Zeiteinheit höher als in den meisten anderen Ländern, aber nicht bezogen auf die Produktionsleistung (Lohnstückkosten). Damit aber müssen sog. Billiglohnländer konkurrieren. Werden in Deutschland die Lohnkosten gesenkt, so bedeutet das einen unabgefederten Druck auf andere Länder, dieses ebenfalls zu tun, um konkurrieren zu können. Da auch in anderen Ländern die Ausbeutung von Natur und Arbeitskraft nicht demokratisch, sondern ökonomisch bestimmt wird, ist mit einer steigenden Ausbeutung der Menschen zu rechnen.
(4) Eine Entlastung von Lohnnebenkosten wird nur bei ArbeitnehmerInnen greifen. In vielen Bereichen sind aber Strukturen entstanden (und entstehen weiter), in denen scheinbar Selbständige tatsächlich abhängige ZuarbeiterInnen sind, z.B. LKW-FahrerInnen als SpediteurInnen einzelner Betriebe. Bei ihnen werden die Lohnnebenkostensenkungen oft geringer ausfallen, die steigenden Rohstoffpreise müssen sie mit zusätzlicher Selbstausbeutung auffangen. Ein Umstieg auf z.B. die Bahn kommt für sie individuell kaum in Frage.
(5) Wenn Ökosteuern die Wirkung hätten, die ihnen immer nachgesagt wird, stellt sich die Frage, warum sie durchsetzbar sein sollen. Dazu gehört ein hohes gesellschaftliches Durchsetzungspotential im politischen und öffentlichen Raum. Wo das aber besteht, macht es mehr Sinn, statt eines so zweifelhaften bis gefährlichen Instrumentes wie die Ökosteuer lieber die Demokratisierung des Rohstoffverbrauches zu fordern.
(6) Die genannten Gründe reichen aus, die Ökosteuer als solches in Frage zu stellen. Die augenblicklich vorliegenden Vorschläge aber sind in noch weit größerem Umfang untauglich und bedeuten eine zusätzliche Bevorzugung der meisten der ohnehin bevorzugten Großkonzerne. So enthalten z.B. die Ökosteuerkonzepte von Bündnis 90/Grünen eine Ermäßigung von 80 Prozent für alle energieintensiven Konzerne1, das Konzept der Umweltverbände ging 1997 auch von diesem Wert aus2, 1998 wurde in einem neuen Vorschlag der von diesen Konzernen noch zu zahlende Steuerbetrag sogar nochmals halbiert (jetzt 90 Prozent Ermäßigung, d.h. statt 20 Prozent zahlen sie jetzt nur noch 10 Prozent dessen, was andere Firmen zahlen).3 Teile der SPD befürworten eine Ökosteuer mit Ausnahmeregelungen für alle Firmen. Mit dem Parteitagsbeschluß der Grünen für einen Benzinpreis von 5 DM/Liter in zehn Jahren dokumentieren die ÖkosteuerbefürworterInnen auch öffentlich, daß es ihnen vor allem um die Besteuerung der Haushalte, nicht aber der Industrie geht. Die benannten Ausnahmeregelungen bedeuten:
(7) Wer durch Produktionsprozesse relativ viel Energie verbraucht, wird belohnt. In der Praxis sind das vor allem Großkonzerne: Stahl, Aluminium, Kunststoff (ganz besonders die Chlorchemie), Zement oder Kunstdünger. Alle genannten Produktionszweige sollten aus ökologischer Sicht eher verschwinden (bzw. durch Recyclingwirtschaft, Reparatur- und Mietangebote ersetzt werden). Durch die Ermäßigung werden sie aber erhalten, Neuproduktion gegenüber Dienstleistungsangeboten (Mietservice u.ä.) sogar unterstützt, weil letztere die Energiesteuer voll zahlen müssen.
(8) Nach offizieller Statistik haben die Haushalte 1997 ca. 3 Prozent Strom eingespart, während die Industrie den gleichen Anteil zusätzlich verbraucht hat.4 Dennoch sollen jetzt große Teile des Industrieverbrauches entlastet werden (die zahlenmäßig wenigen energieintensiven Konzerne verbrauchen den Großteil der Energie).
(9) Viele der von der Ermäßigung betroffenen Industriezweige sind leistungsstark und fahren zur Zeit große Gewinne ein. Ihnen würden Investitionen zum Rohstoff- und Energiesparen wenig wehtun. Dennoch werden sie entlastet. Belastet werden dagegen andere, die es schwer haben werden, auf die Preissteigerungen zu reagieren (zumal Hilfen zur Produktionsumstellung kaum oder nicht vorgesehen sind). Somit ist eine zunehmende Monopolisierung durch die Ökosteuer zu erwarten, da viele kleinere Betriebe geschwächt werden.
(10) Bei näherer Analyse wird deutlich, daß die jetzt wiederbelebte Debatte um eine ökologische Steuerreform vor allem denen dienen soll, die sie führen: Der Partei Bündnis 90/Grüne sowie Teilen der SPD und den Umweltverbänden.
(11) Große Teile der Grünen sowie die ihnen nahestehenden Kreise der SPD fordern den ökologischen Umbau der Gesellschaft jedoch als Wahlkampfthema, ohne in tatsächlich zu wollen. Im Kern weisen die Programme beider Parteien eine ähnliche neoliberale Politik (Ökonomie vor Politik) auf wie die von CDU, F.D.P. und anderen. Die Ökosteuer dient als Feigenblatt für einen neoliberalen Kapitalismus im "grünen Mäntelchen" und wird als Fortschritt für den Umweltschutz bezeichnet. Das aber wird sie nicht sein (siehe oben), vor allem aber nicht als Beiwerk zu sonstigen politischen Beschlüssen, die ökologische Ziele völlig verfehlen.
(12) Für die Umweltverbände bietet sich die Chance, in der Erwartung eines rotgrünen Regierungswechsels das eigene Image aufzupolieren und sich nachdrücklich bei SPD und Grünen als loyale Organisationen zu empfehlen. Die aktuelle Ökosteuerkampagne der Verbände DNR, BUND und NABU ist inhaltlich mit den Grünen sowie Kreisen der SPD um deren Umwelt-Männer Ernst-Ulrich von Weizsäcker und Michael Müller abgestimmt, wird von den Grünen finanziert, zudem stehen einige der im Vordergrund aktiven Personen auf aussichtsreichen Listenplätze der SPD oder der Grünen für die Bundestagswahl. Für die Zeit nach der Wahl erhoffen sich die Verbände so, künftig in der ersten Reihe stehen zu können als PolitikberaterInnen, ZuschußempfängerInnen usw. Für die SpitzenfunktionärInnen winken Ämter und Anstellungen in Ministerien, Fachämtern, Gremien und Kommissionen. Hinzu kommt, daß die Ökosteuer auch in weiten Kreisen der Industrie bis hin zur Großindustrie beliebt ist. Dadurch gelingen inzwischen gemeinsame Werbekampagnen z.B. mit Daimler-Firmen oder Chemiekonzernen. Die Spenden aus dem Bereich der Großkonzerne nehmen zu.
(13) Das Eintreten für die Ökosteuer paßt in die Entwicklung der Umweltverbände seit ca. einem Jahrzehnt. Konfrontative Aktionsstrategien werden gemieden. Dafür gibt es angesichts von Deregulierung, neuem Atomgesetz, Globalisierung usw. keinen inhaltlichen Grund, sondern nur den des Eigennutzes. Die Verbände nehmen Platz an den Tischen der Mächtigen. Dadurch steigt ihre Durchsetzungsfähigkeit nicht, aber die individuellen Karrierechancen der Beteiligten, der Zugriff auf Informationen und Fördergelder sowie Imageerfolge, weil die Mitarbeit an den Verhandlungstischen suggeriert, daß das Gewicht der beteiligten Organisation entsprechend hoch ist.
(14) Die Ökosteuer bringt in der Sache wenig und ist mit erheblichen Gefahren verbunden. Die aktuell vorliegenden Ökosteuervorschläge sind noch zusätzlich entschärft, verringern die wenigen positiven Wirkungen und verstärken die negativen. Statt der aktuell diskutierten Vorschläge für eine Steuerreform sind sinnvoll:
(15) Eine Ökosteuer ist in weiten Teilen überflüssig, wenn nur die ständigen Subventionen abgebaut würden. So erhalten z.B. große Konzerne ihren Strom zu Preisen, die nur einen kleinen Teil der Kosten für Haushalte ausmachen. Flugbenzin ist steuerfrei. Wer viel verbraucht, erhält also Rabatt. Das widerspricht jeglichem ökologischen Ansatz und der Forderung nach linearen Tarifen. Erster Schritt muß also sein, die Energiepreise so anzugleichen, daß nicht die am wenigsten zahlen, die am meisten verbrauchen, also die Umwelt am meisten belasten. Wenn dann eine Ökosteuer hinzukommt, muß sie dort wirken, wo die Einsparpotentiale am größten sind, d.h. bei den GroßverbraucherInnen der Industrie und überall dort, wo Energie überdurchschnittlich verbraucht wird. So könnte beispielsweise pro Haushalt bzw. pro Person eine Grundenergiemenge unbesteuert bleiben und die Ökosteuer nur für den Mehrverbrauch gelten, dann aber mit höheren Sätzen. Ähnlich könnte mit Betrieben vorgegangen werden. Ermäßigungen für energieintensive Betriebe sind Unsinn es muß Ziel sein, diese Produktionsbereiche zu ersetzen (Substitution).
(16) Natur, damit auch die Rohstoffe, sind Teil der menschlichen Umwelt. Die Menschen sind die Betroffenen jeglicher Nutzung und Belastung. Schon die Übernahme der Entscheidungskompetenz in anonyme, nicht betroffene Parlamente und Regierungen entdemokratisiert die alle Menschen betreffende Frage des "Verbrauchs" von Natur. Noch schlimmer wird es, wenn nun Parlamente und Regierung sich selbst durch Regelungen entmachten, die zukünftig die Frage des Natur"verbrauchs" noch mehr zum Gegenstand ökonomischen Handelns machen, also zu einer Frage des Geldes. Statt ökonomischer Regelungen sollte der Verbrauch von Flächen und Ressourcen demokratisiert werden, d.h. die Menschen der jeweiligen Region entscheiden über die Nutzung der Natur, in der sie leben. Nötig ist nicht eine Ökosteuer, sondern ein Menschenrecht auf die Entscheidungsgewalt über die eigene Umwelt.
(17) 1 Pressemitteilung 584/96 vom 3.7.1996 der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Redebeitrag von MdB Michaela Hustedt am 3.7.1996 vor der Presse in Bonn. FR-Text am 4.7.1996: "Auch Grüne wollen Industrie von Ökosteuer entlasten". 2 Deutscher Naturschutzring (1997): Ökologische Steuerreform, Positionspapier. Bonn. DNR-Kurier 6/1997, S. 4. 3 C. Krebs, D. Reiche, M. Rocholl (1998): Die ökologische Steuerreform. Birkhäuser, Basel. 4 Kurzmeldungen Tagespresse Der Text stammt von August 1998, leicht aktualisiert nach Veränderung der vor der Wahl angekündigten Steuersätze.
(18) Originalzitat: Ökologische Steuerreform als marktorientierter Umweltschutz (Quelle: Auszug aus der Zeitschrift Kommune 9/96, S. 45) Der Text stammt von Michael Jäger und heißt "Ökologischer Umbau durch Befreiung des Marktes": "So ist das Ökosteuer-Konzept tief in der freien Marktwirtschaft verwurzelt, in dem es die ökologische Krise in Begriffen von "Angebot und Nachfage" definiert. ... Das Ökosteuer-Konzept kommt einer "naiven Verherrlichung des Marktes" leider ziemlich nahe."
(19) Originalzitat: Ökologische Steuerreform als Wirtschaftsmotor (Quelle: Aussagen von Martin Jänicke im Film "Zukunftsfähiges Deutschland", focus-Film). Der Film wird u.a. vom BUND vertrieben. Prof. Martin Jänicke arbeitet an der Universität Berlin und gilt als Experte für die ökologische Steuerreform und Befürworter der modernen ökologisch-ökonomischen Instrumente. "Man muß im Gegenteil befürchten, daß Deutschland seine Vorreiterrolle im Umweltschutz in der Europäischen Union verliert. Wir sind ja der weltgrößte Exporteur von Umweltschutz-Technik. Und das hat mit unserer Umweltpolitik viel zu tun gehabt, und seitdem die nachläßt, ist durchaus zu befürchten, daß wir diese Position verlieren." und "Ich denke, es ist außerordentlich wichtig, daß man in der Tat so eine Steuerreform wirtschaftsverträglich einführt."