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Programm der Partei des Demokratischen Sozialismus
Maintainer: Arne List, Version 2, 29.07.2000
Projekt-Typ:
Status: Archiv
(1) Die Partei des Demokratischen Sozialismus gibt sich dieses Programm in einer Zeit, die durch geschichtlich beispiellose Umbrüche in den globalen Entwicklungsbedingungen, eine Existenzkrise der gesamten Menschheit und das Scheitern des sozialistischen Versuchs in Osteuropa gekennzeichnet ist. Der wirtschaftliche und soziale Niedergang, die massenhafte politische Ausgrenzung in Ostdeutschland, Demokratie-, Sozial- und Rechtsabbau, großmachtpolitische, nationalistische und rechtsextremistische Tendenzen in ganz Deutschland nehmen bedrohliches Ausmaß an. Viele Fragen nach der eigenen Geschichte sind noch nicht beantwortet, viele Fragen nach der Zukunft nicht beantwortbar. Wir sind Mitglieder einer Partei, die aus unterschiedlichen Traditionen hervorging. Die Ursprünge unserer Partei liegen im Aufbruch des Herbstes 1989 in der DDR, als wir aus der SED heraus dazu beitragen wollten, die Gesellschaft in der DDR umfassend zu reformieren. Je näher der Anschluß der DDR an die alte Bundesrepublik Deutschland rückte, um so notwendiger wurde eine organisierte Zusammenarbeit von Sozialistinnen und Sozialisten aus Ost- und Westdeutschland. Deshalb entschieden wir uns, als Partei in ganz Deutschland zu wirken. Uns verbindet der entschlossene Kampf gegen politische Entmündigung, soziale Demontage und Zerstörung der menschlichen Würde. Uns eint das Streben nach einer Welt des Friedens, der Freiheit, der sozialen Gerechtigkeit und der Demokratie. Gemeinsam sind wir der Ansicht, daß der kapitalistische Charakter der modernen Gesellschaften ursächlich verantwortlich ist für die Gefährdung der menschlichen Zivilisation und Kultur, den militaristischen Charakter der internationalen Beziehungen, die Krise der globalen Ökosphäre und das unbeschreibliche Elend vor allem auf der südlichen Hemisphäre. Wir sind uns daher einig, daß die Herrschaft des Kapitals überwunden werden muß. Die Menschheit muß bei Strafe ihres Untergangs in historisch kurzer Zeit einen Ausweg aus ihrer bisherigen zerstörerischen Entwicklungslogik finden. Auf die humanistischen und demokratischen Traditionen der sozialistischen Idee und die Erneuerung sozialistischer Politik darf bei der Suche nach einer menschlichen Lebensperspektive nicht verzichtet werden. Betroffen und nachdenklich angesichts der Irrtümer, Fehler und Verbrechen, die im Namen des Sozialismus begangen wurden, befragen wir kritisch im Bewußtsein unserer eigenen Verantwortung für die Entstellung der sozialistischen Idee unsere geistige und politische Tradition. Gleichzeitig widersetzen wir uns der erinnerungslosen und resignativen Kapitulation vor den selbsternannten Siegern der Geschichte.
(2) Am Ende unseres Jahrhunderts bestimmen die entwickelten kapitalistischen Industriestaaten die wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Verhältnisse der Welt. Der mit der Oktoberrevolution 1917 begonnene Versuch, die kapitalistische Produktionsweise, Ausbeutung und Unterdrückung zu überwinden, ist in Europa gescheitert.
(3) Die Volksbewegungen in den osteuropäischen Ländern führten am Ende der 80er Jahre zum Zusammenbruch der erstarrten politischen Herrschaftssysteme und setzten für kurze Zeit wesentliche Demokratisierungen des gesellschaftlichen Lebens in Gang. Heute zeigt sich: Die herrschende kapitalistische Produktionsweise und die dominierenden politischen Systeme verhinderten, daß die demokratischen und sozialistischen Ideale dieser Bewegungen verwirklicht werden konnten.
(4) Mit dem Ende des "sozialistischen Weltsystems" ist keineswegs weltpolitische Stabilität entstanden. Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. In Afrika, Asien und Lateinamerika verschärfen sich alte und entstehen neue Krisenherde. Auch in Europa spitzen sich soziale und ethnische Probleme zu. Kriegerische Konflikte dauern an. Die führenden kapitalistischen Staaten streben eine Weltordnung an, die ihre Vorherrschaft politisch und militärisch ausbaut. Eine neue, sozial gerechte und ökologisch verantwortbare Weltwirtschaftsordnung ist nicht inSicht. Das internationale Finanzkapital hat seine Eigenständigkeit und Stärke weiter ausgebaut. Die transnationalen Konzerne werden immer mächtiger. Ein weltweit geführter Hochtechnologie-Wettbewerb zwischen den kapitalistischen Machtzentren verschlingt wesentliche Entwicklungspotenzen der gegenwärtigen Welt und wirkt global zerstörerisch. Die übergroße Mehrheit der Menschen bleibt von den Entscheidungen ausgeschlossen, die von Wenigen in den kapitalistischen Metropolen ohne Rücksicht auf die globale soziale, ökologische und politische Entwicklung getroffen werden. Die Dominanz des Profitprinzips, die soziale Ungerechtigkeit, die Einschränkung von Menschenrechten und Lebenschancen sowie die Ausgrenzung von Betroffenen aus der Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse stehen einer Lösung der Menschheitsprobleme entgegen.
(5) Die zentralen, miteinander verbundenen Probleme unserer Zeit sind die fremdbestimmte, deformierte und zunehmend in Katastrophen führende Entwicklung in vielen Ländern des Südens und des Ostens, die Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen sowie die nach wie vor betriebene Hochrüstung und die Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens.
(6) Die ökonomischen und ökologischen Lebensgrundlagen der Mehrheit der Weltbevölkerung im ausgeplünderten Süden sind weitgehend zerstört. Unterentwicklung, Verelendung, Massensterben durch Hungersnöte und Seuchen, ökologische Zusammenbrüche und Kriege erzeugen die Gefahr unbeherrschbarer Katastrophen. In den entwickelten kapitalistischen Industriestaaten wurden die sozialen Konflikte jahrzehntelang zwar gedämpft, zugleich haben sie sich jedoch im Weltmaßstab verschärft und existentielles Ausmaß angenommen. Das gesellschaftliche Modell der kapitalistischen Metropolen kann keine Orientierung für die Lösung der Probleme des Südens und des Ostens sein.
(7) Die ökologische Krise spitzt sich in raschem Tempo zur weltweiten Überlebensfrage zu. Sie entspringt dem immer expansiveren Austausch zwischen Mensch und Natur, dem ausbeuterischen Charakter des kapitalistischen Produktions- und Konsummodells und der Zerstörung traditioneller Lebensformen in den unterentwickelt gehaltenen Ländern. In den nächsten Jahrzehnten drohen regionale und globale Zusammenbrüche der Ökosysteme. Deshalb muß alles getan werden, damit die Zeit zum radikalen Umbau der Produktions- und Lebensweise nicht unwiederbringlich verlorengeht.
(8) Hochrüstung und Kriegsgefahr bleiben eine globale Bedrohung. Die von den kapitalistischen Großmächten dominierte "neue Weltordnung", der Kampf der Machtzentren USA, Japan und Westeuropa um Einflußsphären, die damit verbundene Hochtechnologierüstung und die Aufstellung von Eingreiftruppen spitzen die Gefahr von Kriegen dramatisch zu. Die Militärausgaben werden nicht spürbar gesenkt. Sie verschlingen nach wie vor dringend gebrauchte Ressourcen. Radikale Abrüstungsschritte, die Ächtung des Rüstungsexports und die Entmilitarisierung der internationalen Beziehungen sind unabdingbar geblieben, wenn verheerende Kriege verhindert werden sollen.
(9) Die Hauptursachen für die globalen Probleme sind die kapitalistische Produktions-, Verteilungs-und Konsumtionsweise in den Herrschaftszentren der Weltwirtschaft sowie die Herrschaft des Patriarchats. Die bürokratisierte Konkurrenz- und Konsumgesellschaft ist das übergreifende soziale Problem unseres Erdballs. Die von dort ausgehende Unterordnung des menschlichen Lebens unter die Zwänge des Weltmarkts sowie hemmungslose Natur- und Ressourcenvergeudung stellen die Existenz der menschlichen Zivilisation in Frage. Diese Gesellschaftsstruktur demokratisch zu überwinden, dabei ihre entwicklungsoffenen Potenzen und zivilisatorischen Errungenschaften zu bewahren und auszubauen - das ist die wichtigste Herausforderung der Gegenwart.
(10) In früher ungekannter Dynamik entwickeln sich die produktiven Kräfte und das gesellschaftliche Leben in den kapitalistischen Metropolen. Diese vom Kapital beherrschte Dynamik hat einen letztlich zerstörerisch wirkenden "Fortschritt" hervorgebracht. Ein die Natur vernichtendes Wachstum, patriarchale Strukturen, die Zwänge des Arbeitsmarktes, soziale Ausgrenzung, bürokratische Unterordnung, vermarktete und manipulierende Massenmedien stehen der Selbstbestimmung, der Individualitätsentfaltung der Menschen und einer solidarischen Gemeinschaftlichkeit entgegen. Massenarbeitslosigkeit, Frauenunterdrückung, Kinder- und Jugendfeindlichkeit, Verfall der allgemeinen und politischen Kultur sowie Demokratieabbau gehören zum Alltag. Antisemitismus kommt wieder auf, Ausländerfeindlichkeit und Rassismusverbreiten sich und werden geschürt. Die heutigen Gesellschaften sind nach wie vor uneingeschränkt männerdominiert.
(11) Für Rechtsstaatlichkeit und sozialstaatliche Regulierung, pluralistische Demokratie und Gewaltenteilung, Öffentlichkeit und elementare Menschenrechtsgarantien sowie Naturerhaltung haben sich die Arbeiterbewegung, liberale, grüne und andere Bewegungen eingesetzt. Das in diesem Kampf Errungene ist durch neokonservative und rechtsextremistische Angriffe bedroht.Es muß verteidigt und erweitert werden. Ein neu entstandener Produktivkrafttyp (flexible Automatisierung, Gruppenarbeit) löst zunehmend die Fließbandfertigung ab. Er bietet neue Möglichkeiten, die Arbeitsprozesse mitzugestalten sowie Ressourcen einzusparen. Gewerkschaftlicher Kampf ist erforderlich, damit diese neuen Möglichkeiten den Beschäftigten, ihrer Persönlichkeitenentfaltung und nicht ausschließlich der maximalen Kapitalverwertung dienen. Es gilt, wirksam in die Auseinandersetzung um die Entwicklung und den Gebrauch von Wissenschaft und Technik einzugreifen, damit mehr und nicht weniger menschliche Emanzipation erreicht wird.
(12) Auch die Sozialstruktur der Gesellschaft hat sich stark verändert. Die Erwerbsarbeit erfaßt nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche und differenziert sich weiter. Widerspruchsvolle Individualisierungsprozesse prägen die Lebensverhältnisse. Es gibt vielfältige Motive für die Menschen, sich für gesellschaftliche Veränderungen zu engagieren. Den von Kapitalverwertung und bürokratischer Verwaltung Privilegierten stehen Lohn- und Gehaltsabhängige in ihrer vielfältigen Differenziertheit sowie eine zunehmende Zahl sozial Ausgegrenzter gegenüber. Die soziale Spaltung der Gesellschaft vertieft sich wieder.
(13) Der Anschluß der DDR an die BRD hat den Gegensatz zwischen Ost- und Westdeutschland nicht aufgehoben. Durch die Politik der Herrschenden wurden weite Regionen in den ostdeutschen Bundesländern deindustrialisiert, die Landwirtschaft wurde zum großen Teil zerstört. Soziale und menschliche Verarmung haben erschreckende Ausmaße angenommen. Wissenschaftliches, wirtschaftliches und kulturelles Potential der DDR wurde "abgewickelt". Diskriminierende Fragebögen sollen würdige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit verdrängen. Gerichtsverfahren an Stelle von Geschichtsdiskussion sind die gewollte Praxis. Durch die Politik der etablierten Parteien werden die ehemaligen Bürgerinnen und Bürger der DDR auf Jahre, wenn nicht auf Jahrzehnte zu Menschen mit eingeschränkten Grundrechten.
(14) Die Entwicklung der Bundesrepublik ist durch vermehrt aufbrechende soziale Konflikte und Verteilungskämpfe gekennzeichnet. Diese ergeben sich nicht nur aus der Art und Weise des Anschlusses der DDR, sondern sind in erster Linie im Charakter der kapitalistischen Gesellschaft selbst begründet. Die unsoziale Durchsetzung des neuen Produktivkrafttyps führt zu umfangreicher Arbeitsplatzvernichtung. Die besondere Krise in Ostdeutschland verschärft sich dadurch und dient den Herrschenden als Hebel, Demokratie und sozialstaatliche Regelungen in ganz Deutschland abzubauen. Das politische System ist offenbar immer weniger in der Lage, die Probleme human und sozial gerecht zu lösen. Purer Machterhalt und kurzfristige Sonderinteressen bestimmen die Politik der etablierten Parteien.
(15) Massenhafte Deklassierung, Verunsicherung, Resignation, Entsolidarisierung und Zukunftsangst bereiten rechtsextremen und rassistischen Stimmungen und Organisationen den Boden. Statt die Ursachen für diese Erscheinungen zu beseitigen, befördert ein großer Teil der politisch Herrschenden rassistische Vorurteile und nationalistische Überheblichkeit. Die politische Achse hat sich nach rechts verschoben. Es soll alles über Bord, was einer Rolle Deutschlands als Vormacht in Europa und als Weltmacht entgegensteht: das Verbot, deutsche Truppen außerhalb des NATO-Gebietes einzusetzen, das Asylrecht, die Tarifautonomie, demokratische politische Kultur. Die PDS wird gegen diese Entwicklungen Widerstand leisten und für Alternativen streiten.
(16) Millionen Menschen setzten sich nach 1945 für den Aufbau einer besseren Gesellschaftsordnung und für ein friedliebendes Deutschland in Überwindung des faschistischen Erbes ein. Das bedarf keiner Entschuldigung. Die antifaschistisch-demokratischen Veränderungen im Osten Deutschlands und später das Bestreben, eine sozialistische Gesellschaft zu gestalten, standen in berechtigtem Gegensatz zur Rettung des Kapitalismus in Westdeutschland, der durch die in der Menschheitsgeschichte unvergleichlichen Verbrechen des deutschen Faschismus geschwächt und diskreditiert war. Zum Sozialismusversuch in der DDR gehören wertvolle Ergebnisse und Erfahrungen im Kampf um soziale Gerechtigkeit, um die Bestimmung der Ziele der Produktion im Interesse der werktätigen Bevölkerung, um ein solidarisches und friedliches Gemeinwesen auf deutschem Boden. Es gab jedoch auch Fehler, Irrwege, Versäumnisse und selbst Verbrechen.
(17) Das Programm der PDS 2. Das Scheitern des sozialistischen Versuchs Millionen Menschen setzten sich nach 1945 für den Aufbau einer besseren Gesellschaftsordnung und für ein friedliebendes Deutschland in Überwindung des faschistischen Erbes ein. Das bedarf keiner Entschuldigung. Die antifaschistisch-demokratischen Veränderungen im Osten Deutschlands und später das Bestreben, eine sozialistische Gesellschaft zu gestalten, standen in berechtigtem Gegensatz zur Rettung des Kapitalismus in Westdeutschland, der durch die in der Menschheitsgeschichte unvergleichlichen Verbrechen des deutschen Faschismus geschwächt und diskreditiert war. Zum Sozialismusversuch in der DDR gehören wertvolle Ergebnisse und Erfahrungen im Kampf um soziale Gerechtigkeit, um die Bestimmung der Ziele der Produktion im Interesse der werktätigen Bevölkerung, um ein solidarisches und friedliches Gemeinwesen auf deutschem Boden. Es gab jedoch auch Fehler, Irrwege, Versäumnisse und selbst Verbrechen. Der Sozialismusversuch in der DDR hat die Lebensgeschichte der Menschen im Osten Deutschlands entscheidend geprägt. Zu ihren Erfahrungen zählen die Beseitigung von Arbeitslosigkeit, weitgehende Überwindung von Armut, ein umfassendes soziales Sicherungssystem, bedeutende Elemente sozialer Gerechtigkeit, insbesondere ein hohes Maß an sozialer Chancengleichheit im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie in der Kultur, neue Rechte für Frauen und Jugendliche. Die DDR war ein Staat, der konsequent mit dem deutschen Großmachtchauvinismus gebrochen hatte. Jedoch war auch die DDR-Gesellschaft nicht in der Lage, einen wirksamen Beitrag zum Ausbruch aus der bedrohlichen globalen Entwicklungslogik zu leisten. Und es ist deutlich geworden, daß ein Sozialismusversuch, der nicht von der großen Mehrheit des Volkes erkämpft, entwickelt und getragen wird, der nicht die Selbstbefreiung des Menschen gewährleistet, früher oder später scheitern muß.
(18) Der Weg im Osten wie im Westen war zunächst vom Willen und Einfluß der jeweiligen Siegermacht und vom Kalten Krieg bestimmt. Ostdeutschland entwickelte sich unter anhaltend ungünstigen äußeren Wirtschaftsbedingungen, litt unter dem Aderlaß der Zahlung von 96 Prozent der Reparationen für ganz Deutschland und der Spaltung des gesamtdeutschen Wirtschaftssystems. Die Embargopolitik der westlichen Länder und dadurch begünstigte Autarkiebestrebungen schlossen die DDR weitgehend von der internationalen Arbeitsteilung außerhalb des RGW aus. Auch innerhalb des RGW wurde keine effektive Arbeitsteilung verwirklicht. Die DDR war einer Bedrohungs- und Konfrontationspolitik ausgesetzt. Die Beteiligung an dem von den kapitalistischen Ländern ausgehenden Wettrüsten verzehrte einen beträchtlichen Teil ihrer Wirtschaftskraft und beschleunigte den Niedergang.
(19) Das Scheitern des sozialistischen Versuchs in der DDR ist ursächlich mit dem Scheitern des Modells der Sowjetunion verbunden. Dem welthistorischen Ereignis der sozialistischen Oktoberrevolution von 1917 verdankt die Menschheit grundlegende günstige Entwicklungen im 20. Jahrhundert. Sie hat den Zusammenbruch des Kolonialsystems befördert und dazu beigetragen, soziale und politische Zugeständnisse an die arbeitenden Menschen in den kapitalistischen Zentren durchzusetzen. Wesentlichen Anteil hatte die UdSSR an der Niederschlagung des deutschen Faschismus. Von Anfang an wurde der Versuch, eine sozialistische Ordnung zu schaffen, aber dadurch beeinträchtigt, daß er am Rande und außerhalb der entwickelteren kapitalistischen Industrieländer erfolgte, in einem sozialökonomisch, politisch und kulturell zurückgebliebenen Land, ständig bedroht von einer kapitalistischen Umwelt. Bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde das, was als Aufbau des Sozialismus gedacht war, durch die von Willkür, Grausamkeit und Bürokratie erfüllte Herrschaft des Stalinismus.
(20) Der Sozialismus in Osteuropa und in der DDR war nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Sein Zusammenbruch war eine notwendige Folge seiner zunehmenden Unfähigkeit, das Eigentum an den Produktionsmitteln in einer für die Produzenten spürbaren Weise zu vergesellschaften. Alle Versuche zur Erneuerung und Rettung des Sozialismus wurden letztlich blockiert. Es gelang nicht, die erforderliche ökonomische Effektivität zu erreichen und sie mit wirtschaftlicher und politischer Demokratie sowie konsequenter ökologischer Orientierung zu verbinden. Die verabsolutierte Entgegensetzung von Plan und Markt führte zum Fehlen von Selbstregulierungsmechanismen in der Wirtschaft und zur Totalplanung. Bürokratische Verstaatlichung beherrschte das gesellschaftliche Leben. Trotz einiger bedeutender Schritte zur Gleichberechtigung und ökonomischen Unabhängigkeit der Frau wurde auch das Patriarchat nicht ernsthaft erschüttert. Die traditionelle Gewaltenteilung wurde abgelehnt, der Sinn demokratischer Wahlsysteme mißachtet; Mitbestimmungs- und Mitentscheidungsrechte wurden deklariert, aber zu selten realisiert. Es kam zu einer falschen, in großem Maße von Mißtrauen gegen die Bevölkerung des eigenen Landes erfüllten Sicherheitspolitik. Hinzu traten Bevormundung der Rechtsprechung, Verletzungen der Freiheit von Wissenschaft und Kultur, Mediengängelei. Eine überzeugende alternative gesellschaftliche Produktions- und Lebensweise mit dem Ziel solidarischer Individualitätsentfaltung und im Einklang mit der Natur wurde nichtgeschaffen.
(21) Immer deutlicher wurde: Eine demokratische sozialistische Gesellschaft, nicht bestimmt vom Profitprinzip, kann nur auf den gemeinsamen Anstrengungen unterschiedlicher sozialer und politischer Kräfte basieren, oder sie muß untergehen. Sie braucht die Austragung der realen Widersprüche, Kompromiß und Konsens, Toleranz und demokratische Offenheit in einem pluralistischen Prozeß politischer Willensbildung. Wir brauchen neue Zugänge zu Theorie und Praxis des Sozialismus.
(22) Unsere heutige Kritik am sozialistischen Versuch läuft weder auf Abwertung der vergangenen gesellschaftlichen Verhältnisse noch auf Ablehnung oder auf Nichtachtung des persönlichen Einsatzes von Frauen, Männern und Jugendlichen hinaus. Für die Geschichte, Gegenwart und Zukunft Deutschlands wie auch für die Politik demokratischer Sozialistinnen und Sozialisten in diesem Land ist es ebenso notwendig, sich mit den Defiziten der DDR-Gesellschaft auseinanderzusetzen, wie die Berechtigung und Rechtmäßigkeit einer über den Kapitalismus hinausgehenden Entwicklung auf deutschem Boden zu verteidigen.
(23) Der Sozialismus ist für uns ein notwendiges Ziel - eine Gesellschaft, in der die freie Entwicklung der einzelnen zur Bedingung der freien Entwicklung aller geworden ist. Sozialismus ist für uns eine Bewegung gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, gegen patriarchalische Unterdrückung, gegen die Ausplünderung der Natur, für die Bewahrung und Entwicklung menschlicher Kultur, für die Durchsetzung der Menschenrechte, für eine Gesellschaft, in der die Menschen ihre Angelegenheiten demokratisch und auf rationale Weise regeln. Sozialismus ist für uns ein Wertesystem, in dem Freiheit, Gleichheit und Solidarität, menschliche Emanzipation, soziale Gerechtigkeit, Erhalt der Natur und Frieden untrennbar verbunden sind.
(24) Die Existenzkrise der Zivilisation macht die Umwälzung der herrschenden kapitalistischen Produktions- und Lebensweise zu einer Frage menschlichen Überlebens. Notwendig sind die radikale Ökologisierung der Gesellschaft und ein neuer Typ des wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritts. Eine solche alternative Produktions- und Lebensweise bedarf einer von Entfremdung befreiten Arbeitswelt und eines Alltags, der nicht durch Konsum als Selbstzweck, sondern durch Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, nicht durch private Nischen in einer Massengesellschaft, sondern durch Individualität und Gemeinschaftlichkeit bestimmt wird.
(25) Es muß darum gehen, die von Profit und Kapitalverwertung bestimmte Entwicklung derVolkswirtschaften und der Gesellschaften zugunsten einer Entwicklung zu überwinden, die von der Verwirklichung gemeinschaftlicher Interessen geprägt ist. Reale Vergesellschaftung setzt demokratische Entscheidungsprozesse auf lokaler, regionaler, nationaler und globaler Ebene voraus. Strategische Entscheidungen über die Richtungen, Normen und Einschränkungen der sozialen, wissenschaftlich-technischen, ökologischen und kulturellen Entwicklung bedürfen bewußter und demokratischer Planung sowie der Mitbestimmung der Produzentinnen und Produzenten, der Kommunen und der gesellschaftlichen Bewegungen.
(26) Bei allen Meinungsunterschieden gehen wir gemeinsam davon aus, daß die Dominanz des privatkapitalistischen Eigentums überwunden werden muß. Eine Vielfalt der Eigentumsformen - private, genossenschaftliche, kommunale und staatliche - ist in den Dienst der Bedürfnisse der Menschen und der Erhaltung ihrer natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen zu stellen. Unterschiedliche Auffassungen bestehen hinsichtlich der Frage, ob die reale Vergesellschaftungvon Eigentum primär durch die Vergesellschaftung der Verfügung über das Eigentum erreichbar ist oder ob der Umwandlung in Gemeineigentum, insbesondere in gesamtgesellschaftliches Eigentum, die bestimmende Rolle zukommen muß.
(27) Die konkreten Ziele der sozialistischen Bewegung ergeben sich aus den realen Widersprüchen und Konflikten und aus den herangereiften Entwicklungspotentialen, nicht aber aus einem abstrakten Geschichtsplan. Angesichts der drängenden Nöte kämpfen wir um alternative Entwicklungswege. Sie werden das Resultat politischer Auseinandersetzungen sein, die bereits heute geführt werden.