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Perspektiven der Gewerkschaftslinken

Maintainer: Ulrich Leicht, Version 1, 28.10.2000
Projekt-Typ:
Status: Archiv

Dortmunder Vorschläge zur Anregung der Wiederaufnahme der Debatte um gewerkschaftliche Perspektiven

(1) V o r b e m e r k u n g 1). Neben dem hier folgenden Einleitungsartikel zur Notwendigkeit der Debatte und zur Erläuterung und Stützung unseres Anliegens und von uns favorisierter Orientierungen haben wir drei Beiträge anzubieten, einen neuen eigenen und zwei von anderen AutorInnen: 1. Helmut Weiss/Ulrich Leicht, Tradierte Konzepte überwinden, Open Theory für die gewerkschaftliche Zukunft - (Light) Version 1.2, "Sieben Thesen. Mehrere Hochzeiten - und ein Todesfall?" 2. Mag Wompel (maintainerin www.labournet de.) "Fetisch Arbeit und die Gewerkschaftslinke" (zu finden unter: http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/bfa-ak.html) Ein hervorragender Artikel, der schon länger auch im Netz steht, aber in der Debatte, unserem Eindruck nach, leider nicht genug Beachtung findet. Er setzt sich anläßlich des "2. Bündnisses für Arbeit ..." in ähnlicher Weise wie der dritte noch ältere Text auch kritisch mit dem Arbeitsfetischismus und anderen Defiziten der Gewerkschaftslinken auseinander. 3. Robert Kurz, "Die deutsche Version der sozialen Paralyse: ein 'Bündnis für Arbeit'" (Das dritte Kapitel des Textes "Letzte Gefechte", der vollständig unter http://www.giga.or.at/others/krisis/r-kurz_die-letzten-gefechte_krisis18_1996.html zu finden ist) Dieser Text setzt sich nicht nur konkret mit dem ersten "Bündniss für Arbeit", sondern auch grundsätzlich mit der Entwicklung der Gewerkschaften in diesem Lande und ihrem Dilemma und möglichen Auswegen auseinander, und verleiht dabei dem aus unserer Sicht für die Debatte um Perspektiven notwendigen wert- und arbeitskritischen Aspekt besonderes Gewicht.

(2) V o r b e m e r k u n g 2). Zum Kreis der Gruppen, die die "Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken" mittragen zählen: AG Betrieb & Gewerkschaft der PDS "Auto-Koordination" Bundesarbeitsgemeinschaft der unabhängigen Erwerbsloseninitiativen (BAG-E) Forum gewerkschaftliche Gegenmacht - Wiesbaden Initiative neue soziale Politik Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen LabourNet Germany Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ÖTV Ruhrkoordination Zukunftsforum Stuttgarter Gewerkschaften Die thematischen Arbeitsgruppen sind: 1.Bündnis für Arbeit 2.Neuorganisation der Gewerkschaft / Funktion der Gewerkschaften im Kapitalismus (siehe hierzu auch die Diskussionsseite "Gewerkschaftsstrategien") 3.Arbeitszeitverkürzung / Soziale Grundsicherung / Sozialpolitik und Verteilungsfrage 4.Weiterentwicklung der "Plattform" 1. Kongress Am 15./16. April 1999 trafen sich in Oberursel/Frankfurt ca. 140 GewerkschafterInnen aus der ganzen Bundesrepublik zur Gründung der "Initiative zur Vernetzung linker GewerkschafterInnen". Am 3./4. Dezember 1999 fand der 2. Kongress der Initiative für Vernetzung der Gewerkschaftslinken in Stuttgart zu den Themen Mitbestimmung, Sozial-, Tarif- und Arbeitzeitpolitik mit ca. 300 Teilnehmern statt. 3. Kongress fand am 27./28. Oktober 2000 in Frankfurt/M. zu dem Hauptthema "Systembruch in der Sozial- und Rentenpolitik. Der Passivität der Gewerkschaften entgegentreten"! statt. Kontaktadresse zur Initiative: Heinz-Günter Lang, Tannenburger Str. 15, PF 1201, 64660 Alsbach-Haehnlein Tel.: 06257-1468

Quo vadis Gewerkschaftslinke? Für einen Perspektivwechsel der um Perspektiven ringenden Gewerkschaftslinken

(3) Das Ringen der Gewerkschaftslinken um eine Perspektive ist nach anfänglichen Bemühungen, Artikeln, Plattformen und Plattform-Weiterentwicklungen (wie die ohnehin im spannenden Punkt 15 abgebrochenen und dann nie weiter geführten, erstmals ansatzweise in neue Richtungen weisenden Thesen Bachmann/Riexinger) zum Stillstand gekommen. Auch wenn die Programm-Gestaltung des jetzigen Kongresses in Frankfurt die Wiederaufnahme der Debatte nicht vorsieht, ist es für eine Gewerkschaftslinke, die diesen Namen auch verdient, existenziell, der Wiederbelebung der klammheimlich eingeschlafenen Debatte um einen Perspektivwechsel, also den notwendigen strategischen Teil der Klärung gewerkschaftlicher Politik, noch einmal auf die Sprünge zu helfen.

(4) Natürlich ist es nicht falsch sich konkreten Themen zu widmen - Renten, Tarifpolitik, Mitbestimmung. Ohne Frage sind wir dort mit neuen Angriffen auf soziale Errungenschaften konfrontiert, die aber auch nicht nur Ergebnisse des konkret verabredeten Bündnisses Nr.2, sondern Folge schon immer auch solch weniger offiziell bzw. unter anderen etiketten betriebener Bündnispolitik bundesdeutscher Gewerkschaften schlechthin geschuldet sind. Zumindest werden sich von alleine aus dem Tummeln auf den von kapitalistischen Marktfetischisten, Politik, Staat vorgegebnen konkreten Politikfeldern keine neuen Perspektiven ergeben, es besteht eher die Gefahr bzw. bewahrheitet sich schon, daß ohne die grundätzliche, strategische und für uns heißt das auch systemsprengende Orientierung diesen eben auch selbige fehlt oder abhanden kommt. Was jetzt stattfindet ist ja alles andere als neu. Jetzt werden nur vorwiegend altbekannte Konzeptionen (versuchtes Revival von Keynes versus Neoliberalismus, "rheinisch-kapitalistisches Sozialpartnerschaftsmodell" gegen "angelsächsisch radikal-marktwirtschaftlichen Shareholder-Kapitalismus") gemeinsam von Kräften angegangen, die bis vor einiger Zeit nicht an einem Tisch, in gemeinsamen Arbeitsausschüssen usw. saßen. Für deutsche Verhältnisse und linke Streitkultur ist dies ja nicht wenig aber reicht das aus? Bleibt es nicht letztlich schön deutsch bieder, anbiedernd und hausbacken?

(5) Wer beispielsweise seit zwei Jahren mit dem Konzept eines "Bündnis für Arbeit ..." als neuer Etappe des Sozialparterschaftsmodells à la BRD in Form des Korporatismus für den Fetisch Standort und Wettbewerb als Krisenbewältigungsmodell konfrontiert ist und sich als Linke nicht dazu aufraffen kann, 1. ein grundsätzliches Nein gewerkschaftlichen Engagements dagegen in den Mittelpunkt zu rücken und dort 2. eine neue wegweisende Perspektive jenseits der Slogans "Für eine neue Poltik", "Arbeit für alle", "Vollbeschäftigung", "soziale Gerechtigkeit" usw. also "Einforderung der Wahlwerbeslogans" zu entwicklen, der wird kein besseres Schicksal erfahren, und hat es auch nicht verdient, als die real existierenden bundesdeutschen Gewerkschaften - Auslaufmodell. Für uns als leidenschaftliche Anhänger einer konkreten ver.di-Politik, die hätte sein können und müssen die Möglickeit eines Neuansatzes und Runderneuerns bisheriger klassischer Gewerkschaftspolitik, stellen wir fest, dies gilt leider auch für die reale "ver.di"-Gewerkschaft (ob als "5er" oder noch schlimmer "4+1"- Variante) - gestorben, bevor richtig geboren, ein megagroßer Papiertiger ohne Krallen, mit alten Inhalten und keinesfalls neuen und umwälzenden, weil Matrix-Strukturen, wie unsere geschätzte IG-Medien-Kollegin Sybille Stamm meint.

Die "Linke" hat viele Gesichter - die Debatte muß geführt werden

(6) Da wir alle miteinander suchende und fragende sind, finden wir es richtig, daß nicht auf "Deubel komm raus" versucht werden soll, diesen Findungsprozeß durch Verabschiedung von Plattformen zu behindern oder auf falsche Kompromisse und Konsense einzufrieren. Das wäre nur die Kehrseite des jetzt eingetretenen Aussetzens der Debatte. Denn es steht ja außer Frage, daß sich in dieser Vernetzung, und das muß so sein, real sehr unterschiedliche Kräfte der Linken versammeln. Da der Punkt 15 in den Thesen "Linke Strömumg in den Gewerkschaften" vielleicht auch nicht zufällig noch aussteht, haben wir uns ja diesen notwendigen Klärungen auch über Vergangenes noch nicht gestellt. Uns ist noch im Ohr die Intervention von Wolfgang Schaumberg (GoG Bochum) 1999 in Stuttgart "Was ist eigentlich links an dem, was wir hier veranstalten?".

(7) Denn wie Wolfgang haben natürlich etliche der Teilnhmer an diesen Runden als Gewerkschaftsmitglieder schon sehr konkrete, auch konfrontative und dennoch auch erfolgreiche gewerkschaftsoppositionelle Politik - z. B. mit oppsitionellen Listen zu Betriebsratswahlen (1972/1975 - einige von uns haben entsprechende Erfahrungen und an Bemühungen um Sammlung dieser Kräfte zu einer Vernetzung der Gewerkschaftsopposition vor mehr als 25 Jahren, die mißlang und KPD/ML-parteigelengt zu einer verfehlten Neuauflage der RGO in engeren Zusammenhängen pervertierte, teilgenommen). Der Großteil der anderen Teilnehmer der jetzigen Vernetzung, stand diesen Ansätzen, sofern er sich damals links einordnete, nicht nur kritisch sondern in altlinker Manier "feindlich" und mit dem Vorwurf "Spaltungsmanöver" gegenüber. Während mancher Wortführer der Gewerkschaftslinken heute damals vielleicht Befürworter der Unvereinbarkeitsbeschlüsse war, befinden sich unsere anwesenden Gewerkschaftsoppositionellen aus dem Chemiebereich noch heute weitgehend im "Exil" und wurden und mußten nicht wie die Freunde von Opel Bochum oder Hoesch-Spundwand, deren Kämpfe und Engagement wir zurecht als ermutigende Beispiele heute hochhalten, wieder in die Gewerkschaft, in ihrem Fall die IG Metall, aufgenommen werden.

(8) Oder welche Schlüsse sind zu ziehen aus den Erfahrungen des Versuchs der Betriebs- und Gewerkschaftslinken um "express", eine antikapitalistische Perspektie aus "sozialistischer Betriebs- und Gewerkschaftspolitik" zu gewinnen? Den am meisten angesehenen und sozusagen salonfähigen Part - auch in akademisch-wissenschaftlicher und gewerkschaftlicher Landschaft verankert und zumindest geduldet - spielt das Spektrum um das Forum Gewerkschaften von Sozialismus. Diese Nähe oder auch Teilhabe zu offizieller Gewerkschafts-und anderer Politik und akzeptierter Präsens in verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen kann eine Bereicherung sein, sie kann aber auch, wenn - wie es uns momentan der Fall zu sein scheint - als dominierendes Moment zu einer Blockade des Findens der dringend neuen Perspektiven sozialkritischen Engagements von Gewerkschaftern werden.

(9) Deshalb plädieren wir für eine Wiederaufnahme und Fortführung auch der Perspektiven-Debatte, als eine offene, heißt: laßt verschiedene Ansätze sich präsentieren, zurren wir keine falschen zu engen Konsense per Plattform oder Aufrufen fest. Vielleicht könnte (wenn noch vorgesehen) das zu Ende geschriebene Thesenpapier (Bachmann/Riexinger) der Basistext für eine "open theory" gewerkschaftlicher Perspektiven sein, den wir in offener Debatte weiterentwickeln können: Das muß nicht vorwiegend auf bundesweiten Treffen sondern kann permanent im Netz stattfinden. Wenn die maintainer von labournet.de (Mag und Dave) es schaffen, sogar dort. Ansosnten holen wir uns Hilfe und Unterstützung bei den "free-software-Protagonisten" aus dem "Oekonux-Bereich", wo sie schon immer offene Debatten um eine andere Gesellschaft in der Tradition der Entwicklung von "wert- und marktfreier Software" wie Linux führen. Wer sich erkundigen will, wie mensch so etwas macht, schaue auf die websites: http//www.opentheory.org/ bzw. http//www.oekonux.de/.

Unser eigener Ansatz - Hintergrund unserer Thesen

(10) Auch für Gewerkschaften und erst recht Gewerkschaftslinke gilt bzw. wird heute möglicherweise mehr denn je aktuell, da die Aufgabenteilung zwischen politischern Parteiformationen der Arbeiterklasse und trade-unions endgültig obsolet geworden ist und auch bleiben sollte, was Marx in den bekannten Passagen am Ende seiner Schrift "Lohn, Preis und Profit" zu der Aufgabe von Gewerkschaften gesagt hat:

Remember Marx

(11) "... daß die ganze Entwicklung der modernen Industrie die Waagschale immer mehr zugunsten des Kapitalisten und gegen den Arbeiter neigen muß und daß es folglich die allgemeine Tendenz der kapitalistischen Produktion ist, den durchschnittlichen Lohnstandard nicht zu heben, sondern zu senken oder den Wert der Arbeit mehr oder weniger bis zu seiner Minimalgrenze zu drücken. Da nun die Tendenz der Dinge in diesem System solcher Natur ist, besagt das etwa, daß die Arbeiterklasse auf ihren Widerstand gegen die Gewalttaten des Kapitals verzichten und ihre Versuche aufgeben soll, die gelegentlichen Chancen zur vorübergehenden Besserung ihrer Lage auf die bestmögliche Weise auszunutzen? Täte sie das, sie würde degradiert werden zu einer unterschiedslosen Masse ruinierter armer Teufel, denen keine Erlösung mehr hilft. Ich glaube nachgewiesen zu haben, daß ihre Kämpfe um den Lohnstandard von dem ganzen Lohnsystem unzertrennliche Begleiterscheinungen sind, daß in 99 Fällen von 100 ihre Anstrengungen, den Arbeitslohn zu heben, bloß Anstrengungen zur Behauptung des gegebnen Werts der Arbeit sind und daß die Notwendigkeit, mit dem Kapitalisten um ihren Preis zu markten, der Bedingung inhärent ist, sich selbst als Ware feilbieten zu müssen. Würden sie in ihren tagtäglichen Zusammenstößen mit dem Kapital feige nachgeben, sie würden sich selbst unweigerlich der Fähigkeit berauben, irgendeine umfassendere Bewegung ins Werk zu setzen. Gleichzeitig, und ganz unabhängig von der allgemeinen Fron, die das Lohnsystem einschließt, sollte die Arbeiterklasse die endgültige Wirksamkeit dieser tagtäglichen Kämpfe nicht überschätzen. Sie sollte nicht vergessen, daß sie gegen Wirkungen kämpft, nicht aber gegen die Ursachen dieser Wirkungen; daß sie zwar die Abwärtsbewegung verlangsamt, nicht aber ihre Richtung ändert; daß sie Palliativmittel anwendet, die das Übel nicht kurieren. Sie sollte daher nicht ausschließlich in diesem unvermeidlichen Kleinkrieg aufgehen, der aus den nie enden wollenden Gewalttaten des Kapitals oder aus den Marktschwankungen unaufhörlich hervorgeht. Sie sollte begreifen, daß das gegenwärtige System bei all dem Elend, das es über sie verhängt, zugleich schwanger geht mit den materiellen Bedingungen und den gesellschaftlichen Formen, die für eine ökonomische Umgestaltung der Gesellschaft notwendig sind. Statt des konservativen Mottos: "Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk!", sollte sie auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: "Nieder mit dem Lohnsystem!" (...)3. Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems."

Eine neue Gesellschaftskritik entwickeln

(12) Auch im Kampf der Gewerkschaften heute um soziale Emanzipation muss es gelingen, die Dialektik von Reform und Revolution, konkreter gefasst "täglicher Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems " und der "endgültigen Abschaffung des Lohnsystem", zwischen systemimmanenten und systemübergreifenden und -sprengenden Orientierungen und Kämpfen zu bewerkstelligen. Wobei ersteres ohne eine Perspektive letzterer Art nicht zu machen und auch nicht durchzuhalten ist. * Wiederholte Neuauflagen auch in Varianten einer alten systemimmanent beschränkten Politik machen noch keine neue Politik und schon gar keine Perspektive aus. * Die Krisenwirklichkeit und innere Widersprüchlickeit des warenproduzierenden kapitalistischen Systems darf nicht ausgeblendet werden. Denn diese Krisenwirklichkeit hat auch den klassischen Reformismus und seine Konzepte in selbige gebracht.

(13) * So flotte Spüche wie "Geld ist genug da - wir müssen es nur richtig verteilen" akzeptierten nicht nur die kapitalistische Fetischwelt von Geld und abstraktem Reichtum, sondern verbauen auch den Weg zu einer Analyse und Kritik der realen politischen Ökonomie heute, die offenbar gekennzeichnet ist von strukturellen Krisen auch der Kapitalakkumaltion (mehrfacher Entkopplung von realer und fiktiver Schein-Akkumulation), Wertschöpfung, Arbeit usw. mit allen verheerenden Folgen. Oder die Mär, die Globalisierung sei nur ein Mythos und keine reale Entwicklung mit weitreichenden Konsequenzen für nationale Politikansätze und -(un)möglichkeiten. Sie sind zu hinterfragen und taugen nicht zur Formulierung von alternativen Ansätzen und Fianazierungsmöglichkeiten einer besseren anderen Politik. * Und überhaupt. Wie wir ein immer wieder in den Mittelpunkt gestellteses Umverteilungsprojekt angehen, geschweige denn realisieren wollen, ohne in das Räderwerk der kapitalistischen Verwertunsgmaschinerie und ihren Zwängen eingreifen zu müssen, also das System sprengen und eine gewaltige soziale Bewegung in Gang setzen zu wollen, bleibt ein Rätsel? Machen wir uns nicht lächerlich, wenn wir so tun, als ob wir die Schwerkraftgesetze der kapitalistischen Marktwirtschaft mit Vorschlägen vornehmlich politischer Eingriffe ernsthaft außer Kraft setzen könnten, so z.b. dem Shareholder-Value-Kapitalismus, als einer Erscheinugsform nachfordistischer Krisenentwicklung und Globalisierung mit der Einführung der Tobin-Tax in die Parade fahren? * In jeder Frage des Teewassers - Steuer, Rente, Lohn und Gehalt, Arbeit, Mitbestimung/Selbstbestimmung - stoßen wir an die Grenzen kapitalsitischer Verhältnisse. Daß wir sie einfach sprengen könnten und alle mitmachen - geschenkt. Aber wir könnten versuchen sprengende Reformschritte ausfindig zu machen, "altlinke" Politik-Muster und Schablonen mal hinter uns zu lassen und über neue Gesellschaftskritik und Aufhebungsmöglichkeiten und-bewegungen nachzudenken.

Tarifkampf ist nicht alles

(14) Für Gewerkschaften hieße das: * dem gesamtgesellschaftliche Terrain der Auseinandersetzung mehr Gewicht zu geben, nicht das Bündnis und vornehmlich immer wieder auch das Gespräch mit den Vertretern der Marktwirtschaft und der offiziellen Politik, sondern mit den anderen in sozialen Auseiandersetzungen stehenden Gruppen und Bewegungen ohne Absicht der Bevormundung zu suchen. Natürlich auch die wesentlich Abwehrkämpfe im Betrieb und an anderen Arbeitsplätzen um Lohn/Gehalt gegen Prekarisierung und für Reduzierung der Arbeit, für bessere Arbeitsbedingungen und Qualifizierung zu führen. Aber nicht in der Art, der Angelpunkt ist der Kampf um mehr Geld und notwendig radikalere Kampfformen. Nein zunächst brauchen wir sicher eine Radikalisierung der Fragestellungen und Inhalte und neue Formen der Kämpfe: wie radikale Arbeitszeitverkürzung, "gesamtgesellschaftlicher Tarifkampf", der das billige Wohnen, die Existenz der immer größeren Zahl der working poor, der looser und Herausgefallenen, eben auch die Reproduktionsebene, und dabei auch die Ansätze nichtwarenförmiger Projekte und Vernetzungen einbezieht. Boykotte und andere Formen der Verweigerung, Computerattacken und ähnliche Aktionen, die heute mehr Räder still legen als das traditionelle Mittel des Streiks, das deshalb nicht aufgegeben werden soll, sondern möglichst um den politischen Streik erweitert werden müßte.

(15) * Oder wenn wir nicht thematisieren, daß die Ökologie kein inzwischen schon erfolgreich integriertes Anhängsel der Ökonomie sondern schlechthin die Ökonomie der Zukunft sein muß und wird, mit tiefgreifenden Folgerungen für Arbeitsplätze, Arbeitswelt und Lebensweise, und in unsere Perspektiven einbeziehen, dann sind und bleiben wir perspektlos und werden letztlich auch nicht über Varianten des Kampfes jener "Männer" hinauskommen, die im letzten Jahr in Sorge um ihre Arbeitsplätze Furore machten: - die Daimler-Männer, die empört waren und sind über die Infragestellung der Lieferung ihrer Leopard II an die Türkei; - die "Mannesmänner", die mit dem Ruf auf den Lippen "Wir sind das Kapital" nicht weit davon entfernt waren, wegen drohender feindlicher Übernahme "'gen Engelland zu ziehen" und - die "Holzmänner", die es mehr als "einen 6er im Lotto" fanden, demnächst bei erheblich verschlechterten Lohn- und Arbeitsbedingungen, den Billiglohnanbietern auf den Baustellen endlich Paroli bieten zu können.

"Arbeitsbewegung" - eine Sackgasse

(16) Welche Antwort finden wir auf die Frage: "What's left? Eine Linke, die die Benennung des Kapitals als Kapital und des Profits als Profit schon für den Gipfel ihrer Kritik hält, weil sie die Bedingungen und Produkte der gesellschaftlichen Arbeit selbst nur noch in Kapitalform denken kann. Eine Linke, die (von Ausnahmen abgesehen) die "Suche" nach oder "Diskussion über grundlegende Alternativen [Plural!] zur kapitalistischen Marktwirtschaft" nur noch beschwört, um ihr "linkes" Gewissen zu beruhigen. Denn wenn sie die Beschwörung ernst meinte, würde sie die Suche selbst aufnehmen, ihre eigene Geschichte reflektieren und mit dem brechen, was bisher ihre einzige Beschäftigung war - dem vergeblichen Versuch, mit der illusionär gewordenen Perspektive eines Kapitalismus der vergoldeten Ketten die Lohnabhängigen zum Kampf gegen das Kapital zu mobilisieren. So aber wird sie bleiben, was sie ist: "linke" Randerscheinung einer Arbeiterbewegung, die "sich zur Arbeitsbewegung verharmlost hat". (W.Imhoff in: "Die Sackgasse der Betriebs- und Gewerkschaftslinken", auch zu finden unter: http://www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/sackgasse.html)

(17) Helmut Weiss, Ulrich Leicht, Anne Eberle, Michael Banos (Sprecher und Mitglieder des Geschäftsführenden Vorstandes der IG Medien Dortmund) - Dortmund, 25.10.2000

Tradierte Konzepte überwinden - Open Theory für die gewerkschaftliche Zukunft - Sieben Thesen. Mehrere Hochzeiten - und ein Todesfall?

(18) 1. Gewerkschaftliches Engagement muß künftig in der Lage sein, vor allem in drei einigermaßen - vielleicht zunehmend - unterschiedlichen Bereichen Aktivitäten und organisierende Tätigkeiten zu entfalten. a) den klassischen, zwar im Rückgang befindlichen, aber zumindest noch lange Zeit existenten Industriebereich, bzw Großbetriebsbereich im Dienstleistungssektor (Call Center gehören hierzu); b) die ganzen Bereiche der sogenannten "New Economy" an der Schnittstelle wissenschaftlicher Entwicklungen und ökonomischer Verwertung nach neuen (?) kapitalistischen Mustern - also alles was heute unter "Neue Medien","Informationstechnologie" und "Software-Erzeugung" und morgen unter "Biotechnologie" gehandelt wird; c) den Bereich der Niedriglohndienstleistungen sowohl im privaten als auch öffentlichen Sektor, der ein Scharnier zur Erwerbslosenarbeit darstellt und personell nach wie vor sehr stark von MigrantInnen, legalen und illegalen, geprägt ist. Dies bedeutet zunächst vor allem: Es ist nicht nur etwas Reform der Organisation nötig, sondern permanente Flexibilität. Die Prinzipien dabei sollten sein: - Übergewerkschaftliche Zusammenarbeit, mit dem eigentlichen Nah- realpolitisch aber Fernziel einer Gewerkschaft DGB, noch besser eines gesamtgewerkschaftlichen Netzwerkes, das den Organisationsbereich des heutigen DGB und der DAG umfasst, rund um Themen, Kampagnen und Projekte. - Eine Politik, die sich weg vom Kartellcharakter des heutigen DGB und seiner Gewerkschaften hin zu einer für Mitglieder transparenten und für andere Interessierte offene Organisation entwickelt; - Eine Politik, die die systematische Einbindung der Aktivitäten engagierter GewerkschafterInnen in den Normalbetrieb gewährleistet und verstärkt - die prinzipielle doppelte Umorientierung der bisherigen Sekretär-basierten Gewerkschaftsorganisation: zwischen "Online" und Grundausrichtung "Selbstorganisation".

(19) 2. Gewerkschaften müssen als politisches Prinzip in der Zukunft - gerade bei Verhältnissen, die immer weiter segmentiert werden -Positionen entwickeln, die zur Einheitlichkeit der abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen, unabhängig von Geschlecht, Nation, gesellschaftlicher Stellung und Rasse beitragen. Eine schlagwortartige Auflistung dürfte die Richtung zeigen: a) Bei Tarifen: Festgeldforderungen, spezielle Anhebungen für NiedriglöhnerInnen und gegen regionale (heute: "Ost-") Differenzierung. b) Bei Arbeitsbedingungen: Arbeitszeitverkürzung in verschiedensten Formen zur Gewinnung von Lebenszeit - dies muss eine Konstante sein; Pausenregelungen und ergonomische Lösungen - auch und gerade bei Bildschirmarbeitsplätzen - die der Gesundheit wirklich dienen; c) Flexibilisierung der Arbeitszeit: Ja, bei Gewähr der Mindestforderung, dass darüber mitbestimmt werden kann - dass die persönliche Zeitsouveränität wächst - Nein, wenn das tendenziell "work by call" bedeutet; diejenigen, die prinzipiell dagegen sind, sollen erst mal die Friedhöfe in ihrem Keller zur Besichtigung freigeben - die prinzipiell dafür sind, sollen sich den Titel "Co-Manager h.c" ans Büro heften d) Einbindung der Verteidigung der Interessen der Erwerbslosen in diese Arbeit und Junktime, etwa mit dem Widerstand gegen die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe, Organisation von gesellschaftlichen Boykottkampagnen (auch in Fragen der internationalen Solidarität)...

(20) 3. Die Gewerkschaften müssen dringendst ihren einhundertjährigen Rückstand gegenüber dem Kapital aufholen: Internationalisierung ist angesagt. Nicht in Büros oder Konferenzen, sondern in der Alltagsarbeit. Natürlich: Sozialpartner haben es am schwersten mit der internationalen Zusammenarbeit. Wenn jede Seite vor allem vertrauensvoll mit ihrem Unternehmen zusammenarbeitet, schlägt deren Konkurrenz eben durch. Dann ist außer Papier und - bestenfalls - Weltbetriebsräten mit erheblichem Machtgefälle nichts drin. Aber die absolute Konzentration auf Betriebs - oft genug gar Betriebsrats-Arbeit, macht es auch anderen KollegInnen schwer, über Erklärungen und einzelne Solidaritätsaktionen hinauszugehen. Wohlgemerkt: Es geht dabei nicht um sogenannte Entwicklungshilfe. GewerkschafterInnen anderer Länder können sehr wohl auch ohne BVG und Betriebsräte "glücklich sein" - und haben des öfteren, was etwa Organisation in informellen Bereichen angeht, wesentlich mehr Erfahrung. Es geht - als aktuelles Beispiel - neben der gemeinsamen Arbeit in Weltkonzernen, auch darum, gemeinsam die Rolle der Gewerkschaften in weltweiten Bewegungen, wie etwa gegen IWF und WTO, gegen Gennahrung usw zu verändern und dadurch erst zu entfalten. Bisher zeichnen sich die (sozialpartnerschaftlich dominierten) internationalen Aktivitäten der Gewerkschaften durch Stellungnahmen gegen solche Bewegungen aus - Sozialklauseln sollen das Bündnis der Belegschaften mit den Unternehmen festigen. Die Peinlichkeiten etwa bei den Auseinandersetzungen um das MAI-Abkommen haben natürlich dem Ansehen der Gewerkschaften geschadet, ihrer Identifikation mit den Herrschenden Vorschub geleistet - zumindest in den Augen der Menschen, die Widerstand leisten. Betriebsräte, die sich für Giftproduktion, Gentechnik, Panzerlieferungen etc pp aussprechen - natürlich im Interesse der Belegschaft (meist: zutreffend), niemals wegen des eigenen Stuhls (selten: zutreffend) -schaden nicht nur dem öffentlichen Ansehen der Gewerkschaften: sie schaden vor allem den berechtigten Interessen weitaus größerer Teile der Bevölkerung.

(21) 4. Die Gewerkschaften müssen sich hinorientieren zur Realisierung neuer politischer Arbeitsinhalte und -formen. Gesellschaftspolitische Kampagnen werden künftig vielleicht wichtiger sein als Tarifkampagnen. Gesagt wurde in den letzten Jahren vieles, herausgekommen sind bisher "mehrere Hochzeiten" in Form von Schlussverkauf-Anschlüssen oder Elefantenhochzeiten (ohne Hochzeitsnacht). An inhaltlicher Neuerung nichts bis sehr wenig, am ehesten noch aus der Richtung Bertelsmann/Böckler, das Alltagsgeschäft geht weiter wie bisher. Wenn zusätzliche Steuern oder Teuerung jede Lohnerhöhung auffressen, wird es endgültig deutlich, dass es eine übergewerkschaftliche gesellschaftspolitische Kampagne geben muss, die nicht nur auf dem Papier steht; aber auch wenn - beispielsweise - Mietwucher betrieben wird, muss dagegengehalten werden. Die Zeit der reinen Tarifmaschine ist vorbei, auch die viel-und langbeschworene "Politisierung des Tarifkampfes" kann darüber nicht hinwegtäuschen. Es kann keine Perspektive sein, um die Punkte hinter dem Prozentkomma - oder auch um eines davor - zu kämpfen. Der Rest ist, immer mehr: Laufrad.

(22) 5. Diese Optionen für gewerkschaftliche Zukunft bedingen auch eine ernsthafte Abkehr von einer Staatsfixiertheit und parteipolitische Neutralität der Gewerkschaften, die in keinem Sinne Transmissionsriemen irgendeiner Partei sein können und dürfen. Eigene Vorstellungen sind nicht dazu da, über Wahlbausteine Wahlkampf zu machen, sondern um sie organisiert zu verwirklichen. Wenn unter dem Stichwort "politische Lobbyarbeit" - oder wie die Formulierung letztlich sein mag - gefragt wird, ob etwa im Mai 2000 ein Streik der ÖTV" in die politische Landschaft passe", so kann dazu nur gesagt werden: Diese Frage ist eine Unverschämtheit von Leuten, denen nur ihr Parteibuch wichtig ist. Die Gewerkschaften müssen Druck entfalten, um stark zu werden, sie können nur Druck entfalten, wenn sie stark sind - in dieser Dialektik bewegt sich diese zentrale Aktivität. Wer gestern auf hässlichen Plakaten das Maul für eine andere Politik aufgerissen hat, kann ernsthaft weder die neue noch die alte Mitte gemeint haben: deren Politik ist erklärtermaßen nicht "anders". Wer eine Realpolitik machen will, die darauf zielt, die parteipolitischen Konjunkturen als zentrale Referenz entsprechender Aktivität zu zementieren, kastriert die Potenz der Gewerkschaften. Eigene Gesellschaftsleitbilder, eigene Vorschläge (eben nicht von den Hauptamtlichen beschlossen, danach die "ehrenamtlichen" einbezogen, sondern ernsthaft diskutierte) sind ebenso Trumpf, wie unabhängige Aktion.

(23) 6. Alle diese Punkte sind Voraussetzung dafür, dass Gewerkschaften in zentralen gesellschaftlichen Debatten die Chance haben, Gehör zu finden, überhaupt wieder ernst genommen zu werden und auch Meinungsführerschaft zu erringen, - heute geschieht das nur noch in Gremien. Dies betrifft auch und gerade die Problematik der Arbeitslosigkeit: die bloßen generationenlangen Appelle nach "Arbeit für Alle" mobilisieren schon längst noch nicht einmal uns selbst, öden alle an und tragen wesentlich dazu bei, konsequenterweise auf störende Gewerkschaften lieber verzichten zu wollen. Ohne künftig sowohl Reduzierung und Bedingungen, als auch erst recht die Inhalte der Arbeit zu thematisieren, läuft dies gar Gefahr, zum Vehikel regierungspolitischen Arbeitszwangs a la England zu werden - und zumindest in NRW gibt es einiges davon. "Weniger, aber sinnvolle Arbeit für alle" - in dieser Richtung wäre eine Politik zu entwickeln, die wirklich in der Lage ist, Meinungen neu zu bilden und zu beeinflussen und auch das durchaus nicht zu Unrecht bestehende Bild der stinklangweiligen Gewerkschaften allmählich zu korrigieren. Wer die Zukunft der Gewerkschaften im wesentlichen im "weiter so" sieht, sieht in Zukunft die Gewerkschaften: am Ende, ein Auslaufmodell.

(24) 7. Die drei heute in der Gewerkschaft wesentlichen politischen Strömungen haben in allen diesen Punkten keine Antwort, die in der Lage wäre ernsthaft zu mobilisieren. Wir denken, die Optionen müssen andere, vor allem aber offen für Veränderungen sein. * Die Sozialpartner setzen auf Schröder&Co - aber der immer weniger auf sie. Nicht nur, weil er nicht will: auch weil er nicht kann. Die alte Oskar-Mitte ist passé, das verhindern Memoranden ohne Zahl nicht. Am verlassenen Grab von J.M. Keynes kichert nicht nur der Geist von Karl Marx. Die neue Mitte ist Gerhard Schröder, da hat er recht, nur wir sind dagegen - und als künftige Mitte bietet sich nebenan der antietatistische Rechte Haider an. Am Katzentisch der Macht wird nicht mehr gedeckt. Das mag jenen nicht auffallen, die in hundertundeinem Gremium sitzen (sei es aus Überzeugung oder - siehe verdi - aus materiellem Interesse) - aber wenn sie endgültig Offiziere ohne Soldaten geworden sind, werden sie auch in die Dienstleistungsbunker zurück müssen, die sie dann nicht mehr bezahlen können. Im übrigen: Nicht ganz zufällig, daß sich das Bild der Armee aufdrängt....

(25) *· Die Dienstleister setzen auf die "Winner" der sogenannten neuen Ökonomie und auf technokratische Modernität: Eine Ausgeburt von Sekretärsmentalität, die hofft, auch künftig gebraucht zu werden: Es gibt viel bessere Rechtsberater als ehemalige Jugendsekretäre der ÖTV (oder sonst wem). Wer die Reduzierung der Gewerkschaften auf reine Dienstleistungsorganisationen propagiert, setzt sie in zunehmende Konkurrenz zu privaten Dienstleistungsunternehmen - mit Erfolgsaussichten wie DGB Reisen.... * Die traditionellen Gegenmachtstrategen setzen auf Radikalisierung und Politisierung der bestehenden Ausrichtung (im besonders vernagelten Fall auch auf "Re"-politisierung), ihre Analysen decken sich oft mit denen ihrer verfeindeten Vettern, den Sozialpartnern - und sie segeln damit, wie diese, in die Hindernisse der Segmentierung und des Produktionspositivismus - und der Unehrlichkeit: Niemand kann ernsthaft behaupten, er oder sie wisse, daß etwa der Versuch einer "ökologischen Umgestaltung" der Produktion Arbeitsplätze schaffe. Wir zweifeln nicht an der Notwendigkeit dieser Umgestaltung: wohl aber an ihrer "arbeitzplatzschaffenden" Kapazität.

(26) Es geht uns hier nicht ums "Recht haben", das kann mensch auch zu zweit: So wie der Sekretär am 1.Mai ab Bier sieben seiner Liedkentnisse der Jugendzeit sich erinnert und die Internationale singt (singt ?) , so hat der Aktivist und Gewerkschaftskritiker - vielleicht zwei Bier früher - alles im Griff. Es geht uns auch nicht darum, KollegInnen mit anderen Auffassungen abzusprechen, dass sie sich einsetzen für die Interessen der abhängig Beschäftigten usw. Es geht uns schon gar nicht generell um die künftige Existenz der Gewerkschaften. Wenn sie keine sinnvolle Rolle zu spielen in der Lage sind, sind sie eben genau dies: ausschließlich überflüssig. Deswegen haben wir auch keine festgeschriebene Plattform gemacht, sondern wollen einen offenen Prozess. Weil nur so eine wirkliche Debatte entstehen kann, anstelle der Konfrontation von Positionen. Eben darum betonen wir auch, dass mensch in allen drei Strömungen auch richtige und wichtige Elemente finden kann.

(27) Denn: * Wir sind für gestalterische Mitwirkung: Wenn diese sichtbar - und vor allem: sichtbar anders - ist. Nicht zuletzt in dem künftig enorm wichtigen Bereich der Weiterbildung (in den verschiedensten Dimensionen der Frage) muss eine ernsthafte Gewerkschaftsbewegung aktiv werden: Wenn aber die Landesregierung NRW gerade in 2000 das Weiterbildungsgesetz beschneidet, so macht sie sich nicht nur - einmal mehr - zum Gegner einer modernen Gewerkschaftsbewegung, sondern macht auch deutlich, dass hier Weiterbildung nur heißen soll, berufliche Fachausbildung nach den konjunkturellen Anforderungen der Unternehmen. Diese sollen die Unternehmer bezahlen : Denn dies ist Arbeitszeit. Darüber wollen wir mitbestimmen. Aber: Weiterbildung ist viel, viel mehr als berufliche Qualifikation - und gerade da müssen Gewerkschaften aktiv werden.

(28) * Wir sind auch - entschieden - für "Dienstleistung", und dafür, dass Mitgliedschaft auch Vorteile birgt. Wenn diese Vorteile nicht in windigen Versicherungen und überflüssigen Handys bestehen sollen, sondern wirklich sinnvoll sind - der Presseausweis der IG Medien ist eine Dienstleistung, Abkommen mit Serviceunternehmen (beispielsweise Reisebüros oder Computerunternehmen) können durchaus positiv sein. Auch die Beratung von Freiberuflern - künftig keineswegs nur im Medienbereich - muss wesentlich verstärkt werden, Online ist einer der Trümpfe in jeder Art Beratung. Dieser Katalog ließe sich sehr verlängern: Er darf nur weder dazu führen, Gewerkschaft nicht mehr als Solidargemeinschaft aufrecht zu erhalten, noch zu einer "Entgesellschaftlichung" qua Beschränkung auf Beratung. Wer Dienstleistung als Selbstzweck versteht, versteht selbst den Zweck des ganzen nicht. Bescheidene Frage am Rande: Wäre -z.B. - Hilfestellung für MigrantInnen bei Einbürgerungsanträgen nicht auch Dienstleistung??

(29) * Und ja, selbstverständlich: wir sind für Gegenmacht. Wenn es um die Kraft geht, gesellschaftliche Veränderungen einzuleiten, bestimmte Zustände zu ändern oder zu erreichen - anstelle, mit oder gegen die verschiedensten politischen Parteien. Bei Zielen, die parteiübergreifend geteilt werden können, sind wir für jede Art Macht einer solchen Bewegung: vor allem aber für die im Bündnis mit anderen internationalen sozialen und politischen Bewegungen. Wir sind für Gegenmacht, wenn diese nicht unter klassenkämpferischen Parolen Panzerbauer, AKW Betreiber, Futtermitteleinmischer etc zum Kampf für ihre rein betrieblichen ("Teewasser") Interessen sammelt. Wenn diese nicht, wie die Sozialpartner, nur radikaler, jedwede "Arbeit für Alle" und "Leistung muss sich lohnen" fordert.

Ohne diese Essentials geht nichts ...

(30) Dementsprechend lassen sich unsere Optionen für künftige Gewerkschaftsarbeit in etwa so zusammenfassen: 7.1 Anstelle einer Politik, die dazu beiträgt, den Standort Deutschland zu stärken, müssen die Gewerkschaften eine, bisher im Kapitalismus wie im Sozialismus vermiedene, Politik des Nutzens sinnvoller, - d.h. diskutierter - technologischer Neuerungen für die Erhöhung der Lebensqualität der Menschen entfalten: radikale Arbeitszeitverkürzung aller Art und Aufteilung der Arbeit, unter gesellschaftlicher Debatte von Notwendigkeit und Sinn, konkrete Leitbilder für eine positive Nutzung etwa des Internet: als Alternative zum Kommerz. Eine solche generelle Ausrichtung bildet auch eine wesentliche Grundlage dafür, dass Gewerkschaften, im Bündnis mit allen möglichen Kräften, international wirksam werden.

(31) 7.2 Anstelle einer Politik, die Gräben vertieft: nationalistische Greencard Stellungnahmen, Verteidigung "teutscher" Arbeitsplätze, Zustimmung zur weiteren Ausgrenzung von Erwerbslosen- sofern sie rot-grün organisiert ist, kontinuierliche Einkommensspreizung im Sinne der bürgerlichen und sozialistischen Leistungsideologie, Beteiligung an der Jagd auf illegale Migranten etc... muss eine Politik der Annäherung, der Versöhnung, der Gemeinschaft unter jenen Menschen betrieben werden, die keine anderen für sich arbeiten lassen: Weg mit Sondergesetzen a la Ausländergesetz, Einbeziehung von Erwerbslosen in die Tarifkämpfe, Stärkung aller Ansätze von Selbstorganisation.

(32) 7.3 Anstelle einer Politik, die sich auf Lobbyistentum und Kooperation mit verschiedensten politischen Parteien zentriert, muß eine Politik der Eigenständigkeit, der Bündnisfähigkeit, der gesamtgesellschaftlichen Wirksamkeit entwickelt werden, die auch ein neues Selbstverständnis weg von der Tarifmaschine impliziert. Erst dann wird das dem Ansehen und Einfluss der Gewerkschaften so schädliche Auseinanderfallen von realpolitischer Tagesarbeit und (manches Mal gar interessanten) Sonntagsreden überwunden werden können.

(33) 7.4 Anstelle einer Politik, die die Positionen der jeweils eigenen Strömung für die Lösung aller Gewerkschaftsprobleme durchpeitschen will (Sozialpartner qua Macht die Kooperation mit der neuen/alten Mitte, Dienstleister die Überlebenssicherung qua "Dealing instead bargaining" a la Böckler/Bertelsmann, Klassenkämpfer qua Politisierung und Radikalisierung des Bestehenden) muss eine Ausrichtung auf Flexibilität, auf Sicherung des Potenzials für verschiedene Zukunftsoptionen betrieben werden.

(34) 7.5 Dementsprechend muss Flexibilität auch die Leitlinie der organisatorischen Umwälzungen sein: Keine Festung Gewerkschaftshaus mehr, kein Organisationsmodell, das auf dem Sekretär in Lebensstellung aufbaut, Schluss mit der realen Diffamierung gewerkschaftlichen Engagements als "Ehrenamt" (in der Regel: für Senioren), gewerkschaftliche Präsenz in zentralen Bereichen (inkl. Schulen, Hochschulen etc) , Ausstrahlungskräftige Modellprojekte unter Einbeziehung der Mitgliedschaft und neuer Kooperationspartner: Leuchttürme.

... ansonsten Todesfall

(35) So würden Gewerkschaften eine soziale Bewegung zur Emanzipation der Menschen, die nicht an der Arbeit anderer verdienen - das wäre unsere Option. Die muss nicht die alleinseligmachende sein, aber bleiben die Gewerkschaften, wie sie sind: Todesfall.

open-debate

(36) Ad 1: Wir haben diese Version "Light" verfasst, um die Debatte auf die Folgerungen zu konzentrieren. Wir hätten zur Begründung durchaus noch das eine oder andere - unserer Ansicht nach: gute - Argument, aber was vorliegt, ist die Quintessenz. Ad 2: Versionsnummer 1.2 heißt, daß es immer noch der ursprüngliche Entwurf ist, der im wesentlichen redaktionell bearbeitet wurde, ohne inhaltlich verändert zu sein. Das bleibt einer künftigen Debatte überlassen, bzw jenen, die vielleicht daran weiter schreiben wollen . Open Theory eben. Ad 3: Die ursprünglichen Autoren dieses Textes sind Ulrich Leicht und Helmut Weiss, vom Sprecherrat der IG Medien Dortmund. Ad 4 : Fassung 1.1 wurde fertiggestellt am 17.08.2000, Fassung 1.2 wurde fertiggestellt am 25.10.2000


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