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Wie kommen wir zu einer Tasse Kaffee? Zur produktiven Informationsgesellschaft (Autor: Wolf Göhring)
Maintainer: Werner Imhof, Version 1, 04.12.2001
Projekt-Typ:
Status: Archiv
(1) Ich will nicht gleich ins Allgemeine einsteigen und dort versacken, sondern erst mal über einer Tasse Kaffee etwas Praktisches bereden, nämlich wie man eigentlich zu Kaffee kommt. Danach ist Gelegenheit, entlang dieser Praxis zwei wesentliche Züge unserer Zeit zu behandeln, nicht ohne Nachhilfe bei MARX. Das eine ist die Produktion der Güter als Waren, die erst nach einem Tausch brauchbar werden. Das andere ist, daß alle versuchen, den Tausch "irgendwie" so in den Griff zu bekommen, daß man hinterher nicht der Gelackmeierte ist.
(2) Ganz einfach: Wasser in die Kanne zapfen, in die Maschine schütten, etwas gemahlenen Kaffee aus der Tüte in den Filter, Filter auf die Kanne, Maschine einschalten, kurz warten, fertig. Wie kommen wir zur Tasse Kaffee, wenn die Kaffeetüte leer ist? Ganz einfach, im Supermarkt eine neue kaufen. Oder wenn die Kanne zu Boden gegangen und zerschellt ist? Ganz einfach, in der Elektroabteilung eine neue kaufen. Oder wenn ... ? Auf jeden Fall: ganz einfach.
(3) Im Supermarkt fehlt Kaffee nie. Wie kommt der dorthin? Dort sieht man manchmal Lkws, von denen Paletten abgeladen werden, da wird auch der Kaffee dabeisein. Wo die Paletten herkommen? Da gibt es ein zentrales Großlager mit allem Möglichen, da lagert auch Kaffee. Der Grossist bezieht ihn von der Rösterei. An der Küste gibt es viele Röstereien, wegen der Häfen. Der Kaffee kommt mit dem Schiff, aus Übersee, aus Brasilien, aus Mittelamerika. Irgendwie arbeiten dort Campesinos auf den Haziendas. Sechsmal sortieren die Familien der Campesinos die frischen Kaffeebohnen, bevor sie getrocknet und "die guten ins Säckchen" für die Westeuropäer gefüllt werden. Wo kommen die Säcke her? Jute aus Indien? Wie werden die vollen Säcke eingeladen? Auf den Schultern der Einheimischen? Wie werden die vollen Säcke ausgeladen? Mit den Kränen der andern Einheimischen? Wo kommen die Kräne her? Der Stahl der Kräne, der Schiffe und dieses Bandes, das sich um die Kanne schlingt und den Griff hält? Das Erz für den Stahl? Lothringen? Kiruna? Minas Gerais? Kenia?
(4) Im Supermarkt gibt es Kaffee für 6,40 DM im Sonderangebot. An der Kasse wird mit dem Markierungsleser eine Nummer an der Tüte gelesen. Ein kleiner Computer in der Kasse fragt einen großen Computer im Supermarkt, was das kosten soll, und druckt es auf den Quittungszettel. 10 Mark hin. "Dreimarksechzig zurück", sagt der Computer. Der große Computer verbucht den Abgang einer Tüte und merkt, daß nur noch höchstens zehn im Regal stehen, also nachfüllen aus dem Lager, und weil im Lager auch so wenig, nachbestellen beim Großhändler - elektronisch. "Natürlich", möchte man sagen. Von des Großhändlers Computer geht irgendwann eine Email an die Kaffeerösterei. Dort werden Marktanteile untersucht und Aufkäufer in Gang gesetzt. Die erschauen in ihren Bildschirmen, daß sie bei den Warentermingeschäften nicht draufzahlen. Und irgendwo ist ein Kaffeeproduzent froh, daß er sein Zeugs losgeworden ist.
(5) Es werden Kontrakte geschlossen: Soundsoviel Kaffee geht von A nach B, ohne den Kaffee einen Meter bewegen zu müssen. Soundsoviel Geld von B nach A, ohne einen Pfennig bewegen zu müssen. Es genügt die Computerbuchung. Aber irgendwo wird auch transportiert, nicht nur virtuell und mit Mausklick. Die Kaffeetüte kommt zum Kaffee, worin er frisch gemahlen aromasicher vakuumverpackt wird. Die 640 Pfennige für die volle Kaffeetüte werden virtuell über den Globus verstreut, um sich als Cents, Centavos oder allerlei anderes Geld wieder zu materialisieren. Genau besehen: Aus einer dampfenden Tasse Kaffee zieht eine ganze Welt herauf.
(6) Muß man das so genau sehen und wissen? Es läuft doch gut, auch wenn man es nicht genau weiß: Man geht zum Supermarkt und kauft sich dort seinen Kaffee. Basta. Und wenn mal kein Kaffee da sein sollte, kauft man woanders oder beschwert sich. Globalisierung, vernetzte Welt? Brauchen wir diese? Sollten wir nicht lieber echt deutsche Zitronen essen, wozu uns Tucholsky schon spottend riet? Aber nein. Was wir brauchen, ist mehr Geld und billigeren Kaffee. Wieso ist der Kaffee trotz Sonderangebot noch so teuer?!
(7) Statt über Kaffee hätte ich auch über Schuhe, Kerzenständer oder Zahnpasta sprechen können. Oder über Bohrmaschinen, Gabelstapler, Kinderwagen. Was macht diese Gebrauchsgegenstände käuflich, zu Waren?
(8) Ich spare mir Anmerkungen dazu, wie es im Laufe der Jahrtausende dazu gekommen ist und was die Menschen dazu getrieben hat, immer mehr Produkte nicht mehr für den eigenen, unmittelbaren Verbrauch in einer kleinen Gruppe, sondern als Waren für den Tausch herzustellen. Bekannt ist, daß diese Entwicklung von scharfen Auseinandersetzungen begleitet war. Dazu nur eine Episode: Der deutsche Kaiser Otto III. zog vor tausend Jahren nach Rom, um den meist nur noch symbolischen Pachtzins für Ackerland kräftig anzuheben. Landbesitzender Adel und Klerus sollten zu Geld kommen, die Bauern hätten mehr auf den Markt bringen und verkaufen müssen. Der höhere Pachtzins hätte das Preis-, Sozial- und Produktionsgefüge dramatisch verändert. Die Römer pfiffen auf diese "Wiederherstellung des römischen Reiches", wie es Otto III. in einer Rede benannte, und bekriegten ihn.
(9) Ware, Gebrauchswert und Tauschwert1 [1] [2]
(10) Es hat historische und natürliche Gründe, daß der Ort, wo die Produkte entstehen, und der Ort, wo sie verbraucht werden, ganz verschiedene sind. Schon die antiken Städter konnten nicht mehr selbst auf die entlegenen Felder ziehen, um dort das Korn anzubauen, das sie verzehrten. Das Korn für das antike Rom kam aus Libyen. Produkte, auch die modernsten, die in isolierter Arbeit aufgehäuft werden, müssen erst zu den Verbrauchern geschafft werden. Gebrauchsgegenstände wie Kaffee oder Kinderwagen werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander unabhängig betriebener Arbeiten - MARX nennt sie Privatarbeiten (MEW 23, S. 87) - sind. Sie sind Nicht-Gebrauchswerte für ihre Erst-Besitzer, Gebrauchswerte für ihre Nicht-Besitzer. Ein Campesino, der Kaffee anbaut und von Kaffee "lebt", kann gar nicht soviel Kaffee trinken, wie er erntet. Er muß ihn los werden, aber er kann ihn nicht verschenken. Und uns läßt es kalt, ob der Campesino bei der Kaffeeernte schwitzte, wenn wir das Geld für die Tüte Kaffee über den Ladentisch schieben. Man hat mit dem Campesino nichts zu schaffen, auch wenn man sich seine Arbeit mit einer Tasse Kaffee einverleibt.
(11) Die Herstellung der Produkte ist nicht ohne Arbeit und nicht ohne Verbrauch an Lebenszeit der Produzenten zu haben. In dieser Zeit werden die Produzenten müde, hungrig und durstig. Es verschleißen ihre Kleider, ihre Häuser wollen renoviert werden. Und irgendwie muß auch das erledigt werden. Die Produzenten drängen darauf, daß sie für die Produkte, die sie hergeben (müssen), in irgend einer Weise so entschädigt werden, daß sie weiterleben können, daß das, was während der Produktion für andere liegengeblieben ist, irgendwie doch erledigt oder ersetzt werden kann. "The real price of every thing, what every thing really costs to the man who wants to acquire it, is the toil and trouble of acquiring it. What every thing is really worth to the man who has acquired it, and who wants to dispose of it or exchange it for something else, is the toil and trouble which it can save to himself, and which it can impose upon other people. What is bought with money or with goods is purchased by labour, as much as what we acquire by the toil of our own body. That money or those goods indeed save us this toil. They contain the value of a certain quantitiy of labour which we exchange for what is supposed at the time to contain the value of an equal quantity." (ADAM SMITH: a.a.O., chap. V, p. 36) Die Produzenten können ihr Produkt nicht umsonst hergeben, sie benötigen soviel, um anderntags weiterleben zu können. Die Produzenten ver"wahren" ihre Produkte solange, bis Gleichwertiges ansteht. Erst dann wird getauscht, erst dann ist der andere zum Gebrauch des Produkts befugt: Das verwahrte Produkt ist eine Ware geworden (s. a. Grimmsches Wörterbuch der deutschen Sprache).
(11.1) 12.01.2002, 18:50, Werner Imhof: Ware wird ein Produkt allein durch den Austausch mit anderen Produkten oder mit Geld, nicht durch seine eventuelle vorherige "Verwahrung". Auch ein Produkt, das nicht "verwahrt" werden kann, weil es im Moment seiner Produktion auch schon konsumiert wird, also Dienstleistung ist, ist Ware, wenn seine Nutzung gegen anderes Produkt oder Geld getauscht wird.
(11.1.1) Ware, 03.03.2002, 14:14, Günter Lauterbach: Vielleicht ist es ja schon ausreichend die Produktionsbedingungen zu "verwahren"?
(11.1.1.1) Re: Ware, 04.03.2002, 16:13, Werner Imhof: Vielleicht würde ich Deinen Einwurf verstehen, wenn Du ihn so vervollständigen könntest, daß er Sinn macht. Produktionsbedingungen sind 1. Naturstoff, 2. menschliche Arbeitskraft, 3. vergangene Arbeit in Form von Produktionsmitteln. Sie "verwahren" heißt, sie vorrätig halten, also vorerst ungenutzt lassen. Wozu sollte das "ausreichend" sein?
(11.1.2) 25.03.2002, 12:00, Wolf Göhring: Hier konnte und sollte keine ethymologische, also geschichtliche herleitung des wortes "ware" gegeben werden. Aber nach dem, was ich im Oxford English Dictionary dazu gelesen habe, scheinen "ware", "verwahren", "bewahren" die gleiche formale, aber auch inhaltliche wurzel zu haben, und die verweist auf den austausch: Zum austausch gehoert naemlich auch das festhalten und bewachen des sache, bis sich etwas passendes als gegenleistung gefunden hat. Erst dann gibt man die chose her. Das wort "ware" charakterisiert also den (moeglicherweise langen) weg zwischen produktion und tatsaechlichem austausch und kennzeichnet mit dem "verwahren" zugleich das mit dem austausch untrennbar verbundene private eigentum. Indem man austauscht, ist man gegenueber dem partner des tauschs eigentuemer, besitzer der ware. Der austausch ist wechsel der besitzer; diebstahl uebrigens auch.
(12) Die Kaufleute schaffen das Produkt vom Ort seiner Entstehung an den seines Verbrauchs; sie vermitteln zwischen Hersteller und Verbraucher, die sich beide unbekannt, fremd und gleichgültig bleiben, wo der eine etwas hat, das er nicht gebrauchen kann, das ein andrer gebrauchen könnte, aber zunächst nicht hat. Die auf einen Gebrauchswert, Kaffee oder Zahnpasta beispielsweise, "verausgabte menschliche Arbeit zählt nur, soweit sie in einer für andre nützlichen Form verausgabt ist. Ob sie andren nützlich, ihr Produkt daher fremde Bedürfnisse befriedigt, kann aber nur ihr Austausch beweisen." (MEW 23, S. 100 f.) Mit Bezug auf den Gebrauchswert gilt die in der Ware - im Kaffee, in der Zahnpasta - enthaltene Arbeit nur qualitativ. Beim Gebrauchswert geht es um das Wie und Was der Arbeit, beim Tauschwert um ihr Wieviel, ihre Zeitdauer (S. 60). "Da der Handel überhaupt nichts ist als der Austausch einer Arbeit gegen andere Arbeit, wird der Wert aller Dinge am richtigsten geschätzt in Arbeit." (The Works of BENJAMIN FRANKLIN, ed. by Sparks, 1836, v. II, p. 267) Arbeit bedeutet bei FRANKLIN wie oben auch "labour" und "toil and trouble", bei SMITH aber nicht die konkrete individuelle Arbeit, die die Einzelnen vollbracht hatten, als sie das auszutauschende Stück herstellten. Beim Tausch, Verkauf eines schönen handgeknüpften Teppichs ist es dem Käufer egal, mit wieviel Fantasie, Begeisterung und Hingabe das gute Sück geknüpft wurde. Es zählt sein Preis im Vergleich zu andern Stücken, es zählt, ob viele oder wenige angeboten werden und wieviele die Gesellschaft gebrauchen kann oder will. Mit Blick auf den Tausch tragen nur die hineingesteckten Arbeitsstunden, gleichgültig von welcher Art und Person, zum (Tausch-)Wert des Produkts bei. Mit Bezug auf den (Tausch-)Wert gilt die hineingesteckte Arbeit nur quantitativ, nachdem sie bereits auf menschliche Arbeit ohne weitere Qualität reduziert ist. Im Austausch werden die Waren als (Tausch-)Werte aufeinander bezogen und als (Tausch-)Werte realisiert (S. 100). Moderne Betriebswirtschaft und Kostenrechnung haben daran nichts geändert. Mit 17 Arbeitsstunden wird ein Auto montiert; das ist zusammen mit dem Verbrauch anderer (Tausch-)Werte ein Eckpunkt seines (Tausch-)Werts, den es schnell verliert, wenn es andere in 16 Stunden montieren oder wenn zuviele gebaut werden. Wenn an allen Ecken Kiwis feilgeboten werden, so sind sie in den Augen der Käufer nichts mehr wert, auch wenn ihr Wert für die menschliche Ernährung in nichts nachgelassen hat.
(12.1) 12.01.2002, 18:55, Werner Imhof: Wenn Wert und Tauschwert als Synonyme oder auswechselbare Begriffe verwandt werden, ist das regelmäßig ein Anzeichen dafür, daß beide unklar sind. So auch hier. Ob die in ein Produkt hineingesteckte Arbeit "trägt" oder "gilt", ist empirisch gewöhnlich gar nicht zu erkennen (es sei denn, es ist unverkäuflich); dazu müßte sein Wert, sein notwendiger Anteil an der Gesamtarbeit, bekannt sein, was er aber nicht ist. Der Tauschwert resp. Preis einer ware ist ihr jeweiliges Austauschverhältnis mit einer anderen resp. mit allen anderen Waren. Ob die in der Ware enthaltene Arbeit gleich ist der in dem Äquivalent resp. in allen Äquivalenten verkörperten Arbeit, ist ebenso unbekannt wie ihr Wert.
(12.1.1) Wertgröße, 03.03.2002, 14:17, Günter Lauterbach: Wenn der Wert sich nicht erkennen läßt könnte doch eigendlich überhaupt nicht getauscht werden,oder?
(12.1.1.1) Re: Wertgröße, 04.03.2002, 16:17, Werner Imhof: Wieso nicht? Du tauscht doch täglich Geld gegen Waren, ohne ihren Wert zu kennen. Was Du kennst, sind ihre Preise. Über den zur Herstellung der Waren notwendigen Anteil an der gesellschaftlichen Gesamtarbeit sagen sie Dir herzlich wenig.
(12.1.2) 25.03.2002, 12:35, Wolf Göhring: Gesenkten hauptes zitiere ich: "Der wert einer ware ist selbstaendig ausgedrueckt durch seine darstellung als 'tauschwert'. Wenn es im eingang dieses kapitels in der gang und gäben manier hieß: Die ware ist gebrauchswert und tauschwert, so war dies, genau gesprochen falsch. Die ware ist gebrauchswert oder gebrauchsgegenstand und 'wert'. ... Unsere analyse bewies, daß die wertform oder der wertausdruck der ware aus der natur des warenwerts entspringt, nicht umgekehrt wert und wertgröße aus ihrer ausdrucksweise als tauschwert." (Marx: Das Kapital I. MEW 23, s. 75)
(13) Die zur Produktion der Waren gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit und die Nützlichkeit der Waren spricht sich zwar herum, doch erst im Austausch zeigt sich, ob und wieweit die einzelne Ware einen Nutzen hat, ob sie die eingesetzte Arbeitszeit wert ist. Was nichts taugt, nimmt man, wenn es sich herumgesprochen hat, nicht mal mehr geschenkt. Die Waren müssen im Tausch Gleichwertiges gefunden haben, sie müssen ihren (Tausch-)Wert bewiesen und realisiert haben, bevor sie verwendet werden können. Andrerseits müssen sie sich als Gebrauchswerte bewähren, bevor sie sich als (Tausch-)Werte realisieren können. Aber erst nach dem Tausch, wobei die Dinge als Tauschwerte aufeinander bezogen werden, erweist sich das eingetauschte Produkt als tauglich, zeigt sich sein Gebrauchswert.
(13.1) 12.01.2002, 19:00, Werner Imhof: "Die zur Produktion der Waren gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit" kann sich nicht herumsprechen, weil sie keine empirische Größe ist (bzw. dies erst auf der Ebene der Gesamtarbeit wird), sondern eine analytische Kategorie, von der die bürgerliche Ökonomie nicht mal einen theoretischen Begriff hat. Die Waren müssen daher auch keineswegs "im Tausch Gleichwertiges gefunden haben". Sie werden im Austausch mit anderen Waren gleichgesetzt oder verglichen. Aber ob die realisierten Tauschwerte der Waren auch ihre Werte realisieren, steht in den Sternen.
(13.1.1) notwendige Arbeitszeit, 03.03.2002, 14:23, Günter Lauterbach: Irgendwie Erinnere ich mich daran das die Konkurenz etwas mit der Wertgröße zu tun hatte. Nämlich das die Waren in der Konkurenz auf ihre Wertgröße zurückgeführt werden- als Durchschnittswert. Also hinter dem Rücken der Produzenten.
(13.1.1.1) Re: notwendige Arbeitszeit, 04.03.2002, 16:28, Werner Imhof: Wenn Du meinst, daß die Konkurrenz die Wertgröße bestimmt, ist das ein Irrtum. Die Konkurrenz ist nur eine Bedingung dafür, daß die Wertgröße die Bewegung der Preise beherrschen, als ihr "Gravitationszentrum" wirken kann. Das heißt aber noch lange nicht, daß die Konkurrenz alle Preisunterschiede ausgleicht und Durchschnittspreise durchsetzt, die dann der Wertgröße entsprechen. Übereinstimmung von Preisen und Wertgrößen herrscht gewöhnlich nur auf der Ebene der Gesamtarbeit für die Gesamtheit einer Ware(nart).
(13.1.2) 25.03.2002, 13:08, Wolf Göhring: In dem saetzchen "im Tausch Gleichwertiges gefunden haben" hab ich ein bisschen mit dem schillernden gehalt der silbe "wert" (nicht mit dem selbstaendigen wort oder begriff "wert") gespielt. Wenn man bei einem kauf sagt: "das ist mir die sache wert", so drueckt man doch wohl aus, dass die groschen, die man rueberreicht, und das produkt, das man erhaelt, in dieser sekunde fuer gleichwertig erachtet werden. Eine halbe stunde spaeter kann man das schon wieder anders beurteilen, wenn man meint, ueber's ohr gehauen worden zu sein. Das gleichsetzen mit andern waren ist keine willkuer, es sei denn, es stehen sich tumbe toren gegenueber. Der vergleich, der der gleichsetzung vorausgeht, fusst auf der kenntnis, wie lange man selbst arbeiten muss, um die kroeten zusammen zu haben, um sich das ding leisten zu koennen. Er fusst auf der kenntnis, dass andere aehnlich lange dafuer rackern muessen. Er fusst auf der kenntnis, wieviel fuer aehnliche waren verlangt wird, heute, gestern, an den abgeklapperten stellen. Er fusst auf der kenntnis, mit welcher qualitaet zu rechnen ist und woran einem selbst mangelt, ggf. durch eine besondere zwangslage verursacht. Alles das laesst einen dann den konkreten austausch vollziehen, jedoch keineswegs mathematisch scharf durchgerechnet. In diesem sinne war "gleichwertiges" zu verstehen.
Dazu ein vormarxistisches zitat: The prices are "adjusted, however, not by any accurate measure, but by the higgling and bargaining of the market, according to that sort of rough equality which, though not exact, is sufficient for carrying on the business of common life (A. SMITH, 1776).
(14) Persönliche und geburtliche Abhängigkeit, Treue-, Fürsorge- und Unterhaltspflicht bestimmen heutzutage außer in Familie oder in persönlichen Partnerschaften nicht mehr, wem welche und wieviele Produkte zugute kommen, sondern das sachliche Kriterium einer gleichwertigen Gegenleistung für das "hergestellte" Ding, für das verwahrte Produkt. Jedoch: Wieviel Sack Weizen für einen Kupferkessel? Wieviele Denare, Schillinge, Euro für einen Sack Weizen und wieviele für den Kupferkessel? Oder für Kaffee, Schuhe, Kerzenständer oder Zahnpasta. Oder für Bohrmaschinen, Gabelstapler, Kinderwagen? Was tut man, was gibt man dafür, was ist es einem wert, Kaffee trinken zu können? Für welches Angebot gibt der Produzent seinen Kaffee preis oder muß er ihn preisgeben?
(15) "Jeder Warenbesitzer", schreibt MARX, "will seine Ware nur veräußern gegen andre Ware, deren Gebrauchswert sein Bedürfnis befriedigt. ... Aber andrerseits will er seine Ware als Wert realisieren, also in jeder ihm beliebigen andren Ware von demselben Wert, ob seine eigne Ware nun für den Besitzer der andren Ware Gebrauchswert habe oder nicht." (MEW 23, S. 101)
(16) "... so gilt jedem Warenbesitzer jede fremde Ware als besonderes Äquivalent seiner Ware, seine Ware daher als allgemeines Äquivalent. Da aber alle Warenbesitzer dasselbe tun, ist keine Ware allgemeines Äquivalent und besitzen die Waren daher auch keine allgemeine relative Wertform, worin sie sich als Werte gleichsetzen und als Wertgrößen vergleichen. ... Die Gesetze der Warennatur betätigten sich im Naturinstinkt der Warenbesitzer. Sie können ihre Waren nur als Werte und darum nur als Waren aufeinander beziehn, indem sie dieselben gegensätzlich auf irgendeine andre Ware als allgemeines Äquivalent beziehn. ... Aber nur die gesellschaftliche Tat kann eine bestimmte Ware zum allgemeinen Äquivalent machen. Die gesellschaftliche Aktion aller andren Waren schließt daher eine bestimmte Ware aus, worin sie allseitig ihre Werte darstellen. Dadurch wird die Naturalform dieser Ware gesellschaftlich gültige Äquivalentform. ... So wird sie - Geld." (A.a. O.)
(17) "Der Geldkristall ist ein notwendiges Produkt des Austauschprozesses, worin verschiedenartige Arbeitsprodukte einander tatsächlich gleichgesetzt und daher tatsächlich in Waren verwandelt werden. Die historische Ausweitung und Vertiefung des Austausches entwickelt den in der Warennatur schlummernden Gegensatz von Gebrauchswert und Wert. Das Bedürfnis, diesen Gegensatz für den Verkehr äußerlich darzustellen, treibt zu einer vollständigen Form des Warenwerts und ruht und rastet nicht, bis sie endgültig erzielt ist durch die Verdopplung der Ware in Ware und Geld. In demselben Maße daher, worin sich die Verwandlung der Arbeitsprodukte in Waren, vollzieht sich die Verwandlung von Ware in Geld." (A.a.O. und S. 102) Die Teilung der Arbeit in unabhängige Privatarbeiten oder besser: die bloße Anhäufung unabhängiger Privatarbeiten verwandelt die Arbeitsprodukte in Waren und macht dadurch ihre Verwandlung in Geld notwendig (S. 122).
(18) Nach diesem Ausflug zu MARX eine seiner Fußnoten: "Danach beurteile man die Pfiffigkeit des kleinbürgerlichen Sozialismus, der die Warenproduktion verewigen und zugleich den 'Gegensatz von Geld und Ware', also das Geld selbst, denn es ist nur in diesem Gegensatze, abschaffen will. Ebensogut könnte man den Papst abschaffen und den Katholizismus bestehen lassen." (A.a.O., Fußnote S. 102)
(19) Erst in vollständig entwickelter Warenproduktion wird einsichtig, daß die unabhängig voneinander betriebenen, aber als naturwüchsige Glieder der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit allseitig voneinander abhängigen Privatarbeiten fortwährend auf ihr gesellschaftlich notwendiges Maß gestutzt werden, weil in den zufälligen und stets schwankenden Austauschverhältnissen der Produkte die zu deren Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit von den Austauschenden gewaltsam wie ein Naturgesetz durchgesetzt wird (S. 89). "Nur vermittels der Entwertung oder Überwertung der Produkte werden die Produzenten mit der Nase darauf gestoßen, was und wieviel davon die Gesellschaft braucht oder nicht braucht." (FRIEDRICH ENGELS, Vorwort zu MARX: Elend der Philosophie, MEW 4, S. 566). Der Preis einer Ware kann deshalb von ihrem Wert abweichen. Die Preisform der Waren ist einer Produktionsweise angemessenen, "worin sich die Regel nur als blindwirkendes Durchschnittsgesetz der Regellosigkeit durchsetzen kann" (MARX: Das Kapital, MEW 23, S. 117).
(20) Gesellschaftlicher Zusammenhang, Versachlichung, Entfremdung und Warenfetischismus
(21) Trotz Unabhängigkeit und Isoliertheit der Arbeiten bleibt die Produktion jedes einzelnen abhängig von der Produktion aller andern: Das eigne Produkt, die eigne Tätigkeit werden nur nützlich, wenn ausgetauscht, wenn fremder, nicht der eigne Bedarf befriedigt wird. Umgekehrt wird der eigne Bedarf durch ein fremdes Produkt befriedigt, das nur im Tausch gegen eignes gewonnen werden kann. Dieser gesellschaftliche Charakter der Tätigkeit, diese gesellschaftliche Form des Produkts und dieser Anteil des Individuums an der gesellschaftlichen Produktion - auch des produzierten Abfalls, denn das Produkt von heute ist der Müll von morgen - erscheinen in der heutigen, voll entwickelten kapitalistischen Gesellschaft nicht mehr als das persönliche Verhalten der Individuen gegeneinander, sondern als ihnen gegenüber Fremdes, Sachliches, als ihr Unterordnen unter Verhältnisse (z. B. Lohnarbeit), die unabhängig von ihnen bestehen und aus dem Anstoß der gleichgültigen Individuen aufeinander entstehen. Diese wechselseitige und allseitige Abhängigkeit der Individuen bildet ihren heutigen gesellschaftlichen Zusammenhang, ausgedrückt - wie MARX betont - im Tauschwert oder, wenn man ihn isoliert und individualisiert, Geld. Erst darin wird Tätigkeit oder Produkt eines jeden Individuums eine Tätigkeit und ein Produkt für es selbst. Der gesellschaftliche Charakter zeigt sich auch hinterrücks über die Natur der verbrauchten Waren: Der Gebrauch der Produkte verwandelt sie zu Müll, einer plötzlich global und gemeinschaftlich zu tragenden Last. Die mit dem erzeugten Kohlendioxid verbundene globale Klimaveränderung liefert ein schlagendes Beispiel.
(22) Die Warenwelt findet mit dem Geld ihre fertige Form. Eine Sache, das Geld in der Tasche, gibt die Macht, sich ein Produkt anzueignen und sich einen Dienst erweisen zu lassen. Diese Geldform verschleiert in einer sachlichen Weise den gesellschaftlichen Charakter der unabhängigen, isolierten Arbeiten und daher die gesellschaftlichen Verhältnisse der Privatarbeiter, statt sie zu offenbaren (MEW 23, S. 90). Wer im Supermarkt Kaffee einkauft, muß nichts vom Job all derer wissen, die für den Kaffee sorgten. Geld genügt. Und kaum einer dieser Leute, die den Kaffee vom Strauch zum Bauch schaffen, weiß etwas vom Job des andern auf dieser Strecke. Man hat mit jenem Landarbeiter nichts zu schaffen, dessen Arbeit man sich zu Hause als Tasse Kaffee einverleibt, was trotzdem nicht ohne eigenes Zutun abgeht. Dieses Zutun - das bezahlte Geld - kommt umgekehrt abstrakt, unpersönlich, fremdartig, nüchtern-sachlich jenen Stellen zugute, wo der Kaffee geerntet, transportiert, geröstet und vakuumverpackt wird. Ob es dort diejenigen Menschen sind, die zuvor Erzeugung und Lieferung des Kaffees besorgten, ist bedeutungslos. Auch wer Benzin tankt, muß nichts vom Job des Ölarbeiters wissen. Auch hier genügt Geld, aber die Macht des Geldes ist gesellschaftlich. Auf ungültige oder unbekannte Währung wird nichts gegeben, so als spräche man eine fremde Sprache. Und mancherorts ist man mit seiner Kreditkarte arm dran.
(23) Diese Versachlichung des gesellschaftlichen Charakters der Privatarbeiten ist gepaart mit einer Entfremdung: Die Produkte werden für einen fremden, unbekannten Gebrauch gefertigt. Das Produkt wird den Produzenten entzogen, es bleibt nicht ihr Eigentum, es wird ihnen fremd, es wird abtransportiert. Die Produktion wird dem Erwerber des Produkts fremd und gleichgültig, er tauscht das Produkt eines Fremden ein, auf das er mehr oder weniger zufällig stößt.
(24) Das Wertverhältnis der zu Waren gemachten Arbeitsprodukte hat mit deren physischer Natur, den daraus entspringenden dinglichen und persönlichen Beziehungen der Produktion sowie mit ihren Gebrauchswerten nichts zu schaffen. Das Wertverhältnis erfüllt die Produkte der menschlichen Hand scheinbar mit einem eignem Leben, läßt sie als scheinbar selbständige Gebilde untereinander und mit den Menschen in ein Verhältnis treten. Barbie und Tamagotchis geben dem einen skurrilen und absurden Ausdruck. Das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen nimmt die Form eines Verhältnisses von Dingen an: Ich und mein neuer Fernseher, für den ich mein gutes Geld gegeben habe. MARX nennt dies den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist (a.a.O., S. 86 f.).
(25) Die Warenproduktion und Handel konnten in der Vergangenheit nur in dem Maß ausgedehnt werden, wie die Mittel dazu vorhanden waren - und wenn es zunächst Waffen und Festungswerke waren. Die Eroberung der Sachsen durch Karl d. Gr., Englands durch Wilhelm den Eroberer und Ostpreußens durch den Deutschen Ritterorden dienten diesem Zweck. Die mittelalterliche Produktion konnte ein natürliches Maß, bestimmt durch die Kräfte von Menschen, Tieren und einfachen Segelschiffen nicht übersteigen. "A broad-wheeled waggon, attended by two men, and drawn by eight horses, in about six weeks time carries and brings back between London and Edinburgh near four ton weight of goods. In about the same time a ship navigated by six or eight men, and sailing between the ports of London and Leith, frequently carries and brings back two hundred ton weight of goods. Six or eight men, therefore by the help of water-carriage, can carry and bring back in the same time the same quantity of goods between London and Edinburgh, as fifty broad-wheeled waggons, attended by a hundred men and drawn by four hundred horses." (ADAM SMITH: Wealth of Nations, Prometheus Books, New York 1991, chap. III, p. 24)
(26) Mit großen, hochseetauglichen Schiffen im Verkehr mit den Kolonien und mit Wind- und Wasserkraft zum Antrieb von Maschinerie (Mühlen, Hammer-, Säge- und Bohrwerke) änderte sich dies. In einer Werkhalle konnten jetzt mehrere, auch schwere, von Hand kaum zu bewegende Geräte aufgestellt und "betrieben" werden. Die Dampfmaschine ermöglichte eine weitere Zentralisierung und Spezialisierung der Produktion in großen Produktionsstätten. Die Produktpalette dieser Werke war schmal, die Stückzahl aber groß.
(27) Die Produkte konnten weder dem Unterhalt der Produzenten noch einer Herrschaft dienen. Die Produkte waren, um ihre Verwender zu finden, in den Handel zu werfen, der wiederum nach großen Transportmitteln, Umschlagsystemen und Wegen verlangte. Die Gesellschaft entwickelte die Antriebs- und Transporttechnik bis hin zu Elektrizität, Eisenbahnen, Motorschiffen und Flugzeugen, sie erneuerte die angetriebene Maschinerie und die Werkstoffe, sie entwarf neue Produktlinien und dehnte die industrielle Warenproduktion auf jedwede Utensilie bis hin zum Wäschekorb aus Plastik, zur Zinkpille als Nahrungsergänzung und zur elektrischen Zahnbürste aus:
(28) Die Warenproduktion hat ebenso wie der Verbrauch an Ressourcen in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft einen Höhepunkt erreicht. Die Dinge werden nicht mehr als unmittelbare Subsistenzmittel einer kleinen Gruppe von Menschen oder als Tributleistung hergestellt. Alles, was sich technisch und gewinnbringend zu Waren machen läßt, wird zur Ware.
(29) Bereits vor 150 Jahren resümierte MARX: "Die sozialen Verhältnisse sind eng verknüpft mit den Produktivkräften. Mit der Erwerbung neuer Produktivkräfte verändern die Menschen ihre Produktionsweise, und mit der Veränderung der Produktionsweise, der Art, ihren Lebensunterhalt zu gewinnen, verändern sie alle ihre gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten." (Das Elend der Philosophie, MEW 4, S. 130)
(30) Mit der Ausdehnung der Warenproduktion konnten die Konstruktion und Steuerung der Maschinerie, die Planung großer Gebäude, das innerbetriebliche Wirtschaften und die Verbindung der Unternehmen zum Markt nicht mehr bloß in den Köpfen der Menschen abgewickelt werden, sondern mußten einen nachvollziehbaren, mitteilbaren, dauerhaften Niederschlag finden.
(31) Daran lassen sich drei Hauptlinien aufzeigen, die zur Informatisierung, d. h. zur technischen, digitalen Speicherung, Übermittlung und Verarbeitung von Information, zu dieser weltumspannenden einzigartigen Informations- und Kommunikationsmaschine geführt haben:
(32) Die industrielle Produktion benötigt industriell hergestellte Maschinen, deren bewegte Teile schneller als bei Handbetrieb laufen: die Verschleißfestigkeit muß höher sein, auftretende Kräfte erfordern hohe Paßgenauigkeit der Einzelteile, Stahl als Material wird nötig, seine Formgebung ist langwierig. Die Herstellung liegt in vielen Händen, die Übersicht in vielen Köpfen. Das verlangte nach sorgfältiger, d. h. geplanter und berechneter Konstruktion. Die Produktion, schon immer in den Köpfen der Produzenten gespiegelt, mußte nicht zuletzt wegen der Beschränktheit eines Individuums ein äußerliches, produziertes, dokumentiertes Spiegelbild in technischen Zeichnungen und Beschreibungen finden. In der Lochstreifensteuerung für Webstühle hat Jaquard zum ersten Mal eine technische Beschreibung, nämlich die eines Webmusters, informatisiert, was später beispielsweise in der numerischen Steuerung von Maschinen fortgesetzt wurde. Die realitätsnahe Simulation von Crash-Tests für eine am Computer entworfene Karosserie möge den erreichten Stand der Informatisierung bei der Konstruktion verdeutlichen. Künftig soll ein einheitliches, computergestütztes "Wissensmanagement" großtechnische Anlagen in ihrem gesamten Lebenszyklus von der Planung bis zum Abriß begleiten.
(33) Die mittelalterlichen Kaufleute wußten um Überschüsse hier und Bedürfnisse dort und um Mittel und Wege, beides zu verbinden: Durch ihr persönliches Wirken, ihre Reisen stellten sie den Zusammenhang und den gesellschaftlichen Bezug her. Die Händler benötigten und entwickelten neben dem eigentlichen Verkehr eine rationelle Kommunikation, eine virtuelle Verbindung des in der Warenproduktion räumlich, zeitlich und persönlich so weit Auseinanderliegenden. Die Entfremdung in der Warenproduktion einerseits und der gesellschaftliche Zusammenhang andererseits bilden einen Widerspruch, und "so wird gleichzeitig mit der Entwicklung dieser Entfremdung und auf ihrem eignen Boden versucht, sie aufzuheben: Preislisten, Wechselkurse, Verbindungen der Handelstreibenden untereinander durch Briefe, Telegraphen etc. - die Kommunikationsmittel wachsen natürlich gleichzeitig -, worin jeder einzelne sich Auskunft über die Tätigkeit aller andren verschafft und seine eigne danach auszugleichen sucht. D.h., obgleich die Nachfrage und Zufuhr aller von allen unabhängig vor sich geht, so sucht sich jeder über den Stand der allgemeinen Nachfrage und Zufuhr zu unterrichten; und dies Wissen wirkt dann wieder praktisch auf sie ein." (MARX: Grundrisse. MEW 42, S. 94) Die Kommunikation wird mit Beginn der industriellen Produktion selbst industrialisiert: Optische Signalstrecken, Verkabelung von Kontinenten, Meeren, Ozeanen unter teils abenteuerlichen Umständen [4]. Telegraph und Fernschreiber markierten erste Schritte zu einer Informatisierung der Kommunikation. "Im Weltmarkt hat sich der Zusammenhang des einzelnen mit allen, aber auch zugleich die Unabhängigkeit dieses Zusammenhangs von den einzelnen selbst zu einer solchen Höhe entwickelt, daß seine Bildung zugleich schon die Übergangsbedingung aus ihm selbst enthält." (Hervorhebung bei MARX, a.a.O., S. 94 f.) Die erreichte Unabhängigkeit dieses Zusammenhangs von den Individuen und seine Versachlichung, das ist heute die Informatisierung der Verbindung von Unternehmen und Markt, wie sie in dieser Werbung von IBM ausgedrückt wird: "Es muß schon eine starke Software sein, die den Kunden ihres Kunden mit dem Lieferanten Ihres Lieferanten verbindet." (Computer Zeitung, 11. Mai 2000).
(34) Der dritte Bereich einer Informatisierung betrifft das betriebliche Wirtschaften, die Organisierung der Produktion selbst: Buchhaltung der Finanzen, der Materialien und der Läger, Bestellungen, Pflege, Wartung und Reparatur von Maschinen, Investitionen, Arbeitsvorbereitung, NC-Programmierung, Maschinen- und Personaleinsatz, Lohnbuchhaltung. Dieses innerbetriebliche Wirtschaften berührt sich einerseits mit der Konstruktion von Geräten und Anlagen, andererseits mit der Verbindung zum Markt, wenn es um Lieferungen, Bestellungen, Einkauf, Verkauf und Zahlungen geht. Beginnend mit dem frühen zwanzigsten Jahrhundert wurden die betrieblichen Vorgänge schrittweise informatisiert, indem Lochkarten, Adrema und später Buchungsautomaten eingesetzt wurden. Standardanwenderprogramme, Datenbanken, Geschäftsprozeßmodelle, Work-flow- Systeme und Computer-supported-collaborative-work setzen diese Entwicklungen heute fort.
(35) Die Organisierung von Konstruktion, Produktion und Handel war lange Zeit nur ein notwendiges Zubehör der kapitalistischen Vervollständigung der Welt. Seit 30 Jahren wird die - weit verstandene - Organisationstechnik zu einem eigenen, besonderen, enorm wachsenden Element der kapitalistischen Warenproduktion entwickelt. Die Möglichkeiten, die drei Zweige Konstruktion, Produktion und Kommunikation zusammenzuführen und auf eine einheitliche Grundlage zu stellen, sind erheblich gestiegen - und sie werden genutzt. "Im heutigen globalen Wettbewerb ist das Wissen in seiner Relevanz für die Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr zu überbieten. Das richtige Wissen zur richtigen Zeit am richtigen Ort kann heute den entscheidenden Wettbewerbsvorteil bringen. Da diese Umstände jedoch nur selten gegeben sind, gilt es, aus Datenbanken, Online-Diensten, Inter- und Intranet das relevante Wissen herauszufiltern und zusammen mit dem unternehmensinternen Erfahrungs- bzw. impliziten Wissen in Wissensdatenbanken zugänglich zu machen", wirbt die Management Circle GmbH im Mai 2000 für eine Schulung, wo auch der "Head of Intranet" der Deutschen Bank referieren soll. "Pures Gold wert", liest man an anderer Stelle, "sind die Informationen, die Datenmineure aus dem Internet filtern." Vernetzung soll Produktion und Absatz von Tauschwerten stützen, Vorteile im Wettbewerb einbringen, also isoliertes, privates und trotzdem bedarfsgerechtes, auf die Gesellschaft gerichtetes Produzieren ermöglichen. "Obgleich alles dies auf dem gegebnen Standpunkt die Fremdartigkeit nicht aufhebt, so führt es Verhältnisse und Verbindungen herbei, die die Möglichkeit, den alten Standpunkt aufzuheben, in sich einschließen." (MEW 42, S. 94)
(36) Nach diesem Rückblick auf MARX kann man wieder "online gehen": Unternehmen verbinden sich elektronisch mit Kunden, Verbrauchern, Konsumenten, und zwar gleichgültig, ob es individuelle Endverbraucher oder andere Unternehmen sind, bei diesen wiederum gleichgültig, ob die in der technischen Kommunikation vermittelten Produkte als Betriebsmittel oder als Vorprodukte in der weiteren Fertigung genutzt werden. Wettlauf um Kunden, Customer-relationship-management, Manufacturing-on-demand, Katalogmanagement, Kundenfocus als Wettbewerbsfaktor sind einige der Stichworte, unter denen weitere Vernetzung angesagt ist, die auch Lieferanten mit einbezieht, wo als weitere Stichworte genannt werden: Industriestandards für den Datenaustausch wie etwa CORBA, Supply-chain- management, Lieferung just-in-time und just-in-line, unternehmens- und lieferantenübergreifende Geschäftsprozesse, integrierte Ver-triebs-, Produktions- und Logistikprozesse, Supply-chain-management, E-commerce mit business-to-business und business-to-customer und schließlich virtuelle Unternehmen.
(37) Etwa 1972 ist diese Entwicklung im zivilen Bereich mit dem Bankensystem SWIFT in Gang gekommen. SWIFT ermöglichte es den Banken, den Rhythmus im internationalen Zahlungsverkehr, der heute bei einer halben Stunde liegt, auf unter einen Tag zu verkürzen. Kurz darnach wurde das Abkommen von Bretton Woods zur Kontrolle des internationalen Kapitalverkehrs aufgegeben. Einerseits führten die Schulden der USA, die diese zur Finanzierung des Vietnamkrieges machten, zu einem andauernden Abfluß ihrer Goldbestände. Andererseits hätte jene Kontrolle das Kapital an der technisch ermöglichten schnelleren Zirkulation gehindert. Dieser Trend, die Zirkulation zu beschleunigen oder das in der Zirkulation gebundene Kapital zu vermindern (und dadurch die Profitrate zu steigern), wurde in den folgenden Jahren mit Hilfe der Datenverarbeitung erheblich verstärkt. Beispielsweise bindet ein großes Lager Kapital und birgt die Gefahr, daß Lagerbestände unbrauchbar und das in ihnen vergegenständlichte Kapital entwertet werden. Bei hohen Lagerbeständen sind Produktion und Verbrauch nicht aufeinander abgestimmt.
(38) "Zum anderen führt die durch Vernetzung bewirkte Verkürzung der Innovationszyklen zu einer Verschärfung des Wettbewerbes. Es entsteht ein sich selbst verstärkender Prozeß, da der so verschärfte Wettbewerb wiederum eine Tendenz zu stärkerer Vernetzung auslöst: Die Wettbewerber suchen einen zeitlichen Vorsprung gegenüber den sich auch vernetzenden Konkurrenten (...) zu erzielen." [5]
(39) Der hierin ausgedrückte Widerspruch geht noch viel tiefer: Die Unabhängigkeit der unabhängig betriebnen Privatarbeiten soll durch Information und Kommunikation zurückgedrängt werden, ohne die Privatheit aufzuheben. Die Privatheit und die mit ihr verbundene Konkurrenz verlangen umgekehrt darnach, Information zurückzuhalten, nicht alles Wissen preiszugeben, um die Unabhängigkeit zu wahren. Als Arbeitnehmer werden die Menschen in den Betrieben zunehmend darauf geschult, das Wie und Was der Produktion kooperativ zu klären und auf technisch gespeicherte Information zurückzugreifen. Als individuelle Konsumenten sollen sie sich mit halber Sache zufriedengeben, obwohl sie nur ein Paßwort weit von der Gebrauchsinformation entfernt sind. In fusionierenden Unternehmen wird die Informationsbasis mit großem Aufwand vereinheitlicht; fremde Datenbestände sollen mit einem Mal zugänglich und genutzt werden. Beim Outsourcing läuft es umgekehrt: Was gestern gemeinsame Information war, darf heute dem früheren Kollegen nicht mehr zugänglich sein. Die Konkurrenz der Kapitale wird seltsame Blüten treiben.
(40) Dieser Trend wird solange anhalten, solange die Zirkulationszyklen verkürzt, durch ein Mehr an Produktinformation Marktanteile gewonnen und durch Serviceinformation Kunden gehalten werden können - und bis jeder am Internet hängt. "Weil gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern die Versorgung mit Telefonen weit unter dem Standard der Industrieländer liegt, ist mit solch milliardenschweren Investitionen (Satellitentelefonie, W. G.) dennoch ein Geschäft zu machen." < a name="t6" href="#f6">[6]
(41) Die Informations- und Kommunikationstechnik wird nolens volens in Richtung Aufhebung der Warenproduktion entwickelt. Nolens - weil die Macher dieser Technik die Aufhebung der unabhängig voneinander betriebenen Privatarbeiten und der Warenproduktion nicht im Sinn haben, sondern nur für sich selbst perfektionieren wollen. Volens - weil die Macher ideologisch, praktisch und technisch alles zu dieser Aufhebung vorbereiten und aufgrund der ökonomischen Zwänge gar nicht anders können: die private Perfektionierung der Warenproduktion durch Vernetzung wird Ware und allen Konkurrenten gleichermaßen zugänglich.
(42) Die Produktion von Tauschwerten ist darin noch nicht aufgehoben. Im Gegenteil, man bemüht sich "nur" um ihre Vervollkommnung. Es fließt also nach wie vor Geld, "natürlich" elektronisches Geld, leichter herzustellen - und auch zu fälschen - als Banknoten. "Natürlich" will der Konsument im Internet Information finden: Stadt- und Fahrpläne, Hotelführer für seine Reisen, Kochrezepte, Gesundheitsdaten und medizinische Beschreibungen. Der Konsument surft zur Schnäppchenjagd über den Globus: Wo sind heute Laptops am billigsten? Wo auf der Welt findet man ein bestimmtes Produkt, etwa das vermaledeite Lämpchen für die Hintergrundbeleuchtung eines Flüssigkristalldisplays, das seinen Geist aufgegeben hat? Gibt es einen Testbericht für ein bestimmtes Produkt, eine genauere Beschreibung des Produkts? Ist eine Aufbauanleitung zu finden? Wer sind die Konstrukteure? Ließe sich mit ihnen über eine konstruktive Änderung verhandeln? Das sind einige Fragen, die die Konsumenten an das Internet stellen, zum großen Teil noch sehr spontan, individualistisch, untrainiert im Umgang mit diesem Medium, aber dauernd die Grenzen ertastend und darüber hinaus drängend. Man fragt eine anonyme, universelle Fachmaschine, die maschinell antwortet, und man bestückt sie - freiwillig oder auch unwissend - mit eigener Information.
(43) In der Freizeit wird sich der Umgang mit dem Netz prinzipiell nicht von dem während der Arbeitszeit unterscheiden. Zwar sind die Zugänge in der Freizeit zu bestimmten Informationen aus der Produktion derzeit beschränkt, aber nur weil die Produktion zwanghaft privat, isoliert, unabhängig von der Gesellschaft gehalten wird, weil die Produktion Tauschwerte hervorbringen soll, die zuerst einmal - dummerweise - ihren Wert realisieren, verkauft werden müssen, bevor sie brauchbar werden können.
(44) Andererseits wird in den Betrieben, in der Organisation der Produktion vermöge Vernetzung alles unternommen, um die Produktion äußerst zweckmäßig zu gestalten: Kein Teilprodukt wird als Wert auf einen innerbetrieblichen Markt geworfen, um seinen Wert zu realisieren, sondern es ist ein geplantes Stück des Ganzen, das in dem Ganzen verwendet, eingefügt, konsumiert wird. Die Tätigkeiten der Produzenten sind ganz auf diese Verwendbarkeit hin organisiert. Im Supply-chain- management führen Organisation und Planung über den Betrieb hinaus bis zu den Zulieferern einschließlich des Entwurfs extern zu produzierender Teile und des sie umfassenden Ganzen.
(45) Diese Vorgänge sind hochgradig informatisiert, das heißt digital und vernetzt. Sicherlich ist diese Vernetzung noch nicht vollständig, aber die Konkurrenz um die Realisierung der Tauschwerte erzwingt es, diese Vernetzung ständig zu erweitern und bis in den Freizeitbereich zu öffnen. Wenn die Individuen als Produzenten die Informatisierung vervollständigen und vollständig nutzen sollen, um konkurrenzfähige Tauschwerte zu produzieren, so werden die Individuen als Konsumenten mittels der Vernetzung günstig an günstige Tauschwerte herankommen wollen. Oder, wie THILO WEICHERT in Bezug auf die Grundrechte schreibt: "Es geht vor allem um die Neudefinition der sozialen Rollen der Menschen in einer neuen informationstechnisch global gewordenen Umwelt. Informationelle Selbstbestimmung setzt Zugang zu Informationen und deren demokratische Nutzung voraus." (Grundrechte in der Informationsgesellschaft - vergiss es? In: Datenschutz Nachrichten 1/2000, S. 5-7)
(46) Die Tätigkeiten aller einzelnen bilden den Weltmarkt, der sich gegenüber dem einzelnen mit der Fortentwicklung des Tauschwerts und seiner Geldverhältnisse verselbständigt hat. Die Konsumierenden und Produzierenden werden unabhängiger und gleichgültiger zueinander, während Produktion und Konsumtion zusammenhängender und abhängiger werden. Virus-Attacken im Internet und die Möglichkeiten eines Information-war unterstreichen den hergestellten Zusammenhang und die persönliche Gleichgültigkeit. Der Zusammenhang ist durch und durch materiell und findet in der Vernetzung ein virtuelles Spiegelbild, das zugleich einen ganz materiellen Apparat bildet: Der Zusammenhang wird technisiert, mechanisiert, maschinisiert; er wird ein allseits zugängliches, ein allgemeines und gleichzeitig ein einziges Gerät. Zusammen mit den Transportmitteln ergeben sich neue Verkehrsverhältnisse, die auf den Punkt zuführen könnten, von dem an nicht mehr einsichtig ist, warum isoliert, unabhängig voneinander und aneinander vorbei produziert werden soll, obwohl die Produktion sichtlich vernetzt ist, obwohl die Pflege der "Customer-relationship" auch die Konsumtion mit der Produktion verbindet sowie Konsumenten und Produzenten - diese zwei Seiten der Individuen - miteinander diskutieren läßt. Soll man die Produktion weiterhin in Isolation und Unabhängigkeit halten und dadurch zufällige und schwankende Austauschverhältnisse provozieren, wo man andererseits mittels Informatisierung und Vernetzung der Produktion alles unternimmt, um diese Zufälle und Schwankungen auszuschließen? Von dem Moment an, wo diese Frage zu verneinen ist, wird für den Tauschwert die Sinnfrage gestellt. Oder in MARX' Worten: "Es kann also nichts falscher sein, als auf der Grundlage des Tauschwerts, des Geldes, die Kontrolle der vereinigten Individuen über ihre Gesamtproduktion vorauszusetzen." (MEW 42, S. 92) Die Produktion von Tauschwerten wird dann keinen Sinn mehr machen, wenn individuelles, lokales, regionales Wissen sowie die Darstellung des produktiven Vermögens in einer überall zugänglichen Informationsmaschine verfügbar sind, wenn jedes Individuum auf diesen Schatz an Information zugreifen und sich zweckgerichtet mit anderen zu praktischem Tun verabreden kann - und zur Sicherung seines Lebensunterhalts auch muß. Virus-Attacken und Information-war dürften in einer solchen Gesellschaft keine Vorteile mehr einbringen; die Verursacher würden sich selbst schaden.
(46.1) 12.01.2002, 19:36, Werner Imhof: Das klingt, als würde eine neue Gesellschaft aus purer Einsicht entstehen (können). Doch die Produktion von Tauschwerten wird solange Sinn machen und vehement verteidigt werden, wie es Klassen gibt, die von ihr profitieren, weil sie der Aneignung unbezahlter Arbeit dient, und wie die gesellschaftlichen Produzenten sich nicht als solche verstehen und die Produktion für den Austausch, damit auch das Geld, als destruktiven Anachronismus begreifen. Um die Produktion von Tauschwerten tatsächlich zu beenden, braucht es deshalb etwas mehr als eine überall zugängliche Informationsmaschine, nämlich die praktische, sachliche und technische, Herrschaft der gesellschaftlichen Individuen über die Produktionsmittel, ohne die sie von der Beherrschung der Produktionszwecke und -folgen nur träumen können. Und diese Herrschaft wiederum ist nicht zu erreichen durch zweckgerichtete Verabredungen sich autonom dünkender Individuen zu praktischem Tun, sondern durch die organisierende Tätigkeit organisierter Individuen.
(46.1.1) organisierende Tätigkeit organisierter Individuen, 22.01.2002, 08:12, Birgit Niemann: Womit die Fragen in den Mittelpunkt des Interesses treten: Wer oder Was organisiert die Individuen und Wen oder Was organisieren die organisierten Individuen?
(46.1.1.1) Re: organisierende Tätigkeit organisierter Individuen, 23.01.2002, 11:45, Werner Imhof: 1. sie sich, 2. ihre gesellschaftliche Arbeit.
(46.1.2) 25.03.2002, 15:31, Wolf Göhring: Der satz "Soll man die Produktion weiterhin in Isolation und Unabhängigkeit halten und dadurch zufällige und schwankende Austauschverhältnisse provozieren, wo man andererseits mittels Informatisierung und Vernetzung der Produktion alles unternimmt, um diese Zufälle und Schwankungen auszuschließen?" verweist auf die materialistische dialektik und die darin eingeschlossene praktische bewegung. Er verweist - ganz kurz - auf die revolutionaere praxis.
Das satzstueck "als destruktiven Anachronismus begreifen" ist inhaltlos, weil "anachronismus" die vollstaendigste abstraktion einer heutigen zeit gegen eine ebensolche abstraktion einer vergangenen zeit stellt. Was an dieser gegeneinanderstellung zerstoererisch ist, ist ebenso nebelumwallt leer. Nimmt man das satzstueck als appell, so bleibt's bloss moralisch.
(46.1.3) 25.03.2002, 15:42, Wolf Göhring: Die kuenftige revolution kommt nicht wie der sturm auf die bastille daher, sondern sie entwickelt sich im taeglichen klein-klein der "zufaelligen und schwankenden austauschverhaeltnisse" (Marx: Kapital I, s. 89 Wertgesetz), indem die austauschenden eine hinlaengliche stabilitaet zu erzeugen trachten. Tarif- und liefervertraege, kuendigungsfristen, festpreise, qualitaetsnormen, garantiefristen sind einige zu diesem zweck kollektiv gesetzte regeln. Mit der planung wurde in den sozialistischen laendern eine aehnliche stabilitaet verfolgt, ohne sie erreichen zu koennen, weil der individuelle konsum auf dem austausch fusste. Dieser warenaustausch liess sich der unterentwickelten kommunikationsmoeglichkeiten wegen nicht aendern, im westen wie im osten nicht. Aber der taeglich erlebte widerspruch beim austausch treibt uns alle dazu, nach mitteln und wegen zu suchen und uns so schlau zu machen, dass man im austausch nicht der grosse verlierer ist. In der heutigen weltumspannenden informations- und kommunikationstechnik wurden neue mittel und wege geschaffen, die bekanntes wie wort und schrift ergaenzen. Diese technik wurde weltumspannend, weil der austausch ein weltumspannendes system des stoffwechsels hervorgebracht hat. Dieser stoffwechsel findet in der informations- und kommunikationstechnik in doppelter weise ein spiegelbild: (a) die technik als hardware ist weltumspannend angelegt und (b) in den in ihr angelegten daten wird information ueber den konkreten stoffwechsel nachgehalten.
(46.1.4) 25.03.2002, 16:22, Wolf Göhring: "die praktische, sachliche und technische, Herrschaft der gesellschaftlichen Individuen über die Produktionsmittel" wird gerade vor unsern augen und durch uns mittels der weltumspannenden informations- und kommunikationsmaschine entwickelt. Gewiss stellen wir uns noch etwas daemlich damit an, weil wir voellig ungeuebt darin sind, dieses neue mittel mehr als nur vorsichtig und nochmals vorsichtig zu nutzen, zumal wir auch dauernd davon abgelenkt werden, es in ernsten produktiven zusammenhaengen zu nutzen und vielfach auch weder koennen noch duerfen. Vor allem wenn "wir" gar keinen zugang haben wie auf vielen quadratmeilen der dritten welt.
Aber auch dort wird das zeugs verkauft, weil sich die von den zufaellen des austauschs gebeutelten linderung versprechen und weil der verkauf die realisierung des mehrwerts verspricht. Der hintertreppenwitz der geschichte ist, dass die kapitalisten mit der vernetzung ein produkt produzieren lassen und verkaufen muessen, das ihre eigene rolle als private, unabhaengige, isolierte produzenten unterminiert. Dabei gehoert zur technik untrennbar die menschliche seite, naemlich die faehigkeit, diese technik zu produzieren, aufzustellen und zu nutzen. Da nun die mehrwertaneigner bekanntlich nicht selbst schuften, sondern schuften lassen muessen, muessen sie sukzessive an den arbeitsplaetzen die vernetzung verfuegbar machen und die leute anweisen, diese technik zu nutzen. Gewiss soll dies nur in dem rahmen geschehen, der dem besonderen aneigner unbezahlter mehrarbeit lieb ist, aber da dieser genauso den zufaellen des austauschs ausgesetzt ist, muss er die anwendung der vernetzung immer wieder neu bestimmen und letztlich ausdehnen, was seiner rolle als privatier zuwiderlaeuft, aber unvermeidlich ist. In dieser weise zeigt sich der widerspruch zwischen der produktivkraft "vernetzung" und der privaten, unvernetzten, produktion, die auf den austausch unabhaengig voneinander produzierter gueter ausgerichtet ist.
Mit der ausdehnung der vernetzung entwickeln die tatsaechlichen produzenten (und nicht etwa die aneigner unbezahlter arbeit) "die praktische, sachliche und technische Herrschaft über die Produktionsmittel", denn sie tun's in der praktischen arbeit in der produktion, denn sie verallgemeinern die sachkompetenz ueber die produktion, indem sie sie allgemein zugaenglich machen, denn sie nutzen die allgemein zugaengliche, technische information ueber die produktion.
(46.1.5) 25.03.2002, 16:25, Wolf Göhring: "Die gesellschaftlichen Produzenten" sind viele, viele weisse schimmel, denn es gibt auf diesem ganzen globus keinen produzenten mehr, der nicht ein gesellschaftlicher waere. Die "gesellschaftlichen Individuen": ein ebensolcher weisser schimmel.
(47) Persönliche Abhängigkeitsverhältnisse - zuerst ganz naturwüchsig - sind die ersten Gesellschaftsformen, in denen sich die menschliche Produktivität entwickelt, jedoch nur in geringem Umfang und isoliert, schreibt MARX (MEW 42, S. 91). Diese Verhältnisse wurden, wie eingangs skizziert, in der Neuzeit aufgelöst. Persönliche Unabhängigkeit, auf sachlicher Abhängigkeit gegründet, ist für MARX die zweite Form, gegeben in der kapitalistischen Gesellschaft, worin sich erstmals ein System des allgemeinen gesellschaftlichen Stoffwechsels, der universellen Beziehungen allseitiger Bedürfnisse und universeller Vermögen gebildet hat (ebd.). "Die Notwendigkeit (in der zweiten Form, W. G.), Produkt und Tätigkeit der Individuen erst in Tauschwert, in Geld, zu verwandeln, und daß sie erst in dieser sachlichen Form ihre gesellschaftliche Macht erhalten und beweisen, beweist zweierlei: 1. daß die Individuen nur noch für die Gesellschaft und in der Gesellschaft produzieren; 2. daß ihre Produktion nicht unmittelbar gesellschaftlich ist, nicht das Ergebnis ihrer Assoziation, die die Arbeit unter sich verteilt. Die Individuen sind unter die gesellschaftliche Produktion subsumiert, aber die gesellschaftliche Produktion ist nicht unter die Individuen subsumiert, die sie als ihr gemeinsames Vermögen handhaben. Die gesellschaftliche Produktion besteht als ein Verhältnis außer ihnen." (Hervorhebung bei MARX, S. 92) Innerhalb dieser Form, der auf dem Tauschwert beruhenden Gesellschaft erzeugt diese sowohl Verkehrs- als auch Produktionsverhältnisse, die den Schritt auf die dritte Stufe gestatten (S. 93), die MARX so charakterisiert: "Freie Individualität, gegründet auf die universelle Entwicklung der Individuen und die Unterordnung ihrer gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktivität als ihres gesellschaftlichen Vermögens, ist die dritte Stufe." (S. 91)
(48) Das Folgende ist dieser MARXschen Prognose über die dritte Stufe gewidmet, auf der die Produktion von Tauschwerten entfällt. Die Warenproduktion wird nicht durch Dekret aufgehoben (Das Elend der Philosophie, MEW 4, S. 159), sondern um dorthin zu gelangen, muß es Mittel und Wege geben, mit denen man Mängel in der Produktion der Waren und Kraftakte bei ihrem Austausch vermeiden kann, ohne sich neue und gröbere Mängel und Kraftakte einzuhandeln. Anderes wäre - nach MARX - Donquichotterie (S. 93). Will man enttäuschenden Austausch der Waren vermeiden, so ist zuvor untereinander zu verabreden, was wie und wozu zu produzieren ist. Diese Planung ist zeitaufwendig und wird nur in dem Maß geleistet, wie sie möglich ist und wie sich ein Nutzen erwarten läßt, wie sich ein Vorteil gegenüber weniger verbundener, isolierter Arbeit einstellt. Die Verabredungszeit gehört zur Arbeitszeit in der Produktion. In dem Maß, in dem diese Gesamtarbeitszeit unter derjenigen bei isolierter Arbeit liegt (einschließlich der Behebung der Schäden, die Zufälle und Konkurrenz beim Austausch der Produkte hervorrufen), und in dem Maß, in dem die verabredeten Tätigkeiten zumindest zu gleich nützlichen Produkten führen, werden solche Verabredungen getroffen. Die Vernetzung scheint, wie oben dargelegt, auf solche Verabredungen hinzuführen, die MARX den "Austausch von Tätigkeiten" anstelle von Produkten nannte. Der Austausch von Tätigkeiten, die durch gemeinschaftliche Bedürfnisse und Zwecke bestimmt sind, ist kein Austausch von Tauschwerten und schließt von vorneherein die Teilnahme des einzelnen an der gemeinschaftlichen Produktenwelt ein. Sein Produkt wird nicht erst in eine besondere Form - Geld - umgesetzt, um einen allgemeinen Charakter für den einzelnen zu erhalten. Seine Arbeit ist von vorneherein gesellschaftlich (S. 104 f.), weil mit anderen Individuen verabredet, die sich ihrerseits mit weiteren verabreden usw.
(48.1) 12.01.2002, 19:11, Werner Imhof: Ich habe lange versucht, diesem Absatz eine sinnvolle praktische Bedeutung abzugewinnen, aber vergeblich. Du beschreibst bzw. beschwörst hier einen Prozeß, dessen nähere Voraussetzungen völlig im Dunkeln liegen, sein Subjekt bleibt ein unfaßliches, gestaltloses "man". Wo soll dieser Prozeß ablaufen können? Unter den heutigen ökonomischen und politischen Machtverhältnissen? Das wäre ein "seichter Utopismus", wie Marx gesagt hätte. Aber auch die Annahme, daß hier stillschweigend eine Revolution vorausgesetzt ist, die die Macht der Kapitalisten gebrochen hätte, macht die Geschichte nicht plausibler.
Angenommen, die Lohnabhängigen hätten die Betriebe unter ihre Kontrolle gebracht mit dem Ziel, die Warenproduktion aufzuheben. "Um dorthin zu gelangen", sollen sie ihre Produkte aber weiter als Waren, also für den Austausch gegen Geld produzieren, nur auf eine Art und Weise, die ihnen die bisher bekannten "Mängel" und "Kraftakte" in Warenproduktion und -zirkulation erspart. Die Warenproduktion soll also überwunden werden durch - ihre "Harmonisierung" oder "Optimierung". Daß Marx derlei gefordert und "anderes" "Donquichoterie" genannt hätte, ist ein groteskes Mißverständnis, wie jede/r selbst nachlesen kann.
Das Mittel, das die wundersame Metamorphose der Warenproduktion in gemeinschaftliche Produktion (den "Umkehrpunkt der Produktionsweise", wie es im nächsten Absatz heißt) herbeiführen soll: "Will man enttäuschenden Austausch der Waren vermeiden, so ist zuvor untereinander zu verabreden, was wie und wozu zu produzieren ist." Nun mögen solche partiellen Verabredungen (und andere, gesamtgesellschaftliche sind nicht gemeint) ja helfen, manche Enttäuschung zu vermeiden, nicht aber den Austausch selbst und damit die Wertform der Produkte, die alle Verabredungen den Zwängen der Tauschwertrealisierung unterwirft.
Verabredungen darüber, was wie und wozu zu produzieren ist, sind im Kapitalismus gang und gäbe. Auch heute schon werden die meisten Produktionsmittel und ein großer Teil der Konsumtionsmittel auf Bestellung produziert, wird betriebs- und unternehmensübergreifende Kooperation entwickelt u.a.m. Nur hat all das bisher weder der Warenproduktion Abbruch getan noch ihre Mängel und Enttäuschungen, ihre Reibungen, Konflikte und Krisen verhindern können. Denn alle Verabredungen dienen immer noch der Produktion von Waren, genauer: der Produktion von Warenkapital; und die "gemeinschaftlichen Bedürfnisse und Zwecke", durch die sie bestimmt sind, sind Bedürfnisse und Zwecke der Verwertung.
Das würde sich nicht schon dadurch ändern, daß die Betriebe in Belegschaftshände übergehen. Solange die Belegschaften an der Warenproduktion festhielten, müßten ihre Produkte einen Tauschwert oder Preis erhalten und realisieren, der ihnen nicht nur die Kosten der Produktionsmittel und die Löhne ersetzt, sondern auch einen Anteil an der gesellschaftlichen Mehrwertmasse verschafft. Auch wenn es keine Kapitalisten mehr gäbe, die ihren Konsum aus dem Mehrwert bestreiten, kämen die Belegschaften als neue "Herren" der Produktion doch nicht darum herum, Mehrarbeit für ein Mehrprodukt zu leisten und dieses in Geld, in Profit, zu verwandeln, wenn die Produktion nicht auf dem Niveau bloßer Reproduktion stagnieren soll. Sie mögen diesen Zwang als "gemeinschaftliches Bedürfnis" nach Wirtschaftswachstum, Modernisierung, Wettbewerbsfähigkeit und ähnlichen abstrakten Zwecken auffassen - die konkrete gemeinschaftliche Kontrolle über Zusammensetzung, Umfang und Verteilung dieses Mehrprodukts bliebe ihnen ebenso verschlossen wie die Kontrolle über ihre Gesamtproduktion überhaupt, weil (oder solange) jede Belegschaft als Privatproduzent auftritt, nur den eigenen Betrieb und Absatz im Auge hat und alle Verabredungen der Privatproduzenten untereinander dem Vorbehalt der Zahlungsfähigkeit unterliegen.
Doch Du meinst nun, die Ausbreitung und "Vernetzung" solch partieller, die Warenproduktion optimierender Verabredungen "scheint, wie oben dargelegt, auf solche Verabredungen hinzuführen, die Marx den 'Austausch von Tätigkeiten' anstelle von Produkten nannte". In den vorherigen Darlegungen war nun zwar schon von zweckgerichteten Verabredungen "zu praktischem Tun" die Rede, aber was ein "Austausch von Tätigkeiten anstelle von Produkten" sein soll und wie Verabredungen unter Warenproduzenten zu ihm hinführen sollen, habe ich ihnen nicht entnehmen können. Was also könnte es bedeuten?
Zunächst zu Marx und dem ominösen "Austausch von Tätigkeiten anstelle von Produkten". Um zu verstehen, worum es geht, muß man die Stelle, auf die Du Dich beziehst, natürlich im Zusammenhang lesen. Marx geht dort (bei mir, Ausgabe Berlin 1974, S. 85 ff.) der Frage nach, warum denn im Rahmen der Warenproduktion die Arbeitszeit als inhärentes Maß und Substanz der Tauschwerte nicht "auch unmittelbar als ihr Geld dienen könne" (86). Er läßt sich auf die Frage ein, um sie ad absurdum zu führen: "Die Arbeit des Einzelnen, im Akt der Produktion selbst betrachtet, ist das Geld, womit er unmittelbar das Produkt, den Gegenstand seiner besondren Tätigkeit kauft..." (88) Das "Kaufen" des Produkts der eigenen Arbeit klingt natürlich verrückt, aber es entspricht der fingierten Funktion der Arbeit als Geld innerhalb der Warenproduktion. "...aber es ist ein besonderes Geld, das eben nur dies bestimmte Produkt kauft. Um unmittelbar das allgemeine Geld zu sein, müßte sie von vornherein nicht besondre Arbeit, sondern allgemeine sein, d.h. von vornherein als Glied der allgemeinen Produktion gesetzt sein. In dieser Voraussetzung aber würde nicht erst der Austausch ihr den allgemeinen Charakter geben, sondern ihr vorausgesetzter gemeinschaftlicher Charakter würde die Teilnahme an den Produkten bestimmen." (Ebd.)
Denn das "Geld", das jeder einzelne Produzent in den "Austausch" würfe, wäre sein individueller Anteil an der gemeinsamen Gesamtarbeit, und das Produkt, das er dafür "kaufte", wäre ein entsprechender (in Arbeitszeit bemessener) Anteil am gemeinsamen Gesamtprodukt. Und nun kommt der Satz, auf den allein Du Dich beziehst: "Der ursprünglich in der Produktion stattfindende Austausch - der kein Austausch von Tauschwerten wäre, sondern von Tätigkeiten, die durch gemeinschaftliche Bedürfnisse bestimmt wären, durch gemeinschaftliche Zwecke - würde von vornherein die Teilnahme des Einzelnen an der gemeinschaftlichen Produktenwelt einschließen." (Ebd.) Was hier gegenübergestellt wird, ist nicht der "Austausch von Tätigkeiten" und der von Produkten, sondern der Austausch von Tauschwerten und der "Austausch" von Nicht-Tauschwerten. Von einem "Austausch von Tätigkeiten, die durch gemeinschaftliche Bedürfnisse bestimmt wären" (man beachte den Konjunktiv), ist hier nur deshalb die Rede, weil Marx der unsinnigen Frage nachgeht, ob denn in der Warenproduktion die Arbeit des einzelnen nicht zugleich allgemeines Tauschmittel sein könne. Sein Fazit: "Die Arbeit des Einzelnen also unmittelbar zum Geld machen wollen (d.h. auch sein Produkt), zum realisierten Tauschwert, heißt sie unmittelbar als allgemeine Arbeit bestimmen, d.h. eben die Bedingungen negieren, unter denen sie zu Geld und Tauschwerten gemacht werden muß, und vom Privataustausch abhängt. Die Forderung kann bloß befriedigt werden unter Bedingungen, worin sie nicht mehr gestellt werden kann." (89)
Der "Austausch von Tätigkeiten, die durch gemeinschaftliche Bedürfnisse bestimmt wären", von dem hier - und nur hier, in diesem speziellen Zusammenhang - die Rede ist, wäre natürlich die Negation des Privataustausches, wäre unmittelbare gesellschaftliche Kooperation, in der weder die Arbeit noch die Produkte, die sie hervorbringt, Wertform annehmen, als Tauschwerte erscheinen könnten. Die gemeinsame Arbeitszeit bliebe gemeinsame Arbeitszeit, ohne sich in Tauschwerte und Geld verwandeln zu können, weil der Austausch (ohne Anführungszeichen) von Arbeiten (Tätigkeiten) und Produkten, also Eigentümerwechsel von Äquivalenten, ausgeschlossen wäre. Der einzige Vorgang, der hier mit dem Prinzip des Warenaustausches vergleichbar wäre, wäre der, daß der individuelle Anteil an der Gesamtarbeit den individuellen Anteil "an der Produktenwelt, an der Konsumtion" bestimmen würde (wobei Marx hier der Einfachheit halber unterstellt, daß die ganze Produktenwelt nur aus Konsumtionsmitteln bestünde, was bei realer Produktion ein Unding wäre). Das aber wäre kein Privataustausch, sondern ein Austausch des individuellen Produzenten mit der Produzentengemeinschaft, also einfache Verteilung nach der Leistung, wie Marx sie in der Kritik des Gothaer Programms näher betrachtet hat.
Wenn Marx im Zusammenhang mit gemeinschaftlicher, direkt gesellschaftlicher oder kommunistischer Produktion überhaupt den Begriff "Austausch" verwendet (selten genug, meines Wissens nach den "Grundrissen" nicht mehr), dann geht immer aus Zusammenhang und Formulierung eindeutig hervor, daß damit gerade kein Äquivalententausch gemeint ist. So z.B. auf S. 76 f., wo er den "private(n) Austausch aller Arbeitsprodukte, Vermögen und Tätigkeiten" (!) abhebt gegen den "freien Austausch von Individuen, die assoziiert sind auf der Grundlage der gemeinsamen Aneignung und Kontrolle der Produktionsmittel". Nicht anders im vorliegenden Fall, auf den Du meinst, Dich stützen zu können.
Daß Du diese Formulierung aus dem Zusammenhang reißt, der sie erst verständlich macht, und ausgerechnet sie zur Charakterisierung einer Produktionsweise benutzt, die den Äquivalententausch (von Produkten wie von Tätigkeiten) gerade ausschließen würde, sie dabei noch verdrehst zu einem "Austausch von Tätigkeiten anstelle von Produkten" (als handle es sich um die gleiche gesellschaftliche Praxis mit nur verschiedenen Objekten), zeigt, daß Du Dir auch gemeinschaftliche oder unmittelbar gesellschaftliche Produktion offenbar nur nach dem Prinzip des Äquivalententauschs vorstellen kannst. Du möchtest den Austausch von Tauschwerten aufheben, ohne sein Prinzip aufzuheben. Das führt zu einer weiteren Verdrehung des Marxschen Gedankengangs.
Die Arbeit, sagt Marx, könnte nur unter Bedingungen als Tauschmittel fungieren, unter denen gar nicht mehr getauscht werden muß, wenn nämlich "gemeinschaftliche Produktion ... vorausgesetzt, die Arbeit des Einzelnen von vornherein als gesellschaftliche Arbeit gesetzt" ist (88). Was machst Du daraus? "Seine (des einzelnen) Arbeit ist von vornherein gesellschaftlich, weil" - ja, weil? - "mit anderen Individuen verabredet, die sich ihrerseits mit weiteren verabreden usw." Dadurch eben noch nicht. Du legst Dir den Satz so zurecht, daß die entscheidende Bestimmung - gemeinschaftliche Produktion, in der allein die Arbeit des einzelnen als gesellschaftliche "gesetzt" wäre - unter den Tisch fällt und der Unterschied zur Warenproduktion verschwimmt. Das macht nun allerdings auch verständlich, wieso für Dich Verabredungen von Warenproduzenten, die "enttäuschenden Austausch" vermeiden sollen, schon zur Aufhebung der Warenproduktion tendieren, "hinführen".
Doch tatsächlich gemeinschaftliche Produktion ist nicht schrittweise oder linear im Rahmen der Warenproduktion selbst (oder an ihrem Rande, wie Du in einem anderen Text mal geschrieben hast) zu entwickeln, auch nicht unter den Bedingungen einer erfolgreichen Entmachtung der Kapitalisten, mit der das Kapitalverhältnis selbst noch längst nicht aufgehoben wäre. Die nach wie vor lohnabhängigen Produzenten könnten noch so viele Verabredungen treffen, um "enttäuschenden Austausch" zu vermeiden, es blieben Verabredungen zur Produktion von Waren mit den der Waren- und Kapitalform eigentümlichen Zwängen, Tendenzen, Risiken und Interessengegensätzen, und zwar je länger, desto fühlbarer. Wollten sie aber Verabredungen über ihre Gesamtproduktion treffen und ihre Arbeit endlich gemeinschaftlichen Bedürfnissen und Zwecken unterordnen (wozu sonst hätten sie die Kapitalisten entmachtet?), würden sie sehr schnell merken, daß ihnen die Wertform ihrer Produkte dabei im Wege steht. Sie hätten dann zwei Möglichkeiten: Entweder blieben sie bei der Warenproduktion, dann müßten sie die Regelung der Gesamtproduktion an eine übergeordnete, außerökonomische Instanz abtreten, an eine Staatsgewalt, die die Gesellschaftlichkeit der selbst dazu unfähigen Individuen zu ersetzen oder zu simulieren hätte. Oder sie würden sich zu einer gesamtgesellschaftlichen Kraftanstrengung aufraffen müssen, die einiges an Organisiertheit und Organisierung erfordern dürfte, und in einem (relativ) kurzen Prozeß die Produktion für den Austausch suspendieren und mit ihm das Geld.
(48.1.1) 25.03.2002, 19:15, Wolf Göhring: Werner, ich hab deinem langen streifen (wie waer's, wenn du die absaetze einzeln kommentierbar machst, indem du sie als einzelne kommentare hintereinander losschickst?) zunaechst mal entnommen, dass du einiges ueberlesen und missverstanden hast.
Obwohl ich das kapitel mit "warenproduktion aufheben" betitelt habe, unterstellst du mir "Die Warenproduktion soll also überwunden werden durch - ihre 'Harmonisierung' oder 'Optimierung'." Du kommst zu der aussage "solche partiellen Verabredungen (und andere, gesamtgesellschaftliche sind nicht gemeint)", ohne auch nur anzudeuten, was bei etwas ueber 6 milliarden leuten eine gesamtgesellschaftliche verabredung (oder planung) sein koennte. Ich habe - knapp zwar - mit einigen technischen (somit materialistischen und nicht bloss ideologischen) gruenden in den abschnitten 53, 56 und 57 darauf hingewiesen, dass es einen totalen, allumfassenden plan, in diesem sinn eine gesamtgesellschaftliche planung nicht geben kann. Hans Kalt hat in "Stalins langer Schatten" ausfuehrlich die praktische und technische seite dieses problems in der sowjetunion behandelt.
Mich erschuettert das fehlen einer "gesamtgesellschaftlichen" planung im massstab von 6 milliarden menschen nicht, denn die dialektik verschwindet nicht. Sie duerfte sich gerade aus dieser unmoeglichkeit speisen. Andererseits muss man sich herantasten, wie trotz allem der austausch von produkten aufgehoben werden kann. Niemand wird dies vollstaendig aufschreiben koennen, sonst wuerde er naemlich ueber die koepfe dieser 6 milliarden hinwegschreiben. Man wird stueckchenweise das allgemeine der bewegung darstellen koennen, in der wir (= 6 milliarden) versuchen werden, so zusammenzuwirken, dass sich der austausch von produkten eruebrigt. (Zu dieser bewegung ist etwas in abschnitt 51 geschrieben, auch wenn Werner dort die kinder, kranken und alten vermisst.)
Um die missverstaendnisse etwas auszuraeumen hab ich den absatz 48, auf den sich Werners kritik bezieht, etwas ausfuehrlicher formuliert (so auch im maerz-heft von UTOPIEkreativ zu finden).
(48.1.2) 25.03.2002, 19:20, Wolf Göhring: Neufassung des abschnitts 48:
Das folgende ist dieser MARXschen Prognose über die dritte Stufe gewidmet, auf der die Individuen ihre Produktion weltweit so organisieren, daß der Austausch der Produkte entfällt. Um dorthin zu gelangen, muß es Mittel und Wege geben, mit denen man Mängel in der Produktion und Kraftakte beim Austausch der Produkte überwinden kann, ohne sich in der neuen Produktionsweise gröbere Mängel und Kraftakte einzuhandeln. Anderes wäre nach MARX Donquichoterie (S. 93). Will man enttäuschenden Austausch der Produkte vermeiden, so ist der Austausch selbst zu vermeiden. Man hat zuvor untereinander zu verabreden, was wie wozu, für wen und mit wem zu produzieren ist, so daß es gar nicht mehr zum Austausch von Produkten kommt. Diese Planung ist zeitaufwendig und wird nur in dem Maß geleistet, wie sie möglich ist und wie sich ein Nutzen erwarten läßt, wie sich ein Vorteil gegenüber weniger verbundener, isolierter Arbeit einstellt. Die Verabredungszeit gehört zur Arbeitszeit in der Produktion. In dem Maß, in dem diese Gesamtarbeitszeit unter derjenigen bei isolierter Arbeit liegt (einschließlich der Behebung der Schäden, die die zufälligen Erschütterungen beim Austausch der Produkte hervorrufen), und in dem Maß, in dem die verabredeten Tätigkeiten den Individuen zumindest gleich nützliche Produkte wie sonst beim Produktentausch in die Hände spielen, werden solche Verabredungen getroffen. Die Vernetzung scheint, wie oben an einigen Spielarten von E-Commerce dargelegt, auf solche Verabredungen hinzuführen, die MARX den "Austausch von Tätigkeiten" (S. 104) anstelle von Produkten nannte. Der Austausch von Tätigkeiten, die durch gemeinschaftliche Bedürfnisse und Zwecke bestimmt sind, ist kein Austausch von Tauschwerten und schließt von vorneherein die Teilnahme des Einzelnen an der gemeinschaftlichen Produktenwelt ein. Sein Produkt wird nicht erst in eine besondre Form Geld umgesetzt, um einen allgemeinen Charakter für den einzelnen zu erhalten. Seine Arbeit ist von vorneherein gesellschaftlich, indem er sie in ein Netz von Verabredungen einwebt. (S. 104, 105)
(48.1.3) 25.03.2002, 19:34, Wolf Göhring: Werner schreibt in seinem heuhaufen: "Verabredungen darüber, was wie und wozu zu produzieren ist, sind im Kapitalismus gang und gäbe." Das "ist ein groteskes Mißverständnis" (Werner), wie sich jeder in der gesellschaftlichen praxis ueberzeugen kann. Denn wo ist im kapitalismus die "freie Individualität, gegründet auf die universelle Entwicklung der Individuen und die Unterordnung ihrer gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktivität als ihres gesellschaftlichen Vermögens" als "dritte Stufe" gesellschaftlicher entwicklung?
Das war der im 1. satz von absatz 48 ausdruecklich genannte kontext zur formulierung "Verabredungen darüber, was wie und wozu zu produzieren ist".
"Was ein 'Austausch von Tätigkeiten anstelle von Produkten' sein soll und wie Verabredungen unter Warenproduzenten zu ihm hinführen sollen, habe ich ihnen nicht entnehmen können," schreibt Werner. Da es um die "MARXsche Prognose über die dritte Stufe" geht, in der es keine waren mehr gibt, kann sich's auch nicht um warenproduzenten handeln. Deshalb ist das, was Werner "nicht entnehmen" konnte, auch nicht drin.
Auch die weiteren kommentare, in denen Werner im absatz 48 die warenproduktion weiter leben laesst, gehen am inhalt dieses absatzes vorbei.
(48.1.4) 25.03.2002, 20:15, Wolf Göhring: Nun etwas zu dem von Werner als ominös, d.h. als "von schlimmer vorbedeutung, unheilvoll, bedenklich, verdaechtig, anruechig" (fremdwoerterduden) bezeichneten "Austausch von Tätigkeiten anstelle von Produkten".
Das anruechige, so dachte ich, sei der austausch von produkten, denn hier ist produziert, hat man gearbeitet, ist zeit vertan, wenn man versucht, dasjenige produkt zu ergattern, das man anstelle des selbst produzierten tatsaechlich braucht. Weil das produkt vergegenstaendlichte arbeit, daher der ganze historisch ueber nahezu 7 jahrtausende gewachsene rattenschwanz an folgen bis hin zum heutigen kapitalverhaeltnis.
Beim austausch von taetigkeiten, bei verabredungen, "tauschen sich" die leute auch "aus", um diese redensart zu verwenden. Aber sie haben noch nicht die produkte, sie wollen erst produzieren. Es ist in diesem "austausch" unmoeglich, werte aufeinander zu beziehen, den produkten einen tauschwert beizumessen. Den noch nicht existenten produkten kann nichts beigemessen werden! Die leute "tauschen sich miteinander aus", naemlich darueber, was sie tun wollen, tun werden. Ihr gegenwaertiges palaver betrifft - anders als beim austausch von produkten - ihre kuenftige taetigkeit. Beim produktentausch palavern sie beim feilschen ueber den preis ueber ihre vergangenheit: "Das hat mich soundsoviel zeit gekostet."
Das palaver ueber die zu erledigende arbeit kann, wenn es zu etwas fuehren soll, nicht allgemeines gequatsche sein, sondern es wird mit wechselnder detaillierung und mit wechselnder beteiligung ueber die konkreten taetigkeiten der individuen zu sprechen sein, auch ueber ihre faehigkeiten aufgrund erworbener geschicklichkeit oder einschraenkungen aufgrund kindheit, alter, krankheit. Ein wichtiges element im palver wird die frage sein, wer mit welchem einsatz was machen wird. Indem die individuen ihre absichten, bestimmtes zu tun, neben einnander stellen, mit einander verbinden, "tauschen sie taetigkeiten aus", kooperieren sie, entwickeln sie ihre zusammenarbeit, setzen sie ihre individuelle taetigkeit als gemeinschaftliche.
Welche stabilen und wechselnden konturen solche "freien assoziationen" annehmen werden, welche konsensmechanismen sie besitzen werden, welche uebergreifenden formen unter sachlichen und räumlichen aspekten sie entwickeln werden, kann heute kaum erahnt werden.
Eines duerfte aber sicher sein: Einheitsregeln wird es nicht geben.
(48.1.5) 25.03.2002, 21:04, Wolf Göhring: Freundlicherweise hat Werner eine laengere stelle, als ich es mit dem knappen "austausch von taetigkeiten" tat, "aus dem zusammenhang gerissen" und kommentiert. Zunaechst nochmal die von Werner zitierte stelle:
"Die Arbeit des Einzelnen, im Akt der Produktion selbst betrachtet, ist das Geld, womit er unmittelbar das Produkt, den Gegenstand seiner besondren Tätigkeit kauft..." (88) "...aber es ist ein besonderes Geld, das eben nur dies bestimmte Produkt kauft. Um unmittelbar das allgemeine Geld zu sein, müßte sie von vornherein nicht besondre Arbeit, sondern allgemeine sein, d.h. von vornherein als Glied der allgemeinen Produktion gesetzt sein. In dieser Voraussetzung aber würde nicht erst der Austausch ihr den allgemeinen Charakter geben, sondern ihr vorausgesetzter gemeinschaftlicher Charakter würde die Teilnahme an den Produkten bestimmen." (Ebd.)
Dies zu interpretieren, ist nun wirklich spannend. Man kann's auf 3 arten tun:
(A) formal-logisch, wie in mathematik und technik
(B) idealistisch-dialektisch, d.h. hegelianisch und schliesslich
(C) historisch-materialistisch-dialektisch.
Um das ergebnis vorwegzunehmen: Bei A und B findet man Werners ergebnis, bei C findet sich meine interpretation der Marx'schen wendung.
Die details hoffe ich in den naechsten tagen verstreuen zu koennen. Bis bald und tschues!
(49) So naheliegend der Umkehrpunkt der Produktionsweise hier gezeichnet erscheinen mochte, so schwierig dürfte der Weg sein, der bis dahin zu beschreiten wäre. Ein virtuelles Unternehmen beispielsweise, verteilt über den Globus, kann Grandioses planen, konstruieren und dessen Bau managen: das größte Flugzeug, den höchsten Wolkenkratzer, die längste Brücke. Doch alle Operationen im Netz sind virtuell, flüchtig wie ein Mausklick. Nur die Bauarbeiter, die aus allen Ländern kommen, vermögen dem virtuellen Unternehmen realen Sinn zu geben, indem sie die Brücke über den Sund schlagen. Wenn diese Produzenten gemeinsam mit allen andern Individuen zugleich ihre eignen "virtuellen" Unternehmer wären, dann könnte man wohl sagen, daß "die Unterordnung ihrer gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktivität als ihres gesellschaftlichen Vermögens" stattgefunden hat, wenn auch dieses neue Verhältnis nicht total sein kann, denn die universelle Informationsmaschine, auf die sich abstützen, läßt sich individuell immer nur beschränkt, partiell nutzen. Die Individuen können trotz aller Informiertheit keine absoluten Verabredungen treffen, sondern nur relativ richtige, einigermaßen zweckmäßige. Ihre verabredeten Tätigkeiten werden darum zu Widersprüchen führen, die jedoch von anderer Natur sein dürften, als die Widersprüche, die zu erleben sind, wenn Tauschwerte post festum gegen einander gerückt werden (vgl. WOLF GÖHRING: Informationsurwald).
(50) Gemeinschaftlicher Plan, Dialektik von Abgrenzung und Zusammenhang [7]
(51) Indem sich die Individuen mit anderen verabreden, die sich ihrerseits mit weiteren verabreden usw., entwickeln sie einen gemeinschaftlichen Plan wie MARX ihn verschiedentlich nannte, der Dreh- und Angelpunkt für die Individuen ist und worin sie sich bewußt gesellschaftlich betätigen. Der Plan wird inmitten der Gesellschaft erzeugt, er ist in dieser Weise gesellschaftlich und zentral, nicht zu verwechseln mit einem zentralistischen oder mit einem totalen Plan. Es genügt nicht, daß der Plan von einer Gruppe von Individuen stellvertretend für die andern erzeugt wird, er wäre nicht gesellschaftlich. Kein Individuum erhält Planvorgaben von anderen, die es zu erfüllen hätte; die einzige "Vorgabe" resultiert aus seinen eigenen Bedürfnissen. Sie zu erfüllen, muß es sich mit anderen über die dazu notwendigen Tätigkeiten verabreden.
(51.1) 12.01.2002, 19:16, Werner Imhof: Kinder, Kranke und Alte würden dabei also wohl verrecken. Eine "Gesellschaft", in der die Individuen als einzige Vorgabe die eigenen Bedürfnisse anerkenne, wäre keine Gesellschaft, sondern ein Haufen beziehungsloser Monaden, die nicht einen Tag überleben könnten. In jeder arbeitsteiligen Gesellschaft resultieren aus jedem eigenen Bedürfnis, wenn es denn gesellschaftlich akzeptiert ist, zwangsläufig eine Vielzahl unterschiedlichster Vorgaben für die Teilarbeiten anderer Individuen. Wie sonst kann man von "dazu notwendigen Tätigkeiten" reden?
(51.1.1) Freie Assoziation?, 19.01.2002, 10:52, Stefan Meretz: So sehr ich dir in deiner Kritik, die du in (48.1) formulierst, zustimme, so sehr widerspreche ich dir hier. Der Begriff der "notwendigen Tätigkeiten" ist ein gesellschaftstheoretischer. Er sagt weder etwas darüber aus, was das Notwendige ist, das tätig realisiert sein will, noch, in welcher Weise diese Realisierung organisiert ist. Wenn du hier dir eine Gesellschaft, "in der die Individuen als einzige Vorgabe die eigenen Bedürfnisse anerkennen", nicht als eine solche Grundlage einer Organisationsform vorstellen kannst, dann bleiben nur die verschiedenen gehabten oder noch denkbaren Zwangsformen der Vergesellschaftung, dann ist Essig mit "freier Assoziation". Darin spiegelt in meiner Sicht eine Reihe von theoretischen Problemen wider (vgl. nächster Kommentar).
(51.1.1.1) Re: Freie Assoziation?, 21.01.2002, 18:21, Werner Imhof: Ein "gesellschaftstheoretischer Begriff" ohne erkennbare praktische Bedeutung ist ein Widerspruch in sich. Denn jede Gesellschaft ist nichts anderes als das Ensemble praktischer Beziehungen der Menschen zueinander. Die notwendigen Tätigkeiten, um die es geht, sind produktive. Schließlich ist das Thema gemeinschaftliche Produktion, wie sie aus der bisherigen kapitalistischen Warenproduktion hervorgehen könnte. Kapitalistische Warenproduktion ist entwickelte, durch Austausch vermittelte gesellschaftliche Arbeitsteilung, in der jedes Individuum von der Arbeit anderer abhängig ist. Gemeinschaftliche Produktion hieße, den Austausch aufzuheben, nicht aber die gesellschaftliche Arbeitsteilung (wohl aber die "knechtende Unterordnung" unter sie). D'accords oder nicht? Wenn ja, mußt Du auch die Konsequenz akzeptieren, daß jedes Bedürfnis (von den allerintimsten wie Schlafen und Selbstbefriedigung mal abgesehen) zu seiner Erfüllung eine ganze Reihe oder besser: ein ganzes Geflecht von produktiven Teilarbeiten notwendig macht. Wolf selbst hat das am Beispiel der Tasse Kaffee sehr schön veranschaulicht. Diese notwendigen Tätigkeiten aber wären nichts anderes als "Planvorgaben von anderen". Es wären Vorgaben nicht qua Autorität oder Amt, sondern weil sie aus gesellschaftlich anerkannten Bedürfnissen und stofflich-technischen Zusammenhängen im Produktionsprozeß resultieren und - das kommt hinzu - zum größten Teil auch gar nicht auf dem Wege individueller Verabredungen festlegbar sind. Wir können das gerne mal anhand der Produktionsmittelproduktion, des Bildungswesens, des Gesundheitswesens, der Energieversorgung und anderer Bereiche durchexerzieren. Wogegen ich polemisiere, ist also die absurde Vorstellung, jedes Individuum könne die Bedürfnisse aller anderen Individuen wie auch ihre gemeinsamen Bedürfnisse mißachten und als "einzige 'Vorgabe'" nur seine eigenen Bedürfnisse anerkennen (und so und nicht anders hat Wolf es formuliert). Eine Vorstellung, die natürlich nicht durchzuhalten ist, weil sie jede gesellschaftliche Produktion unmöglich machte (und die Menschen verrecken würden), weshalb Wolf sein Postulat im letzten Satz relativieren muß, ohne es doch aufzugeben.
(51.1.1.1.1) Re: Freie Assoziation?, 22.01.2002, 08:33, Ulrich Leicht: Hier habe ich in mehrerer Hinsicht Fragen und Widerspruch, zumal in Bezug auf das "heillose Durcheinander von Begrifflichkeiten" und damit eben auch Vorstellungen, das Du ja bei anderen verschiedentlich herausstreichst:
"Die notwendigen Tätigkeiten, um die es geht, sind produktive". Was soll das denn heißen? Was bedeutet denn in diesem Zusammenhang produktiv? Da Du wie ich keine kapitalistische Gesellschaft sprich Wert-vergesellschaftungs-form des menschlichen (Zusammen)Lebens willst und meinen kannst, dürfte eine (kapital)produktive, wert-und mehrwertbildende Tätigkeit (die Du, wie Deine anderen Aussagen hier und an anderer Stelle deutlich machen, auch weiterhin als Arbeit - "ein ganzes Geflecht von produktiven Teilarbeiten" notwendig siehst) ja wohl nicht gemeint sein. Klingt aber genau so, und diese Vorstellung scheint auch überall durch. Die einen, die "notwendig tätigen Malocher" machen die "produktiven Teilabeiten", das, was mensch mit Marx als unmittelbare Produktion verstehen könnte, und die anderen gehen Fischen, Jagen, Philosophieren, Klavierspielen und was die befreiten Individuen sonst noch an Bedürfnissen verwirklichen möchten.
Ich denke (so weit ich ihn kenne mit Marx), in einer solchen emanzipierten Gesellschaft freier (gesellschaftlicher) Individuen werden Wert, Bewertung, Produktives etc. sicher nach ganz anderen Kriterien eben nicht gemessen, aber beurteilt, und ohnehin wertlos sein. Die ganz andere Produktivität wird hoch sein, indem der gesellschaftliche Mensch all seine Potentiale, sich selbst voll entfalten kann, wesentlich auch jenseits so-(von Dir)genannter "produktiver Tätigkeiten", aber auch bei Bewältigung dieser.
In der (Welt)Gesellschaft freier Assoziation, in dem im wahrsten Sinne des Wortes (kommun-istischen) Gemeinwesen (wie ich die zukünftige Gesellschaft nennen würde), wird aufzuheben und aufgehoben sein müssen:
1. eine besondere und gesonderte Sphäre "notwendiger Tätigkeiten", worunter bei Dir wie im Marxismus obendrein auch weiterhin Arbeit gemeint ist. Alle werden alles tun, die "Arbeit - produktive Tätigkeit" wird in das Leben zurückgenommen und damit aufgehoben. Und gerade für die Erledigung anstrengender notwendiger auch (Scheiß)Tätigkeiten werden wir uns die Errungenschaften der Wissenschaft und Technologie voll zunutze machen.
2. Kapital, Wertvergesellschaftung, Warentausch, Geld sind nicht aufzuheben ohne Aufhebung der sie sozusagen konstituierenden Arbeit. Solches bliebe ein Widerspruch in sich - eine contradictio in adjecto, wie wohl der Theoretiker sagt. Und folglich wird es
3. auch nicht, wie Du so selbstverständlich behauptest, noch Arbeitsteilung geben.
Für wahr eine ganze Menge aufzuheben. Zuerst wohl die Schlacken dieses arbeits-, wert- und geldgeprägten gesellschaftlichen Lebens, wie sie sich auch in unseren Köpfen und unserem Denken eingenistet haben und selbst noch beim Nachdenken über und Begreifen anderer Gesellschaft zu Tage treten. Nehme mich selbstredend nicht aus. Mein Ausstieg als noch Malocher ist ohnehin bislang eher ein bedenkenswerter.
(51.1.1.1.1.1) Re: Freie Assoziation?, 23.01.2002, 11:31, Werner Imhof: Als geselliges Naturgeschöpf ist der Mensch nun mal auf die Aneignung und Umformung von Naturstoff (Energie inbegriffen) angewiesen, um seine verschiedenartigen biologischen und gesellschaftlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Diese produktive Tätigkeit nenne ich weiterhin Arbeit, auch wenn sich Leute daran stören, die meinen, mit der Wertform der Arbeitsprodukte gleich auch die Arbeit abschaffen zu müssen und zu können. Wie immer sich die Mittel und "Agentien" der Arbeit vorvollkommnen mögen und ihr Umfang sich reduzieren mag, sie bleibt Naturbedingung menschlicher Zivilisation und damit ein "Reich der Notwendigkeit". Die Perspektive, alle Arbeit durch (womöglich noch sich selbst reproduzierende) Automaten erledigen zu lassen, halte ich für physikalischen und ökologischen Irrwitz, weil sie einen exponentiell steigenden Verbrauch an Naturressourcen impliziert, den sich entweder nur ein privilegierter Teil der Menschheit leisten könnte (wie heute) oder der die Lebensgrundlagen der gesamten Menschheit zerstören würde.
Daß "Kapital, Wertgesellschaftung, Warentausch, Geld" durch "die Arbeit" konstituiert werden, ist ein gewaltiger Irrtum. Was das Geld konstituiert, ist der Austausch der Arbeitsprodukte. Dieser selbst ist konstituiert durch die Teilung der gesellschaftlichen Arbeit in voneinander getrennte "Privatarbeiten" oder anders ausgedrückt: durch das Privateigentum an Produktionsmitteln. Was das Kapital konstituiert, ist Warenproduktion, Produktion für den Austausch, die auf der Anwendung kollektiver (bisher überwiegend, aber nicht notwendig) fremder Arbeitskraft beruht. Wenn Du meinst, mit dem Austausch auch die Arbeit aufheben zu können, hast Du vermutlich Schwierigkeiten, Dir gesellschaftliche Arbeit ohne Austausch der Produkte (gegen Geld) vorzustellen.
Es gibt heute zwei Arten von Arbeitsteilung: betriebliche und gesellschaftliche (die internationale eingeschlossen). Um sie aufzuheben, müßte mensch alle Betriebe schließen, Verkehrs- und Kommunikationsmittel verrotten und die Häuser verfallen lassen und zu einer primitiven lokalen Subsistenzwirtschaft mit selbstgebastelten Unterkünften, Kleidern, Haus- und Arbeitsgeräten, mit Tierhaltung und Gartenbau usw. zurückkehren. Ist es wirklich das, was Dir vorschwebt?
(51.1.1.1.1.1.1) Re: Freie Assoziation?, 27.01.2002, 17:38, Ulrich Leicht: Auch auf die Gefahr hin, daß ich mir wie Wolf eventuell vorwerfen lassen muß: "Die Zusammenstellung von Zitaten ist noch kein Ausweis für eigenes Verständnis, zumal wenn sie zur Aufklärung der theoretischen Irrtümer von Robert Kurz überhaupt nichts beitragen. Ich hatte erwartet, Du würdest Dich mal zu meiner Kritik an Deinen Vorstellungen von Wert, Warenproduktion und ihrer Aufhebung äußern" - möchte ich doch wagen, einige Aussagen von Marx ins Spiel zu bringen, die die Frage, in welche Richtung müssen wir Aufhebung denken und welche Irrtümer nicht weiter zu verfolgen sind, vielleicht in einem andere Licht erscheinen lassen als Du es aufleuchten läßt. Da für Dich Marx ja durchaus eine Autorität ist, die Du selber gerne zitierst oder wie in Deinem anderen Beitrag "Gesellschaftliche Arbeit und Wertausdruck" abschnittsweise zur Untermauerung Deiner Begeisterung für die Aussagekraft der VWL-Wertschöpfungsberechnungen referierst, wage ich es auch. Notgedrungen knapp und nur stichwortgebend, die Richtung der Überlegungen andeutend. Du meinst zwar andere, die sich "daran stören" und "gewaltigem Irrtum" unterliegen könnten, in erster Linie triffst Du aber mit Deiner, wie ich finde sehr (alt)marxistischen Argumentation, Marx selbst,
(51.1.1.1.1.1.1.1) Re: Freie Assoziation?, 30.01.2002, 13:41, Werner Imhof: Hier ist wohl etwas unvollendet geblieben.
(51.1.1.1.1.1.1.2) Re: Freie Assoziation?, 29.03.2002, 21:52, Ulrich Leicht: Wenn das "gesellige" Wesen seine natürliche Unschuld verliert
"Warum muss das Privateigentum zum Geldwesen fortgehn? Weil der Mensch als ein geselliges Wesen zum Austausch und weil der Austausch unter den Voraussetzung des Privateigentums zum Wert fortgehn muss. Die vermittelnde Bewegung der austauschenden Menschen ist nämlich ... kein menschliches Verhältnis, es ist das abstrakte Verhältnis des Privateigentums zum Privateigentum, und dies abstrakte Verhältnis ist der Wert, dessen wirkliche Existenz als Wert erst das Geld ist. Weil die austauschenden Menschen sich nicht als Menschen zueinander verhalten, so verliert die Sache die Bedeutung des menschlichen, des persönlichen Eigentums."
(Ökonomisch-Philosophische Manuskripte, MEGA III, S. 532 und 540, auch "Deutsche Ideologie", S. 381-82)
(51.1.1.1.1.1.1.3) Re: Freie Assoziation?, 29.03.2002, 22:10, Ulrich Leicht:
Es war und muß nicht "Arbeit" sein-I
"Arbeit scheint eine ganz einfache Kategorie. Auch die Vorstellung derselben in dieser Allgemeinheit - als Arbeit überhaupt - ist uralt. Dennoch, ökonomisch in dieser Einfachheit gefaßt, ist »Arbeit« eine ebenso moderne Kategorie wie die Verhältnisse, die diese einfache Abstraktion erzeugen....
Nun konnte es scheinen, als ob damit nur der abstrakte Ausdruck für die einfachste und urälteste Beziehung gefunden, worin die Menschen - sei es in welcher Gesellschaftsform immer - als produzierend auftreten. Das ist nach einer Seite hin richtig. Nach der andren nicht. Die Gleichgültigkeit gegen eine bestimmte Art der Arbeit setzt eine sehr entwickelte Totalität wirklicher Arbeitsarten voraus, von denen keine mehr die alles beherrschende ist. So entstehn die allgemeinsten Abstraktionen überhaupt nur bei der reichsten konkreten Entwicklung, wo eines vielen gemeinsam erscheint, allen gemein. Dann hört es auf, nur in besondrer Form gedacht werden zu können. Andrerseits ist diese Abstraktion der Arbeit überhaupt nicht nur das geistige Resultat einer konkreten Totalität von Arbeiten. Die Gleichgültigkeit gegen die bestimmte Arbeit entspricht einer Gesellschaftsform, worin die Individuen mit Leichtigkeit aus einer Arbeit in die andre übergehn und die bestimmte Art der Arbeit ihnen zufällig, daher gleichgültig ist. Die Arbeit ist hier nicht nur in der Kategorie, sondern in der Wirklichkeit als Mittel zum Schaffen des Reichtums überhaupt geworden und hat aufgehört, als Bestimmung mit den Individuen in einer Besonderheit verwachsen zu sein. Ein solcher Zustand ist am entwickeltsten in der modernsten Daseinsform der bürgerlichen Gesellschaften - den Vereinigten Staaten. Hier also wird die Abstraktion der Kategorie »Arbeit«, »Arbeit überhaupt«, Arbeit sans phrase, der Ausgangspunkt der modernen Ökonomie, erst praktisch wahr. Die einfachste Abstraktion also, welche die moderne Ökonomie an die Spitze stellt und die eine uralte und für alle Gesellschaftsformen gültige Beziehung ausdrückt, erscheint doch nur in dieser Abstraktion praktisch wahr als Kategorie der modernsten Gesellschaft. .... Dies Beispiel der Arbeit zeigt schlagend, wie selbst die abstraktesten Kategorien, trotz ihrer Gültigkeit - eben wegen ihrer Abstraktion - für alle Epochen, doch in der Bestimmtheit dieser Abstraktion selbst eben sosehr das Produkt historischer Verhältnisse sind und ihre Vollgültigkeit nur für und innerhalb dieser Verhältnisse besitzen."
[Marx: Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, S. 39. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 2802 (vgl. MEW Bd. 13, S. 634-35)]
(51.1.1.1.1.1.1.4) Re: Freie Assoziation?, 29.03.2002, 22:31, Ulrich Leicht:
Es war und muß nicht "Arbeit" sein-II
"Die Arbeit, die sich gleichmäßig in ihnen vergegenständlicht, muß selbst gleichförmige, unterschiedslose, einfache Arbeit sein, der es ebenso gleichgültig, ob sie in Gold, Eisen, Weizen, Seide erscheint, wie es dem Sauerstoff ist, ob er vorkommt im Rost des Eisens, der Atmosphäre, dem Saft der Traube oder dem Blut des Menschen. Aber Gold graben, Eisen aus dem Bergwerk fördern, Weizen bauen und Seide weben sind qualitativ voneinander verschiedene Arbeitsarten. In der Tat, was sachlich als Verschiedenheit der Gebrauchswerte, erscheint prozessierend als Verschiedenheit der die Gebrauchswerte hervorbringenden Tätigkeit. Als gleichgültig gegen den besondern Stoff der Gebrauchswerte ist die Tauschwert setzende Arbeit daher gleichgültig gegen die besondere Form der Arbeit selbst. Die verschiedenen Gebrauchswerte sind ferner Produkte der Tätigkeit verschiedener Individuen, also Resultat individuell verschiedener Arbeiten. Als Tauschwerte stellen sie aber gleiche, unterschiedslose Arbeit dar, d.h. Arbeit, worin die Individualität der Arbeitenden ausgelöscht ist. Tauschwert setzende Arbeit ist daher abstrakt allgemeine Arbeit.
[Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie, S. 14 ff.Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 2911 (vgl. MEW Bd. 13, S. 17 ff.)]
"Denn erstens erscheint dem Menschen die Arbeit, die Lebenstätigkeit, das produktive Leben selbst nur als ein Mittel zur Befriedigung eines Bedürfnisses, des Bedürfnisses der Erhaltung der physischen Existenz. Das produktive Leben ist aber das Gattungsleben. Es ist das Leben erzeugende Leben. In der Art der Lebenstätigkeit liegt der ganze Charakter einer species, ihr Gattungscharakter, und die freie bewußte Tätigkeit ist der Gattungscharakter des Menschen."
[Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844, S. 185 ff.Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 754 (vgl. MEW Bd. 40, S. 560 ff.)]
"Und endlich als Dritten im Bunde ein bloßes Gespenst - »die« Arbeit, die nichts ist als eine Abstraktion und für sich genommen überhaupt nicht existiert oder wenn wir die.... nehmen, die produktive Tätigkeit des Menschen überhaupt, wodurch er den Stoffwechsel mit der Natur vermittelt, entkleidet nicht nur jeder gesellschaftlichen Form und Charakterbestimmtheit, sondern selbst in ihrem bloßen Naturdasein, unabhängig von der Gesellschaft, allen Gesellschaften enthoben und als Lebensäußerung und Lebensbewährung dem überhaupt noch nicht gesellschaftlichen Menschen gemeinsam mit dem irgendwie gesellschaftlich bestimmten."
[Marx: Das Kapital, S. 4067. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 7381 (vgl. MEW Bd. 25, S. 823-824)]
(51.1.1.1.1.1.1.4.1) Re: Freie Assoziation?, 29.03.2002, 23:00, Ulrich Leicht:
Der Stoffwechsel mit der Natur als condition humana meint anderes als die gesonderte Sphäre "Arbeit" im kapitalistischen Verwertungsprozeß. Selbst der nicht eindeutige Marx gibt Hinweise:
"In der ländlich-patriarchalischen Industrie dagegen, wo Spinner und Weber unter demselben Dach hausten, der weibliche Teil der Familie spann, der männliche webte, sage zum Selbstbedarf der Familie, waren Garn und Leinwand gesellschaftliche Produkte, Spinnen und Weben gesellschaftliche Arbeiten innerhalb der Grenzen der Familie. Ihr gesellschaftlicher Charakter bestand aber nicht darin, daß Garn als allgemeines Äquivalent gegen Leinwand als allgemeines Äquivalent oder beide sich gegeneinander austauschten als gleich gültige und gleich geltende Ausdrücke derselben allgemeinen Arbeitszeit. Der Familienzusammenhang vielmehr mit seiner naturwüchsigen Teilung der Arbeit drückte dem Produkt der Arbeit seinen eigentümlichen gesellschaftlichen Stempel auf.
Oder nehmen wir die Naturaldienste und Naturallieferungen des Mittelalters. Die bestimmten Arbeiten der einzelnen in ihrer Naturalform, die Besonderheit, nicht die Allgemeinheit der Arbeit bildet hier das gesellschaftliche Band. Oder nehmen wir endlich die gemeinschaftliche Arbeit in ihrer naturwüchsigen Form, wie wir sie an der Schwelle der Geschichte aller Kulturvölker finden. Hier ist der gesellschaftliche Charakter der Arbeit offenbar nicht dadurch vermittelt, daß die Arbeit des einzelnen die abstrakte Form der Allgemeinheit, oder sein Produkt die Form eines allgemeinen Äquivalents annimmt. Es ist das der Produktion vorausgesetzte Gemeinwesen, das die Arbeit des einzelnen verhindert. Privatarbeit und sein Produkt Privatprodukt zu sein, die einzelne Arbeit vielmehr unmittelbar als Funktion eines Gliedes des Gesellschaftsorganismus erscheinen läßt. Die Arbeit, die sich im Tauschwert darstellt, ist vorausgesetzt als Arbeit des vereinzelten Einzelnen. Gesellschaftlich wird sie dadurch, daß sie die Form ihres unmittelbaren Gegenteils, die Form der abstrakten Allgemeinheit annimmt....
Von der Arbeit, soweit sie Gebrauchswerte hervorbringt, ist es falsch zu sagen, daß sie einzige Quelle des von ihr hervorgebrachten, nämlich des stofflichen Reichtums sei. Da sie die Tätigkeit ist, das Stoffliche für diesen oder jenen Zweck anzueignen, bedarf sie des Stoffes als Voraussetzung. In verschiedenen Gebrauchswerten ist die Proportion zwischen Arbeit und Naturstoff sehr verschieden, aber stets enthält der Gebrauchswert ein natürliches Substrat. Als zweckmäßige Tätigkeit zur Aneignung des Natürlichen in einer oder der anderen Form ist die Arbeit Naturbedingung der menschlichen Existenz, eine von allen sozialen Formen unabhängige Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur. Tauschwert setzende Arbeit ist dagegen eine spezifisch gesellschaftliche Form der Arbeit. Schneiderarbeit z.B. in ihrer stofflichen Bestimmtheit als besondere produktive Tätigkeit, produziert den Rock, aber nicht den Tauschwert des Rocks. Letztem produziert sie nicht als Schneiderarbeit, sondern als abstrakt allgemeine Arbeit, und diese gehört einem Gesellschaftszusammenhang, den der Schneider nicht eingefädelt hat. So produzierten in der antiken häuslichen Industrie Weiber den Rock, ohne den Tauschwert des Rockes zu produzieren.
[Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie, S. 21 ff.Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 2918 (vgl. MEW Bd. 13, S. 20 ff.)]
"Nehmen wir den Robinson auf seiner Insel. Bescheiden, wie er von Haus aus ist, hat er doch verschiedenartige Bedürfnisse zu befriedigen und muß daher nützliche Arbeiten verschiedner Art verrichten, Werkzeuge machen, Möbel fabriciren, Lama zähmen, fischen, jagen u. s. w. Vom Beten u. dgl. sprechen wir hier nicht, da unser Robinson daran sein Vergnügen findet und derartige Tätigkeit als Erholung betrachtet. Trotz der Verschiedenheit seiner produktiven Funktionen weiß er, daß sie nur verschiedne Betätigungsformen desselben Robinson, also nur verschiedne Weisen menschlicher Arbeit sind. Die Not selbst zwingt ihn, seine Zeit genau zwischen seinen verschiednen Funktionen zu verteilen.
[Marx: Das Kapital, S. 126. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 3440 (vgl. MEW Bd. 23, S. 91-92)]
(51.1.1.1.1.1.1.5) Re: Freie Assoziation?, 29.03.2002, 23:53, Ulrich Leicht:
Was hat es mit dem "Reich der Notwendigkeit" auf sich?
"Ein bestimmtes Quantum Mehrarbeit ist erheischt durch die Assekuranz gegen Zufälle, durch die notwendige, der Entwicklung der Bedürfnisse und dem Fortschritt der Bevölkerung entsprechende, progressive Ausdehnung des Reproduktionsprozesses, was vom kapitalistischen Standpunkt aus Akkumulation heißt. Es ist eine der zivilisatorischen Seiten des Kapitals, daß es diese Mehrarbeit in einer Weise und unter Bedingungen erzwingt, die der Entwicklung der Produktivkräfte, der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Schöpfung der Elemente für eine höhere Neubildung vorteilhafter sind als unter den frühern Formen der Sklaverei, Leibeigenschaft usw. Es führt so einerseits eine Stufe herbei, wo der Zwang und die Monopolisierung der gesellschaftlichen Entwicklung (einschließlich ihrer materiellen und intellektuellen Vorteile) durch einen Teil der Gesellschaft auf Kosten des andern wegfällt; andrerseits schafft sie die materiellen Mittel und den Keim zu Verhältnissen, die in einer höhern Form der Gesellschaft erlauben, diese Mehrarbeit zu verbinden mit einer größern Beschränkung der der materiellen Arbeit überhaupt gewidmeten Zeit. Denn die Mehrarbeit kann, je nach der Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, groß sein bei kleinem Gesamtarbeitstag und relativ klein bei großem Gesamtarbeitstag. ... Sodann aber hängt es von der Produktivität der Arbeit ab, wieviel Gebrauchswert in bestimmter Zeit, also auch in bestimmter Mehrarbeitszeit hergestellt wird. Der wirkliche Reichtum der Gesellschaft und die Möglichkeit beständiger Erweiterung ihres Reproduktionsprozesses hängt also nicht ab von der Länge der Mehrarbeit, sondern von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht. Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muß, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muß es der Zivilisierte, und er muß es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.
[Marx: Das Kapital, S. 4075 ff.Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 7389 (vgl. MEW Bd. 25, S. 827 ff.)]
(51.1.1.1.1.1.1.5.1) Re: Freie Assoziation?, 30.03.2002, 01:16, Ulrich Leicht:
Marcuse, der sich neben Roman Rosdolsky ("Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen 'Kapital'" - 1968) sehr intensiv mit den spät veröffenlichten Vorarbeiten zum "Kapital" - "Ökonomisch Philosophische Manuskripte" und "Grundrissse" -auseinandergesetzt hat, interpretiert Marx zu diesem Thema in "Der Eindimensionale Mensch" (1967) richtigerweise nicht so "arbeitsversessen" und abwehrend wie Du:
"Weder teilweise Verstaatlichung noch erweiterte Teilhabe der Arbeiterschaft an Betriebsführung und Gewinn würden von sich aus dieses Herrschaftssystem ändern - solangedie Arbeiterschaft selbst diese Stütze und affirmative Kraft bleibt.
Es gibt zentrifugale Tendenzen, im Innern und außerhalb. Eine von ihnen ist dem technischen Fortschritt selbst immanent, nämlich die Automation. Ich gab zu verstehen, daß sich erweiternde Automationmehr ist als ein quantitatives Anwachsen der Mechanisierung - daß sie ein Wandel im Charakter der grundlegenden Produktivkräfte ist. Es scheint, daß die bis zu den Grenzen des technisch Möglichen getriebene Automation mit einer gesellschaft unvereinbar ist, die auf der privaten ausbeutung menschlicher Arbeitskraft im Produktionsprozeß beruht. Fast ein Jahrhundert vor der Verwirklichung der Automation faßte Marx ihre sprengenden Aussichten ins Auge:
'In dem Maße aber, wie die grosse Industrie sich entwickelt, wird die Schöpfung des wirklichen Reichthums abhängig weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit, als von der Macht der Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesezt werden und die selbst wieder - deren powerful effectiveness - selbst wieder in keinem Verhältniß steht zur unmittelbaren Arbeitszeit, die ihre Production kostet, sondern vielmehr abhängt vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie, oder der Anwendung dieser Wissenschaft auf die Production. (Die Entwicklung dieser Wissenschaft, besonders der Naturwissenschaft, und mit ihr aller andren steht selbst wieder im Verhältniß zur Entwicklung der materiellen Production.) Die Agricultur z. B. wird blose Anwendung der Wissenschaft des materiellen Stoffwechsels, wie er am vorteilhaftesten zu regulären für den ganzen Gesellschaftskörper. Der wirkliche Reichthum manifestiert sich vielmehr - und dieß enthüllt die grosse Industrie - im ungeheuren Mißverhältniß zwischen der angewandten Arbeitszeit und ihrem Produkt, wie ebenso im qualitativen Mißverhältniß zwischen der auf eine reine Abstraction reduzierten Arbeit und der Gewalt des Produktionsprozesses, den sie bewacht. Die Arbeit erscheint nicht mehr so sehr in den Produktionsprozess eingeschlossen, als sich der Mensch vielmehr als Wächter und Regulator zum Produktionsprozess selbst verhält. (Was von der Maschinerie gilt, ebenso von der Kombination der menschlichen Tätigkeit und der Entwicklung des menschlichen Verkehrs.) Es ist nicht mehr der Arbeiter, der modifizierten Naturgegenstand als Mittelglied zwischen das Objekt und sich einschiebt; sondern den Naturprozess, den er in einen industriellen umwandelt, schiebt er als Mittel zwischen sich und die unorganische Natur, deren er sich bemeistert. Er tritt neben den Produktionsprozess, statt sein Hauptagent zu sein. In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eignen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständniß der Natur, und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper - in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der grosse Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint. Der Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum beruht, erscheint miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch die grosse Industrie selbst geschaffne. Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die grosse Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert [das Maß] des Gebrauchswerts. Die Surplusarbeit der Masse hat aufgehört Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen Reichtums zu sein, ebenso wie die Nichtarbeit der Wenigen für die Entwicklung der allgemeinen Mächte des menschlichen Kopfes. Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhende Produktion zusammen, und der unmittelbare materielle Produktionsprozess erhält selbst die Form der Notdürftigkeit und Gegensätzlichkeit abgestreift. Die freie Entwicklung der Individualitäten, und daher nicht das Reduzieren der notwendigen Arbeitszeit um Surplusarbeit zu setzen, sondern überhaupt die Reduktion der notwendigen Arbeit der Gesellschaft zu einem Minimum, der dann die künstlerische, wissenschaftliche etc. Ausbildung der Individuen durch die für sie alle freigewordne Zeit und geschaffnen Mittel entspricht. '
[Karl Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (1857/58), MEW 42, S.600-601].
... Einmal zum materiellen Produktionsprozeß schlechthin geworden, würde Automation die ganze Gesellschaft revolutionieren. ... würde die Verdinglichung der menschlichen Arbeitskraft die verdinglichte Form dadurch zerstören, daß sie die Kette durchschnitte, die das Individuum an die Maschinerie bindet - den Mechanismus, wodurch seine eigene Arbeit es versklavt. Vollständige Automation im Reich der Notwendigkeit würde die Dimension freier Zeit als diejenige eröffnen, in der das private und gesellschaftliche Dasein sich ausbilden würde. das wäre die geschichtliche Transzendenz zu einer neuen Zivilisation." (S. 55-57)
(51.1.1.1.1.1.1.6) Re: Freie Assoziation?, 30.03.2002, 01:40, Ulrich Leicht: Eine Anmerkung: Die weitere Debatte um die von Wolfs Aufsatz und eigentlichem Anliegen sich mehr und mehr entfernenden Fragenkomplexe scheint sinnvoller an anderer Stelle weitergeführt zu werden, z.B. in Zusammenhang mit Stefan Meretz' neuem Projekt "kw48_01-3 - Den Traditionsmarxismus aufheben". Dann könnte mensch Stefans und des "WAK" "Wege und Auswege" in eine kritischen Würdigung mit einbeziehen.
(51.1.2) Naturalisierung, 19.01.2002, 11:05, Stefan Meretz: Der "Haufen beziehungsloser Monaden" ist auch in der warenproduzierenden Gesellschaft keine totale Realität, aber die "Monadisierung" ist Resultat derselben. Wenn du das jetzt unmittelbar einer Gesellschaft zuordnest, die die je eigenen Bedürfnisse zur Grundlage hat, dann drückt sich darin eine "Naturalisierung" gesellschaftlicher Verhältnisse aus: Du nimmst den Warenmonaden dieser Gesellschaft, setzt ihn in eine freie Gesellschaft und stellst fest: Seht, was da für ein Scheiss rauskommt. Das ist der klassische Vorwurf: "Die Menschen sind nun mal so, wenn man sie machen lässt wie sie wollen, dann könnte diese Gesellschaft 'nicht einen Tag überleben'." Du erklärst (indirekt) die warenförmige Vergesellschaftung als die der Natur des Menschen entspringende. Als Alternative bleibt nur irgendeine Form des Zwangs, den man dann bestenfalls wiederum naturalisieren kann, was du mit "zwangsläufig eine Vielzahl unterschiedlichster Vorgaben" andeutest. Mein nächster Punkt kommt im nächsten Kommentar.
(51.1.2.1) Re: Naturalisierung, 21.01.2002, 18:22, Werner Imhof: Ein "Haufen beziehungsloser Monaden" ist in keiner menschlichen Gesellschaft Realität, weil er die Negation jeder Form von Gesellschaftlichkeit wäre. Auch in der heutigen Gesellschaft sind die Menschen nicht auf "Warenmonaden" reduzierbar; sie sind immer noch gesellschaftliche Individuen, wenn sie auch ihre Beziehungen nicht beherrschen und ihre Individualität nicht entfalten können. Daß ich "(indirekt)" die "warenförmige Vergesellschaftung als die der Natur des Menschen entspringende" erkläre und "als Alternative ... nur irgendeine Form des Zwangs" für möglich halte, solltest Du mir schon anhand meiner eigenen Worte nachzuweisen suchen, statt mir dumme Sprüche anzudichten und alles zu ignorieren, was ich bisher zur möglichen Aufhebung der Warenproduktion von mir gegeben habe. Oder sollte es sein, daß Du die gesellschaftliche Arbeitsteilung, auf die ich abstelle, selbst für ein Zwangsverhältnis hältst, dem es zu entrinnen gilt? Das würde mich allerdings wundern, denn in Deinen bisherigen Publikationen war davon noch nie die Rede.
(51.1.2.1.1) Re: Naturalisierung, 28.01.2002, 09:02, Stefan Meretz: Calma, calma, ich will dir keine dummen Sprüche andichten, sondern dich auf Implikationen deines - vielleicht in Rage - hingeschriebenen Kommentars aufmerksam machen. Das kannst du natürlich für eine Missinterpretation oder für falsch halten, aber zunächstmal verstehe ich es so, und ich fände es gut, wenn du das zur Kenntnis nehmen würdest. Der Kern meiner Kritik ist: Du nimmst bestimmten Phänomenen ihre Historizität und naturalisierst sie. Aus meiner Sicht ist es notwendig, zwischen der stoffwechselnden Tätigkeit der Menschen - nennen wir es "Arbeit-sui-generis" (manche bevorzugen hier allgemeiner "Tätigkeit") - und ihrem historischen Produkt in der warenproduzierenden Gesellschaft - nehmen wir mal "Arbeit-heute" - samt ihrer Teilung zu unterscheiden. Daraus folgt, ich springe jetzt, dass klarerdings "Arbeit-heute" samt ihrer "Arbeitsteilung" ein Zwangsverhältnis darstellt. Beides gilt es aufzuheben, was weder heisst, dass danach "niemand mehr was tut", noch, dass "jeder alles tut". Wenn du von "gesellschaftlicher Arbeitsteilung" schlechthin schreibst, dann universalisiert und naturalisierst du ein historisch-spezifisches Produkt. Darum geht's mir.
(51.1.2.1.1.1) Re: Naturalisierung, 30.01.2002, 13:37, Werner Imhof: Gegen Mißverständnisse ist niemand gefeit, aber ich erwarte schon, daß man sich mit formulierten Gedanken und Argumenten auseinandersetzt und ihre "Implikationen" zumindest herzuleiten versucht, statt sie einfach nur zu behaupten. Leider kann ich davon immer noch nichts merken. Daß ich "bestimmten Phänomenen ihre Historizität" nehme und sie "naturalisiere", ist eine Kritik, die ich wohl zur Kenntnis nehmen, aber nicht sinnvoll beantworten kann, solange Du mir nicht verrätst, woran Du sie denn festmachst. Daß ich die "Arbeit heute", die Waren produzierende und zirkulierende Lohnarbeit, zur Naturform menschlicher "Tätigkeit" erhebe, kannst Du doch wohl nicht ernsthaft daraus ableiten wollen, daß ich für die "stoffwechselnde Tätigkeit der Menschen" auch nach einer eventuellen Aufhebung der Warenproduktion den Begriff der (gemeinschaftlichen oder unmittelbar gesellschaftlichen!) "Arbeit" dem alles umfassenden und daher nichtssagenden Begriff der "Tätigkeit" vorziehe. Bleibt der Vorwurf, ich würde die "'gesellschaftliche Arbeitsteilung' schlechthin" als "historisch-spezifisches Produkt" universalisieren und naturalisieren. Der richtige Kern daran ist, daß ich die gesellschaftliche Arbeitsteilung oder - was dasselbe bedeutet - die Kombination der gesellschaftlichen Teilarbeiten, die der Kapitalismus entwickelt hat und immer noch weiter entwickelt, in der Tat für den fundamentalen Zusammenhang halte, der die Menschen in ihrer "stoffwechselnden Tätigkeit" allseitig voneinander abhängig macht und eben dadurch verbindet - trotz der Übertreibungen, die damit einhergehen (man denke an die irrsinnigen Transportwege für die arbeitsteilige Produktion eines Yoghurtbechers), und trotz der Unterdrückung der menschlichen Individualität, mit der sie bisher verbunden ist. Nicht eine "gesellschaftliche Arbeitsteilung schlechthin" (als gäbe es sie als geschichtsloses Prinzip), sondern die konkret-historische Form der Vergesellschaftung der materiellen Reproduktion durch den Kapitalismus, die Verallgemeinerung der Warenproduktion (oberflächlich ausgedrückt: die Entwicklung der Marktwirtschaft), schafft erst die Möglichkeit, die privat organisierte Produktion für den Austausch durch eine gemeinschaftlich organisierte Produktion für die (individuelle und produktive) Konsumtion abzulösen und damit auch ihre Übertreibungen zurückzunehmen wie die Unterwerfung der Individuen unter sie zu beenden. Du magst darin ein "Zwangsverhältnis" sehen, das es aufzuheben gilt. Doch wenn Du den Anspruch hast, mehr als bloßes Wunschdenken zu produzieren, dann solltest Du mal darzulegen suchen, wie eine "freie Gesellschaft" praktisch aus der bestehenden Gesellschaft (und nicht aus dem Kopf) hervorgehen könnte, ohne auf der vorhandenen gesellschaftlichen Arbeitsteilung aufzubauen.
(51.1.3) Bedürfnisse, 19.01.2002, 11:30, Stefan Meretz: Du kannst dir keine gesellschaftliche Organisationsform vorstellen, in der die individuellen Bedürfnisse als einzige Vorgabe dazu führen, das alle gut leben können, die dafür notwendigen Tätigkeiten also auch erledigt werden - verstehe ich das richtig? Das impliziert, dass du dir Bedürfnisse stets nur als sozusagen "private Bedürfnisse", die nahezu nichts mit der Gesellschaft zu haben, vorstellen kannst. Und auch, dass der Befriedigungsmodus stets einer des "auf Kosten anderer" (eben z.B. der von dir genannten Gruppen) ist. Auch hierin reproduzierst du nur gedanklich, was der Kapitalismus zeitigt und was die bürgerliche positivistische Wissenschaft bestätigt. Anders ausgedrückt: der Wunsch nach Befriedigung je meiner Bedürfnisse, je meine individuellen Interessen also, sind nur denkbar als Partialinteressen (solche, die nur auf Kosten anderer realisierbar sind), niemals aber als Allgemeininteressen (solche, deren Realisierung im Interesse aller liegt). So kannst du dir niemals eine Gesellschaft vorstellen, in der die Entfaltung des Einzelnen die Voraussetzung für die Entfaltung aller ist (was vice versa einschliesst). Nach meiner Auffassung, kann eine freie Gesellschaft (von mir aus: "Kommunismus") nur eine sein, in der tendenziell und zunehmend die Realisierung der individuellen Bedürfnisse im Interesse aller liegt. Die Frage, die aus meiner Sicht ansteht, ist die nach der Vergesellschaftsform, die genau das ermöglicht, oder noch schärfer: geradezu "produziert". Dass dies grundsätzlich geht, kannst du in hervorragender Weise bei der Freien Software studieren.
Noch zwei Literaturtipps dazu: Stefan Meretz: Freie Software und freie Gesellschaft und Klaus Holzkamp: Individuum und Organisation (von 1980, daher in der Diktion etwas angestaubt).
(51.1.3.1) Re: Bedürfnisse, 21.01.2002, 18:24, Werner Imhof: Nein, das hast Du nicht richtig verstanden. Aber schön, daß Du wenigstens fragst. Zwischen Wolfs Formulierung, gegen die ich polemisiert habe, und Deinem Eingangssatz besteht ein "kleiner" Unterschied. Du sprichst von "den "individuellen Bedürfnisse(n) als einzige(r) Vorgabe", also den Bedürfnissen der oder aller Individuen, ihre gemeinsamen Bedürfnisse eingeschlossen. Wolf spricht vom einzelnen Individuum, das nur seine eigenen Bedürfnisse anerkennen soll. Leider hast Du Deine Frage nur rhetorisch gestellt, denn eine andere Antwort, als die dann mir unterstellte erwägst Du gar nicht. Doch Deine Kritik daran kann ich nur teilen.
(51.1.4) 30.04.2002, 16:43, Wolf Göhring: Werner, dein satz "Eine "Gesellschaft", in der die Individuen als einzige Vorgabe die eigenen Bedürfnisse anerkennen, wäre keine Gesellschaft, sondern ein Haufen beziehungsloser Monaden, die nicht einen Tag überleben könnten." bezieht sich nicht auf meinen satz "Kein Individuum erhält Planvorgaben von anderen, die es zu erfüllen hätte; die einzige 'Vorgabe' resultiert aus seinen eigenen Bedürfnissen." sondern auf das, was du in diesen satz hinein fantasierst. Das ist, nach deiner antwort zu urteilen, das gegenteil dessen, was ich geschrieben habe. Zwischen "erhalten" und "anerkennen" ist landlaeufig ein meilenweiter unterschied, vielleicht auch bei dir. Ich kann durchaus die beduerfnisse anderer anerkennen, ohne dass mir von einem lieben gott, einem "weisen fuehrer", einem kaiser, tribun (oder eventuell von dir) aufgegeben wird, planvorgaben zu erfuellen.
Das faustisch-faschistische "Ein geist fuer tausend haende" (Faust, 2. teil, 5. akt), das staende-staatliche im stile von Platons "idealer" staat, wo sich der staats"fuehrer" der klugheit, der "wehrstand" der tapferkeit und der "naehrstand" der maessigung hinzugeben haben (Schwedtner, geschichte der philosophie, ca. 1845), liegt mir nicht. Ich habe anlass zu der vermutung, dass es meinen mitmenschen auch nicht liegt.
Oder haettest du es gerne so:
Des herren wort, es gibt allein gewicht.
Vom lager auf, ihr knechte! Mann fuer Mann!
Lasst gluecklich schauen, was ich kuehn ersann!
Ergreift das werkzeug! Schaufel ruehrt und spaten! ...
Dass sich das groesste werk vollende,
genuegt Ein geist fuer tausend haende.
Die fortsetzung dieser stelle aus Faust II (5. akt, mitternacht) ist (fast) geradewegs das moorsoldatenlied.
Ein (literarischer) anfangspunkt ist bei Aristoteles zu finden:
"Zur Erhaltung hat die Natur Fuehrer und Gefolge bestimmt. Denn wer klug vorausschauen kann, den hat die Natur zum Fuehrer und Herrn bestimmt, wer mit seiner Haende Arbeit die Befehle ausfuehren kann, zum Gehorchen und Knecht."
(Aristoteles, Politik, Buch I, 1252a, Die Lehrschriften, herausgegeben, uebertragen und in ihrer Entstehung erlaeutert von Dr. Paul Gohlke, Ferdinand Schoeningh, Paderborn 1959)#
Und nun noch aus dem 20. jahrhundert:
"Was ist erforderlich, um die Kontrollziffern zu erfüllen, um einen Produktionszuwachs von 45 Prozent zu erzielen, um die Erfüllung des Fünfjahresplans nicht in vier, sondern in den grundlegenden und ausschlaggebenden Produktionszweigen in drei Jahren zu erreichen?
Dazu sind zwei Hauptbedingungen erforderlich.
Erstens, daß reale oder, wie man bei uns sagt, "objektive" Möglichkeiten hierzu vorhanden seien.
Zweitens, daß der Wunsch und die Fähigkeit vorhanden seien, unsere Betriebe so zu leiten, daß diese Möglichkeiten in die Tat umgesetzt werden.
Hatten wir im vergangenen Jahr die "objektiven" Möglichkeiten zur vollständigen Erfüllung des Plan? Jawohl. Unbestreitbare Tatsachen bezeugen das. Diese Tatsachen bestehen darin, daß die Industrie im März und April des vergangenen Jahres einen Produktionszuwachs von 31 Prozent im Vergleich mit dem Vorjahre aufwies. Warum also, fragt es sich, haben wir den Plan für das ganze Jahr nicht erfüllt? Was stand im Wege? Woran mangelte es? Es mangelte an der Fähigkeit, die vorhandenen Möglichkeiten auszunutzen. Es mangelte an der Fähigkeit, die Werke, Fabriken und Bergwerke richtig zu leiten."
(Josef Stalin: Über die Aufgaben der Wirtschaftler. Rede auf der ersten Unionskonferenz der Funktionäre der sozialistischen Industrie. 4. Februar 1931)
(51.1.4.1) 07.06.2002, 15:36, Werner Imhof: Ich weiß ja, daß Du gerne Deine Belesenheit vorführst. Nur hättest Du die Zeit zum Nachschlagen besser mal zum Nachdenken benutzen sollen. Zwischen dem "Erhalten" von "Planvorgaben von anderen" und dem "Anerkennen" ihrer Bedürfnisse besteht ein "meilenweiter Unterschied" nur dann, wenn das Anerkennen der Bedürfnisse anderer ein bloßes Lippenbekenntnis bleibt. Alle gesellschaftlich anerkannten Bedürfnisse, deren Befriedigung menschliche Arbeit erfordert, wären "Planvorgaben" für die Produzenten der entsprechenden Konsumtionsgüter und -dienstleistungen, die wiederum "Vorgaben" für die Produzenten der dazu direkt und indirekt nötigen Produktionsmittel nach sich zögen. Dein eigenes Bedürfnis nach einer morgendlichen Tasse Kaffee ergäbe eine Vielzahl von "Planvorgaben" für eine Vielzahl wildfremder Menschen, wenn es denn befriedigt werden soll. Du selbst hast ja die globale Arbeitsteilung an diesem Beispiel illustriert. Deshalb ist es ein Widersinn, von gemeinschaftlicher Planung bzw. der Verabredung "notwendiger Tätigkeiten" zu reden und gleichzeitig zu erklären, daß die "einzige 'Vorgabe'", die ein Individuum zu erfüllen hätte, "aus seinen eigenen Bedürfnissen resultiert".
(51.1.4.1.1) 14.06.2002, 14:40, Wolf Göhring: Werner argumentiert tiefsinnig, wie es tiefsinniger nicht geht: "Ich weiss ja, daß Du gerne Deine Belesenheit vorfuehrst. Nur haettest Du die Zeit zum Nachschlagen besser mal zum Nachdenken benutzen sollen." Offensichtlich machte es Werner muehe, die von mir gebrachten zitate zu verstehen. Sie waren ein zarter, fuer Werner ein vielleicht viel zu zarter hinweis, dass der "traditionsmarxismus" eine rund 2500 jahre lange ideologische vorlaeufertradition hat, wo man "das Selbstbewusstsein der Produzenten durch die Weisheit einer zentralen Behoerde meinte ersetzen zu muessen und zu koennen", wie Werner bei http://www.opentheory.org/kw48_01-3/text.phtml#26.3.1.1 ganz richtig herausgefunden hatte. (Oder haette ich nach Werners ruege, belesen zu sein, diesen absatz nicht lesen und daraus zitieren sollen?)
(51.1.4.1.2) 14.06.2002, 14:58, Wolf Göhring: Werner meint nun weiter: "Zwischen dem "Erhalten" von "Planvorgaben von anderen" und dem "Anerkennen" ihrer Bedürfnisse besteht ein "meilenweiter Unterschied" nur dann, wenn das Anerkennen der Bedürfnisse anderer ein bloßes Lippenbekenntnis bleibt."
Hier wird Werner richtiger "traditionsmarxist", der feuer mit wasser versoehnen will, naemlich "erhalten von planvorgaben von andern" und "anerkennen der beduerfnisse anderer". Er will richtig traditionsmarxistisch weismachen, dies beides waere das gleiche.
Ist es aber nicht. Einmal sind's, ganz oberflaechlich gesehen, zwei ganz verschiedene wortgruppen. Jeder, der schon mal sein maul zum reden geoeffnet hat, weiss, dass dann fuer gewoehnlich was verschiedenes ausgesagt wird. So auch hier.
Begrifflich ist "vorgabe" verbunden mit dem, was Aristoteles mit dem herr-knecht-verhaeltnis dargestellt hat: Der herr gibt vor, was der knecht zu tun hat, so wie mir Werner vorgibt, "die Zeit zum Nachschlagen besser mal zum Nachdenken (zu) benutzen". Doch in einer freien assoziation, wie diese runde es ist, laeuft das so nicht.
Was "vorgabe" bedeutet, duerfte wohl an dieser aeusserung Taylors (den auch Lenin gerne zitierte) deutlich werden:
"Die zu leistende arbeit eines jeden arbeiters ist von der leitung wenigstens einen tag vorher aufs genaueste ausgedacht und festgelegt. Der arbeiter erhaelt gewoehnlich eine ausfuehrliche schriftliche anleitung, die ihm bis ins detail seine aufgabe, seine werkzeuge und ihre handhabung erklaert ... Dieses pensum bestimmt nicht nur, was, sondern auch, wie es getan werden soll, und setzt die zeit fest, die zur vollbringung der arbeit gestattet ist." (zit. nach Broedner: Fabrik 2000. Alternative entwicklungspfade in diezukunft der fabrik. edition sigma Berlin 1986, s. 41) (Kleiner hinweis an Werner: Nachschlagen ging schneller als tippen!)
In einer solchen klassengesellschaft hat das wort vorgabe seinen begriff gefunden! Es taugt daher nicht im entferntesten, das neue verhaeltnis zwischen den selbstbewussten individuen einer klassenlosen gesellschaft zu beschreiben. Wenn man "erhalten von vorgaben" dennoch fuer das neue verhaeltnis verwendet, dann ist der wunsch nach dem neuen nur ein "lippenbekenntnis", um Werners schmaeh zu verwenden.
(51.1.4.1.3) 14.06.2002, 15:36, Wolf Göhring: Werner meint schliesslich: "Deshalb ist es ein Widersinn, von gemeinschaftlicher Planung bzw. der Verabredung "notwendiger Tätigkeiten" zu reden und gleichzeitig zu erklären, daß die "einzige 'Vorgabe'", die ein Individuum zu erfüllen hätte, "aus seinen eigenen Bedürfnissen resultiert".
Gewiss, wenn man verschiedene begriffe zu einem einheitlichen brei verruehrt oder wenn man schwarz weiss sein laesst, wie es Werner hier tut, dann ist es ein widersinn, sich noch um unterscheidung der begriffe zu bemuehen.
Bloss, mit einem begriff, der kennzeichnend fuer die kapitalistische klassengeselschaft ist, laesst sich beim besten willen das neue nicht beschreiben, es sei denn, man weiss gar nicht, worin sich das neue vom alten unterscheiden soll.
(51.1.5) 30.04.2002, 16:59, Wolf Göhring: Schliesslich noch ein zitat von Leibniz zu deinem "haufen beziehungsloser monaden", die bei Leibniz anders als bei dir in heftiger beziehung stehen:
"Da aber in folge der angefuelltheit der welt alles mit einander verknuepft ist und jeder koerper je nach der entfernung mehr oder weniger auf jeden andern koerper einwirkt und durch rueckwirkung von jenem erregt wird, so erhellt, dass jede monade ein lebender spiegel oder mit einer inneren thaetigkeit begabt ist, die das universum nach ihrem gesichtspunkte darstellt und ebenso geregelt ist wie dieses selbst."
(Leibniz: Die in der vernunft begruendeten principien der natur und der gnade, in: Kleinere philosophische schriften. Hg. u. dt. von Robert Habs. Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig, ca 1890) ("Vernunft" ist hier im wesentlichen mit "gott" gleichzusetzen.)
Hinter "alles mit einander verknuepft ist und jeder koerper ... mehr oder weniger auf jeden andern koerper einwirkt" steckt noch eine dramatische und toedliche kontroverse im 20. jahrhundert. Zunaechst: Newton vertrat kontraer dazu den "absolut leeren raum", der durch die unsichtbare, aber allgegenwaertige hand gottes in einem schoepfungsakt mit den himmelskoerpern befuellt wurde und die nach einem schubs von dieser hand munter drauflos kreisen. Newton vertrat dieses modell, da nur so - laut Voltaire (dt. 1755, neuausgabe 1997, de Gruyter) - die existenz gottes beweisbar waere. Leibniz' modell leiste nach Voltaire dem materialismus vorschub. Kant hat in der naturgeschichte des himmels beide modelle etwas angenaehert. Der physiker Ernst Mach hat - sicher unter dem einfluss der monadologie Leibniz' und fast mit obigen worten - den absoluten raum Newtons ausfuehrlich als unhaltbar kritisiert (Entwicklung der mechanik, 1883). Die kritik hatte folgen:
1. Sie befruchtete Einstein nach dessen eigenem bekenntnis zur entwicklung der allgemeinen relativitaetstheorie (und zuvor auch schon zur speziellen). Toedliches nebenresultat: die bombe.
2. Die kritik irritierte Lenin, der in den russisch-sozialdemokratischen "machisten" die tueckischsten gottesanbeter - "deisten" - witterte, so dass er gegen Mach die polemik "Materialismus und Empiriokritizismus" verfasste und ihn des finstersten idealismus zeihte (siehe auch: http://ais.gmd.de/~goehring/#Mach und Lenin, Raum und Zeit). Toedliches nebenresultat: "Machisten" verschwanden spaeter im gulag.
3. Einsteins relativitaetstheorie wurde im "reich" als juedisch und "undeutsch" verschrien. Toedliches nebenresultat: Beihilfe zum holocaust.
(52) Im Plan werden Zusammenhänge hergestellt: zwischen individuellen Tätigkeiten, Produktionsmitteln, Rohstoffen, Einzelteilen, um Leistungen und Produkte zu erhalten. Beim Entwurf einer Maschine, Anlage oder eines sonstigen Produkts bezieht sich der Plan vor allem auf die Gestaltung anhand von Einzelteilen. Bei der Produktion geht es darum, diese Teile in einzelnen Arbeitsgängen aus einfacheren oder anderen mit geeigneten Mitteln herzustellen und zusammenzufügen, darunter können auch chemische Prozesse sein. Beim Austausch fertiger Produkte werden Käufer und Verkäufer zusammengebracht und das Produkt vom Ort der Herstellung zum Ort seines Verbrauchs geschafft. In allen drei Bereichen werden zweckmäßige Zusammenhänge unter Beteiligung der Individuen hergestellt. Ebenso bestehen zwischen diesen Bereichen Zusammenhänge: Es wird nicht wild drauflos produziert, sondern Produkte und Leistungen werden nach einem Konstruktionsplan, nach einem Entwurf, nach einer Methode realisiert. Und das, was sich auf dem Markt wiederfindet, wurde nicht zufällig am Wegrand gefunden, sondern ist Produkt vorangeganger, in sich geplanter Produktion und Konstruktion.
(52.1) 12.01.2002, 19:22, Werner Imhof: Das also ist das Resultat der ganzen Konstruktion: ein "gemeinschaftlicher Plan", worin sich die Individuen "bewußt gesellschaftlich betätigen", endet - beim "Austausch fertiger Produkte" auf einem "Markt", auf dem "Käufer und Verkäufer zusammengebracht" werden müssen... Daß der Austausch auf "fertige" Produkte beschränkt sein soll, ist natürlich eine eitle Hoffnung. Wo man an fertige Produkte nur gegen Geld kommt, kann es auch "unfertige" Produkte (also Produktionsmittel) nicht umsonst geben. Bleibt mir nur noch ein Marx-Zitat, das Du weiter oben selbst angeführt hast: "Es kann nichts falscher sein, als auf der Grundlage des Tauschwerts, des Geldes, die Kontrolle der vereinigten Individuen über ihre Gesamtproduktion vorauszusetzen."
(53) Der Plan ist, so objektiv er ist, kein einzelnes Objekt, das irgendwo, wenn er fertig ist, auf eine große Tafel gepinnt wird, nach dem sich dann 6 Milliarden oder mehr Menschen richten wollen. Der Plan kann nur aus einer Vielzahl einzelner, aber bewußt lose ineinander verschränkter Teilpläne bestehen, die auch keinesfalls zum gleichen Zeitpunkt den gleichen Reifegrad haben: Der eine ist soweit fertig, daß man danach handeln kann, bei dem andern fängt man mit ersten Überlegungen an. Ein Individuum kann nur das für sich Überschaubare realisieren - woraus Widersprüche zu dem entfernteren entstehen. Diese Widersprüche können und werden bewußt in Kauf genommen werden, sie führen zu einer Weiterentwicklung. Entscheidend ist, daß der verabredete Austausch von Tätigkeiten so viel Sicherheit und Komfort bietet, daß nicht doch Hoffnung besteht, durch den Austausch fertiger Produkte etwas besser wegkommen zu können. Die Teilpläne selbst sind Erzeugnisse, Produkte menschlicher Tätigkeit, aber nicht um diese Produkte auszutauschen. Pläne machen nur Sinn, haben Gebrauchswert nur für diejenigen, die sie gemeinschaftlich entwickelt haben und die auf dieser Grundlage gemeinschaftlich tätig sein wollen.
(54) Zur Illustrierung der Unmöglichkeit eines einzigen, allumfassenden totalen Plans sei eine Anleihe in der Geometrie gemacht: Jeder kennt einen Atlas, der auf vielen Kartenblättern die Erdoberfläche zeigt. Versucht man die Darstellung auf einem einzigen, so geht das nur, indem man Zusammenhängendes auseinanderreißt, ähnlich so wie man eine Apfelsine schält. Trotzdem kann man die kugelförmige Erdoberfläche getreu auf ebenem Papier darstellen. Man muß nur darauf verzichten, es gewaltsam auf einem Blatt zu versuchen; es genügen zwei. Bei komplizierteren Gebilden wie einer Brezel muß man noch ein paar Blatt hinzunehmen. [8]
(55) Der Computer wurde zunächst gezielt für die Konstruktion entwickelt: Konrad Zuse wollte Tragflächenprofile für Kampfflugzeuge berechnen. John von Neumann ging es um die Berechnung der Kettenreaktion für die Atombombe. Mit Beginn des Korea- Krieges ließen US-amerikanische Behörden durchrechnen, ob die Wirtschaft für eine vollständige oder nur für eine Teilmobilmachung gerüstet wäre. Das Rechenergebnis lautete auf Teilmobilmachung. Kurze Zeit später entdeckte auch IBM den Computer als nützliches Produkt und vermarktete ihn für Buchhaltungs- und Planungsaufgaben. Neben zivilen Anwendungen standen immer auch die militärischen, zwei Beispiele seien genannt: Im Vietnamkrieg versuchten die USA ihre Bomberflotten vom Terminal aus zu dirigieren und die Gefechtsfeldlage auf Bildschirmen und Projektionsleinwänden (fast) online darzustellen. Die BRD lieferte seinerzeit Computer an die Kriegsmarine der Republik Südafrika, um den gesamten Schiffsverkehr um das südliche Afrika zu kontrollieren und in ein System der NATO einzuspeisen - trotz UN-Embargo gegenüber Südafrika. In beiden Fällen ging es technisch-formal darum, Zusammenhänge durch Vernetzung sichtbar und kontrollierbar zu machen. Auf der zivilen Seite entstanden seinerzeit mit dem Bankennetz SWIFT und mit den Buchungssystemen der Luftlinien die ersten weltumspannenden Netze und Informationssysteme.
(56) Es ist kein Zufall, daß der Computer und mit ihm die Informations- und Kommunikationstechnik in den genannten Bereichen so gut einsetzbar sind. Es geht stets darum, Zusammenhänge zwischen abgegrenzten Dingen und Personen darzustellen; in vielen Fällen auch die Veränderungen der Dinge und Zusammenhänge. Der Computer wurde konstruiert, um solche Verhältnisse darstellen und kalkulieren zu können. Dabei ging es nicht darum, ein einziges Mal ein bestimmtes Verhältnis darzustellen, sondern Verhältnisse überhaupt, um bei Bedarf das jeweilige im Computer durchspielen zu können. Mit Bit und Algorithmus, mit der großen Zahl an Bits und mit der hohen Rechengeschwindigkeit, mit der hohen Stückzahl und mit der Vielzahl der Verbindungen ist der Computer - oder allgemeiner: die Informations- und Kommunikationstechnik - die Technik geworden, um alle die skizzierten Planungsaufgaben zu unterstützen. In Bit und Algorithmus ist die Dialektik von Abgrenzung und Zusammenhang rein dargestellt, eine Dialektik, die sich in allen genannten Planungsaufgaben wiederfindet. In der Verbindung mit den Individuen, die diese Technik entwickeln, produzieren, installieren und anwenden, haben wir es mit einer neuen Produktivkraft zu tun: Der Produktivkraft der Planung.
(56.1) in Bits und Algorithmus..., 30.03.2002, 23:53, Konrad Stoeber: In Bit und Algorithmus...Dialektik finden zu wollen, ist ja nun eine eigentümliche Vorstellung von Dialektik. Im Gegenteil, Bit und Algorithmus repräsentieren die analytische Denkweise par excellence. Diese repräsentiert in der Tat ein Allgemeines, das sich nicht nur „in allen Planungsaufgaben wiederfindet“, nicht nur in einer „technische Logik“ sondern in nahezu jeder „Büroroutine“ im weitesten Sinne. Mit IT hat die Industralisierung der Kopfarbeit ohne Zweifel Riesenfortschritte getan, ihre Mechanisierung hat aber sicher schon mit dem Abakus begonnen. Die für mich (bis heute zumindest) wesentliche Grenze von IT besteht darin, dass diese mit Zeichen operiert, und nicht mit Bedeutungen, die syntaktischen Regeln der menschlichen Denke, Mathematik und Logik sind dort implantiert, leider kommt meines Wissens keine Semantik im Klick-Klack der Bits vor. Wo „innerhalb“ von IT Bedeutungen vorkommen, gehören diese zu den menschlichen Setzungen, also nicht zur Maschine.
(56.1.1) Re: in Bits und Algorithmus..., 02.04.2002, 15:04, Wolf Göhring: "In Bit und Algorithmus...Dialektik finden zu wollen, ist ja nun eine eigentümliche Vorstellung von Dialektik", schreibst du. Das war aber nicht meins, sondern: "In Bit und Algorithmus ist die Dialektik von Abgrenzung und Zusammenhang rein dargestellt". Ich gehe von der wirklichen, pur materialistischen dialektik von abgrenzung und zusammenhang aus, die in der analytischen denke gerne ausgespart bleibt. 'ne kartoffel ist ein einzelnes ding, schnell aus der erde geholt, geschaelt und gekocht, aber ohne den zusammenhang mit der kartoffelpflanze, dem acker, der luft, den bodenmikroben, vorangegangenen kartoffeln, der vorangegangenen evolution nicht nur undenkbar, sondern unmoeglich. Wobei dieser zusammenhang, in dem das abgegrenzte dingens "kartoffel" steht, ganz und gar unvollstaendig beschrieben wurde und selbst zu einem neuen abgegrenzten ding wird, das wieder in einem zusammenhang steht. Dialektik or not?
(56.1.1.1) Re: in Bits und Algorithmus..., 06.04.2002, 22:50, Konrad Stoeber: Also in Kurzfassung: IT repräsentiert analytisches Denken. Einverstanden ? Wenn einverstanden – wat denn nu ? In Bit und Algorithmus sehe ich eben keine Dialektik, auch nicht die von Abgrenzung und Zusammenhang. Zur Dialektik: eher not. Der angedeutete (unendliche) Zusammenhang einer einzelnen Kartoffel mit dem Universum ist eher ein Allgemeinplatz – oder eben ein unbegriffener Zusammenhang. Um beim Beispiel zu bleiben: Es braucht (auch) Dialektik, um die Selbstentwicklung der Gattung Kartoffel zu begreifen... ich verstehe Dialektik als Denkweise, die natürlich nicht jenseits oder gegen das empirische Material Mittel an die Hand gibt, Selbstentwicklung von Systemen zu erkennen. Naturwissenschaftliche Ansätze dazu etwa unter dem Thema Selbstorganisation. So wie die analytische Denkweise Mittel an die Hand gibt, Zusammenhänge unter vorausgesetzten und gesetzten Bedingungen zu erfassen. Sinngemäß bei Kant: Wir können nur die Dinge recht erkennen, die wir auch machen können, wenn uns das Material an die Hand gegeben ist. Die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, tierischer Sozietäten, der Natur resp. ihrer ökologischen Zusammenhänge usw. sind sich selbst entwickelnde Ganzheiten, die durch das je spezifischen Verhalten der sie ausmachenden Individuen etabliert wird, nicht durch menschliche Setzungen oder konstruierte Voraussetzungen, wie bei „künstlichen Ganzheiten“.
(56.1.2) Re: in Bits und Algorithmus..., 02.04.2002, 15:33, Wolf Göhring: Die wesentliche schranke jeder beschreibung ist, dass sie nur eine anhaeufung von krikelkrakel ist. Wer nicht lesen kann, fuer den ist "Kapital I" auch nur ein haufen von kringeln, so wie es lange die hieroglyphen waren und manche alten schriften und sprachen immer noch sind. Das entscheidende ist, dass man aufgrund von verabredungen, von praxis etwas damit anzufangen weiss, das heisst dann, dass man versteht, was ein anderer damit meinte, was er damit sagen wollte. Gleiches fuer sprechen und sprache, wofuer kinder mehrere jahre praxis benoetigen, um es zu beherrschen. Beim erlernen einer fremdsprache braucht man neue praxis. Erst das handeln aufeinander bezogener individuen vermittelt oder besser: erzeugt die bedeutung des gesagten, notierten, gezeichneten. Oder was haette Goethe mit dem verkehrsschild fuer ueberholverbot anzufangen gewusst? Ohne die praxis des autoverkehrs ist ein solches "symbol" bedeutungslos, konnte es noch nicht einmal erfunden werden (es sei denn, die postkutschenzeit hatte auch schon verkehrsprobleme).
"Im klick-klack der bits" kann keine bedeutung vorkommen, sowenig wie in den backsteinen die bedeutung aufscheint, die ein palast haben mag, in den sie eingefuegt sind. Die bedeutung dieser steine besteht im verhalten der individuen zueinander, wenn sie den palast errichten, wenn sie des palastes angesichtig sind, wenn sie dessen in irgend einer weise bewusst werden, wenn dieser palast in verbindung mit ihrem leben steht und sie demgemaess handeln.
Im klickklack der bits ist sowenig bedeutung wie im hin-und-her der molekuele des windes, der ein windrad treibt - was selten bedauert wird.
Einige weitere anmerkungen zur beziehung von sprache und produktiver praxis in http://ais.gmd.de/~goehring/urwald-mb.pdf.
(56.1.2.1) Re: in Bits und Algorithmus..., 06.04.2002, 22:51, Konrad Stoeber: Für den, der nicht lesen kann ist’s auch keine Beschreibung, sondern zunächst Gegenstand. Auch für den des Lesens unkundigen Betrachter hat das krikelkrakel eine Bedeutung – dann aber ganz sicher eine andere, als der Verfasser intendiert hat. Was der Gegenstand für den Betrachter ist, würde sagen seine Bedeutung, hängt sowohl von der Bestimmtheit des Betrachters (oder allgemeiner Subjekts), seinen Mitteln und von der Bestimmtheit des Gegenstandes ab.
(57) Diese Dialektik verweist auch auf Grenzen. Die Darstellung eines Zusammenhangs ist ein neues Ding. Offenkundig ist dies in einer technischen Zeichnung, bei einem Atlas von Karten der Erdoberfläche, an einem Holzmodell eines geplanten Stadtviertels. Diese Dinghaftigkeit gilt auch für Modelle im Computer. Aber jedes Ding steht im Zusammenhang mit dem ROW, "rest of the world". Modell und Plan können daher aus logischen Gründen nie vollständig sein! In der Praxis wird der Zusammenhang des Plans mit der Wirklichkeit, der einen Zusammenhang einer gedachten Wirklichkeit zeigt, durch die tätigen Individuen hergestellt.
(57.1) Wunderkräfte von IT, 30.03.2002, 23:55, Konrad Stoeber: Der fromme Glauben an die Wunderkräfte von IT im Zusammenhang mit einer (zur kapitalistischen) alternativen Gesellschaft (so bei Stefan Meretz) ist nicht nachvollziehbar, weil das Problem nach wie vor darin besteht, dass wieder nur partikuläre Zwecke gesetzt werden. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die gesetzten Zwecke auf die Herstellung von Gebrauchswerten gehen. Der Clou besteht ja unter anderem gerade darin, dass innerhalb der kapitalistischen globalen Gesellschaft sich der gesamtgesellschaftliche (für alle 6 Milliarden) Zusammenhang, wenn auch hinter dem Rücken der Akteure laufend reproduziert. Das ist ein „lebendiges Ganzes“, das da auf eine (zunehmend) menschliche Weise leben soll, und das geht natürlich nur, wenn die Menschen, die mit ihren Aktionen dieses „lebendige Ganze“ ausmachen, menschlich leben und handeln. Um auf den „frommen Glauben“ zurückzukommen, was also die „Freie Software“ anbelangt, sehe ich dass nicht so spektakulär, da die Resultate der Wissenschaft mit „offenen Quellcodes“ in den häuslichen Bücherschränken, Bibliotheken, einschließlich der Patentämter zu finden sind. Worauf ich hinauswill, ist in unsere Diskussion das Thema „Wissenschaft als allgemeine Arbeit“ einzubringen, da ich denke, dass, wenn denn schon irgendwie eine neue Gesellschaft heraufscheint, diese zumindest mit einem neuen Charakter der Arbeit zusammenhängt. Dazu wäre denn auch einiges an politökonomischer Terminologie zu klären. Wenn’s da Interesse gibt, würde ich mal was rauskramen...
(57.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 02.04.2002, 13:47, Wolf Göhring: Woraus entnimmst du in meinem text einen "frommen glauben an die wunderkraefte der IT"? Ein solcher glaube waere ungemein doof. In dem satz "In der Verbindung mit den Individuen, die diese Technik entwickeln, produzieren, installieren und anwenden, haben wir es mit einer neuen Produktivkraft zu tun", hatte ich zwar knapp, aber deutlich, wie ich meinte, geschrieben, dass es immer noch die leute sind, die etwas tun.
(57.1.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 06.04.2002, 22:54, Konrad Stoeber: Was habe ich denn da weiter oben (z.B. 46.1.4 ff) bloß gelesen: Da wird per IT "die praktische, sachliche und technische, Herrschaft der gesellschaftlichen Individuen über die Produktionsmittel" entwickelt, da wird die eigene Rolle der Kapitalisten unterminiert. Da ist endlich dass Mittel, dass es uns gestattet, uns zu vernetzen, Verabredungen zu treffen...Natürlich handelt es sich um eine neue Produktivkraft, die mal wieder den Boden der kapitalistischen Gesellschaft untergräbt... Schon zu Marx’ Lebzeiten hat die Entwicklung der Produktivkräfte den Boden dieser Gesellschaft untergraben und gräbt und gräbt und hört nicht auf, zu untergraben. Der Haken besteht meines Erachtens darin, dass uns IT es gestattet, Verabredungen besser, schneller, detaillierter, komplexer zu treffen. Wo bleibt aber bei der von Dir beschriebenen Verabredung der Umschlag in eine andere Produktionsweise ? Die schlichte Frage ist, ob durch die (IT-unterstützte) Verabredung von Produzenten tatsächlich und in jedem Falle auch nur punktuell (Wie die Warenproduktion in den Poren der alten Gesellschaften) gewissermaßen im Schoße der kapitalistischen Gesellschaft neue Verhältnisse produziert werden können, die nicht auf der kapitalistischen Warenproduktion beruhen, ob freie Software die freie Gesellschaft einläutet. Die Frage stellst Du Dir ja weiter unten selbst noch mal. (57.1.4) Komme auch noch mal drauf zurück.
(57.1.2) Re: Wunderkräfte von IT, 02.04.2002, 13:48, Wolf Göhring: "... innerhalb der kapitalistischen globalen Gesellschaft sich der gesamtgesellschaftliche (für alle 6 Milliarden) Zusammenhang, wenn auch hinter dem Rücken der Akteure laufend reproduziert" schreibst du. Aber wie spielt sich das denn ab? Doch weder durch mainzelmaennchen noch durch ausserirdische, sondern durch uns selbst. Du steigst mit einer abstraktion ein, die bei Marx erst nach einer laengeren herleitung als zugespitztes resumee auftaucht, um die eine seite eines widerspruchs zu beschreiben. Wenn man das im kopf als etwas absolutes nimmt, bleibt man mit den fuessen in den fallstricken der realen dialetik haengen. Plautz.
Auf die materialistische dialektik von zusammenhang und entfremdung (in der warenproduzierenden gesellschaft) hat Marx hingewiesen, siehe das zitat in absatz 33. Dort hebt er ebenso wie im manifest die rolle der kommunikation hervor: "Die bourgeoisie reisst ... durch die unendlich erleichterte kommunikation alle ... in die zivilisation." (Manifest, MEW 4, s. 466)
(57.1.2.1) Re: Wunderkräfte von IT, 06.04.2002, 23:07, Konrad Stoeber: Also da hast Du unbedingt Recht. Weder die Mainzelmännchen noch die Außerirdischen, noch der liebe Herrgott. Dieser gesellschaftliche Zusammenhang wurde und wird produziert. Dieser Zusammenhang hat einmal einen stofflichen Inhalt, (kurz: Produktion, Bewegung zum Konsumenten, Konsumtion) und eine gesellschaftliche Form: Produktionsverhältnisse. Wesentlich: auch die Produktionsverhältnisse werden produziert.
(57.1.3) Re: Wunderkräfte von IT, 02.04.2002, 14:11, Wolf Göhring: Dass sich der gesellschaftliche zusammenhang als etwas darstellt, das ausserhalb der individuen besteht, obwohl es ihre taetigkeit ist, durch den sie diesen herstellen, hat mit dem ausgangspunkt der warenproduktion zu tun:
Die natur, aus der die menschen ihre lebensmittel (im weiten sinn) hervorbrachten, ist aeusserst verschieden gestaltet. Salz als beispiel gibt's nicht ueberall dort, wo menschen es benoetigen. Und schon entwickeln sie eine arbeitsteilung, einen transport und einen handel mit salz. War mal'n wichtiges wirtschaftsgut. Entsprechend mit vielerlei anderem. Die bonner ausstellung zu Troja (jetzt zu ende), zu 7000 jahren persischer kunst und zu den hethitern vermittelt einiges davon.
Kaffe waechst nicht in deutschland. Wenn man ihn schlabbern will, muss man zusehen, wie man dran kommt. Aber das ist ziemlich bequem heutzutage in deutschland. Man muss sich den teufel drum kuemmern, ob die baeumchen schoen wachsen und frucht tragen. Mit ein paar neugroschen hat man sein "schaelchen heesen". Der kaffeeanbauende campesino hat's nicht so bequem. Trotzdem besteht ein stofflicher und persoenlicher zusammenhang zwischen dem kaffeetrinker und dem kaffeebauern. Dieser zusammenhang wird im kapitalverhaeltnis nur verkuerzt wahrgenommen, obwohl er durchgaengig organisiert sein muss. Sonst kommt nicht die bohne in die tasse.
(57.1.4) Re: Wunderkräfte von IT, 02.04.2002, 18:54, Wolf Göhring: Als zusaetzliches mittel (neben sprechen und schreiben), um den zusammenhang zu organisieren, wurde die informations- und kommunikationstechnik entwickelt. Sie ist das produktionsmittel zur produktion des zusammenhangs. (Der zusammenhang ist ein produkt menschlicher taetigkeit, also sucht man nach mitteln, ihn herzustellen, zu produzieren.)
Die oertlichen und zeitlichen unterschiede in unserer welt, die unseren vorfahren ueberhaupt erst den produktentausch aufnoetigten, werden in der IuK-technik in einer weise abgebildet (werden), dass sie einen neuen umgang mit diesen unterschieden ermoeglichen. Wir koennen unsere taetigkeit mit blick auf und im verkehr mit dieser vielfalt bestimmen. Ohne IuK-technik kann der neue umgang nicht gelingen.
Oder man macht traeumerischen sozialismus, wie es beispielsweise Nyerere in Tansania mit bezug auf die moeglicherweise noch frueheisenzeitlichen stammesgemeinschaften ("ujamaa") vorhatte. (Ujamaa : Essays on Socialism. Oxford University Press 1968). Fuer Nyerere war sozialismus eine "reine geisteshaltung" (attitude of mind). Nyerere traeumte in seinen schriften davon, den offensichtlichen produktiven zusammenhang innerhalb eines stammes, der innerhalb dieser gemeinschaft (ujamaa) keine warenprodutkion vermittelte, mittels blosser geisteshaltung ueber den einzelnen staat und letztlich ueber die gesamte menschheit verbreiten zu koennen. Dass er sich ueber die materiellen voraussetzungen einer solchen entwicklung keine gedanken machte, ist ihm aufgrund seines herkommens aus dieser stammeswelt nicht vorzuwerfen. (siehe zum ganz aehnlichen problem die briefentwuerfe von Marx an Sassulewitch (auf die schnelle fehlt mir die genaue schreibe))
Mit der IuK-technik schaffen wir das mittel, um diesen zusammenhang bis in den letzten winkel zeitnah offensichtlich werden zu lassen. Sowohl raeumlich als auch zeitlich werden die kommunikationsmoeglichkeiten quantitativ erheblich geaendert.
Die grosse frage ist: Erwaechst daraus eine neue qualitaet? Das heisst: wird dadurch die produktion so umgestaltet, dass der austausch von produkten wie in einer fruehen stammesgesellschaft entfaellt - aber auf dem neuen weltumspannenden niveau?
(57.1.4.1) Re: Wunderkräfte von IT, 03.04.2002, 00:23, Wolf Göhring: Zwischen nulluhrnull und mitternacht hat mir der grosse bruder die erlaubnis zur korrektur meines eigenen textes entzogen, obwohl er mir an anderer stelle erzaehlt, er wuerde das alles erst um 6 uhr morgens losschicken.
Das zeigt, dass es mit einer aussage, die ich noch etwas praezisieren wollte, noch nicht soweit her ist. Statt "Sowohl raeumlich als auch zeitlich werden die kommunikationsmoeglichkeiten quantitativ erheblich geaendert." moege man lesen:
Mit schrift (brief), fax und telefon kann man grundsaetzlich mit jedem menschen kommunizieren. Schrift und haeufig auch fax haben die noetige genauigkeit, um technische oder strikte organisatorische sachverhalte zu vermitteln. Schrift ermangelt jedoch der zeitnaehe. Telefon ist zeitnah, aber an synchronie der beiden partner gebunden, was anrufbeantworter nur bedingt wettmachen koennen. Informations- und kommunikationstechnik hilft, solche maengel zu ueberbruecken und information wie in bibliotheken fuer jeden verfuegbar zu machen. In diesem sinne werden die kommunikations%moeglichkeiten erheblich gesteigert.
Das heisst nun nicht, dass man jetzt mehr kommuniziert, denn dem steht der eigene beschraenkte kopf entgegen. Man wird einiges an lokaler kommunikation durch raeumlich weitreichende kommunikation ersetzen.
(57.1.4.2) Re: Wunderkräfte von IT, 03.04.2002, 19:19, Birgit Niemann: "Als zusaetzliches mittel (neben sprechen und schreiben), um den zusammenhang zu organisieren, wurde die informations- und kommunikationstechnik entwickelt. Sie ist das produktionsmittel zur produktion des zusammenhangs. (Der zusammenhang ist ein produkt menschlicher taetigkeit, also sucht man nach mitteln, ihn herzustellen, zu produzieren.)" Genau darin liegt für mich eine etwas unheimliche Verselbsständigungspotenz. In der bisherigen menschlichen Geschichte musste der tatsächliche gesellschaftliche Zusammenhang immer im Geiste hergestellt werden. Das ganze Unterfangen nannte sich in erster Lesung Religion und später dann Philosophie. Als praktisches Anwendungswerk ist "nebenbei" das geschriebene Recht dabei herausgekommen. Solange der gesellschaftliche Zusammenhang über "Sprechen" und "Schreiben" virtualisiert (in diesem Falle vergeistigt) werden musste, war dessen vorherige Synthese im Geiste immer unhintergehbare Vorraussetzung. Ausserdem wirkte dieser Prozess wieder "Intelligenzsteigernd" auf die geistigen Synthesefähigkeiten zurück. Ob das für den mittels IuK-Techniken hergestellten Zusammenhang auch so selbstverständlich gilt, bin ich mir nicht so sicher. Denn wenn der gesellschaftliche Zusammenhang zukünftig vom Computer hergestellt (virtualisiert) wird und der menschliche Geist sich vielleicht nur noch damit abplagen muss, abgrenzbare und überschaubaure virtuelle Algorithmen in computerverständliche "Softwarepartikel" zu übertragen, dann beschleicht mich folgender gruseliger Gedanke: Sowie die Manufaktur die Negation des Handwerkes war, könnte sich die Informatik als Negation der Philosophie herausstellen. Wenn die dadurch überflüssig wird ist sie wie alles Überflüssige in Gefahr zu verschwinden. Ein Blick in die realen "geistigen Höhen" der Zeit, sei es in Politik oder Kultur, trägt aus meiner Sicht nicht gerade zur Beruhigung bei. Und die instrumentellen Wissenschaften sorgen in rasantem Tempo dafür, dass die ehemaligen Domänen des "Geistes" von den Menschen auf die Prozesse übergehn. Daher fällt es mir nicht ganz leicht, die rasante Bedeutungszunahme der IT-Technik so ungehemmt einseitig euphorisch zu interpretieren, wie es mir hier entgegen kommt. Erst recht nicht, wenn ich mir die kapitalgetriebene und gegenwärtig sich exponentiell beschleunigende Verschmelzung zwischen Computersoftware und "genetischer Software", deren konstruktive Anwendungen unter kapitalen Sachzwängen die Zukunftsaussichten auch nicht gerade erhellen, verdeutliche. Wir haben hier zwar Fortschritt an sich, ob dabei aber Emanzipation für menschliche Individuen in verallgemeinerter Form herauskommen wird, statt verschärfter Zunahme von Funktionalisierung, ist noch nicht so sicher.
(57.1.4.2.1) Re: Wunderkräfte von IT, 04.04.2002, 17:30, Wolf Göhring: "In der bisherigen menschlichen Geschichte musste der tatsächliche gesellschaftliche Zusammenhang immer im Geiste hergestellt werden," schreibst du.
JEIN. Der zusammenhaeng besteht durch konkrete taetigkeiten, die ineinander greifen: Ganz offensichtlich, wenn sich die geruestbauer ein brett nach oben durchreichen. Dazu gehoert aber, dass jeder ein seinem kopf ein modell dieser taetigkeit besitzt und dass sie sich verstaendigt haben, danach zu verfahren. Das modell entsteht nicht ohne einen praktisch-materiellen hintergrund. (s. z.b. Peter Broedner: fabrik 2000. Und ders.: Der ueberlistete odyseus. Beide bei sigma bohn, berlin) Die verstaendigung geht nicht ohne konkrete materielle mittel: sprechen, hoeren, uebertragen des gesprochenen durch die luft, usw. Die res cogitans ist ohne res extensa gar nix, um an Descartes anzuknuepfen. Denkend bemerke ich mein sein, aber ich denke, weil ich bin. (Denke ich mir zumindest.)
Wo sollte hierin nun die "unheimliche Verselbsständigungspotenz" liegen?
Die IuK-technik ist 'ne maschine wie'n automotor, verwickelter zwar, aber zu keiner selbstaendigkeit befaehigt. Es sei denn, man betrachtet das schleudern eines autos auf vereister fahrbahn als ein sich-selbstaendig-machen.
(57.1.4.2.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 07.04.2002, 00:43, Birgit Niemann: "Es sei denn, man betrachtet das schleudern eines autos auf vereister fahrbahn als ein sich-selbstaendig-machen." Nein, natürlich nicht, zumindestens nicht in dem Sinne, den ich bei meiner Bemerkung im Kopf hatte. Was ich meine, ist eher eine Art von Verselbstständigung, wie sie auch dem Kapital dem Menschen gegenüber eigen ist. Denn der Selbstzweck des Kapitals ist die eigene erweiterte Reproduktion, nicht die des Menschen, obwohl die Vertwertung des Wertes wiederum von Menschen praktisch realisiert wird. Selbstverständlich wird der Zusammenhang zwischen den Menschen durch konkrete Tätigkeiten hergestellt. Die Frage ist nur, stellt sich dieser Zusammenhang blind her oder folgt er irgend einem bewusstem "Sein" bzw. einem "in einer bestimmten Art von Beziehungen bleiben wollen". Die Orientierung an der tatsächlichen gesellschaftlichen Praxis ist übrigens dass, was an Deinen Beiträgen und an denen von Werner auch meiner eigenen Denkweise sehr nahe ist (auch wenn ich weder Ökonom noch Informatiker bin, sondern Biologin). Daher hast Du recht damit, dass es unkorrekt ist, zu sagen, dass der Zusammenhang im Geiste hergestellt wird. Aber der durch die Beziehungspraxis real hergestellte Zusammenhang wird im Geiste virtualisiert und zwar so vollständig, wie es den handelnden Individuen auf Grund ihrer mehr oder weniger entwickelten geistigen Fähigkeiten möglich ist. Der Zusammenhang ist also in der Lebenswelt der Menschen doppelt real. Einmal "wirklich" und einmal virtuell (und zwar die meiste Zeit in der menschlichen Geschichte ideell). Zu dem beliebten Descartes'schen Satz denke ich mir deshalb eine andere Hälfte hinzu. Das "Ich denke, also bin ich" würde ich mit "ergo kann ich bedenken, was zu tun ist, damit ich bleibe" ergänzen. Daraus folgt, dass die Menschen nicht allein ihr "Sein" denkend erfassen, sondern vor allem ihr "Bleiben" denkend organisieren. Das genau unterscheidet sie aus meiner Sicht von den meisten (nicht von allen) anderen Lebewesen, die ja ausnahmeslos alle ihr "Bleiben" organisieren, aber eben nicht alle denkend, zumindestens nicht in dem entwickelten Ausmass wie Menschen. Denn lebendige Wesen (zu denen ja Menschen zweifellos zählen) organisieren grundsätzlich immer ihr "Bleiben" und nicht nur ihr "Sein". Wenn sie in's Sein übergehen, dann sind sie in der Regel tot. Doch zurück zur Verselbsständigungspotenz. Alle gesellschaftsorganisierenden "Mittlersysteme" verselbständigen sich gegenüber den Menschen und treten ihnen als etwas Drittes (z.B. Moral, Ethik, Recht, Religion, Ideologie und erst recht Kapital) gegenüber. Jeder Einzelne muss einen Prozess durchmachen, indem dieses Dritte mehr oder weniger vollständig von außen in ihn implementiert wird. Zum großen Teil sehen wir diesen Prozess positiv als Sozialisation. Das hängt aber davon ab, ob sich die individuellen Interessen in diesem sozialen Rahmen realisieren lassen oder nicht. Ist das nicht der Fall, dann schlägt Sozialisation in Funktionalisierung um (und es entsteht die Potenz zu Rebellion und mehr). Genau an diesem Punkt wird aber die Verselbsständigung des vermittelten gesellschaftlichen Zusammenhanges gegenüber dem Individuum überhaupt erst sichtbar. Betrachten wir nun die Sprache und die Schrift als Mittel zur Verselbsständigung des ideell (virtuell) hergestellten Zusammenhangs dann stellen wir folgendes fest: Die Sprache hat dazu geführt, das neuronal erworbenes Wissen wesentlich besser gesellschaftlich vermittelbar wurde. Damit dürfte der "Wert" von neuronalem Wissen in der Gesellschaft erheblich angestiegen sein. Gleichzeitig war die Sprache ein Instrument, um die Möglichkeiten des Erwerbs von gesellschaftsrelevantem neuronalen Wissen exponentiell zu steigern. Ganz neue Denk- und Kommunikationsmöglichkeiten eröffneten sich. Für mich besteht kein Zweifel daran, dass es der gesellschaftliche "Wert" (nicht im kapitalökonomischen Sinne, deshalb die Anführungszeichen) des neuronalen Wissen war, der zur absoluten Verlängerung des menschlichen Lebens und zur kulturellen Altenverehrung (wo immer dies nahrungsökonomisch möglich war) wesentlich beigetragen hat. Die Schrift wiederum erlaubte eine von der Existenz des individuellen Gehirns separate (verselbsständigte) Akkumulation von Wissen, die letztendlich zur Entstehung von Bibliotheken, Schulen, Akademien und Universitäten führte. Sprache und Schrift haben aber eines gemeinsam. Sie können nur über handelnde Menschen, die den Sinn und Inhalt des Geprochenen bzw. Geschriebenen in seiner Komplexität begriffen haben, in die Wirklichkeit eingreifen. Nur die Idee, die wirklichen Menschen ergreift, hatte überhaupt die Chance, zur materiellen Gewalt zu werden. Mit dem Computer und den in Software realisierten Programmen, steht dem Menschen zum ersten mal in seiner Geschichte ein Synthesemittel zur Verfügung, das zwar in seinen partikularen Bestandteilen von Menschen hergestellt wird, das aber nicht mehr ein Verständnis des Gesamtzusammenhanges erfordert. Computerprogramme organisieren reale Prozesse und Beziehungen ohne die weitere Hilfe von Menschen (wenn sie einmal programmiert sind). Das kann für meine Begriffe nicht ohne Auswirkungen auf Denkfähigkeiten bei nachfolgenden Menschen bleiben und ich frage mich, ob komplexes Denken dadurch eher erweitert oder eher überflüssig wird. Wie diese Auswirkungen praktisch aussehen, lässt sich beobachten. Ganz privat kann auch ich dass auch an der Entwicklung meines 14 jährigen Sohnes verfolgen. Und ich erlebe täglich die Ohnmacht, nur wenig dagegen ausrichten zu können, wie vorgefertigte Computeralgorithmen das "Gehirn von Kindern fressen" (bitte nicht allzu wörtlich, sondern sinnbildhaft nehmen). Das dieses mein Problem kein Einzelfall ist, zeigen mir die Erfahrungen von Eltern in meinem Umfeld, die Erfahrungen in Elternvertretungen, die Ergebnisse der PISA-Studie und das Umsichgreifen von postmoderner Beliebigkeit bis hoch auf Universitätsebenen. Vielleicht ist ja der Terminus "Verselbständigung" falsch in diesem Zusammenhang. Mir fällt aber kein zutreffenderer ein.
(57.1.4.2.1.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 17.04.2002, 17:56, Wolf Göhring: Stark dein satz: "ergo kann ich bedenken, was zu tun ist, damit ich bleibe".
Ebenso stark: "Daraus folgt, dass die Menschen nicht allein ihr "Sein" denkend erfassen, sondern vor allem ihr "Bleiben" denkend organisieren." Womit du mit einem satz Plato zu den andern in seiner hoehle gesperrt hast!
(57.1.4.2.1.1.2) Re: Wunderkräfte von IT, 17.04.2002, 18:46, Wolf Göhring: Du schreibst: "Computerprogramme organisieren reale Prozesse und Beziehungen ohne die weitere Hilfe von Menschen (wenn sie einmal programmiert sind)."
Das einzige, was programme zunaechst einmal realisieren, wenn sie laufen, ist, dass sie elektrische energie in waerme verwandeln - wie 'ne gluehbirne, und nur so lange, als der strom fliesst. Sie koennen nur in qualitativ sich nicht aendernden umgebungen vorgefertigte ablaeufe abspulen. Selbst in satelliten koennen programme nicht mehr. Bestenfalls gelingt es, von der erde aus einen "patch", ein zipfelchen korrekturprogramm hochzublasen, das dann von einer entsprechend vorbereiteten software uebernommen wird. Man kann aber solcherart nicht jeden fehler "flicken" oder die kiste gaenzlich neu programmieren, wie einige verlorene satelliten praktisch zeigen.
Auch theoretisch hat man auf allerlei schranken verweisen koennen. Einige stichworte dazu aus der theoretischen informatik: berechenbarkeit, das halteproblem, notwendigkeit zur kompletten reorganisation einer laufend vergroesserten maschine, NP-vollstaendigkeit, glitsch, synchronisierung, konflikt, konfusion ...
Es gibt zwar von John von Neumann einen aufsatz (ca 1950), wo er formal nachweist, dass sich eine turing-maschine (formales grundmodell fuer computer) beliebig oft selbst reproduzieren koenne. Wieso der fruehere physiker v. Neumann in diesem artikel die entscheidende physische voraussetzung, naemlich die res extensa fuer das gemuelle, in dem sich turing-maschinen in beliebig wachsender zahl tummeln und zurechtfinden muessen, voellig ausser acht liess, ist mir nicht gelaeufig. Sein beweis turnt im luftleeren raum der res cogitans, losgeloest von der wirklichen bewegung der materie, wozu auch banaler verschleiss, korrosion, alterung von materialien und und vieles weitere gehoeren. (Bei der endlagerung weis man, dass manches nicht in alle ewigkeit unveraendert weitergehen kann.)
General Motors machten vor einem dutzend jahren fast pleite, weil sie darauf setzten, die menschenleere, computergesteuerte fabrik zu bauen: Rien ne va plus war das ergebnis. VW hatte seinerzeit mit der "halle 34" ein aehnliches projekt und nach kostentraechtigem misserfolg solchen abenteuern abgeschworen. (Allgemein zu dieser problematik: Peter Broedner: Fabrik 2000, und ders.: Der ueberlistete odysseus, beides bei sigma bohn, berlin)
Es gilt auch hier: Ohne menschen, die etwas mit blick auf ihr bleiben in den computer hinein organisieren, bringt diese maschine nichts. Und was sie bringt, konfrontiert immer wieder menschen mit diesen ergebnissen, die sie wegwerfen, wenn das ihren beduerfnissen ueber die organisierung ihres bleibens zuwider ist.
Diejenigen, die die maschine bauen und die software reinstopfen, sind heute warenproduzenten. Sie haben mit denen, die das verwenden, ausser ueber den entfremdenden, geldvermittelten austausch nichts miteinander zu tun. Ihre persoenlichen verhaeltnisse erscheinen daher als das, was sie sind: Als sachliche. (Marx, z. b. kapital I, s. 86)
Somit erscheinen die computer als "mit eigenem leben begabte, untereinander und mit den menschen in verhaeltnis stehende selbstaendige gestalten. ... Dies nenne ich den fetischismus, der den arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als waren produziert werden, und der daher von der warenproduktion unzerrtrennlich ist." (ebd.)
(57.1.4.2.2) Re: Wunderkräfte von IT, 04.04.2002, 18:08, Wolf Göhring: Du schreibst weiter: "Das ganze Unterfangen nannte sich in erster Lesung Religion und später dann Philosophie." Der gesellschaftliche zusammenhang reicht soweit, wie der wirtschaftliche zusammenhang reicht, der zugleich auch immer ein zusammenhang von personen ist. Fuer jenen zusammenhang zwischen afghanen und persern vor sechstausend jahren (derzeitige bonner perser-ausstellung), der z.b. darin bestand, dass sich manche perserinnen mit zu pulver gestossenem lapizlazuli, der in afghanistan geschuerft wurde, blauen lidschatten herbeischminkten, brauchte man keine religion, sondern einige leute, die wussten wie, und einige, die es auch taten (aus welchen gruenden auch immer). Engels hat in "Vom ursprung der familie, des privateigentums und des staats" einiges zur rolle der religion, gerade auch in fruehen kulturen geschrieben. Das gibt einen guten hintergrund ab, um auch andere als die von Engels beschriebenen faelle besser zu verstehen, zb. die bildung des islam durch mohammed (vereinigung mehrerer staemme mit individuellen goettern zu einem staat). Engels und Marx haben religion dem gesellschaftlichen ueberbau zugewiesen und ihre rolle auch in bezug auf den entwicklungsstand der produktivkraefte und damit der produktionsverhaeltnisse skizziert, z.b. im kapital I (MEW 23, s. 93): "Fuer eine gesellschaft von warenproduzenten, deren allgemein gesellschaftliches produktionsverhaeltnis darin besteht, sich zu ihren produkten als waren., also als werten, zu verhalten und in dieser sachlichen form ihre privatarbeiten aufeinander zu beziehn als gleiche menschliche arbeit, ist das christentum mit seinem kultus des abstrakten menschen, namentlich in seiner buergerlichen entwicklung, dem protestantismus, deismus usw., die entsprechendste religionsform."
Religion daher nicht in erster, sondern eher in letzter instanz.
(57.1.4.2.2.1) Re: Wunderkräfte von IT, 07.04.2002, 01:18, Birgit Niemann: "Religion daher nicht in erster, sondern eher in letzter instanz." Auch hier kann ich nur wiederholen, dass ich selbstverständlich ebenso wie Du der Auffassung bin, dass die Beziehungen zur Befriedigung der realen Bedürfnisse auf allen Ebenen die Grundlage jeglichen "Seins" bzw. "Erhaltens" bieten. Trotzdem bin ich der Auffassung, das die Religion eher die früheste, als die letzte Form ist, diese realen Zusammenhänge auch zu strukturieren und zu organisieren. Es kann doch kein Zufall sein, das keine Menschengemeinschaft ohne Religion auf dieser Erde entdeckt wurde. Auch haben Eroberer häufig die Götter der Eroberten gestürzt. Das ist ja auch klar, denn mit den Göttern (und Intellektuellen, die in diesem Falle die Priester waren) zerstörten sie den ideellen Zusammhang der eroberten Gemeinschaften. Dies unterließen sie nur, wenn die eroberten Gemeinschaften schwach genug waren, um trotzdem ausgenommen zu werden. Oder wenn gerade die beherrschte Intaktheit der eroberten Gesellschaft gefragt war, um ausgenommen werden zu können. Hinzu kommt, dass es ja gerade die Tempel waren, die als Kristallisationszentren von Wirtschaft fungierten. Natürlich auch von Macht, aber es gibt keine Macht ohne wirtschaftliche Grundlage, da habe ich gar keinen Dissenz zu Deinen Ausführungen. Das die Religion die letzte Instanz ist, kannst Du nicht wirklich vertreten. Das Kapital ist z.B. sehr viel jünger und hat die Religion in ihrer gesellschaftsorganisierenden Bedeutung und Fähigkeit ja geradezu abgelöst. Was natürlich nicht bedeutet, dass die Religion heute verschwunden ist, aber ein Primat hat sie schon lange nicht mehr.
(57.1.4.2.2.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 17.04.2002, 14:55, Wolf Göhring: Vor kurzem mal in 'ner alten deutschen ausgabe der Ilias geschmoekert (7., 8. und 9. gesang). Im Olymp geht es in den rund 3000 jahre alten gesaengen Homers zu wie in den fernsehserien Dallas und Denver. Ehekrach zwischen Zeus und Hera, die goetterkinder Athene und Apoll haben so ihre spezis auf erden, denen sie mit allen tricks helfen, der alte faehrt hin- und wieder donnernd dazwischen. Kriegsgott Ares reizt die mordlust beider seiten usw. usf.: Die goetterwelt als spiegel der menschenwelt. Ob Homer das religionsgetue entlarven oder nur zeitgeistiges nachzeichnen wollte, sei dahingestellt.
(57.1.4.2.2.1.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 18.04.2002, 23:51, Birgit Niemann: Ausgerechnet die Griechen suchst Du Dir für die Argumentation aus. Wo doch die Griechen mit dem modernen Kapitalismus das Privateigentum an Produktionsmitteln gemeinsam haben. Nur das bei den Griechen noch die Produktionsmittel mit den Produktivkräften im Sklaven vereint waren, die später dann, im modernen Kapitalismus, in Maschinen (P.Mittel) und entlohnte lebendige Arbeitskraft (P.Kraft) aufgespalten wurden. Kein Wunder, dass auch bei den Griechen die Tendenz zum Atheismus aufzutauchen begann. Wurde nicht Anaxagoras aus Athen vergrault, weil er die göttlichen Gestirne zu blossen Gesteinsbrocken degradierte? Auch an Sokrates gingen meines Wissens ähnliche Anschuldigungen. Ausserdem behaupte ich ja nicht, dass die Religion ihr Dasein bereits verselbstständigt begann. Im Gegenteil, noch höheren Verselbstständigungsgrad als in den Tempelwirtschaften erreichten die Religionen für meine Begriffe in den großen monotheistischen und universalisierenden Religionen. Der Grad an Verselbstständigung von Religion (vergottetem Geist) lässt sich für meine Begriffe daran ablesen, inwieweit sie die Masse der Menschen im Interesse der eigenen Erhaltung (natürlich durchgesetzt durch die jeweiligen geistigen Eliten, die die Religion permanent reproduzieren) fremdbestimmt instrumentalisiert haben. In den alten polytheistischen Naturreligionen steht dieser Prozess noch ganz am Anfang und ist von Verselbständigung noch weit entfernt. Die Griechen wären also beinahe gleich vom guten alten Polytheismus, in welchem die individuellen Götter vor allem als zusätzliche virtuelle Bündnispartner willkommen waren, zum wissenschaftlichen Atheismus übergegangen. Aber wie wir wissen, ist die weitere Entwicklung dann ja doch noch über eine in Europa (und später auch in der neuen Welt) brutalst und gnadenlos durchgesetzte monotheistische Religion gelaufen, bevor das Kapital das Ruder übernahm. Die antiken Großreiche, die nicht Privateigentum an Produktionsmitteln, sondern Tempel- und königliches Staatseigentum hervorgebracht haben, sind jedenfalls viel bessere Beispiele für die Dynamik der Verselbsständigung von "vergottetem Geist". Nicht zufällig ist doch gerade aus Ägypten mit dem Aton-Kult die erste, noch nicht ganz erfolgreiche, Tendenz zum Monotheismus überliefert.
(57.1.4.2.2.1.1.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 22.04.2002, 22:43, Ano Nym: Du schreibst: "Trotzdem bin ich der Auffassung, das die Religion eher die früheste, als die letzte Form ist, diese realen Zusammenhänge auch zu strukturieren und zu organisieren." Nun ja, Homers Ilias ist doch wohl ein fruehes beispiel und zeigt in der menschenaehnlichkeit der goetterwelt ein noch frueheres bild der religion.
Das kapitalismus-nahe bild war mit dem Marx-zitat in absatz 57.1.4.2.2 gegeben. Zur zeit von Marx hatte das noch ziemliche bedeutung, u.a. auch in der weimarer zeit mit dem "christlichen gewerkschaftsbund und dem zentrum. Nur mal so an den "kulturkampf" Bismarcks mit den katholischen rheinlaendern und den preussischen polen erinnert.
(57.1.4.2.2.1.1.1.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 22.04.2002, 22:50, Wolf Göhring: Das vorige war ich. War mal wieder zu schnell.
Aber nach der Bildschirm-Richtlinie der EU und einschlaegigen DIN-Regeln, an denen mein guter Kollege Wolfgang Dzida (und ver.di-mitglied) seit 25 Jahren mitwirkte, sollte ich das stornieren koennen. Als betriebsrat muesste ich den mangel, dass das stornieren nicht geht, beim arbeitgeber heftig kritisieren. Aber hier bin ich ja froh, dass es ueberhaupt sowas sattes wie opentheory gibt.
(57.1.4.2.2.1.2) Re: Wunderkräfte von IT, 17.04.2002, 15:23, Wolf Göhring: Noch eine historische und kulturelle Nachfrage zu Religion. Zunaechst der kontext:
Anfang 2001 war in der FR ein artikel ueber "erziehung" junger frauen und maedchen zu priesterinnen fuer die vor-monotheistischen religionen im westlichen schwarzafrika. (meiner erinnerung nach handelte es sich um die region von Togo.) Eingangs dieses artikels war ganz kurz die goetterwelt beschrieben; manche dieser goetter aehnelten sehr den griechischen, roemischen und germanischen goettern (donner- und wettergott, kriegsgott und schmiedegott). Es gibt auch eine schlangengoettin wie im alten aegypten.
Verblueffend war nun fuer mich, dass das dortige afrikanische wort fuer "gott" "wodun" lautet. (Daher auch das wort "voodoo-kult" in den amerikas.) "wodun" ist aber so dicht beim germanischen "wotan", dass ich an einen zufall nicht ganz glauben mag.
Daher meine frage: welche sozio-kulturellen und oekonomischen beziehungen bestanden in grauer vorzeit (auf jeden fall vor dem christentum) zwischen dem mittelmeerraum und schwarzafrika? Liessen sich aus solchen beziehungen auch einige eventuell heute noch bestehende sprachliche beziehungen aufdecken, erklaeren oder nachweisen? (Ein hinweis: die sahara war jahrtausende lang fruchtbar und dicht besiedelt, ehe sie vor etwa 4500 jahren zur wueste und schwer passierbar wurde.) Oder koennte "wodun" zur nordafrikanischen vandalenzeit zusammen mit anderen kulturellen und technologischen elementen (eisenverarbeitung) ueber die sahara nach schwarzafrika transportiert worden sein?
(57.1.4.2.3) Re: Wunderkräfte von IT, 04.04.2002, 18:20, Wolf Göhring: Du schreibst weiter: "Denn wenn der gesellschaftliche Zusammenhang zukünftig vom Computer hergestellt (virtualisiert) wird ..."
Der computer stellt ueberhaupt keinen zusammenhang her. Der computer (und die strippen zwischen den dingern) werden als mittel benutzt, um zusammenhaenge darzustellen. Selbst wenn an x stellen gleichzeitig von einem computer etwas angestossen wird, so hat er immer nur die rolle des mittels. Spaetestens wenn man den stecker zieht, wird das offensichtlich.
Damit ist nicht gesagt, dass das, was in einem computer oder einem netz ablaeuft, besonders leicht zu durchschauen waere. Ganz im gegenteil. Das darf aber nicht als eine selbstaendigkeit interpretiert werden.
(57.1.4.2.3.1) Re: Wunderkräfte von IT, 07.04.2002, 01:27, Birgit Niemann: "Spaetestens wenn man den stecker zieht, wird das offensichtlich." Bescheidene Frage: Wer zieht denn den Stecker von etwas, wovon er abhängig ist ???" Die Freiheit, den Stecker zu ziehen, muss man subjektiv und objektiv haben.
(57.1.4.2.3.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 17.04.2002, 15:53, Wolf Göhring: Auch der abhaengigste kennt das mit dem stecker: Spaetestens, wenn er ein neues teil einbauen will, muss er sich mal ein bisschen von dem ding trennen und den stecker ziehen, will er nicht einen gewischt kriegen. Wichtig duerfte sein, dies als anknuepfung fuer eine vermittlung der blossen mittel-rolle des computers zu nehmen, wenn's der spund sonst nicht rafft.
Mein juengerer bursche (jetzt frisch maschinenbau-student) hing auch viel an dem ding, aber hin- und wieder machte 'ne clique einen auf "netzwerk". Dazu wurden die computer zusammengeschleppt, vernetzt und dann ging irgendein spiel in der clique los. An jedem computer hockte einer oder mehrere, die sich vernetzt mit irgendwelchen obskuren spielzuegen bewarfen. Wenn das wochenende rum war, wurden die dinger auseinandergestoepselt und ich durfte - allergnaedigst gebeten - den kram meines sputniks wieder nach hause fahren.
Waer das was?
(57.1.4.2.3.2) Re: Wunderkräfte von IT, 07.04.2002, 15:15, Konrad Stoeber: Akkurat: Der Computer stellt keine Zusammenhänge her, es bleiben wir Menschen, die die kommunikativen Zusammenhänge herstellen und uns dabei - so wir haben –der IT als Mittel bedienen. So gesehen ist der PC eine Verlängerung, Erweiterung unseres (analytischen) Denkens und es treibt mich die Frage um, was sich an den gesellschaftlichen Voraussetzungen und der Art menschlicher Kommunikation ändert, wenn das alles besser funktioniert. Herstellung auf Bestellung (z.B. beim Anlagenbau gang und gäbe) ändert nichts an dem Warencharakter des Produkts (oder der Dienstleistung).
(57.1.4.2.3.2.1) Re: Wunderkräfte von IT, 17.04.2002, 16:20, Wolf Göhring: Der warencharakter eines produkts kann nicht in irgendwelchen sektoren fuer sich alleine aufgehoben werden. Die produktion ist - darauf hatte Marx schon in der bruesseler rede ueber den freihandel vor ueber 150 jahren hingewiesen - weltweit zusammenhaengend. Die produktion der gueter als waren verschleiert dies, weil der/die einzelne immer nur das gegenueber im austausch wahrnimmt (und auch nur wahrnehmen muss), dazu das kaffeebeispiel am anfang des textes. Dies beispiel zeigt aber schon an der banalitaet einer tassee kaffee den weltumspannenden zusammenhang saemtlicher produktiver taetigkeiten der menschheit. Einzelne produkte nicht mehr warenfoermig hervorzubringen, hiesse, sie so herzustellen, dass sie an keiner stelle irgendwie mit der sonst bestehenden, auf austausch fussenden produktion zusammenkaemen. Aber das gelingt mir noch nicht einmal mit meinen erdbeeren im garten, denn die giesse ich mit einer gekauften giesskanne.
Dies bedeutet, dass die warenproduktion nur in einem weltweiten einheitlichen akt "beendet" werden kann. Aber keineswegs voluntaristisch, weil es gerade mal nach dem geschmack einiger leute waere. Es muss fuer alle produkte der prozess ihrer herstellung und "verteilung" (s.u.) so weit umgestaltet sein, dass ein formeller produktentausch faktisch funktionslos geworden ist, dass er nur noch eine ueberfluessige huelle darstellt, die dann anders als der euro zu einem stichtag nicht eingeführt, sondern fallengelassen werden kann.
In diesem sinne muessen fuer diesen schritt "die mittel in der gesellschaft, wie sie ist, verhuellt" (Marx, grundrisse) entwickelt worden sein.
Auf dem weg dorthin werden die sehr vielen und verschiedenen mittel, die gebraucht werden, zu verschiedenen zeiten ganz unterschiedlich weit entwickelt sein. Manche scheinen (wie in deinem knappen beispiel) schon sehr weit zu sein. Das genuegt aber nicht, denn es muessen alle mittel vorhanden sein, auch bei einer tasse kaffee muss das klappen.
Praktisch, empirisch zu ermitteln waere, wieweit diese mittel gediehen sind, und zwar nicht nur in einem sogenannten high-tech-land, sondern auch in andern regionen des oekomisch lueckenlos eingesponnenen globus.
(Verteilung oder distribution keineswegs so, dass ein "sozialistischer weihnachtsmann" den leuten die produkte in die hand drueckt, von denen er meint, sie koennten sie gebrauchen. Sondern in dem sinne, wie Marx "distribution" am anfang der grundrisse erlaeutert hat, naemlich als das gesellschaftliche verfahren, die methode, die art und weise, wie die leute zu dem kommen, was sie benoetigen, zum beispiel durch austausch, kauf)
(57.1.4.2.3.2.2) Re: Wunderkräfte von IT, 17.04.2002, 16:48, Wolf Göhring: Du schreibst: "... was sich an den gesellschaftlichen Voraussetzungen und der Art menschlicher Kommunikation ändert, wenn das alles besser funktioniert."
Bronze hat "besser funktioniert" als stein- und knochenwerkzeuge, eisen besser als bronze und leichter herzustellen, flinte besser als armbrust usw. Ich vermute, dass wir uns einig sind, dass alles dies und noch einiges mehr wesentlich fuer die aenderungen von der steinzeitlichen zur heutigen kapitalistischen gesellschaft war.
Vermutlich sind wir uns auch einig darueber, dass man sich ohne geeignete mittel einen uebergang in eine "nach"-kapitalistische (um es mal gaaanz neutral auszudruecken) gesellschaft abschminken kann. Dann steht aber die frage, welche mittel das sein koennten. Alte mittel, die schon unsern vorfahren zur verfuegung standen, duerften es kaum sein, denn unsere vorfahren sind damit nicht in einer nicht-warenproduzierenden gesellschaft gelandet.
Also bleibt uns wohl nichts anderes uebrig, als mal die neuesten produkte dieser gesellschaft daraufhin zu pruefen, was sie fuer die zukunft hergeben koennen. Wenn alle bekannten zu verwerfen sind, dann wird alles beim alten bleiben, bis doch was neues und geeigneteres auftaucht. Aber das neue entsteht nicht aus jux und dollerei, sondern immer in einer dialektischen bewegung, auch die wohlvertraute, heute so banale beisszange duerfte so entstanden sein.
Will heissen: Im praktischen leben gibt's aergernisse, die man ueberwinden will. Dazu laesst man sich was einfallen, dazu macht man was: neue dinge, neue verfahren, anderer umgang mit leuten, die ihrerseits etwas tun.
Insonderheit beim austausch gibt's aergernisse: kein geld mehr, verspekuliert, pleite, man findet nicht das richtige. Sowohl vom endkonsum des individuums als auch von der produktion der unternehmen und der verwertung des werts her betrachtet. Wer hier pech vermeiden will, wird sich "schlau" machen, also rumgucken, rumfragen, information sammeln, auswerten, absprachen usw. Alles das ist kommunikation (was auf deutsch wohl nur "gemeinsamkeit" heisst und die gleiche ethymologische wurzel zu haben scheint.) Ohne diese kommunikation ist man beim tausch mit sicherheit ganz schnell der gelackmeierte, auch wenn aktuell diese kommunikation einen nicht immer rettet. (Auch die kollektive entwicklung eines tarifvertrages ist in diesem sinn kommunikation, aber vollstaendig austauschbezogen.)
(Zur dialektik siehe auch 57.1.4.2.4)
Und nun einfach eine gegenfrage: Liesse sich die strapazierte tasse kaffee ohne weltumspannende technische kommunikationsmittel, wie sie heute entwickelt werden, geniessen, ohne dafuer bezahlen zu muessen, ohne in einen produktentausch zu treten? Und wenn es ohne austausch (oder klau) ginge, wie ginge es denn dann? Wie wuerde meine taetigkeit und die aller andern so "von vorneherein als gemeinschaftliche gesetzt" (Marx, grundrisse), dass ich das schaelchen heesen ohne austausch und auch nicht als almosen bekaeme?
Wenn die neue produktivkraft der vernetzung wirklich in eine neue produktionsweise, in neue produktionsverhaeltnisse fuehrt, dann waere das ein umschlag in eine neue qualitaet, der auf einer quantitativ veraenderten kommunikation fussen wuerde. Umgekehrt aber: Ohne quantitative aenderungen kann es einen solchen umschlag nicht geben. Womit - ausser mit altem - koennte man ihn herbeifuehren, wenn man das neue verwirft? Und womit wuerde man ihn stabilisieren koennen, wenn einem das neue nicht gefaellt?
(57.1.4.2.4) Re: Wunderkräfte von IT, 04.04.2002, 18:31, Wolf Göhring: Weiter schreibst du: "Wir haben hier zwar Fortschritt an sich ..."
Ich hab keineswegs nur einen fortschritt "an sich" aufzeigen wollen, sondern die in der warenproduktion selbst liegenden triebkraefte (widersprueche) skizziert, die zur IuK-technik gefuehrt haben. Der alles entscheidende widerspruch liegt darin, dass die mit dieser technik einhergehende vernetzung nicht-vernetzes wirtschaften optimieren soll. Damit steht aber die produktivkraft IuK (nicht bloss die technik!) im widerspruch mit den produktionsverhaeltnissen, die sich an der privatheit, unvernetztheit der produktion festklammern.
Was wird passieren?
(57.1.4.2.4.1) Re: Wunderkräfte von IT, 07.04.2002, 01:24, Birgit Niemann: Das ist wirklich die spannende Frage. Doch die Entwicklung ist mittlerweile so schnell, dass wir sie vermutlich wie im Zeitraffer beobachten können. Zum Glück hätte der Wissenschaftler in mir beinahe gesagt. Doch leider stehe ich bei diesem Experiment nicht als Beobachter daneben, sondern bin mitten d'rin und betroffen.
(57.1.4.2.5) Re: Wunderkräfte von IT, 04.04.2002, 18:51, Wolf Göhring: Du: "verschärfte Zunahme von Funktionalisierung"
Die warenproduktion aufheben, und zwar im weltmassstab, das ist das a und o dessen, worauf es ankommt. Wenn man kaffee schlabbern will (siehe meinen einstieg in dieses thema), dann muss einiges veranstaltet werden, damit mann oder frau zu diesem genuss kommt. Man kann sagen, dass einen alles, was dem kaffeekochen vorgelagert ist, nicht interessiert, dass das "irgendwie zu funktionieren hat". Aber wie, wenn die andern sich genauso verhalten? Man (frau auch) wird also nicht umhin kommen, sich um diesen zusammenhang zu kuemmern, sich mit andern darueber zu verstaendigen, wie das ganze gehen soll. Die flaschenpost, ein reitender bote, die buschtrommel oder rauchzeichen werden aber kaum das geeignete mittel zu einer verstaendigung ueber weltumspannende produktive prozesse sein (sie wurden auch schon alle ausprobiert), wie sie mit einer simplen tasse kaffee bereits verbunden sind. Man kann diese verstaendigung auch bleiben lassen und trotzdem auf kaffee bestehen, dann kriegt man den aber nur im austausch, und damit hat man das geld und schliesslich das ganze kapitalverhaeltnis, zumindest wenn man der Marx'schen analyse folgen will.
Mein resumee: Wenn man davon weg will, weil es mit vielen argen maengeln (u. a. mit krieg) behaftet ist, dann muss man eine weltumspannende kommunikation entwickeln, die die organisierung solcher produktiver prozesse in einer weise gestattet, dass der austausch fertiger produkte entfallen kann.
(57.1.4.2.5.1) Re: Wunderkräfte von IT, 07.04.2002, 01:31, Birgit Niemann: "Die flaschenpost, ein reitender bote, die buschtrommel oder rauchzeichen werden aber kaum das geeignete mittel zu einer verstaendigung ueber weltumspannende produktive prozesse sein" Natürlich nicht. Das kann dieser Entwicklung das "Janusköpfige" aber nicht nehmen. Und die Frage, die sich mir stellt ist nun mal die: Was überwiegt? Erleichtert diese Technik die Emanzipation oder begünstigt sie eher Faktoren, die einem solchen Prozess hinderlich sind?
(57.1.4.6) Re: Wunderkräfte von IT, 06.04.2002, 23:54, Konrad Stoeber: Das noch zu 57.1.4.: Der Witz ist ja hier, wie das in den Anmerkungen von Werner Imhoff schon angedeutet ist, das in diesen Stammeszusammenhängen die Individuen von vornherein als Mitglieder dieses ursprünglichen Gemeinwesens gearbeitet haben. Die Arbeit also deswegen von vornherein gesellschaftliche Arbeit war.
(57.1.5) Re: Wunderkräfte von IT, 02.04.2002, 19:56, Wolf Göhring: "eine neue Gesellschaft ... zumindest mit einem neuen Charakter der Arbeit zusammenhängt", schreibst du. Aber was ist denn ein "neuer charakter der arbeit"? "Und weil der mensch ein mensch ist, drum braucht er was zum essen", meinte Brecht. Ich uebrigens auch. Und wie kommt das zeug auf den tisch? An den manuellen verrichtungen vom pflanzen der kartoffeln bis zum auflegen der gequellten auf den teller sehe ich in naeherer zukunft keine wesentlichen aenderungen. All das ist bestimmte arbeit, nicht ohne produktionsmittel. Ob mit einem froehlichem lied auf den lippen oder nicht, duerfte fuer das ergebnis wenig bestimmend sein. Aber das macht den charakter der arbeit doch wohl nicht aus? Wie waer's mal damit: Die leute (6 milliarden) organisieren all diese arbeit so, dass sie die produkte dieser arbeiten nicht mehr austauschen muessen. Wie organisieren sie das, mit oder ohne IT? Sind das "verabredungen", wie ich es nannte, oder nicht? Koennen sie diese arbeiten total und widerspruchsfrei vorausberechnen oder nicht? Bleibt also dann doch die dialektik von abgrenzung und zusammenhang das, was uns alle umtreibt, wenn wir eine dermassen bestimmte arbeit machen?
(57.1.5.1) Re: Wunderkräfte von IT, 22.04.2002, 23:48, Konrad Stoeber: Vielleicht ist Charakter der Arbeit wirklich ein zu abgelatschter Begriff. Den gesellschaftlichen Zusammenhang stellt das Kapital (nicht der Kapitalist) her, oder besser der gesellschaftliche Zusammenhang ist das Kapital, als die abstrakt allgemeine Form vergegenständlichter Arbeit. Die lebendige Arbeit kann gegenwärtig offenbar nur in dieser gesellschaftlichen Form angeeignet werden kann. Das Kapital abschaffen heißt, diesen (entfremdeten) gesellschaftlichen Zusammenhang abschaffen. Wie aber sieht der nicht entfremdete, nicht als Kapital bestehende gesellschaftliche Zusammenhang aus, der an dessen Stelle zu treten hätte ? Was sollte nun jene „wirklich freie Arbeit“ , deren „gesellschaftlicher Charakter gesetzt ist“ sein ? Wie und wodurch kann ihr gesellschaftlicher Charakter gesetzt sein. ? Ist der gesellschaftliche Charakter der Arbeit dadurch gesetzt und gesichert, dass diese via IT-unterstützter Verabredung und Palaver erfolgt ? Kann, was bislang durch den Warencharakter der Arbeit gesetzt ist, durch Verabredung ersetzt werden ? (Zu diesem „gesetzt“ möchte ich spaßeshalber noch mal auf den fast literarischen letzten Abschnitt aus den Auszügen von Marx aus Mills „Élements d’économie politique“ Werke EB 1 S. 462 verweisen.
(57.1.5.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 24.04.2002, 18:40, Wolf Göhring: Mit dem kaffeebeispiel im eingang des textes wurde doch wohl deutlich, dass heutzutage ein praktischer materieller, stofflicher, weltweiter zusammenhang besteht, und zwar unabhaengig vom kapitalverhaeltnis: Der kaffee kommt nun mal aus uebersee und nicht von'nem blumenpott auf'm balkon.
Hergestellt wurde dieser zusammenhang im rahmen des kapitalverhaeltnisses, das sich dabei zugleich zu seiner heutigen groesse entwickelte. Damit ist dieser zusammenhang in sich widerspruechlich: naemlich einerseits stofflicher und persoenlicher zusammenhang, andererseits im austausch gebrochen, verfremdet, entfremdet. Das jeweils hinter dem austausch liegende muss ueberhaupt nicht in betracht gezogen werden: weder die arbeit, die zum produkt fuehrte, noch die arbeitenden personen, noch der konsum und die anwendung des produkts, am schaerfsten bei waffen zu sehen.
Wie anders, als wenn menschen miteinander reden, palavern, kommunizieren, koennen diese individuen den verfremdeten zusammenhang sich selbst wieder sichtbar, eine vorstellung (griech. idei) davon gewinnen und dadurch gestaltbar machen? Wie anders als durch dieses miteinander reden und verabreden koennen sie ihrer individuellen arbeit einen von vorneherein gesellschaftlichen charakter geben? Der gesellschaftliche charakter faellt doch nicht vom himmel und wird auch nicht durch irgendeinen "weisen fuehrer" bestimmt. Nur die individuen koennen dies, und zwar durch das "palaver", was gewiss nicht mehr wie in einer afrikanischen stammesgesellschaft ablaeuft, sondern unter ausnutzung der IuK-technik, weil nur so ueberhaupt eine chance besteht, den bestehenden weltweiten stofflichen zusammenhang gemaess ihrer beduerfnisse zu gestalten.
In diesem bestehenden zusammenhang ist auch schon angelegt, dass die individuellen beduerfnisse nicht im Stirner'schen "Der einzige und sein eigentum" landen, denn den kaffee, um das beispiel mal wieder zu strapazieren, kann nur geschluerft werden, wenn ganz ganz viele mittun.
(57.1.5.2) Re: Wunderkräfte von IT, 22.04.2002, 23:49, Konrad Stoeber: Das ist im Prinzip die Frage, ob dieser Zusammenhang durch einen regelgeleiteten, normativen Diskurs ersetzt werden kann. Dieser Frage geht ja etwa Habermas nach. Wie bei Ihm steht aber auch bei Dir der Zusammenhang in dem der Mensch sich als citoyen und nicht als bourgeois betätigt, der kommunikative oder intersubjektive Zusammenhang, der Zusammenhang zwischen Menschen, in denen sich Interessen, Wertorientierungen und Ziele niederschlagen, neben und außerhalb der technologischen und utilitären Zusammenhänge des Produktions- und Konsumtionsprozesses. Im individuellen Bedürfnis als Ausgangspunkt für Verabredung usw. steht wieder das atomisierte und damit abstrakte Indiviuum, das dann per Verabredung und produktiver Tätigkeit den gesellschaftlichen Zusammenhang herbeibastelt. - Ein theoretisches Modell, das Marx in allen Variationen heftig kritisiert hat. Woran wäre dann die Sinnfältigkeit des Palavers zu messen. Soll das Palaver geregelt sein und welchen Regeln soll dieses Palaver unterliegen. Das sind einige Probleme, die sich innerhalb dieser Überlegung stellen. Fragen wir aber nach den Voraussetzungen dieser Überlegung, so kommen wir auf den Ausgangspunkt, die „individuellen Bedürfnisse“ zu sprechen.
(57.1.5.2.1) Re: Wunderkräfte von IT, 24.04.2002, 19:08, Wolf Göhring: Der materielle, stoffliche und persoenliche zusammenhang, der in der weltweit verflochtenen produktion besteht, kann und wird nicht durch "einen regelgeleiteten, normativen Diskurs ersetzt", wohl aber das kapitalverhaeltnis. Aber das beides ist nicht zu verwechseln! Dazu:
"Das Geheimnisvolle der Warenform besteht
darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte
zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten als ein außer ihnen existierendes Verhältnis von Gegenständen." (Marx, Kapital I, MEW 23, s.86) Nur indem die warenform ueberwunden, also der austausch der produkte ueberfluessig wird, wird den menschen der gesellschaftliche charakter ihrer eignen arbeit sichtbar. Und umgekehrt, indem sie diesen charakter sich sichtbar machen und praktisch und bewusst gestalten, verschwindet auch das irre spiegelbild.
Durch blosses herumturnen im ueberbau von wertorientierungen kommt nicht die bohne in die tasse. Wenn man den kaffee schluerfen will, so muss man sich an technologisches, utilitaeres machen - oder man spekuliert auf den ruf aus dem schlauraffenland: "Liebling, der kaffee ist fertig". (Oder man schleicht verschaemt an eine stille ecke, wo man noch kaffee eintauschen kann)
(57.1.5.3) Re: Wunderkräfte von IT, 22.04.2002, 23:51, Konrad Stoeber: Zu diesem Ausgangspunkt ein paar Bemerkungen: 1.) Ein Haken von vielen ist die Lesart vom „individuelle Bedürfnis“. Dieses ist eine armselige Bestimmung, die das individuelle Bedürfnis meint, aber nicht aussprechen kann. Da jedes Individuum individuelle Bedürfnisse hat, ist dies ein allen Individuen gemeinsames, eine abstrakt allgemeine Bestimmung. – Ist aber natürlich so nicht gemeint. Die Rede von den individuellen Bedürfnissen hat so viel Wert wie die Kenntnis, dass man jedes Individuum anhand seines Fingerabdrucks oder per Genomanalyse identifizieren kann. Ich könnte aber auf Anhieb keines meiner Bedürfnisse nennen, mit dessen Hilfe ich als Individuum identifiziert werden kann. Wovon also ist die Rede beim individuellen Bedürfnis ?
(57.1.5.3.1) Re: Wunderkräfte von IT, 17.06.2002, 14:47, Wolf Göhring: Du schreibst: "Ich könnte aber auf Anhieb keines meiner Bedürfnisse nennen, mit dessen Hilfe ich als Individuum identifiziert werden kann. "
Daraus entnehme ich, dass ich dich mit "individuellen beduerfnissen" auf eine ganz andere als die von mir gemeinte spur gefuehrt habe. Ich meinte die beduerfnisse, die ein individuum hat, angefangen bei essen, trinken, schlafen, kleidung, schutz vor regen, hitze, kaelte, wohnung, weiter ueber bildung, , gesundheit, fuersorge bis hin zu kultur, unterhaltung und was weiss ich was. In dieser allgemeinheit sind diese beduerfnisse wohl allen individuen zu eigen, aber nicht immer erfuellt, wie jaehrlich millionen verhungerte, soldaten im krieg, kollateralbeschaedigte zivilisten zeigen, um auf einige besonders ins auge springende faelle zu verweisen. Im konkreten und fuer das einzelne individuum koennen sich diese allgemeinen und gleichzeitig inidividuellen beduerfnisse durchaus unterscheiden und in einzelfaellen eine ganz besondere individuelle form annehmen, wie etwa bei dem fast total gelaehmten physiker Hawkings.
In dem von mir genannten "palaver" fangen nun die individuen nicht ploetzlich an, ueber solche beduerfnisse zu sprechen und wege herauszufinden, wie diesen nachgekommen werden kann. Im gegenteil, auch in der kapitalistischen gesellschaft wird darueber debattiert, aber mit unzulaenglicher loesung wie die eingangs genannten beispiele bereits zeigen. Die fortentwicklung dieser debatten, wo sich weltweit die individuen frei assoziieren koennen, sollte mit "palaver" umrissen werden. Zur freiheit gehoert, dass die individuen ihre konkreten beduerfnisse artikulieren koennen und mit den andern heraustuefteln koennen, wie sie es machen, dass diese beduerfnisse (weitgehend) erfuellt werden.
(Zur freien assoziation gehoert auch, dass man im sinne des palavers auch mal was tut, denn: es macht uns ein geschwaetz nicht satt ...)
Wieviel vielfalt die individuen zur befriedigung dieser beduerfnisse entwickeln und wieviel einheitlichkeit sie z.b. aus gruenden der schonung von ressourcen (einschliesslich ihrer eigenen kraefte) herstellen, kann meines erachtens heute nicht erahnt werden.
(57.1.5.3.2) Re: Wunderkräfte von IT, 17.06.2002, 15:28, Wolf Göhring: Ich hab in meinem vorangehenden kommentar nur von "weitgehender" befriedigung individueller beduerfnisse gesprochen. Dazu mehr.
Zunaechst ist es ein unterschied, ob beduerfnisse unbefriedigt bleiben, weil eine kapitalistische krise wie ein verhaengnis ueber die menschen hereinbricht (z.b. arbeitslosigkeit, krieg) und sie nur im rahmen des kapitalverhaeltnisses moeglichkeiten zur abwehr haben oder ob im rahmen eines aushandlungsprozesses, an dem alle gleichberechtigt teilnehmen, festgestellt wird, dass bestimmte konkrete wuensche, ganz konkrete beduerfnisse die moeglichkeiten ueberschreiten und nach ersatzloesungen gesucht wird (wobei man nicht "ewig" suchen kann, da man sonst zu gar nichts kommt).
Es gibt noch ein zweites problem: 6 milliarden koennen nicht auf einen rutsch bis zur letzten schraube alles benoetigte vorausplanen. Man kann sich nur innerhalb einzelner gruppen, d.h. assoziationen, mit einer gewissen genauigkeit verabreden. Die gruppen werden sich ueberlappen, also keine paarweise fremden mengen sein, um diesen begriff der mengenlehre zu gebrauchen. In der freiheit, sich mit wem auch immer zu assoziieren, ist diese ueberlappung begruendet. Man kann in vielen gruppen "chatten" und diese gruppen bei bedarf und nach wunsch wechseln. Da man praktisch etwas erreichen will, wird man's nicht chaotisch machen. Aber jede gruppe hat immer nur eine begrenzte reichweite innerhalb des von 6 milliarden insgesamt hergestellten zusammenhangs.
Da koennen verabredungen und ihre praktische umsetzung in einer gruppe mit denen in einer andern in widerspruch geraten, wenn beispielsweise beide die gleiche ressource in beschlag nehmen, ohne dies vorher bemerkt zu haben. Dieses problem ist durch nichts aus der welt zu schaffen. Die loesung, "synthese" besteht darin, dass sich individuen aus beiden gruppen zusammen tun, eine neue freie asoziation bilden koennen, um mit dem konkreten widerspruch konkret umzugehen. Usw.
Entscheidend wird sein, dass die neuen widersprueche weniger heftig und erschuetternd sind als die krisen der kapitalistischen gesellschaft. Wenn die menschheit dieses entwickelt hat, wird sie die kapitalistische produktionsweise loslassen, vorher nicht.
(57.1.5.4) Re: Wunderkräfte von IT, 22.04.2002, 23:52, Konrad Stoeber: 2.) Neun von zehn Leuten, die nach Ihren Bedürfnissen gefragt werden, haben das abstrakte Bedürfnis, eine Erbschaft zu machen, oder einen Lottogewinn. Der positive Sinn dieses Wunsches ist der Wunsch nach „Aneignung der Universalität menschlicher Wesenskräfte“, der negative, dass neun von zehn genannten konkreten Bedürfnissen kompensatorische Bedürfnisse sind, (Villa, Benz, Jacht, Rolex, Armani, Aldi), weil diese jenseits von produktiver Tätigkeit liegen. Subsumierbar unter das allgemeine Bedürfnis des Habens. Daraus ergibt sich dann das Problem einer mehr oder weniger gemeinsamen Wertorientierung, die für ein solches Palaver erforderlich wäre, und die kann – wie in der Geschichte hinreichend belegt – nicht verordnet werden. Für diese neun ist es zunächst unvorstellbar, dass eine Arbeit Selbstzweck sein kann. Und genau dieses meine ich mit dem in der Tat abgelatschten Begriff „neuer Charakter der Arbeit“, also keine Arbeit mehr, die mir fremd gegenübersteht, sondern eine, in der ich mich verwirkliche. In dieser Hinsicht ist etwa künstlerische Arbeit vielfach hervorgehoben worden.
(57.1.5.4.1) Re: Wunderkräfte von IT, 17.06.2002, 15:53, Wolf Göhring: Sicher richtig, wenn du darauf verweist, dass "in dieser Hinsicht etwa künstlerische Arbeit vielfach hervorgehoben worden (ist)". Doch scheint mir hinter der kuenstlerischen arbeit arg das pur individualistische zu stecken, bei dem verloren geht, dass solches beduerfniss sich nur in verabredung mit andern verwirklichen laesst: Woher die malfarben, das papier, die pinsel, oder stein und meisel oder die bronze fuer die skulptur? Oder wer stellt das abendessen auf den tisch usw.?
Die "nicht-fremdheit" der arbeit wird in dem palaver hergestellt: Die arbeit, die ich dann tue, ist mir einsichtig, daher in einer bestimmten weise vertraut. Ich weiss mehr oder weniger, vielleicht sogar besonders gut, wie sie geht, wozu sie gut ist und was ich selbst am ende erhalten werde.
(57.1.5.5) Re: Wunderkräfte von IT, 22.04.2002, 23:52, Konrad Stoeber: 3.) Ein Scheißjob ist unter allen Umständen ein Scheißjob und er wird mir, wenn ich ihn denn tun muss, fremd sein, weil ich mich in dieser Tätigkeit nicht wiederfinde. Es wird mit oder ohne Palaver ein Scheißjob sein und er wird mir mit oder ohne Palaver fremd sein. Insofern wurde auch weiter oben die Stelle vom „Reich der Notwendigkeit“ bemüht. Kuzcinsky hat sich das mal so vorgestellt, dass der Bedarf an solchen Jobs von jungen Menschen abgedeckt werden kann, die dann wie heute zur Armee für einige Zeit zur Arbeit eingezogen werden. Der Rest ist „disposable time“, in der ich einer Tätigkeit nachgehe, in der ich mich selbst verwirklichen kann, in der ich mich bilde, zum Menschen mache und als Mensch tätig bin.
(57.1.5.5.1) Re: Wunderkräfte von IT, 17.06.2002, 16:08, Wolf Göhring: Ich geh mal davon aus, dass du Kuzcinsky richtig wieder gibst, denn der vorschlag ist doch etwas hanebuechen. Die muelltuete muss sicherlich irgendwie "entsorgt" werden. Solche taetigkeit aber einem bestimmten teil der gesellschaft aufzubrummen, waere nun das gegenteil von freien assoziationen.
Und doch eine kleine geschichte: "Trag mal das abfallkoerble zum mist!" Auf mein kindliches maulen gab's die antwort: "Meinst' net, ich taet jetzt auch lieber in der gass' rumspringen g'rad wie du, als mittagessen kochen?" Auf mein zoegern die weitere bemerkung: "Dann haetts't halt nacher nix zu essen." Ich erledigte die sache.
Was war das jetzt? Freiheit ist einsicht in die notwendigkeit? Selbstverwirklichung weil's ein kleiner, wenn auch indirekter beitrag zu meiner ernaehrung, einem unabweislichen beduerfnis war? Oder?
(57.1.5.5.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 19.06.2002, 15:46, Konrad Stoeber: Hat Kuczinski mal vor hundert Jahren bei einer Veranstaltung geäußert. So hanebüchen ist es aber nicht. Das Problem besteht nicht darin, dass irgendwer irgendwann mal einen Scheißjob zu erledigen hat, weil es einfach erforderlich ist, sondern diese Gesellschaft bringt es mit sich, dass Millionen Menschen unter die Teilung der Arbeit gepresst werden. (Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit). Teilung der Arbeit selbst ist Fortschritt, die Unterordnung über ein ganzes Menschenleben aber unmenschlich. Es handelt sich aber bei diesen Jobs um (meistenteils) notwendige Arbeit. Und damit nicht ein ganzes Menschenleben durch eine solche Aufgabe verkrüppelt wird, macht diese Idee schon Sinn, solange solche Jobs von Menschen gemacht werden müssen.
(57.1.5.5.1.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 20.06.2002, 12:43, Wolf Göhring: Mit "solche Jobs" legst du, wie ich meine, eine falsche faehrte, denn "job" ist doch so richtig etwas gegen lohn. Wenn's keine lohnarbeit (und keine zwangsarbeit!) gibt, kann's auch keine "solchen jobs" geben. Ich wuerd "taetigkeit" verwenden, ist zwar'n laengeres wort und nicht aktueller jargon, koennte aber die falsche spur vermeiden helfen.
Das kleine beispiel hatte ich oben gebracht, um den entwicklungsgang des eigenen empfindens und bedenkens aufzuzeigen, waehrenddessen aus der "vorgestellten scheisstaetigkeit" die einsicht in die notwendigkeit dieser taetigkeit wuchs und sie erledigt wurde, ohne sie dann noch als "scheisstaetigkeit" einzustufen.
Engels kritisierte im "Anti-Duehrung" heftig Duehrings festhalten an der arbeitsteilung, dass es also architekten einerseits und karrenschieber andererseits gaebe (MEW20, s.277). Fast gleichzeitig beides, oder: morgens das eine und abends das andere sein, setzte Engels dagegen. Ich meine, dass normalerweise niemand 2 linke haende hat oder etwas nicht verstehen koennte, zumal er sich zunehmend auf umfassende information abstuetzen und mit fachleuten darueber reden kann, an die er unter anderem vermoege vernetzung herankommt. Bleiben noch taetigkeiten wie babywickeln oder den nachttopf eines bettlaegrigen zu saeubern.
Wenn man die angehoerigen eines jahrgangs dazu vergattert, solches wie in einem pflichtjahr unseligen andenkens zu erledigen, "die dann wie heute zur Armee für einige Zeit zur Arbeit eingezogen werden", wie du oben notiert hast, dann hat man daraus "scheissjobs" gemacht, dann steht dieser jahrgang dem gesellschaftlichen zusammenhang "wie einem verhaengnis" (Marx, grundrisse, MEW42, s. 92) gegenueber, denn die individuen dieses jahrgangs haetten keinen einfluss darauf, ob das so oder anders zu handhaben waere. Von freier assoziation koennte dann nicht die rede sein.
Gewiss gibt es taetigkeiten dieser art. Wie sie gehandhabt werden, wie sie mit andern taetigkeiten verbunden sind, welche individuen sie wann und unter welchen umstaenden erledigen, ist dem permanenten diskurs freier assoziationen unterworfen, worin in aller freiheit die einsicht in die notwendigkeiten entwickelt wird einschliesslich der erledigung des fuer notwendig erachteten. Wie sonst kann "die eigne vergesellschaftung der menschen, die ihnen bisher als von natur und geschichte oktroyiert gegenueberstand, ... ihre eigne freie tat" (MEW 20, s.264) werden?
Das ist laenglich formuliert. Aber wie soll man das neue, unerfahrene beschreiben, fuer das noch keine eigenen begriffe entwickelt sein koennen?
(57.1.5.6) Re: Wunderkräfte von IT, 23.04.2002, 00:08, Konrad Stoeber: Eine Ware, die verkauft wird, hat für den Kapitalisten ihren Wert realisiert. Realisiert sie ihren Gebrauchswert nicht, wird also nicht konsumiert, weil schlecht oder verdorben, gibt’s eine Reklamation. Der schöne Wert ist futsch, wenn die Reklamation Erfolg hat – oder jemand ist der Gelackmeierte. Das Resultat ist im besten Falle so gut, als wenn die Ware nicht produziert worden wäre, abgesehen vom Müll, dem sinnlosen Material- und Energieaufwand, der aufgewendeten menschlichen Tätigkeit. In dem Falle kann man nicht von Arbeit sprechen, denn die ist im politökonomischen Sinne ja nicht geleistet worden. Verbleibt der Widerspruch im Gegensatz, ist alle aufgewendete vergegenständlichte und lebendige Tätigkeit zumindest nicht in das gesellschaftliche Getriebe eingegangen. Würden alle so produzieren, säße ich heute gewiß ohne elektrische Zahnbürste da. Nicht der Gegensatz von Kapital und Arbeit ist erklärungsbedürftig, der liegt jedem der nicht blind ist empirisch vor Augen. Die Einheit dieses Prozesses ist erklärungsbedürftig, um feststellen zu können, wo diese Einheit heute substanziell untergraben wird.
(57.1.5.6.1) Re: Wunderkräfte von IT, 17.06.2002, 16:22, Wolf Göhring: Du schreibst mit bezug auf erfolgreiche reklamation: "In dem Falle kann man nicht von Arbeit sprechen, denn die ist im politökonomischen Sinne ja nicht geleistet worden."
Die arbeit wurde meiner meinung nach geleistet, denn da haben leute drangesessen und etwas getan und lohn bekommen, vielleicht sogar stuecklohn. Der fabrikneue schrott ist vergegenstaendlichte arbeit, jedoch ohne tausch-wert: Seine maengel entwerten es total, bzw. machen die realisierung seines werts unmoeglich.
Ich wuerde aber trotzdem diesem fall keinen ueberragenden polit-oekonomischen sinn beimessen, da das meiste funktionierend auf den markt geworfen wird.
(57.1.5.6.1.1) Re: Reklamation und Arbeit, 19.06.2002, 20:49, Konrad Stoeber: Natürlich funktioniert der Krempel in der Regel. Vielleicht war das Beispiel mit der Reklamation nicht gut. Im Prinzip ist es aber das gleiche, wenn ein Händler oder Hersteller auf Uraltbeständen sitzen bleibt, der Bauer eine Missernte am Hals hat, oder jährlich tausende von Tonnen noch essbaren oder überlagerten Lebensmitteln weggeschmissen werden.
Das Wahre ist das Ganze. Ich weiß, das klingt verrückt, habe mich dazu schon mit einer Menge Leuten angelegt, aber wie kann ein Produkt ohne Gebrauchswert das Resultat von Arbeit sein, wenn ich die Definition von Arbeit (hier konkreter Arbeit) ernst nehme, und der Zweck der Arbeit darin besteht, eine Tauschwert (was nicht ohne Gebrauchswert geht) mit allem drum und dran zu produzieren. Oder man versteht unter „Arbeit“ ein Gedankending das jegliche Verausgabung von Hirn, Muskel, Nerv was also bestenfalls Arbeitskraft ist, das Vermögen, zu arbeiten als Arbeit bezeichnet.
Wenn für das Produkt schon Lohn gezahlt wurde, hat der Kapitalist halt einfach von seinem Vermögen auf seine Arbeiter umverteilt. Ebensogut hätte er ihnen diesen Teil seines Vermögens ohne die Verausgabung von Hirn, Muskel, Nerv und der erforderlichen anderen Produktionsmittel im Rahmen einer Schenkung übereignen können. Die ganze Kiste funktioniert also nur bei der Einheit von Wert und Gebrauchswert. Das betrifft jetzt nicht das genaue Quantum des Wertes sondern die Vollendung des Produktionsprozesses als eines gesellschaftlichen.
(57.1.5.6.1.1.1) Re: Reklamation und Arbeit, 20.06.2002, 13:23, Wolf Göhring: Du beschreibst in den ersten beiden absaetzen genau das "wertgesetz" (s. fast woertlich in absatz 19) und damit die krux der kapitalistischen produktion, naemlich: Die produzenten treten in gesamtgesellschaftlichen kontakt, nachdem produziert ist - und dann geht der aerger los. Die produkte, die sie im austausch gegeneinander halten, haben muehe und schweiss, "toil and trouble" (Adam Smith) gekostet, sie sind vergegenstaendlichte arbeit - und keiner will das im austausch bei der gegenseite anerkennen. Jeder rennt nach dem schnaeppchen.
Diese auseinandersetzung bringt uns den tauschwert mit dem geld hervor und laesst den tauschwert verschieden vom wert sein (Kapital I, MEW 23, s.49-109).
(57.1.5.6.2) Re: Wunderkräfte von IT, 17.06.2002, 17:23, Wolf Göhring: Du schreibst: "Nicht der Gegensatz von Kapital und Arbeit ist erklärungsbedürftig, ... Die Einheit dieses Prozesses ist erklärungsbedürftig."
Auf diesem abstrakten niveau, bei dem alles durch weglassen des konkreten radikal vereinfacht ist, laesst sich ganz einfach antworten: dialektische einheit. Aber das ist sicher nicht die art der antwort, die dir vorschwebte.
"Um feststellen zu koennen, wo diese einheit heute substanziell untergraben wird", erscheint mir etwas schief gefragt: Eine dialektische einheit kann, wie ich es sehe, nicht "untergraben" werden, so dass sie irgendwie auseinanderfaellt und das eine stueck, das kapital, vielleicht zur hoelle und das andere, die arbeit, zum himmel faehrt.
Ich lese bei dir die frage heraus, was substantiell zur aufhebung des kapitalverhaeltnisses fuehren koennte. Ich werd im folgenden kommentar eine antwort versuchen. Im grunde ist der ganze aufsatz der versuch einer antwort. In den folgenden absaetzen 57.1.5.6.3, -.4, -.5 und -.6 will ich in neuen worten den widerspruch skizzieren, der aus meiner sicht die IT hervorbringt und mit ihr die moeglichkeit, aus dem kapitalverhaeltnis herauszukommen.)
(Ausfuehrlich hab ich das folgende in "Die gesellschaftliche Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnik als besonderer Produktivkraft" beschrieben.)
(57.1.5.6.3) Re: Wunderkräfte von IT, 17.06.2002, 17:35, Wolf Göhring: Im Abschnitt über den "Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis" im "Kapital", Bd. I (S. 8598) hebt MARX vor allem den verkehrten Schein hervor, den die Warenform der Produkte erzeugt. MARX verweist dort auf die grundsätzliche Wissenslücke und deren ideologische Folgen, die im Austausch unabhängig voneinander, "privat" produzierter Güter liegen: "Da die Produzenten erst in gesellschaftlichen Kontakt treten durch den Austausch ihrer Arbeitsprodukte, erscheinen auch die spezifisch gesellschaftlichen Charaktere ihrer Privatarbeiten erst innerhalb dieses Austauschs."
Marx entwickelt dort nicht, daß der industrielle Kapitalist selbst gezwungen ist, diesen verkehrten Schein zumindest ein Stück weit wieder aufzuheben, da sich sonst die materielle, technische und personelle Seite von Produktion und Austausch überhaupt nicht organisieren ließe. Die Organisation praktisch und konkret zu handhaben, ist mehr oder weniger ausdrücklicher Teil der Arbeitsaufgabe der Lohnabhängigen. Dort am Arbeitsplatz geht es vor allem um die Produktion bis hin zur Auslieferung in den Handel und noch nicht so sehr um die Warenform der Produkte. Der verkehrte Schein dringt dort wenig hin.
In der Freizeit hingegen sind die Leute, wenn sie am unausweichlichen Konsum der gesellschaftlichen Produkte teilnehmen, mit deren Warenform konfrontiert. Im Austausch werden den Individuen "die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst ... zurückgespiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen bestehendes Verhältnis von Gegenständen." (S. 86). Es ist verkehrter Schein zu meinen, der elektrische Strom, um ein Beispiel zu nehmen, käme einfach auf Rechnung und nur aus der Steckdose: Es stehen Leitungen und Kraftwerke dahinter, Ressourcen werden verbraucht, Abfall entsteht, und vor allem: Leute machen die nötige Arbeit.
(57.1.5.6.4) Re: Wunderkräfte von IT, 17.06.2002, 18:33, Wolf Göhring: MARX hat vor nahezu 150 Jahren das Ergebnis der Entwicklung benannt, ohne jedoch die entstehende und über die kapitalistische Produktionsweise hinausführende Produktivkraft konkret analysieren zu können, obschon er sie an einigen Stellen knapp benannt hatte: "Die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses, d. h. des materiellen Produktionsprozesses, streift nur ihren mystischen Nebelschleier ab, sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter Menschen unter deren bewußter planmäßiger Kontrolle steht. Dazu ist jedoch eine materielle Grundlage der Gesellschaft erheischt oder eine Reihe materieller Existenzbedingungen, welche selbst wieder das naturwüchsige Produkt einer langen und qualvollen Entwicklungsgeschichte sind." (ebd. S. 94).
Die Informations- und Kommunikationstechnik dürfte sich als das naturwüchsige Produkt einer ebenso langen wie qualvollen Entwicklung, als die materielle Grundlage erweisen, vermöge derer wir Menschen den weltweiten gesellschaftlichen Lebensprozeß bewußt gestalten, indem wir - gestützt auf weltweit verfügbare Information - die weltweit bestehenden Bedürfnisse sozial und ökologisch tragfähig befriedigen und die Möglichkeiten künftiger Generationen bewahren.
(57.1.5.6.5) Re: Wunderkräfte von IT, 17.06.2002, 18:37, Wolf Göhring: Die kapitalistische Gesellschaft muß die Produktion von Gütern und deren Austausch als Waren bis zum scheinbaren Geht-Nicht-Mehr ausdehnen. Im Austausch hält sie einerseits die verdrehte Sicht aufrecht, so als wäre "das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit ein außer ihnen bestehendes Verhältnis von Gegenständen", andererseits hätte sie unter dieser verdrehten Sicht die Warenproduktion kaum steigern können. Die wachsende Organisationsarbeit wäre nicht zu leisten, denn dort dort geht es immer wieder um die simple Frage, wenn Zusammenhänge hergestellt werden: Wer macht es denn eigentlich? Erst in der konkreten Arbeit von Menschen, die sich aufeinander beziehen, also konkret gesellschaftlich arbeiten, wird der erdachte, zunächst nur geplante Zusammenhang materielle Wirklichkeit.
Die kapitalistische Produktion muß daher jene Verkehrung mit allen Mitteln wieder richtig stellen, obwohl sie diese verkehrte Sicht gleichzeitig und fortwährend reproduziert: Das Mittel, das sie zur Korrektur der Verdrehung liefern mußte und tatsächlich liefert, ist die Informations- und Kommunikationstechnik. Oder knapp gefaßt: Der Widerspruch von Zusammenhang und Entfremdung, auf den MARX in den "Grundrissen" (S. 8996) verwiesen hat, brachte die Informations- und Kommunikationstechnik hervor.
(57.1.5.6.6) Re: Wunderkräfte von IT, 17.06.2002, 19:03, Wolf Göhring: Diese Technik ist selbstredend Ware und ist als Ware so weit wie irgend möglich zu verbreiten: In jeden Winkel der Erde und in Jedermanns Hände. Diese Technik birgt in besonderer Weise den aufgezeigten Widerspruch: Überall, wo sie eingesetzt wird, vermag sie ganz ihrem Zweck, ihrem Gebrauchswert gemäß, aber ganz im Gegensatz zu ihrem eigenen Warencharakter den Individuen "die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit" als solche wieder zurückzuspiegeln, indem sie von den Individuen in der Organisationsarbeit eingesetzt wird.
Die Ausbreitung der IT ging in den letzten 10 Jahren rasant schnell: etwa 500 Millionen haben in dieser Zeitspanne Zugang zum Internet und zu PCs gefunden. Hochgerechnet bedeutet dies jedoch, dass bei diesem Tempo der fehlende Rest von 90 % der Menschheit erst in etwa 100 Jahren überall diese Technik vorfindet!
Was geschieht bis dahin?!
(57.1.5.6.6.1) Re: Wunderkräfte von IT, 19.06.2002, 21:47, Konrad Stoeber: Ich kann deine Argumentationen gut nachvollziehen und sie stehen meinen Ansichten nicht nicht fern. (sonst brauchten wir nicht zu diskutieren). Für mich steht ebenfalls die Frage, welche Veränderungen in den Produktivkräften erzwingen eine Aufhebung der Warenproduktion. Ganz sicher werden diese Technologien – wie viele andere - in einer „freien Assoziation“ unverzichtbar.
Der Knackpunkt scheint mir aber zu sein, dass die IT und die im IT-Bereich arbeitenden nicht in einem besonderen Widerspruch (will heißen in einem für IT charakteristischen) zu der Art der gesellschaftlichen Produktion stehen, aus der wir Wege suchen. IT passt im großen und ganzen prima in das Ensemble. Sie wird genutzt, um effektiver zu produzieren zu können, Büroarbeit zu disziplinieren etc. Aber sie wird genauso genutzt, um das Kapitalgetriebe, Börsengeschäfte, Zahlungs- und Kreditverkehr usw. zu „effektivieren“, was natürlich die T-Aktie nicht daran hindert, in den Keller zu sausen. Kurz, sie wird, wie ich das sehe im großen und Ganzen ungetrübt in dieser warenproduzierenden Gesellschaft wirksam, und greift natürlich auf nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche über.
(57.1.5.6.6.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 20.06.2002, 15:30, Wolf Göhring: Aktie ist aktie. Also kann die T-aktie in den keller sausen oder in den himmel steigen oder beides. "Diese Technik ist selbstredend Ware", schrieb ich oben ueber die IT, und sie wird in der warenproduzierenden gesellschaft eingesetzt. Sie zeigt darum alle macken, die der einsatz von waren hat. Warum sollte es anders sein?
Mit "Sie wird genutzt, um effektiver zu produzieren zu können" bist du schon nahe dran, an dem was sie charakterisiert. Die ungeheuer gesteigerte warenproduktion muss organisiert werden, organisieren sehr weit verstanden und zwar in dem sinne, dass zusammenhaenge herzustellen sind. Das wurde auch schon ohne IT gemacht, aber nicht in dem masse wie mit IT. (Stell dir vor, via segelschiff wuerde in den usa etwas bestellt.) Zusammenhang herstellen ist nun das genaue gegenteil von unabhaengig voneinander, isoliert, privat drauflos betriebener produktion. Voilà! Der wesentliche gebrauchswert der IT steht im widerspruch zur isolierten, den austausch und das kapitalverhaeltnis hervorbringenden produktion! Und dieser gebrauchswert wird perfektioniert, weil selbst die kapitalisten dies wegen des wertgesetzes benoetigen. Wenn das mal nichts ist!
"Sie wird, ... im großen und Ganzen ungetrübt in dieser warenproduzierenden Gesellschaft wirksam", schreibst du. Ja, was sollte sie denn auch trueben, wo sie doch gebraucht wird.
Sie "greift natürlich auf nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche über." Da hast du sprachlich voll den warenfetisch tanzen lassen lassen: Die IT greift nicht ueber, sie wird eingesetzt; Menschen tun's! Bei genauem hinsehen entpuppen sich die meisten davon als lohnabhaengige.
(57.1.5.6.6.1.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 20.06.2002, 16:19, Konrad Stoeber: Zu letzeterem - eingestanden. Man macht's natürlich manchmal auch der Einfachheit halber. Wenn ich also in Zukunft einen toten Gegenstand tanzen lasse, meine ich "Menschen tun's".
(57.1.5.6.6.1.1.1.1) Re: Wunderkräfte von IT, 21.06.2002, 11:52, Wolf Göhring: Klar!
Trotzdem noch ne anmerkung zu diesem jargon, den ich bei jeder gelegenheit kritisiere, denn mein eindruck ist, dass er von hoechst interessierter seite gepflegt wird.
Beispiel: Vor etwa 20 jahren machte die oetv in einer grossen halle in Duisburg eine eintaegige veranstaltung zum technischen fortschritt. 500 leute oder mehr, prominenz, journalisten, podium. Immer wieder der satz von oben und von der technologie-journaille: "Die technik setzt sich halt durch, da kann man nichts dagegen machen." Also ganz der warenfetisch und der verkehrte schein, was ich damals aber bei Marx ueberblaettert hatte. In der diskussion sagte ich, dass sich die technik nicht durchsetzen koenne, sondern durchgesetzt werde. Und beschrieb, wie das in verwaltungsspitzen zusammen mit vertriebsleuten der industrie abaeuft, an den beschaeftigten, an den betriebsraeten vorbei, dass diese bei deshalb ganz andere rechte - formal und praktisch - benoetigen. Friedel Farthmann, damals SPD-fraktionschef im duesseldorfer landtag, explodierte: Da sei "die revolution im saale ausgerufen" worden, der aber niemand folgen werde.
Der warenfetisch wird ideologisch, sprachlich und praktisch noch eine weile sein unwesen treiben.
(57.1.5.6.6.2) Re: Wunderkräfte von IT, 19.06.2002, 21:51, Konrad Stoeber: Die Organisation der Produktion wurde seit jeher von Menschen bewerkstelligt, und IT ist dabei ein Mittel. Deine Ansicht korrespondiert allerdings mit Deiner Lesart von der „Wissenslücke“, Im genannten Abschnitt im Kapital steht denn auch, „Seine Entdeckung (Bestimmung der Wertgröße durch die Arbeitszeit) hebt den Schein der bloß zufälligen Bestimmung der Wertgrößen der Arbeitsprodukte auf, aber keineswegs ihre sachliche Form.“(89) Es handelt sich aus meiner Sicht eben nicht um eine schlichte Wissenslücke, denn das würde heißen, man muss diesen Zusammenhang den Arbeitenden nur richtig verklickern und alles wird gut.
Im Zusammenhang mit der bürgerlichen politischen Ökonomie meint Marx: „Es sind gesellschaftlich gültige, also objektive Gedankenformen für die Produktions-verhältnisse dieser historisch bestimmten gesellschaftlichen Produktionsweise, der Warenproduktion.“(90)
(57.1.5.6.6.2.1) Re: Wunderkräfte von IT, 20.06.2002, 15:58, Wolf Göhring: "Man muss diesen Zusammenhang den Arbeitenden nur richtig verklickern und alles wird gut", schreibst du. Darum ging's nicht in meinem text. (Wer sollte auch den arbeitenden den zusammenhang verklickern?!) Es ging mir nicht um das "geheimnis der wertgroesse" (Marx), auch nicht um den "schein der bloss zufaelligen bestimmung der wertgroesse". Man koennte versucht sein, diese allgemeine feststellung lehrbuchmaessig "den arbeitenden" zu vermitteln. Es waere aber wenig gewonnen, wie die verflossenen experimente gezeigt haben. Um diese "wissensluecke" ging es mir nicht. Es ist eine im gebaelk des ueberbaus.
Es geht um die konkreten wissensluecken, die bei der produktion eines jeden fuer den austausch produzierten hosenknopfes auftreten, wenn naemlich drauflos produziert wird und erst im austausch die produzenten in gesellschaftlichen kontakt treten und ihnen erst dann die "spezifisch gesellschaftlichen Charaktere ihrer privatarbeiten" (Marx) erscheinen. Erst dann wissen die produzenten halbwegs, was konkret los ist, selbst wenn sie seit jahren das "geheimnis der wertgroesse" kennen. Sie wuessten's aber gerne genauer und frueher, um nicht unausgesetzt von "den stets schwankenden und zufaelligen austauschverhaeltnissen" gebeutelt zu werden. Moechtest du's im austausch nicht auch etwas genauer wissen? Konkrete "Wissensluecken" oder nicht, was heute besteht?
(Im abschnitt 57.1.5.6.2 hab ich auf ausfuehrlicheres verwiesen)
(57.1.5.6.6.3) Re: Wunderkräfte von IT, 19.06.2002, 21:56, Konrad Stoeber: Es ist aus meiner Sicht nicht nur das falsche Bewusstsein (Lang lebe die Aufklärung!) sondern die tagtägliche praktische Reproduktion von Gedankenformen die diese verkehrte Sicht produzieren. Das liegt ganz sicher nicht an der Einfalt der Akteure.
Ich denke mit diesen Gedankenformen ist nicht nur die bürgerliche politische Ökonomie angesprochen sondern das rationelle Denken, sofern es abstrakt und analytisch ist.
Da das ein Thema für sich ist, will ich hier nur darauf verweisen, dass die Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft auch eine neue Art rationellen Denkens etabliert hat, die z.B in der scholastischen Logik kein Gegenstück hat. Diese neue Art ist durch die Mathematik repräsentiert. Vielleicht bin ich jetzt nicht auf dem laufenden, aber die bis in die 30-er Jahre gehenden Bemühungen des Logizismus (Frege, Russel) die Mathematik auf die Logik zurückzuführen, sind wohl gescheitert. Das liegt wohl daran, daß beide auf gänzlich verschiedenen Voraussetzungen ruhen. Peter Ruben hat unter Verweis auf vorstehendes vor langer Zeit in einem Artikel „Wissenschaft als allgemeine Arbeit“ die Überlegung geschrieben: Der Sinn „des schrecklichen, in seiner Terminologie noch Hegelschen ersten Teils von Buch I" des Kapital` besteht in der genetischen Erklärung der Erzeugung von Wertdingen." Ist für Dich ganz sicher sehr interessant. (Genaueres bei Peter Ruben „Wissenschaft als allgemeine Arbeit“ SOPO 1976 Heft 2.(als Datei verfügbar)) Die dort vorfindbaren interessanten Ansätze sind zwar alt, soweit ich das übersehe aber leider nicht weitergeführt worden Die Oberdenker in der DDR wussten es natürlich viel besser. Aber sicher kennst Du diese Geschichte. Und ich denke, dass diese Art des Denkens auch als wissenschaftliches Denken einem sich selbst entwickelndem Gegenstand, wie der Gesellschaft nicht angemessen ist und diesen Schein aufrechterhält.
(57.1.5.6.6.3.1) Re: Wunderkräfte von IT, 20.06.2002, 16:33, Wolf Göhring: Ins gebiet des allgemeinen begriffs von bewusstsein und von gedankenformen wollte ich niemanden entfuehren. Mir ging's, zwar abstrakt dargestellt, um konkrete sachverhalte wie etwa: Wie kommt man in einer warenproduzierenden gesellschaft zu einer tasse kaffee? Da steckt eine menge computergestuetzter organisationsarbeit dahinter, um die einzelnen schritte von produktion und austausch passend zueinander hinzukriegen. In der kapitalistischen produktionsweise will "man" dauernd "auf zwei beinen gleichzeitig hurrah schreien": Ruehr meine privatheit nicht an, aber erloes mich von den resultierenden, schwankenden austauschverhaeltnissen. Mit der IT wird man solange an dem ganzen herumpfriemeln, bis die letzten kapitalisten erschreckt entdecken, dass die privatheit durch eine vernetzung ersetzt wurde.
(58) Ein mehr technisches Argument spricht ebenfalls dagegen, übergroße Pläne machen zu wollen. Nehmen wir das Beispiel des Handlungsreisenden, der eine Reihe von Städten bereisen soll und dazu die kürzeste Route sucht. Das ist eine typische "kleine" Planungsaufgabe. In der Praxis zeigt es sich, daß sie sehr "zäh" ist. Sie ist, wie man mittlerweile weiß, der Prototyp für Tausende, zunächst ganz verschieden aussehende Planungsaufgaben, allesamt aber ähnlich zäh. Die Aufgabe ist für zwei oder drei Städte banal, kinderleicht. Bei zehn ist sie tückisch, und bald wird sie praktisch unlösbar, zumindest kann es bis zum Tod der Enkel des Handlungsreisenden dauern, bis die optimale Lösung gefunden ist. Der Rechenaufwand zur Suche der kürzesten Route verdoppelt sich, wenn nur eine Stadt hinzukommt. Aber, so haben die Tüftler herausgefunden, eine Lösung, bei der man zufrieden ist, wenn die Route höchstens doppelt so lang als die kürzeste wäre, ist schnell gefunden. [9]
(58.1) optimale Lösung, 03.04.2002, 19:41, Birgit Niemann: "Aber, so haben die Tüftler herausgefunden, eine Lösung, bei der man zufrieden ist, wenn die Route höchstens doppelt so lang als die kürzeste wäre, ist schnell gefunden." Eben, wer zwingt uns denn, perfekter zu sein, als gut für unser subjektives Befinden ist?
(58.1.1) Re: optimale Lösung, 23.04.2002, 00:10, Konrad Stoeber: Zum Beispiel sinnlos verballerte natürliche Ressourcen auf überflüssigen Wegen. Was anderes ist es, wenn ich diesen zusätzlichen Weg auf mich nehme, um beim Joggen oder Fahrradfahren meinen sündigen Leib zu stählen.
(59) Die skizzierten Zusammenhänge lassen ein Bild erkennen, das sich weit von den sonst gezeichneten unterscheidet. Die "Zukunft der Arbeit" sieht anders aus, als wenn sie nur mit Blick auf die Produktion von Tauschwerten erörtert wird, denn Lohnarbeit und Arbeitslosigkeit werden entfallen, wenn die Individuen die gesellschaftliche Produktion "als ihr gemeinsames Vermögen handhaben". Die kapitalistische Produktionsweise, in scheinbar unbesiegbarer Höhe, produziert in der Informationstechnik die Mittel ihrer eigenen Aufhebung und animiert zu Verknüpfungen in der Produktion, die den Tauschwert antiquiert erscheinen lassen können. Gleichwohl erlaubt das gegebene Bild kein geduldiges Abwarten, bis die Zeit die Verhältnisse irgendwie neu geordnet hat. Hunger und Armut, 800 Millionen Arbeitslose und Unterbeschäftigte, die ökologischen Probleme und die Kriege auf dieser einen Erde drängen nach Lösungen. Die Widersprüche, mit denen die kapitalistische Ökonomie jedes Individuum überhäuft, lassen jedes Individuum nach persönlichen Auswegen suchen. In dieser Weise geht die Entwicklung naturwüchsig voran.
(60) Zu klären wäre, welche besonderen Zweige der Informations- und Kommunikationstechnik, welche Anwendungen, welche theoretischen Fragen besonders zu behandeln wären, um mehr Aufschluß über die skizzierte Entwicklung zu gewinnen. Dabei wären auch die Bildung, die Sozialleistungen bei Kindheit, Krankheit und Alter und die Gesundheitssysteme einzubeziehen. Diese sollten weder in Übergangsperioden noch späterhin zu Bruch gehen; ihr solidarischer Charakter muß Bestand haben.
(61) Ausgespart wurden in diesem Papier bürokratische Kontrollstrukturen, die mit der Informatisierung enorm anwachsen; ebenso die militärische Informatisierung. Die Gefahr von Monopolisierungen wurde hier nicht näher behandelt, wenngleich es auch eine Gegenbewegung gibt, indem sich das Kapital immer wieder aufspaltet, um die profitabelsten Produktionslinien herauszufinden. Es ist hier auch nichts zu nachhaltigem Wirtschaften10, zu den besonderen Bereichen der Rohstoff- und Nahrungsgewinnung, zu einer notwendigen Vorratswirtschaft, zu den bestehenden umfassenden Verkehrssystemen wie Straßen, Bahnen, Luftfahrt, Nachrichtensatelliten geschrieben worden.
(62) Und überhaupt: Wie käme man in einer Gesellschaft, in der es nichts mehr zu kaufen gäbe, zu einem Paar Socken? Die Skizze möge anregen, auch solche "weißen Flecken" zu behandeln.
(63) [1] Vgl.KARL MARX: Das Kapital, Band I, MEW 23, S. 49-118, und ders.: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, S. 89-95.
(64) [2] "The word VALUE, it is to be observed, has two different meanings, and sometimes expresses the utility of some particular object, and sometimes the power of purchasing other goods which the posses-sion of that object conveys. The one may be called 'value in use', the other 'value in exchange'." ADAM SMITH, Wealth of Nations, Prometheus Books, New York 1991, chap. IV, p. 34, 35.
(65) [3] Zu diesem Abschnitt vgl. auch: PETER BRÖDNER: Fabrik 2000. Alternative Entwicklungspfade in die Zukunft der Fabrik. Edition Sigma Bohn, Berlin 1985 ANDREAS BOES: Zukunft der "Arbeit" in der Informationsgesellschaft. In: JÖRG BECKER, WOLF GÖHRING (Hg.): Kommunikation statt Markt. Zu einer alternativen Theorie der Informationsgesellschaft. GMD-Report 61, Sankt Augustin 1999, S. 53- 66 WOLF GÖHRING: Informationsurwald. Marxistische Blätter 6/99, S. 57-63 Ders.: Entwicklung von Personalinformationssystemen im Widerstreit von Interessen. Unveröff. Manuskript. Sankt Augustin 1982-91, 64 Seiten
(66) [4] WERNER VON SIEMENS: Lebenserinnerungen. Leipzig 1943. Erstauflage ca. 1890. GEORGE KENNAN: Zeltleben in Sibirien (Tentlife in Sibiria). Bibliographisches Institut, Leipzig und Wien ca. 1890
(67) [6] Satelliten im Erdorbit: Telefon, Fernsehen und Aufklärung im Weltall, Prospekt einer Veranstaltung von Haus der Technik e. V. am 22.6.1999 in München
(68) [7] In diesem Abschnitt schreibe ich erstmals einige Gedanken auf, die ich schon länger im Kopf hatte. Manches ist deshalb noch etwas roh, vielleicht auch mißverständlich, vieles sicher auch ziemlich ungenau. Ergänzender Stoff ist in "Informationsurwald" zu finden, siehe http://ais.gmd.de/~goehring
(69) [8] Die erforderliche höhere Mathematik dazu findet man in der Topologie und Differentialgeometrie.
(70) [9] In der theoretischen Informatik hat man, nachdem man einige Planungsaufgaben in den Computer gesteckt und explodierenden Aufwand feststellte, eine Theorie der Komplexität von Rechenaufgaben entwickelt. Die Aufgabe des Handlungsreisenden gehört in die Gattung der sogenannten NP- vollständigen Probleme. Ein offenes, mathematisches Problem ist heute der formelle Nachweis, daß der Rechenaufwand bei NP-vollständigen Problemen tatsächlich wie oben im Text behauptet, exponentiell wächst. Ohne daß dieser Beweis vorliegt, geht man heute aber allgemein davon aus, daß dem so ist. Die Komplexität praktischer Aufgaben und praktischer Lösungsverfahren wird heute in der Informatik regelmäßig untersucht, gleichwohl sind diese Fragen "sperrig", d.h. auch komplex.
(71) [10] In dem Papier "The productive information society : a basis for sustainability" hat der Autor die skizzierte Entwicklung mit nachhaltigem Wirtschaften in Verbindung gebracht. Außerdem: Nachhaltigkeit und Warenproduktion; siehe auch http://ais.gmd.de/~goehring