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Umweltschutz von unten: Tierrechte
Maintainer: Jörg Bergstedt, Version 1, 30.09.2000
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv
(1) Diese Betrachtung geht von einem emanzipatorischeren Leitbild aus. Ziel einer solchen emanzipatorischen Politik ist eine Gesellschaft, in dem die Menschen das gesellschaftsgestaltende Subjekt sind. Die Menschen bestimmen ihre Sozialisation - kein Gott, kein Konzern, keine Regierung und nichts "von Natur aus". Der emanzipatorische Anspruch an die Gesellschaft ist das Bild eines gleichberechtigten Neben- und Miteinanders der Menschen, von "freien Menschen in freien Vereinbarungen". Es gibt nichts über dem Menschen als wertendes Subjekt. Alles geschieht von den Menschen aus und ist durch sie legitimiert.
(2) Aus dem emanzipatorischen Leitbild und dem Begreifen des Menschen als gesellschaftsgestaltendem Subjekt ergibt sich eine klare Schlußfolgerung: Die Gestaltung der menschlichen Gesellschaft ist Sache der Menschen. Die Menschen sind gleichberechtigt. Niemals aber werden Tiere daran teilhaben. Es ist nicht möglich, mit einem Hund, einer Katze oder Kuh debattieren zu wollen, ob mensch umzieht, eine Ausbildung anfängt, die Revolution ausruft oder andere Menschen ausbeutet. Die Frage der Gestaltung der Gesellschaft ist eine Frage zwischen den Menschen. Und das unterscheidet den Menschen grundlegend von den Tieren und anderen Lebewesen. Dieser Unterschied ist durchgreifend und ohne Übergangsformen.
(3) Die zur Zeit geführte Debatte um das Verhältnis von Mensch und Tier ist durch den Versuch geprägt, biologische Unterschiede nachzuweisen oder zu negieren. Beide Extreme der Debatte, d.h. sowohl die VerfechterInnen der Theorie, Menschen und Tiere seien gleich und daher gleichberechtigt, als auch etliche KritikerInnen dieser Gleichsetzung versuchen mit biologischen Unterschieden zu argumentieren. Bemerkenswerterweise begeben sich damit beide in eine biologistische Argumentation, denn Biologismus bedeutetet die Übertragung biologischer Zustände auf soziale Prozesse und Wertungen. Bei der Frage der Tierrechte und des Verhältnisses von Mensch und Tier geht es aber genau um eine Frage der Gestaltung von Gesellschafte, also um eine soziale Frage. Dort mit biologischen Behauptungen zu argumentieren, ist biologistisch - d.h. die KontrahentInnen argumentieren zur Zeit beide biologistisch, also tendenziell faschistoid.* Tatsächlich sind die biologischen Unterschiede zwischen Tieren und Menschen sehr relativ. Vom Organismus her sind Säugetiere dem Menschen sehr viel ähnlicher als Säugetiere und Kleinsttiere, etwas Wenigzeller, Würmer oder auch Insekten. Angesichts der Vielfalt körperlicher Eigenschaften innerhalb der Tierwelt vom Begriff "Tiere" in Verbindung mit einer Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit mit Menschen zu reden, erscheint bereits abstrus. Auch hinsichtlich des Sozialverhaltens, der Kommunikation zwischen Tieren usw. sind die Unterschiede zwischen den Tieren derart groß, daß jegliche biologistische Argumentation sinnlos ist. Kurz: Einen biologischen Unterschied oder, eben von Seiten der TierrechtlerInnen, eine biologische Ähnlichkeit zwischen Tieren und Menschen konstruieren zu wollen, ist aus zwei Gründen falsch: - Zwischen den Tieren sind die Unterschiede so groß, daß es keinen zusammenfassenden Vergleich zwischen Tier und Mensch geben kann. - Die biologischen Unterschiede oder Ähnlichkeiten spielen für soziale Wertsetzungen, u.a. das Verleihen von Rechten, keine Rolle. Die TierrechtlerInnen irren, wenn sie aus einer vermeintlichen biologischen Ähnlichkeit Tierrechte ableiten. Und die KritikerInnen des Tierrechts irren, wenn sie aus vermeintlichen Unterschieden das Gegenteil ableiten. Beide argumentieren biologistisch, weil sie biologische Befunde für soziale Wertungen mißbrauchen.
(4) Ein kritischer Blick auf die Realität des Alltags und der politischen Forderung von TierrechtlerInnen zeigt, daß auch sie in der Regel nicht die Tiere insgesamt meinen, sondern tatsächlich nur einige wenige Arten, die sich allesamt durch einen Fakt auszeichnen: Sie haben eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit mit dem Menschen. Gänzlich desinteressiert sind TierrechtlerInnen aber meist an Insekten, Würmern, Spinnen, Milben, Flöhen usw. - spätestens dann, wenn sie ihr Leiden nicht wahrnehmen. Beispiele: Jede Autofahrt ist ein tausendfaches Grab für die an Windschutzscheibe und Kühler zerschellenden Insekten. Der Einsatz von Instektiziden in der konventionellen Landwirtschaft führt zu brutalen Tötungsvorgängen in Millionenhöhe. Die Gifte führen zu innerlichem Verbluten, zu Nervenschäden oder verhindern das Häuten - ein langsames Dahinsterben ist die Folge. Daraus folgt, daß z.B. der Verzehr von Bio-Fleisch wesentlich weniger Tiermord verantwortet wie veganes Essen aus konventionellem Anbau. Aus all dem folgt, daß sich Tierrechte in der Regel nicht den Tieren insgesamt, sondern ganz bestimmten Artengruppen widmen. Auch wenn es hier große Unterschiede zwischen TierrechtlerInnen gibt - es ist unübersehbar, daß vor allem die dem Menschen schon immer nahestehenden Tiere, also Haus- und Nutztiere sowie einige andere Arten (Vögel, Frösche) usw. im Mittelpunkt des Interesses stehen. Das ist nicht verwerflich, aber doch zu beachten bei der Frage, was eigentlich Tierrechte sein sollen und wie sie sich begründen. Die Tatsache, daß Tierrechte in der Praxis vor allem für die dem Menschen nahestehenden Arten gelten, spricht neben den schon genannten Gründen dafür, daß die Menschen die wertenden Subjekte sind. Sie entscheiden (in einem emanzipatorischen Verständnis gleichberechtigt, in einer Demokratie über Kader/Institutionen, in einer Diktatur durch Einzelne), welche Werte und Rechte gelten sollen.
(5) Ja, es kann Tierrechte geben. Die Kritik an Tierrechten ist nämlich genauso abstrus und biologistisch wie die Behauptung, Tierrechte seien per se vorhanden. Es gibt keine naturgegebenen Wertsetzungen - und auch keine göttlichen oder sonstigen. Der Mensch ist wertendes Subjekt. Das wäre in Frage gestellt, wenn es Rechte per se geben würde - zumal das ohnehin nur Konstruktionen wären, denn auch die Festlegung, welches Recht jetzt per so vorhanden sein soll oder nicht, trifft der Mensch. Die Frage "Haben Tiere per se, also von Natur aus Rechte?" ist zu verneinen, weil selbst die Bejahung dieser Frage durch den Menschen erfolgen würde und erst durch die Bejahung eine praktische Konsequenz schafft. Ebenso ist die Behauptung, Tiere könnten per se keine Rechte haben, falsch, denn so wäre dem Menschen eine wichtige Wertsetzung entzogen: Rechte zu verleihen. Daher: Es kann Tierrechte geben, weil der Mensch jede Form von Wertsetzung vornehmen kann. Aber diese Tierrechte kommen immer vom Menschen. In der heutigen Zeit verleiht der Mensch ganz andere Rechte: Eigentumsrechte, Wasserrechte, Urheberrechte. Die Verwertung und Kapitalsicherung im Sinne des Profits der Besitzenden steht im Mittelpunkt. Davon unterscheidet sich der Begriff der Menschenrechte. Eigentumsrecht ist das Recht am Eigentum, Menschenrecht das Recht der Menschen selbst und an sich selbst. Daß diesem Recht zur Zeit wenig Beachtung geschenkt wird, überrascht wenig angesichts einer gesellschaftlichen Ausrichtung an Profit und ökonomischer Macht. Tierrechte wären eine dritte Kategorien. Es geht nicht um das Sichern von Rechten an Tieren. Es geht aber auch nicht um Rechte im Sinne der Menschenrechte, weil die Tiere nicht mit den Menschen zusammen die Gesellschaft entwickeln, Macht schaffen oder abschaffen, unterdrücken oder befreien, Selbst- oder Fremdbestimmung durchsetzen. Dennoch liegt es im Bereich der menschlichen Freiheit, Recht als Wertsetzung zu schaffen, den Tieren Rechte zu verleihen. Dem Menschen diese Souveränität absprechen zu wollen, ist alles andere als emanzipatorisch.
(6) Theoretisch alle - jedoch gibt es eine Grenze da, wo Tierrechte emanzipatorische Ziele in Frage stellen, d.h. also das Selbstbestimmungsrecht der Menschen einschränken. Dieser Punkt wird zu Streit führen. Ist es eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechtes von Menschen, Fleischkonsum zu verhindern? Läßt sich überhaupt eine globale Lösung finden, die Unterschiede in der Ernährung von Menschen in Grönland, Mitteleuropa oder Afrika negiert? Sind uns als wertenden Subjekten die Insekten auf dem Acker weniger wichtig als das Rind auf dem Biobauernhof? Allgemeingültige Regeln werden kaum zu finden sein. Daraus folgt aber keineswegs, daß Tiere Sachen sind. Es kann Entscheidung der einzelnen Menschen oder auch Ergebnis einer gesellschaftlichen Debatte sein, Tieren - allen oder bestimmten - kein Leid zufügen zu wollen, sogar ihr Leben und ihre Unversehrheit zu achten, diese zumindest von Seiten der Menschen nicht anzutasten. Ob eine solche Entscheidung sinnvoll ist, ist eine offene Frage. Biologische Tatbestände sind weder für noch gegen eine solche Festlegung anzubringen. Daher muß argumentiert werden - im Sinne einer emanzipatorischen Gesellschaft, in der die Menschen gleichberechtigt ihr Zusammenleben organisieren und ihren Umgang mit dem, was um sie herum ist als Umwelt - den Tieren, den Pflanzen und der unbelebten Natur.
(7) Selbst in neueren Veröffentlichungen begründen TierrechtlerInnen immer wieder ihre Forderung nach Tierrechten, also einem Recht auf Leben und Unversehrtheit, anhand der Übereinstimmung des tierischen und des menschlichen Körpers. So schreibt z.B. H.F. Kaplan im Buch "Operation Tierbefreitung", daß die Menschen und Tiere einen gleichen Organismus haben und deshalb (!) auch eine gleiche Seele. Kaplan schließt daraus auf gleiche Rechte. In einem Streitgespräch über Tierrechte äußerten Ökoli-FunktionärInnen nicht nur ihre Position, daß die Verwendung des Begriffs Tierrechte faschistisch sei und Tiere als Sachen angesehen werden müßten, sondern sie begründeten ihre Position mit den biologischen Unterschieden zwischen Menschen und Tieren. Die Ökoli-Mitwirkende Andrea Capitain konstruierte diesen Unterschied danach, daß Tiere nicht miteinander kommunizieren und dadurch komplexe soziale Ordnungen herstellen könnten. Diese Argumentation ist nicht nur biologistisch (weil sie biologische Grundlagen zu sozialen Wertungen nutzt), sondern sie liegt gänzlich auf der Linie des biologistischen Tierrechtlers P. Singer, der mit umgedrehter Konsequenz Menschen die Menschenrechte abspricht, wenn sie u.a. nicht oder nur eingeschränkt kommunizieren können (nicht-lebenswertes Leben). Daraus läßt sich ersehen, daß biologistische Positionen von TierrechtlerInnen und von ihren KritikerInnen gleichermaßen verwendet werden - wenn auch nur mit gegenteiligem Ziel.