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Den Traditionsmarxismus aufheben
Maintainer: Stefan Meretz, Version 1, 18.03.2002
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv
(1) Den Traditionsmarxismus aufheben
(2) Beim Schreiben des Aufsatzes wuchs sich das Thema, zu dem ich aufgefordert war - Stellungnahme zur Kritik am Wertbegriff der »Gruppe Gegenbilder« [1] - immer mehr aus. Es war mir nicht möglich, einfach eine Zurückweisung, Klarstellung oder Gegenposition zu formulieren ohne auf den »Denkkontext«, in dem sich die Auseinandersetzung bewegt, einzugehen. Dieser Denkkontext bewegt sich nach meiner Einschätzung zwischen den Polen des »Traditionsmarxismus« und der »Wertkritik« [2]. Nur so erschien mir eine produktive Diskussion möglich, die eine »Schubladisierung« vermeidet.
(3) Ich beginne mit eher metatheoretischen Betrachtungen über den Charakter von »Begriffen« und das Theorie-Praxis-Verhältnis, gehe dann auf die Kritik des Wertbegriffs des »Gegenbilder-Buches« ein, entwickle daraus eine Kritik an der Zirkulationsfixierung und Arbeitsontologie des Traditionsmarxismus, diskutiere die »Aufhebungsvorstellungen« von Traditionsmarxismus und Wertkritik, um daraus schließlich Kriterien für meine eigene Position zu entwickeln. Ich schreibe hier mithin nicht für die »Gruppe Gegenbilder«, sondern ausschließlich für mich.
(4) In den »Materialien zur 48. KW/2000« kritisiert Werner Imhof u.a. den im Buch »Freie Menschen in freien Vereinbarungen« der »Gruppe Gegenbilder« verwendeten Begriff des »Werts«. Das Zitat aus dem »Gegenbilder-Buch«, auf das sich Werner bezieht, lautet: »In der Produktion wird abstrakte Arbeit verrichtet. Sie heißt abstrakt, weil es unerheblich ist, was produziert wird. Hauptsache es wird Wert geschaffen. Der Wert ist die Menge an Arbeitszeit, die in ein Produkt gesteckt wird. Werden auf dem Markt Produkte getauscht, dann werden diese Werte, also Arbeitszeiten, miteinander verglichen. Zwischen den direkten Produktentausch tritt in aller Regel das Geld, das keinen anderen Sinn besitzt, außer Wert darzustellen.« (7)
(5) Hieran ist in der Tat einiges schief. Wir haben die Schiefheit zugunsten einer deskriptiven, möglichst einfachen Darstellung in Kauf genommen. Ich glaube dennoch, dass diese beschreibende Darstellung im Gesamtkontext des Buches verständlich wird und nicht »falsch« ist, wie Werner meint. Auf dem von ihm vermuteten »Hauptfehler« gehe ich ausführlicher ein, denn ich vermute eine bestimmte Lesart der Marxschen Wertformanalyse, die ich nicht teile. Beginnen möchte ich jedoch mit einigen Reflexionen über Erkenntnisformen und das Verhältnis von Theorie und Praxis.
(5.1) 30.03.2002, 18:31, Werner Imhof: Die Darstellung ist alles andere als "deskriptiv". Kein Mensch hat je in der Produktion "abstrakte Arbeit" beobachtet, auch nicht, daß dabei "Wert geschaffen" wird. Daß es "abstrakte Arbeit" ist, die im Tauschwert oder Preis der Waren in Erscheinung tritt, erschließt sich nur dem abstrahierenden Denken, nicht der sinnlichen Wahrnehmung. Die "Schiefheit" der Darstellung kommt gerade daher, daß Ihr einen theoretischen Befund wie eine empirische Tatsache präsentiert und damit ein Verständnis vorspiegelt, das tatsächlich Verständnislosigkeit verrät: nämlich die Gleichsetzung bzw. Vermengung von Erscheinung und Erscheinendem. Das der Erscheinung praktisch Zugrundeliegende, die darin erscheinende gesellschaftliche Praxis - der Austausch zwischen Privatproduzenten - bleibt dadurch ein Rätsel, das Du noch dadurch potenzierst, daß Du (weiter unten) die Praxis selbst zum "Medium des Scheins" degradierst. Die Folge ist, daß Du jedesmal, wenn Du Dich auf die Praxis der kapitalistischen Produktionsweise konkreter einläßt (was selten genug passiert), voll daneben tappst. So auch hier.
(5.1.1) Zum Prozess der Bucherstellung, 10.04.2002, 17:19, Stefan Meretz: Wir haben das Büchlein nicht für TheoretikerInnen geschrieben, sondern für vor allem für Menschen, die mit Theorie sich (zu) wenig beschäftigen, dafür aber in verschiedenen Bewegungen aktiv sind (Anlass war ja der Widerstand gegen die Expo). Ein grosser Teil der Diskussionen bei der Erarbeitung der Texte drehte sich um die Frage: Ist das überhaupt verständlich? Solidarische Kritik an dem Text ist erwünscht, eine besserwisserische Haltung, die uns nur "nachweisen" will wie "doof" wir sind und was wir alles "nicht verstanden" haben, finde ich unangebracht. Diese Haltung klingt in deinen Kommentaren an, und das ist nervig, das erinnert mich an "früher". Egal.
(5.1.2) Beschreibung, 10.04.2002, 17:21, Stefan Meretz: Du redest immer von Praxis und kannst mit dieser Art der Beschreibung (im Zitat) nichts anfangen. Das verstehe ich nicht. Selbstverständlich ist die "Abstraktheit" der Arbeit, die Gleichgültigkeit gegenüber dem Nutzen der Produkte sinnlich erfahrbar. Na klar ist es nachvollziehbar, dass es "unerheblich ist, was produziert wird. Hauptsache es wird Wert geschaffen." Usw. Das ist (un-)sinnliche Praxis der Lohnarbeit. Die Zeit des "Arbeiterstolzes" auf "sein Produkt" ist vorbei. - Zugegeben, durch die Beschreibung, die in marxschen Termini daherkommt, ist die Trennung von Begriff und Erscheinung verwischt. Diese Kritik ist akzeptiert: Es ist kein Theorietext i.e.S.
(5.2) 30.03.2002, 18:32, Werner Imhof: Daß Du die Schiefheit zugunsten einer "möglichst einfachen Darstellung in Kauf genommen" hättest, ist eine schlechte Ausrede. Denn erstens vereinfacht eine schiefe Darstellung nicht das Verständnis, sie erschwert es, wenn sie es nicht sogar, wie hier, verhindert. Und zweitens hast Du die "schiefe" Darstellung (insbesondere den von mir nicht nur vermuteten, sondern beschreibend nachgewiesenen "Hauptfehler") nirgendwo "zurechtgerückt", weder "im Gesamtkontext des Buches" noch in diesem Text, noch in einem anderem Deiner mir bekannten Texte. Du konzedierst, daß "in der Tat einiges schief" ist - um es dabei zu belassen. Mehr noch: Um Deine Sprachlosigkeit gegenüber dem Austausch und die platte These von der Knappheit der Güter als Grund ihrer Verwandlung in Waren zu verteidigen, versteigst Du Dich auch noch zur Kritik einer vermeintlichen "Zirkulationsfixierung". Doch dazu später. Zunächst möchte ich Eure "schiefe" Darstellung mit einer sinnvollen Version kontrastieren:
(5.2.1) Austausch, 10.04.2002, 17:23, Stefan Meretz: Mir ist schleierhaft, warum du so auf dem Austausch herumreitest. Ja, klar erhalten die Güter erst durch den Austausch Warenform. Der "ganzen Scheisse" liegt der Tausch zugrunde (nicht umsonst betone ich die Tauschfreiheit bei der Freien Software). Das ist evident, einleuchtend, nachvollziehbar, aber keine super-neue Erkenntnis. Du meinst, wir hätten es deutlicher bringen sollen? Ok, kann sein. Wie mit dem Privateigentum. Auch das ist "klar". Das ist doch echt nicht (mehr) die Frage, sondern: Wie kann eine andere Form der Vergesellschaftung jenseits von Staat, Markt, Tausch, Geld aussehen? Und warum haben es die gehabten "Aufhebungen des Privateigentums" nicht gebracht? Zu deiner Erklärung dieser Frage komme ich später.
(5.2.2) Knappheit, 10.04.2002, 17:24, Stefan Meretz: Dass du immer doch behauptest, ich würde in der Knappheit den Grund für die Warenform sehen, ist echt doof. Das habe ich bereits auf der KW48 korrigiert. Der Kontext war die Softwareproduktion. Hier spielt die explizite juristische Herstellung von Knappheit eine entscheidende Rolle. Aber auch generell gilt: Knappheit ist eine Voraussetzung für die Warenform (nicht die Ursache). Wichtig ist dabei, dass erst langsam ins Bewusstsein der Linken rückt, dass Knappheit keine naturale Eigenschaft der Dinge, sondern ein gesellschaftlich hergestelltes Verhältnis ist (im Unterschied zur Begrenztheit von Ressourcen). Das wird nur bei Informationsprodukten besonders deutlich, bei denen die Transaktionskosten gegen Null gehen. Es gilt aber generell auch bei "stofflichen" Produkten und Dienstleistungen. - Längeres Thema. Literaturempfehlung dazu: Sabine Nuss, Download ist Diebstahl? Eigentum in einer digitalen Welt, in Prokla 126, online hier.
(5.2.2.1) Re: Knappheit, 18.04.2002, 18:50, Werner Imhof: Die "juristische Herstellung von Knappheit", ein "gesellschaftlich hergestelltes Verhältnis" - manche Leute nennen das schlicht: Privateigentum.
(5.3) 30.03.2002, 18:33, Werner Imhof: In der Warenproduktion wird gesellschaftliche Arbeit in Form voneinander getrennter Privatarbeiten verrichtet. Ihr gesellschaftlicher Charakter besteht darin, daß a) ihre Produkte fremdes Bedürfnis befriedigen (sollen) und b) sie Teil der gemeinsamen Gesamtarbeit sind. Die Produkte der Privatarbeiten können ihren konsumtiven Zweck aber nur über den Austausch erfüllen, also durch ihren Eigentümer- und meistens auch Ortswechsel. Durch den Austausch erhalten die Produkte Warenform, als Gebrauchs"werte" oder nützliche Produkte sind sie zugleich Träger von Tauschwert. Der Tauschwert einer Ware ist zunächst nichts anderes als ihr Austauschverhältnis mit anderen Waren. In der einfachsten Wertform wird sie nur einer anderen Ware in bestimmter Proportion gleichgesetzt; in der Geldform, im Preis, wird sie allen anderen Waren in bestimmten Proportionen gleichgesetzt. An der Oberfläche des Marktes scheinen die Tauschwerte resp. Preise der Waren allein bestimmt durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, durch subjektive Vorlieben, persönliches Verkaufsgeschick und ähnliches. Tatsächlich setzen sich in ihnen der gesellschaftliche Zusammenhang der Warenproduzenten und die Begrenztheit ihrer gemeinsamen Gesamtarbeit durch. Denn im Austausch reduzieren die Produzenten ihre vielen verschiedenartigen Privatarbeiten auf eine einzige gleichartige Arbeit, auf gleiche menschliche Arbeit ohne weitere Qualifikation, die sie im Austauschverhältnis ihrer Produkte in bestimmten Proportionen gleichsetzen. "Sie wissen das nicht, aber sie tun es." Verschiedentlich wird diese gleiche menschliche Arbeit auch "abstrakte Arbeit" genannt. Sie heißt aber nicht so, "weil es unerheblich ist, was produziert wird", sondern weil die unterschiedlichen Privatarbeiten nur vergleichbar werden durch Abstraktion von allen Ungleichheiten. Die Summe aller realisierten Tauschwerte resp. Preise kann logischerweise nichts anderes sein als der Wert- resp. Geldausdruck dieser gesellschaftlichen Gesamtarbeit. Jede einzelne Ware oder Warenart kann folglich in der Regel auch nicht mehr davon im Austausch realisieren, als ihr gesellschaftlich notwendiger Anteil daran ausmacht, wobei das Maß des Notwendigen zum einen durch die durchschnittliche Produktivität der Arbeit bestimmt ist, zum andern durch die zahlungsfähige Nachfrage. An der Oberfläche des Marktgeschehens ist dieser Zusammenhang unsichtbar. Hier werden keine Arbeitszeiten und schon gar keine Werte verglichen, sondern Preise, also Austauschverhältnisse, gesetzt oder auch ausgehandelt, ohne daß die Beteiligten wissen (müssen), daß sie dabei bestimmte Arbeitsmengen gleichsetzen, reduziert auf gleichförmige einfache Arbeit, oder gar daß den Preisen der Waren ihr notwendiger Anteil an der gesellschaftlichen Gesamtarbeit zugrunde liegt. - So etwa könnte eine nicht-schiefe Beschreibung der Warenproduktion aussehen, in der allerdings die Spezifika ihrer kapitalistischen Form ebenso zu kurz kämen wie in Eurem schiefen Original.
(5.3.1) Alternativvorschlag, 10.04.2002, 17:25, Stefan Meretz: Danke für die Alternativfassung, vielleicht gibt es ja Gelegenheit, sie bei einem neuen Projekt einzubringen. In das Gegenbilderbuch wäre diese Fassung vermutlich (so) nicht gelangt: Zu unverständlich, zu lang, Vermischung von Herleitung und Darstellung. Und inhaltlich hätte ich auch Einwände. Aber darum soll es hier jetzt nicht gehen.
(6) Natürlich »ist« der Wert nicht die Menge an Arbeitszeit. Diese analytisch nicht haltbare Aussage verweist auf ein Kernproblem jeder Beschäftigung mit dem Gegenstand der warenproduzierenden Gesellschaft: den Textcharakter der Darstellung. In meiner Sicht gibt es zwei große Klassen von Texten, die zu unterscheiden sind:
- analytisch-kategoriale Texte: i.w.S. »Theorie-Texte«
- deskriptiv-empirische Texte: i.w.S. »Praxis-Texte«
(6.1) Re: Einheit von Theorie und Praxis?, 30.03.2002, 18:34, Werner Imhof: Das "Kernproblem jeder Beschäftigung mit dem Gegenstand der warenproduzierenden Gesellschaft" liegt nicht im "Textcharakter der Darstellung", sondern in der Art und Weise der Beschäftigung selbst, in der Art und Weise, wie man den "Gegenstand" zu begreifen, zu fassen sucht. Faßt man die warenproduzierende Gesellschaft als Ensemble bestimmter praktischer Verhältnisse und Beziehungen der Menschen, dann ist jede Analyse auch immer eine Beschreibung ihrer Praxis und jede gründliche Beschreibung immer schon eine Analyse. Faßt man "die Gesellschaft" dagegen als der menschlichen Praxis äußerlichen Zusammenhang dinglicher Verhältnisse und sachlicher Zwänge und die Praxis selbst als "Medium des Scheins", dann wird noch so viel analytischer und kategorialer (und rhetorischer) Aufwand nicht über die Ebene der abstrakten Deutung und der deutelnden Kritik hinaus kommen und zu einem Verständnis der herrschenden Praxis gelangen, das das Verständnis ihrer Aufhebung einschließt. Ich halte es lieber mit dem Marx der Feuerbach-Thesen: "Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mystizismus veranlassen, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und in dem Begreifen dieser Praxis." (These 8)
(6.1.1) Re: Einheit von Theorie und Praxis?, 12.04.2002, 12:38, Stefan Meretz: Akzeptiert, das Kernproblem ist die Art und Weise wie man den Gegenstand zu begreifen sucht. Deswegen ist das "jeder Beschäftigung" im zitierten Satz daneben. Mir ging es aber darum, zwischen Theorie- (analytisch-kategorialen) und Praxis- (deskriptiv-empirischen) Texten zu unterscheiden. Dich verstehe ich so, dass du diesen Unterschied nicht siehst bzw. bestreitest.
(6.1.1.1) Re: Einheit von Theorie und Praxis?, 18.04.2002, 18:55, Werner Imhof: Ich bestreite den Unterschied nicht, ich halte ihn nur für wenig hilfreich, weil er am "Kernproblem" vorbeigeht, vg.l #9.2.
(6.1.2) Re: Einheit von Theorie und Praxis?, 12.04.2002, 13:03, Stefan Meretz: Ja, selbstverständlich geht es darum, die "warenproduzierende Gesellschaft als Ensemble bestimmter praktischer Verhältnisse und Beziehungen der Menschen zu begreifen". Die Frage ist, wie man zu diesem Begreifen kommt. Es ist aber ein in der bürgerlichen Wissenschaft weit verbreiteter (positivistischer) Irrglauben, "jede gründliche Beschreibung immer schon eine Analyse" darstellt. Ja, eine bestimmte Art von "Analyse" ist das natürlich schon: eben notwendig eine sich in den Kategorien der warenproduzierenden Gesellschaft bewegende "Analyse", denn Teil der Praxis sind auch die (objektiven) Denkformen. Damit wird aber nichts begriffen, sondern nur die erscheinende Oberfläche "beschreibend" verdoppelt. Marx hat einen erheblichen analytischen/kategorialen Aufwand betrieben, um den Schein, den die warenproduzierende Gesellschaft permanent erzeugt, zu durchdringen. Und du nutzt das, du kannst bestimmte Dinge überhaupt erst erkennen, weil Marx diese kategoriale Arbeit getan hat. Du könntest deine Beschreibungen der Praxis überhaupt nicht machen, würden die Marxschen Kategorien nicht vorliegen. Es sind sozusagen "Brillen", mit denen du auf Realität guckst - ohne sie würdest du vieles nicht sehen. Solche "Brillen" aber liegen nicht in der "Praxis" rum, sondern müssen erst wissenschaftlich mit Hilfe einer bestimmten Erkenntnismethode (logisch-historische Analyse, Dialektik) geschaffen werden - nicht neben der Praxis oder gegen die Praxis oder platte Abbildung der Praxis, sondern als begriffliche Rekonstruktion der immanenten Bewegungslogik des Gegenstands.
(6.1.2.1) Re: Einheit von Theorie und Praxis?, 18.04.2002, 19:01, Werner Imhof: "Immanente Bewegungslogik des Gegenstands" - genau, und der Gegenstand, um den es geht, ist die menschliche Praxis. Was uns hilft, sie zu durchschauen, sind aber nicht die Marxschen Kategorien - die hat er größtenteils aus der Politischen Ökonomie übernommen -, sondern ihre Ent-Wicklung, ihre Auflösung in verselbständigte und gegensätzliche Formen gesellschaftlicher Arbeit.
(6.1.3) Re: Einheit von Theorie und Praxis?, 12.04.2002, 13:28, Stefan Meretz: Wieso soll "Gesellschaft" ein der menschlichen Praxis äußerlicher Zusammenhang sein? Die Gesellschaft ist der Zusammenhang menschlicher Praxis. Was ich zu Gesellschaft sage, will ich hier nicht wiederholen, sondern verweise auf Absatz (6) im Projekt "Der wilde Dschungel der Kooperation", wobei es dort vor allem um das Verhältnis von Individuum, Kooperation und Gesellschaft geht.
(6.1.3.1) Re: Einheit von Theorie und Praxis?, 18.04.2002, 19:05, Werner Imhof: "Die Gesellschaft ist der Zusammenhang menschlicher Praxis" - schön, daß Du das immerhin hier anerkennst. Im Text steht es aber andersrum. Da konstituiert etwa das Wertgesetz als apersonaler Mechanismus Sozialität, nicht umgekehrt eine bestimmte Sozialität das Wertgesetz.
(7) Das Verhältnis zwischen beiden Textklassen ist angespannt - eine Spannung, die nicht zugunsten eines einfachen Deduktionsverhältnisses aufzulösen ist. Weder ist der (analytische) Begriff einfach aus der Anschauung der Empirie entnehmbar, noch geht die Praxis im Begriff auf: »Die allseits propagierte Einheit (von Theorie und Praxis, d. Verf.) ist kontraproduktiv. Wenn Theorie Praxis folgt, wird sie zur Ideologie. Wenn Praxis Theorie folgt, ist Sektierertum am Werk.« [3]. Theorie kann also nicht »unmittelbare Handlungsanleitung sein« und Praxis nicht »gelebte Theorie«.
(7.1) 30.03.2002, 18:35, Werner Imhof: Warst Du eben noch bei der "Beschäftigung mit dem Gegenstand der warenproduzierenden Gesellschaft", springst Du nun unvermittelt mit Schandls Zitat zum Verhältnis von Theorie und Praxis einer revolutionären (?) oder antikapitalistischen (?) Bewegung. Denn darum handelt es sich offensichtlich, wenn Schandl die "allseits propagierte Einheit" von Theorie und Praxis verwirft. Daß die theoretische Kritik der Warenproduktion, zumal der kapitalistischen, nicht die Praxis ihrer Akteure "anleiten" kann, liegt auf der Hand. Aber was hat das mit dem Verhältnis von Theorie und Praxis einer möglichen Bewegung zur Aufhebung der Warenproduktion zu tun? Es wird sich noch zeigen.
(7.2) 30.03.2002, 18:36, Werner Imhof: Wo die Einheit von Theorie und Praxis beschworen wird, ist in der Tat Vorsicht geboten. Denn die Beschwörung setzt voraus, daß Theorie und Praxis auseinanderfallen, voneinander getrennt sind. Nun kann dieses Auseinanderfallen ja äußere, nicht im fraglichen Subjekt liegende Gründe haben, etwa Herrschaftsverhältnisse, die die Umsetzung der Theorie in die Praxis verhindern. Aber das ist offensichtlich nicht gemeint. Gemeint ist offenbar eine dem "Wesen" von Theorie und Praxis selbst entspringende, "seinsnotwendige" Diskrepanz zwischen ihnen, ihre Zugehörigkeit zu zwei disparaten Sphären menschlicher Lebensäußerung, die ihre Übereinstimmung verhindert. Die Theorie ist demnach verurteilt, wesentlich unpraktisch oder praxisfern zu bleiben, und die Praxis, wesentlich theorielos oder von "falschem" Bewußtsein begleitet. Gerade so sahen es auch - die "Traditionsmarxisten" von Kautsky bis Honecker, die den Gegensatz oder das "Spannungsverhältnis" von Theorie und Praxis zudem noch in das "Spannungsverhältnis" zweier disparater Subjekte verdoppelten: Die "wissenschaftliche" Theorie war Sache einer besonderen Intelligenz, die Praxis die der arbeitenden Klassen. Im Unterschied zu Schandl und Dir waren die "Traditionsmarxisten" allerdings noch im Glauben, die Kluft zwischen Theorie und Praxis durch "die Partei" als "Verbindung von Sozialismus und Arbeiterbewegung" und durch ihre "führende Rolle" vor wie nach der "Machteroberung" überbrücken zu können und zu müssen, während Du Dich mit Schandl von diesem Anspruch distanzierst. Er würde ja auch nur noch lächerlich wirken nach dem schmählichen Niedergang des "Traditionsmarxismus".
(7.2.1) Theorie und Praxis identisch?, 12.04.2002, 13:39, Stefan Meretz: Sind bei dir Theorie und Praxis "eigentlich" (wenn nicht durch Herrschaftsverhältnisse blockiert) identisch? Wenn nein, wie fasst du diese Nicht-Identität, das "Auseinanderfallen", dann?
(7.2.1.1) Re: Theorie und Praxis identisch?, 20.04.2002, 17:21, Werner Imhof: Natürlich sind Theorie und Praxis nicht "identisch", sonst bräuchte es keine zwei Begriffe dafür. Aber gewöhnlich sind sie in einem Subjekt vereint. Wenn Du nun mit Schandl behauptest, daß Theorie nicht Praxis und Praxis nicht Theorie folgen darf, weil daraus immer nur Ideologie und Sektierertum folgen können, dann heißt das entweder, daß ein Subjekt, das sich danach richten wollte, schizophren sein müßte (weil es keine Praxis ohne sie begleitendes/leitendes Bewußtsein gibt), oder daß Theorie und Praxis von vornherein verschiedenen Subjekten zugerechnet werden.
(7.2.2) Theorie und Distanz, 12.04.2002, 14:03, Stefan Meretz: Jedes Handeln ist theoriegeleitet. Ich verwende hier Theorie im weiten Sinne als "Alltagstheorie", vgl. Abs. (8). Diese Übereinstimmung ist maximal, dieses Handeln kann sich nur in den dominanten nahegelegten Formen des Denkens, eben der Alltagstheorie, abspielen. Will ich das unmittelbar Nahegelegte hinterfragen (sagt ja schon das Wort) - aus welchen Gründen auch immer -, dann trete ich in kritische Distanz zu den nahegelegten Formen des Denkens und zu meinem Handeln. Kritik setzt Distanz voraus. Das Problem ist nicht die fehlende Übereinstimmung von Theorie und Praxis - im Gegenteil, die war ja maximal -, sondern die Tatsache, dass die Praxis Scheisse ist und ich Grund habe, sie zu ändern. Ich brauche also kritische Denkformen (Theorie), die mir ein widerständiges Denken und Handeln ermöglichen. Diese können nicht mit der Praxis übereinstimmen, denn sie sollen mir ja helfen, mit gehabter Praxis zu brechen, sollen mir neue Handlungsmöglichkeiten aufzeigen etc. - Diese Diskrepanz und Spannung hat nichts mit disparaten Lebenssphären oder Nicht-Praxis zu tun. Sie ist erkenntnisnotwendige Voraussetzung für eine mögliche andere Praxis. Vorsicht ist also nicht denen gegenüber geboten, die die Einheit von Theorie und Praxis beschwören, sondern auch denen gegenüber, die eine Übereinstimmung von Theorie und Praxis behaupten.
(7.2.2.1) Re: Theorie und Distanz, 20.04.2002, 17:29, Werner Imhof: "Jedes Handeln ist theoriegeleitet." Richtig. Im Text behauptest oder postulierst Du mit Schandl das Gegenteil. Du solltest Dich schon verantwortlich verhalten zu dem, was Du in die Welt setzt. Außerdem merkst Du offenbar nicht den Sprung in Deiner Argumentation. Hier sprichst Du jetzt von der Praxis der Warenproduktion und der kritischen Theorie dieser Praxis (die natürlich nicht übereinstimmen können). Das Schandl-Zitat bezieht sich dagegen offensichtlich auf das Verhältnis von (wie immer gearteter) gesellschaftskritischer oder -verändernder Theorie und Praxis, deren Übereinstimmung nicht erwünscht sei.
(7.3) 30.03.2002, 18:37, Werner Imhof: Doch einem Dilemma entgeht man nicht dadurch, daß man den Anspruch verwirft, es zu lösen, erst recht nicht dadurch, daß man es zu einem quasi "ontologischen" Prinzip erklärt. Das ist keine Überwindung des "Traditionsmarxismus", sondern ein Rückschritt noch hinter ihn, eine Rückzugsposition (durch Desillusionierung und Sektierertum) traumatisierter Intellektueller, die sich die Theorieproduktion als ihr Spezialmetier erhalten möchten, ohne Gefahr zu laufen, von der Praxis blamiert oder widerlegt zu werden. Eine Position, die auch noch die Spaltung der gesellschaftlichen Subjekte in einen "erhabenen", theoretisierenden und in einen "niederen", praktizierenden Teil reproduziert, der sie zu entgehen meint. Denn tatsächlich ist ein Zustand, in dem weder die Praxis der Theorie noch die Theorie der Praxis folgen "darf", für ein und dasselbe Subjekt - sei es Individuum, Organisation oder Klasse - auf die Dauer überhaupt nicht auszuhalten.
(7.3.1) 12.04.2002, 14:05, Stefan Meretz: Du versteigst dich in Behauptungen, die nur ärgerlich sind und die ich nicht kommentieren will.
(7.4) 30.03.2002, 18:38, Werner Imhof: Jeder handelnde Mensch handelt mit Bewußtsein, auch wenn es entfremdet sein mag wie die Praxis, der es entspringt. Ebenso ist menschliches Denken, jedenfalls soweit es den Menschen als Gesellschaftswesen zum Gegenstand hat, immer auf Praxis gerichtet, und wenn auch manchmal nur, um sie zu bestätigen oder von ihr bestätigt zu werden. Sobald aber Bewußtsein und Praxis (eigene wie fremde) miteinander in Konflikt geraten, wird mensch diesen Konflikt zu entschärfen suchen, sei es durch den Versuch, die Praxis zu ändern - individuell oder in sozialen Bewegungen - oder ihr zu entkommen, sei es durch Anpassung des Bewußtseins, sei es durch künstlerische Verarbeitung des Konflikts, sei es durch seine Rationalisierung oder Verdrängung. Die Vorstellung aber, die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis sei - bei "metatheoretischer" Betrachtung - ein erhaltenswerter Vorzug der Theorie selbst (die sich natürlich über die theorieferne oder "falsche" Praxis erhaben dünken darf), ist so abgeschmackt, daß eigentlich nur abgehobene "Kopfarbeiter" an ihr Gefallen finden könnten.
(7.4.1) Konflikt und Diskrepanz, 18.04.2002, 09:14, Stefan Meretz: Was ist der Unterschied zwischen "Konflikt" und "Diskrepanz"? Ist der Unterschied letztlich nur, dass ich in der Tat die "Diskrepanz" für einen Vorzug halte und du für - ja, was - einen Nachteil, einen zu behebenden "Fehler"? Du meinst, es solle Ziel sein, die "Überstimmung" von Theorie und Praxis jeweils möglichst schnell wieder herzustellen? - Das halte ich für sehr gefährlich. Ja, es ist so, dass viele einen Konflikt - ich nehme deinen Begriff mal auf - zwischen Denken und Handeln (Bewusstsein und Praxis) zu entschärfen suchen. Meistens wird dabei das Denken an die Praxis angepasst, ich vermute das meinst du mit "Rationalisierung oder Verdrängung". Dieses Alltagsdenken, dieses Deuten, diese Alltagstheorie, diese "Naturformen des Denkens" (Haug) können nur über den denkenden Widerstand gegen das Nahegelegte, den Oberflächenschein, das scheinbar Naturhafte in Richtung auf ein Begreifen überschritten. Dabei ist die Diskrepanz zwischen Theorie/Denken und Praxis/Handeln nicht bloß ein "Vorzug", sondern sie ist genuin menschlich und unabdingbare Voraussetzung.
(7.4.2) Theorie, 18.04.2002, 09:34, Stefan Meretz: Dass Denken und Handeln nicht identisch sind, dass Denken und Handeln nicht unmittelbar zusammengeschlossen, sondern vermittelt sind, dass es eine erkennende Distanz, eine Diskrepanz gibt, ist eine menschliche Fähigkeit, die es zu nutzen gilt (Tiere verfügen darüber nicht). Wir tun das hier nämlich gerade, wir nutzen den Vorzug von Theorie, der darin besteht, verschiedene Denk- und Handlungsoptionen hinsichtlich ihrer Konsequenzen nichthandelnd, eben erstmal nur denkend, durchzuspielen. Das halte ich für einen unermesslichen Vorteil von Theorie, und ich finde es sinnvoll und nützlich, dass Menschen wie du und ich und andere genau diesen Vorzug nutzen und sich im Medium von Theorie bewegen. - Ob sich aber irgendwer über andere wegen irgendwas "erhaben" dünkt, hat damit nichts zu tun, gar nichts. Deine Polemik (letztlich gegen dich selbst, du "Kopfarbeiter") finde ich aber erschreckend. Sie erinnert mich an die bestenfalls naiven und schlimmstenfalls eliminatorischen Unmittelbarkeitsvorstellungen, die ich unten kritisiere (ab Absatz 28).
(7.5) 30.03.2002, 18:38, Werner Imhof: Jede, selbst bürgerliche, Gesellschaftstheorie, die als solche ernst genommen werden (und nicht nur wolkige Träumerei oder Utopie sein) will, zielt auf gesellschaftliche Praxis als ihren Gegenstand und als Prüfstein ihrer Realitätstauglichkeit. Erst recht muß jede Gesellschaftskritik mit emanzipatorischem Anspruch sich an ihrem "positiven Verständnis" der herrschenden Praxis ebenso messen lassen wie an der daraus entwickelten "Negation", die nur die ideelle Vorwegnahme einer möglichen künftigen Praxis sein kann. Das Dilemma des "Traditionsmarxismus" bestand eben nicht in einer prinzipiell unüberbrückbaren Kluft zwischen Theorie und Praxis, sondern im Handicap einer bloß abstrakten Kritik der bürgerlichen Ökonomie, die an ihren Kategorien kleben blieb, ohne sie in gesellschaftliche Praxis auflösen zu können, und die deshalb auch den Sozialismus nicht als gesellschaftliche Praxis fassen konnte, sondern nur als "staatliche Veranstaltung" (unter Beibehaltung von Austauschbeziehungen und Geld!). Überwunden werden kann dieses Dilemma in der Tat nicht durch bloße Beschwörung der "Einheit von Theorie und Praxis", allerdings erst recht nicht durch die Behauptung ihrer unauflöslichen Antinomie. Überwunden werden kann es nur durch die Entwicklung einer Kritik der herrschenden Praxis, die selbst zur Praxis drängt und geeignet ist, zum Selbstbewußtsein einer emanzipatorischen Massenbewegung zu werden.
(7.5.1) Praxisbeschwoerung, 18.04.2002, 09:47, Stefan Meretz: Deine Praxisbeschwörungen der "gesellschaftlichen Praxis" unterscheiden sich nicht von den Beschwörungen der "Einheit von Theorie und Praxis". Der Traditionsmarxismus (TM) habe das "Handicap einer bloß abstrakten Kritik der bürgerlichen Ökonomie, die an ihren Kategorien kleben blieb, ohne sie in gesellschaftliche Praxis auflösen zu können" gehabt, behauptest du. Nein, umgekehrt wird ein Schuh draus: Es war genau das Problem, dass der TM an den Kategorien der bürgerlichen Ökonomie klebend eine gesellschaftliche Praxis organisierte, die deswegen auch die bürgerliche Form der warenproduzierenden Gesellschaft nicht überschreiten konnte. Daraus resultierte eine gesellschaftliche Praxis als staatliche Veranstaltung (mit Tausch, Ware und Geld). Das war gelebte "Einheit von Theorie und Praxis". Demgegenüber bleibt deine Kritik an Warentausch und Geld abstrakt (so sehr ich sie teile).
(8) »Theorie« ist zunächst nichts weiter als die begriffliche »Erfassung von etwas« (Duden Fremdwörterbuch). In diesem Sinne ist Theorie das Denken über die Welt: jede und jeder tut es. Es liegt auf der Hand, dass eine so verstandene Alltagstheorie nicht mehr kann, als den Oberflächenschein der Welt affirmativ begrifflich zu »verdoppeln«. In der Kritischen Psychologie heisst ein solches Denken »deutendes Denken«, W. F. Haug nennt es »'Naturformen' des Denkens, die uns so selbstverständlich sind, dass wir nicht einmal ohne weiteres über sie nachdenken und sie in den Griff bekommen können, weil es unser Griff selber ist, den wir greifen müssten...« [4]. Erst der denkende Widerstand kann den Schein durchbrechen, erst die Reflexion unser Denkvoraussetzungen kann diesen Widerstand aufbringen. Genau dies geht jedoch nicht im Medium des Scheins, der unmittelbaren Praxis: »Gerade bei der Analyse der Wertform wird ... eine Schwierigkeit die sein, dass es uns Bürgern einer kapitalistischen Gesellschaft kaum möglich ist, in Nicht-Tauschbegriffen zu denken« (ebd.). Diese Voraussage trifft nur zu oft immer noch zu, für den Traditionsmarxismus wie für die meisten seiner Kritiker/innen.
(8.1) 30.03.2002, 18:40, Werner Imhof: Daß Du nach Schandl nun ausgerechnet F.W. Haug bemühst, zeugt entweder von einem Hang zum Eklektizismus (sich aus diversen Quellen das gerade Passende herauszusuchen) oder von einer nur bruchstückhaften Lektüre der Haug-Vorlesungen. In dem Zusammenhang, aus dem Du zitierst, beschreibt Haug die Widerstände, die die "objektiven Gedankenformen", die Abbilder der verdinglichten Erscheinungsformen praktischer Beziehungen von Menschen, dem Denken entgegensetzen, das versucht, in die Erscheinungen einzudringen, ihnen auf den Grund zu gehen. Aber er beschreibt im weiteren Verlauf der Vorlesungen auch die von Marx angewandte Methode, diesen Widerstand zu brechen: nämlich mittels Analyse, Abstraktion, "Entwicklung des Verwickelten" usw. das den Erscheinungen "praktisch Zugrundeliegende", die sie produzierende Praxis freizulegen. Und er sagt ausdrücklich, daß es ihm darum geht, "die Erkenntnistätigkeit auf den Boden zu stellen, auf den sie materialistisch einzig gehören kann, auf den Boden der praktischen Wirklichkeit, der wirklichen Praxis der Menschen" (S. 75; um in Klammern hinzuzufügen: "Unter 'Kopfarbeitern' ist es die fast zwanghaft sich einstellende Berufskrankheit, daß sich die ideelle Tätigkeit verselbständigt gegen die gesellschaftliche Wirklichkeit." ) Deshalb ist auch die kritische Überprüfung des Marxschen Gedankengangs, die "Denkprobe, "nichts anderes als ein gedankliches Probehandeln" (ebd.). Du stellst Haug regelrecht auf den Kopf, wenn Du ihn als Gewährsmann für einen "denkenden Widerstand" benutzt, der meint "den Schein durchbrechen" zu können, indem er "das Medium des Scheins, der unmittelbaren Praxis" meidet bzw. "überschreitet" (wie es im nächsten Absatz heißt).
(8.1.1) Haug-Exegese, 18.04.2002, 10:51, Stefan Meretz: Return to sender: Du stellst W.F.Haug auf den Kopf, wenn du das, was du hier von WFHs Kapitaleinführung (zutreffend) skizzierst, nicht als "denkenden Widerstand" gegen die nahegelegten Kategorien bürgerlicher Ökonomie begreifst - was soll das sonst sein? Es geht geht doch auch nicht darum, die unmittelbare Praxis "zu meiden" in dem Sinne, dass ich mich mit ihr nicht beschäftige. Im Gegenteil: Es geht darum sich mit Praxen, mit dem (eigenen) Leben denkend zu beschäftigen in einer Weise, die das notwendig deutende Denken nicht bloss wiederholt, sondern es im Begreifen, im widerständig begrifflichen Denken überschreitet. Das unmittelbarkeitsverhaftete Denken, das ich als Denken "im Medium des Scheins" bezeichnet habe, kann nur gehabte Praxen in der bürgerlichen Gesellschaft bestätigen und reproduzieren. Das spricht übrigens überhaupt gegen einen Begriff von Theorie als "gedanklichem Probehandeln", doch es muss begriffen werden, das bestimmtes Handeln und Denken sich eben in den Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft vollzieht. Jede Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft impliziert also auch Kritik und Selbstkritik des eigenen Handelns und Denkens.
(9) »Begreifendes Denken« als widerständiges Denken, als Theorie, die die Erscheinungen überschreitet, als Theorie, die wissenschaftlich begründete Aussagen für einen Gegenstandsbereich formulieren kann, braucht Distanz und Selbstreferenz. Dass diese damit auch »abheben« kann, liegt auf der Hand. Wichtig ist, »deutendes« und »begreifendes« Denken nicht quasi normativ als Gegensatz zu denken, sondern als notwendig eigenständige Perzeptionsformen mit je eigener Logik. Affirmation der erscheinenden Oberfläche ist also nicht »schlecht«, sondern notwendiges Denken im Alltag, und »begreifendes Denken« ist nicht »gut«, sondern aktiver denkender Widerstand gegen das nahegelegte Alltägliche, das zunächst immer das »deutende Denken« zur Voraussetzung hat.
(9.1) 02.04.2002, 19:15, Werner Imhof: Distanz und Selbstreferenz sind in der Tat keine Gewähr gegen das "Abheben" der Theorie. Das Problem liegt in der Bestimmung der Bezugsebene, von der sie abheben kann, und in der Bestimmung der Art und Weise des Bezuges selbst. Ist die Bezugsebene die Oberfläche der dinglichen Erscheinungen (eine "erscheinende Oberfläche" ist ein Widerspruch in sich), wie Wert, Kapital, Geld, Profit, Lohn usw.? Oder ist sie die "wirkliche Praxis" der Menschen, die unter bestimmten Bedingungen notwendig diese Erscheinungsformen annimmt? Im ersten Fall bleibt die Theorie den Erscheinungen äußerlich, kann sie sie nur begrifflich verdoppeln, sei es affirmativ, sei es aus der Scheindistanz "widerständiger" Kategorien. Die Theorie hat dann keine anderen Überprüfungskriterien für die "wissenschaftliche Begründung" ihrer Aussagen als die möglichst adäquate "Widerspiegelung" der Erscheinungen, ihre eigene definitorische Konsistenz und die formale Logik. Das den Erscheinungen praktisch Zugrundeliegende und sie Bewegende bleibt ihr verborgen. Nur im zweiten Fall kann die Theorie zur "Rekonstruktion des Konkreten im Wege des Denkens" (Marx) führen, denn das Konkrete ist immer Einheit von Erscheinung und darin Erscheinendem. Das Überprüfungskriterium der Theorie ist die gesellschaftliche Praxis selbst mitsamt ihren notwendigen Erscheinungsformen, das mit dem "gedanklichen Probehandeln" (Haug) auch eine Methode liefert, die innere Konsistenz der Theorie zu überprüfen.
(9.2) 02.04.2002, 19:16, Werner Imhof: Wem dagegen die "unmittelbare Praxis" selbst zum "Medium des Scheins" wird, der kann Theorien oder "Denkweisen" natürlich auch nur nach dem Grad ihrer kategorialen "Widerständigkeit", ihrer begrifflichen Distanz von oder zu den Alltagsphänomenen unterscheiden. Der Anteil der Analyse am "analytisch-kategorialen", "begreifenden Denken" bleibt dabei bloßes Versprechen, denn tatsächlich wird nichts, keine einzige Erscheinung analysiert, zerlegt, aufgelöst, sondern die Erscheinungswelt wird einer verselbständigten Begriffswelt unterworfen, die gedankliche Erhabenheit über die Wirklichkeit simuliert, während sie doch nur die Gedankenformen der bürgerlichen Gesellschaft auf "höherem" Niveau in bestenfalls negatorischer Form reproduziert. "Deutendes" wie "begreifendes" Denken sind in der Tat keine gegensätzlichen, sondern eng verwandte "Perzeptionsformen mit je eigener (!) Logik", die die eine aus dem kapitalistischen Alltag, das andere aus dem "kategorial-begreifenden Diskurs" bezieht. Beide "Logiken" unterscheiden sich nur durch die Art des Umgangs mit den Erscheinungen (operativ die eine, kategorisierend die andere), denen sie aber beide äußerlich bleiben, weil sie nicht zur Logik ihres "Gegenstands", der in den Erscheinungen verborgenen gesellschaftlichen Praxis, vordringen können.
(9.2.1) Schein, 18.04.2002, 11:13, Stefan Meretz: Der Absatz strotzt von Behauptungen und Zuschreibungen - Urteile, vermutlich Vorurteile, die du dir hinbastelst, um eine schöne Schublade parat zu haben und die du mich steckst - das spart inhaltliche und sachliche Auseinandersetzung. Du bleibst lieber selbst auf der Ebene des Deutens, des Scheins: diese Kopfarbeiter, diese Intellektuellen, alles äußerliches Rumgerede. Das macht keinen Spaß. - Zum Begriff und Unterschied von deutendem und begreifendem Denken empfehle ich dir: Klaus Holzkamp, Grundlegung der Psychologie, Frankfurt/M. 1983, S. 383ff. Eine Frage aber trotzdem: Was meinst du damit, dass die gesellschaftliche Praxis "in den Erscheinungen verborgen" sei? Wo kommt diese Differenz her - einerseits Praxis, andererseits Erscheinung?
(10) Die Unterscheidung von deskriptiv-deutendem und kategorial-begreifendem Zugang wird im Gegenbilderbuch nicht deutlich, sie wird aber auch in der Kritik von Werner nicht getroffen. So entsteht m.E. eine genauso »schiefe« Sicht, wenn man »mal den Begriff aus der Praxis zu entwickeln« (9) versucht. Da jeder erkennende Zugriff auf Praxis stets (alltags-) theoretisch präformiert ist, unterliegt die scheinbar »unvorbelastete« Betrachtung der Gefahr, nur die vorfindlichen Oberflächenphänomene deutend zu verdoppeln und damit zur (im Zweifel stets bürgerlichen) Ideologie zu gerinnen. Umgekehrt kann der explizit »theoretisch-analytische« Zugriff auf die Praxis dazu tendieren, die Praxis in der Erkenntnis affirmativ »zurechtzubiegen«, um Bestätigung zu erreichen. Kein Herangehen garantiert ein Umgehen der Fallen, sondern mit den lauernden Fallen ist umzugehen.
(10.1) 02.04.2002, 19:18, Werner Imhof: Es ist natürlich Dein gutes Recht, meine Entwicklung der Begriffe Wertform, Wertsubstanz und Wertgröße aus dem Austausch(verhältnis) zweier Waren (siehe das Projekt "Gesellschaftliche Arbeit und ihr Wertausdruck") "schief" zu finden. Nur solltest Du das dann auch begründen. Tatsächlich aber gehst Du auf meine "Lesart der Marxschen Wertformanalyse", über die Du eingangs noch "Vermutungen" angestellt hast, bloß in einem einzigen Punkt ein (im nächsten Absatz nämlich), vermeidest aber ansonsten jede weitere Auseinandersetzung mit ihr - obwohl sie Gegenstand unserer Kontroverse in der KW 47/01 war, die wir dann aus Zeitgründen abbrechen mußten, die aber wiederaufzunehmen Du damals (unaufgefordert!) angekündigt hast. Statt dessen dient Dir die bloße Behauptung einer "'schiefen' Sicht" nun zur pauschal relativierenden Floskel, daß auch "jeder erkennende Zugriff auf Praxis stets (alltags-)theoretisch präformiert ist". Hättest Du geschrieben "präformiert sein kann", hätte ich dem ebenso wenig widersprechen können wie der Feststellung, daß "kein Herangehen ... ein Umgehen der Fallen" garantiert; denn das weiß ich aus eigener Erfahrung. Doch statt allgemein und unverbindlich über die mögliche Präformiertheiten, Zurechtbiegungstendenzen und Fallen zu reden, beschäftige ich mich lieber mit den konkret behaupteten bzw. den nachweislich vorhandenen.
(11) Die Frage, was der Wert »ist«, ist also nicht an-sich falsch, sondern es kann eine falsche Frage in einem bestimmten Diskurs sein. Während sie im »deskriptiv-deutendem« Diskurs auf den Holzweg der »Verdinglichung« des Begriffs führen kann, ist die Frage im analytisch-begreifendem Diskurs sinnvoll, um den Verhältnischarakter des Wertbegriffes sichtbar zu machen: Der Wert ist eine gesellschaftstheoretische Kategorie, die Verhältnisse der warenproduzierenden Gesellschaft begrifflich widerspiegelt (was wir übrigens im Glossar des »Gegenbilderbuches« ausführten). Die Wertabstraktion bezieht sich mithin - wie Werner zutreffend anführt (8) - nicht auf ein einzelnes Warenexemplar, aber auch nicht - hier widerspreche ich Werner - auf die »Gesamtheit aller Waren«, sondern auf die allgemeine Ware. Es wird eben auch von der konkret-abzählbaren Gesamtheit aller Waren abstrahiert, es wird die Warenbewegung im Begriff unter Absehung aller Spezifika rekonstruiert. Die »Ware« ist wie der »Wert« ebenso eine gesellschaftstheoretische Kategorie.
(11.1) Re: Wert als gesellschaftstheoretische Kategorie, 31.03.2002, 13:37, Werner Imhof: Der "deskriptiv-deutende Diskurs" kann nicht nur zur Verdinglichung des Begriffs "Wert" führen. Der Begriff ist schon eine verdinglichte Kategorie (Gedankenform) für eine bestimmte gesellschaftliche Praxis, nämlich für die Praxis von Privatproduzenten, ihre gemeinsame Gesamtarbeit als Tauschwerte ihrer Produkte auszudrücken und die Gesamtarbeit dabei auf gleichförmige einfache Arbeit zu reduzieren. Der Wert erscheint als Eigenschaft der Produkte, ausgedrückt im Tauschwert, während er doch nur eine bestimmte gesellschaftliche Manier ist, die notwendige Aufteilung der Gesamtarbeit auf diese Produkte durchzusetzen. Der Wert ist also eine Kategorie der bürgerlichen Ökonomie, auch wenn diese es längst aufgegeben hat, ihr auf den Grund zu gehen. Wenn Du den Zusammenhang der Wertabstraktion mit der "Gesamtheit aller Waren", dem Produkt der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, bestreitest, bewegst Du Dich also in schöner Harmonie mit der bürgerlichen "Wissenschaft", die Du doch so gern denunzierst. Wenn Du weiter sagst, daß die Wertabstraktion sich statt auf die Gesamtarbeit nur auf die "allgemeine Ware" bezieht, dann ist Dir offenbar nicht klar, daß die allgemeine Ware nichts anderes ist als Geld und daß die "Wertabstraktion", sprich: Gesamtarbeit, sich in Ware und Geld verdoppelt, auch dies ein Produkt gesellschaftlicher Praxis, nämlich der historischen Entwicklung des Austausches und der Produktion für den Austausch. Daß die "Wertabstraktion" schließlich "die Warenbewegung im Begriff unter Absehung aller Spezifika rekonstruiert", ist eine Phrase, die gerade von der "Bewegung" abstrahiert, die Produkte erst zu Waren macht, dem Austausch; die Waren tragen sich schließlich nicht von selbst zu Markte.
(11.1.1) Re: Wert als gesellschaftstheoretische Kategorie, 18.04.2002, 12:13, Stefan Meretz: In Imhofschen Duktus schreibe ich: Da du den Unterschied zwischen Kategorie als allgemeinem Begriff und Exemplar nicht verstehst, ist bei dir eine Kategorie, eine gesellschaftliche gar, nicht anders vollstellbar als durch Bezug auf die "Gesamtheit aller Exemplare". Darin zeigt sich nur, das du auch keinen Begriff von Gesellschaft hast, du dir Gesellschaft nur als Ansammlung aller Erscheinungen vorstellen kannst, die du in scheintheoretische Phrasen bestätigst, anstatt zu "begrifflicher Erkenntnis" (Haug, S. 72) zu kommen. So ist dir offensichtlich auch nicht klar, dass die "Selbstbewegung des Gegenstands ... eine ganz wesentliche Kategorie des Dialektik" ist und sie das "einzige (ist), was zu einer theoretischen 'Entwicklung' die reale Grundlage darstellen kann, was der Theoretiker daher aufspüren muß und das er in reiner Form theoretisch abbilden muß. Der Selbstbewegung des Gegenstands muß seine Theorie nachgebildet werden." (Haug, S. 83). Damit soll es genug sein. - Ich füge an: Auch in der Form der Diskussion unterscheidest du dich oft nicht von den gehabten oder noch bestehenden Traditionsmarxismen.
(11.2) Re: Wert als gesellschaftstheoretische Kategorie, 31.03.2002, 13:37, Werner Imhof: Der Erkenntniswert Deines "begreifenden Denkens" erschöpft sich in so nichtssagenden Sätzen wie dem, daß "der Wert ... eine gesellschaftstheoretische Kategorie (ist), die Verhältnisse der warenproduzierenden Gesellschaft begrifflich widerspiegelt". Nichtssagend, weil gerade die "Verhältnisse", auf die es ankäme, unbestimmt bleiben. Sobald man aber nach näheren Bestimmungen sucht, z.B. im Glossar des "Gegenbilder"-Buches, stößt man auf lauter Ungereimtheiten, z.B.: "Das Verhältnis erstarrt in der Wertgröße ('Wert), die von der in den Produkten enthaltenen (gesellschaftlich durchschnittlich notwendigen) Arbeitszeit bestimmt wird." In der Wertgröße erstarrt gar nichts, die ist nämlich in ständigem Fluß; außerdem gilt die durchschnittlich notwendige Arbeitszeit nur im Rahmen ihres notwendigen Anteils an der Gesamtarbeit. Soweit Verhältnisse erstarren, tun sie es in der Wertform, der Kapitalform und im Geld. Oder: "Wertgesetz. Zentrale Antriebsdynamik der 'Schönen Maschine' Kapitalismus.... Der Kapitalist kann des Wertgesetz nur ausführen (exekutieren), d.h. sein Handeln wird durch das Gesetz bestimmt." Zentrale Antriebsdynamik des Kapitalismus ist die Plusmacherei, die Mehrwertproduktion, bei der die Kapitalisten ständig das Wertgesetz (ohne es zu kennen) zu überlisten, außer Kraft zu setzen suchen. Sie exekutieren das Wertgesetz nicht, es setzt sich gegen sie durch Kräche und Krisen durch.
(11.2.1) Plusmacherei, 18.04.2002, 15:10, Stefan Meretz: Die "Plusmacherei" ist auch so ein beliebter personalisierender Termininus. Der Begriff suggeriert, dass es eine persönlichen Antrieb a la "Bereicherungstrieb" gäbe, der den Kapitalismus antreibt. Als ob es sich die Kapitalisten "aussuchen" könnten, was sie da tun, als ob es ein Sport wäre, das (unerkannte) Wertgesetz außer Kraft zu setzen. Marx nannte die Kapitalisten "personfiziertes Kapital" um klar zu machen, dass es nicht die Person, sondern die Funktion, die "Verwertung des Werts" (auch Marx), ist, die nur innerhalb einer sich "stets erneuerten Bewegung" existiert und daher "maßlos" (auch Marx) ist. Die Fokussierung auf den Mehrwert geht dann auch einher mit der "Aneignung" des Mehrwerts, also seiner "Verteilung", die "ungerecht" sei. Von dort aus ist es nicht mehr weit bis zur Arbeiterklasse, die, einmal "an der Macht", schon für eine "gerechtere Verteilung" sorgen werde. - Diese ganze Argumentationskette (die ich dir nicht unterstelle, die aber typisch für den TM ist) bewegt sich wunderbar in den Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft, spiegelt gesellschaftliche Praxis wider bzw. hat sie einmal widergespiegelt. Sie hat aber nichts mit der Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft zu tun, und, so meine These: Von dort aus lässt sich die Aufhebung nicht denken. Da helfen auch Beschörungen einer nun aber wirklichen "gesellschaftlichen Praxis" nicht weiter.
(12) Diese allgemeine Ware, kürzer: die Ware, existiert nun ihrerseits nicht isoliert, auch nicht überall dort, wo »getauscht« wird, sondern in der entfalteten Form, wie sie Marx untersucht, nur in der warenproduzierenden Gesellschaft. Das ist keinesfalls eine tautologische Aussage, denn bei der logischen Rekonstruktion der Warenbewegung im Begriff ist die warenproduzierende Gesellschaft stets vorausgesetzt. Ich schaue auf die gegenwärtige Historizität dieser Gesellschaft, ihre historische Gewordenheit, und rekonstruiere begrifflich ihre immanente Bewegungslogik. Meine Sicht könnte ich daher als »systemisch« kennzeichnen.
(13) Im System der warenproduzierenden Gesellschaft gibt es kein »erst-dann«. Es ist nicht so, dass zunächst ein unschuldiges Produkt hergestellt wird, was im Moment des Betretens der Zirkulationssphäre auf einmal Wertgestalt annimmt, wenn es erfolgreich getauscht wird. Sondern die Produkte werden für den Markt produziert, sie werden als Waren produziert. Dieser Warencharakter kommt ihnen nicht durch die Produktion zu, denn »Produkte, die nicht in den Austausch eingehen,... nehmen keine Wertform« (9) resp. Warenform an. Diese Produkte interessieren aber auch nicht. Es interessieren die Fälle, in denen sich die Produkte als Waren bewähren. Betrachte ich systemisch nun diese Erfolgsfälle, dann verkörpern diese Waren eine bestimmte Wertgröße bzw. Arbeitsaufwände, in der allerdings die Arbeitsaufwände der Nichterfolgsfälle - Produkte, die sich nicht als Waren bewähren konnten (»Ausschuss«) - eingehen. Anders wäre auch nicht zu erklären, warum die »Preisstabilisierung« funktioniert: Vernichtung von »Werten« bedeutet - wie von Magiers Hand - eine Übertragung der vernichteten Arbeitsaufwände auf die Waren, die sich als Waren bewähren. Die Preissumme entspricht gesellschaftlich-durchschnittlich der Wertsumme, unabhängig davon, auf wieviel Produkte sie verteilt ist. Mein Schluss: Ware und Wert machen nur Sinn als gesellschaftstheoretische systemische Kategorien.
(13.1) 31.03.2002, 13:39, Werner Imhof: Hier muß ich meine eigene, von Dir zitierte Formulierung präzisieren: Produkte, die von vornherein nicht für den Austausch bestimmt sind, nehmen auch keine Wertform an. Produkte aber, die von vornherein für den Austausch bestimmt sind, als Waren produziert werden, nehmen auch schon vor dem Austausch Wertform an, durch ideelle Vorwegnahme des Austausches nämlich. Eine ganz andere Frage ist, ob sie ihre Form überhaupt realisieren, ob sie sich also als Gebrauchswerte für fremdes Bedürfnis bewähren; nur dann können sie sich ja auch als Tauschwerte bewähren, in welchem Umfang auch immer. Bleiben sie unverkäuflich, "Ausschuß", war die auf ihre Produktion verwandte Arbeit samt und sonders vergeudete, verlorene Arbeit. Daß sie "wie von Magiers Hand" auf die verkäuflichen Exemplare ihrer Art "übertragen" wird und deren Preise "stabilisiert", ist allein Phantasieprodukt einer "systemischen" Betrachtungsweise, die sich dem Begriff der gesellschaftlichen Gesamtarbeit und dem Begriff des notwendigen Anteils an ihr verschließt. Drängen von einer Ware mehr Exemplare auf den Markt als zahlende Nachfrage nach ihnen besteht, dann verteilt sich die für diese Ware gesellschaftlich notwendige Arbeit eben auf mehr Exemplare als nötig, und der Preis der einzelnen Ware sinkt entsprechend. Werden die überzähligen Waren nun vom Markt genommen und vernichtet, dann werden keine "Werte vernichtet", sondern überflüssige Produkte. Der Wert dieser Warenart bleibt davon unberührt, er verteilt sich jetzt nur auf weniger Waren als vorher, was sich in höheren Preisen niederschlägt. So einfach ist das.
(13.1.1) 18.04.2002, 15:24, Stefan Meretz: Du schreibst inhaltlich genau das gleiche wie ich. Dass dir mein ironisches Bild des Magiers abgeht, übersehe ich mal. Deutlich hinweisen möchte ich aber auf die Anführungstriche, die das Wort "Werte(n)" umschliessen. Sie sollen als Pseudozitat die allgemeine Redeweise andeuten, nach der umgangssprachlich "Werte" vernichtet werden.
(14) Offensichtlich ist eine solche »systemische Sichtweise«, die nach meiner Auffassung die einzig sinnvolle ist, Werner unvertraut. Wie anders soll ich die befremdliche Lesart, wertkritische Ansätze würden »den 'Wert' losgelöst vom Austausch und damit von Privateigentum zu ergründen« (10f) suchen, deuten? Kommt es daher, weil wertkritische Ansätze zwar sehr wohl Austausch und Privateigentum zu Grunde legen, aber sich eben nicht in traditionsmarxistischer Lesart darauf beschränken, sondern die Rolle von Austausch und Privateigentum und anderen Aspekten im systemischen Gesamtzusammenhang - der gescholtenen Wertvergesellschaftung - herausarbeiten? Weil sie die traditionsmarxistische Zirkulationsfixierung, die mit der Heraushebung von Austausch und Privateigentum verbunden ist, - etwa die Fiktion, das kollektive Subjekt (wer auch immer) müsse zur Überwindung des Kapitalismus nur die Verfügung über die Produktionsmittel erobern und die Verteilung kontrollieren - scharf kritisieren? Weil sie genau die Blindheit gegenüber der systemischen Einbettung in einen sich selbst reproduzierenden und totalisierenden Zusammenhang bloßstellen? - Ich habe jetzt überzogen, die Polemik richtet sich gegen traditionsmarxistische Lesarten. Das lese ich bei Werner so nicht heraus, aber ich finde auch keine klare inhaltliche Absetzung.
(14.1) 02.04.2002, 19:19, Werner Imhof: Daß "wertkritische Ansätze" "den 'Wert' losgelöst vom Austausch und damit auch vom Privateigentum zu ergründen suchen", ist unter anderem belegt durch
1. das angeführte Kurz-Zitat aus der "Krise des Tauschwerts", das durchaus kein Ausrutscher des "frühen Kurz" war, wie sich leicht beweisen ließe;
2. das "Gegenbilder"-Buch, in dem Austausch und Privateigentum offenbar als so selbstverständlich "zu Grunde gelegt" werden, daß sie nicht einmal Erwähnung finden;
3. Deine, auch in der KW 47/01 vorgetragene These, zu Waren würden Produkte durch ihre Knappheit;
4. Deine im vorhergehenden Absatz gelieferte Behauptung, die Vernichtung unverkäuflicher, also nicht austauschbarer Waren sei eine "Vernichtung von Werten".
Auf eine "Herausarbeitung" der "Rolle von Austausch und Privateigentum und anderen Aspekten im systemischen Gesamtzusammenhang" bin ich dagegen bisher bei keinem der mir bekannten "wertkritischen Ansätze" gestoßen.
(14.1.1) Belege, 18.04.2002, 15:34, Stefan Meretz: Zu (1) soll Kurz selbst was sagen oder auch nicht.
(14.1.2) 18.04.2002, 15:35, Stefan Meretz: Zu (2): Ja, Privateigentum ist dort vorausgesetzt. Konkrete Forderungen gegen die Privatisierung von Wissen (Abschaffung von Patenten etc.) werden erhoben - etwas, wozu die eifrigsten Traditionsmarxismen nichts sagen. (Abschaffung von) Tausch und Markt spielen in der Argumentation im Gegenbilderbuch ein zentrale Rolle.
(14.1.3) 18.04.2002, 15:37, Stefan Meretz: Zu 3) Diese falsche Behauptung habe ich in bereits Abs. (5.2.2) klargestellt.
(14.1.4) 18.04.2002, 15:40, Stefan Meretz: Zu 4) Das ordne ich mal als Missverständnis ein, vgl. Abs. (13.1.1).
(14.2) 02.04.2002, 19:20, Werner Imhof: So ist denn auch der Vorwurf der "traditionsmarxistischen Zirkulationsfixierung, die mit der Heraushebung von Austausch und Privateigentum verbunden ist", nur eine Etikettierung, die jede nähere inhaltliche Kritik schon zu erübrigen scheint. Abgesehen davon, daß sie nicht einmal den "Traditionsmarxismus" trifft, dessen Kritik des Privateigentums eine "halbe Kritik" blieb, wie ich an anderer Stelle betont habe (siehe das Projekt "Thesen zur Aufhebung der Warenproduktion"), und der deshalb den Austausch und die durch ihn konstituierte Wertform gerade nicht "herausgehoben" hat - abgesehen davon verrät das Etikett einen bezeichnenden Denkfehler: die Verkürzung des Austausches auf die bloße Zirkulation. Im Austausch geschieht aber zweierlei: Zum einen wechselt das Produkt seinen Eigentümer und damit der Wert seine Form, zum andern vermittelt der Austausch Produktion und Konsumtion. Was zirkuliert, ist also allein der Wert. Das Produkt dagegen "zirkuliert" nicht, es wird seiner - individuellen oder produktiven - Konsumtion zugeführt. Fallen Privateigentum und Austausch, entfallen daher auch der Wert der Produkte und seine Zirkulation, aber natürlich nicht die Vermittlung von Produktion und Konsumtion. Daß diese Vermittlung in der Form des Austausches vor sich geht, heißt ja nicht, daß die Vermittlung selbst überflüssig wird, wenn ihre bisherige Form überflüssig wird. Nichts anderes aber unterstellst Du (weiter unten), wenn Du behauptest, ich ließe im unklaren, "was an die Stelle des Tausches tritt". Erstens habe ich mich ausführlich dazu geäußert (die Belege folgen an anderer Stelle). Zweitens kann die Behauptung nur aufstellen, wer unter der Form gesellschaftlicher Beziehungen ihren materiellen Inhalt nicht mehr wahrnimmt. Den Vorwurf der "Zirkulationsfixierung" mußt Du Dir also schon selber machen.
(15) Auch folgenden Widerspruch in Werners Text verstehe ich nicht: »Nur durch diese Reduktion auf ihre gemeinsame Qualität als Arbeit überhaupt, Arbeit 'sans phrase', allgemein menschliche Arbeit, abstrakt menschliche Arbeit..., werden unterschiedliche Produkte überhaupt quantitativ vergleichbar, nämlich als gewisse Mengen 'festgeronnener Arbeitszeit'« (10) - Zustimmung. Eine Seite später dann eine Breitseite gegen Krisis bzw. Gruppe Gegenbilder: »Ihr Problem ist das Unverständnis für die gesellschaftliche Notwendigkeit und Bedeutung dieses Abstraktionsvorganges«, womit die o.g. Reduktion gemeint ist, »das sich schon in der semantischen Verkürzung der allgemein menschlichen Arbeit zur bloß noch 'abstrakten Arbeit' ausdrückt...« - Also ist nun die allgemein-menschliche Arbeit begrifflich das Gleiche wie abstrakt-menschliche Arbeit oder nicht? Vielleicht war das nur eine Formulierungsunschärfe, denn im Kern geht es Werner - so lese ich es - um die Verteidigung der traditionsmarxistischen Unterscheidung von gebrauchswert- und wertschaffender Arbeit.
(15.1) 02.04.2002, 19:22, Werner Imhof: Daß allgemein-menschliche und abstrakt-menschliche Arbeit Synonyme sind, geht doch wohl schon aus dem Satz hervor, aus dem Du zitierst. Ich habe auch nirgendwo etwas anderes behauptet. Gewandt habe ich mich gegen die, wie Du selbst zitierst, "semantische Verkürzung der allgemein menschlichen Arbeit zur bloß noch 'abstrakten Arbeit'", der scheinbar nichts Menschliches mehr eigen ist - ein Sprachgebrauch, der unter den Anhängern der Nürnberger Wertkritik nur zu oft den Horror der "sinnlichen Vernunft" vor einer unverstandenen, scheinbar entmenschten Praxis ausdrückt. Eindeutiger ist im übrigen der Begriff der "gleichen menschlichen Arbeit", in dem die Allgemeinheit aller besonderen Arbeiten als gesellschaftliche implizit enthalten ist, während er außerdem ihre Gleichheit als auf einfache Arbeit reduzierte betont; deshalb hat Marx ihn auch bevorzugt.
(15.1.1) 19.04.2002, 08:40, Stefan Meretz: Wenn allgemein- und abstrakt-menschliche Arbeit Synonyme sind, dann ist es unlogisch, die Verkürzung der allgemeinen zur abstrakten Arbeit zu kritisieren - weil das "-menschliche" fehlt? Das ist Wortklauberei - welche denn sonst? Der inhaltliche Unterschied besteht jedoch darin, dass du eine universelle Kategorie abstrakt-menschlicher Arbeit behauptest, die die Wertkritik ablehnt und von abstrakt-(menschlicher) Arbeit nur im Kontext der warenproduzierenden Gesellschaft sprichst. Das finde ich auch sinnvoll.
(15.2) 02.04.2002, 19:23, Werner Imhof: Wenn Du mit der "traditionsmarxistischen Unterscheidung von gebrauchswert- und wertschaffender Arbeit" den von Marx entdeckten "Doppelcharakter der in den Waren dargestellten Arbeit" meinst, den "Springpunkt, um den sich das Verständnis der politischen Ökonomie dreht", dann siehst Du schon richtig, daß ich daran festhalte. Allerdings wirst Du bei mir den Begriff der "wert(e)schaffenden Arbeit" vergeblich suchen, weil er in den plattesten Varianten des "Traditionsmarxismus", verkörpert etwa durch DKP und MLPD, die Bedeutung der von Marx "wertbildend" genannten Arbeit ins Gegenteil verkehrt hat, nämlich in eine positiv, u.U. auch antisemitisch besetzte, zeitlose Kategorie als Synonym für produktive Arbeit, deren Produkte naturnotwendig Wertform besitzen, die selbst nicht mehr als Ausdruck entfremdeter Arbeit verstanden wird, sondern als Gegenstand des Arbeiterstolzes.
(16) Wieder sind wir an einem Punkt, wo man nicht einfach »mal den Begriff aus der Praxis ... entwickeln« kann, weil stets die Gefahr lauert, historisch-spezifische Formen als überhistorische zu universalisieren. So auch hier: »Tatsächlich ist menschliche Arbeit immer doppelt bestimmt, qualitativ als besondere, auf einen bestimmten Nutzeffekt gerichtete Arbeit und quantitativ als Teil eines gegebenen Arbeitsvolumens...« (11) Diese Bestimmung kann man vornehmen. Die Gefahren, die hier lauern, sind folgende:
(17) 1. Die Unterscheidung des quantitativen und qualitativen Aspekts von »Arbeit« entstammt der Analyse der warenproduzierenden Gesellschaft. Die Bestimmung war erst denkmöglich, als sich real und praktisch die beiden Aspekte voneinander schieden. In allen vormodernen Gesellschaften kam es einzig auf den Nutzeffekt an. In der Lebenspraxis gab es keine Zeitabstraktion oder andere Formen abstrakter Unterteilungen von Arbeitsvolumina.
(17.1) 02.04.2002, 19:25, Werner Imhof: Die Behauptung ist ein besonders schwerer Fall von wertkritisch präformierter Wahrnehmung historischer Fakten. Selbst Jäger und Sammler wußten, daß jeder Nutzeffekt an einen durch die Erfahrung bestimmten, saisonal und klimatisch wechselnden Zeitaufwand gebunden war. Warenproduktion und Geld gibt es seit einigen tausend Jahren, Tauschhandel noch viel länger. Waren Tauschrelationen und Preise etwa Größen, die allein durch den Nutzeffekt bestimmt waren? Schon die Sumerer hätten Dich ausgelacht. Und was bestimmte wohl den Preis eines Sklaven? Bestand sein Nutzeffekt nicht vielleicht in seiner Arbeitsfähigkeit und Lebensdauer? War der Zehnte nur ein "qualitativer Aspekt" der mittelalterlichen "Lebenspraxis"? Ebenso wie Kriegstribute, Steuern, Zölle, Wucher und der Ablaßhandel? Eine unglaubliche und unglaublich lächerliche Idyllisierung vorkapitalistischer Verhältnisse ist das, was Du hier vorbringst.
(17.1.1) 18.04.2002, 16:08, Stefan Meretz: Ich bewerte hier nichts, von Idylle oder einem Gegenteil kann hier keine Rede sein. Auch spreche ich nicht gegen (oder für) ein Mehr oder Minder an Aufwand, Preisen, Ausbeutung, Abpressung etc. Ich behaupte, dass es "keine Zeitabstraktion oder andere Formen abstrakter Unterteilungen von Arbeitsvolumina" gab und warne davor solche Begriffe aus der warenproduzierenden Gesellschaft auf vormoderne Gesellschaften umstandslos zu übertragen. Alle deine Beispiele "gesellschaftlicher Praxis" unterstreichen das nachdrücklich.
(18) 2. Sie nimmt »Arbeit« als von den sonstigen Tätigkeiten getrennte Sphäre an, da sie sonst gar nicht quantitativ bestimmbar wäre. Es gab jedoch vor dem Kapitalismus keine Sondersphäre der »Arbeit«, es gab eine Lebenspraxis, die in ihrer Gesamtheit die Reproduktion absicherte. In dieser Praxis waren produktive und reproduktive Tätigkeiten nahtlos miteinander vermischt. Mühsal und Plage wechselten mit Siesta und Festen - das war nicht »Arbeit« und »Freizeit«, es war einfach die Lebensweise.
(18.1) 02.04.2002, 19:26, Werner Imhof: Dasselbe noch einmal, nur unter dem "Aspekt" der "Sphären"-Trennung resp. -Vermischung. Jeder Historiker würde sich die Haare raufen. Die "Arbeit" (natürlich in Anführungszeichen) "als von den sonstigen Tätigkeiten getrennte Sphäre" - eine Erfindung des Kapitalismus? Sklaven und Leibeigene, selbst freie Bauern, Handwerker und Tagelöhner würden Dir was anderes erzählen, von den Klassen, die von ihrer Arbeit lebten, ohne selbst einen Finger krumm zu machen, gar nicht zu reden. Selbst die Jäger und Sammler wußten, daß man Früchte nicht im Schlaf ernten und Wild nicht beim Feiern erlegen kann. Mir fallen noch Brechts "Fragen eines lesenden Arbeiters" ein - eine Hymne auf die "vormoderne" "Lebenspraxis"?
(18.1.1) 18.04.2002, 16:23, Stefan Meretz: Das Gleiche nochmal: Wo du Bewertungen siehst, sind keine. Wo du "die konnten machen, was sie wollten" liest, schreibe ich von Sphärentrennung als Spezifik der warenproduzierenden Gesellschaft. Wenn es ums Überleben ging, dann wurde geschuftet bis zum Umfallen (nicht zu reden vom personalen Zwang). Wenn es genug zum Leben gab, dann wurde die Mistgabel stehen gelassen. Warum gab es im europäischen Mittelalter im Durchschnitt 115 Feiertage pro Jahr? Ich empfehle hier das Buch von Robert Levine: Eine Landkarte der Zeit. Wie Kulturen mit Zeit umgehen, München 1998: Piper. - Erst mit der modernen Gesellschaft wurde das verselbstständigte und von jeder sinnlichen Vernunft abstrahierende "Arbeiten ohne Ende" durchgesetzt - mit aller Gewalt. Das war jetzt wertend.
(19) Wenn ich mit der Unterscheidung quantitativer und qualitativer Bestimmung der »Arbeit« sorgsam umgehe, also versuche, die Universalisierungen zu vermeiden, dann kann ich gewiss auch die vormodernen Gesellschaften damit untersuchen. Ich komme jedoch zu völlig anderen Ergebnissen als für die bürgerliche Gesellschaft (wie in den beiden Punkten angedeutet). Wenn ich jedoch diese allgemeine Unterscheidung zu »gebrauchswert- und wertschaffender Arbeit« bzw. zu »konkreter und abstrakter Arbeit« kategorial verdichte, dann kann ich dieses Begriffspaar nur im Kontext der warenproduzierenden Gesellschaft verwenden. Nur hier geht es um Waren, die doppelt durch Gebrauchswert und Wert bestimmt sind. Nur hier gibt es die Sondersphäre der »Arbeit«, die durch ihren konkreten und abstrakten Aspekt bestimmt ist [5].
(19.1) 04.04.2002, 19:11, Werner Imhof: Eine "allgemeine Unterscheidung", die sich auch auf die Untersuchung "vormoderner Gesellschaften" anwenden läßt, ist - man kann es drehen und wenden, wie man will - eine "Universalisierung", nicht anders als der allgemeine Begriff der Arbeit als zweckgerichteter Aneignung und Umformung von Naturstoff zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Wie alle vernünftigen (und nicht sinnlosen oder unzulässigen) Verallgemeinerungen sind das aber auch nur sehr "dünne Abstrakta", wie Marx sagen würde, die für das Verständnis einer bestimmten historischen Gesellschaft bzw. Produktionsweise wenig Aussagekraft besitzen. Das Wesen einer konkreten Produktionsweise liegt eben nicht in ihrer allgemeinen Bestimmung, Produktionsweise zu sein, sondern in ihrer "wesentlichen Verschiedenheit" von anderen Produktionsweisen, in ihrer Besonderheit. Dein Horror vor Universalisierungen ist ja verständlich als Befürchtung, gerade diese Besonderheit zu verwischen oder zu verallgemeinern. Nur beruht Deine Befürchtung darauf, daß Dir das Besondere der Warenproduktion (und zwar nicht nur der kapitalistischen) selbst ein Rätsel ist, das sich zwar begrifflich beschwören, aber nicht praktisch begreifen läßt, weshalb Du Besonderes und Allgemeines in einen Topf wirfst und das Allgemeine aus der Geschichte verbannst. Doch die Besonderheit der Warenproduktion, und nicht erst und nur der kapitalistischen, besteht nicht darin, daß sie überhaupt einen Modus für die Aufteilung des gemeinsamen Arbeitsvolumens der Produzenten entwickelt, sie besteht in der eigentümlichen Form des Modus. Die "abstrakte" oder gleiche menschliche Arbeit ist deshalb auch mitnichten eine "kategoriale Verdichtung" allgemein quantitativer Bestimmung der Arbeit, sie ist eine ganz eigene Kategorie, die in allen nichtwarenproduzierenden Gesellschaften bzw. gesellschaftlichen Bereichen auch keinerlei praktische Entsprechung findet. Denn die quantifizierbare und quantifizierte Arbeit ist hier immer konkrete nützliche Arbeit. Auch wenn sie zugleich allgemeine Arbeit, also unmittelbar Teil gesellschaftlicher Arbeit ist, bleibt sie besondere konkrete Arbeit, ohne mit anderen konkreten Arbeiten auf ein gemeinsames Drittes reduziert zu werden. Die Gesamtarbeit ist hier nichts anderes als die Gesamtheit konkreter Teilarbeiten. Allein in der Warenproduktion müssen die konkreten Arbeiten auf gleichförmige einfache Arbeit reduziert werden, um für die Privatproduzenten quantifizierbar zu werden und ihren Austausch untereinander als Austausch von Äquivalenten zu ermöglichen. Nur hier muß die quantitative Bestimmung der Arbeit die verselbständigte Form abstrakter oder gleicher menschlicher Arbeit annehmen, die als Werteigenschaft in den Produkten zu hausen scheint und mit deren Gebrauchs"wert"eigenschaft in Konflikt gerät, an die sie doch gleichzeitig gefesselt ist.
(19.1.1) 19.04.2002, 08:44, Stefan Meretz: Die Kritik, ich würde Besonderes und Allgemeines in einen Topf werfen, gebe ich zurück. Ich bemühe mich darum, gerade nicht Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft rückwirkend in unzulässiger Universalisierung auf vormoderne Gesellschaften anzuwenden. Das ist der Kern meiner Kritik an deiner Begriffverwendung.
(19.1.2) 19.04.2002, 08:51, Stefan Meretz: Was ich hier nicht verstehe ist, dass du hier aussagst, "abstrakte Arbeit" sei eine ganz eigene Kategorie, die in nichtwarenproduzierenden Gesellschaften keine praktische Entsprechung habe. Das sage ich doch auch. Doch wenn ich dich vorher richtig verstanden habe, behauptest du doch gerade die Universalität der allgemeinen/abstrakten Arbeit. Verstehe ich dich falsch, was meinst du denn nun?
(19.1.3) 19.04.2002, 09:02, Stefan Meretz: Weiterhin sagst du hier aus, quantifizierbare Arbeit sei in nicht warenprodroduzierenden Gessellschaften konkrete nützliche Arbeit, während in der warenproduzierenden Gesellschaft die quantitative Bestimmung der Arbeit die Form abstrakter Arbeit annimmt. Das scheint mir vollends unlogisch zu sein: In nichtwarenproduzierenden Gesellschaften ist die quantifizierbare Arbeit "konkrete Arbeit" und in warenproduzierenden Gesellschaften dann aber "abstrakte Arbeit"? Hier kommst du mit deiner Universalisierung durcheinander.
(20) Es macht methodologisch auch keinen Sinn, von einer vorgängigen Existenz von Gebrauchswert und gebrauchswertschaffender Arbeit auszugehen, zu der dann mit dem Kapitalismus der Tauschwert und die wertschaffende Arbeit hinzutritt: Wenn es sich bei der warenproduzierenden Gesellschaft um eine qualitativ neue historische Vergesellschaftungsform handelt, dann müssen diesen qualitativ neuen Formen auch qualitativ neue Kategorien entsprechen, die die Entwicklungslogik »isomorph« widerspiegeln [6]. Gebrauchswert und (Tausch-)Wert sowie konkrete und abstrakte Arbeit sind kategoriale Paare, die den analytischen Zugriff auf einen Realwelt-Sachverhalt erlauben. Gebrauchswert oder (Tausch-)Wert sind also keine eigenständigen Entitäten, sondern es sind Aspekte einer Sache, nämlich der Ware. Genauso gibt es keine »konkrete« oder »abstrakte« Arbeit als separate Vorgänge, es sind Aspekte der Lohnarbeit. Deswegen macht es keinen Sinn, solche Kategorien jenseits der warenproduzierenden Gesellschaft in verdinglichter Form als distinkte Entitäten zu behandeln. Marx unterläuft also ein Kategorienfehler, wenn er schreibt: »Als Bildnerin von Gebrauchswerten, als nützliche Arbeit, ist die Arbeit ... ewige Naturnotwendigkeit, um ... das menschliche Leben zu vermitteln" (Kapital, S. 57), er mischt eine Kategorie der warenproduzierenden Gesellschaft in eine viel allgemeinere, überhistorische Aussage. Aber auf solche Sätze konnten und können sich in der Tat textexegetische Marxologen samt des Traditionsmarxismus berufen.
(20.1) 04.04.2002, 19:13, Werner Imhof: Nur weil konkrete Arbeit und Gebrauchswert mit abstrakter Arbeit und Tauschwert "Begriffspaare" oder "kategoriale Paare" bilden (und im Begriff des Gebrauchswerts auch noch das Wort "Wert" enthalten ist?), müssen sie noch lange keine "qualitativ neuen" Phänomene sein, die erst mit der Warenproduktion oder gar, wie Du tatsächlich behauptest, mit dem Kapitalismus in die Geschichte eintreten. (Ich empfehle mal ein "gedankliches Probehandeln" jenseits von Warenproduktion und Kapitalismus, das die Reproduktion menschlichen Lebens anders als in Form konkreter, Gebrauchswerte oder - wenn Dir dieses Wort lieber ist - Gebrauchsgüter produzierender Arbeit bewerkstelligt.) Daß diese Begriffspaare zusammengehörige Aspekte einer gesellschaftlichen Realität beschreiben, heißt doch nicht, daß alles daran historisch neu ist, sondern daß auch die (kapitalistische) Warenproduktion nur von Menschen veranstaltet wird, die als Naturwesen vom Stoffwechsel mit der Natur leben. Falsch liegst Du auch mit der Behauptung, daß "Gebrauchswert oder (Tausch-)Wert ... also keine eigenständigen Entitäten (sind), sondern Aspekte einer Sache, nämlich der Ware". Zum einen existieren sie sehr wohl in getrennter Form. Auch in der heutigen Gesellschaft werden immer noch Gebrauchswerte produziert, die keinerlei Wert enthalten; und im Geld führt der Wert, besser: die Wertsubstanz, die gleiche menschliche Arbeit ein durchaus eigenständiges Leben. Zum anderen ist der Tauschwert nicht Aspekt einer Sache (so erscheint er nur), sondern ein gesellschaftliches Verhältnis von Menschen. Richtig an Deiner Betonung des "einen Realwelt-Sachverhalts" ist allein, daß es "keine 'konkrete' und 'abstrakte' Arbeit als separate Vorgänge" gibt (obwohl sie separat zu analysieren sind). Nur: Wer hat denn die "abstrakte Arbeit" als separaten Vorgang dargestellt, etwa im "Gegenbilder"-Buch? (Einen besonderen Kommentar zu Marx' angeblichem "Kategorienfehler" erspare ich mir.)
(20.1.1) Isomorphie, 22.04.2002, 16:23, Stefan Meretz: Wenn du Haugs Kapitaleinführung gut kennst, könnte dir der Begriff der "Isomorphie" mindestens inhaltlich vertraut (das Wort verwendet er wohl nicht, inhaltlich beschreibt er es auf den Seiten 123ff unter "genetische Anforderung"). Ich konnte auf die Schnelle dieses Zitat finden: "Ein wissenschaftlicher Begriff muß die innere Zusammensetzung des Begriffenen widerspiegeln." (46). Hierbei wird nicht deutlich, das der Begriff immer auch eine zeitliche Dimension hat. Es geht also nicht nur um die Zusammensetzung des Begriffenen, sondern auch um die Genese, die Herausbildung des Begriffenen. Bei Klaus Holzkamp, der übrigens wie Haug inhaltlich sehr "traditionell" argumentiert, hat dies im Rahmen der Kritischen Psychologie methodisch sehr differenziert ausgearbeitet. Mit meinen Worten geht es darum, die im Gegenwärtigen liegende Historizität, also die Tatsache, dass es sich beim Heutigen um etwas Gewordenes handelt, genetisch-logisch zu rekonstruieren (Genese=Entstehung/Entwicklung). Wenn man von der Entwicklung als Differenzierungsprozess ausgeht, dann müssen den historischen früheren, einfacheren Formen begrifflich auch die einfacheren, elementareren Formen entsprechen. Das wird Isomorphie genannt: Die strukturelle Übereinstimmung von Begriffs- und Realgenese bzgl. eines Gegenstands. Bei Marx geht es um die genetische Rekonstruktion der Geldform (wie Haug zeigt). Diese Rekonstruktion geschieht jedoch nicht für den Begriff der "Arbeit", da der sozusagen ausserhalb des Scopes liegt. Hier arbeitet Marx mit Augenschein-Begriffen, die jeweils eine gewisse Plausibilität haben, inhaltlich aber schwankend sind. Sozusagen für jeden was dabei;-)
(20.1.2) Empirie(n), 22.04.2002, 16:28, Stefan Meretz: Du bist ja schnell bei der Hand, mir "Praxisferne" o. dgl. vorzuwerfen so in die Richtung: Wer Kategorien wälzt, der geht "äußerlich" an die Dinge heran. Ich weise das im wesentlichen aus zwei Gründen zurück. Den ersten habe ich oben bereits genannt: Jede Analyse setzt Begriffe voraus. Es gibt also nicht die scheinbar "neutrale" Praxisbeschreibung, die dann irgendwie zur Begriffen eindampft, sondern jeder Zugriff auf empirische Verhältnisse ist begrifflich strukturiert. Das unterscheiden wir uns übrigens nicht, auch wenn du das wortreich behauptest.
(20.1.3) Emperie(n), 22.04.2002, 16:50, Stefan Meretz: Der zweite Grund ist mein Hinweis auf den Unterschied zwischen historisch-logischer und aktueller Empirie. Bei der historisch-logischen Empirie geht es um die begriffliche Rekonstruktion der gegenwärtigen Historizität eines Gegenstands. Bezüglich des Gegenstands des "Stoffwechsels mit der Natur" vulgo "Arbeit" ist dies nicht erfolgt. Meine These ist nun, dass - angewendet auf den Begriff "Arbeit" - dies ergibt, dass das Begriffspaar der abstrakten/konkreten Arbeit einen genetischen Vorläufer hat, dessen Differenzierungsprodukt sie sind. Das ist die "Arbeit".
(20.1.4) Kategorienpaar, 22.04.2002, 16:58, Stefan Meretz: Ich behaupte nicht, dass alles historisch neu ist. Das ginge auch gar nicht, denn historisches Differenzierungsprodukt der "Arbeit", heisst, dass es in der frühen, gewissermaßen integralen Form schon die Momente gegeben hat, die unter den Bedingungen der Warenproduktion sich ausdifferenzieren konnten. Diese Momente sind m.E. diejenigen, die du benennst: Zeit- und Nutzenaspekt der Arbeit. Doch so wie sich auch "Zeit" im gesellschaftlichen Vollzug von der "Sachzeit" (jedes Ding hat seine Zeit) zu einer abstrakten, linearen Zeit umwandelt (und Uhren, Zeitmessungen usw. hervorbringt), so auch die Arbeit in das, was Marx dann kategorial als konkrete und abstrakte Arbeit fasst. Das hat es vorher nicht gegeben.
(21) Kategorial sind also Zeitaspekt und Nützlichkeitsaspekt von »Arbeit« allgemeiner als Gebrauchs- und Tauschwertaspekt von »Arbeit«. Sie sind logisch-historisch vorgelagert. Fraglich ist nun noch, ob »Arbeit« als Begriff nicht auch schon in die Falle der überhistorischen Universalisierung tappt. Guckt man sich die aktuellen politischen Debatten und die Geschichte des Traditionsmarxismus an, dann muss man die Frage klar bejahen. Doch es geht uns hier ja nicht um vordergründige »Politik«, sondern um ein adäquates begriffliches Widerspiegeln inhaltlicher Sachverhalte, das uns langfristig handlungsfähiger machen soll. Und da sehe ich jenseits »politischer« Argumente - Denunziation des Arbeitsfetischs - keinen nachhaltigen Grund, die gesellschaftliche Produktion und Reproduktion des Lebens nicht allgemein »Arbeit« zu nennen (im Unterschied zur Krisis-Position). Dann ist es aber auch erforderlich, diesen allgemeinen Arbeitsbegriff nicht zu verwenden, wenn ich die Spezifik einer besonderen historischen Form meine. Dann muss ich von Lohnarbeit sprechen als historisch-spezifischer, aus Lebenszusammenhängen herausgelöster Form der »Arbeit«, die ich hinsichtlich ihres konkreten und abstrakten Aspekts bestimmen kann. Das populistisch-traditionsmarxistische Schema »Arbeit« = konkrete Arbeit = gebrauchswertschaffende Arbeit einerseits und »Lohnarbeit« = abstrakte Arbeit = wertschaffende Arbeit mit samt seinen antisemitischen Implikationen ist dann aber zu verwerfen. Insofern ich die Lohnarbeit deskriptiv als solche als »abstrakt« ansehe, finde ich die Bezeichnung »abstrakt-abstrakte Arbeit« und »konkret-abstrakte Arbeit« [7] ziemlich treffend - aber das nur Randbemerkung.
(21.1) 06.04.2002, 16:37, Werner Imhof: Wenn heute der Ruf nach "Arbeit!" oder nach einem "Recht auf Arbeit" ertönt, dann ist damit immer nur Arbeit in Form der Lohnarbeit gemeint. Der sog. "Arbeitsfetisch" ist also tatsächlich der Fetisch Lohnarbeit, die nur deshalb als Arbeit schlechthin vergötzt wird, weil diese anders als in der Form der Lohnarbeit gar nicht mehr vorstellbar scheint (es sei denn in den Formen der "selbständigen Arbeit" und der privaten oder ehrenamtlichen "Nichterwerbsarbeit"). Die "Denunziation des Arbeitsfetischs" bleibt deshalb eine hilflose Negation, wenn sie den Ruf nach "Arbeit" für bare Münze nimmt und bei der Ablehnung "der Arbeit" landet, weil sie selbst nicht die Bedingungen begreift und benennt, unter denen Arbeit die Form der Lohnarbeit annehmen muß. Daß Du nun allgemein Arbeit als notwendige "gesellschaftliche Produktion und Reproduktion des [menschlichen] Lebens" anerkennst, ist immerhin ein Ansatz, der auch Deine bisherigen Attacken gegen die "Arbeit" als besondere "Sphäre" relativiert - aber mehr auch nicht. Denn der "allgemeine Arbeitsbegriff" hilft gerade noch zu begreifen, daß die Lohnarbeit nur eine "besondere historische Form" gesellschaftlicher Arbeit ist. Aber er hilft in keiner Weise weiter, die historische Besonderheit selbst zu verstehen. Da klebst Du weiterhin am "konkreten und abstrakten Aspekt" der Lohnarbeit, die gerade nicht ihre Besonderheit ausmachen, weil diese "Aspekte" der Warenproduktion überhaupt eigen sind.
(21.1.1) Arbeit, Arbeit, Arbeit, 22.04.2002, 21:38, Stefan Meretz: Das Finstere ist: Wenn der Ruf nach "Arbeit!" ertönt, dann ist genau die ontologisierte "Arbeit" gemeint, weil - ja, richtig - diese gar nicht mehr anders als in der Form der Lohnarbeit vorstellbar scheint. Aber diese objektive Gedankenform, diese Erscheinung, ist gleichzeitig alltäglich real: In der Warenproduktion als quasi naturalisierter Gesellschaftsform, als scheinbar zweiter Natur, ist "Arbeit" - diese verselbstständigte, perverse Form der menschlichen Tätigkeit zur Re-/Produktion des Lebens in Form der Lohnarbeit - eine "falsche", aber real-wirksame Seinsbestimmung des Menschen. Haug, allerdings nur mit einer Ahnung dessen, schreibt: "Formen wie dei Lohnform sind ... zwar imaginär und irrational, aber nichtsdestoweniger alltäglich real." (176). Meine Attakten gegen diese ontologisierte "Arbeit" werde ich weiter führen, um - wenn du so willst - den "allgemeinen Arbeitsbegriff" zu retten.
(22) Vor diesem Hintergrund des Versuches, die traditionsmarxistischen Plattheiten durch Genauigkeit zu hinterfragen, ist es ziemlich unverständig und denunziatorisch, wertkritischen Ansätzen vorzuwerfen, sie würden mit der »abstrakten Arbeit« ein »begriffliches Gespenst (erzeugen), das scheinbar unabhängig von jeder konkreten Arbeit und neben ihr sein Unwesen treibt« (11). Was da sein Wesen treibt, ist der rückgekoppelte Selbstzweckzusammenhang, in dem die abstrakte Arbeit - verstanden als abstrakter Aspekt der Lohnarbeit - verschiedene Metamorphosen durchläuft und über den Wert auf sich selbst rückgekoppelt ist. Wenn die Krisis-Gruppe hier zurückpoltert und den Apologien der »Arbeit« eine Befangenheit im ontologischen Arbeitsbegriff des Arbeiterbewegungsmarxismus vorwirft, der den Horizont der bürgerlichen Gesellschaft nicht überschreitet, finde ich das nicht fein, aber inhaltlich nachvollziehbar.
(22.1) 06.04.2002, 16:38, Werner Imhof: Ein "rückgekoppelte(r) Selbstzweckzusammenhang, in dem die abstrakte Arbeit - verstanden als abstrakter Aspekt der Lohnarbeit - verschiedene Metamorphosen durchläuft und über den Wert auf sich selbst rückgekoppelt ist" - das ist genau der Jargon, den ich meine. Die "abstrakte Arbeit" wird zum begrifflichen Gespenst, dessen Bewegung völlig abgelöst bleibt von der praktischen Bewegung, der es entsprungen ist. Es kann nur den Anschein von etwas Absurdem erzeugen, weil es eine verselbständigte "Entwicklungslogik 'isomorph' widerspiegeln" soll (Hervorhebung von mir), die doch nur als absurd gewordene Logik einer bestimmten gesellschaftlichen Praxis zu begreifen ist. Die aber stellt sich dem "kategorial-begreifenden Denken" etwa so dar: "Verwertung. Etwas auf seine ökonomische Werthaltigkeit reduzieren und auf dem kapitalistischen Markt zu Geld machen. Die Verwertung von Wert ist der Kern des Wertgesetzes. Dabei wird Wert zu Kapital, wenn der Wert sich auf dem Markt auch wirklich realisiert, wenn er auf Wert in Geldform trifft und in Kapital umgewandelt wird, wenn er die Konkurrenz um das beschränkte Geld auf dem Markt gewinnt..." (Aus dem Glossar des "Gegenbilder"-Buchs) Gegenüber solchem "zirkulationsfixierten" Unsinn sind selbst traditionsmarxistische Plattheiten" noch wahre Gipfel der Erkenntnis. Da wir gleich zur Frage der Aufhebung der kapitalistischen Warenproduktion übergehen, zuvor noch einige Anmerkungen zu ihrer "wirklichen Praxis" (Haug):
(22.1.1) Wertverwertung als Selbstzweck, 24.04.2002, 09:51, Stefan Meretz: Der Satz ist sprachlich wegen des doppelten "rückgekoppelt" versaut, inhaltlich trifft er aber ziemlich genau die praktische Bewegung, die es "als absurd gewordene Logik ... zu begreifen" gilt. Da sind wir uns also einig.
(22.2) 06.04.2002, 16:40, Werner Imhof: Kapitalistische Produktion ist wie alle Warenproduktion ein System voneinander getrennter Privatarbeiten, die über den Austausch miteinander verbunden sind, also Produktion für den Austausch, der den Produkten Wertform aufzwingt, die sie im Austausch realisieren müssen. Ihre Besonderheit besteht darin, daß sie auf der Anwendung kollektiver Arbeitskraft beruht, die über die zur eigenen Reproduktion notwendige Arbeit hinaus unbezahlte Mehrarbeit leistet, die sich in einem Mehrprodukt niederschlägt, welches im Austausch als Mehrwert realisiert wird. Durch diese Produktion von Mehrwert wird Geld, das gegen Arbeitskraft und Produktionsmittel getauscht wird, zu Kapital und die Wertform der Produkte zur Kapitalform. Historisch entstand das Kapitalverhältnis als Klassenverhältnis, in dem die kollektive Arbeitskraft aus Lohnarbeitern bestand, die "frei", also getrennt von Produktionsmitteln waren und ebenso "frei", ihre Arbeitskraft zu verkaufen. In dieser Form hat sich die kapitalistische Produktionsweise global durchgesetzt und setzt sie sich noch heute durch. Die Entwicklung zeigt jedoch, daß das Kapitalverhältnis nicht notwendig an das Klassenverhältnis gebunden ist. Auch Belegschaftsunternehmen oder Genossenschaften, in denen die Arbeitskräfte gleichzeitig Eigentümer ihrer Produktionsmittel sind, sind gezwungen, unbezahlte Mehrarbeit für ein Mehrwert realisierendes Mehrprodukt zu leisten, wenn sie ihre Produktionsmittel nicht nur reproduzieren, sondern modernisieren und erweitern und sich in der Konkurrenz behaupten wollen. Die Kapitalform der Produkte kann also offenbar nur aufgehoben werden, wenn mit der Privatarbeit und dem Austausch die Wertform überhaupt aufgehoben wird. - Diese Aufassungen dürften Dir nicht neu sein. Ich habe sie in ausführlicherer Form schon in den "Materialien zur KW 48/1999" dargelegt, die Du kennst und aus denen Du im Folgenden ja auch ein Zitat anführst. Doch wie gehst Du damit um?
(23) Die traditionsmarxistische Fixierung auf das Privateigentum ist einschlägig, Werner übernimmt sie. Was ihn von traditionellen Marxismen unterscheidet ist die Kritik an Tausch, Warenform und Geld [8]. Das ist sozusagen eine interessante Mischung aus Traditionsmarxismus und Wertkritik. Was ist aber an der Forderung nach Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln und Produkten falsch? - Nichts! Sie ist nur völlig unzureichend, sie ist zwar notwendige aber keineswegs eine hinreichende Bedingung für die Aufhebung des Kapitalismus. Sich auf das »Privateigentum« zu fixieren, bedeutet faktisch, sich auf eine juristische Form zu kaprizieren. Über die Mittel zu verfügen, bedeutet nicht, über die Bewegungslogik zu verfügen. Es ändern sich wenig, wenn »die Arbeiter« oder »der Staat« die Produktion lenken. Sie können nicht mehr machen, als hier und dort gegen die »Selbstzweckbewegung des 'mehrwertheckenden Werts'« (17) zu verstoßen, was zu der nachvollziehbaren Aussage der Liberalen führt, die Sozialisten könnten »nicht mit Geld umgehen«. Das Problem ist aber nicht, dass sie es nicht »können«, sondern, dass sie nicht erkennen, dass es nicht »können« können, es aber trotzdem versuchen und sich damit auf ewig im bürgerlichen Kategoriensystem bewegen.
(23.1) Re: Die einfache Negation 1: Abschaffung des Privateigentums, 06.04.2002, 17:39, Werner Imhof: "Sich auf das 'Privateigentum' zu fixieren, bedeutet faktisch, sich auf eine juristische Form zu kaprizieren." Das wäre allerdings platter "Traditionsmarxismus" - wenn es denn stimmte. Doch es stimmt eben nicht. Du weißt sehr gut, daß ich den Begriff des Privateigentums (an Produktionsmitteln) nur als Kennzeichen bestimmter praktischer Produktionsverhältnisse benutze und auf diese Verhältnisse immer auch explizit eingehe. Ich zitiere aus den "Materialien zur KW 48/1999":
(23.1.1) Das Nebeneinander von "Richtigem", 24.04.2002, 10:21, Stefan Meretz: Du missdeutest meine Argumentation, sie ist offensichtlich missverständlich. Die geht so: Du übernimmst die Fixierung auf das Privateigentum, ergänzt sie aber um die Kritik von Tausch, Warenform und Geld (und erweiterst die Argumentation, was unter "Eigentum" zu subsummieren sei, s.u.). Dann argumentiere ich, warum die Aufhebung von Privateigentum (an PM) unzureichend ist - was du ja weisst und deswegen ergänzt. Meine Argumentation ist nicht: Du fixierst dich wie der TM alleinig auf das Privateigentum - gerade nicht. Im ersten Schritt setze ich mich dann mit den Konsequenzen einer solchen alleinigen Fixierung auseinander. Meine Kritik ist also: Du stellst zwei "richtige" Forderungen unverbunden nebeneinander. In ihrem Nebeneinander sind es "einfache Negationen", weil die "doppelte Negation" jeweils unsichtbar bleibt, bleiben muss.
(23.1.2) Privateigentum als Symbol, 24.04.2002, 10:31, Stefan Meretz: Nun behauptest du, das Privateigentum nur Kennzeichen bestimmter praktischer Produktionsverhältnsse sei. Nein, genaugenommen verwendest du den Begriff in der Weise, als ob dem so sei. Das Privateigentum ist aber in der kein Kennzeichen, kein Symbol, sondern Praxis einer juristischen Form (was Staat, Gewaltmonopol desselben etc. voraussetzt). So stellt sich ganz praktisch die Frage, was denn mit der juristischen Form des Privateigentums an PM geschieht, wenn sie aufgehoben wird. Gewinnt das Eigentum eine neue juristische Form, etwa Allgemeineigentum? Was ist mit den Nicht-PM - bleiben die in der alten juristischen Form?
(23.1.3) Aus dem Begriff, aus dem Sinn, 24.04.2002, 10:51, Stefan Meretz: Was dir aus dem Symbol-Begriff "Privateigentum" und damit aus dem Sinn rutscht, ist die praktische Bewegungsform, ist die Tatsache der juristischen Form. Das immerhin sieht der Traditionsmarxismus, nur: in seiner abstrakten Negation der sogenannten "Abschaffung des Privateigentums" (an PM) und Überführung in xy-Eigentum, kapiert er (in der Regel) nicht, dass er sich in der juristischen Form, in der Rechtsform, bewegt und diese damit bestätigt. Dass Warenform und (moderne) Rechtsform in der warenproduzierenden Gesellschaft konstitutiv sind, einander bedingen, das bleibt unsichtbar. Durch das Kaprizieren auf die juristische Form "Eigentum" wird genau die Rechtsform, in der sich die Argumentation bewegt, unsichtbar - auch bei dir. Dabei ginge es mit der Aufhebung der Warenform auch (aber auch wieder nicht nur) um die Aufhebung der Rechtsform, dessen - selbstredend wesentlicher, aber nicht alleiniger - Aspekt die Aufhebung des Privateigentums an PM ist. Wenn man das begreift, dann steht die Frage nach der anderen Vergesellschaftsform, zu der eben auch die Rechtsform gehört, mit großer Schärfe an: als praktische Frage, als was denn sonst. Und dazu ist keineswegs alles gesagt - dazu komme ich noch.
(23.2) 06.04.2002, 17:40, Werner Imhof: "Was im Kapitalismus-Bild der sozialistischen bzw. kommunistischen Bewegung weitestgehend unter-, wenn nicht gänzlich unbelichtet war, ist der zwiespältige Charakter des Privateigentums und die 'eigentümliche' Form, die die gesellschaftliche Arbeit unter seiner Herrschaft annimmt. Privateigentum an Produktionsmitteln ist nämlich nicht nur Verfügungsgewalt über sie (bzw. der juristische Ausdruck davon), Herrschaft über Sachen, sondern immer zugleich ihr Gegenteil: Beherrschung durch Sachen, Beherrschung der Privateigentümer (seien sie Privatkapitalisten, Aktiengesellschaften oder Belegschaften 'selbstverwalteter' Betriebe) durch ihre Produkte. Denn das Privateigentum an Produktionsmitteln trennt nicht nur Eigentümer von Nichteigentümern, sondern auch - und wichtiger noch - die Privateigentümer bzw. -produzenten voneinander; es ist gerade Ausdruck ihrer Getrenntheit. Privateigentum an Produktionsmitteln heißt nichts anderes, als daß gesellschaftliche Arbeit unter vordergründig 'unabhängigen' Teilproduzenten aufgeteilt sind, die tatsächlich voneinander abhängig sind. Dies ist die wesentliche Bestimmung des Privateigentums als einem sozialen Verhältnis und nicht die Bestimmung durch sein Gegenteil, das Nicht-Eigentum. Sie bleibt auch fundamental für das kapitalistische Eigentum, für die Spaltung der Gesellschaft in Kapitalisten und Proletarier. (...) Selbst wenn alle Betriebe 'in Arbeiterhand' wären, das Privateigentum an Produktionsmitteln also in einer Richtung - als Trennung in Besitzende und Besitzlose - aufgehoben wäre, bliebe mit der Wertform der Produkte auch ihre Kapitalform erhalten, würde sich die Arbeit in bezahlte und unbezahlte, in notwendige zur Reproduktion der Belegschaften und in Mehrarbeit zur erweiterten Reproduktion der Produktionsmittel teilen und der Zwang zur Ausdehnung letzterer auf Kosten ersterer die Produktion beherrschen, solange das Privateigentum nicht auch in der anderen Richtung - als Trennung der Produzenten (die immer zugleich produktive und individuelle Konsumenten sind) voneinander - aufgehoben wäre, solange die Markt- und Geldbeziehungen zwischen ihnen nicht durch andere Beziehungen ersetzt würden. Kurz: Die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise ist nur möglich als Aufhebung der Warenproduktion überhaupt und damit auch des Geldes."
(23.2.1) 24.04.2002, 11:08, Stefan Meretz: Schöner Abschnitt - hat in meinem Papierdruck ein dickes Ausrufezeichen bekommen:-) Was ich beim damaligen Lesen noch nicht sah und heute schärfer sehe, ist die Beschränkung des "Eigentums" auf ihre auf die "Trennungsfunktion". Die Rechtsform selbst ist kein Thema, damit auch nicht, dass die Rechtsform mit dem Kern des Privateigentums, die gesellschaftlichen Verkehrsformen generell bestimmt. Zugespitzt bedeutet das, dass die Aufhebung von Warenform (Markt, Geld, Staat etc.) ohne Antasten der Rechtsform unmöglich ist.
(23.3) 07.04.2002, 19:12, Werner Imhof: Es kann also keine Rede davon sein, daß ich mich auf eine juristische Form "kapriziere" oder auch nur auf die Frage der Verfügung über die Produktionsmittel. Im Gegenteil, ich betone gerade, daß die Verfügung über die Produktionsmittel noch nicht die Beherrschung der Produzenten durch ihre Produkte (genauer: durch die Wert- und Kapitalform ihrer Produkte) aufhebt, solange sie nicht ihre Trennung voneinander aufheben, das heißt ihre Austauschbeziehungen "durch andere Beziehungen" ersetzen. Was das nur für Beziehungen sein könnten, habe ich ebenfalls mehrfach ausgeführt:
(23.4) 07.04.2002, 19:14, Werner Imhof: "Ich halte nichts davon, über das pragmatische Arrangement der Lohnabhängigen mit den bestehenden Eigentums- oder Herrschaftsverhältnissen die Nase zu rümpfen; am allerwenigsten dann, wenn die Nase Leuten gehört, die die kapitalistische Produktionsweise nur moralisch verurteilen oder abstrakt negieren, aber nicht angeben können, wie die gesellschaftliche Reproduktion jenseits von Staat und Markt praktisch zu regeln wäre. Die Bourgeoisie beherrscht die Gesellschaft durch ihre unbestrittene Hegemonie, die sie zum einen ihrer ungebrochenen Fähigkeit verdankt, die Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit zu entwickeln, und dem Zugeständnis, die Lohnabhängigen daran teilhaben zu lassen, statt sie allein zur Steigerung der Mehrarbeit auszunutzen, zum andern der scheinbaren Naturgegebenheit von Markt und Geld und damit auch des Kapitals. Und diese Hegemonie wird nur zu erschüttern sein, wenn ihre beiden Säulen morsch werden. Was die erste angeht, so hat die Bourgeoisie bereits selbst begonnen, Hand an sie zu legen, und zumindest ihre glänzende Oberfläche beschädigt. Aber dies allein kann bei den Lohnabhängigen kein progressives Aneignungsinteresse wecken (eher ein reaktionäres Ausschließungsinteresse gegenüber Ausländern, Arbeitslosen, Kranken und Alten). Das kann nur entstehen, wenn sie erkennen, was sie selbst tatsächlich 'anders und besser machen' könnten als die Ritter der 'Marktwirtschaft', nämlich die gesellschaftliche Arbeit auch gesellschaftlich zu organisieren, indem sie die Markt- und Geldbeziehungen zwischen den allseits abhängigen Teilproduzenten durch direkte und selbstbewußte kooperative Beziehungen ersetzten und so das Privateigentum an den Produktionsmitteln vollständig aufhöben. Was die Kapitalisten zur Klasse vereint, ist die Aufrechterhaltung dessen, was sie voneinander und von den Lohnabhängigen trennt, des Privateigentums. Die Lohnabhängigen können sich überhaupt nur zur Klasse vereinigen durch doppelte Negation des trennenden Privateigentums, durch das Interesse, sich nicht nur der Produktionsmittel zu bemächtigen, sondern des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses in seiner Totalität (und das heißt notwendig: auch im internationalen Maßstab)." Oder:
(23.4.1) 24.04.2002, 11:33, Stefan Meretz: Hieraus kann ich nicht ersehen, wie andere Beziehungen sein könnten (hat kein Ausrufungszeichen bekommen;-)). Die Rede von "direkte(n) und selbstbewußte kooperative Beziehungen" finde ich inhaltlich leer. Es ist kein Wunder, sie ebenso bei Alternativklitschen wie Total-Quality-Management-Seminaren anzutreffen - jeweils leicht modifiziert und ohne Forderung nach Aufhebung des Privateigentums natürlich.
(23.4.2) Klassismus, 24.04.2002, 11:42, Stefan Meretz: Und wieso sollen sich die Lohnabhängigen "zur Klasse" vereinigen, warum sollen sich nicht alle Menschen "des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses in seiner Totalität" (was immer das meint) bemächtigen? Mit den Bezugnahmen auf den "klassischen Klassismus" reproduzierst du die Blindheit gegenüber einem weiteren konstitutiven Merkmal der warenproduzierenden Gesellschaft: der Sphärentrennung von "wertproduktivem" und "reproduktivem" Bereich, wobei der erste männlich und der zweite weiblich konnotiert ist (im wertkritischen Jargon: "Wertvergesellschaftung" und "Wertabspaltung").
(23.5) 07.04.2002, 19:17, Werner Imhof: "Unmittelbar gesellschaftliche Produktion ist mit zentraler Planung der Gesamtarbeit ebenso unvereinbar wie mit der Aufrechterhaltung von Markt- und Geldbeziehungen. Sie kann nur bestehen in der Selbstorganisation der gesellschaftlichen Arbeit durch die 'assoziierten Produzenten' (die immer zugleich auch produktive und/oder individuelle Konsumenten sind), indem sie die Produktionsmittel in gemeinsamen Besitz und ihre wechselseitigen, bisher geld- und konkurrenzvermittelten Beziehungen bewußt, plan- und verantwortungsvoll in die eigenen Hände nehmen und vollenden, was die kapitalistische Produktionsweise selbst schon begonnen bzw. vorbereitet hat - die Kooperation mit den 'Zulieferern', den bisherigen Konkurrenten, den betrieblichen 'Kunden' wie den privaten wie öffentlichen 'Verbrauchern'." ("Das Ferne liegt so nah... Über kommunistische Produktion als praktische Möglichkeit oder mögliche Praxis." In: "Materialien zur KW 48/1999") Sinngleich, nur kürzer ist diese Darstellung auch in den "Thesen zur Aufhebung der Warenproduktion" enthalten, die selbst Gegenstand der KW 47/01 waren. Du kennst sie also, auch wenn Du Dich in der Diskussion dazu nicht geäußert hast.
(23.5.1) 24.04.2002, 14:11, Stefan Meretz: Den Slogans "unmittelbar gesellschaftliche Produktion", "Selbstorganisation der gesellschaftlichen Arbeit durch die 'assoziierten Produzenten'" usw. kann ich sofort zustimmen, es sind jedoch nur Platzhalter, die konkretisiert werden wollen, um praktisch werden zu können. Für eine große Illusion und zudem verhängnisvoll halte ich jedoch deine Konkretisierung, nämlich die (sehr traditionelle) Annahme, dass wir den ganzen Laden nur "in die eigenen Hände nehmen" müssten, um das zu "vollenden, was die kapitalistische Produktionsweise selbst schon begonnen hat": Nur Kooperation statt Konkurrenz (als ob Kooperation nicht schon gäbe), natürlich ohne Markt, Geld, Waren (das untraditionell).
(23.5.2) 24.04.2002, 14:26, Stefan Meretz: Darin steckt eine Vorstellung vom "guten Inhalt" - nämlich der quasi neutralen Produktion als Produktion -, der nur noch eine neue Form - die unmittelbar gesellschaftliche Produktion - verpasst werden müsse. Hier wird (a) die dingliche Seite der Mittel wie ein Neutrum behandelt. Die Vorstellung, die ganze Scheisse auch noch in die eigenen Hände nehmen zu müssen, um sie konkurrenzfrei weiterzubetreiben, ist ein Horror. Ich empfehle "gedankliches Probehandeln" (sorry, das konnte ich mir nicht verkneifen). Wahrscheinlich wirst du ergänzen, du seiest ja gegen AKWs, Genfood usw. Das schlägt sich aber nicht nieder in deiner Theorie. Und (b) ist dieses "in Hand nehmen" nur denkbar als durch Eroberung der Macht, was eben genau jene Elemente reproduziert, die mit Staatlichkeit verbunden sind: Macht, Gewalt, Demokratie. Auch hier wirst du wieder sagen, du seiest dagegen - doch in deiner Theorie kommt es nicht vor, oder wenn es vorkommt, dann unverbunden neben der "Übernahme des Kapitalismus." - nur ohne Geld und Co.
(23.5.3) 24.04.2002, 14:47, Stefan Meretz: Du tastest einerseits die Form an, andererseits willst du den Inhalt, der diese Form erst hervorbringt "in die eigenen Hände nehmen". Das geht nicht, das ist ein Widerspruch in sich. Du stellst zwar die Frage, wie denn andere Beziehungen - in meinem "Jargon", andere Arten und Weisen der Vergesellschaftung - aussehen können, beantwortest sie aber nur damit, dass die Produzenten dann kooperieren statt zu konkurrieren (durch Wegfall des Privateigentums). Mal abgesehen davon, dass alle anderen Aspekte von "Beziehungen" ausgeblendet sind (die du sicher additiv hinzufügen könntest), bleibt unklar, warum Markt und Geld überhaupt wegfallen sollen. Du behauptest die Unvereinbarkeit, sehe ich auch so, aber es gibt keinen praktischen Grund, Markt und Geld (und was dranhängt) wegfallen zu lassen. Denn Markt und Geld haben ja reale, also praktische Vermittlungfunktionen - was tritt an ihre Stelle? Wie willst du es anders organisieren? Was also ist diese fantastische "unmittelbare gesellschaftliche Produktion", für die wir beide sind?
(23.5.4) 24.04.2002, 14:54, Stefan Meretz: Weiterhin ist mir dein "Aufhebungsbegriff" unklar. Aufhebung als Fortführung der aus dem nahlos übernommenen Produktion des Kapitalismus - nur ohne Kapitalverhältnis? Plus "Verantwortung" (woher kommt die?) - ein Lieblingsbegriff aller Ethikdiskurse? Ist das dein Begriff einer neuen Qualität, oder ist es keine neue Qualität der menschlichen Produktion und Reproduktion des Lebens? Das sind keine rethorischen Fragen - es ist mir anhand deiner Ausführungen nicht klar geworden.
(23.6) 09.04.2002, 18:32, Werner Imhof: All das ficht Dich nicht an zu behaupten, ich würde mich "auf eine juristische Form kaprizieren". Wie soll ich dieses Verfahren interpretieren? Wenn ich nicht bewußte Unterschlagung annehmen soll, muß ich auf eine massive Begriffsstutzigkeit schließen, die Dich hindert, Gelesenes zu verarbeiten. "Über die Mittel zu verfügen, bedeutet nicht, über die Bewegungslogik zu verfügen." Eben, nichts anderes war ja mein Reden. Die Frage ist, wie sich diese "Bewegungslogik", die "Selbstzweckbewegung des 'mehrwertheckenden Werts'" (dies war schließlich meine Formulierung, die Du zitierst), überwinden ließe. Meine Antwort: durch die "doppelte" oder vollständige Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, das heißt durch die Aufhebung der Produktion für den Austausch und ihre Ersetzung durch die unmittelbar gesellschaftliche Produktion für die individuelle wie die produktive Konsumtion (ich muß das nicht ein weiteres Mal ausführen). Dein Kommentar: "Es ändert sich wenig, wenn 'die Arbeiter' oder 'der Staat' die Produktion lenken." Den Schlenker gegen eine staatliche Produktionslenkung kann ich nur als unsachliche Ablenkung betrachten, denn über den Bankrott des "Sozialismus" als staatlicher Veranstaltung habe ich mich weiß Gott deutlich genug ausgelassen. Bleiben "die Arbeiter". Ob sich "wenig" oder "viel" ändern würde, wenn sie die Produktion lenkten, hinge ja wohl allein von ihrer Praxis ab, davon ob sie ihre Produktionslenkung weiterhin im Stile von Privateigentümern betrieben, die nur für den Austausch produzieren, oder nicht. Und wie ihre Praxis beschaffen sein müßte, um die der Wert- und Kapitalform entspringende "Bewegungslogik" zu beenden, habe ich beschrieben oder zu beschreiben versucht. Du könntest diese Praxis ja für unmöglich oder für unzureichend halten, aber dazu müßtest Du Dich mit ihr auseinandersetzen. Statt dessen begnügst Du Dich mit einem absolut deplazierten Seitenhieb gegen "Sozialisten", die "nicht mit Geld umgehen 'können' können". Das läßt für mich nur den Schluß zu, daß Du selbst das Privateigentum an Produktionsmitteln nur als "juristische Form" begreifen kannst, die auch schon durch einen bloßen juristischen Akt "abzuschaffen" wäre, statt als juristischen Ausdruck praktischer Produktionsverhältnisse, der mit diesen auch nur durch eine andere Form praktischer Beziehungen wirklich (und nicht nur formal, wie im "Realsozialismus") aufgehoben werden kann.
(23.6.1) 24.04.2002, 15:06, Stefan Meretz: Wir sind uns einig das die Frage lautet: Wie überwinden wir die "Selbstzweckbewegung des 'mehrwertheckenden Werts'". Das ist schon mal gut. Deine Antwort ("unmittelbar gesellschaftliche Produktion") ist nach meiner Auffassung ein Platzhalter. Deine Konkretisierung würde praktisch ergeben, dass das unvermittelte Nebeneinander von "Privateigentum doppelt aufheben" und "ohne Markt, Geld etc." sich auflöst in eine Form von "Genossenschaftswesen" bei Beibehaltung von Markt und Geld, weil es äußert unpraktisch ist, letzteres abzuschaffen. Es ist ja nicht so, dass es historisch über diese Probleme immer wieder ein Bewusstsein gegeben hätte. Nur trotzdem ist eben immer wieder so gelaufen. Diese "wirkliche Praxis" hatte eben jenen von mir nur unvollkommen dargestellten Grund. So meine These.
(23.6.2) 24.04.2002, 15:17, Stefan Meretz: Der Schlenker gegen die staatliche Produktionslenkung bezieht sich auf den Traditionsmarxismus in "Reinkultur", mit dem ich mich auseinandersetze, nicht auf dich. Dito mit "kaprizieren" s.o. Wieviel du von diesem noch vertrittst, magst du selbst beurteilen. Warum sich mit der Arbeiterherrschaft "wenig" - eher "nichts" als "mehr" - ändern würde, habe ich den Kommentaren versucht zu präzisieren. Warum mein Seitenhieb gegen "Sozialisten" - denen ich unterstelle, die Bewegungslogik aufheben zu wollen, statt sich in ihr zu bewegen - deplaziert sein soll, ist mir nicht klar. Ich sage, dass es eben ein Unding ist: "mit Geld richtig umzugehen". Und wenn du dir das in "wirklicher Praxis" angucken willst, dann schau nach Berlin. Wenn etwas deplaziert ist, dann meine Unterstellung, Sozialisten wollten die Bewegungslogik (und mit ihr das Geld) aufheben.
(23.7) 09.04.2002, 18:34, Werner Imhof: In Deinem Büchlein "Linux & Co. Freie Software. Ideen für eine andere Gesellschaft" hast Du geschrieben: "Die Alternative zur stellvertretenden Planung kann nur die Selbstplanung der Gesellschaft sein." Aus Sätzen wie diesem hatte ich eine bis in die Wortwahl gehende Übereinstimmung im Grundsätzlichen herausgelesen, die viele Differenzen in anderen Fragen relativieren würde. Inzwischen merke ich, daß die Übereinstimmung wohl Wunschdenken war, denn sonst würdest Du die "Selbstorganisation der gesellschaftlichen Arbeit durch die assoziierten Produzenten" kaum mit der lapidaren Bemerkung beiseite wischen, daß "'die Arbeiter'" für Dich als Subjekt der "Selbstplanung" ebensowenig in Frage kommen wie eine stellvertretende Planung durch "'den Staat'". Man darf gespannt sein, was für eine "andere Gesellschaft" das denn wohl sein mag, die auf "'die Arbeiter'" verzichten können soll, auf deren "Arbeit" bisher noch die Reproduktion der gesamten Gesellschaft beruht.
(23.7.1) 24.04.2002, 15:29, Stefan Meretz: "Die Alternative zur stellvertretenden Planung kann nur die Selbstplanung der Gesellschaft sein." - ist ein ebensolcher Platzhalter wie die "unmittelbar gesellschaftliche Produktion". So allgemein, so übereinstimmend. Nur wie sieht die Konkretion aus? Was heisst das? Diese Frage richte ich natürlich auch an mich. Und in diesem Text versuche ich mich bei der Beantwortung vorzutasten. Im Konkreten unterscheiden wir uns dann. Ja, Arbeiter kommen für mich als Subjekt der Selbstplanung nicht in Frage: Arbeiter als Arbeiter. Denn die Selbstplanung der Gesellschaft ist keine Veranstaltung einer soziologischen Gruppe oder Klasse, eines vergeblich historischen Subjekts oder sowas, sondern kann nur Sache aller Menschen sein. Mit der "ontologisierten Arbeit" gehört natürlich auch dieser "Arbeiter" aufgehoben. Auf das "Arbeiter-sein", diese Funktion in der warenproduzierenden Gesellschaft, können die Arbeiter wie alle verzichten. Was man übrigens - in "wirklicher Praxis" - in der Freien Software ansatzweise sehr gut beobachten kann.
(24) Das Privateigentum ist Grundlage der warenproduzierenden Gesellschaft, es wird mit ihr verschwinden. Die warenproduzierende Gesellschaft wird jedoch erst aufgehoben, wenn es gelingt, eine andere Vergesellschaftungsform als jene durch die Wertabstraktion konstituierte durchzusetzen. Der Begriff der Vergesellschaftungsform fasst das allgemeine Vermittlungsmedium gesellschaftlicher Infrastrukturen [9], die der sich selbst reproduzierende, »subjektlose« Wertverwertungsprozess je historisch spezifisch erfordert: Märkte unterschiedlicher Regulationsformen, Staaten unterschiedlicher Repressionsdichten, Eigentumsformen unterschiedlicher juristischer Gestalt, Gedankenformen unterschiedlicher Verblendung usw. Anders formuliert: Die kapitalistische Vergesellschaftungsform wird bestimmt von ihrem funktionalen dynamischen Kern, der Verwertung von Wert auf stets erweiterter Stufenleiter. Sie auf den Aspekt »Eigentum« zu reduzieren, würde gleichsam einen juristischen Ausdruck eines viel grundlegenderen und fein gestaffelten Prozesses einsam herausheben. Dieser Vereinseitigung entkommt man nur, wenn man die Vergesellschaftungsform eben als solche komplett in den Begriff nimmt. Das Basis-Überbau-Schema wird damit allerdings obsolet.
(24.1) 09.04.2002, 18:35, Werner Imhof: "...wenn es gelingt, eine andere Vergesellschaftungsform als jene durch die Wertabstraktion konstituierte durchzusetzen." Wieder so ein Beispiel dafür, wie das "kategoriale Denken" in selbstgelegte Fallen tappt, weil es die "wirkliche Praxis der Menschen" nicht mehr im Blick hat. Es kann überhaupt nicht gelingen, eine "andere Vergesellschaftungsform" durchzusetzen, wenn die heute herrschende Form der Vergesellschaftung keinen praktischen Inhalt hat, der eine andere Form nicht nur ermöglicht, sondern nach ihr drängt. Wenn auch die Form der heutigen Vergesellschaftung durch die "Wertabstraktion", richtiger: durch den Tauschwert in Gestalt von Kapital, konstituiert ist und diese Form auch den Inhalt prägt, so ist sie doch nur Form eines von ihr unterscheidbaren Inhalts. Und der fundamentale Inhalt, zu dem sich die Menschen "gesellen", die "Basis" ihrer praktischen Beziehungen untereinander, ist ihre Arbeit als gesellschaftliche Betätigung, die - wenn auch in der gegensätzlichen Form von Lohnarbeit und Kapital - die materielle und kulturelle Reproduktion der Gesellschaftsmitglieder sichert bzw. zunehmend auch verunsichert. Deshalb ist alles Räsonnieren über eine "andere Vergesellschaftungsform" boden- und inhaltslose Gedankenspielerei, wenn es nicht den wirklichen, den heutigen gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß zum Inhalt hat, weil nur in ihm selbst eine "andere Vergesellschaftungsform" angelegt sein kann und angelegt ist, die nicht aus dem Kopf zu entwickeln, sondern "nur" zu entdecken und von der Herrschaft des Tauschwerts zu befreien ist. Da Du aber vor lauter Formen keine praktischen Inhalt mehr wahrnimmst, verflüchtigt sich der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion für Dich zum "sich selbst reproduzierende(n), 'subjektlose(n)' Wertverwertungsprozeß" (was ihn zum "fein gestaffelten Prozeß" macht, bleibt leider Dein Geheimnis). Aber wenn auch dieser Prozeß die Menschen beherrscht, so reproduziert er sich doch nur durch ihre subjektive Praxis, die Produktion für den Austausch. Und nur deshalb wird er auch aufhebbar, sobald die Menschen die Absurdität dieser Praxis begreifen. Wozu der Wertverwertungsprozeß selbst beiträgt, indem er die Vergesellschaftung der Arbeit immer noch weiter treibt.
(24.1.1) Inhalt-Form-Dialektik, 24.04.2002, 15:41, Stefan Meretz: Auf der Inhalt-Form-Dialektik zu insistieren, kann ich nur unterstützen. Ich sehe das ganz genauso, nur weise ich die Kritik, das ich dem generell nicht Rechnung tragen würde zurück. Ich verweise auf das "Gegenbilderbuch", in dem wir genau das versucht haben. Kap. 2.1 (Geschichte ist die Geschichte der Produktivkraftentwicklung) handelt von der Inhaltsseite, Kap. 2.2 (Vergesellschaftung und Herrschaft) von der Formseite. In diesem Text hier kommt das zu kurz - Kritik akzeptiert. So mag es dir erscheinen, als ob es mir quasi inhaltsleer und äußerlich nur um eine Form um der Form willen geht. Das ist aber nicht der Fall.
(24.1.2) Primat der Form?, 24.04.2002, 15:57, Stefan Meretz: Deine Vorstellung, da sei in der warenproduzierenden Gesellschaft der Inhalt der neuen Vergesellschaftsform schon angelegt, die nurmehr "zu entdecken und von der Herrschaft des Tauschwerts zu befreien" sei, halte ich für naiv, aber sehr traditionell: Da gibt es also eine Form, die "den Inhalt" prägt, andererseits gibt es eine besondere Abteilung des Inhalts, den "fundamentale(n) Inhalt", der (von dieser Form unbetroffen?) der sich eine neue Form überstreifen könne, in dem die neue Form "angelegt ist". - Ganz traditionell habe ich gelernt, dass in der Inhalt-Form-Dialektik der Inhaltsseite der Primat zukommt. Wenn das stimmt, und ich nehme das nachwievor an, dann haut deine Vorstellung nicht hin, dann ist es nicht möglich, die Form "mal eben" (Befreiung von der Herrschaft des Tauschwerts) zu wechseln. Wenn du den Primat auf der Formseite verortest, dann musst du zu solchen ontologisierten Kategorien wie dem "fundamentalen Inhalt", dem "eigentlich Guten" etc. greifen. Auch das meine ich nicht polemisch, sondern werfe es als ernstes Problem auf. Das ist auch nicht grundsätzlich gegen eine Ontologie gerichtet (wie ich auch im Text deutlich gemacht habe). Problematisch sind Ontologien, wenn sie Erscheinungen der warenproduzierenden Gesellschaft universalisieren - das hatten wir schon (siehe die ontologisierte "Arbeit").
(25) Wenn Werner behauptet, »kommunistische Produktion wäre nichts anderes als Ausbau und die Verallgemeinerung solcher Beziehungen (der Vernetzung der Designer, Zulieferer, Produzenten und Kunden, SM) und ihre Befreiung vom Privatinteresse des Einzelkapitals« (KW48/99, 32), dann widerspiegelt das aus meiner Sicht die der Fixierung auf das Privateigentum inhärente Kurzsichtigkeit: Die Befreiung vom Privatinteresse des Einzelkapitals befreit uns keineswegs von der Vergesellschaftung über den Wert, von der Produktion von Gütern als Waren. Das ist mit dem Realsozialismus vergeblich versucht worden. Es ist ein Irrtum, zu meinen, die Ursache sei die Zentralplanung, die fehlende Demokratie, das niedrigere Produktivitätsniveau oder einfach die Blödheit der herrschenden Partei gewesen. Die Ursache war die Tatsache, dass trotz aller Planung Produktion und Distribution »wertlogisch« reguliert wurden, wobei zwar binnenwirtschaftlich »voluntaristisch« gehandelt wurde (»gegen das Wertgesetz verstoßen wurde«, wie die »sozialistischen Marktwirtschaftler« kritisierten), aber aussenwirtschaftlich der Dominanz der Weltmarktlogik im wörtlichen Sinne »Rechnung getragen« werden musste.
(25.1) 09.04.2002, 18:37, Werner Imhof: Aus einem 16seitigen Text zitierst Du einen Satz, der für sich genommen tatsächlich mißverständlich ist, weil dann unklar bleibt, ob die "Befreiung (der zwischen- und überbetrieblichen Kooperation - einer Form der Vergesellschaftung der Arbeit, nicht bloß der "Vernetzung") vom Privatinteresse des Einzelkapitals" auch die Aufhebung der Warenform der Produkte einschließen soll oder nicht. Bei logischer Betrachtung und im Zusammenhang des Textes gelesen, ist ein Mißverständnis aber "eigentlich" ausgeschlossen. Denn wenn die Produkte weiterhin Wertform hätten, also für den Austausch gegen Geld produziert würden, dann wäre die Wertform natürlich zugleich Kapitalform und mit ihr das "Privatinteresse des Einzelkapitals" gegeben. Man könnte allenfalls den Ausdruck als doppelten Pleonasmus kritisieren, denn alles Kapital existiert nur als Einzelkapital, und sein Interesse ist immer ein privates, selbst wenn es sich als Teil eines nationalen oder sonstigen Gesamtkapitals begreift. Im Gesamtzusammenhang des Textes "über kommunistische Produktion als praktische Möglichkeit oder mögliche Praxis" kann eigentlich nur eine an Böswilligkeit grenzende Begriffsstutzigkeit zu dem Schluß führen, daß hier einer "Befreiung vom Privatinteresse des Einzelkapitals" bei fortdauernder "Produktion von Gütern als Waren" das Wort geredet wird. Du mußtest 16 Seiten lesen, um eine verunglückte Formulierung zu finden, an der Du Dich aufhängen kannst. Und da solltest Du nicht bemerkt haben, daß ich all die Seiten über nichts anderes schreibe als über die mögliche Aufhebung der Warenproduktion? Natürlich hast Du es bemerkt. Der Witz ist, Du verstehst das Geschriebene nicht, weil ich die Aufhebung der Warenproduktion als eine recht einfach zu begreifende Praxis beschreibe; einfach zu begreifen jedenfalls dann, wenn man die fortgeschrittene und weiter fortschreitende Vergesellschaftung der Arbeit wahrzunehmen imstande ist und wenn man sich von der Zwangsvorstellung des Austausches und der Produktion für den Austausch lösen kann.
(25.1.1) 24.04.2002, 16:11, Stefan Meretz: Der Satz ist nicht bloß für sich genommen missverständlich, sondern er drückt ganz gut deine Sichtweise aus. Das habe ich in den Kommentaren hier jetzt hoffentlich deutlicher gemacht: die Aufhebung des Privateigentums an PM steht neben der Forderung nach Aufhebung der Warenform. Sie ist aber praktisch gar nicht "notwendig" bzw. äußert "unpraktikabel". Du hast zwar benannt, dass die "unmittelbar gesellschaftliche Produktion" mit der Warenform unvereinbar ist. Es ist aber nicht so, dass das Nicht-Privat-Eigentum (was auch immer) gegen eine Bewegung in der Warenform steht. Deswegen ergänzt du die traditionelle Forderung der Eigentumsaufhebung (äußerlich, additiv) um die Aufhebung von Tausch und Warenform. Das ganze wird so zum Bewusstseinsproblem: Wir müssen uns eben "von der Zwangsvorstellung des Austausches und der Produktion für den Austausch lösen". Meine These: Nicht weil das "Bewusstsein" fehlt, sondern weil es unpraktikabel ist, es nicht anders geht, werden sich ganz praktisch Warenform und Markt wieder durchsetzen - auch wenn man anfangs subjektiv etwas anderes wollte. Das ist doch das Dilemma der so vielen Ansätze.
(26) Das alles weiss auch Werner, weswegen er auf der Abschaffung des Tausches und damit des Geldes insistiert. Diese Forderung bleibt aber abstrakt und unvermittelt, da unklar bleibt, was an die Stelle des Tausches tritt. Ich will das anhand eines längeren Zitates von S. 13, in dem es um den berühmten Marxschen »Verein freier Menschen« geht, zeigen:
»In einem solchen 'Verein' wäre es sinnlos, die einzelnen Arbeitsprodukte als Verkörperung 'gesellschaftlich notwendiger' Arbeitsmengen gegeneinander abzuwägen...«
(26.1) Re: Die einfache Negation 2: Abschaffung des Tausches, 11.04.2002, 15:00, Werner Imhof: Zunächst mal stelle ich keine Forderungen und insistiere daher auch nicht auf ihnen, sondern ich sondiere eine mögliche Praxis und insistiere dabei auf bestimmten praktischen Zusammenhängen, etwa der Art: Wer von der Aufhebung der Warenproduktion redet, sollte vom Austausch nicht schweigen. Damit mögliche Praxis wirklich werden kann, bedarf es eines Subjekts, einer sozialen Bewegung, die sich diese Verwirklichung zum Ziel setzt. Ein solches Subjekt aber formiert sich nicht auf bloßen Zuruf von Leuten, die eine mögliche Praxis, die nur als gesellschaftliche realisierbar ist, als unvermittelte Forderung in die Welt setzen und sich selbst damit in den Rang des "eigentlichen" Subjekts und Machers der Geschichte erheben. Es kann sich nur in konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen bilden, in denen das Bedürfnis nach einer anderen gesellschaftlichen Praxis sich als massenhaftes Bedürfnis entwickelt, das sich dann auch in einer öffentlichen Debattenkultur äußert. Wie sich die Subjektivität einer sozialen Bewegung im emanzipatorischen Sinne entwickeln kann, haben wir im letzten Jahr am französischen Beispiel im allgemeinen und an den Sud-Gewerkschaften im besonderen betrachtet. Von diesem Niveau sind wir in Deutschland weit entfernt. Wir sprechen ja noch nicht einmal die gleiche Sprache, was das mögliche Subjekt einer möglichen "Aufhebungsbewegung" angeht.
(26.1.1) Rolle gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, 05.05.2002, 15:34, Stefan Meretz: Hier stimmen wir (fast) überein, insbesondere wenn du "Subjekt" als soziale Bewegung und nicht als irgendwie "objektiv" bestimmbar soziologische Gruppe oder Klasse fasst. Auch ist klar, dass sich nichts "auf bloßen Zuruf" von Leuten ergibt. Wo ich einen anderen Akzent setzen würde, ist die lineare Vorstellung: Auseinandersetzung -> andere Praxis -> neue Bedürfnisse -> emanzipatorische Schritte. Für die Frage, ob etwas überhaupt einen emanzipatorischen Schritt darstellt, brauchst du Kriterien. Die fallen weder vom Himmel, noch ergeben sich sich "einfach" aus der Praxis, sondern sie müssen in bewußter Reflexion von Praxis und (bisheriger) Theorie geschaffen werden. Und genau das machen (nicht nur) wir beide hier: Wir reflektieren gehabte Theorie- und Praxisformen um der zukünftig besseren Handlungsfähigkeit willen. Weil ich genau das für sehr wichtig halte, bestehe ich auf Theorie, Reflexion und Selbst-/Kritik als einer eigenständigen Bewegungsform, die sich keiner Praxis unterzuordnen hat. Sie ist, wenn du so willst, eine besondere Praxisform.
(26.1.1.1) 07.06.2002, 15:41, Werner Imhof: Du irrst gewaltig, wenn Du meinst, daß ich das Subjekt einer möglichen Bewegung zur Aufhebung der Warenproduktion "nicht als irgendwie 'objektiv' bestimmbar(e) soziologische Gruppe oder Klasse" fasse. Selbstverständlich kann die Warenproduktion nur von denen aufgehoben werden, die in der Lage wären, die Produktionsmittel und -prozesse zu beherrschen und sie gesellschaftlichen Zwecken zu unterwerfen. Und das sind nach Lage der Dinge nun mal in allererster Linie die Lohnabhängigen selbst, die die Warenproduktion bis dato betreiben. Man kann ja für unmöglich halten, daß sie jemals dazu bereit und willens werden könnten. Aber dann sollte man entweder aufhören, von einer möglichen Aufhebung der Warenproduktion zu reden, oder bitteschön das Rätsel lösen, wie eine solche Aufhebung denn gegen oder auch nur ohne den Willen der bisher Lohnabhängigen, ohne ihre Arbeitskraft und ihr Produktionswissen zu bewerkstelligen wäre.
(26.2) 11.04.2002, 15:02, Werner Imhof: Daß für Dich die "Abschaffung des Privateigentums" und die "Abschaffung des Tausches" überhaupt in zwei disparate "Negationen" auseinanderfallen können, bestätigt nur noch einmal, daß Du in gut "traditionsmarxistischer" Manier das Privateigentum an Produktionsmitteln bloß als "juristische Form" ohne praktischen Inhalt verstehst. Daß Dir nun auch die "einfache Negation" des Austausches "abstrakt und unvermittelt" erscheint, "da unklar bleibt, was an die Stelle des Tausches tritt", beweist ebenfalls nur Deine persönliche Befangenheit in den Denkformen des Austausches, nicht aber die "Abstraktheit" meiner "Forderung", denn ich habe ganz und gar nicht im unklaren gelassen, "was an die Stelle des Tausches tritt", wie schon die oben angeführten Zitate belegen. Für den Fall, daß Dir das immer noch nicht reicht, zitiere ich eine weitere Passage aus den "Materialien der KW 48/1999": "So wenig 'assoziierte Produktion' (Marx) mit zentraler Planwirtschaft zu tun haben kann, so wenig auch mit 'sozialistischer Marktwirtschaft'. Denn wenn das Privateigentum an Produktionsmitteln aufgehoben ist [und zwar vollständig], kann es auch keinen 'Markt' mehr geben, auf dem die Produkte durch Kauf und Verkauf ihre Eigentümer wechseln, also auch kein Geld und keine in Preisen ausgedrückten 'Kosten'. Der Aufwand an Arbeit, Material und Energie könnte in ihren natürlichen, physischen Einheiten gemessen und verbucht werden statt in der, wie Engels ausdrückte, 'schielenden' Abstraktion des 'Werts'. Die Produkte könnten nicht getauscht, sondern nur geliefert und bezogen, d.h. an den Ort ihrer Konsumtion transportiert werden..." (Nachträgliche Hervorhebung von mir) Die Frage, "was an die Stelle des Tausches tritt", ist also überhaupt schon falsch gestellt; sinnvoll kann sie nur lauten: Was bliebe vom Austausch, wenn die Produkte keine Wertform mehr annehmen? Antwort: Es bliebe die Vermittlung von Produktion und Konsumtion, eine Vermittlung, die die Form unmittelbarer (nicht mehr durch Wertform und Privatinteresse gehemmter) Kooperation annehmen könnte und müßte, deren "Medium" also die menschliche Arbeit selbst wäre mitsamt der dazugehörenden, sie koordinierenden Kommunikation.
(26.2.1) Zwei unvermittelte Negationen, 05.05.2002, 15:48, Stefan Meretz: Die "Abschaffung des Privateigentums" und die "Abschaffung des Tausches" erscheinen mir nicht bloß qua meiner Blödheit als unvermittelte Negationen, sondern sie sind es in deiner Konzeption - das habe ich meinen Kommentaren zu deinen ergänzend hinzugezogenen Zitaten versucht deutlich zu machen, so insbesondere in meinen Kommentaren zu (23.1), (23.5), (23.6), (23.7), (25.1).
(26.2.2) Was anstatt Tausch?, 05.05.2002, 16:08, Stefan Meretz: Dass Produkte "nur geliefert und bezogen" oder allgemeiner "an den Ort ihrer Konsumtion transportiert" werden, ist eine super allgemeine (und zutreffende wie leere) phänographische Aussage. Die Frage ist doch aber: Wie kommt es dazu? Warum sollte wer liefern oder beziehen? Meine Frage, was an die Stelle des Tausches tritt, habe ich im Text immer wieder in Diskussion mit anderen Aufhebungsvorstellungen als Frage nach einer anderen Vergesellschaftungsweise präzisiert. Ich habe begründet, warum diese Frage die IMHO entscheidende ist und kritisiere, dass du sie nicht stellst. Stattdessen sagst du schlicht: Da wird dann eben "nur geliefert und bezogen". Begründung: Die Produkte könnten ja nicht mehr getauscht werden. Damit drückst du die Frage weg, die eigentlich erst die produktive Auseinandersetzung aufmachen könnte: Wie kann eine andere Vergesellschaftung aussehen, was konstituiert, organisiert und formt sie - wenn nicht die Wertabstraktion?
(26.2.2.1) Re: Was anstatt Tausch?, 07.06.2002, 15:42, Werner Imhof: Was wird denn ausgetauscht? Doch nicht Produkt gegen Produkt, Ware gegen Ware, sondern "in aller Regel" Ware gegen Geld, besondere Ware gegen allgemeine Ware, gegen die Anweisung auf eine bestimmte Menge gesellschaftlicher Arbeitszeit schlechthin. Diese Anweisung hat sich längst von der Form einer metallischen Geldware gelöst, ist durch bloße Zeichen ersetzt worden, die bei störungsfreiem Geschäftsverlauf nicht mal mehr real zirkulieren müssen, sondern sich auf reine Buchungsposten reduzieren lassen und saldieren. Die Form des Austausches selbst demonstriert doch, daß stofflich betrachtet gar kein Austausch stattfindet, sondern Vermittlung von Produktion und Konsumtion: Das Produkt wird seiner Gebrauchsbestimmung als Produktions- oder Konsumtionsmittel zugeführt, eben geliefert bzw. bezogen. Was diese Vermittlung bestimmt, ist der Bedarf, die Nachfrage, der Auftrag, die Bestellung. Auch im Kapitalismus kann kein Produkt verkauft werden, das nicht irgendeinen Gebrauchszweck erfüllt, und sei er auch nur eingebildet. Daß nur der Bedarf befriedigt wird, der im Austausch für das Produkt eine bestimmte Geldsumme liefert, heißt ja nur, daß der Austausch den Bedarf beschränkt, aber nicht, daß es ohne Austausch keinen Bedarf gäbe, dem die Produktion dienen könnte. "Wie kommt es dazu? Warum sollte wer liefern oder beziehen?", fragst Du nun. Das erinnert mich an eine ähnlich grandiose Frage von Wolf Göhring. Ja, warum wohl sollten die Produzenten ihre Arbeit ohne Austausch gegen Geld direkt und indirekt (als Produktionsmittelproduzenten nämlich) in den Dienst des gesellschaftlichen (also auch ihres eigenen) Bedarfs und Nutzens stellen wollen, wo sie es als Lohnabhängige doch so bequem haben, vom Kapital zur Arbeit gezwungen zu werden, ohne viel Rücksicht auf gesellschaftlichen Bedürfnisse nehmen und sich den Kopf darüber zerbrechen zu müssen? Warum wohl?
(26.2.3) Was bliebe vom Austausch..., 05.05.2002, 16:18, Stefan Meretz: "Was bliebe vom Austausch, wenn die Produkte keine Wertform mehr annehmen?" - Das ist die sehr traditionelle, aber in die Irre führende Frage. Darin steckt die Annahme einer sozusagen "neutralen Produktion" der schlimmerweise die Wertform "übergestülpt" wurde. Man müsse sie dann nurmehr vom Tausch "abziehen" (wie auch immer), und das war's dann. - Das verkennt, dass die Wertabstraktion für die Vergesellschaftung insgesamt konsitutiv ist und nicht bloß ein der Produktion äußerliches Merkmal. Ohne Wertabstraktion steht fast alles in Frage, weil es das regulierende und sich totalisierende abstrakte Prinzip unserer Sozialität ist - ob es uns passt oder nicht. Und genau darüber: "Was dann?" müssen wir uns heute Gedanken machen, weil die Annäherung an die Aufhebungsformen mit der Möglichkeit der Aufhebung sehr direkt verbunden ist. Das helfen keine Verweise auf ein "nur geliefert und bezogen" oder sonstige Automatismen.
(26.2.3.1) Re: Was bliebe vom Austausch..., 07.06.2002, 15:48, Werner Imhof: Ok, meine Frage war unglücklich formuliert (obwohl die Antwort das Gemeinte eigentlich klarstellt). Natürlich meine ich nicht, daß man die Wertform vom Austausch "abziehen" könne, um dann weiterhin Austausch zu betreiben, nur halt "wertfreien". Die Wertform der Produkte ist ihr Preis, der im Austausch gegen Geld realisiert wird. Wenn die Produkte keine Wertform mehr annehmen (müßten und könnten), dann deshalb, weil sie nicht mehr gegen Geld getauscht würden. Die Frage war also eine Tautologie: Was bliebe vom Austausch, wenn der Austausch entfiele? Ich formuliere sie deshalb sinnvoller: Was bliebe von den Austauschbeziehungen, wenn der Austausch entfiele? Es blieben die Beziehungen zwischen Produzenten und (produktiven wie individuellen) Konsumenten, die befreit wären vom Verwertungszwang wie von der Fesselung der Nachfrage an die Zahlungsfähigkeit. Von irgendwelchen "Automatismen" kann dabei allerdings keine Rede sein. Unmittelbar kooperative Beziehungen sind nur möglich als gewollte, als bewußt praktizierte. Du selbst bist es doch, der auf der Suche nach der "automatischen Form" ist...
(26.3) 11.04.2002, 15:04, Werner Imhof: Bevor ich auf Deine Probleme mit der Praxis eines "Vereins freier Menschen" eingehe, noch ein Wort zu dem "Verein" selbst. Er schwebt nicht in der Luft, wie es scheinen könnte, da Du die Bestimmung dessen, was die "freien Menschen" eigentlich vereint, unter den Tisch fallen läßt. Wovon bei Marx, "zur Abwechslung", wie es ironisch heißt, und bei mir die Rede ist, ist ein "Verein freier Menschen, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben" (Hervorhebung von mir). Der "Verein freier Menschen" ist also nichts anderes als die ironisierende Umschreibung für eine Gesellschaft mit "gemeinschaftlicher" oder "assoziierter" oder "kommunistischer" Produktion, deren Kurzbetrachtung Marx mit den Worten schließt: "Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und Arbeitsprodukten bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution." (MEW 23, S. 93) Für ein "kategoriales Denken", das die "unmittelbare Praxis" zum "Medium des Scheins" erklärt, muß das durchsichtig Einfache sich allerdings als sein Gegenteil darstellen, als das undurchsichtig Schwierige.
(26.3.1) Das Durchsichtige und Einfache, 05.05.2002, 16:36, Stefan Meretz: Auch wenn du es wieder zu meinem intellektuellen Defekt erklärst, behaupte ich: Nichts ist hieran durchsichtig und einfach, denn wir haben keinen "Verein freier Menschen", den man studieren könnte. In einen solchen "Verein" mag es so sein, vielleicht, das wissen wir nicht. Die Frage ist aber, wie wir dahin kommen. Die allgemeinen Bestimmungen von Marx kenne ich (wie Generationen, die darauf eine Praxis gründen wollten). Nochmal: Es sind Platzhalter. Sie beschreiben nicht Praxis, sondern sind Rahmenbestimmungen und sagen nichts über den Prozess der Aufhebung.
(26.3.1.1) Re: Das Durchsichtige und Einfache, 08.06.2002, 17:08, Werner Imhof: "Mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten" beschreibt keine Praxis? "Ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben" auch nicht? Das war allerdings auch die Auffassung des "Traditionsmarxismus", der das für eine praktische Unmöglichkeit hielt, weshalb er das Selbstbewußtsein der Produzenten durch die Weisheit einer zentralen Behörde meinte ersetzen zu müssen und zu können. Was bedeutet, daß - ganz entgegen Deiner Behauptung - für Generationen der Gedanke verpönt war, auf "die allgemeinen Bestimmungen von Marx" "eine Praxis gründen" zu wollen. Nun haben wir in der Tat keinen "'Verein freier Menschen', den man studieren könnte"; er dürfte auch kaum jemals bloß zu Studienzwecken gegründet werden. Für Begriffsstutzige hat Marx denn auch den Hinweis auf einige "andere Produktionsformen" parat, zu denen man "flüchten" könne. Auf Robinson z.B., der Dir als Inbegriff des "konkreten Einzelnen" (mit Großschreibung, versteht sich) doch verständlich sein müßte. Und bei dem alle Bestimmungen der Arbeit eines Vereins freier Menschen vorweggenommen sind, nur individuell statt gesellschaftlich. Oder auf die mittelalterliche Fronarbeit und den Zehnten. Oder auf die "ländlich patriarchalische Industrie einer Bauernfamilie". Gilt auch dafür, daß "nichts hieran durchsichtig und einfach" ist?
(26.4) 11.04.2002, 15:07, Werner Imhof: Das Vergleichen einzelner (!) Arbeitsprodukte nach der in ihnen verkörperten "gültigen" Arbeit einem rationellen Umgang mit unmittelbar gesellschaftlicher Arbeitszeit gleichzusetzen und diesen daher zu verwerfen, zeugt nun wirklich von einer - milde ausgedrückt - Gedankenlosigkeit, die einem die Sprache verschlagen kann. Der Satz, aus dem Du nur zwei Worte anführst, lautet vollständig: "In keiner Gesellschaft, gleich welcher Form, können die Menschen sich nur um die gewünschten Zwecke ihre Arbeit kümmern, ohne ihre verfügbare Arbeitszeit zu berücksichtigen, sie entsprechend einzuteilen und mit ihr zu haushalten." In einer warenproduzierenden Gesellschaft ist das nur über den Austausch möglich, dessen Proportionen letztlich vom Wertgesetz geregelt werden. In einer Gesellschaft mit gemeinschaftlicher Produktion wäre dieser Umweg überflüssig und sinnlos und damit auch das Gegeneinanderabwägen aller einzelnen Produkte. Die Verteilung der verfügbaren Arbeitszeit entsprechend dem gesellschaftlichen Bedarf an Konsumtionsmitteln und dazu nötigen Produktionsmitteln wäre den Menschen unmittelbar zugänglich. Sie bräuchten nur von der jeweils gegebenen Verteilung der Arbeit auszugehen, um sie den sich verändernden Bedürfnissen, der fortschreitenden Arbeitsproduktivität, der technischen Entwicklung u.a.m. anzupassen. Wenn diese Gesellschaft aber, aus lauter Angst, einer scheinbar überlebten Praxis zu huldigen, ihre Produktions- und Konsumtionsmittel in beliebigen Proportionen mit beliebig wechselndem Aufwand in beliebigen Intervallen herstellen wollte, würde sie nach wenigen Tagen kollabieren, wenn nicht aus purem Energiemangel schon sehr viel früher.
(26.4.1) Selbstkritik?, 05.05.2002, 16:49, Stefan Meretz: Das Vergleichen einzelner Arbeitsprodukte usw. ist ein Zitat von dir und keine Paraphrase von mir. Dass es dir heute darüber die Sprache verschlägt, will ich nicht kommentieren. Im Rest dieses Kommentars wiederholst du nur die Argumentation des Zitats, das ich kritisiere - das will ich nicht hier nochmal ausführen. Oder habe ich etwas übersehen?
(26.4.1.1) Re: Selbstkritik?, 07.06.2002, 15:50, Werner Imhof: Allerdings. Du unterschlägst einfach einen Teil des Satzes und stellst ihn dadurch auf den Kopf. Nicht "das Vergleichen einzelner Arbeitsprodukte" hatte mir die Sprache verschlagen, sondern Deine "Gedankenlosigkeit", diese Prozedur, den einzelnen Produkten Tauschwerte zu verleihen, mit "einem rationellen Umgang mit unmittelbar gesellschaftlicher Arbeitszeit gleichzusetzen und diesen daher zu verwerfen". Der ganze sog. "Rest des Kommentars" handelt von nichts anderem als der Unsinnigkeit dieser Deiner Gleichsetzung. Offensichtlich liest Du so oberflächlich, daß Du weder merkst, wenn Du ganze Zeilen überspringst, noch worauf sich der Text überhaupt bezieht. Und diese Oberflächlichkeit, die Unfähigkeit oder/und Unwilligkeit, sich auf "fremde" Gedanken einzulassen, sie zu durchdenken und dabei auch die eigenen Gedanken zu überprüfen, kennzeichnet Deinen ganzen Diskussionsstil.
(26.5) 11.04.2002, 15:12, Werner Imhof: Sehr witzig die Frage, ob die Produkte etwa "zwischen Kollektiven, öffentlichen juristischen Personen oder gar nicht" getauscht würden. Kannst Du nicht lesen, oder willst Du nicht? "Die Produkte könnten nicht getauscht, sondern nur geliefert und bezogen, d.h. an den Ortt der Konsumtion transportiert werden."
(26.5.1) Privatpersonen, 05.05.2002, 17:02, Stefan Meretz: Du benennst hier explizit Privatpersonen, und ich frage, was mit Anderen ist - was ist daran so witzig? Die Frage stelle ich u.a. wegen der Vorstellung, dass Genossenschaften etwa eine geeignete Form nichtwarenförmiger Produktion sein könnten. Und ist dein "Lieferzitat" nicht aus KW48/99? In Kommentar (26.2) schreibst du das jedenfalls - ich habe es nicht nachgeguckt. Im hier diskutierten Absatz kommt es nicht vor. Ich kann also lesen - puh, wenigstens das.
(26.6) 11.04.2002, 15:15, Werner Imhof: Zum Produkt als "Teil der Gesamtarbeit": Dir ist nicht aufgefallen, daß meine Formulierung unsinnig ist. Kein Produkt kann unmittelbar "Teil" von Arbeit sein, sondern nur unmittelbare "Verkörperung" von Arbeit. Sinngemäß steht's so auch in dem Text ("Das Ferne liegt so nah..."), auf den ich verweise: "Jedes Produkt wäre von vornherein Verkörperung eines Bruchteils der gesellschaftlichen Gesamtarbeit." Das heißt, es müßte sich nicht erst im nachhinein als gültige Verkörperung gesellschaftlicher Arbeit erweisen. Unabhängig von dem sprachlichen Lapsus hätte das "unmittelbar Anteilige" aber sehr wohl eine "sinnliche Qualität" und wäre "unmittelbar einsichtig". Das gilt für die Arbeit wie für das Produkt, in dem sie sich verkörpert. Ihr unmittelbar gesellschaftlicher Charakter wäre ebenso sinnlich erfahrbar, wie es schon in einem arbeitsteiligen Zwei-Personen-Haushalt der Fall ist. Aber vermutlich meinst Du mit dem "unmittelbar Anteiligen" den exakten quantitativen Bruchteil der Gesamtarbeit, der sich im einzelnen Produkt verkörpert. Der wäre in der Tat nicht unmittelbar sinnlich erfahrbar - aber wozu sollte das überhaupt notwendig sein? Notwendig wäre wohl eine Buchführung über die Entwicklung des Arbeitsaufwands, aus der sich leicht der aufs einzelne Produkt entfallende Anteil der Gesamtarbeit errechnen ließe, wenn es denn Sinn machte (etwa bei Konsumtionsmitteln, die nach der Arbeitsleistung verteilt würden, aus welchen Gründen immer).
(26.6.1) Sinnlich oder nicht, 05.05.2002, 17:13, Stefan Meretz: Deine Formulierung habe ich schon so verstanden, wie du es im Sinne von "Verkörperung von..." verstanden wissen wolltest. Worin die sinnliche Qualität des Teils der Verkörperung gesellschaftlicher Arbeit in einem Produkt bestehen soll, ist mir nicht klar. Du behauptest es nur. Ich behaupte: Nein, das unmittelbar Anteilige an verkörperter Gesamtarbeit hat keine sinnliche Qualität. Das es bloß irgendwie "Teil von..." ist, ist ja banal, das gilt auch heute. Wozu machst du diese Aussage, wenn nicht um die sinnliche Erfahrung des (wie auch immer genauen) Anteils an gesellschaftlicher Arbeit geht?
(26.6.1.1) Re: Sinnlich oder nicht, 08.06.2002, 17:09, Werner Imhof: Versuch doch mal bitte, zwei Dinge auseinanderzuhalten. 1. Bei gemeinschaftlicher Produktion verkörpert jedes Produkt unmittelbar einen Teil der Gesamtarbeit, ohne sich "erst im nachhinein als gültige Verkörperung gesellschaftlicher Arbeit erweisen" zu müssen. Das ist eine qualitative Aussage und sinnlich "unmittelbar einsichtig", ebenso wie das in einem arbeitsteiligen Haushalt der Fall ist oder auch innerhalb eines kapitalistischen Produktionsbetriebs. 2. Der quantitative Anteil eines Produkts an der Gesamtarbeit ist nicht unmittelbar sinnlich erfahrbar. Er wäre aber mittelbar einfach zu erfahren, nämlich zu berechnen - wenn es denn aus irgendwelchen Gründen von Interesse wäre. Nimm bitte zur Kenntnis, daß ich im Konjunktiv rede, weil ich keine Gesellschaft male, wie ich sie haben "will", sondern - wie schon gesagt - mögliche Praxis sondiere. Ob und wie das Mögliche mal verwirklicht wird, das möchte ich schon denjenigen überlassen, die die Geschichte einmal machen, wenn sie es denn tun.
(26.6.2) Arbeitsmenge berechnen?, 05.05.2002, 17:19, Stefan Meretz: Du willst also über die Arbeitsaufwände Buch führen! Dahinter steckt wohl der alte Engels, der das alles ganz einfach berechnen wollte. Auch bei dir ist das ganz "leicht". Wie soll das gehen? Was ist das Maß? Die Arbeitszeit? Was ist mit dem sog. Reduktionsproblem (komplizierte auf einfache Arbeit)? Und wozu das Ganze?
(26.6.2.1) Re: Arbeitsmenge berechnen?, 08.06.2002, 19:06, Werner Imhof: Noch einmal: Ich rede nicht von dem, was ich "will" - das ist ziemlich unmaßgeblich -, sondern von dem, was "wohl notwendig wäre". Eine Form der Buchführung über das Verhältnis von Arbeitsaufwand und Produktionsleistung wäre es sicher, allein um eine reibungslose Reproduktion zu sichern, um die Produktion an Bedarfsänderungen anpassen und Produktivitätsfortschritte in Arbeitszeitverkürzungen umrechnen zu können u.a.m. Oder meinst Du, es sei gleichgültig, ob heute x Personen durchschnittlich y Stunden in der Energieerzeugung arbeiten und morgen x/2 Personen y/2 Stunden, weil der Strom ja sowieso aus der Steckdose kommt? Und warum soll es schwierig sein, den Arbeitsaufwand festzustellen, solange die Menschen zählen und die Uhr oder andere Instrumente lesen können? Ein "Reduktionsproblem" kann dabei nur für Leute auftreten, die das "Kapital" gelesen und mißverstanden haben und nun meinen, konkrete Arbeit in abstrakte "umrechnen" zu müssen.
(26.6.3) Verteilung nach Arbeitsleistung?, 05.05.2002, 17:25, Stefan Meretz: Wirklich schlucken musste, dass du Konsumtionsmittel nach der Arbeitsleistung verteilen willst. Platt gesagt: Das ist der alte Scheiss, den hat der Realsoz probiert. Das ist die Logik der warenproduzierenden Gesellschaft, die August Bebel so auf den Punkt brachte: "Der Sozialismus stimmt mit der Bibel darin überein, wenn diese sagt: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen." (August Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Berlin/DDR, S. 414). Online: hier nachzulesen.
(26.6.4) Das Gespenst, 05.05.2002, 17:31, Stefan Meretz: Du wirfst dem Kurz vor, mit der "abstrakten Arbeit" ein "begriffliches Gespenst" zu erzeugen - nur bei dir treibt dieses realabstrakte "Gespenst" sein Unwesen: Buchführung, Berechung von Arbeitsanteilen usw. setzt notwendig die Abstraktion von der konkreten Sinnlichkeit, ihre Reduktion auf ein "messbares" Abstraktum wie die gleichförmige Zeit, voraus. Oder willst du irgendwie die "Qualität" mit reinrechnen? Und dann (alles da gewesen...) über echte und falsche Bedürfnisse räsonieren?
(26.7) 13.04.2002, 14:10, Werner Imhof: Zu notwendigen und möglichen Änderungen in Verteilung und Volumen der Gesamtarbeit. Das Problem wäre nicht die angeblich fehlende "sinnliche Evidenz", sondern die Verbindung und Kommunikation zwischen Konsumenten und Produzenten wie der Produzenten untereinander sowie ihre Macht und Fähigkeit, sinnlich evidente Notwendigkeiten und Möglichkeiten auch umzusetzen. Sinnliche Evidenz war auch im "Realsozialismus" im Überfluß vorhanden, nämlich als allgemeine Mangelwirtschaft, als Veraltung der Produktionsanlagen, als Umweltverseuchung usw. Was "fehlte", war die gemeinsame Herrschaft der Produzenten über ihre Produktionsmittel und das Selbstbewußtsein, mit ihrer Hilfe nicht nur den "Overhead-Apparat", sondern auch die "Marktwirtschaft" überflüssig machen zu können.
(26.7.1) Negative sinnliche Evidenz, 05.05.2002, 17:40, Stefan Meretz: Im Realsoz gab es eine negative sinnliche Evidenz, das ist klar. Wie du daraus aber eine "positive", im Sinne der Verteilung strukturierende "sinnliche Evidenz" machen willst, ist mir nicht klar. Ja, im Realsoz gab es eine Stellvertreterherrschaft über die Produktionsmittel (Partei und Staat hatten diese Rolle) inne. Wie sollte aber einen "gemeinsame Herrschaft" ausgesehen haben? Wie den Arbeitenden "Selbstbewußtsein" beibiegen? Wie sollte sie die Delegation der ganzen Verteilfragen - Bestimmung der "aufs einzelne Produkt entfallende Anteil der Gesamtarbeit" etc. - organisieren und die Herausbildung eines Overhead-Apparates vermeiden? Das waren ganz praktische Fragen - und du kannst sicher sein, dass sie auch diskutiert wurden (wenn auch nicht häufig und nicht öffentlich). - Und meine Einschätzung: Im großen und Ganzen war im Realsoz kein anderer Verlauf drin als er sich praktisch zeigte.
(26.8) 13.04.2002, 14:13, Werner Imhof: Zu Deinem Vergleich mit den Tauschringen (LETS). Das ist Deine Methode: Statt ein wenig zu überlegen, was gemeint sein könnte, suchst Du nach einer Schublade, die schon mit anderem Trödel gefüllt ist, der Dir verwandt vorkommt - und rein damit. Dabei hast Du eben selbst noch festgestellt, daß den Produkten ihr quantitativer Anteil an der Gesamtarbeit nicht anzusehen wäre. Sie trügen kein "Zeitetikett" wie einen Preis an sich, d.h. sie träten überhaupt nicht als Verkörperungen bestimmter Arbeitsmengen in Erscheinung, also auch nicht als Verkörperungen unterschiedlicher Arbeitsmengen, obwohl sie sehr wohl unterschiedliche Arbeitsmengen enthalten könnten. Und da die Produkte nicht ausgetauscht würden (sondern entweder gesellschaftliche Produkte blieben oder individuell zu Konsumzwecken angeeignet würden), könnten sie auch nicht - wie Waren durch ihre Preise - durch unterschiedliche "Zeitetikette" miteinander konkurrieren. Und Du siehst darin "das Konzept der Tauschringe, in denen nur Arbeitszeiten zählen". Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es würden in der Regel überhaupt keine Arbeitszeiten "zählen".
(26.8.1) Regel und Ausnahme, 05.05.2002, 17:47, Stefan Meretz: In der Regel würden keine Arbeitszeiten zählen - und was sind die Ausnahmen? Wie du es drehst oder wendest: Du willst die Abstraktion der Arbeitsmengen (was faktisch Zeiten bedeutet) nicht aufgeben und gar damit rechnen und verteilen. Nur eben ohne Konkurrenz. Das ist einerseits mit dem Realsoz verwandt und andererseits mit den Tauschringen. Es ist keine "Methode", sondern erstmal eine Feststellung. Dass ich diese Aussagen und Implikationen, die ich schon sehr richtig verstanden habe, kritisiere, dürfte deutlich geworden sein.
(26.9) 13.04.2002, 14:14, Werner Imhof: Hier kann der Einwand kommen, daß womöglich nicht alle Konsumtionsmittel nach dem Prinzip "Jedem nach seinen Bedürfnissen" verteilt werden könnten, der Konsum bestimmter Güter oder Leistungen - sei es aus Knappheitsgründen, aus ökologischen oder anderen Gründen - also auf irgendeine Art und Weise rationiert werden müßte. Für diesen Fall wird dann gewöhnlich das Prinzip "Jedem nach seiner Leistung" als einzig geeignetes angeführt. Nun würde dies Prinzip aber logischerweise nur für die Gesellschaftsmitglieder gelten können, die selbst mit ihrer Leistung zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt beitragen. Für alle nichtproduktiven Gesellschaftsmitglieder müßten andere Kriterien gefunden werden, was die Verteilung nach geleisteter Arbeit m.E. insgesamt problematisch macht (zumal die Arbeitsleistung selbst noch sehr verschiedenen Maßstäben unterworfen werden kann). Doch unterstellt, die Verteilung der fraglichen Konsumtionsmittel würde nach der geleisteten Arbeitszeit erfolgen - in diesem, aber auch nur in diesem Fall müßten diese Produkte tatsächlich "Zeitetikette" erhalten. Doch auch dann würden sich darin keine Produktivitätsunterschiede zwischen Betrieben desselben Produktionszweiges ausdrücken müssen. Die Gesellschaft könnte einfach sämtliche auf die Herstellung gleichartiger Produkte aufgewandte Arbeitszeit zusammenfassen, um sie dann durch deren Gesamtzahl zu teilen; die Zeitetiketten würden also Durchschnittsgrößen ausdrücken. Angenommen, zehn Prozent der jährlichen Gesamtarbeit entfielen auf die Herstellung zu rationierender Konsumtionsmittel, von denen die Hälfte für die nichtproduktiven Gesellschaftsmitglieder reserviert wäre, so würde jeder Produzent fünf Prozent seiner individuellen Jahresarbeitszeit gegen eine entsprechende Menge dieser Konsumtionsmittel tauschen können. Dies wäre der einzige Vorgang, der dem Prinzip des Warenaustausches vergleichbar ist. Doch die Arbeitszeit bliebe immer Aufwand an konkreter Arbeit, und der Austausch wäre kein Privataustausch, sondern ein Austausch zwischen Individuum und Gesellschaft.
(26.9.1) Ausnahmen, die zur Regel werden, 05.05.2002, 17:56, Stefan Meretz: Auch wenn du es nur als Ausnahmen haben willst: Nichts gewährleistet, dass es Ausnahmen bleiben. Das Prinzip, die Logik, ist zu Teilen die der warenproduzierenden Gesellschaft. Es reicht eben nicht aus, Privateigentum und Privataustausch abzuschaffen - das machst du hier sehr deutlich. Das hat überhaupt nicht mit deinem guten Wollen zu tun, so wie es auch im Realsoz an gutem Wollen nicht fehlte. Es ging und geht objektiv nicht, so nicht. Und das hat was mit den Kategorien zu tun, in denen du dich denkend bewegst. Ich will versuchen, das an einigen Punkten deines Kommentars nochmal verdeutlichen.
(26.9.2) Produktiv und nichtproduktiv, 05.05.2002, 18:13, Stefan Meretz: Der Begriff der "Produktivität" - besonders seine Varianten der produktiven und nichtproduktiven Arbeit (bei dir sind es gleich ganz die Menschen, die dies oder jenes "sind") - ist eine Kategorie aus dem Zusammenhang der warenproduzierenden Gesellschaft. Nur dort macht er Sinn. Ihn zu ontologisieren, stellt eine unzulässige Universalisierung dar. Der Begriff ist quantitativ definiert, bei nicht-/produktiver Arbeit gar mit unmittelbaren Wertbezug: Produktive Arbeit ist solche, die zur erweiterten Reproduktion des Kapitals beiträgt, die also in die Akkumulation eingeht, während das nichtproduktive Arbeit nicht tut (darüber wird trefflich gestritten - nicht mein Hauptpunkt hier). Man kann das mal gedanklich probehandeln: Ein qualitativer Produktivitätsbegriff ist nicht haltbar. - Wie willst du die "nichtproduktiven Gesellschaftsmitglieder" versorgen? Wie willst du verhindern, dass sie gemäß dem Bebelschen Diktum nicht als "unnütze Esser" angesehen und behandelt werden? Das könntest du nur auf dem Feld der "Moral" und "Ethik" verhandeln - und da hast du verloren: Eine Moral oder Ethik, die nicht Ausdruck materieller Praxis ist, sondern ihr vorausgehen muss, damit diese "funktioniert", hat sich selbst aufgehoben (auch eine andere Debatte).
(26.9.3) Zeitetikette, 05.05.2002, 18:28, Stefan Meretz: In einer Gesellschaft, in es Zeitetikette gibt, würde diese alles, was man berechnen kann, auch ausdrücken: pro Produkt aufgewendete Arbeitszeit durchschnittlich und je Betrieb, Produktivitätsunterschiede zwischen Betrieben (ganz einfach durch Vergleich der erstgenannten betrieblich aufgewendeten Arbeitszeiten) usw. Nur krachen diese Unterschiede nicht aufeinander (weil kein Markt in dem Modell). Warum also sollten sich die Betriebe anstrengen? Warum sollte der Einzelne eigentlich arbeiten? - Ach ja: jedem nach seiner Leistung. Du brauchst den Knüppel der drohenden Einschränkung der Bedürfnisbefriedigung. Aber warum dürfen die einen nicht arbeiten und die anderen müssen? Sind die Kriterien für das Nichtarbeiten dürfen nicht vielleicht zu lasch? Usw. Die Abschaffung der Wertabstraktion unter Beibehaltung der Zeitabstraktion führt über ein paar Umwege stets wieder zurück zur Wertabstraktion und allem, was dran hängt. Das zeigen die vielen historischen Erfahrungen.
(26.9.4) Doch noch Tausch, 05.05.2002, 21:31, Stefan Meretz: Jetzt willst du also auch noch ein bisschen Tausch behalten. Wie werden denn die fünf Prozent der Arbeitszeit "ausgedrückt"? Praktischerweise könnte man dafür dann Geld nehmen. "Natürlich" hätte dieses Geld keine Wertäquivalenz, sondern wäre "bloßer Vermittler" usw. Auch hier wieder: Eine vergleichbare Diskussion gab (gewiss an den Rändern) im Realsoz. Siehe zum Beispiel die Abhandlungen von Hermann Jacobs. Das ist alles nichts grundsätzlich Neues. Es bewegt sich in und schlägt sich herum mit der warengesellschaftlichen Logik, die sie verlassen will und die sie doch immer wieder einholt.
(26.10) 13.04.2002, 14:17, Werner Imhof: Ersatz für das Wertgesetz? Daß bei mir die (übrigens auch bei den Überresten des "Traditionsmarxismus" anzutreffende) Idee "drinsteckt", für das Wirken des Wertgesetzes müsse ein Ersatzmechanismus gefunden werden, ist eine voreilige Schlußfolgerung. Sie wäre nur berechtigt, wenn ich das Wirken des Wertgesetzes auf die "An- und Ausgleichung von Produktivitätsunterschieden" beschränken würde, die doch nur eine der Formen ist, in denen es sich durchsetzt. Sein Inhalt besteht darin, die Gesamtarbeit in gesellschaftlich notwendigen Proportionen auf die verschiedenen Teilarbeiten zu verteilen. Die sich damit durchsetzenden "Notwendigkeiten" sind aber keine zeitlosen oder "überhistorischen" Zwänge. Es sind spezifische Zwänge dieser, der kapitalistischen Produktionsweise. Was "notwendige" Arbeit ist, bestimmt sich eben nicht nur aus der Arbeitsproduktivität, sondern auch aus der zahlungskräftigen Nachfrage, die selbst nur Ausdruck der gegensätzlichen Produktionsverhältnisse ist. Gesellschaftlich notwendige Arbeit kann also ebenso maßlose Luxusproduktion wie minderwertige Massenproduktion einschließen. Außerdem ist die wesentliche Form, die das Wertgesetz unter kapitalistischen Verhältnissen annimmt, die Ausgleichung der Profitraten. Die Profitrate, das Verhältnis des Profits zum vorgeschossenen konstanten und variablen Kapital, ist aber der verrückte Maßstab einer Gesellschaft, in der der Reichtum an Produktionsmitteln und die Tiefe der gesellschaftlichen Arbeitsteilung (die sich im konstanten Kapital niederschlagen) ebenso als "Ballast" des unternehmerischen, also privaten Erfolges gilt wie die Konsumtion ihrer arbeitenden Mitglieder (die als variables Kapital zu Buche schlägt). Die Ausgleichungsbewegung der Profitraten drückt sich daher auch als permanente Reduktion der angewandten Arbeitskraft bei gleichzeitiger Verdichtung der Arbeit aus, ein scheinbarer Sachzwang, der heute gerade in bestimmten Dienstleistungsbereichen, wie Gesundheitswesen und Altenpflege, seine menschenverachtende Logik demonstriert. Das Wirken des Wertgesetzes kann also nicht durch einen anderen Mechanismus "ersetzt", es kann nur aufgehoben werden in einer gemeinschaftlichen Produktion, die der gesellschaftlichen Konsumtion dient, statt sie zu beherrschen, zu beschränken und zu deformieren. Ersetzt werden kann allein die Art und Weise, in der das Wertgesetz Produktivitätsunterschiede ausgleicht, über die Konkurrenz nämlich, an deren Stelle Kooperation und öffentlicher Austausch von Information und Know-how treten können. Daraus eine "abstrakte Negation des Wertgesetzes, eine Fiktion" herauszulesen, die gleichzeitig das gesamte Wirken des Wertgesetzes durch öffentliches Wirken "ersetzt", ist wieder nur einer Deiner rhetorischen und nicht gerade von Logik gezeichneten Schnellschüsse.
(27) Fazit zu diesem Absatz: Die Forderung nach Abschaffung des Privateigentums ist abstrakt »richtig«, auch die nach Abschaffung von Tausch und Geld. Es bleiben jedoch nur »einfache Negationen«, die die historisch anstehende Frage nach der »doppelten Negation«, nach der »Aufhebung« nicht beantworten (können): Wie kann die Menschheit ihr Leben anders produzierenden und reproduzierenden als innerhalb einer Vergesellschaftungsform, deren zentrale Vermittlungsinstanz der »Wert« ist? Anders formuliert: Was ersetzt den Wert als zentraler dynamischer Instanz der gesellschaftlichen Vermittlung? Es mag für viele sehr überraschend sein, aber die historisch erste Idee kommt nicht aus den Brennpunkten des »Klassenkampfes«, sondern sie entstand ganz praktisch an der vordersten Front der Produktivkraftentwicklung: im Bereich der Softwareentwicklung. Die Freie Software ist es, die in Keimform [11] erstmals eine Idee von einer anderen Form der Vergesellschaftung jenseits der bürgerlichen Formen gibt. Doch dazu mehr in einem anderen Text.
(27.1) 13.04.2002, 19:28, Werner Imhof: Es ist kein Wunder, daß Dir die "Abschaffung des Privateigentums" wie die "Abschaffung von Tausch und Geld" als bloß "abstrakt 'richtige'" "einfache Negationen" erscheinen, die die "historisch anstehende Frage nach der 'doppelten Negation', nach der 'Aufhebung' nicht beantworten (können)", wenn Du selbst permanent vor der "positiven" Praxis die Augen verschließt, durch die sie nur realisierbar wären. Was die "freien Menschen" bei Marx zu einem "Verein", einer Gesellschaft verbindet, ist, daß sie "mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben". Das ist die positive Form der Vergesellschaftung, die allein an die Stelle der sog. "Wertvergesellschaftung" treten kann, das ist die längst gefundene Antwort, auch wenn sie nicht zum Allgemeingut der vorherrschenden Strömungen des "Traditionsmarxismus" geworden ist. Und das ist es, was ich so "ärgerlich" finde: daß Du antrittst unter der Fahne der Kritik des "Traditionsmarxismus" und im Namen einer "anderen Vergesellschaftungsform" als der von ihm realisierten, um die von Marx entdeckte (in der KW 48, und nicht allein dort, nur wiederentdeckte) und gerade vom "Traditionsmarxismus" verdrängte Form der Vergesellschaftung aus der Geschichte zu streichen, zu ignorieren. Du gibst vor, den Sack zu schlagen, meinst aber den Esel. Dabei ist es gerade die Freie Software selbst, die Dich bei einiger Überlegung mit der Nase darauf stoßen müßte, daß diese vermeintlich "erste historische Idee" nur die unreflektierte praktische Bestätigung einer recht alten Idee ist. Die Freie Software konnte und kann nur entstehen, weil ihre Produzenten nicht nur unentgeltlich und in kollektiver Selbstorganisation daran arbeiten und das Produkt durch Copy-Left vor Privatisierung schützen, sondern weil sie ihre Produktionsmittel, die Computer und den Internetanschluß, als gemeinschaftliche Produktionsmittel behandeln und weil sie - was einen absolut untypischen Produktionsprozeß darstellt - weitere Produktionsmittel nicht nötig haben. Die Freie Software hat natürlich trotzdem große exemplarische Bedeutung (die wir übrigens auch in der KW 48/99 schon gewürdigt haben). Aber praktisch verallgemeinerbar wird sie nur durch eine soziale Bewegung, die sich die Vergesellschaftung sämtlicher Produktionsmittel auf die Fahnen schreibt. Und Träger einer solchen Bewegung können logischerweise nur diejenigen sein, die diese Produktionsmittel auch beherrschen könnten, also die Masse der heute Lohnabhängigen. Solange Du Dich vor diesen simplen Konsequenzen drückst, solange bleiben alle Hymnen auf die "Keimform" einer "anderen Form der Vergesellschaftung jenseits der bürgerlichen Formen" eitle und - pardon - elitäre Schwärmerei.
(27.1.1) Wiederentdeckung?, 06.05.2002, 09:09, Stefan Meretz: Ich verschließe nicht die Augen vor einer vermeintlichen "positiven" Praxis, sondern ich kritisiere die traditionsmarxistischen Praxen ob ihres "Positivismus", ob ihrer Form der Bewegung innerhalb des kategorialen Rahmens der Warengesellschaft. Es ist nicht so, dass der Traditionsmarxismus etwa eine bestimmte "verdrängte Form der Vergesellschaftung aus der Geschichte" gestrichen hätte. All die von dir genannten Zitate waren und sind auch in den vorherrschenden Strömungen des Traditonsmarxismus durchaus bekannt und immer auch allgemeines Leitbild am Horizont einer fernen Zukunft, was man aber jeweils gegenwärtig gerade nicht erreichen könne. Da ist also nichts wiederzuentdecken.
(27.1.2) Form der Vergesellschaftung, 06.05.2002, 09:22, Stefan Meretz: Das Marxsche Zitat über den "Verein freier Menschen" ist - neben anderen - eine völlig allgemeine Rahmenbestimmung darüber, wie in einer solchen Gesellschaft die Menschen "mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben". Das ist keine Aussage über eine (alternative) Form der Vergesellschaftung, denn es sagt nichts darüber aus, wie denn diese Vorausgabung als eine gesellschaftliche Arbeitskraft aussieht, wie die Vermittlung von Individuum und Gesellschaft aussieht, wie die gesellschaftliche Kooperation organisiert ist usw. Darüber konnte Marx auch nichts aussagen. Das können wir erst heute versuchen, und das müssen wir auch tun, da sonst keine Aufhebung denkbar wird.
(27.1.3) Erste historische Idee, 06.05.2002, 09:42, Stefan Meretz: Die "alten" notwendigen, aber nicht hinreichenden, weil den Rahmen der Warenproduktion nicht überschreitenden Aspekte, hast du benannt. Das sind aber genau die Momente, die keine neue Form der Vergesellschaftung möglich machen. Erst wenn die Wertfreiheit (kein Tausch, Markt, Geld, Staat etc.) kein voluntaristisches Attribut mehr ist, das man im Zweifel auch lassen kann - wie in deinem Modell der "abstrakt richtigen, aber unverbundenen einfachen Negationen" -, sondern Voraussetzung und Konsequenz einer neuen Produktionsweise, kann man von den Grundlagen (oder der Keimform) einer neuen Vergesellschaftungsweise reden. Und genau das - und nicht anderes - ist das historisch neue und einzigartige bei der Freien Software. Dass "Keimform" immer auch bedeutet, dass die Potenzen des Neuen noch in der Hülle des Alten erscheinen, ist evident. Entscheidend ist, dass die Durchsetzung der Keimform nur in Abkoppelung von der Wertform geschehen kann, weil sie an die Stelle der Wertabstraktion ein anderes dynamisches, treibendes Moment der Vergesellschaftung setzt. "Softwaremäßig" gesprochen: "Wertfreiheit ist kein Add-on, sondern genuines Feature des Betriebssystems":-)
(27.1.3.1) Re: Erste historische Idee, 07.05.2002, 12:08, Wolf Göhring: Der kabarettist Wolfgang Neuss meinte vor 40 jahren:
"Heute abend mach ich mir nischt zu essen, heut abend mach ich mir jedanken!" Abgewandelt scheint Stefan sagen zu wollen: "Heute abend mach ich mir nichts zu essen, heute abend mach ich mir freie software."
So'n bissel polemik kann sicher nix schaden.
Freie software mag einige elemente einer nicht auf tausch basierenden oekonomie tragen, fuer die produktion von, sage ich mal, kartoffelsalat mit wuerstchen taugt es nichts, diese keimform ueberzustrapazieren.
Den traditionsmarxismus zu verpruegeln, wo leute sich gewaltig anstrengen mussten, um einen warmen arsch und etwas zu fressen zu haben, wo also banale alltaeglich benoetigte gebrauchswerte zustande zu bringen waren, bringt es auch nicht. In regionen, wo es traditionsmarxisten nicht gelungen ist, freiraeume in der austauschenden oekonomie freizuboxen, duerfte sich freie software noch wenig als keimform zeigen. Oder wie sieht's damit in Sambia aus?
Oder wie sieht's damit aus, dass die gesamte hard- und software, derer sich die freien softwerkler bedienen, auf austausch basierend produziert, entwickelt und zu dem gemacht wurden, was man heute so bequem bei Aldi gegen wenig geld eintauschen kann? Oder dass die gesamte vernetzung und PC-welt ihren ursprung im vietnam-krieg haben (PC als feuerleitrechner im panzer, dialog am bildschirm zur steuerung der bombenteppiche)?
Das heisst, die ganze schoene welt, in der sich nun endlich freie software zaubern laesst, hat ihren anfang nicht in einer eingebung auf dem berge sinai, von dem Bill Gates mit den ersten 10 PCs herabstieg, sondern im ganz brutalen kapitalverhaeltnis, das sich des laengeren in seinem hoechsten, naemlich dem imperialistischen stadium befindet.
"Entscheidend ist, dass die Durchsetzung der Keimform nur in Abkoppelung von der Wertform geschehen kann, weil sie an die Stelle der Wertabstraktion ein anderes dynamisches, treibendes Moment der Vergesellschaftung setzt."
Das ist wie der unmoegliche "sozialismus in einem lande". Wie will man freie software abkoppeln von der wertform, in der alles andere fest drinsteckt? Das Abkoppeln ginge nur, wenn alles, was praktische grundlage der freien software ist, naemlich die PCs, die netzserver, die strippen in der erde, ein paar nachrichtensatelliten, die huetten, in denen das zeugs steht, ach ja, auch der elektrische strom und mit diesem die kraftwerke, der fuellstoff fuer den hungrigen magen, die klos, die waermenden schuhe, wenn man frei softwerkelnd am PC hockt und noch'n bisschen mehr, auch schoen ordentlich abgekoppelt waere. Und all die leutchen im norden wie im sueden, auch die in den "sweat shops", die diese saechelchen herstellen, muessten gerade so abgekoppelt frei werkeln koennen, sonst waer's mit der freien software wie ehedem in der antiken griechischen demokratie: das war nur was fuer die wenigen freien, nicht aber fuer die vielen gefangenen in platons hoehle.
"Ein anderes dynamisches, treibendes Moment": Wo, bitte schoen, ist die dialektik, wenn ein einziges moment das dynamische, treibende ist? Resultiert bewegung nicht mehr aus widerspruechen?
Resumee:
1. Es gibt viele, miteinander verzahnte keimformen. Keine davon ist fuer sich alleine die einzig wahre, absolute und richtige.
2. Es gilt, die fuelle der keimformen herauszuarbeiten, in denen der gebrauchswert in den vordergrund gerueckt wird.
3. Es gilt herauszuarbeiten, wie diese keimformen mit der produkte austauschenden oekonomie verkoppelt sind.
4. Es gilt, die praktischen widersprueche zwischen den angestrebten gebrauchswerten und ihrer tauschwertform und die praktischen reaktionen herauszuarbeiten, in denen die handelnden menschen die keimformen weiter entwickeln (freie software ist eine unter vielen).
Ich zitiere, was der traditionsmarxist Thaelmann zu einem aufsatz des traditionsmarxisten Kuzsynski sagte: "Zuviel allgemeine krise des kapitals, zuwenig zerbrochene klosettdeckel."
(27.2) 18.04.2002, 09:52, Werner Imhof: Der Haken ist, daß Du Dir selbst den Weg verbaust, das Exemplarische der Freien Software in seiner vollen Bedeutung zu erkennen: daß sie nämlich Modellcharakter für eine unmittelbar gesellschaftliche Produktion hat, in der die Produzenten mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre individuellen Arbeitskräfte selbstbewußt als eine gemeinsame Arbeitskraft verausgaben, um Produkte für den unmittelbaren Gebrauch (statt für den Austausch gegen die allgemeine Ware Geld) herzustellen, so daß die Produkte auch keine Wertform mehr annehmen müssen und können. Zum einen sind es offenbar die Besonderheiten ihres Produktionsprozesses (als Produktionsmittel reichen vernetzte PCs, die Produzenten sind zugleich Nutzer des Produkts), die Dich hindern, ihn überhaupt noch als Produktionsprozeß wahrzunehmen. (Übrigens macht schon der Vergleich mit dem Open-Source-Car-Projekt, "Oscar", den Ausnahmecharakter der Freien Software deutlich: Ein Oscar läßt sich nur als virtuelles Modell entwickeln, seine Realisierung als frei verfügbares Transportmittel würde die gesellschaftliche Herrschaft über den kompletten Produktionsprozeß von der Erzgewinnung bis zur Lebensmittelherstellung voraussetzen.) Zum andern sind es der Begriff der "Vermittlung" und die Auffassung des Werts als "zentraler dynamischer Instanz der gesellschaftlichen Vermittlung", die Dich auf eine falsche Fährte führen, weil Du (trotz zwischenzeitlicher gegenteiliger Beteuerungen) das gesellschaftliche Individuum nicht als tätiges Wesen und seinen gesellschaftlichen Zusammenhang nicht als "Ensemble seiner praktischen Beziehungen" betrachtest. Das ist keine bloße Behauptung, wie ich an Deinen folgenden Ausführungen noch belegen möchte. Fixiert auf den Begriff der "Vermittlung durch den Wert", machst Du Dich auf die Suche nach einer anderen Form der Vermittlung (was ja grundsätzlich richtig ist), die für Dich aber jede Form unmittelbarer Gesellschaftlichkeit ausschließt, weil Du sie Dir selbst nur in karikierender Form vorstellen kannst.
(27.2.1) Das Besondere Freier Software, 06.05.2002, 09:59, Stefan Meretz: Der Ausnahmecharakter der Freien Software liegt klar auf der Hand. Wie im Oekonux-Projekt herausgearbeitet wurde, ist es gerade das Zusammenkommen verschiedener historischer Besonderheiten, die die Freie Software möglich machten: der nichtstoffliche Charakter des Produkts, die digitale Form und universelle Kopierbarkeit, die Tendenz der Transaktionskosten gegen Null, die Verfügbarkeit der Produktionsmittel, die (u.U. prekäre) materielle Absicherung der freien EntwicklerInnen, die Qualifikation, die globale Vernetzung (Internet), der Schutz durch die GPL usw. Das war aber historisch immer so, dass sich neue Formen zunächst in Nischen und an den Rändern herausbildeten - das geht auch gar nicht anders. Er ist eine irrige Vorstellung von Entwicklung und qualitativem Sprung, anzunehmen, das Neue würde sich im dominanten alten Prozess herausbilden und dann "nur noch" die Hülle abstreifen und sich eine neue Form zulegen wie eine neue Jacke.
(27.2.1.1) Re: Das Besondere Freier Software, 07.05.2002, 14:21, Wolf Göhring: Ist die dialektik abgeschafft? Entwickelt sich das neue in einem weltfremden arkadien, ganz aus sich heraus?
(27.2.2) Das tätige Wesen, 06.05.2002, 10:11, Stefan Meretz: Ein zentraler Begriff im Oekonux-Projekt ist der der Selbstentfaltung (ich will ihn hier jetzt nicht darlegen). Es fehlt mir an Fantasie mir vorzustellen, das Individuum mit diesem Begriff nicht als tätiges Wesen zu denken. Ich wüßte nicht, wie man Freie Software nicht als Ensemble praktischer Beziehungen denken kann (eine zweite Bestimmung Freier Software ist die der kooperativen Selbstorganisation). Ich vermute aber, dass dein Eindruck trotzdem entsteht, weil ich die Kategorien der Selbstentfaltung und Selbstorganisation nicht als idealistische Motive des "guten Menschen" oder sowas behandle, sondern versuche, sie als Widerspiegelungen der Produktivkraftentwicklung zu begreifen, die die Potenz einer Vergesellschaftung jenseits von Ware und Wert in sich tragen. Über Vermittlung und Vergesellschaftung zu reden, scheint für dich etwas "unpraktisches" zu sein. Zum Begriff der "unmittelbaren Gesellschaftlichkeit" dann später mehr.
(28) Bei kritischen MarxistInnen rückt der Abschnitt über den »Fetisch« aus dem Marxschen »Kapital« zunehmend wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit. Offensichtlich hat das »Wertgesetz« noch wesentliche andere Folgen, als das es nur den Verwertungskreislauf regelt. Es sorgt als apersonaler, sachlicher Mechanismus dafür, Sozialität herzustellen. Diese soziale Verbindung erscheint und ist eine durch die »Bewegung von Sachen« geregelte Verbindung zwischen den Menschen, Sozialität in dinglicher Form. Mit der Kritik von Verdinglichung und Entfremdung kann man nun leicht über das Ziel hinausschiessen. In der abstrakten Negation der entfremdeten Vergesellschaftung als »Vermittlung hinter unserem Rücken« (durch die »invisible hand«) und der Entgegensetzung einer Form der »Unmittelbarkeit«, in der die Dinge »direkt geregelt« werden und alles »vernünftig abgesprochen« werden kann, weil alles »unmittelbar offenliegt« etc., liegt eine fehlende oder eine mindestens unklare Vorstellung von der gesellschaftlichen Natur des Menschen. Aber wer will schon gerne seine/ihre Angelegenheiten hinter dem Rücken regelt wissen?
(28.1) Re: Vermitteltheit und Unmittelbarkeit, 18.04.2002, 09:53, Werner Imhof: Da Du selbst auf den Abschnitt über den Fetischcharakter der Ware im 1. Kapitel des "Kapital" verweist, möchte ich einige Sätze daraus als Kontrast zu Deiner eigenen Darstellung anführen: "Woher entspringt also der rätselhafte Charakter des Arbeitsprodukts, sobald es Warenform annimmt? Offenbar aus dieser Form selbst. Die Gleichheit der menschlichen Arbeiten erhält die sachliche Form der gleichen Wertgegenständlichkeit der Arbeitsprodukte, das Maß der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft durch ihre Zeitdauer erhält die Form der Wertgröße der Arbeitsprodukte, endlich die Verhältnisse der Produzenten, worin jene gesellschaftlichen Bestimmungen ihrer Arbeiten betätigt werden, erhalten die Form eines gesellschaftlichen Verhältnisses der Arbeitsprodukte. Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaft dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen. (...) Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander unabhängig betriebner Privatarbeiten sind. Der Komplex dieser Privatarbeiten bildet die gesellschaftliche Gesamtarbeit. Da die Produzenten erst in gesellschaftlichen Kontakt treten durch den Austausch ihrer Arbeitsprodukte, erscheinen auch die spezifisch gesellschaftlichen Charaktere ihrer Privatarbeiten erst innerhalb dieses Austausches. Oder die Privatarbeiten betätigen sich in der Tat erst als Glieder der gesellschaftlichen Gesamtarbeit durch die Beziehungen, worin der Austausch die Arbeitsprodukte und vermittelst derselben die Produzenten versetzt. Den letzteren erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen. (...) Ihre eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren." (MEW 23, S. 86 ff.)
(28.2) 18.04.2002, 09:55, Werner Imhof: Nicht das Wertgesetz stellt "Sozialität" her, sondern die bestimmte Form der "Sozialität" "stellt" das Wertgesetz "her", bringt es hervor. Die Menschen treten nicht durch einen "apersonalen, sachlichen Mechanismus" miteinander in Verbindung, sondern durch den Austausch, der ihre nur mittelbaren gesellschaftlichen Beziehungen als Glieder der gesellschaftlichen Gesamtarbeit vermittelt und in dem das Verhältnis jeder Privatarbeit zu dieser Gesamtarbeit, d.h. zu allen anderen Produzenten, hinter ihrem Rücken auf das gesellschaftlich notwendige Maß zurechtgestutzt wird. Die Menschen selbst stellen ihre "Sozialität" her, nur in einer Form, die sie nicht beherrschen und die ihnen ihre gesellschaftlichen Beziehungen als dingliche Eigenschaften und sachliche Verhältnisse "zurückspiegelt". Ihre "soziale Verbindung" ist in der Tat eine "durch die 'Bewegung von Sachen' geregelte Verbindung zwischen den Menschen", aber deshalb bleibt sie doch "ihre eigene gesellschaftliche Bewegung". Und wie sachlich und unpersönlich die Verhältnisse auch sein mögen, die sie dabei eingehen - sie bleiben immer Verhältnisse von Menschen, und zwar praktische Verhältnisse der Arbeit und des Austausches.
(28.2.1) Knackpunkt, 07.05.2002, 09:25, Stefan Meretz: Hier könnte ein zentraler Dissenz, der die unterschiedlichen Interpretationen durchzieht, liegen. Es geht um das Verständnis des Fetischismus: Ist der Fetischismus ein Begriff, der ein Oberflächenphänomen fasst und also nicht konstitutiv für die warenproduzierende Gesellschaft ist (so verstehe ich dich), oder ist der Fetischismus ein Begriff, von dem aus sich der Charakter der warenproduzierenden Gesellschaft erst adäquat erschliessen lässt (das meine ich).
(28.2.2) Interpretation, 07.05.2002, 11:24, Stefan Meretz: Zwei Sätze möchte ich aus dem Marxzitat, das du dankenswerter Weise gebracht hast, herausziehen: "Den ...(Produzenten) erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen." Dieses "erscheinen ... als das, was sie sind" hat wohl schon viele ins Grübeln gebracht. So auch Haug (S. 169ff), der den Satz ganz gut, aber nicht konsequent auflöst. Die zentrale Frage bei Haug lautet: "Erscheinen ihnen die Dinge nun 'verkehrt' oder 'als das was sie sind'"? (S. 170) Die Antwort ist zwar ok, aber nicht ausreichernd: "Was 'verkehrt' ist, ist nicht das Bewußtsein, sondern die Gesellschaft." (S. 171) - Na ja, nicht "die Gesellschaft" ist "verkehrt", sondern die gesellschaftliche "verrückte Form" (Marx), die erst die "Verkehrung" hervorruft, die Marx so charakterisiert (das ist nun der zweite Satz): "Ihre eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren." Die "Verkehrung" ist Resultat des Wirkens der Wertabstraktion, des Wertgesetzes, die sich hinter dem Rücken der Menschen vollzieht. Obwohl "Verkehrung" wird sie aber "richtig" (nämlich praktisch) widergespiegelt. Obwohl Abstraktion ist sie praktisch wirksam. Sohn-Rethel hat dafür den treffenden Begriff der Realabstraktion verwendet.
(28.2.3) Bewertung, 07.05.2002, 11:41, Stefan Meretz: Deine Aussage, "die bestimmte Form der 'Sozialität' 'stellt' das Wertgesetz 'her'" (unabhängig von der Kritik meiner Wortwahl) ist nicht haltbar, sondern der Zusammenhang ist ganau umgekehrt: Das Wertgesetz stellt eine bestimmte Form der Sozialität her. Ich präzisiere hier gegenüber dem ursprünglichen Text: Form der Sozialität. Da es aber eben nur diese Form gibt, in der Sozialität sich herstellt (wozu ich auch die "Wertabspaltung" zähle), ist die Differenz klein. - Meine Gründe sind im wesentlichen zwei: (1) Marx stellt klar, dass die verrückte Form nicht Ausgangspunkt, sondern Resultat der Wertabstaktion ist. (2) Das Wertgesetz ist keine "Erfindung" oder "Idee" der Menschen, sondern unbewußtes, aber objektiviertes Resultat ihrer Praxis (verkürzt: Privatarbeiten -> Tausch -> Wertabstraktion).
(28.2.4) Menschen als Handelnde, 07.05.2002, 11:52, Stefan Meretz: Die Einwände lauten: Aber die Menschen tun das doch, sie sind es, die das "Wertgesetz" permanent in ihrer Praxis vollziehen und erhalten. Kurz: Es bleiben immer noch Verhältnisse von Menschen. - Ja, und darin besteht doch genau die vom Traditonsmarxismus verdeckte kritische Potenz der Marxschen Fetischanalyse: Die Menschen tun je individuell etwas und erzeugen mit ihrem individuellen Tun eine überindividuelle Logik, die sich schließlich gegen sie verselbstständigt und ihnen als äußerliche Macht eines unhintergehbaren "Dritten" - der Realabstraktion des Werts - entgegentritt: Nun aber nicht mehr als Gemachtes, sondern als Quasi-Natur, oder anders formuliert: als "zweite Natur".
(28.2.5) ...was sie sind, 07.05.2002, 12:33, Stefan Meretz: Dein Einwand: "Und wie sachlich und unpersönlich die Verhältnisse auch sein mögen, die sie dabei eingehen - sie bleiben immer Verhältnisse von Menschen, und zwar praktische Verhältnisse der Arbeit und des Austausches." ist keiner, ich kann der Aussage voll zustimmen. Das ist doch genau der Witz des Marxschen "erscheinen als das, was sie sind": Die Verhältnisse der Menschen erscheinen als sachliche Verhältnisse, die sie sind. Die Praxis schafft diese sachlichen Verhältnisse. Deswegen lasse ich ein Wort auch dieses deines Satzes weg und stimme voll zu: "Die Menschen selbst stellen ihre "Sozialität" her, ... in einer Form, die sie nicht beherrschen und die ihnen ihre gesellschaftlichen Beziehungen als dingliche Eigenschaften und sachliche Verhältnisse 'zurückspiegelt'." Ausgelassen habe ich das Gegensatz anzeigende "nur", doch es gibt keinen Gegensatz: Die "Zurückspiegelung" zeigt, "was sie sind". Es ist kein Epiphänomen, sondern der wesentliche Zusammenhang, der sich zeigt. Nochmal Haug: "Das 'Verkehrte' ist im Kern diese 'sachliche Form', des 'Werts', in der die private Warenproduktion ihren Arbeitszusammenhang ausdrückt und regelt, - statt in bewußt gesellschaftlicher Form." (S. 171)
(28.3) 18.04.2002, 09:56, Werner Imhof: Bei Dir bleibt der wirkliche, der praktische Zusammenhang verborgen und "der Fetischcharakter der Warenwelt" daher unauflösbar. Ja, Du verstärkst ihn noch in "kategorialer" Form, indem Du den Wert zur "vermittelnden Instanz" und das Wertgesetz zum "apersonalen Mechanismus" erhöhst, die nicht nur menschlicher Kontrolle, sondern menschlicher Praxis überhaupt entrückt scheinen. Wenn aber der Wert (vom Kapital ganz zu schweigen) nicht als gesellschaftliches Produktionsverhältnis, als Verhältnis der Privatarbeit zur Gesamtarbeit, verstanden wird und das Wertgesetz nicht als eine bestimmte "gesellschaftliche Manier", die notwendige Verteilung dieser Gesamtarbeit durchzusetzen, kann auch die Aufhebung von Wert(form) und Wertgesetz nicht als Praxis verstanden werden, die nur in der Warenproduktion selbst als Möglichkeit angelegt sein kann (deren Realisierung allerdings eine bestimmte Entwicklung voraussetzt). Eine "andere Form" der gesellschaftlichen Vermittlung oder der Vergesellschaftung der Individuen kann dann nur aus dem Kopf entwickelt werden, wie Du es im Folgenden auch vorführst, aber auch nur als vage Form ohne konkret bestimmbaren praktischen Inhalt, als unbestimmter "Zusammenhang" oder "gesellschaftlicher Prozeß". Dann muß auch unverstanden bleiben, daß die gesuchte "andere Form" der Vermittlung der bisher nur mittelbar, über den Austausch verbundenen Individuen nichts anderes sein kann als die Unmittelbarkeit ihrer gesellschaftlichen Beziehungen in der Produktion wie in der Distribution.
(28.3.1) Praxisform und Wertform, 07.05.2002, 12:50, Stefan Meretz: Ich habe nun hoffentlich deutlich gemacht, dass das Fetisch und Wertgesetz nicht "menschlicher Praxis überhaupt entrückt", sondern im Gegenteil Resultat derselben sind. Es geht damit auch nicht bloß um einen zu beklagenden Verlust "menschlicher Kontrolle", die man etwa wieder zurückgewinnen müsse (könnte man schlussfolgern). Sondern es geht um das Begreifen der Tatsache, dass in dieser "sachlichen" Praxisform keine Kontrolle erreichbar ist, sondern dass die Kontrolle über die "gesellschaftliche Bewegung" nur jenseits dieser Praxisform, jenseits der Wertform, geinnbar ist. Wenn aber der Zusammenhang von Wertform und Praxisform zerrissen wird, und nur noch "Praxis, Praxis, Praxis" zählt, dann steht am Ende immer Affirmation des Gehabten und Bekannten. Das ganze Ding von Marx heisst aber "Kritik der politischen Ökonomie", und Kritik heisst auch (Selbst-)Kritik der Praxisform. Diese wird dann nicht zum "Verrat" (oder wie die Vorwürfe lauten), wenn sie den Zusammenhang von Praxisform und Wertform versteht und auf dieser Grundlage Alternativen überlegen kann. - Nach meinem Empfinden geht dir dieser Zusammenhang von Praxisform und Wertform ab. Ncht ich überhöhe irgendwelche apersonalen Mechanismen, sondern du überhöhst die Praxis "als solche". Dabei ist, wie ich anderer Stelle ausführte, auch die Reflexion, die Kritik von bloßer Bejahung, das von dir (zwar auch praktizierte aber) verdammte "kategoriale Denken", eine bestimmte Form von Praxis: Eben eine die nicht aufgehen will in den Praxisformen von "Wert" und allem was dranhängt: Politik, Parteien, Staat usw.
(28.4) 18.04.2002, 09:57, Werner Imhof: Der Begriff der unmittelbar gesellschaftlichen oder unmittelbar vergesellschafteten Arbeit wird ebenso häufig mißverstanden wie der Begriff der abstrakt menschlichen Arbeit, deren praktische Negation er ausdrückt. Ein häufiges Mißverständnis lautet, daß die Totalität der gesellschaftlichen Arbeit jedem einzelnen Individuum unmittelbar zugänglich sein müsse, so daß sich jede/r einzelne auch an der Verteilung und Planung der Gesamtarbeit beteiligen könne. Da eine solche Vorstellung offensichtlich unsinnig, weil unrealistisch ist, wird dann gewöhnlich die scheinbar entgegengesetzte, tatsächlich komplementäre Schlußfolgerung gezogen, daß Arbeit halt nur in kleinen, persönlich überschaubaren Einheiten unmittelbar gesellschaftlich organisiert werden könne. Beiden Auffassungen ist gemeinsam, daß sie unmittelbare Gesellschaftlichkeit mit persönlicher Unmittelbarkeit verwechseln, unmittelbar gesellschaftliche Beziehungen von Menschen mit der Reichweite ihrer persönlichen Beziehungen gleichsetzen und die schon vorhandene Vergesellschaftung der Arbeit, die gesellschaftliche Arbeitsteilung, übersehen. Du lehnst - zu Recht - beide Auffassungen ab, weil sie die "gesellschaftliche Natur des Menschen" verfehlen. Aber da Du ihre grundlegenden Fehler teilst und mit ihnen die "Natur" gesellschaftlicher Beziehungen verfehlst, meinst Du, die Idee unmittelbarer Gesellschaftlichkeit selbst verwerfen zu müssen.
(28.4.1) Unmittelbare Vermittelheit, 08.05.2002, 10:03, Stefan Meretz: Ich verwerfe die "Idee unmittelbarer Gesellschaftlichkeit" nicht, nur, wie ich oben schrieb, halte ich das für einen Platzhalter. Gesellschaftlichkeit bedeutet stets Vermitteltheit, die Frage ist nur: auf welche Weise stellt sich diese her oder: stellen die Menschen sie her. Unmittelbare Vermittelheit bedeutet also, dass sich die Vermittlung nicht über ein Drittes (die Wertabstraktion) herstellt, sondern "in erster Person" von den Menschen selbst hergestellt wird. Nur: Was heisst das...
(28.5) 19.04.2002, 19:21, Werner Imhof: Was mich immer wieder frappiert, ist die gerade unter "kritischen MarxistInnen" verbreitete Blindheit gegenüber der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Die bloße Erwähnung des Begriffs "Arbeitsteilung" scheint einen Reflex auszulösen: Arbeitsteilung wird assoziiert mit Knechtung des Individuums, also kann daran nichts Positives sein. Auch Du beschwörst eine "andere Form der Vergesellschaftung" und siehst doch vor lauter Bäumen den Wald nicht, die vor allen Augen liegende Vergesellschaftung der Arbeit, die die kapitalistische Warenproduktion hervorgebracht hat. Warenproduktion bedeutet Teilung der gesellschaftlichen Arbeit oder - um es mal "positiver" zu formulieren - gesellschaftliche Kombination von Teilarbeiten, nur in Form "dissoziierter" Privatarbeiten. Der Kapitalismus hat diese Teilung und Kombination der gesellschaftlichen Arbeit in der Form der Lohnarbeit in einem Maße vorangetrieben, daß ihre "Dissoziierung" in "voneinander unabhängig betriebne Privatarbeiten" und damit auch die Form der Lohnarbeit vom gesellschaftlichen Standpunkt aus längst überflüssig und hinderlich geworden ist. Selbst das Kapital ist teilweise gezwungen, die bornierten Grenzen des Privateigentums zu überschreiten, ohne sie doch in Frage stellen zu können; "C-commerce", cooperative commerce, ist ein aktuelles Beispiel dafür. Nicht der "Wert" also vermittelt die "soziale Verbindung" der Menschen, nicht das Wertgesetz stellt ihre "Sozialität" her, sondern die wechselseitige stofflich-technische Abhängigkeit aller produktiven Teilfunktionen der gesellschaftlichen Arbeit voneinander. Der Wert, richtiger: der Tauschwert, scheint nur zwischen Produktion und produktiver wie individueller Konsumtion zu vermitteln, tatsächlich bestimmt er nur die Form dieser Vermittlung, die er gleichzeitig permanent stört und behindert, weil er nicht nur Wert, sondern auch Mehrwert realisieren muß. Die gesuchte "andere Form der Vergesellschaftung" liegt also auf der Hand. Sie kann nur darin bestehen, daß die bisher "dissoziierten" Produzenten sich assoziieren "auf der Grundlage ihrer gemeinsamen Aneignung und Kontrolle der Produktionsmittel" (Marx), also ihre jeweiligen bisher nur mittelbaren Beziehungen untereinander wie zu den Konsumenten in unmittelbar kooperative Beziehungen umwandeln und mit der Produktion für den Austausch gegen Geld auch der Lohnarbeit ein Ende setzen. Dies und nur dies ist die Bedeutung "unmittelbar gesellschaftlicher" Arbeit. Mit der abgeschmackten Vorstellung, daß sich jede/r einzelne unmittelbar, persönlich in sämtliche Beziehungen sämtlicher Produzenten und Konsumenten "einmischen" (können) müsse, hat sie ebenso wenig zu tun wie mit dem von Dir (im nächsten Absatz) vermuteten Kurzschluß, daß damit "alle gesellschaftlichen Angelegenheiten" "unmittelbar regelbar" würden. Auch eine Gesellschaft mit unmittelbar gesellschaftlicher Produktion würde um "mittelbare", durch öffentliche Willensbildungsprozesse und Entscheidungsstrukturen vermittelte Regelungen nicht herumkommen. Und doch blieben die Beziehungen der Menschen in der Produktion wie in der Verteilung immer unmittelbar gesellschaftliche Beziehungen, ohne die Form dinglicher Verhältnisse annehmen zu können. Und nur darum geht es.
(28.5.1) Arbeitsteilung, 08.05.2002, 10:18, Stefan Meretz: Ich habe nicht die von dir angeführten Probleme mit der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Wie du von dort zu meiner Überlegung einer anderen Form der Vergesellschaftung kommst, ist mir nicht klar. Was ich nicht teile, ist die sozusagen "naturalistische" Vorstellung einer Arbeitsteilung sui generis - als ob die produktiven Teilfunktionen quasi-natürliche stofflich-natürliche Abhängigkeiten hätten. Das verkennt in krasser Weise die Formbestimmtheit der Warenproduktion, nicht nur die Tatsache, dass sich die Verwertungslogik sozusagen in "Gebrauchsseite" der Produkte einschreibt, sondern schon bei der Frage, was überhaupt produziert wird. Deswegen klingt es in meinen Ohren sowohl naiv wie unkritisch, ja ignorant, in traditioneller Weise zu meinen: Wir müssen den Laden nur übernehmen und die dissoziierten Produzenten nur sich assozieren lassen. In deinem Modell ist "die Produktion" so eine Art "neutraler Fakt", in der nur der (Tausch-) Wert noch nervt.
(29) »Ich« - kann ich ohne zögern antworten, denn Vergesellschaftung bedeutet immer, dass sich der gesellschaftliche Zusammenhang und meine Einbettung darin auch ohne mein Zutun herstellt [12]. Das Problem ist, in welcher Form sich der Zusammenhang herstellt, ob, wie in der warenproduzierenden Gesellschaft, über »Arbeit« und »Wert« oder ob über die freie Entfaltung des Einzelnen in der freien Assoziation. Freie Entfaltung des Einzelnen in der freien Assoziation bedeutet mitnichten, dass alle gesellschaftlichen Angelegenheiten unmittelbar zugänglich wären. Solche Vorstellungen einer »unmittelbaren Regelbarkeit« führen zum »Unmittelbarkeitsterror« eines Pol Pot. Wie aber sieht eine Vergesellschaftung aus, die einerseits weder über den »Wert« entfremdet noch über eine scheinhafte Unmittelbarkeit geregelt wird? Führt eine Aufhebung der »automatischen Wertvergesellschaftung« nicht notwendig zu personalen Formen »unmittelbarer Regulation«? Nein, sie führt zu einer anderen »automatischen Form«, in deren Zentrum jedoch nicht der »Wert«, sondern der sich entfaltende Mensch steht. Die Vergesellschaftungsdynamik ist dann nicht mehr Resultat eines abstrakten, verselbstständigten Prinzips »dritter Person«, sondern eines konkreten personalen Prinzips »erster Person«, nämlich der Bedürfnisse der individuellen, gesellschaftlichen Menschen.
(29.1) 19.04.2002, 19:23, Werner Imhof: Daß ein gesellschaftlicher Zusammenhang nicht auf das Zutun eines einzelnen Individuums angewiesen ist, ist ja nicht falsch, aber auch nur eine Banalität, weil jeder gesellschaftliche Zusammenhang doch wohl eine Vielzahl von Individuen voraussetzt. Ob sich die Situation eines Individuums, das sich an diesem Zusammenhang nicht beteiligt, als "Einbettung" beschreiben ließe, ist allerdings eine ganz andere Frage. Auf jeden Fall aber ent- und besteht ein gesellschaftlicher Zusammenhang immer nur durch Menschen, die ihn durch ihre wechselseitigen Beziehungen herstellen und reproduzieren. Und "das Problem ist, in welcher Form" - nein, nicht "sich der Zusammenhang herstellt", sondern - die Menschen ihren Zusammenhang, und zwar den Zusammenhang ihrer materiellen Reproduktion, herstellen bzw. richtiger: wie sie sich den bestehenden Zusammenhang aneignen, um ihn nach ihren Bedürfnissen umzugestalten, "in welcher Form" sie also ihre gesellschaftliche Arbeit organisieren. Weiter oben hast Du keine Scheu gehabt, die "gesellschaftliche Produktion und Reproduktion des Lebens allgemein 'Arbeit' zu nennen (im Unterschied zur Krisis-Position)". Doch jetzt drückst Du Dich vor der Konsequenz Deiner eigenen Position und verbannst mit dem "Wert" gleich auch die "Arbeit" aus dem erstrebten "gesellschaftlichen Zusammenhang". Was bleibt, ist eine "Assoziation", deren Freiheit nur dadurch bestimmt ist, der "freien Entfaltung des Einzelnen" zu dienen. Worin oder wobei aber soll er sich frei entfalten, in welcher Betätigung? Auch das bleibt unbestimmt, außer daß es nicht die "Arbeit" sein soll. Was bleibt, ist also eine leere "Form der Vergesellschaftung" ohne bestimmte materielle Grundlage und ohne bestimmten praktischen Inhalt, ein "gesellschaftlicher Zusammenhang", in dem die Selbstzweckbewegung des mehrwertheckenden Werts ersetzt ist durch die Selbstbewegung des zum blo0en Schemen verflüchtigten Individuums. Im Bemühen, der "scheinhaften Unmittelbarkeit" zu entgehen, bist Du selbst in einer begrifflichen Scheinwelt gelandet.
(29.1.1) Dritter oder erster Person, 10.05.2002, 10:54, Stefan Meretz: Ja, genau das ist die Frage: Wie kommen wir dazu, dass es nicht mehr so ist, dass "sich der Zusammenhang herstellt", sondern "die Menschen ihren Zusammenhang" herstellen. Oder formelhaft: Wie kommen wir von einer Vergesellschaftung dritter Person zu einer Vergesellschaftung erster Person. - Mein Argumentieren geht nun darum, zwei mögliche, aber in meiner Sicht falsche Vereinseitigungen zu vermeiden. Die erste besteht darin, die fetischistische Konstitution der Vergesellschaftung als Epiphänomen zu verharmlosen, also anzunehmen, man könne innerhalb dieser Konstituion und mit ihren Mittel den Kapitalismus abschaffen. Wer nicht sagt, wie die fetischistische Konstituion als Ganzes aufgehoben werden kann, wird trotz aller Verbalradikalität immer wieder auf das Bestehende zurückgeworfen. Die zweite Vereinseitigung besteht darin, den Fetischismus zu hypostasieren dergestalt, dass jeder Vermittlungszusammenhang als Zusammenhang "hinter unserem Rücken" abgelehnt wird. Die Alternative der "scheinhaften Unmittelbarkeit" hat jedoch nichts mehr mit "Gesellschaft" zu tun - einem Zusammenhang, der sich sui generis "hinter unserem Rücken" herstellt. Wieder formelhaft verkürzt lautet also die Frage: Wie stellt sich der Zusammenhang hinter unserem Rücken her: dritter oder erster Person?
(29.1.2) Freie Entfaltung und "Arbeit", 10.05.2002, 11:06, Stefan Meretz: Du fragst nach der "'Assoziation', deren Freiheit nur dadurch bestimmt ist, der 'freien Entfaltung des Einzelnen' zu dienen" - aber was hier "nur"?? Daraus spricht für mich die - wieder sehr traditionelle - Trennung von "Arbeit und Freiheit". Das ist genau ein Problem des Sondersphärenbegriffs der "Arbeit": Er macht blind dafür, dass es auch Zusammenhänge geben kann, in denen die "Entfaltung des Einzelnen" nicht nur Voraussetzung für die Entfaltung aller ist, sondern eben jene Produktion und Reproduktion des Lebens leistet. Erst dort mach der Spruch von Reiner Kippe (SSM Köln) "Wo alles Arbeit ist, ist nichts mehr Arbeit" Sinn, aber nur dann, wenn man "Arbeit" nicht mehr als Knechtung wider die Entfaltung denkt und praktiziert, wo also gilt Arbeit=Entfaltung. Das ist nur jenseits der Warengesellschaft möglich, heute gilt der abgewandelte Kippe-Spruch: "Wo alles Arbeit ist, ist alles Arbeit" ist seiner vollen Bedeutung der Arbeit als individuelle Knechtung.
(29.2) 20.04.2002, 17:08, Werner Imhof: Wie abgehoben Deine Gedankengänge sind, zeigt Deine Antwort auf die selbstgestellte Frage, wohin denn eine "Aufhebung der 'automatischen Wertvergesellschaftung'" "führt". Du hast keinen Begriff von der notwendigen Praxis einer möglichen Aufhebung und vom sozialen Subjekt dieser Praxis - aber wohin sie führt, das steht für Dich schon fest. Das ist das Charakteristische des utopischen Denkens, daß die bloße Vorstellung einer möglichen Zukunft schon als Zugang zu ihrer beschreibbaren Wirklichkeit gilt. - Den Warnhinweis auf Pol Pot übergehe ich als polemischen Ausrutscher - es sei, denn Du möchtest mir ernsthaft eine geistige Verwandtschaft mit ihm nachsagen.
(29.2.1) Utopiepolemik, 10.05.2002, 11:24, Stefan Meretz: Die "Utopiepolemik" ist ein klassischer Reflex des Traditionsmarxismus - und leider auch von dir - auf alle Bemühungen, die Immanenz von Politik, die Befangenheit in der Warengesellschaft, denkend und praktizierend aufzuheben. Immer schön deckeln, immer schön "positiv" bleiben. Schon die Frage "wo sind denn deine Truppen" (nicht von dir, sondern aus einem anderen Kontext), nach dem "sozialen Subjekt" (warum nicht mehr "historischen"?) führt zu einer verdinglichenden und instrumentalisierenden Sicht auf dieses "Subjekt". Willst du ernsthaft dieses Subjekt noch "objektiv" bestimmen? Oder bloß "voluntaristisch": Da wo sich was bewegt, ist das Subjekt?
(29.2.2) Pol Pot, 10.05.2002, 11:32, Stefan Meretz: Den Warnhinweis, und so war er auch gemeint, habe ich ganz allgemein als Konsequenz des "Unmittelbarkeitsdenkens" formuliert. Ich will deutlich machen, dass "geistige Verwandtschaft" kein Zufall ist: Ihre "ideologische Schulung" erhielten die "Roten Khmer" im 68er Paris. - Es ist also kein polemischer Ausrutscher, da ich dich nicht (wie keine/n) persönlich gemeint habe. Das soll ich jede/r selbst überlegen, und ich schliesse mich nicht aus.
(30) An dieser Stelle weigern sich häufig sowohl das bürgerlich-affirmative als auch kritisch-emanzipatorische Denken mitzugehen. Während die bürgerliche Ideologie Individualität und Gesellschaftlichkeit nur als Gegensatz denken kann, will die emanzipatorische Kritik mit der Entfremdung am liebsten die Vergesellschaftung, also die überindividuelle gesellschaftliche Vermittlung, gleich mit abschaffen. Dem liegt beiderseits ein eigentümlicher Begriff von Gesellschaft zugrunde, der in etwa zugespitzt so ausgedrückt werden kann: Gesellschaft entsteht erst dort, wo die Menschen zusammenkommen. Ich will das für beide Positionen, die ich aus Gründe der Veranschaulichung überdeutlich zugespitzt habe, ausführen.
(30.1) 20.04.2002, 17:10, Werner Imhof: Diesem Absatz könnte ich generell zustimmen - wenn ich nicht wüßte, was sich hinter der "überindividuellen gesellschaftlichen Vermittlung" verbirgt. Aber dazu später.
(31) Die inhaltlich uninteressantere, gleichwohl dominante Position ist die der Annahme des Menschen als genuin ungesellschaftliches, isoliertes Individuum. Damit wird die reale Erscheinung der »Warenmonade«, des auf seine Unmittelbarkeit zurückgeworfenen isolierten Menschen, der nur über die Warenform (Lohnarbeit und Warentausch) seine Gesellschaftlichkeit leben kann, begrifflich verdoppelt. Dieses »unsoziale« Wesen, das nichts als seinen »Eigennutz« kennt, muss erst durch Instanzen und Ideen »sozialisiert« werden: durch Familie, Schule, Staat, die »Vernunft«. Gesellschaftliche Vermittlung kann hier stets nur als staatliche gedacht werden. Trotz allen Individualismus-Kults und Anti-Staats-Propaganda kommen (neo-)liberale Ansätze nicht ohne den Staat aus. Diese Positionen sind auch keineswegs scharf von »kritischen« Ansätzen getrennt. Gerade die vielfältigen »Sozialisationstheorien« übernehmen die Vorstellung einer »Formbarkeit« des Individuums durch entsprechend auszugestaltende »Instanzen«. Die Annahme, dass das Individuum durch seine Umweltbedingungen geformt, ja im wörtlichen Sinne »geprägt« wird oder werden muss, wird geteilt.
(31.1) Re: Die »Bürgerlichen«: Staat statt Gesellschaft, 20.04.2002, 17:11, Werner Imhof: Die "bürgerliche Ideologie" ist nicht nur wesentlich differenzierter, als Du sie hier "zugespitzt" darstellst. Du übersiehst auch ihr zentrales Element - den Markt, konstituiert durch Privateigentum (an Produktionsmitteln) und Wettbewerb. Richtig ist allein, daß auch der extremste Liberalismus nicht ohne ein Minimum an Staatlichkeit (und an "Gemeinschaftsideologie") auskommt. Aber daß "die Bürgerlichen" "gesellschaftliche Vermittlung ... stets nur als staatliche" denken können, stellt ihre Ideologie geradezu auf den Kopf.
(31.1.1) Re: Die »Bürgerlichen«: Staat statt Gesellschaft, 10.05.2002, 11:43, Stefan Meretz: Die Kritik ist berechtigt. Mir war nur wichtig, der aktuell beliebten Polemik gegen den "Neoliberalismus" (so zu großen Teilen bei Attac), mit der der Schein erzeugt wird, als sei der regulierende Staat quasi das "Gegenmodell", etwas entgegenzusetzen.
(32) Die spannendere Position der »Kritik«, sei sie traditionsmarxistisch oder wertkritisch fundiert. Sie setzt explizit oder (meistens) implizit grundsätzlich die individuelle Gesellschaftlichkeit des Menschen voraus. Umstritten ist jedoch die ontische Grundlage dieser Gesellschaftlichkeit. Während traditionsmarxistisch hier die »Arbeit« das Konstituens ist (mit aller Problematik, die ich vorher diskutierte), gibt es in wertkritischen Ansätzen dafür kein Äquivalent. Ihre Formkritik der kategorialen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft ist nur negatorisch und antiontologisch formuliert, was rückblickend betrachtet in der kritischen Absetzung vom Traditionsmarxismus auch notwendig war, um dessen unhaltbare Universalisierungen erkennen und kritisieren zu können. Die negatorisch-antiontologische Kritik kann jedoch keine Aufhebungsperspektive begründen. Deswegen wirken alle Ansätze dazu auch relativ hilflos und flach. So wird der kritisierten Form der Vergesellschaftung »anonym hinter unserem Rücken« quasi einfach gewendet die »offene und direkte Absprache« entgegengesetzt, besonders im Zeitalter des Internet: »Es könnte die Konkurrenz durch globale Direktkommunikation aufheben und würde perspektivisch zum Kinderspiel machen, was der Räte-Idee immer als angebliche praktische Unmöglichkeit vorgehalten wurde: die unmittelbare Interaktion einer globalen Selbstverwaltungsgesellschaft ohne Geld und ohne Staat.« [13].
(32.1) Re: Die »Kritischen«: Gesellschaft statt Staat?, 23.04.2002, 18:45, Werner Imhof: Daß die "Wertkritik" durchaus eine Aufhebungsperspektive begründen kann, zeigt schon das angeführte Zitat. Ihr Dilemma ist, daß sie seit anderthalb Jahrzehnten die "Aufhebung von abstrakter Arbeit, Wert und Geld" ("Manifest für die Erneuerung revolutionärer Theorie", 1988) beschwört, ohne jemals zum simplen praktischen Grund vorzustoßen, der sie hervorbringt: der Produktion für den Austausch. Ihre "Formkritik der kategorialen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft" bleibt deshalb nicht nur in der Denunzierung dieser Kategorien stecken; sie weiß sich auch nicht anders zu helfen, als ihren deformierten praktischen Inhalt, die gesellschaftliche Arbeit, gleich mit zu denunzieren. Was ihr fehlt, ist nicht die "ontische Grundlage" einer zeitlosen anthropologischen Disposition genannt "Gesellschaftlichkeit", sondern das praktische Verständnis ihrer konkreten historischen Form. Nur deshalb muß ihre Aufhebungsperspektive "hilflos" (aber keineswegs "flach") bleiben (trotz des zeitweisen Versuchs, sie in eine "Entkoppelungsstrategie" umzumünzen), da ihr deshalb auch die einzig mögliche vermittelnde Praxis und das einzig mögliche Subjekt dieser Praxis verschlossen bleiben und sie, nicht anders als der verpönte "Arbeiterbewegungsmarxismus", die Lohnabhängigen nur als Lohnabhängige begreifen kann, nicht aber als gesellschaftliche Produzenten, die in der Lage wären, ihre gesellschaftliche Arbeit selbst auch gesellschaftlich zu organisieren.
(33) Während der Traditionsmarxismus also einer Ontologie anhängt, die auf einer inadäquaten Universalisierung bürgerlicher Formkategorien beruht, fehlt wertkritischen Ansätzen (scheinbar) eine Ontologie, weswegen diese über wage, fast mystische Bilder nicht hinauskommen. Denkbar ist einzig eine negatorische »Gegengesellschaft« z.B. in Räteform, die aber beschwört werden muss, ihrerseits nicht die bürgerlichen Formen zu reproduzieren: »Diese 'negative Identität' installiert ... kein neues fetischistisches 'Prinzip', und so kann sie in dem Maße erlöschen, historisch werden und nur noch 'Gesellschaft' sein in dem Maße, wie der Kapitalismus aufgehoben ist.« [14] - Wie soll eine »negative Identität« erlöschen, wenn es kein konstitutives neues, nichtfetischistisches »Prinzip« der Vermittlung gibt? Was tritt an die Stelle? Was ist eine Gesellschaft, die »nur noch Gesellschaft ist« - eine Ansammlung von Menschen, die alles per »globaler Direktkommunikation« und »unmittelbarer Interaktion« regeln? Mit der Vorstellung der »Regelung in der Unmittelbarkeit« wird jedoch wiederum die bürgerliche Denkform reproduziert, die »Gesellschaft« als eigenständige systemische Ebene nicht kennt, sondern nur die Summe der unmittelbaren Interaktionen der Individuen. Die »Unmittelbarkeitsverhaftetheit« als »objektive Denkform«, als individuell-kognitive Widerspiegelung des »Monaden-Daseins«, ist die individuelle Kehrseite der abstrakt-entfremdeten Vergesellschaftung über den Wert. Diese Form - wie schwammig auch immer - zum positiven Prinzip zu erheben, reproduziert in einfacher Negation doch wieder nur das »fetischistische Prinzip«, das man eigentlich loswerden will. Und es konstruiert unausgesprochen eine »Negativ-Ontologie« in welcher der vom »fetischistischen Vermittlung« wie von jeder »Vermittlung« befreite, an-sich »gute« Mensch die Dinge in »unmittelbarer Interaktion« schon regeln wird.
(33.1) Vermittlung, 22.03.2002, 00:28, Petra Haarmann: Unser "knusus knacktus" nicht wahr? Ich denke nicht, daß Du die Krisis-Position hier richtig wiedergibst, - aber das wäre an anderer Stelle zu diskutieren. Die Negation des Kapitalverhältnisses als seine Aufhebung, nach Marx der Beginn und nicht das Ende menschlicher Geschichte, bedeutet aus meiner Sicht die Überwindung einer einseitigen, singulären Form der gesellschaftlichen Vermittlung (durch Arbeit) und nicht die Überwindung gesellschaftlicher Vermittlung ansich. Genauer gesagt, gäbe es dann eine Vielheit von gesellschaftlichen Vermittlungen entsprechend der jeweiligen "Logik" (in "...", weil bürgerlicher Begriff)und Qualität der Lebensbereiche und Bedürfnisse von Einzelnen, Gruppen und auch der Gesamtgesellschaft.
(33.1.1) Re: Vermittlung, 22.03.2002, 09:20, Stefan Meretz: IMHO gibt es gar keine dezidierte Position von Krisis zu dieser Frage, sondern nur relativ allgemeine Aussagen. Dass diesen der "Unmittelbarkeit-Kurzschluss" innewohnt - mindestens in dieser Weise interpretierbar ist und in der Rezeption so interpretiert wird -, habe ich versucht zu zeigen. Mich würde freuen, wenn von Krisisseite diese theoretische Frage aufgegriffen würde. Vielleicht gibt es ja was - für Hinweise bin ich dankbar. - Was du als "Vielheit von gesellschaftlichen Vermittlungen" bezeichnest, nenne ich das "Prinzip erster Person" der Vergesellschaftung.
(33.2) 23.04.2002, 18:46, Werner Imhof: Die "'Gesellschaft' als eigenständige systemische Ebene" ist ein Gemeinplatz - gerade der bürgerlichen Ökonomie und Soziologie - und in dieser Allgemeinheit ebenso viel- wie nichtssagend. Ihn als sein Gegenteil zu präsentieren, als Überwindung "bürgerlicher Denkform(en)", ist schon grotesk. Noch grotesker wird es dadurch, daß Du ihn ausgerechnet gegen Kurz' (einstiges) Konzept einer "Entkoppelungsbewegung" ins Feld führst. Ich habe seinen Text gerade noch einmal gelesen. Er war der Versuch, die Möglichkeit einer "nicht mehr warenförmigen Reproduktion" zu begründen, die "in den Poren und auf den Trümmern" der kapitalistischen Warenproduktion, "in Austausch (!) und Auseinandersetzung mit dem Kapital" als "Keimform" einer praktischen "Aufhebungsbewegung" wirken (können) sollte. Diese "Keimform" sollte ihre "negative Identität" gerade nicht mehr aus bloß abstrakter Negation der Warenform beziehen, sondern aus einer positiv bestimmten Praxis, die die "Vermittlung von Produktion und Konsumtion" in Form "unmittelbarer Kommunikation" statt über den Markt organisiert. Daß Kurz "kein konstitutives, neues, nichtfetischistisches 'Prinzip' der Vermittlung" anerkannt hätte, ist also allein Deine entstellende Lesart. Sie zeigt nur, daß Du - an der buchstäblichen Bedeutung der "Vermittlung" klebend - unmittelbar gesellschaftliche Beziehungen nicht als Form gesellschaftlicher Vermittlung begreifen kannst, weil Du (im Unterschied zu Kurz) nicht siehst, daß diese Vermittlung selbst vermittelt ist, über die gesellschaftliche Arbeitsteilung nämlich. Kurz' Fehler lag nicht in einer vermeintlichen "Unmittelbarkeitsverhaftetheit", sondern umgekehrt in seiner "Verhaftetheit" im Austausch, also in der bürgerlichen Form der Vermittlung. Er verstand nicht, daß es unmöglich ist, eine "nicht mehr warenförmige Reproduktion" zu organisieren, wenn diese gleichzeitig auf den vielfachen "Austausch mit dem Kapital" angewiesen ist. Es ist bezeichnend, daß Du diese Form der Vermittlung überhaupt nicht wahrnimmst, jedenfalls nicht als Problem, und die "bürgerliche Denkform" nicht da ausmachst, wo sie Kurz gefangen hält, sondern gerade da, wo er sie zu sprengen sucht.
(34) Traditionsmarxismus und Wertkritik verhalten sich zueinander wie ungeliebte Spiegelbilder, die einander jeweils nicht wahrhaben wollen. Will der Traditionsmarxismus die Formkritik nicht hören, weil er die Arbeits-Ontologie aufgeben müsste, so weist die Wertkritik jegliche Ontologie zurück, weil sie sich diese nicht anders vorstellen kann, als Universalisierungen bürgerlicher Formkategorien. Nicht nur »Arbeit ist Scheisse«, sondern auch »Ontologie ist Scheisse«. Was ist das dort aber, was da seine »Form« findet, was ist der »Inhalt« zur Form?
(34.1) 23.04.2002, 18:50, Werner Imhof: Was ist der Inhalt, der seine Form findet? Knapper kann man Deine Methode - "wir erdenken uns eine 'andere' Gesellschaft" - kaum auf den Punkt bringen...
(35) Um Vergesellschaftung als Vermittlung begreifen zu können, ist es notwendig, sich noch einmal den Begriff der »Gesellschaft« klarzumachen. Die Gesellschaft bildet eine eigenständige systemische Ebene, sie ist eine qualitativ besondere Widerspiegelungsform materieller Realität. Solcher Art eigenständiger systemischer Ebenen mit je eigenen Entwicklungsgesetzen gibt es drei: die physikalisch-chemische/anorganische Ebene, die biotische Ebene und die menschlich-gesellschaftliche Ebene. Keine der Ebenen kann aus jeweils den anderen heraus deduziert werden, wenngleich die historisch früheren Materieformen Voraussetzung für die Existenz der auf sie gründeten Formen ist: Kein Denken ohne die Physiologie der elektrischen Nervenimpulse, dennoch lässt sich das Denken aus den Nervenimpulsen nicht ableiten.
(35.1) Der allgemeine Begriff der Gesellschaft, 24.04.2002, 17:49, Werner Imhof: Der allgemeine Begriff "der Gesellschaft" kann nur das enthalten, was allen bisherigen Formen und Entwicklungsstufen menschlichen Zusammenlebens gemeinsam war und sich zwanglos auch auf eine mögliche nachbürgerliche Gesellschaft übertragen läßt. Eine solche "verständige Abstraktion" (Marx) kann sinnvoll sein, um vor ihrem Hintergrund die "wesentliche Verschiedenheit" dieser möglichen Gesellschaft gegenüber der bürgerlichen zu verdeutlichen. Aber diese Verschiedenheit kann selbstverständlich niemals aus dem allgemeinen Begriff der Gesellschaft selbst abgeleitet werden, sondern nur aus der konkreten Realität der bürgerlichen Gesellschaft, in der sie als Möglichkeit angelegt sein muß. Du dagegen suchst das Besondere aus dem Allgemeinen und das Mögliche aus dem Begriff zu entwickeln. Der allgemeine Begriff der Gesellschaft ersetzt Dir das konkrete Begreifen der bürgerlichen Gesellschaft. Nicht nur das. Der allgemeine Begriff "der Gesellschaft" schließt (wenn er nicht inhaltlich ab- oder eingegrenzt wird) die Gesamtheit praktischer Beziehungen der Menschen untereinander ein. Die Art und Weise ihrer materiellen Reproduktion ist dabei wohl die grundlegende Praxis, die auch alle anderen Beziehungen formt oder beeinflußt; aber Gesellschaft als Totalität praktischer Beziehungen läßt sich nicht auf die Produktionsweise reduzieren. Aus gutem Grund beschränke ich mich deshalb darauf, von der möglichen Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise bzw. von der möglichen Praxis kommunistischer oder unmittelbar gesellschaftlicher Produktion zu sprechen. Denn wie die Menschen möglicherweise einmal die Gesamtheit ihrer Beziehungen gestalten werden, gehört für mich in den Bereich müßiger Spekulation. Auch Du bezeichnest die bürgerliche Gesellschaft immerhin noch als warenproduzierende Gesellschaft, hebst also auf ihre Produktionsweise ab. Nur wenn es um deren praktische Aufhebung geht, weichst Du aus ins allgemein Gesellschaftliche. Der Begriff der Vergesellschaftung ersetzt Dir den Begriff der vergesellschafteten Produktionsweise.
(35.2) Re: Vergesellschaftung als Vermittlung von Individuum und Gesellschaft und der Gesellschaft mit sich selbst, 05.06.2002, 17:39, Werner Imhof: Ich beginne mit der Kommentierung dieses Absatzes noch einmal von vorn.
Auf der Suche nach einer "anderen Vergesellschaftungsform" und ihrem Inhalt bist Du nun also auf der allgemeinsten Ebene angekommen, beim "Begriff der 'Gesellschaft'", und damit vollends - auf einem methodischen Holzweg. Denn der allgemeine Begriff "der Gesellschaft" kann nur das enthalten, was allen bisherigen Formen und Entwicklungsstufen menschlichen Zusammenlebens gemeinsam war und sich daher auch auf seine Zukunft übertragen läßt. Er ist die Abstraktion von jeder bestimmten Form menschlichen Zusammenlebens, von allen historischen Besonderheiten. Wozu eine solche Abstraktion auch immer gut sein mag - zu einem taugt sie mit Sicherheit nicht: zu dem Versuch, aus ihr die Form einer möglichen nachbürgerlichen Gesellschaft abzuleiten. Weder läßt sich aus dem formlos Allgemeinen eine besondere Form erschließen noch überhaupt das historisch Mögliche aus dem überhistorischen Begriff. Eine andere, neue Vergesellschaftungsform kann einzig und allein aus der wirklichen Praxis der bürgerlichen Gesellschaft, also aus der kapitalistischen Warenproduktion, abgeleitet werden, in der sie als mögliche Praxis angelegt sein muß, oder sie ist unmöglich. Bei Dir ersetzt der Rekurs auf den allgemeinen Begriff der Gesellschaft bzw. der Vergesellschaftung das konkrete Begreifen der bürgerlichen Gesellschaft, d.h. vor allem der Produktionsweise, auf der sie beruht. Denn um deren Aufhebung oder Umwälzung geht es ja in erster Linie, und nicht um die müßige, weil spekulative Frage, wie die Menschen in einer künftigen Gesellschaft einmal die Totalität ihrer Beziehungen gestalten könnten. Die bürgerliche Gesellschaft bezeichnest Du immerhin noch als warenproduzierende Gesellschaft, geformt also durch ihre Produktionsweise. Doch wenn es um deren praktische Aufhebung geht, weichst Du aus ins allgemein Gesellschaftliche. Der allgemeine Begriff der Vergesellschaftung ersetzt Dir die spezifische Formbestimmung einer vergesellschaften Produktionsweise.
(35.2.1) Re: Vergesellschaftung als Vermittlung von Individuum und Gesellschaft und der Gesellschaft mit sich selbst, 07.06.2002, 12:15, Stefan Meretz: Der allgemeine Begriff der Vergesesellschaftung ersetzt bei mir mitnichten die spezifische Formbestimmung jeweiliger Gesellschaftsformationen. Im Gegenteil: Er ist die Grundlage für ihre Bestimmung, nicht aber die Bestimmung selbst. Wenn du meinst, ohne einen Begriff von Gesellschaft und Vergesellschaftung, Aussagen über Gesellschaftsformen machen zu können, dann bist du "vollends auf einem methodischen Holzweg". Du fragst dich, "wozu eine solche Abstraktion ... gut sein mag"?? Ernsthaft? Du kannst nicht über einen Sachverhalt reden, ohne über einen Begriff, eine allgemeine Bestimmung, eine gedankliche Abstraktion, davon zu verfügen. Der Witz ist: Du hast ja einen Begriff von Gesellschaft. Ich fordere dich wie alle anderen, die "über Gesellschaft" reden, auf, diesen zu explizieren. Dann wird deutlich, dass eine Menge theoretischer Verwirrung (allgemein, nicht personal gemeint) schon hier begraben liegt.
(35.3) 05.06.2002, 17:41, Werner Imhof: Wenn der allgemeine Begriff der Gesellschaft eine "verständige Abstraktion" (Marx) sein soll, muß er auf dem Verständnis der historischen Formen beruhen, von denen er abstrahiert. Andernfalls wird er fast zwangsläufig dazu verleiten, bestimmte historische Verhältnisse zu zeitlosen zu erheben. Als "verständige Abstraktion" setzt der Begriff daher ein Verständnis speziell der bürgerlichen Gesellschaft voraus, das im "positiven Verständnis des Bestehenden das Verständnis seiner Negation ... einschließt", wie Marx es für seine Kritik der politischen Ökonomie in Anspruch nahm (Nachwort zur 2. Auflage des "Kapital", Bd. I). Ein Verständnis also, das Du mit Hilfe eines allgemeinen Gesellschaftsbegriffs gerade zu ersetzen suchst. Es ist daher kein Wunder, daß Dir dieser Begriff zur "unverständigen Abstraktion" mißrät, die bestimmte Vorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft "universalisiert". Das beginnt schon bei dem Begriff der "eigenständigen systemischen Ebene", die sich mit dem (einzelnen!) Individuum (oder umgekehrt) und "mit sich selbst" vermittelt.
(35.3.1) Verständige Abstraktion, 07.06.2002, 12:37, Stefan Meretz: Zustimmung, ein allgemeiner Begriff der Gesellschaft muss von historisch spezifischen Formen abstrahieren. Zustimmung, dass ich den allgemeinen Begriff nur gewinne, wenn ich weiss, wovon ich abstrahiere. Und Zustimmung, dass jede positive Bestimmung auch negative Bestimmung ist. Ja, genau deswegen ist der allgemeine Begriff so wichtig. Er ersetzt jedoch nichts, sondern ist gleichsam Resultat und Ausgangspunkt der Analyse. - Wer den Kapitalismus primär "mehrwertkritisch" fasst, der kommt zu einem anderen Begriff der Gesellschaft, als derjeinige, der ihn "wertkritisch" analysiert.
(35.3.2) Eigenständige systemische Ebene, 07.06.2002, 12:51, Stefan Meretz: Warum ist meine Bestimmung, "Gesellschaft" sei systematisch eine eigenständige Widerspiegelungsebene materieller Realität, falsch? Ich habe das "eigenständige systemische Ebene" genannt. Wie du das bezeichnest, ist zweitrangig. Andere haben mich darauf hingewiesen, dass der Begriff "systemisch" unglücklich sei, weil er in das Fahrwasser der Luhmann'schen Systemtheorie gerät. Gut, akzeptiert. Doch hier geht es um den Inhalt, um den Begriff, nicht um das Wort. Und der Inhalt meiner Aussage ist: "Gesellschaft" ist eine grundlegende Kategorie, die als allgemeine Abstraktion eine qualitativ eigenständige Ebene der Widerspiegelung materieller Realität darstellt. Ich kann "Gesellschaft" nicht auf andere Widerspiegelungsformen reduzieren. Ich kann sie nicht biotisch deduzieren (oder gar physikalisch-chemisch) - auch wenn es bürgerliche Wissenschaft immer wieder tut. Der Begriff und seine adäquate Bestimmung ist unumgänglich.
(35.4) 05.06.2002, 17:43, Werner Imhof: Als gesellschaftliches Naturwesen ist der Mensch immer auf zweierlei Vermittlung angewiesen. Er muß seinen Stoffwechsel mit der Natur vermitteln und zugleich sein Verhältnis zu seinesgleichen. Beide Vermittlungen sind nicht voneinander zu trennen, sie bedingen einander. Den Stoffwechsel mit der Natur vermittelt die Arbeit als Aneignung und Umformung von Naturstoff für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Die Arbeit selbst ist Teil der subjektiven Praxis, Kommunikation und Sexualität inbegriffen, die das Verhältnis des Menschen zu seinesgleichen vermittelt. Bestimmend für dies Verhältnis sind die Form und die Mittel der Naturaneignung. Solange die Naturaneignung gemeinschaftlich und die Arbeitsteilung unentwickelt, "naturwüchsig" war, solange waren auch die Beziehungen der Menschen (innerhalb der je eigenen "Gesellschaft") unmittelbar gemeinschaftliche und auch unmittelbar als solche einsichtig. Auch wenn sie sich zu Riten und Traditionen verfestigt hatten, blieben sie immer Gebräuche der Menschen, die sie praktizierten. Und auch wenn sie ihr Verhältnis zur Natur wie zu ihren Vorfahren in eine Mythologie oder Religion projizierten, die auf ihre Beziehungen zurückwirkte, war es eben ihre Gedankenwelt, die sich verselbständigt hatte, nicht aber ihr praktischer Gesellschaftszusammenhang. Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen konnten sich nicht zu einer "systemischen Ebene" oder Macht "mit eigenen Entwicklungsgesetzen" verselbständigen, die ihrer unmittelbaren Praxis entrückt war, weil andere als unmittelbare Beziehungen gar nicht existierten, also auch keine zusätzliche Form der "Vermittlung". (Was sich auch darin ausdrückte, daß solche ursprünglichen Gesellschaften Jahrtausende ohne jede nennenswerte Entwicklung leben konnten, wie umgekehrt eine individuelle Entdeckung oder Erfindung einen Entwicklungsschub auslösen konnte.)
(35.4.1) Gesellschaftliches Naturwesen ohne Gesellschaft?, 07.06.2002, 13:13, Stefan Meretz: Du redest vom "gesellschaftlichen Naturwesen" - aber die Gesellschaft scheint es nicht zu geben. Es gibt bestenfalls je eigene "Gesellschaften" im Sinne von "Gemeinschaften". Das ist eine klassische bürgerliche Denkfigur - nur lassen die Bürger lieber gleich das mit dem Attribut des "gesellschaftlichen" beim Naturwesen weg. Dann ist es auch konsistenter. Folgerichtig schreibst du, dass "andere als unmittelbare Beziehungen gar nicht existierten". Die "Unmittelbarkeitsverhaftheit" habe ich in diesem Text bereits kritisiert - ich will das nicht wiederholen.
(35.5) 05.06.2002, 17:44, Werner Imhof: Erst mit der "Privatisierung" der Naturaneignung, also mit der Entwicklung des Privateigentums an Tieren, Boden und anderen Produktionsmitteln, den Menschen eingeschlossen, konnten sich gesellschaftliche Beziehungen der Menschen zu objektivierten Mächten in Gestalt des Geldes und einer Recht setzenden Staatsgewalt verselbständigen, während die gesellschaftliche Arbeit mehr und mehr zur Aufgabe besonderer Klassen wurde. Erst jetzt konnte sich der Mensch überhaupt als der Gesellschaft bzw. Teilen der Gesellschaft entfremdetes Wesen und diese Entfremdung als sein Lebensschicksal begreifen (vorher war die Entfremdung von der Gemeinschaft gleichbedeutend mit dem Todesurteil); erst jetzt konnte er überhaupt Gesellschaft als eigenständige "Ebene" erfahren, die seinem Einfluß entzogen war und sich nach ihm unzugänglichen "Gesetzen" entwickelte. Und erst jetzt begann sich die "Vermittlung" des Menschen mit der Natur wie mit seinesgleichen in anderer Form zu entwickeln als in der unmittelbaren "Teilhabe am gesellschaftlichen Prozeß" (zu dem schon früh der Austausch zwischen den ursprünglichen Gemeinwesen hinzukam), nämlich in der Form sich entfaltender gesellschaftlicher Arbeitsteilung und des Warenverkehrs sowie in der Form politischer und ökonomischer Herrschaftsverhältnisse.
(35.5.1) Objektivierung, 07.06.2002, 13:25, Stefan Meretz: Es ist Teil der gesellschaftlichen Natur des Menschen, dass seine Aktivitäten stets zu "Objektivierungen" führt. Dass Aktivitäten "verobjektiviert" wurden, war historisch eines der entscheidenen Features, mit dem sich der Mensch aus dem Tierreich abheben konnte. Erst so war in völlig neuer Größenordnung eine gegenständliche und dann auch symbolische Erfahrungskumulation möglich. Diese "objektivierten Mächte" sind dir aber anscheinend nicht im Blick. Sie sind es aber - genauer: die Art, wie sie geschaffen werden -, die die Gesellschaftlichkeit konstituieren. Dazu muss sich jede und jeder ins Verhältnis setzen, sein Leben über diese gesellschaftlichen Infrastrukturen vermitteln. Dabei ist es völlig egal, ob dies in der Abgeschiedenheit einer im Urwald lebenden Gemeinschaft oder im "zivilisierten Westen" geschieht. Dies ist allgemeine Bestimmung. Davon abzuheben ist die je konkrete Form, in der dies geschieht.
(35.5.2) Fetischismus, 07.06.2002, 13:35, Stefan Meretz: Es ist für mich erstaunlich und schwierig zugleich: Da gibt es diejenigen, die eine Selbstständigkeit gesellschaftlicher Vermittlungslogik völlig bestreiten (du z.B., aber eben auch bürgerliche WissenschaftlerInnen); und dann diejenigen, die dieselbe Logik mit dem Begriff des Fetischismus verabsolutieren (wie teilweise Wertkritische). Aus meiner Sicht ist die gemeinsame Grundlage ein inadäquater (meist eh nur implizit vorhandender) Begriff der Gesellschaft.
(35.6) 05.06.2002, 17:46, Werner Imhof: (Die) Gesellschaft als gegenüber den Individuen verselbständigter Zusammenhang personaler Abhängigkeiten und sachlicher Zwänge ist ein relativ spätes Produkt in der bisherigen Geschichte des Homo sapiens. Die Abstraktion einer alle Klassen und Individuen umfassenden "Gesellschaft" selbst ist eine noch viel jüngere Kategorie (im alten Rom standen die Sklaven außerhalb der civitas). Und die Gesellschaft als "eigenständige systemische Ebene" mit "eigenen Entwicklungsgesetzen" ist eine Vorstellung, die überhaupt erst in der spätbürgerlichen Epoche aufkommen konnte, in der mit der Kapitalform der Arbeitsprodukte die sachlichen Verhältnisse und Zwänge zur herrschenden Form gesellschaftlicher Beziehungen wurden. Die "systemische Eigenständigkeit" der bürgerlichen Gesellschaft ist nur eine scheinwissenschaftliche Verbrämung der Tatsache, daß in einer auf Privatarbeit und Austausch beruhenden Gesellschaft die Menschen von den Produkten beherrscht werden und nicht die Produkte von den Menschen. Sie zum Wesenszug jeglicher Form gesellschaftlicher Beziehungen zu erheben, heißt nichts anderes als unverstandene bürgerliche Verhältnisse verewigen zu wollen. Der scheinbar verschmähte Waren- und Geldfetisch lebt fort als - Gesellschaftsfetisch.
(35.6.1) Gesellschaftsfetisch, 07.06.2002, 13:59, Stefan Meretz: LOL: das ist wirklich der lustigste Vorwurf, den ich seit langem bekam!! Hier kann ich klar bestätigen: Mit dieser Auffassung unterscheidest du dich deutlich vom Traditionsmarxismus. - Vielleicht trifft ja Annettes Vermutung zu, und es findet sich jemand, der den von dir festgestellten "Gesellschaftsfetisch" austreibt;-)
(35.6.2) Werbung, 07.06.2002, 14:31, Stefan Meretz: Ich kann hier nur nochmal empfehlen, das Werk "Grundlegung der Psychologie" von Klaus Holzkamp zur Kenntnis zu nehmen. Es behandelt die hier diskutierten Themen der Genese von Mensch, Gesellschaft und dem Vermittlungszusammenhang von beidem. Es ist nicht leicht zu lesen und mitunter ist es anstrengend, es zu verstehen, aber es lohnt sich. Wolfgang Fritz Haug, der dir ja auch was sagt (wenngleich manchmal anderes als mir), vergleicht den Rang von Holzkamps Werk mit dem der Marx'schen Kritik der politischen Ökonomie auf seinem Gebiet, der Psychologie: "Eben diesen seltenen Fall der Entwicklung einer marxistischen Wissenschaft in ihrem eignen, inneren Zusammenhang, einen unwahrscheinlichen Glücksfall, stellt das Werk Klaus Holzkamps dar". Das ist nicht übertrieben. Ich rätsele ja schon eine Weile darüber, warum das Werk nicht seinem Rang gemäß auch rezipiert wird. Meine Vermutung ist, dass es in so durchgreifender Weise auch direkt mit einem selbst - mit je mir - zu tun hat, dass es nicht "so einfach" (im Sinne von persönlich konsequenzenlos) zur Kenntnis genommen werden kann. Das geht mit dem "Kapital" durchaus schon - zumal in der mehrwertkritischen, tendenziell personalisierenden Rezeptionsform: Da sind die Kapitalisten eben die Bösen, und die Unterdrückten die Guten - und ich brauche an meinem Leben erstmal nix ändern. Das muss nicht so sein, aber so ist es oft.
(35.7) 07.06.2002, 15:52, Werner Imhof: Gegen die Fetischisierung des Gesellschaftsbegriffs hat Ansgar Knolle-Grothusen einen Beitrag zur KW 48/00 verfaßt, den ich dringend zur Lektüre empfehle: http://www.opentheory.org/kw48_00-4/text/phtml Anmerken möchte ich nur seinen Hinweis, daß schon Marx in den ökonomisch-philosophischen Manuskripten die Unsitte verurteilt hat, "die 'Gesellschaft' wieder als Abstraktion dem Individuum gegenüber zu fixieren"; denn "das Individuum ist das gesellschaftliche Wesen" (MEW EB 1, S. 538). Im "Realsozialismus" war sie fester Bestandteil der offiziellen Herrschaftsideologie. Und in Stalins unseligem Wort von der "Hauptproduktivkraft [wessen wohl?] Mensch" fand sie einen exemplarischen Ausdruck, der auch "kritische MarxistInnen" hinters Licht führte. Offenbar so nachhaltig, daß auch Du ihn gedankenlos übernimmst, z.B. im "Gegenbilder"-Buch. Mir ist natürlich klar, daß Dir alles andere als ein zentralistischer Staatssozialismus vorschwebt. Aber Du teilst seine Fetischisierung der "Gesellschaft", und was Du ihm entgegensetzt, ist nur das idealisierte Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft, die sich selbst bewegende, die "automatische Form" der Vergesellschaftung (vgl. #29), nur ohne die "Wertabstraktion".
(36) Bei der menschlich-gesellschaftlichen Ebene gibt es zwei Perspektiven, die zu unterscheiden sind: die des Individuums und die der Gesellschaft. Den Zusammenhang habe ich in einem anderen Aufsatz wie folgt skizziert:
»- Gesellschaft wird zwar von Menschen »gemacht«, ist in ihrer Existenz und Entwicklung aber nicht von konkreten Einzelnen festlegbar: Sie entwickelt sich nach eigenen Gesetzen.
- Die Gesetze beschreiben die Eigenlogik der gesellschaftlicher Entwicklung, nicht aber ein »Ziel«: Die Entwicklungsrichtung ist genuin offen.
- Die Gesellschaft ist das Medium, in dem sich alle Menschen bewegen: Die je individuelle Existenz ist gesamtgesellschaftlich vermittelt.
- Die Fähigkeit, sich individuell in die Gesellschaft hineinzuentwickeln, sich zu vergesellschaften, ist Teil der menschlichen Natur: Nicht der ungesellschaftliche Mensch wird »sozialisiert«, sondern der gesellschaftliche Mensch schafft das Soziale.
- Gesellschaft gibt es, solange es Menschen gibt, sie hängt nicht von Einzelnen ab: Die Gesellschaft besteht überhistorisch und überindividuell.« [15]
(36.1) 30.06.2002, 12:03, Werner Imhof: Von "Vergesellschaftung als Vermittlung" zu reden, heißt - sollte man meinen - von Menschen zu reden, die sich zum Zweck ihrer Reproduktion "gesellen" und ihr Verhältnis zueinander und zur Natur auf bestimmte Art und Weise vermitteln. Nicht so bei Dir. Bei Dir vermitteln sich die Menschen nicht miteinander, sondern mit einem Abstraktum namens "Gesellschaft". Damit reproduzierst Du selbst die ideologische Denkfigur, die Du zuvor noch als bürgerlich abgetan hast: die Gegenüberstellung von Individuum und "Gesellschaft". Der Unterschied besteht nur darin, daß Du ihre "Vermittlung" auf "nichtfetischistische" Weise denken möchtest, während "die Bürgerlichen" sie angeblich nur "als staatliche" denken können. Doch in der Gegenüberstellung zum Individuum ist "die Gesellschaft" bereits selbst zum Fetisch geworden. Die praktischen Beziehungen der gesellschaftlichen Individuen untereinander erscheinen im Begriff als selbständiges, mit Eigenleben und "Eigenlogik" begabtes Quasi-Subjekt, so wie "in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand" (Marx). Das Individuum, das sich mit der Abstraktion "Gesellschaft" zu vermitteln meint, ist denn auch kein anderes als das bürgerliche Individuum, das mit seinesgleichen vorwiegend über den Austausch verkehrt. Seine gesellschaftlichen Beziehungen erscheinen ihm als das, was sie sind: nicht unmittelbar gesellschaftliche, sondern nur mittelbare, durch Waren resp. Geld vermittelte. Es ist das vereinzelte Individuum, der "Einzelne" (mit Großschreibung natürlich, wie einst der "Einzige"), der sich über den Austausch auf einen ihm äußerlichen und undurchsichtigen "Zusammenhang" bezieht. Der Begriff der "Gesellschaft" ist nur der komplementäre Ausdruck seiner Vereinzelung. Der Austausch verstellt aber nicht nur den Blick auf die Menschen, mit denen der "Einzelne" sich vermittelt, sondern auch auf die fundamentale Form ihrer Vermittlung, die den Austausch selbst erst ermöglicht und erfordert, die gesellschaftliche Arbeit. So wie die Wertform des Produkts, sein Preis, das Verhältnis der Privatarbeit zur Gesamtarbeit verbirgt, das es doch ausdrückt, so verbirgt der Austausch die Herkunft des Produkts aus gesellschaftlicher Arbeit überhaupt. Die Zirkulationssphäre verhüllt die Sphäre der gesellschaftlichen Produktion, auf der sie beruht.
(36.2) 30.06.2002, 12:05, Werner Imhof: Im "Gegenbilder"-Buch (wie auch in Deinem Beitrag zur KW 48/01) hast Du dem einen fast klassischen Ausdruck gegeben: "Gesellschaft ist ein Denkbegriff", schreibst Du dort (S. 27), "der einen realen, aber unanschaulichen Sachverhalt fassen soll. Gesellschaft ist der überindividuelle Zusammenhang, der das Leben jedes Einzelnen vermittelt." Kein Wort davon, daß sich hinter diesem "überindividuellen Zusammenhang" nichts anderes verbirgt als die gesellschaftliche Arbeit bzw. die "soziologische Gruppe" der Produzenten, die sie verrichten. Ebenso natürlich kein Wort davon, daß sie sich nur deshalb als "unanschaulicher Sachverhalt" darstellt, weil sie immer noch in der Form getrennter Privatarbeiten (mit zwangsweisem Staatsanteil) organisiert ist. Im Gegenteil, Du erhebst den "unanschaulichen Sachverhalt" noch zum Merkmal menschlicher Gesellschaft schlechthin. Man könnte das die verallgemeinerte Sichtweise des gedankenlosen Warenkonsumenten nennen, für den der Strom aus der Steckdose kommt und der keine Ahnung davon hat, daß sich hinter seiner morgendlichen Tasse Kaffee der ganze Weltmarkt verbirgt, also die globale Vergesellschaftung der Arbeit. Als Produzent, ob selbständig oder lohnabhängig, weiß der "Einzelne" immerhin noch, daß jede Konsumtion Produktion voraussetzt. Als Konsument sieht er nur noch das Produkt und seinen Tauschwert. Was ihn an letzterem stört, ist nicht, daß er ein überlebtes Verhältnis zwischen Menschen ausdrückt, sondern daß er sich als "Knappheit" der Produkte bemerkbar macht, gemessen an der Kaufkraft nämlich - weshalb er dann im Umkehrschluß den Tauschwert aus der Knappheit, also aus dem Verhältnis des Menschen zum Produkt, zu erklären sucht. Wie schön wäre das Leben, wenn der "überindividuelle Zusammenhang" "ohne Wert funktioniert(e)": "Ein Leben mit 'einfach nehmen' statt 'kaufen'." (A.a.O., S. 35) Die "systemische Eigenständigkeit" des "Zusammenhangs" stört ihn dagegen nicht, im Gegenteil, "entlastet" sie doch "den Einzelnen" "von der Notwendigkeit, 'die ganze Gesellschaft' zu denken". Sie müßte nur "gesamtgesellschaftlich stabil und verläßlich funktionieren, ohne jedoch" - man ist ja human - "ignorant und gleichgültig über die Interessen von Menschen hinwegzugehen wie bei der abstrakten Vergesellschaftung über den Wert" (ebd.). Und "funktionieren" heißt selbstredend: die Produkte her- und bereitstellen, die der "Einzelne" sich nehmen kann...
(37) Der Mensch ist also zugleich Natur-, Gesellschafts- und individuelles Wesen. Sich »zu vergesellschaften« hat mithin zwei Dimensionen: zum Einen das individuelle Hineinwachsen in die Gesellschaft, also das individuelle Entfalten der menschlichen Potenz zur gesellschaftlichen Teilhabe, und zweitens das tagtägliche Sich-Bewegen »in« den gesellschaftlichen Infrastrukturen, also die wie auch immer begrenzte Teilhabe an der Verfügung über den gesellschaftlichen Prozeß. Dieser individualtheoretische Begriff der Vergesellschaftung ist dann noch einmal abzuheben vom gleichlautenden gesellschaftstheoretischen Begriff, der die Bewegungslogik der (Re-) Produktion des Lebens auf der Systemebene der Gesamtgesellschaft in den Blick nimmt, also die gesellschaftlich-durchschnittliche Beteiligung »des Menschen« daran. Es ist von eminenter Bedeutung, ob ich den je einzelnen konkreten Menschen oder den - als Exemplar nicht existenten - »durchschnittlichen Menschen« theoretisch fixiere. Was ich gesellschaftstheoretisch als faktischen »konditionalen Zusammenhang« konstatieren kann - etwa: die herrschende Ideologie wird von den Menschen (re-)produziert - ist individualtheoretisch nur als »optionaler Zusammenhang« formulierbar: Es ist möglich, sich zur herrschenden Ideologie kritisch ins Verhältnis zu setzen und sie (mindestens partiell) zu unterlaufen.
(37.1) 30.06.2002, 12:07, Werner Imhof: Was aber bleibt dem "konkreten Einzelnen" überhaupt noch an eigener Vermittlung zu leisten, wenn es der "überindividuelle Zusammenhang" als "eigenständige systemische Ebene" ist, der sein Leben und darüber hinaus sich auch noch "mit sich selbst" vermittelt? Sein "Zutun" zu dieser "Vermittlung" scheint sich in seiner bewegten Anwesenheit zu erschöpfen, im formlosen und praktisch unbestimmten "Sich-Bewegen" im "Medium" der Gesellschaft und in ihren Infrastrukturen, in der "wie auch immer begrenzten Teilhabe an der Verfügung (?) über den gesellschaftlichen Prozeß" - eine "Verfügung", die wohl auf Einbildung beruhen muß, da sich die "Gesellschaft" ja "nach eigenen Gesetzen" entwickelt. Mehr noch: Da sich der gesellschaftliche Zusammenhang und die "Einbettung" des "Einzelnen" darin auch "ohne sein Zutun" herstellt (wahrhaftig "eine ontische Qualität menschlicher Vergesellschaftung"!, vgl. Anm. 12), besitzt der "Einzelne" sogar "eine Möglichkeitsbeziehung zur Realität": Er "kann handeln, muß aber nicht oder kann auch anders handeln"... ("Gegenbilder"-Buch, S. 27) Mit derlei Plattheiten feiert das bürgerliche Individuum seine Vereinzelung als Autonomie. Doch der "Einzelne", der einen (seinen!) gesellschaftlichen Zusammenhang ohne eigenes Zutun erlebt, ist eine Schimäre. Er mag zur Arbeit eine "Möglichkeitsbeziehung" haben, aber ums Essen und Trinken und die Befriedigung einiger anderer Grundbedürfnisse kommt er nicht herum. Er muß also konsumieren. Damit ist er aber auch schon tätiger Teil des "gesellschaftlichen Zusammenhangs", denn sein Konsum erfordert und verbraucht Produkte gesellschaftlicher Arbeit. Um andere seinetwegen zur Arbeit bewegen zu können, braucht er aber auch irgendeine Form gesellschaftlicher Anerkennung. In der heutigen Gesellschaft erfährt man sich diese Anerkennung gewöhnlich nur übers Geld. Doch wie kommt der "Einzelne" ohne eigenes Zutun zu Geld? Wenn er nicht gerade geerbt hat, seinen Angehörigen auf der Tasche liegt oder bettelt, nur beim Sozialamt. Die untätige "Einbettung" des "Einzelnen" in einen gesellschaftlichen Zusammenhang reflektiert also nichts weiter als den bürgerlichen "Sozialstaat". Im Gesellschaftsfetisch scheint auch noch der - Staatsfetisch durch.
(38) Analog zu den zwei Begriffen der Vergesellschaftung lässt sich nun der Begriff der Vermittlung spezifizieren: die individuelle Vergesellschaftung als gesamtgesellschaftlich vermittelte Lebenstätigkeit kann man unterscheiden in die individualbiographische Entfaltung und die alltägliche Teilhabe am Vermittlungsprozeß; die »gesellschaftliche Vergesellschaftung« kann man fassen als Reproduktion der Gesellschaft als System, als Vermittlung der Gesellschaft mit sich selbst.
(38.1) individuell? je individuell!, 09.04.2002, 10:27, Stefan Meretz: Mir fällt gerade auf, dass ich häufig das verdeutlichende "je" vor dem "individuell" vergessen habe: Es geht nicht um meine oder irgendeine oder gar die allgemeine individuelle Vergesellschaftung (oder was auch immer), sondern um die Vergesellschaftung etc. des jeweiligen Individuums. Der Unterschied ist nicht so offensichtlich, wird aber deutlich, wenn man sich klar macht, dass die Rede vom allgemeinen, quasi "durchschnittlichen" Individuum seine Spezifik - nämlich die einzigartige Individualität - nivelliert, während die Ausdrucksweise mit "je" eben gerade auf der je individuellen Besonderheit besteht (ohne sie auszuführen). Dieser Unterschied ist für das weitere Verständnis des Textes wesentlich.
(38.2) 30.06.2002, 12:08, Werner Imhof: Beim ersten Lesen hatte ich Deine "individual- und gesellschaftstheoretischen" Betrachtungen - trotz der Attacken gegen die "Arbeitsontologie" - noch als Annäherungsversuch an die Vergesellschaftung der Arbeit interpretiert, die die "Lebenstätigkeit" der Individuen vermittelt, und den Begriff des "gesellschaftlichen Prozesses" als Synonym für gesellschaftliche Arbeit. Schließlich warst Du bereit, die "gesellschaftliche Produktion und Reproduktion des Lebens allgemein 'Arbeit' zu nennen", und die Frage nach der "Bewegungslogik der (Re-)Produktion des Lebens auf der Systemebene der Gesamtgesellschaft" klingt auf den ersten Blick wie die Frage nach der Form der gesellschaftlichen Produktion und Distribution. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß man von "Vergesellschaftung als Vermittlung" getrennt von der vermittelnden Arbeit reden kann. Doch gerade darauf laufen Deine Betrachtungen hinaus. Der Begriff der Vermittlung dient Dir nur dazu, Dich von der "Sondersphäre" der "Arbeit" zu lösen, sie als vermittelnde Praxis gesellschaftlicher Individuen, als gesellschaftliche Arbeit zu negieren. Du negierst sie nicht als Vermittlung zwischen Mensch und Natur (wenn Du auch das Verhältnis von Subjekt, Objekt und Mittel reichlich verfehlt als "Dreiecksverhältnis" darstellst). Doch Du negierst sie als (selbst vermittelte) Vermittlung der Menschen untereinander, als "Medium" ihrer Gesellschaftlichkeit. Dabei setzt Du die Arbeit stillschweigend als gesellschaftliche voraus, nur reflektierst Du sie nicht und hast keinen bewußten Begriff von ihr. Selbst wenn Du - selten genug - den Begriff der "gesellschaftlichen Produktion" benutzt, bleibt er eine leere Abstraktion, weil Dir das Verständnis ihrer heutigen Form fehlt. Die "Wertverwertung", schreibst Du in Deinem Beitrag zur KW 48/01, ist Ausdruck eines sich "selbst reproduzierenden systemischen Zusammenhangs, in dem die Handelnden individuell funktionale ... Rollen einnehmen", nämlich als "Kapital und Arbeit". Das ist das Niveau der bürgerlichen Ökonomie, der "Theorie" der "Produktionsfaktoren". Das Kapital vermehrt sich jedoch nicht durch "Arbeit", sondern nur durch Arbeit einer bestimmten Form, durch Lohnarbeit. Auch die kapitalistische Lohnarbeit aber ist, wie das Kapital selbst, eine Form gesellschaftlicher Arbeit, nur eben eine "ungesellschaftliche" Form, die natürlich auch ihren gesellschaftlichen Inhalt, die Produktion von Gebrauchswerten, deformiert, ohne sich jedoch von ihm trennen zu können. Wenn nun aber diese besondere Form nicht als solche identifiziert werden kann, kann ihr Inhalt auch nicht in anderer Form gedacht werden. Form und Inhalt werden vielmehr ununterscheidbar und untrennbar. Die allgemeine Form der Lohnarbeit, in die alle besonderen produktiven Tätigkeiten, selbst Wissenschaft und Kunst, gezwängt werden, wird zum allgemeinen Begriff der "Arbeit", zum Fetisch wie die "Gesellschaft", nur mit negativem Vorzeichen. Die gesuchte "nichtfetischistische" Form der Vermittlung resp. "Vergesellschaftung" kann dann folgerichtig auch nur außerhalb, diesseits oder jenseits, der "Arbeit" gedacht werden. Was logisch einschließt, daß für die gesellschaftlichen Produzenten als bewußte Subjekte ihrer Vergesellschaftung dabei kein Platz wäre. Was wiederum Deine Aversion gegen ein "irgendwie 'objektiv' bestimmbares Subjekt" einer möglichen Bewegung zur Aufhebung der Warenproduktion erklärt.
(38.3) 30.06.2002, 12:11, Werner Imhof: Welche gedanklichen Blüten die Ignoranz und "Formblindheit" gegenüber der gesellschaftlichen Arbeit hervorbringen kann, ist im "Gegenbilder"-Buch nachzulesen. Ich muß gestehen, daß ich bis vor kurzem nur einige ausgesuchte Passagen daraus gelesen hatte. Gründlichere Lektüre hätte die ganze Auseinandersetzung wesentlich vereinfachen und verkürzen können. "Eine herrschaftsfreie Gesellschaft", heißt es dort (S. 96), "ist nicht das Ende von Austausch, Handel und Zusammenarbeit von Menschen und ihren Zusammenschlüssen." Daß eine herrschaftsfreie Gesellschaft nicht das Ende menschlicher Zusammenarbeit wäre - wer hätte das gedacht? Aber daß die Menschen auch weiterhin Austausch und Handel treiben sollen, ist schon erstaunlich. Also müssen sie wohl oder übel auch mit privaten Produktionsmitteln privat produzieren, also Warenproduktion betreiben. Und wo Waren produziert werden, darf natürlich auch das Geld nicht fehlen. Tatsächlich soll es denn auch Banken geben, natürlich nur solche, die "direkt aus dem Willen und der Vereinbarung der Menschen entspringen" (ebd. - als ob die heutigen Banken nicht dem Willen und der Vereinbarung von Menschen entsprungen wären). Grundlage der "herrschaftsfreien Gesellschaft" ist (ich übernehme einfach mal die indikativische Ausdrucksweise der "Gegenbilder"-Autoren) die "Fähigkeit und Möglichkeit zur individuellen Subsistenz". "Die individuelle Subsistenz bedeutet, daß jeder Mensch auch auf sich gestellt die Möglichkeit hat, ein gutes Leben zu führen." (S. 154) Das erfordert eine "Absicherung über materielle Werte, vor allem einen Anteil am Bodenbesitz, möglicherweise auch an anderen Kapitalwerten" (S. 96). "In einer herrschaftsfreien Gesellschaft bildet der Boden die Basis der Freiheit und Absicherung. Alle Menschen müssen ab ihrer Geburt über eine solche materielle Absicherung verfügen und selbst entscheiden, ob sie ihre Basis in einen gemeinschaftlichen Zusammenhang einbringen, an andere verpachten ["auf welcher Tauschbasis auch immer", heißt es einen Absatz zuvor] oder selbst nutzen einschließlich der Entscheidung, sich der Gesellschaft völlig zu entziehen." (Ebd. Hervorhebung von mir) Ein "gutes Leben" allein auf "individuelle Subsistenz" auf der Basis privaten Grundeigentums, ohne Inanspruchnahme gesellschaftlicher Arbeit, gründen zu wollen, ist schon eine gedankenlose reaktionäre Utopie. Sie aber auch noch mit der parasitärsten Form der Ausbeutung, der Tributleistung an den Grundeigentümer, zu verbinden, das schlägt dem Faß den Boden aus. Die Kritik an der "traditionsmarxistischen Fixierung auf Privateigentum und Austausch" erscheint dadurch allerdings in einem völlig neuen Licht...
(39) Die Frage ist also nicht ob, sondern auf welche Weise sich die Vermittlung konstituiert. Für die warenproduzierende Gesellschaft formuliere ich es so: Sie ist um den dynamischen Kern der Wertvergesellschaftung aufgebaut, synthetisiert durch dichtes Netz von politischen und ideologischen Infrastrukturen und »objektiven Denkformen« (Marx). Auch für die vormodernen Gesellschaften lässt sich eine allgemeine Skizze formulieren: Der dynamische Kern besteht in der Herrschaft über personal abhängige Menschen. Auch hier sorgt ein Netz politisch-ideologischer Infrastrukturen und »objektiver Denkformen« (insbesondere religiöser) für die gesamtgesellschaftliche Synthese und Kohärenz. Marx hat überzeugend herausgearbeitet, dass die gesellschaftliche Synthese über den »Wert« den Menschen als abstrakt-entfremdete »Bewegung von Sachen« entgegentritt, dass die Synthese also wie ein Fremdes, quasi-natürliches Äußeres erscheint und ist [16]. Das ist der Kern des Fetischismus. In Analogie dazu trat den »vormodernen« Menschen die gesellschaftliche Synthese als die entgegen, die sie ist: als personal-konkrete, herrschaftsförmige »Bewegung von Personen«. Der Unterschied besteht darin, dass der Fetischismus sich in der abstrakt-entfremdeten Bewegung apersonal konstituiert, während die personal-konkrete Herrschaft den Fetisch sozusagen »personal herstellt« und zum Zwecke der Herrschaft nutzt. Zugespitzt: Während der Fetisch in der modernen Gesellschaft die Menschen kontrolliert, kontrollieren die Herrschenden den Fetisch in den vormodernen Gesellschaften, weil und indem sie »Teil« des Fetischs sind. Damit ist eine Geschichtsschreibung als »Geschichte von Fetischverhältnissen« (Wertkritik) auf der Erscheinungsebene so richtig wie die der »Geschichte von Klassenkämpfen« (Traditionsmarxismus) - beide werden jedoch der gesellschaftlichen Dynamik unterschiedlicher Qualität in der Geschichte nicht gerecht.
(40) Denken wir auf dieser Abstraktionsebene über den Kapitalismus hinaus, dann können wir allgemein sagen, dass die Alternative zur fetischistischen Vermittlung, zur Vergesellschaftung über ein Drittes, durch eine abstrakt-entfremdete »Bewegung von Sachen« (Marx), die Vermittlung »erster Person« durch die Menschen selbst ist. So allgemein, so unstrittig (vermutlich). Wie können wir diese Vermittlung konkretisieren?
(40.1) Re: Versuch des Denkens einer Vergesellschaftungsdynamik jenseits der Wertform, 02.07.2002, 16:36, Werner Imhof: Ehrlich gesagt, ist mir der letzte Rest an Motivation vergangen, Dir "auf dieser (Deiner) Abstraktionsebene" noch weiter beim Ausmalen einer "nichtfetischistischen Vergesellschaftungsdynamik" zu folgen. Dein Begriff der "Vermittlung 'erster Person'" zum Beispiel würde Sinn machen, wenn er sich auf die Organisationsform der gesellschaftlichen Arbeit bezöge, also die unmittelbar gesellschaftliche Vermittlung der menschlichen Bedürfnisse mit ihrem Naturgegenstand meinte und die Assoziation der gesellschaftlichen Produzenten auf der Grundlage ihrer gemeinsamen Aneignung und Kontrolle der Produktionsmittel voraussetzte. Doch gerade gegen diese Voraussetzung wehrst Du Dich mit Händen und Füßen. Ohne sie aber bleiben alle für sich genommen vernünftig und "sympathisch" klingenden Begriffe und Gedanken, wie "Selbstentfaltung", "Selbstplanung" oder die "Vertrauensfrage", nur Ausdruck, wie schon einmal gesagt, eitler und elitärer Schwärmerei. Du besitzt die Chuzpe, Dich auf das "Kommunistische Manifest" zu berufen und Deinen Begriff der "Selbstentfaltung" gleichzusetzen mit der Marxschen "Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entfaltung aller ist". Du unterschlägst "nur" ihre entscheidende Grundlage: daß "alle Produktion in den Händen der assoziierten Individuen konzentriert" und damit die "Aufhebung des Privateigentums" vollzogen ist. Du hast keine Bedenken, in "Gegenbildern" und "Visionen" zu schwelgen, die auf dem Privateigentum fußen, die reaktionäre Idylle einer individuellen Subsistenzproduktion verherrlichen und in denen die Formen bürgerlicher Produktions- und Verkehrsverhältnisse, wie materielle Werte, Handel, Banken, Pacht und Kapital, munter weiterleben. Aber die Thesen und Diskussionen der KW 48 über die Aufhebung von Privateigentum, Austausch und Wertform, über die Selbstorganisation der gesellschaftlichen Arbeit durch die assoziierten Produzenten auf der Basis ihrer gemeinsamen Aneignung und Kontrolle der Produktionsmittel provozieren Dich derart, daß Du zur Attacke gegen den "Traditionsmarxismus" bläst. Doch das ist die falsche Flagge. Der "Traditionsmarxismus", den Du zu schlagen vorgibst, ist ein Popanz; der historische Marxismus würde sich schütteln vor Lachen, wenn er nicht schon tot wäre. Wem Deine Schläge wirklich gelten, ist das emanzipatorische Original.
(41) Zunächst ist negativ festzuhalten, dass gesellschaftliche Vermittlung eine Konzeption der unmittelbaren Regulation der gesellschaftlichen Angelegenheiten logisch ausschließt. Eine Frage könnte jedoch sein, ob sich die gesellschaftliche Vermittlung gleichsam »emergent« aus der Sphäre der unmittelbaren Interaktionen bzw. personalen Kooperationen der Menschen »ergibt«. Auch diese Sichtweise ist inadäquat, denn sie würde die »Gesellschaft« quasi neben das »unmittelbare Tun« stellen. Zwischen beidem gäbe es keinen echten Zusammenhang mehr, die gesellschaftliche Emergenz müsste sich gewissermaßen »zufällig« herstellen. Das ist aber nicht der Fall. Wir können die Frage also so formulieren: Wie stellt sich eine gesellschaftliche Emergenz notwendig her?
(42) Auf die warenproduzierende Gesellschaft geschaut, wissen wir, dass es dort der »Wert« bzw. die »Verwertungslogik« ist, die den Kern der Vergesellschaftungsdynamik markiert. Zur Emergenz kommt es »hinter unserem Rücken« durch die »unsichtbare Hand« des Marktes. Da Emergenz stets ein »hinter unserem Rücken« im Sinne eines »nicht unmittelbar herstellbar« bedeutet, ist die Frage, ob es eine andere »Instanz«, ein anderes »Prinzip« geben könne, das die Emergenz bewirkt, also die Vermittlung herstellt. Der Einspruch gegen diese Frage lautet prompt: Aber bedeutet das wiederum nicht, ein fetischistisches Prinzip durch ein anderes zu ersetzen? Soll nicht gerade die Emergenz jenseits der menschlichen Bedürfnisse, unabhängig von uns, endlich aufhören? Ja! Dieser scheinbare Widerspruch löst sich dann auf, wenn es die menschlichen Bedürfnisse, also die Menschen selbst sind, die diese Emergenz herstellen. Dies jedoch nicht als fiktive »Summe unmittelbarer Interaktionen«, sondern als individuelle Teilhabe am gesellschaftlichen Prozeß.
(43) Teilhaben am gesellschaftlichen Prozeß tun die Menschen auch heute schon, jedoch, wie mehrfach festgestellt, vermittelt und zugerichtet durch ein »drittes Prinzip« (die Wertabstraktion). Es geht also darum, das »Prinzip vom Standpunkt dritter Person« (den Fetisch) durch gesellschaftliches Prinzip vom »Standpunkt erster Person« aufzuheben. Dieses gesellschaftliche Prinzip verkörpert bei Marx die »Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist« (MEW 4, 482). Diese »freie Entwicklung« oder »Selbstentfaltung«, wie es im Oekonux-Projekt genannt wird, ist dabei nicht denkbar als Entwicklung des isolierten Einzelnen, auch nicht als Summe unmittelbarer Interaktion und Kooperation jenseits gesellschaftlicher Vermittlung, sondern nur als individuelle Teilhabe am Prozeß der Vermittlung der kollektiven Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens [17].
(44) Der Unterschied von »unmittelbarer Interaktion und Kooperation« und »Teilhabe am gesellschaftlichen Prozess« ist die Perspektive und Reichweite. Während sich die unmittelbare Kooperation stets begrenzt ist auf das »operative Tun« in »personaler Reichweite«, bedeutet Teilhabe am gesellschaftlichen Prozess ein Handeln in »überindividueller Reichweite« vermittelt in und durch gesellschaftliche Infrastrukturen. Habe ich mit meinen Handlungen am gesellschaftlich-kooperativen Prozess teil, dann gehe ich notwendig solche kooperativen Beziehungen zu Anderen ein, in denen meine Teilhabe möglich wird. Diese Beziehungen können sehr vielfältig sein, doch stets nutze und (re-)produziere ich gesellschaftliche Infrastrukturen, die ich für meine Teilhabe brauche. Teilhabe am gesellschaftlichen Prozess und Nutzung, Herstellung und Aufrechterhaltung von gesellschaftlichen Infrastrukturen sind ein Prozess. Ja, es kann sogar meine besondere Form der Teilhabe sein, nichts anderes zu tun, als Infrastrukturen herzustellen, die anderen die Teilhabe ermöglicht. Wenn Teilhabe und (Re-)Produktion der Teilhabe-Infrastrukturen der gleiche Prozess sind, dann stellt sich damit notwendig das her, was ich vorher »gesellschaftliche Emergenz« bzw. »gesellschaftliche Vergesellschaftung« genannt habe.
(45) Die Stabilität des gesellschaftlichen Prozesses und meine Eingebundenheit darin ist Voraussetzung für das Eingehen angstfreier und befriedigender unmittelbarer Kooperationen und Interaktionen. Um es an einem negativen Beispiel zu veranschaulichen: Wenn die gesellschaftliche (Re-)Produktion »zusammenbricht«, dann ist auch trotz eines vollen Kühlschranks ein angstfreies und befriedigendes Kochen und Essen unter Freunden schwer möglich. Allgemeiner formuliert: Das Vertrauen in die Stabilität und Nachhaltigkeit des gesellschaftlichen Prozesses, der sich von meinen unmittelbaren Beitrag unabhängig vollzieht, ist Voraussetzung für ein individuell angstfreies und befriedigendes Leben. Allgemeiner: Die unmittelbaren Interaktionen und Kooperationen der Menschen brauchen stabile gesellschaftliche Infrastrukturen, also das Vertrauen darin, dass die Teilhabeformen auch eine wirkliche Teilhabe erlauben. Das »Perverse« des Kapitalismus ist ja nicht nur, dass Teilhabe nur in entfremdeter Form möglich ist, sondern dass Millionen selbst noch von dieser entfremdeten Form der Teilhabe ausgeschlossen sind - und sich in der Regel »unmittelbar« wünschen, wieder in die Form der entfremdeten Teilhabe zu gelangen.
(46) Wie muss also ein gesellschaftlicher Prozess beschaffen sein, dass ich Vertrauen darin haben kann? Auch hier hilft wieder ein kurzer Rückblick. Der Kapitalismus erzeugte dieses Vertrauen in einer kurzen »Sonderperiode« seiner Entwicklung, nämlich der fordistischen Boomphase nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier hatte die »Wertvergesellschaftung« scheinbar jene Stabilität, die Vorsorge für alle möglich zu machen schien. Doch der »Vertrauensbruch« folgte auf dem Fuße. Seit Mitte der Siebziger Jahre wurde klar und »fühlbar«, dass sich diese Vergesellschaftungsform gegen die Bedürfnisse der Menschen verselbstständigte. Inzwischen wissen oder ahnen eigentlich alle, dass diese Qualität des Vertrauens in die allgemeine Vorsorge nicht wiederkehrt. Die fehlende Option einer anderen Vergesellschaftungsform lässt jedoch genauso (fast) alle an der alten Form festhalten. Besser diese als gar keine - deswegen sind »einfache Negationen« ziemlich unattraktiv.
(47) Eine Vergesellschaftungsform, in der das Vertrauensnetz durch das Handeln der Menschen erzeugt wird, ist die Alternative. Das »Prinzip dritter Person«, die Entfremdung in der Wertvergesellschaftung, ist ersetzt durch das »Prinzip erster Person«, die Selbstentfaltung. Ist dem »Prinzip dritter Person« eigen, dass ich mich nur auf Kosten Anderer durchsetzen kann, so erfordert das »Prinzip erster Person« meine Entfaltung als Voraussetzung für die Entfaltung aller und vice versa. Die Heraushebung »des Menschen« ist also keine idealistische Anrufung eines »guten Kerns« oder die Forderung nach einer »neuen Ethik«, sondern die (hier notwendig theoretische) Begründung dafür, dass es keinen »externen Dritten« bedarf, der die Menschen dazu führt, ihre Gesellschaftlichkeit auch zu realisieren.
(48) In meiner Sicht liegt es auf der Hand, dass ein »Prinzip erster Person« nicht auf dem Weg der Stärkung des »Prinzips dritter Person« erreicht werden kann. Alle traditionsmarxistischen Vorstellungen der Eroberung der »Macht« sind damit obsolet. Aber auch vereinfachende Vorstellungen wie Kommunismus = Expropriation der Expropriateure + Abschaffung der Warenform negieren die Wertvergesellschaftung nur abstrakt, da sie nicht beantworten können, was denn an die Stelle tritt. Erst mit der Freien Software ist die wage Idee, dass Kern der Vergesellschaftung der Mensch selbst sein könne, auch Praxis geworden - ansatzweise wenigstens.
(48.1) Zum ganzen Text, 23.03.2002, 00:06, Stefan Merten: Ein super Text wieder mal von dir :-) . Ich finde allerdings die neuen / ausentwickelten Gedanken hier eines eigenständigen Textes würdig, da ich sie als flüchtiger Leser und nach der langen Auseinandersetzung mit einem anderen Text hier eher nicht vermuten würde.
(49) [1] Die Kritik formulierte Werner Imhof in seinem Aufsatz »Gesellschaftliche Arbeit und ihr Wertausdruck«, erschienen in »Materialien der KW48/2000«, online: http://www.opentheory.org/kw48_00-1/text.phtml. Im folgenden beziehen sich Seitenverweise ohne zusätzliche Quellennennung auf die Papierversion dieses Aufsatzes.
(50) [2] Mit »Traditionsmarxismus« bezeichne ich all jene Strömungen des »Arbeiterbewegungsmarxismus«, in denen das Marxsche »Klassenkonzept« und die »Mehrwertkritik« zentrale Theorieelemente bilden; mit »Wertkritik« dagegen solche sich kritisch vom Traditionsmarxismus abhebenden Strömungen, die den traditionellen »Klassismus« ablehnen und der Analyse der »Wertform« eine zentrale Bedeutung geben. Die Anführungsstriche lassen ich im folgenden weg.
(51) [3] Franz Schandl, Bewegungsversuche auf Glatteis. Zum Verhältnis von Theorie und Praxis, in: Streifzüge 2/2000, S. 9, online: http://www.giga.or.at/others/krisis/f-schandl_theorie-und-praxis.html.
(52) [4] Wolfgang Fritz Haug, Vorlesungen zur Einführung ins »Kapital« (5. Auflage), Berlin 1989: Argument, S. 42f.
(53) [5] Diese Kategorien zu universalisieren, bedeutet, eine historisch-spezifische Form zur Seinseigenschaft menschlicher Produktion und Reproduktion überhaupt zu stilisieren. Damit wird das Denken einer Vergesellschaftungsform jenseits dieser historisch-spezifischen Form unmöglich, da die warenproduzierende Gesellschaft schon im Begriff verewigt wurde. Genau das ist dem Traditionsmarxismus auch unterlaufen. »Sozialistische« Verhältnisse konnten stets nur als »staatskapitalistische« gedacht und praktiziert werden, in denen zwar das Privateigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln gebrochen war, aber Waren- und Wertlogik (damit Staats- und Rechtslogik) weiter wirkten, da »Ausbeutung« nur als Problem »ungerechter Verteilung« behandelt wurde.
(54) [6] Das Isomorphie-Kriterium zielt auf die Herstellung einer Strukturgleichheit zwischen logisch-historischen und begrifflichen Verhältnissen.
(55) [7] Diese ironisierende Formulierung geht auf einen Kommentar von Uli Leicht zurück: http://www.opentheory.org/linux-wertlos/v0001.phtml#26.1.1.1
(56) [8] Eine wertkritische Tauschkritik: Franz Schandl, Entwurf einer Metakritik des Tauschs, in: Streifzüge 1/1999, online: http://contextxxi.mediaweb.at/texte/archiv/str990117.html. Der Traditionsmarxismus will auch die Abschaffung von Ware und Geld, doch ist dies erst eine Aufgabe im fernen Kommunismus. Sozialismus/Kommunismus fallen hier in distinkte »Phasen« auseinander.
(57) [9] Mit dem Begriff der »gesellschaftlichen Infrastrukturen«, den ich im folgenden häufiger verwenden werden, sind - sofern nicht anders spezifiziert - nicht nur stoffliche Strukturen gemeint, sondern im weitesten Sinne alle »Mittel«, die gesellschaftlich geschaffen werden, um den gesellschaftlichen Prozess herzustellen und zu erhalten - einschließlich der »objektiven Gedankenformen« (Marx).
(58) [10] Zum Konzept der LETS vgl. http://www.gmlets.u-net.com
(59) [11] Vgl. dazu: Stefan Meretz, Produktivkraftentwicklung und Aufhebung, in: Streifzüge 2/2001, online: http://www.opentheory.org/keimformdiskurs/text.phtml
(60) [12] Diese ontische Qualität menschlicher Vergesellschaftung wurde von der »Kritischen Psychologie« herausgearbeitet, die damit explizit den psychoanalytisch fundierten Ansätzen der »Kritischen Theorie« (und der sich darauf kritisch beziehenden Krisis-Gruppe) widerspricht, die von einen im Kern »antigesellschaftlichen Triebmodell« ausgehen.
(61) [13] Robert Kurz, Euphorie um die New Economy. Das Internet als Traumfabrik des Neuen Marktes, in: Jungle World 16/00, 12.04.2000, online: http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2000/16/17a.htm.
(62) [14] Robert Kurz, Antiökonomie und Antipolitik, in: Krisis 19 - Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft, Bad Honnef 1997: Horlemann, online: http://www.giga.or.at/others/krisis/r-kurz_antioekonomie-und-antipolitik_krisis19_1997.html.
(63) [15] Stefan Meretz, Der wilde Dschungel der Kooperation, erscheint vorauss. 2002 in einem Sammelband mit Texten zur »Theorie der Freien Kooperation« von Christoph Spehr, online: http://www.opentheory.org/dschungel/text.phtml
(64) [16] Dafür wird der Begriff der »Realabstraktion« verwendet: Es handelt sich bei der durch die Wertabstraktion konstituierten Dynamik um die real wirksame Form der Vergesellschaftung.
(65) [17] Um Missverständnissen vorzubeugen: Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens bezieht sich keineswegs nur auf das Herstellen der stofflichen Lebensmittel, sondern bezieht sich umfassend auf die Schaffung aller materiellen und immateriellen Mittel und Infrastrukturen (Kultur, Denkformen, Kommunikationsmittel etc. - vgl. Anmerkung [6]), die zur Bedürfnisbefriedigung »gebraucht« werden. Die individuelle Teilhabe hieran bedeutet also auch nicht notwendig, dass ich an materieller Produktion beteiligt bin, ggf. auch nicht, dass ich an »Produktion« überhaupt beteiligt bin, sondern vor dem Hintergrund der Aufhebung des Unterschieds zwischen »Produktion« und »Konsumtion« ist auch die Nutzung i.e.S. Teil und individueller Beitrag zur Entfaltung von Kultur und Lebensweise. In Umkehrung des Bebelschen Diktums »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht Essen« könnte man formulieren: »Wer sich in Kultur des kulinarischen Genusses entfaltet, soll nicht auch noch 'arbeiten'«.