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Praktische Umsetzung von Zeitumverteilung - von Erwerb und Konsum nach politischer Partizipation und Lebensqualität

Maintainer: Gruppe Mehr Zeit für Zeit, Version 1, 26.06.2003
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv

(1) Für die attac-Sommerakademie in Münster haben wir einen Workshop zum Thema Zeitumverteilung angemeldet (am 4.8.03 um 14 Uhr). Wir hoffen durch dieses ot-Forum auf weitere Anregungen. Hier zunächst mal nur der Ankündigungstext:

(1.1) Münster, 28.06.2003, 00:53, Raimund Köhn: Wie wärs mit nem Kontakt, kenne euch nicht, bin aber auch aus Münster, Tel. 793511, allerdings ab Montag für drei Wochen im Krankenhaus.

(1.2) Da habe ich einen Vorschlag dazu!, 24.07.2003, 20:45, Uwe Denscheilmann: Schaut euch doch einmal die Homepage http://www.denschei.de an vielleicht ist ja da schon eine Anregung dazu gegeben. Bin auch momentan am Erstellen einer neuen Seite mit anschaulichen Modellen und gleichgeschlechtlicher Darstellung ohne Benachteiligung oder Verletztheit.

MfG Uwe

Praktische Umsetzung von Zeitumverteilung - von Erwerb und Konsum nach politischer Partizipation und Lebensqualität

(2) Die Freude an politischer Arbeit wird oft durch zu viele andere Verpflichtungen getrübt. Am meisten Zeit nimmt den meisten von uns die Erwerbsarbeit zur Sicherung unserer Existenz und unserer Konsumansprüche. Es gibt aber verschiedene Möglichkeiten, uns Luft zu verschaffen und die Zeit für Erwerbsarbeit zu reduzieren.

(2.1) Re: Praktische Umsetzung von Zeitumverteilung - von Erwerb und Konsum nach politischer Partizipation und Lebensqualität, 01.07.2003, 09:04, Emil Schlenz: Hier möchte ich auf den Schmöker "Tausend Tips zum Krankfeiern - vom richtigen Umgang mit der Ärztebrut" hinweisen. Den gibts auf www.free.de/schwarze-katze/download.html als PDF-File zum Runterladen...

(2.1.1) Re: Praktische Umsetzung von Zeitumverteilung - von Erwerb und Konsum nach politischer Partizipation und Lebensqualität, 19.07.2003, 05:25, Raimund Köhn: Gute Idee und das kann in gewissen Phasen auch durchaus ein Mittel sein, um der drohenden Verelendung zu entgehen. Aber das ist leider auch nur ein temporäres Instrument, an dem im Rahmen der Gesundheitsreform gearbeitet wird, um wiederum genau das zu vermeiden, was du ansprichst. Merke, so dumm sind die Protagonisten des System nicht, daß sie das nicht irgendwann spitz kriegen. Läßt sich daher auf diese Art und Weise ein System verändern?

(2.1.1.1) Re: Praktische Umsetzung von Zeitumverteilung - von Erwerb und Konsum nach politischer Partizipation und Lebensqualität, 21.07.2003, 14:53, Emil Schlenz: nee, aber derart qualifizierte funktionäre der anarchistischen arbeitslosinnenbewegung, die den weg zu derart massenfernen diskussionsforen wie "open theory" finden, haben durchaus ein bisschen unterstützung bei der agitation von ärzten verdient... die lösung für bzw. gegen das system ist krankfeiern nicht, da ist man ja nachher zuhause, wenn der wilde streik umkippt in einen bewaffneten arbeiterinnenaufstand... abgesehen davon, es gibt auch richtige krankheiten, und das ist dann schon scheisse...

(2.1.1.1.1) Re: Praktische Umsetzung von Zeitumverteilung - von Erwerb und Konsum nach politischer Partizipation und Lebensqualität, 23.07.2003, 17:19, Raimund Köhn: Entschuldige, war nicht als Angriff gemeint und klang mal wieder zu Besserwessi ;(. Ich hatte bei meiner Anmerkung den Gedanken, daß die Privatisierung des Krankengeldes neben der Entlastung der Krankenkassen vor allem der "Erziehung" der Lohnabhängigen zu ewiger Gesundheit dient. Ich glaube nicht, daß die privaten Versicherer bereit sein werden, längere Zeit Krankengeld zu zahlen. In Zukunft wird sich daher kaum noch jemand Krankheit leisten können.
Grundsätzlich sehe ich das ähnlich, daß Krankfeiern ein subversives Element der Produktionsstörung ist. Früher mußte man auch nur mal "versehentlich" einen Schraubenschlüssel ins Getriebe fallen lassen, um eine längere Pause zu haben. Das habe ich auf der Zeche im Ruhrgebiet in meiner Jugend noch live erlebt. Allerdings sinkt der Krankenstand in Deutschland ständig, erreicht von Jahr zu Jahr neue Tiefstände. Das halte ich für sehr bedenklich, weil anscheinend viele Menschen mittlerweile auch krank arbeiten, aus Angst, sie verlieren ihren Job. So sieht für mich die momentane gesellschaftliche Praxis aus und es wird immer schlimmer statt besser, ganz zu schweigen von dem bewaffneten arbeiterinnenaufstand ...

(2.1.1.1.1.1) Re: Praktische Umsetzung von Zeitumverteilung - von Erwerb und Konsum nach politischer Partizipation und Lebensqualität, 24.07.2003, 14:22, Emil Schlenz: So sieht für mich die momentane gesellschaftliche Praxis aus und es wird immer schlimmer statt besser, ganz zu schweigen von dem bewaffneten arbeiterinnenaufstand ... Häh? hab auch schon mal krank gearbeitet, aber nur während der probezeit...

(2.1.1.1.2) Re: Praktische Umsetzung von Zeitumverteilung - von Erwerb und Konsum nach politischer Partizipation und Lebensqualität, 23.07.2003, 23:22, Henning Busboom: Mei, da habe ich gerade den newsletter abbestellt, weil ich der ganzen bierernsten Polit-Esoterik etwas müde war, und nun finde ich diese Perle! Aber nicht dass mich jemand missversteht: Weltverbessererinnen, olé! So lange Ihr nur krank feiert und die Bonzinnen wirklich leiden, ist ja noch Hoffnung. Und eine Prise Gerechtigkeit ...

(2.2) Ergänzung zur "Freude an politischer Arbeit", 23.07.2003, 21:26, Gruppe Mehr Zeit für Zeit: Wie die Freude an politischer Arbeit aussehen könnte und warum genügend Zeit dafür entscheidend ist, haben wir in einem anderen Text angedeutet, der jetzt unter http://www.opentheory.org/pro_bewegung/text.phtml diskutiert werden kann.

(2.3) Zeitumverteilung ohne Zeit, 11.09.2003, 16:38, Olaf Boerger: In der Wertform wird das nicht gelingen - Im Gegenteil: aus der hier beschworenen "Lebensqualität" macht das "Automatische Subjekt" derzeit Dantes Inferno !! Und für die tollen Fieberphantasien über die "Umverteilung von Zeit" ist die Zeit schon längst abgelaufen, da die einzig gültige Zeit, nämlich die "wertschöpfende Arbeitszeit" (dargestellt in der "Geldform") sowieso nur noch in homöophatischen Dosen existiert (schon mal was von der DRITTEN INDUSTRIELLEN REVOLUTION gehört???). Was ihr da betreibt, ist Kapitalismuskritiik ohne Kapitalbegriff - deshalb:

http://www.giga.or.at/others/krisis/r-kurz_himmelfahrt-des-geldes_krisis16-17_1995.html

(3) Wir möchten die Bildung eines Netzwerkes von Gruppen oder auch einer attac-AG anregen, die die Umsetzung solcher Möglichkeiten nicht nur theoretisch behandelt sondern vor allem auch umsetzen will. Besonders reizvoll daran ist, dass wir das Erwerbs-Problem – in einem ersten Schritt erst mal für uns selbst - auch innerhalb des gegebenen politischen und wirtschaftlichen Rahmens lösen können. (Das ist unsere Überzeugung, die wir leider nur im Anschluss an das Seminar diskutieren können – Zeit ist zur Zeit halt noch knapp.)

(3.1) blah-ttac, 19.12.2003, 13:58, Olaf Boerger: Ja,ja - wir reformieren das Nichts.

(4) Ansätze dazu wären z.B., die schon existierenden Möglichkeit zur Teilzeitarbeit zu nutzen (ohne die damit verbundenen Probleme für Einzelne zu ignorieren), selbst ein Unternehmen (Genossenschaft) gründen, bei dem Arbeitszeitwünsche hohe Priorität haben, konsumsparende Konzepte fürs eigene Leben zu entwickeln, welche die Lebensqualität nicht einschränken, sondern erhöhen, ...

(4.1) Wenn das so einfach wäre..., 18.07.2003, 01:38, Melanie Walter: Da Problem ist doch, daß Teilzeitarbeit in den Augen der meisten absolut unattraktiv ist. Wer gern nur studenweise arbeiten möchte, findet kaum eine passende Stelle. Besonders groß ist das Problem im Bereich hochqualifizierter Berufe. Da \\\"darf\\\" man 12 oder 14 Stunden am Tag arbeiten oder überhaupt nicht.

(4.1.1) Nicht einfach, aber vielleicht (fürs erste) lösbar, 21.07.2003, 22:50, Michael Kiersch: Das halt ich auch für ein gravierendes Problem. (Wobei 12-14 Stunden zumindest in meinem Freundeskreis eher selten sind, z.B. arbeitete auch jemand in einem Bioinformatik-Start-Up durchschnittlich 38-Stunden in der Woche. Aber auch 38 h lassen natürlich nicht viel Zeit für anderes - sind also zuviel.)

Da wir sicher nicht auf die Bundesregierung hoffen können - dass sie Vielarbeit unattraktiver macht (Arbeitszeitsteuer) - ist mir bisher nur eine Lösung dazu eingefallen. Sie überzeugt zwar vielleicht nicht die Personalshefs,jemanden auf Teilzeit einzustellen, sie müsste aber für ein selbstorganisiertes Unternehmen funktionieren:

Teilzeitfreudige Hochqualifizierte könnten sich Erwerbsbereiche erschließen, wo sie mit ähnlichen Methoden arbeiten, welche sie auch bei ihren politischen Aktivitäten verwenden. Dann würden sie sich auch außerhalb der Erwerbsarbeit ständig weiterqualifizieren. (Dass Personalverantwortliche,vor allem in den wissensintensiven Bereichen, Vielarbeiter bevorzugen, liegt ja gerade daran, dass die in dem Job meist irgendwann einfach besser sind, weil sie mehr Erfahrung gesammelt haben. Dem Problem müssen wir uns auch stellen, wenn wir gemeinsam ein Unternehmen/Genossenschaft gründen.)

Die genannten "ähnlichen Methoden" bei erwerblichen und politischen Tätigkeiten sind z.B. all jene, die dazu dienen, den Kommunikationsfluss innerhalb von Organisationen zu erhalten und zu verbessern. Z.B. führt eine Organisation wie attac bereits viele Aufgaben eines Unternehmens aus, uns zwar in beachtlichem Umfang (verglichen mit manchem kommerziellen Unternehmen): es wird u.a.die Internetkommunikation organisiert und die direkte Kommunikation - nach innen (durch Plena, AGs, Workshops, Seminare) und nach außen (Werbung für die politischen Inhalte, Vorträge, Infotische, Demonstrationen).

Es wundert mich, dass wir zwar gemeinsam eine ganz beachtliche politische Unternehmung betreiben, aber die meisten von uns weiterhin ganz selbstverständlich ihre Arbeitskraft für Kapitalinteressen verkaufen und wir uns nicht auch im Erwerbsbereich zusammentun und anstreben, den Mehrwert für bessere Zwecke zu verwenden.

(4.1.1.1) Re: Nicht einfach, aber vielleicht (fürs erste) lösbar, 21.07.2003, 22:52, Michael Kiersch: Mein Vorschlag, die Polit-Methoden auch erwerblich zu nutzen, hilft möglicherweise denen nicht, die sich politisch nur um die Inhalte und nicht um deren Kommuniktation kümmern wollen. Vielleicht könnten sie sich aber an Unis u.ä. verdingen. Auch wenn sie dort nicht an ihren eigentlichen Themen forschen können, verwenden sie vielleicht trotzdem vergleichbare Methoden, so dass sie ihre Kompetenzen auch weiterentwickeln, wenn sie mal ein, zwei Jahre für kein Projekt eingestellt sind. Ansonsten müssen sie - wenn möglich - durch die anderen mitfinanziert werden, oder sie können ja auch etwas Kohle mit nicht-akademischen Tätigkeiten machen, was - wie ich finde - keine schlechte Abwechslung vom Denken ist, solange es im Rahmen bleibt.

(5) In dem Workshop werden wir, nach einer kurzen Einleitung, Ideen sammeln, ordnen und diskutieren.

(5.1) Hier habt ihr ne Idee!, 26.06.2003, 10:18, thomas sonnabend:
http://www.giga.or.at/others/krisis/diverse_manifest-gegen-die-arbeit_1999.html

(5.1.1) Re: Hier habt ihr ne Idee!, 26.06.2003, 13:26, DerManfred Manfred: hier noch eine, die schon realisiert ist, und auch zu dem punkt der ATAC AG. Passt. Nur hab ich noch einige einwände zu der Idee attac A.G. Es darf keine Möglichkeit geben (so wie in den mondragon genossenschaften auch praktiziert) einkommen durch spekulation zu erzielen. das würde attac und auch das projekt ad adsurdum führen. Weiters: wie ich im Attac forum Österreich bemerkt habe, hat attac da einige schwierigkeiten die gehälter die Attac bezahlt, offen zu legen. um eine partizipation und mitbestimmung zu erreichen sollte das doch keine schwierigkeit sein. Hier jetzt die links: http://www.brandeins.de/magazin/archiv/2002/ausgabe_01/schwerpunkt/artikel6.html http://home.t-online.de/home/humanist.aktion/mondrago.htm http://www.regione.taa.it/cooperazione/Idiazabal_td.html http://www.viavia.ch/Archiv/Mondragon.htm http://www.nadir.org/nadir/periodika/contraste/Archiv/mondrago.htm http://www.mausehaus.org/?style=nobanner&doc=mondragon/inhalt das wärs einmal freu mich auf diskussion darüber, und hoffe dass da genug anregungen für Attac dabei sind.

(5.1.1.1) Re: Hier habt ihr ne Idee! Ja nen kleinen Pfeil vormachen >!, 29.06.2003, 21:38, Uwe Berger: http://www.brandeins.de/magazin/archiv/2002/ausgabe_01/schwerpunkt/artikel6.html http://home.t-online.de/home/humanist.aktion/mondrago.htm http://www.regione.taa.it/cooperazione/Idiazabal_td.html http://www.viavia.ch/Archiv/Mondragon.htm http://www.nadir.org/nadir/periodika/contraste/Archiv/mondrago.htm http://www.mausehaus.org/?style=nobanner&doc=mondragon/inhalt

(5.2) Ideen, 29.06.2003, 23:45, Raimund Köhn: Eigentlich weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Aber bis August ist ja noch etwas Zeit und bevor ich meine Zwangsauszeit nehme noch ein paar Überlegungen vorab.
Vielleicht sollten wir im Vorfeld ein wenig die Begriffe und Grundlagen diskutieren. Spontan fällt mir ein, was ist eigentlich mit politischer Partizipation gemeint? Wo wollen wir mit wem politisch arbeiten? Wer sind potentielle Bündnispartner, wer sind die Gegner?
Solche Fragen halte ich nicht für ganz unwichtig, zumal mit der Perspektive "Unternehmensgründung (Genossenschaft)" eine Fülle von weiteren Fragen auftauchen. Ich persönlich kenne noch die Öko-Komunen aus den frühen 80er Jahren (bin Jahrgang 1962) oder auch die leidvolle Geschichte der TAZ. Soweit die Perspektive Selbstversorgung angestrebt wurde, grenzte der Zwang zur Arbeit oft an Selbstausbeutung in diesen Projekten. Womit ich nur darauf hin weisen möchte, daß jedes Unternehmen (egal ob Genossenschaft, GmbH oder Ich-AG) marktförmig funktionieren muss, wenn die Beschäftigten ein Einkommen erzielen wollen. Da vor allem kleinere Unternehmen primär für den Inlandskonsum produzieren, sind sie verstärkt von den Einkommen der privaten Haushalte abhängig, die gerade in den letzten 10 Jahren deutlich geschrumpft sind. Selbst Multis wie REWE-Handelsgruppe oder Metro haben da ihre Probleme, die Umsätze zu halten. Gegenwärtig werden die Umsatzverluste durch Personaleinsparungen, verbunden mit der Erhöhung der Arbeitsdichte für die noch-Beschäftigten und die Ausweitung unbezahlter Überstunden kompensiert. Ich kenne das selbst aufgrund meiner Tätigkeit als EDV-Fachberater im Promarkt. Trotz Stechuhr werden die Zeiten vor und nach Ladenöffnung, -schluß einfach eliminiert (mind. 15 min am Tag), Pausenzeiten nicht eingehalten aber abgezogen und die Wochenarbeitszeit mit dem Faktor 4,5 statt 4,33 multipliziert. Das allein macht bei einer 20-h-Stelle 3,5 h pro Monat aus. Bei einer vollen Stelle macht das insgesamt etwa 10 h unbezahlter Mehrarbeit im Monat aus!
Aber kurzum, jedes Unternehmen konkurriert auf dem Markt mit diesen Multis und ihren Praktiken und das macht es nicht ganz einfach, Nischen zu finden, in denen mit weniger Arbeitszeit noch ein passables Auskommen gewährleistet ist. Deshalb halte ich Klärungen im Vorfeld für immens wichtig.
Damit das nicht wieder alles nur kritisch klingt. Ich arbeite selbst an Konzepten, wie mit weniger Arbeit (momentan entwickle ich ein Modell für die 33-h-Woche für lohnabhängig Beschäftigte) dennoch bei moderaten Einkommensverlusten Beschäftigung ausgeweitet werden kann, ohne noch mehr zu produzieren (Umweltbelastung reduzieren).
Jetzt weiß ich nicht, ob das auch in eure Richtung geht, aber das ist mein Schwerpunkt.
Gruß
Raimund

(5.2.1) Selbstausbeutung nicht nötig (Nischen-Suchen auch nicht), 08.07.2003, 18:36, Michael Kiersch: Hallo Raimund! Ich denke, dein Schwerpunkt geht schon in unsere Richtung, vor allem wenn es auch darum geht, wie man mit den genannten Einkommensverlusten und entsprechend geringerem Konsum an Lebensqualität gewinnt.

Zu deinem Einwand: den teilen viele Leute, trotzdem glaube ich, dass er höchstens teilweise berechtigt ist.

Kurz vorweg: dass die Unternehmen mit der Erhöhung der Arbeitsdichte ihre Kosten senken wollen und es also letztendlich um eine Senkung des Stundenlohns (oder vielleicht noch allgemeiner: des Lohnes pro Arbeitsaufwand) geht, siehst du sicher auch so, oder? (Dass sie die Arbeitszeit auf diese Weise erhöhen, anstatt den Lohn zu kürzen hat sicher seine Gründe, z.B. dass es weniger offensichtlich ist).

Da es aber auch Leute gibt, die verdammt gut verdienen, trifft dein Szenario offenbar nicht auf alle Arbeitskräfte zu. Betroffen sind diejenigen, die das Pech haben, sich in einer schlechten Marktposition zu befinden, der sie wahrscheinlich auch so bald nicht entrinnen werden. Das ist halt die unmenschliche Gerechtigkeit des Marktes.

Würde dein Beispiel auf alle Bereiche zutreffen und sämtliche Einkommen würden genau im gleichen Maße gedrückt werden, um die Produkte entsprechend billiger zu machen, dann wären die Einkommen real ja genauso viel wert wie vorher.

Da aber wohl viele Leute real an Einkommen verlieren, werden die gesparten Lohnkosten offenbar anders eingesetzt, vermutlich vor allem für:
1. die Kapitaleigner des Unternehmens
2. andere Gehaltsempfänger des Unternehmens, die (z.B. aufgrund ihrer Qualifikation) eine bessere Marktposition haben und denen deshalb mehr geboten werden muss

Falls aus diesem Projekt tatsächlich Unternehmen bzw. Genossenschaften entstehen (was nicht die einzige, aber eine spannende Möglichkeit wäre, an die die Workshop-Anbieter gedacht haben), sollte das natürlich anders gestaltet werden: indem wir
1. kein externes Kapital aufnehmen, sondern mit Sachen anfangen, die wenig Kapital erfordern;
2. uns Gehälter auszahlen, die unseren Gerechtigkeitsvorstellungen und nicht den Markbedingungen entsprechen.

Da es in fast allen Unternehmen sehr gut bezahlte Angestellte gibt, glaube ich nicht, dass wir uns irgendwelche noch nicht von Unternehmen entdeckten Nischen suchen müssen, sondern dass es einen ziemlich großen Bereich gibt, wo wir auf Selbstausbeutung gut verzichten können. Ich persönlich verdiene z.B. ganz passabel damit, dass ich Studis gelegentlich helfe, durch ihre Mathe-Prüfungen zu kommen. Wenn ich den Unterricht für Gruppen anbieten würde, könnte ich angemessen verdienen, ohne dass die Einzelnen sehr viel zahlen müssten. Das würde ich gerne zusammen mit Gleichgesinnten machen, so dass wir u.a. auch Intensiv-Wochen im Grünen anbieten könnten. Ich kann mir aber auch andere Bereiche vorstellen.

Für viel versprechend halte ich es, erwerbsmäßig mit den Methoden zu arbeiten (oder mit ähnlichen), die wir viel in der politischen Arbeit nutzen (z.B. alles, was in den Bereich Kommunikationstechniken geht: redaktionelle Tätigkeiten, Internet, Workshops, Mediation und Moderation etc.). Das hätte den Vorteil, dass wir uns ständig weiterqualifizieren auch wenn wir nur sehr wenig erwerbsmäßig arbeiten. (Ein Nachteil wäre, dass das wohl kein Modell für alle sein kann.)

(5.2.1.1) Re: Selbstausbeutung nicht nötig (Nischen-Suchen auch nicht), 23.07.2003, 23:44, Raimund Köhn: In der heutigen (face-to-face) Diskussion haben wir ja schon einige Aspekte geklärt (denke ich) und ich hoffe, daß trotz meiner Skepsis deutlich geworden ist, daß ich die/deine Überlegungen für den richtigen Ansatz halte.
Du sprichst hier konkret jedoch Positionen an, die in ähnlicher Weise in der Debatte über die Wissensgesellschaft verwendet werden. Dazu habe ich eine eigene Theorie (jaja, das klingt arrogant, weil ich weiß mit meiner Theorie immer alles besser und so fort, ist aber nicht so gemeint. Ich meine, ich bemühe mich, die ökonomischen Prozesse zu begreifen, sie erklären zu können und daraus die passenden Schlüsse zu ziehen, also nicht überinterpretieren, bitte). Der Kontext ist die Surplusproduktion. Zum Inhalt, jedes Unternehmen, das über eine produktivere Technologie verfügt, kann Waren zu einem günstigeren Preis anbieten und macht trotzdem mehr Profit, als diejenigen, die noch herkömmlich produzieren. Diese Annahme als zugegeben verkürzte, aber dennoch zutreffende Beschreibung der Realität/Praxis vorausgesetzt, ergeben sich ein Fülle von Schlußfolgerungen.
Ein Unternehmen (z.B. der Automobil-Industrie) setzt einen Industrieroboter ein, der die Arbeit von 100 Facharbeitern übernimmt. Er funktioniert aber nur, wenn ich Ingenieure habe, die ihn warten und Programmierer, die die Programme überarbeiten, betreuen. Da der Roboter rund um die Uhr läuft, brauche ich noch 4 Programmierer und 8 Ingenieure. Ich spare als Unternehmer also den Lohn von 88 Beschäftigten, kann die Produkte (Autos) günstiger verkaufen, zahle höhere Löhne für die wenigen noch-Beschäftigten und mache trotzdem einen höheren Profit.
Jetzt können aber meine Konkurrenten die gleiche Technologie einsetzen, ähnlich günstig produzieren und bei einem immer noch höheren Profit sogar meine Preise unterbieten. Damit sinken die Surplus-Profite bis sie sich wieder auf der Höhe des gesellschaftlichen Durchschnittprofits einpendeln. Da der Preis der Maschinen und ihre Amortisation gegeben ist, die Ressourcenpreise ebenfalls eine relativ konstante Größe sind, kann ich nur an den Lohnkosten schrauben, um die individuelle Profitrate zu erhöhen. Das wiederum machen aber auch alle Unternehmen relativ gleichzeitig. Um also als Unternehmen dennoch Surplusprofite realisieren zu können, muß ich wieder in eine innovative Technologie investieren, bei der ich nur noch mit einem Programmierer und 4 Ingenieuren auskomme, noch mehr Waren zu noch günstigeren Preisen produziere.
Das hat ganz unmittelbare Effekte, die sich meiner Ansicht nach unzweideutig in der gesellschaftlichen Praxis beobachten lassen. Der materielle Reichtum der Gesellschaft wächst permanent (damit jedoch auch die Umweltbelastung), aber es partizipieren immer weniger unmittelbar daran. Außerdem, die Systementwickler und -Betreuer machen sich mit jedem Innovationsprozeß selbst ein Stück überflüssig, weshalb auch deren Partizipation am gesamtgesellschaftlichen Reichtum rückläufig ist. Ich würde sogar die These aufstellen, daß gerade das Expertenwissen (know-how) sich selbst permant entwertet, wenn es praktisch angewendet wird.
Der Prozess hat eine enorme Dynamik, deren Konsequenzen gegenwärtig noch gar nicht abzuschätzen ist. In der ökonomischen Zukunftsforschung wird bereits über die eindrittel-Gesellschaft diskutiert, also nur ein drittel der arbeitsfähigen Menschen haben über ihre Beschäftigung noch ein materiell gesichtertes Auskommen/Einkommen. Zwei drittel fristen ein Leben in relativer und absoluter Armut (in den USA betrifft das bereits gut 50% der registrierten Arbeitsfähigen). Das hat nichts mit falscher Job, falsche Ausbildung und so zu tun. Gerade die hochqualifizierten Tätigkeiten entwerten sich durch ihre praktische Tätigkeit auf Dauer selbst. Das ist ein Problem (in meiner Theorie), das nur über eine Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit gelöst werden kann. Aber davon sind wir heute weiter entfernt als jemals zuvor.

(5.2.1.1.1) Re: Selbstausbeutung nicht nötig (Nischen-Suchen auch nicht), 16.09.2003, 09:57, Olaf Boerger: Kleine Anfrage: Hast du die Quelle für die 50 Prozent? -wir haben nämlich gerade unter www.kollaps-kurier-phase-4.blogspot.com das Projekt `USA`gestartet, um diese Datenflut mal aufzubereiten. Mittlerweile sind`s 30 Seiten, und noch immer sind nur die Unternehmen dran (natürlich mit passenden Einschüben, wie z.B. die Tatsache, dass in den USA nur in der Industrie innerhalb weniger Monate 3 Millionen Stellen abgebaut wurden).

(5.2.1.1.1.1) Re: Großbankrottannien, 16.10.2003, 16:25, Olaf Boerger: Neueste Ergänzungen zu `Großbritannien`, `USA`, `Russland` www.kollaps-kurier-phase-4.blogspot.com

(5.2.1.1.2) Re: Selbstausbeutung nicht nötig (Nischen-Suchen auch nicht), 19.06.2005, 13:53, Karl Marx: Gefällt mir grundsätzlich ganz gut die Formulierung DEINER Theorie. Scheint mir trotzdem aber 100% übernommen aus meinen \"Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie\" :-)! Trotzdem weiter so...

(5.2.1.1.2.1) Re: Selbstausbeutung nicht nötig (Nischen-Suchen auch nicht), 28.06.2005, 01:19, Raimund Köhn: Hallo Karl, schön von dir zu hören (warum meldest du dich erst so spät?). Aber ich muss dich korrigieren, das Grundmuster stammt aus deiner Schrift "Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses", also deine voluminösen Vorarbeiten zum "Kaptital", die nur in Auszügen in den "Grundrissen" enthalten sind. Was meine Arbeit angeht, ich glaube, ich kann deine Prinzipien auf die aktuelle Situation der entwickelten postfordistischen Gesellschaften anwenden. Das Problem ist, wir haben uns nicht mal tendenziell an die von dir prognostizierte voll-entwickelte kapitalistische Gesellschaft angenähert. Du hast das fürs Ende des 19. Jahrhunderts prognostiziert, aber offenbar gibt es für die Entwicklung auch am Anfang des 21. Jahrhunderts immer noch Perspektiven. Ich arbeite auch an der Erkenntnis, warum dieser widerspennstige Kapitalismus immer noch funktioniert. Ich hab da die ein oder andere Ahnung. Aber vielleicht hast du ja noch weitere Hinweise, warum deine Prognosen bislang nicht eingetroffen sind. Ich wäre dir für jede Hilfe dankbar.


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