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5. Reichweite und Grenzen der Theorie »Neuronaler Netze«
Maintainer: Stefan Meretz, Version 1, 14.02.2004
Projekt-Typ: halboffen
Status: Archiv
(1) An den »Neuronalen Netzen« wird kein gutes Haar gelassen - könnte so manche/r LeserIn denken. Dabei hatten wir »nur« dargestellt, daß sich der Konnektionismus Möglichkeiten zuschreibt - wie die Abbildung von Bedeutungen und Lernen -, die ganz grundsätzlich nicht erfüllt werden können. Was erreicht werden kann und was nicht, soll in diesem Kapitel gezeigt werden.
(2) Wir hatten in Kap. 4.4. (S._) betont, daß es sinnvoll ist, zwischen Werkzeugperspektive und Modellierungsperspektive zu unterscheiden. Schon aus dem 3. Kapitel (S._) wurde klar, daß wir den Wert »Neuronaler Netze« darin sehen, als Werkzeug zur Erreichung bestimmter Zwecke zu dienen. Gleichwohl schlossen wir die Möglichkeit, »Neuronale Netze« zur Modellierung bestimmter Phänomene zu nutzen, nicht aus. Hierbei ist es aber besonders wichtig, sich über den zu modellierenden Gegenstand Klarheit zu verschaffen, denn nur kausal determinierbare Prozesse können sinnvoll modelliert werden. In Kapitel 5.1. wollen wir das anhand von zwei Beispielen zeigen.
(3) Daran schließt sich die Auseinandersetzung zwischen klassischer KI- und »Neuronetz«-Forschung um die angemessene Art der Modellierung kognitiver Prozesse an (Kapitel 5.2.). Beide Forschungsrichtungen behaupten von sich, in Absetzung von der jeweils anderen Strömung dazu eher in der Lage zu sein. Exponenten dieser Kontroversen sind Smolensky für den Konnektionismus sowie Fodor und Pylyshyn für die klassische KI-Forschung. Im Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzungen steht das Konzept der Repräsentation mental-sprachlicher Prozesse. Während die klassische KI-Forschung davon ausgeht, daß diese nur »symbolisch« repräsentiert werden können, behauptet der Konnektionismus die Notwendigkeit einer »verteilten« Repräsentation. Wir wollen im Kapitel 5.2. die jeweils vorgetragenen Argumente darstellen und analysieren. Dabei greifen wir unsere Positionen aus Kapitel 3.3. wieder auf und entwickeln sie im jeweiligen Kontext weiter. Im Mittelpunkt der Weiterentwicklung unserer Kritik anhand der darzulegenden konträren Positionen steht der Bedeutungsbegriff. Auch mental-sprachliche Prozesse sind nicht inhaltsleer, sondern auf sachlich-soziale Bedeutungszusammenhänge bezogen. Unsere zentrale Fragestellung ist demnach, ob und inwieweit die inhaltliche Fassung des Repräsentationsbegriffs beider Forschungsrichtungen diesen Bedeutungszusammenhängen Rechnung trägt.
(4) Wir stellten dar, daß mit »Neuronalen Netzen« keine »Lernverfahren« abgebildet werden (können), sondern nur algorithmisch determinierte Approximationen von Funktionen. Das erschließt eine Reihe von Möglichkeiten der Modellierung von unspezifischen Optimierungsprozessen. Was sind nun aber unspezifische Prozesse und was im Unterschied dazu spezifische? Im folgenden stellen wir ein hierarchisches Modell von Kategorien vor, in dem diese Fragen berücksichtigt wurden. Mit Hilfe des Modells sind wir dann in der Lage, eine erkenntnistheoretische Einordnung eines vorliegenden Phänomens vorzunehmen, um zu entscheiden, ob und wie sich dieses Phänomen mit »Neuronalen Netzen« modellieren läßt.
(5) Maßstab unserer Unterscheidung von spezifisch-unspezifisch ist der Mensch. Zwei Leitfragen sind für die Struktur des Modells maßgebend:
(6) Für unsere Auffassung, die das ganze Buch durchzieht, ist die erste Leitfrage die maßgebende. Dennoch gibt es zahlreiche Prozesse, die nur beim Menschen vorkommen, aber nicht für seine Natur bestimmend sind. Die zweite Leitfrage geht also nicht in der ersten auf. Wir haben es demnach mit vier erkenntnistheoretischen Ebenen von Prozessen zu tun, die zu trennen sind:
(7) Wir erläutern die Ebenen von oben beginnend. Das Bestimmende der menschlichen Natur ist ihre Gesellschaftlichkeit (vgl. Kap. 3.2. und Kap. 4.2.). Nur Menschen besitzen die biologische Potenz, sich an der Erhaltung und Erweiterung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen zu beteiligen. Diese Fähigkeit ist das wesentliche Merkmal ihrer Natur. Als spezifische, aber sekundäre Aspekte hatten wir die existenzsichernden Primärbedeutungen und -bedürfnisse dargestellt, die durch subsidiäres Lernen modifiziert werden können (vgl. Kap. 4.2, S._ und S._). Dazu gehört z.B. die Sexualität. Zu den unspezifischen Momenten gehören elementare Funktionen der Orientierung, auf die wir im folgenden Kapitel genauer eingehen werden. Sie traten evolutionär schon sehr früh auf, erfuhren beim Menschen jedoch eine Eigenevolution parallel zur Herausbildung der bestimmenden Momente der menschlichen Natur und haben daher eine eigene konkrete - eben menschliche - Ausprägungsform angenommen. Sie sind als solche also nicht mit analogen Prozessen bei Tieren vergleichbar. Erst wenn man noch eine Ebene »tiefer« geht und sich unspezifisch-physiologischen Basisprozessen zuwendet, erreicht man eine Ebene, auf der eine Vergleichbarkeit oder Analogisierung sinnvoll möglich erscheint. Wichtig ist dabei, daß man konzeptionell die Trennung zu den drei übergeordneten Ebenen aufrecht erhält, um unzulässige Verallgemeinerungen von Erkenntnissen aus der Basisebene auf die übergeordneten Ebenen zu vermeiden. So sind etwa durchaus elementare neuronale Basisprozesse von höheren Tieren und Menschen vergleichbar. Eine Verallgemeinerung von biologisch-physiologischen Tierexperimenten auf eine höhere Ebene wie z.B. das Sozialverhalten ist weder in Bezug auf Tiere, aber erst recht nicht in Bezug auf den Menschen zulässig (vgl. dazu auch Kap. 4.3.1., S._).
(8) Die Unterscheidung der vier Ebenen ist erkenntnistheoretischer und praktischer Natur. Wir unterstützen damit die Kritik aus dem Umfeld der Selbstorganisationstheorien, für die der folgende schon auf die griechische Antike zurückgehende Satz steht: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Auf unsere Unterscheidung der vier Ebenen angewendet bedeutet dies, daß sich Erkenntnisse auf höheren Ebenen nicht aus Erkenntnissen aus darunterliegenden Ebenen zusammensetzen lassen. Damit benötigt jede Ebene ihre eigenen erkenntnistheoretischen Grundlagen und daraus entwickelten praktischen Verfahren. So kann man sich für die Ebene unspezifisch-physiologischer Basisprozesse naturwissenschaftliche Experimente an separierten mikroskopischen Körperausschnitten vorstellen. Die dort gewonnenen Detailergebnisse bleiben jedoch auf Detailbereiche begrenzt, denn auf den drei übergeordneten Ebenen geht es immer um menschliche Prozesse. Genau von diesem Aspekt wird aber bei naturwissenschaftlichen Experimenten abstrahiert.
(9) Besonders augenfällig wird dies im Vergleich zur ersten, spezifisch-menschlichen Ebene der gesellschaftlichen Natur des Menschen. In großer Ausdauer und Variation haben wir in allen Kapiteln das Argument eingebracht, daß sich menschliches Verhalten nicht als Resultat einer bloßen Bedingungskonstellation erklären läßt, da menschliches Verhalten immer subjektiv begründetes Verhalten in einem Raum von Möglichkeiten ist. So wird auch hier noch einmal deutlich, daß Erkenntnisse aus naturwissenschaftlichen Experimenten - da es sich dort um vollständig (her-) gestellte Bedingungskonstellationen handelt - nichts über subjektives Handeln aussagen können. Der leicht und oft formulierte Satz, daß auch höhere psychische Phänomene eine materielle Grundlage haben müssen (vgl. Fischbek, 1995), dem sicher die meisten zustimmen werden, sagt noch nichts darüber aus, wie das Verhältnis von materieller Grundlage und spezifisch-höheren Prozessen beschaffen ist und schon gar nicht, wie man dieses Verhältnis aufklären kann. Unseres Erachtens ist dies ein weitgehend ungeklärtes erkenntnistheoretisches (und damit auch praktisches) Problem.
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Unterkapitel von Kap. 5.:
5.1. Netzoptimierung und subjektives zielgerichtetes Handeln
5.2. »Künstliche Intelligenz« und »Neuronale Netze« im Vergleich